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Die große Gauklerin

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»Wenn man Geld genug hätte, die zu heiraten!« sagte der junge Fabbriani und sah bewundernd auf Eleonore, die eben lachend und mit dem Fächer unwahrscheinlich große Kreise beschreibend zu seinem Bruder sprach.

Ein anderer entgegnete:

»Geld genug, sie zu heiraten, und eine Faust, um sie zu bändigen. Wer traut sich's zu? Ich mir nicht!«

Der Sprecher machte mit beiden Händen eine nicht mißzuverstehende Bewegung nach seinen beiden Stirnwinkeln. Die andern lachten und gingen zu einem andern Thema über.

Elisabeth gab genau acht, ob der kleine Leutnant, den Eleonore liebte, nicht irgendwo auftauchte, aber sie konnte ihn nicht entdecken. Dagegen lernte sie an diesem Abend die Frau kennen, die schon beim Blumenkorso ihre Neugier rege gemacht hatte, – die Fürstin Tassini. Die Fürstin war mit ihrem Mann ziemlich spät, erst gegen Mitternacht gekommen, was wohl ein wenig auffiel, aber nicht störte, da ja die Geselligkeit hier nicht ein steifes und ausgerechnetes Gastmahl bedeutete. All diese Menschen, die zu später Abendstunde zwanglos zusammenströmten, nahmen mit Sorbets, Sekt und Süßigkeiten vorlieb, und wollten nichts anderes als schwatzen, flirten, spielen und den Klatsch des einen Salons in den andern tragen.

Auch heute sah die Fürstin auf eine kleine Entfernung mit der schlanken Gestalt und dem rötlichen Haar sehr jung aus. Sie trug wieder ein silberfarbenes Kleid, diesmal aus kostbarem Brokat mit alten Venezianer Spitzen, um den Hals die Perlenschnüre, ohne die man sie nie sah, auf dem Haupt ein Diadem von Rubinen und Diamanten. Sie schritt langsam und unbekümmert, so als ob sie immerfort zur rechten Zeit käme und als ob alle rundum nur auf sie gewartet hätten. Sie begrüßte die Hausfrau und jede einzelne der Damen liebenswürdig, aber man merkte deutlich, daß niemand ihr nahe stand. Sie saß gerade aufgerichtet und etwas steif in einem Sessel mit hoher Lehne, lehnte sich aber nicht an, wandte nur im Gespräch den Kopf ein wenig nach rechts oder nach links, sprach, lächelte, nahm von dem Silbertablett eines Dieners ein Glas Sekt, alles mit höflichen, aber kühlen Gesten, so als ob sie nur eine Verpflichtung erfüllte, nicht aber zu Gast auf einem Feste war. Trotzdem sie seit mehr als zwanzig Jahren in Venedig lebte, beherrschte sie die italienische Sprache kaum, bediente sich, wenn es irgend möglich war, des Englischen, was freilich seine Schwierigkeiten hatte, weil die andern annähernd ebenso schlecht Englisch sprachen wie sie Italienisch und jeder im Innern die Aussprache des andern bemängelte. Wie Elisabeth ihr vorgestellt wurde, musterte sie die junge Frau mit einem langen, eingehenden Blick, tat als erste Frage:

»Do you speak English?«

Da Elisabeth bejahte, lud die Fürstin sie ein, sich neben sie zu setzen, begann mit ihr auf englisch ein Gespräch, das sich zunächst natürlich nur um Allgemeinheiten drehte. Die italienischen Damen, mit denen sich die Fürstin bisher unterhalten hatte, entfernten sich vorsichtig, als sie merkten, daß nun Englisch die Oberhand gewinnen würde, waren auch gar nicht unglücklich darüber, denn ein kleiner Flirt oder Klatsch mit den jungen Herren, die überall mit sehnsüchtigen Blicken umherstanden, war weit amüsanter als die Unterhaltung mit der Fürstin, die sich in keiner Weise verausgabte. Auch als sie jetzt mit Elisabeth allein saß, kam ihr Gespräch nicht über Unpersönliches hinaus. Aber immerfort hafteten die kühlen, grauen Augen der Engländerin auf Elisabeths Gesicht, als wollten sie die Gedanken lesen, die sich hinter dieser Stirn verbargen, als suche sie irgendeinen Zug, der verriet, wie es um das Herz dieser jungen Frau stand. Sie fragte Elisabeth:

»Do you like Venise?«

Und als Elisabeth eifrig bejahte, als sie von den Entzückungen sprach, die sie in dieser Stadt seit dem ersten Tag gefunden hatte, wurde das Gesicht der Fürstin kälter und eine leise Ironie trat um ihre schmalen Lippen. Sie hörte Elisabeths Hymnus auf Venedig an, ohne ihn mit einer Silbe zu unterbrechen, sagte nur einmal: »O, I see, you are very young!« und ließ dann das Gespräch allmählich fallen. Elisabeth erhob sich, verneigte sich vor der Fürstin und ging zu ihrer Schwägerin, die inmitten eines Kreises von jungen Männern stand, mit denen sie nach Herzenslust kokettierte. Unfern von ihnen, scheinbar ganz in ein Gespräch mit ein paar älteren Herren versunken, in Wirklichkeit jedem Frauenkleid nachspähend, stand der Fürst Tassini. Ungewöhnlich groß und schon ein wenig beleibt, fiel er allein durch seine Gestalt auf, mehr aber noch durch den pittoresken Gegensatz, den seine dichten, zierlich gebrannten, schneeweißen Locken zu seinem pechschwarz gefärbten Schnurrbart bildeten. Dem starken, nicht unsympathischen Gesicht mit den aufgeworfenen Lippen und der großen Nase sah man an, daß dieser Mann jede wilde Lust des Lebens an sich gepreßt und ausgekostet hatte, und auch heute noch, da er die Fünfzig um ein gut Stück überschritten, blickten seine rollenden, etwas hervorstehenden Augen jede Frau an, als ob sie sagen wollten: »Du gehörst mir!« Wegen seiner zahllosen Liebschaften und auch wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit dem ersten König von Italien nannte man ihn scherzweise den »Re galantuomo«, und er hörte das nicht ungern, zudem man sagte, daß die Ähnlichkeit mit dem galanten Monarchen keine ganz zufällige sei. Während er mit den älteren Herren sprach, äugte er verstohlen immer wieder zu Eleonore und ihren Verehrern hinüber, riß die rollenden Augen weit auf, als zu ihnen jetzt Elisabeth trat, die für ihn eine neue Erscheinung war, und die er vorhin, als er mit seiner Frau gekommen war, kaum beachtet hatte. Es litt ihn jetzt auch nicht mehr länger bei seinen älteren Herren, er fing an unruhig zu werden, gab zerstreute Antworten und schoß, sobald eine kleine Pause im Gespräch es gestattete, hinüber zu den beiden jungen Frauen, um ihnen feurige, wenn auch etwas veraltete Schmeicheleien zu sagen. Unter den Herren, die er verlassen hatte, befand sich auch ein feiner, schmächtiger Mann mit spitzgeschnittenem, leichtmeliertem Bart und melancholischen dunklen Augen, die mit bewunderndem Neid sahen, wie der Fürst die jungen Leute allmählich verdrängte, wie seine massige Erscheinung die Damen Priuli völlig von den andern abschloß und seine sprudelnden Worte sie bald zum Lachen, bald zu sanfter Abwehr mit Blicken oder den Fächern reizten. Dieser Herr war der Bankier Lissignolo, einer der großen Finanziers von Venedig, der durch allerlei häusliches Mißgeschick seit mehreren Jahren dem geselligen Treiben ferngehalten worden war und nun, nach dem Ablauf des Trauerjahrs um seine Frau, zum ersten Male wieder unter frohe Menschen ging. Eleonore in ihrer prangenden Schönheit war ihm sogleich ausgefallen und er hätte sich ihr auch gerne genähert, aber er war nie sehr geschickt im Verkehr mit Frauen gewesen und scheute sich jetzt vor der lachenden Jugend dieses Mädchens und vor den heiteren, lebensfrischen Männern, die um sie her standen. O, was hätte er darum gegeben, wenn er so selbstbewußt, so keck auf sie hätte zusteuern können wie eben der Fürst, der wahrhaftig nicht jünger war als Lissignolo, und der einem Mädchen doch nichts zu sagen und zu bieten hatte als öde Schmeicheleien! Aber wie er sich auch schalt, er fand jetzt nicht den Mut, neben den Fürsten zu treten, sondern wartete, daß dieser zu einer andern Dame, einer hellgefärbten Blondine mit wunderschönen, weißen Schultern flog. Da erst faßte sich der ältliche Bankier Mut und ließ sich durch einen gemeinschaftlichen Bekannten zu den Damen Priuli führen. Die lichte Blondine mit den schönen Schultern war ein Frauentyp wie für den Fürsten geschaffen. Sie lachte und gurrte, wehrte ihm mit Worten ab, deren Sinn verweisend, deren Ton anlockend war, und zeigte ihm schließlich mit kunstverständiger Miene die Goldinkrustationen des Rokokofächers, den sie erst gestern zum Geschenk bekommen hatte. Der Fürst fand den Fächer wunderschön, schien aber plötzlich kurzsichtig geworden zu sein, denn er neigte sich tief und immer tiefer auf den Fächer nieder, bis seine Locken fast die schöne Schulter streiften. Elisabeth sah ihm zu und mußte lächeln, denn der weißlockige Riese wirkte in seinem verliebten Tändelspiel komisch. Wie er sich nun gar nicht mehr entschließen konnte, den Kopf von dem Fächer zu heben, suchte Elisabeths Blick unwillkürlich die Fürstin. Sie saß noch geradeso wie vorhin mit unbeweglicher Miene, schien keinen Blick und keinen Gedanken für den Mann zu haben. Mußte aber doch alles gesehen haben, denn plötzlich machte sie ihm ein hochmütiges Zeichen mit dem Kopf, ungefähr so, wie man einen Bedienten heranwinkt. Seltsame Veränderung, die da mit dem Fürsten vorging! Dieser Riese, der eben noch selbstbewußt und genußfroh von einer Frau zur andern geeilt war, sank in sich zusammen, schien kleiner zu werden, ängstlich, als wäre er in der Tat ein Lakai, der seine Dame nicht warten lassen darf. Hastig verabschiedete er sich von der Blondine mit den schönen Schultern, stand beflissen, unterwürfig, mit einem blöden Lächeln auf den starken Lippen vor seiner Frau, reichte ihr den Arm und führte sie ehrerbietig zum Abschied vor die Dame des Hauses hin, während die Fürstin neben ihm ging, als wäre sie allein. Nur Elisabeth war die kleine Szene aufgefallen, die andern rundum kümmerten sich seit langem nicht mehr um das seltsame Verhältnis zwischen dem Fürstenpaar. Man war es seit langem gewöhnt, daß der Fürst von seiner Frau ungefähr wie ein Lakai behandelt wurde, man lachte über ihn, bemitleidete ihn wohl auch ein wenig, aber man war dies alles eben so sehr gewöhnt, daß man gar nicht mehr darüber sprach. Immerhin erfuhr Elisabeth an diesem Abend näheres über die Fürstin, ihre Perlen und den Zerfall ihrer Ehe. Die Fürstin hatte vor etlichen zwanzig Jahren als eine der reichsten bürgerlichen Erbinnen Englands den sehr verführerischen und sehr verschuldeten Fürsten geheiratet, der auch nach der Ehe seine üppigen Junggesellengewohnheiten kaum einschränkte. Als etwa sechs oder sieben Jahre nach der Hochzeit die Fürstin einmal von einer Englandreise heimkam, fand sie in ihrem Palazzo eine Geliebte ihres Mannes installiert vor und ihre köstlichen Perlen waren – im Leihhaus. Ganz Venedig sprach damals über das skandalöse Begebnis, das den Fürsten, der alle möglichen Orden und Ehrentitel besaß, unmöglich gemacht hätte, wenn nicht seine Frau sich mit all ihrer Energie und ihrer Person vor ihn gestellt hätte. Die Fürstin ließ es zu keinem öffentlichen Skandal kommen. Die Geliebte wurde zwar energisch, aber doch in aller Stille entfernt und auf Reisen geschickt, das Perlengeschmeide ausgelöst und geflissentlich das Gerücht verbreitet, daß ein untreuer Diener es gestohlen und die Schuld auf den Fürsten abgewälzt habe. Wochenlang zeigte sich die Fürstin scheinbar im besten Einvernehmen, lachend und heiter mit dem Fürsten überall, wo sie gesehen und besprochen werden konnten, so daß der Klatsch verwundert haltmachte und man sich zuraunte, daß es im Hause Tassini doch bei weitem nicht so schlecht stehen konnte, wie man anfangs gemeint hatte. Doch nicht aus Liebe hatte die Fürstin so getan, sondern um den Namen, den sie und ihre drei Söhne trugen, vor Skandal und Verfemung zu hüten. Als der Klatsch abgeflaut und das Ansehen der Tassinis unerschüttert geblieben war, merkte der Fürst, daß er sein Lebelang für das zahlen mußte, was ihm seine Frau in diesen Wochen Hilfreiches getan. Bestimmt und kalt erklärte ihm die Fürstin, daß er jedes Recht im Hause verwirkt habe, daß er weder bei der Erziehung der Kinder noch in der Verwaltung des Vermögens ein Wort mitreden dürfe, weil er sich zu beidem als unwürdig und unfähig erwiesen habe. Er war jetzt nur mehr dazu da, um die Fürstin in Gesellschaft zu begleiten, mit ihr zu repräsentieren, und von dem ungeheuren Einkommen, das jährlich von dem englischen Schwiegervater gezahlt wurde, erhielt er nichts mehr als ein monatliches Taschengeld von 2000 Lire. Im übrigen konnte er tun und lassen, was er wollte, – seine Frau kümmerte sich nicht mehr um ihn. Ihre Perlen aber trug sie seitdem Tag für Tag, und es gab Spaßvögel, die wissen wollten, daß die Fürstin sich sogar mit all ihrem Schmuck zu Bett legte, weil sie nur so ganz sicher war, daß der Fürst ihn nicht abermals versetzte.

 

Warum sie trotz alledem immer noch bei ihm blieb, war keinem recht klar. Die einen meinten, es gefiele ihr eben doch, die große Rolle in Venedig zu spielen, wieder andere meinten, sie fürchte den Streit um die Söhne, an denen der Fürst zärtlich hing, noch andere vermuteten, daß sie sich im Laufe der Jahre an seine Ausschweifungen gewöhnte und sie nicht mehr tragisch nahm, ganz besonders Gescheite wollten wissen, daß es ihrer herrischen Art Freude machte, ihn immer wieder vor den Augen der Welt lächerlich zu machen und zu demütigen, wie eben jetzt, aber ganz Bestimmtes wußte niemand.

Elisabeth, die all diese alten Geschichten zum ersten Male hörte, war lebhaft von ihnen interessiert und beschäftigt. Sie wußte zwar nichts von der Fürstin, als was man ihr da im Salon erzählte, aber mit ihrer beweglichen Phantasie begriff oder ahnte sie wenigstens, daß im Hanse Tassini noch etwas verborgen lag, was die hier nicht wußten, irgendeine Tragödie oder der Abschluß einer Tragödie, die nichts nach außen bewegte und von der doch das versteinte und zugleich hochmütige Gesicht der Fürstin Kunde gab.

Es ging schon auf morgen, als die Priulis heimfuhren. Nicht allzu gesprächig saßen sie in der verhängten Gondel und wickelten sich fest in ihre Mäntel, denn die Nacht war feucht-kalt. Wie bunte, verzitternde Lichtreflexe tanzten scheinbar zusammenhanglos die Eindrücke und Gespräche dieses Abends noch einmal an ihnen vorüber. Ettore redete seine Damen ein paarmal an, erhielt aber nur einsilbige Antworten, denn Elisabeth und Eleonore fühlten jetzt, wie müde sie waren. Als sie dann daheim, vom Licht der Glühbirnen beleuchtet standen, fiel jeder auf, wie übernächtig die andere aussah. Nur Ettore war frisch und glänzend gelaunt. Einen Gassenhauer summend stieg er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinan, trieb, während er sich auskleidete, allerlei Unsinn und hätte nicht übel Lust gehabt, den Rest der Nacht zu verschwatzen. Ihm war zumute wie einem Fisch, der allzulang auf trockenem Sand nach Luft gerungen und der nun wieder in die heitere Woge zurückgeworfen war, die sein Lebenselement bedeutete. Dieser heutige Abend mit seinen prunkenden Salons, den schönen, koketten Frauen, den begehrlichen Männern, all die Möglichkeiten und Spiegelungen kecker und verbotener Abenteuer, der Klatsch, der all diese Menschen unentrinnbar in seinem bunten und doch unsichtbaren Netz verstrickte, – das alles war ihm zu Kopf gestiegen wie ein leiser Rausch, weil er es allzulange entbehrt hatte. Mehr als ein Jahr, mehr als ein ganzes Jahr war er diesem Kreis, der für ihn Venedig darstellte, entzogen gewesen, mehr als ein Jahr war er immer nur an der Seite einer Frau geschritten, die er zwar ruckweise immer noch liebte, in der er aber doch immer deutlicher das Fremde spürte, und die ihn mit allen möglichen geistigen und seelischen Ansprüchen plagte. Wie ein Befreiter reckte er, da er den Frack abgelegt hatte, die Arme zum Himmel, daß Elisabeth erstaunt fragte: »Bist Du so müde? Davon hat man aber gar nichts gemerkt!«

Ja, er war müde, aber ganz anders als sie's meinte. Müde dieses Flitterjahres, müde der vielen Einsamkeit zu zweien, die so weit abführte von dem schönen, buntbewegten Strom, an dessen Ufern er heute abend endlich wieder gewandelt war. Nun schwor er sich zu, daß er ihn nicht wieder verlassen wollte, daß es nun ein Ende haben sollte mit dem zu Zweien Hand in Hand über sanft beblümte Wiesen nach der kleinsten Hütte gehen. O, er dachte gar nicht daran, seine Frau gröblich zu vernachlässigen, aber der buntbewegte Strom mußte jetzt bei ihnen und auch zwischen ihnen bleiben. Sie konnten sich freundschaftlich darüber herwinken, bald einmal miteinander, bald aber auch mit irgendeinem Gefährten den Blicken entschwinden, und wenn sie zurückkehrten, so sollte keiner den andern fragen oder ihm mißtrauen. So lebten alle ringsum, so wollte auch er künftighin leben, und mit diesem Vorsatz schlief er ein.

Neben ihm lag Elisabeth noch lange wachend da. In ihrem Kopf wirbelten noch Eindrücke, Erscheinungen, Gespräche dieses Abends durcheinander. In diesem Wirbeltanz kehrte immer eine Erscheinung wieder, mit der sie nur etliche flüchtige Worte gewechselt hatte und die dennoch alle andern verdrängte, so daß Elisabeth schließlich nur mehr an die Fürstin Tassini dachte. Sie fühlte, daß hinter dieser Frau sich noch etwas barg, und konnte, so sehr sie sich auch wehrte, die schreckhafte Vorstellung nicht los werden, daß sie selbst in zwanzig Jahren vielleicht der Fürstin gleichen würde.

9

Die Zeit ging dahin, beladen mit Festlichkeiten. Niemals hätte Elisabeth geglaubt, daß sie im stande wäre, ein Leben zu führen, in dem es nichts gab als Routs, Bälle und Maskeraden. Es blieb keine Zeit für ein ernstes Buch, für ein nachdenkliches Gespräch, gerade nur, daß man ein paar Modejournale durchblättern und die wichtigsten Neuigkeiten aus der Zeitung ersehen konnte. An den Kopien, die sie dem Vater und den Brüdern zugedacht hatte, war noch kein Pinselstrich getan, denn das Licht in der Galerie war jetzt nur vormittags hell, und vormittags mußten die Priulis ausschlafen, die Nacht für Nacht spät nach Hause kamen und der Erholung bedurften für die Geselligkeit des kommenden Abends.

Zuerst fand Elisabeth an diesem Leben ein gewisses Gefallen. Diese schwarzen Gondeln, die unter nächtlichem Himmel dahinglitten und unter ihrem Baldachin geschmückte Frauen trugen, diese erleuchteten Paläste, die sich im Kanal spiegelten, diese Räume und Menschen voll Prunk und Tradition kamen ihr vor wie ein Bühnenbild, an dem sie selbst teilhaben durfte. Bald aber schwand diese ästhetische Freude vor einem leichten Ueberdruß, vor einer Gewißheit, die sie von jedem dieser Feste heimbrachte. Es war wirklich alles nur Dekoration, alles nur Schaustück und Schein, dahinter nie ein wirklicher Wert sich barg, und es war immerfort das gleiche. Niemals, so sehr der Schauplatz auch wechseln mochte, traf sie einen neuen Menschen, ein neues Wort, einen neuen Gedanken. Es war immerfort der gleiche Kreis, in dem sie sich bewegte, die gleichen Flirts, der gleiche Klatsch und immerfort das gleiche, heftige Interesse für alle Liebesgeschichten, das ihr schon in den italienischen Romanen so wunderlich erschienen war.

Jetzt, im Leben, kam es ihr noch viel wunderlicher vor, weil ja Liebesgeschichten aller Art in dieser Gesellschaft zum Alltäglichen gehörten. Die jungen Mädchen freilich wurden mit fast orientalischer Strenge gehalten und bewacht, aber es gab kaum eine Frau, die nicht ihren allgemein bekannten Verehrer gehabt, kaum einen Ehemann, der ihn nicht höflich geduldet hatte, – was verschlug es also, ob die Marchesa X. mit dem Conte Z. flirtete oder mit dem Cavaliere Y.? Was für einen Unterschied machte es, wenn der Fürst Tassini einer Sängerin vom dal Verme-Theater statt einer Tänzerin vom Trocadero huldigte? Doch all diese Menschen um sie her schienen nichts anderes zu kennen als Liebe oder das, was sie eben Liebe nannten.

Diese Salons waren angefüllt mit Frauen, deren Leben aus Nichtigkeiten bestand, mit Männern, die ihre Tage vertrödelten, wie Ettore es tat. Selten nur traf Elisabeth einen Mann, der im Beruf oder in Geschäften stand, wie etwa den Bankier Lissignolo, und auch er hätte wohl den größten Teil all dieser Feste versäumt, wenn er nicht um Eleonorens willen gekommen wäre. Bei den Frauen aber fand Elisabeth gar keine tieferen Interessen, nicht eine Spur von den großen Bewegungen, die daheim, in Deutschland, die Frauen erregten, zusammenschlossen und vorandrängten. So wenigstens schien es ihr, denn weil sie eine Fremde war, blieb sie auch den Menschen und Seelen fremd und konnte nur sehen, was auf der Oberfläche schwamm. So erschien ihr alles, was sie bis jetzt von Venedig kannte, leer und nichtig, und sie sehnte das Ende des Winters herbei, damit sie endlich leben konnte, wie es ihr gefiel, und nach so langer Zeit wieder an ihrer Staffelei sitzen, nach der sie sich schon sehnte wie nach einem verlornen Paradies.

Weder Ettore noch Eleonore verstanden, warum Elisabeth an der großen Geselligkeit kein dauerndes Gefallen fand. Sie neckten sie zuweilen ob ihrer Gründlichkeit und Schwere und freuten sich des Daseins wie Mädchen, die zum ersten Ball gehen. Ettore nahm alle geselligen Verpflichtungen so ernsthaft, als wären sie ein wichtiges Amt, und der Klatsch, den er aus den Salons oder vom Klub nach Hause brachte, erfüllte ihn wie ein beglückender Beruf. Elisabeth sah ihren Mann, hörte ihm zu und begriff ihn nicht. Viel eher begriff sie schon den Eifer der jungen Schwägerin, denn Eleonore schien sich mit jedem Fest merklicher dem Ziele zu nähern, das ihr und ihrer Mutter als Lebensideal vorschwebte: der reichen Partie. Lissignolo hatte die Scheu überwunden, die ihn, den älteren Mann, zuerst von der jungen Schönheit ferngehalten hatte. Er stand jetzt schon immer lange, ehe die Priulis erschienen, unfern der Tür des Salons, sprach mit allen möglichen Menschen, blickte aber immer wieder verstohlen nach der Tür, durch die das geliebte Mädchen eintreten mußte. Er war beglückt, wenn sie ihm die Hand reichte, ihm zulächelte und ihm zeigte, daß sie sich lieber mit ihm unterhielt als mit den jungen Herren, die sie von ferne umkreisten. Er bemühte sich wohl, seine Huldigungen nicht gar zu auffallend zu machen, aber er schickte Eleonore herrliche Blumen und Bonbonnieren, lud die alte Gräfin mit der Tochter ins Theater ein, kurz, er machte seinen Hof zwar zurückhaltend, aber doch in aller Form, so daß die Familie seine Werbung für die nächste Zeit erwarten konnte. Eleonore war sehr zufrieden. Es kam ihr zuweilen vor, als ob sie schon jetzt das Leben führe, das sie stets ersehnt hatte. Sie lag tagsüber im Bett, stand erst gegen Abend auf, saß dann ungekämmt, vernachlässigt und müßig bei der Mutter, um mit ihr von der Zukunft zu sprechen, aber wenn die Nacht sank, schlüpfte sie in eines ihrer Seidenfähnchen, ließ sich das prächtige Haar kunstvoll frisieren und fuhr lachend ihrem ältlichen Verehrer entgegen. Oft sah Elisabeth sie forschend an und hätte gerne gewußt, ob das Mädchen seine Liebe völlig vergessen habe, oder ob es nur Komödie spiele und der Vernunft nachgab. Aber weder aus Eleonore noch aus der alten Gräfin konnte sie klug werden; Eleonore sprach nie mehr ein Wort über den kleinen Leutnant, und auch die Gräfin erwähnte ihn nie mehr. Doch ihre Stimme blieb immer jammernd, auch wenn sie von dem Reichtum des künftigen Schwiegersohns sprach, und Elisabeth merkte, daß sie auch dem neuen Glück gegenüber ihr Mißtrauen nicht verlor.

 

»Wer kann sagen, wie alles gehen wird? Er ist so viel älter als Eleonore, das ist nicht gut, das ist wahrhaftig nicht gut!«

Im Frühsommer wurde dann Eleonore Braut. Das Haus Priuli strahlte vor Freude und Glück, und die Damen saßen tagaus, tagein in sehr anmutigen, glitzernden Sorgen, machten Notizen, häuften Bänder, Spitzen, Batist, Seide, liefen von einem Geschäft zum andern, schrieben an römische und Pariser Firmen. Wenn die Brautausstattung auch offiziell von der alten Gräfin geschenkt wurde, so wußten sie doch, daß Lissignolo später alle Rechnungen bezahlen würde, denn er hatte ausdrücklich gewünscht, daß Eleonore alles so reich und schön bekäme, wie es ihr gefiele, – sie brauchten sich also kein Gewissen zu machen, wenn sie von allem das Erlesenste wählten. Auch die Wohnung, die Lissignolo mit seiner ersten Frau bewohnt hatte, wurde ganz nach Eleonorens Wünschen hergerichtet, und der verliebte Mann stellte ihr in Aussicht, daß er späterhin irgendeinen der kleinen Paläste kaufen wollte, die immer wieder zur Veräußerung kommen. Einstweilen, meinte er, genüge ja die Wohnung allen Ansprüchen, und für die mamma wollte er ein kleines, behagliches Appartement mieten, das im Hause frei wurde und durch eine Wendeltreppe mit der Wohnung der Lissignolos verbunden werden konnte. Eleonore war ganz zufrieden mit dem Haus ihres Verlobten, nur von dem Appartement für die Mutter schien sie wenig entzückt. Lissignolo fragte besorgt:

»Meinst Du, daß es ihr nicht gut genug ist?«

Eleonore warf die Lippen auf, zögerte ein wenig mit der Antwort:

»O, gut genug wohl, aber …«

»Was aber? Sage doch, Kind, was Du meinst!«

Eleonore ergriff den Arm ihres Bräutigams, schmiegte sich an ihn.

»Ich weiß nicht … Denk' nur, wenn Du es auch recht garstig findest, ich habe gar keine so große Freude davon, daß die mamma mit uns wohnen soll. Ich weiß doch, wie sie zu Anfang bei meinem Bruder gestört hat …«

Lissignolo lächelte beglückt. Er war dankbar, daß seine Braut darauf sann, mit ihm allein und ungestört zu bleiben. Weil er aber nicht mehr so jung wie sie und auch ein braver Mensch war, meinte er überredend:

»Sie wird uns nicht stören, liebe Liebste! Aber wo soll sie hin, wenn nicht zu uns? Es ist doch Deine Mutter, und die gehört zur Tochter eher als zum Sohn, als zu einer fremden Frau. Und wenn sie auch mitunter da sein wird, wenn man sie gerade nicht wünscht, – ich bin so glücklich, daß ich Dich habe, daß ich drei böse Schwiegermütter willig in den Kauf nähme, geschweige denn die gute, alte Gräfin Priuli!«

Eleonore senkte die Augen. Sie war beschämt von der Güte dieses Mannes und hatte eine Sekunde lang das Verlangen, sich an seine Brust zu werfen, ihm zu sagen: »Halte mich, rette mich, sonst bin ich verloren!« Es war aber nur eine Sekunde. Im nächsten Augenblick hob sie schon wieder die Augen, lachte und sagte fröhlich:

»Aber natürlich, Du hast ganz recht! Es war nur so eine Idee von mir!«

Das war gleich in den ersten Tagen nach der Verlobung. Im Laufe der Wochen, die nun folgten, wunderte sich Elisabeth zuweilen im stillen, daß gar nie ernsthaft von einer Uebersiedlung der alten Gräfin gesprochen wurde. Sie fragte Ettore einmal:

»Wird Deine Mutter nun bei uns wohnen bleiben, oder zieht sie zu Eleonore?«

Ettore zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht, ich denke wohl, daß sie zu den Lissignolos zieht, aber man kann sie doch nicht direkt fragen! Das sähe aus, als ob man sie vor die Türe setzen wollte. Warten wir's ab, in ein paar Monaten wird sich's von selber klären. L'Italia farà da sè!«

Elisabeth, die jetzt schon immer nervös wurde, wenn er ganz sinnlos seinen Spruch zitierte, sagte nichts mehr. Als sie aber an diesem Nachmittag zu ihrer Schwiegermutter kam, die gerade allein war, fing die alte Gräfin selbst von der Uebersiedlung zu sprechen an. Sie sah nicht freudig aus, eher bekümmerter noch als früher, und ihre Stimme jammerte, als wäre das Glück der Priuli nicht neu befestigt, sondern für immer verloren.

»Ja, das ist alles recht schön. Lissignolo ist auch ein guter Mensch, ein Kavalier … Aber hinziehen zu ihnen? Nun ja, wenn es sein muß, dann will ich's wohl tun, aber ich weiß schon, Eleonore hat keine große Freude davon, und ich auch nicht. Ich wahrhaftig auch nicht!«

Elisabeth tat die alte Frau leid, obgleich sie ihre trübe Stimmung nicht begriff. Sie meinte, die Gräfin fühle sich von Eleonore zurückgesetzt, sei eifersüchtig auf den Mann, der ihr plötzlich das Herz der Tochter abwendig machte, und sie wollte begütigen und die alte Frau erheitern:

»Du darfst das alles nicht so tragisch nehmen, liebe Mama! Eleonore hängt doch so sehr an Dir und wäre sicher sehr unglücklich, wenn sie sich von Dir trennen müßte. Aber nicht wahr, jetzt ist sie eben verlobt und, wie es scheint, auch verliebt, und da ist man wohl ein wenig rücksichtslos gegen alle andern Menschen … Aber sie liebt Dich doch ebenso wie früher, und Du wirst sehen, daß es wunderschön ist, wenn Du bei ihr wohnst …«

Die Gräfin schüttelte den Kopf, Tränen traten ihr in die Augen. Sie murmelte:

»Lisa, Du verstehst das nicht!« Sie machte eine Pause, öffnete wieder die Lippen, als wollte sie mehr sagen, etwas, was sie ängstigte und bedrängte, aber sie bezwang sich, schüttelte nochmals den Kopf und schwieg. Elisabeth streichelte ihr die runzligen Hände, nannte sie mit zärtlichen Worten, die sie über die vermeintliche Lieblosigkeit der Tochter forttrösten sollten. Nach einer Weile hub die Gräfin wieder an, sprach abgerissen, mehr zu sich, als zu der jungen Frau.

»Nein, Lisa, Du verstehst es wirklich nicht. Es ist alles ganz anders als Du meinst. Das ist nun einmal so mit den Kindern, wenn Du erst so alt bist wie ich, wirst Du's auch noch merken … Man sorgt und denkt sein ganzes Leben lang nur für sie, und wenn sie dann groß sind, hat man nichts von ihnen als Kummer und Undank …«

»Aber, Mama, Ettore macht Dir doch wirklich keinen Kummer und hängt so sehr an Dir, daß ich früher beinahe eifersüchtig auf Dich war! Und auch Eleonore –«

Aber die Gräfin beharrte.

»Kummer und Undank, – das ist alles, was sie einem geben. O, man ist nicht umsonst eine Priuli! Die Priuli haben kein Glück mehr! Sie dürfen anfangen, was sie wollen, alles wendet sich zum Schlechten! Du wirst es später noch an Dir und Deinen Kindern sehen!«

Elisabeth schrie auf.

»Sag' solche Sachen nicht, ich kann sie nicht anhören! Wir sind doch alle glücklich, – warum sollte sich auf einmal alles wenden und zum Unglück werden! Du bist zu pessimistisch, Du bist es wohl durch vieles Unglück geworden, aber sprich nicht davon, ich bitte Dich, sprich nicht mehr so, es ist zum Verzweifeln, wenn man Dir zuhört!«

Die Gräfin sah mit abwesenden Blicken auf die junge Frau.

»Poverina, nimm Dir meine Worte nicht weiter zu Herzen, vielleicht bist Du die erste Priuli, die wieder Glück hat; ich hab's nicht gehabt und niemand von uns!«

Sie schwieg wieder eine Weile, sagte dann unvermittelt, fast bettelnd:

»Lisa, wenn ich nur hierbleiben dürfte! Ich mag nicht zu den Lissignolos! Behaltet mich hier, Lisa, ich will Dich auch gewiß nicht mehr mit meinen dummen Reden ängstigen. Denk' nur immer, daß ich eine alte, geschlagene Frau bin, und laßt mich in Gottes Namen hier!«

Elisabeth war von der demütigen Bitte so überrascht und gerührt, daß sie nichts weiter fragte. Sie umschlang die alte Frau und entgegnete aus ehrlichem Herzen: