Free

Die große Gauklerin

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

»Die Fürstin hat mir soeben das Bild Ihrer Söhne gezeigt! Drei patente Menschen, auf die Sie sehr stolz sein können!«

Der Fürst nahm ihr das Bild aus der Hand, diesmal ohne sie zu streifen, sah es lange zärtlich an.

»Sie gleichen ganz meiner Frau, nicht wahr?« fragte er, Elisabeth mit etwas vorgeneigtem Kopf anstarrend. Er sah in diesem Augenblick wirklich nicht verführerisch, nur ein wenig komisch aus, aber in seiner Stimme zitterte es wie eine leise Angst, wie eine Traurigkeit, daß diese drei Söhne nichts, gar nichts von ihm genommen hatten. Er tat Elisabeth leid, und sie beeilte sich darum, ihm zu versichern:

»Nur die beiden Jüngern! Der Aeltere, scheint mir, hat doch sehr viel von Ihnen! Stirn und Augen sind doch ganz wie die Ihren, und sicher hat er auch dunkle Augen, nicht wahr?«

Das Gesicht des Fürsten leuchtete auf. Wirklich, Luigi glich ihm, Luigi hatte, wie Elisabeth vermutete, schwarze Augen, wenn auch nicht so hervortretend und so rollend wie der Vater! Luigi war überhaupt ein Prachtmensch, eine Hoffnung für die Zukunft, ein Sohn, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Er geriet in Feuer, da er diesen Sohn rühmte, vergaß, daß er hier nur Englisch reden sollte, fiel ins Italienische, sprach laut und lebhaft, mit großen Gesten und pathetischen Worten, alles etwas massig und stark aufgetragen, wie es zu seiner Erscheinung paßte, aber alles ohne falschen Klang, ohne Aufdringlichkeit, durchströmt von einem Gefühl, das niemand diesem alten Frauenjäger zugetraut hätte. Die Fürstin saß still und gerade, hatte die Hände in den Schoß gelegt und sah unter gesenkten Lidern darauf nieder. Mit unbeweglichem Gesicht hörte sie dem Fürsten zu. Einmal nur hob sie die Augen, sah ihn schweigend an. Vor diesem Blick erstarrte seine Lebhaftigkeit, seine Worte wurden kleinlauter, sein Gefühl kroch wie beschämt in sein Herz zurück. Er seufzte leise, legte das Bild der Söhne behutsam wieder neben seine Frau hin. Elisabeth hatte den kleinen Vorgang beobachtet, und wenn sie ihn auch nicht recht verstehen konnte, so ärgerte sie sich doch über die Härte, mit der die Fürstin den Mann von allem wegscheuchte, woran er hing. Um dem Fürsten Gelegenheit zu geben, noch mehr von seinen Söhnen zu sprechen, sagte sie:

»Als Sie vorhin kamen, Fürst, hatte ich gerade gefragt, welchen Beruf Ihre Söhne einmal wählen werden. Wissen Sie schon etwas darüber?«

Die Fürstin antwortete an seiner Statt, antwortete mit Absicht etwas unbestimmt. Der Älteste wollte Luftschiffer werden, das stand fest, aber über die beiden Jüngern sprach sie sich nicht deutlich aus. Vielleicht daß der eine in diplomatische Dienste ging, der andere Technik studieren wollte; aber das alles waren vorläufig nur Pläne, wie Halbwüchsige sie eben machen, was sie wirklich wollten und werden würden, ließ sich erst später sagen.

Der Fürst nickte zu allem; ein rechtes Gespräch über die Söhne kam aber nicht mehr in Gang. Erst als sie sich wieder allgemeinen Dingen, besonders jüngst verflossenen, pikanten Gesellschaftshistörchen zuwandten, wurde der Fürst wieder lebhaft und heiter, flüsterte kleine Zweideutigkeiten, die er selbst dröhnend belachte, und als er Abschied nehmend Elisabeths Hand küßte, sah er wieder so lebensfreudig aus, daß die Aehnlichkeit mit dem Re galantuomo deutlicher als sonst hervortrat. Die Fürstin sah ihm nach, lächelte fast heiter und meinte, indem sie sich langsam die Hände rieb:

»Il principe Tassini befindet sich in einer großen Täuschung. Er meint, seine Söhne zu kennen; niemand ist ihnen fremder als er. Er bildet sich ein, Luigi gleiche ihm, aber Luigi gleicht mir genau ebenso wie die Jüngeren. Sie sind alle wie ich, und wenn sie's auch noch nicht sagen, so weiß ich doch, daß sie alles hassen und verachten, was ich hasse und verachte.«

»Fürstin!«

Elisabeth rief es leise, bestürzt, als wolle sie die Fürstin mahnen, auch jetzt nicht zu bekennen, was sie bis zum heutigen Tage jedem verschwiegen hatte. Die Mahnung war überflüssig, denn die Fürstin erschloß sich nicht, warf nur in scheinbar gleichgültigem Ton abgerissene Sätze hin, in denen aber doch ihr ganzer Haß und die Rache ihres verfehlten Lebens lag. Während sie sprach, preßte sie den Kopf ein wenig hintüber an die Lehne ihres Stuhles, blickte in die sinkende Dämmerung hinein, die ihr einen leisen Schleier übers Gesicht legte, als schäme sich der scheidende Tag, ihr in die Augen zu sehen, während sie sprach …

Dem Fürsten die Söhne zu entfremden, – das war ihr Ziel all die Jahre her gewesen. Darum war sie bei ihm geblieben, darum hatte sie sich selbst seit Jahren der Gegenwart ihrer Kinder beraubt, denn nichts konnte sie bei ihrem Vorhaben so wirksam unterstützen wie die Erziehung im englischen College. Dort lernten die jungen Tassinis das maßlose Selbstbewußtsein der fremde Nation, hörten tagaus, tagein, daß es nichts Besseres geben könne auf der Welt, als dem Land zu dienen, dem ihre Mutter entsprossen war. Und wenn sie natürlich auch der Geburt nach immerfort Venezianer bleiben mußten, im Herzen und im Leben konnten sie Engländer sein und alles verachten, was vom Vater her kam. Luigi würde wirklich Luftschiffer werden, aber natürlich ein Aeronaut in Englands Dienst. Die beiden andern, die sich über ihre Ziele noch nicht recht klar waren, die würden sich wohl mit dem Geld der Mutter und des englischen Großvaters an englischen Kolonialunternehmungen beteiligen oder sich große Landsitze in England kaufen und auf Du und Du mit all den künftigen Lords weiterverkehren, mit denen sie jetzt in Eton beisammen waren. Bis die Söhne mündig und also auch vor dem Gesetz jedem väterlichen Einspruch entzogen waren, wollte die Fürstin in Venedig bleiben und schweigen; der Tag, an dem auch der jüngste Sohn mündig würde, war der große Tag ihrer Vergeltung. Dann wollte sie mit ihren drei Söhnen Venedig und den Palazzo Tassini verlassen, und der Fürst mochte alt und einsam seine Tage dort so traurig oder so schändlich beschließen, wie es ihm gefiel. Nie mehr kehrte sie an die Lagune zurück, oder wenn einmal, dann nur, um diesen Palast, in dem sie all ihre Freude begraben hatte, an irgendeinen Kaufmann oder Händler zu verkaufen, damit er auch nach außen hin erniedrigt wurde, wie er es im Innern durch den Fürsten schon lange war. Elisabeth saß regungslos und horchte, war bald von Grauen gepackt und bald von Bewunderung. Sie hatte bisher in ihrem Leben wohl Antipathien oder Abneigung kennen gelernt, nie aber einen Menschen, der fähig war zu hassen, wirklich zu hassen und einer grausamen Rache durch ein Leben nachzugehen. Fast beneidete sie die Fürstin um diese Ausschließlichkeit der Empfindung und wußte doch, daß sie ihr nimmer Gefolgschaft leisten könne, denn während der Haß der Fürstin so langatmig war, daß er alles Frühere wegblies und über die Jahrzehnte hinreichte, sprach in Elisabeth immer noch eine Stimme von dem, was einst gewesen war, von der Zeit, da sie hier ihr ganzes Glück gefunden hatte. Leise sprach die Stimme und erstarb in einer stummen Frage, auf die die törichte Seele Antwort erhoffte, obgleich es doch keine Antwort mehr zu geben schien. –

11

Elisabeth saß in der Galerie und kopierte eine kleine Landschaft von Ruysdaels, die sie ihrem Vater schenken wollte. Eifrig saß sie an der Arbeit und ließ sich nicht weglocken, obschon draußen ein jubelnder Sonnentag lag, denn die Nachmittagsstunden waren die einzigen, in denen sie zur Sommerzeit ungestört malen konnte. Vormittags war die Galerie für Fremdenbesuch geöffnet, und wenn Elisabeth auch immer wieder entschlossen war, sich um die Besucher nicht zu kümmern und zu tun, als ob sie allein wäre, so störte es sie doch, wenn alle Augenblicke einer neben sie trat, Original und Kopie mit den Blicken verglich oder gar halblaute Bemerkungen über die Malerin machte. An diesen Nachmittagen aber war's hier einsam und friedlich, kein Laut ertönte, als von draußen die Rufe der Gondolieri und das sanfte Plätschern, mit dem die Welle von den breiten Rudern abfloß. Fast hätte Elisabeth sich einbilden können, daß sie wieder daheim in der Pinakothek oder der Schack-Galerie sitze und emsig für irgendeinen Besteller oder auch nur einen ersehnten Käufer ihr Bild pinsele. Da sie's dachte, wurde ihr zuerst froh und dann melancholisch zumute, denn dies alles schien schon so weit hinter ihr zu liegen, daß sie es kaum mehr mit Gedanken erreichen konnte. Und als sie sich Mühe gab, sich die Mädchenjahre deutlicher zu vergegenwärtigen, als es ihr schon fast gelungen war, da störte sie überlautes, schreiendes Sprechen, das von den Zimmern der alten Gräfin her drang. Elisabeth trat ein wenig von der Staffelei zurück, faßte Palette und Malstock in die linke Hand und lauschte mit vorgeneigtem Kopf. Sie konnte natürlich nicht verstehen, was da drüben geredet oder geschrien wurde, sie unterschied aber deutlich Eleonorens Stimme und die der alten Gräfin. Es mußte heute ungewöhnlich heftig zwischen den beiden Frauen hergehen, denn die Stimme der alten Gräfin verlosch immer mehr, wurde völlig verschlungen von dem Toben Eleonorens, die immer wieder rasend aufschluchzte und dazwischen schmetternd zu Boden warf, was ihr in die Hände kam. Einen Augenblick überlegte Elisabeth, ob sie nicht hinübergehen und die Damen mahnen sollte, sich doch wegen des Aufhebens im Hause ein wenig zu mäßigen. Sie wußte ja, daß, sobald Eleonore kam, die Dienstboten neugierig herbeihuschten, um in verborgenen Winkeln oder unter allerlei Ausreden dicht vor der Tür zu erlauschen, was sich in den Gemächern der alten Gräfin an Zank und Skandal zutrug. Sie ging aber doch nicht hinüber, sondern blieb in der Galerie. Schließlich konnten die Dienstleute heute nichts anderes erfahren, als was sie an allen Tagen vorher erfahren hatten, und was alle Spatzen von den Dächern pfiffen! Sie hatte zu Anfang wohl ein oder das andere Mal versucht, Frieden oder wenigstens äußerlich Ruhe zu stiften, aber es war ihr nie gelungen. Vielmehr waren jedesmal die drei Priuli gegen sie zusammengestanden und hatten ihr bedeutet, daß sie sich nicht in Angelegenheiten mischen sollte, die sie nichts angingen.

 

Nachdem das rasende Schluchzen und Toben eine Weile gewährt hatte, riß jemand in den Gemächern der Gräfin eine Türe auf, schlug sie hastig hinter sich wieder zu, und Elisabeth wußte, ohne daß sie es sah, daß Eleonore zerrauft und verweint von der Mutter fortstürmte zu der Gondel, die drunten angekettet lag. Elisabeth sah ihr nicht nach, kümmerte sich scheinbar um die ganze Szene nicht weiter, wenngleich sie jedesmal verstimmt und angeekelt blieb, wenn sie zum unfreiwilligen Zeugen ähnlicher Auftritte gemacht wurde. Sie malte weiter, gab sich Mühe, nicht an das zu denken, was sie soeben erlauscht hatte, obschon sie sich sagte, daß sich heute etwas Außergewöhnliches bei ihrer Schwiegermutter zugetragen haben müsse. Sie wunderte sich darum auch nicht sehr, als die alte Gräfin nicht bei Tisch erschien und sagen ließ, sie läge mit Kopfschmerzen zu Bett. Sie fragte Ettore:

»Deine Mutter ist doch wohl nicht ernstlich krank? Soll ich zu ihr gehen und mich nach ihr umsehen, oder glaubst Du, daß es ihr lieber ist, wenn man sie allein läßt?«

Ettore zerpfückte eben sorgsam und sachverständig eine in Oel gesottene Artischocke. Er hob jetzt die Augen vom Teller, sah seine Frau vergnügt an.

»Aber nein, laß nur! Bis morgen ist es sicher vorbei! Sie hat nur ein wenig Verdruß mit Eleonore gehabt, aber es ist nichts, wirklich gar nichts!«

Er häufte sich zum zweitenmal Artischocken auf, sprach mehr und liebenswürdiger mit Elisabeth, als es sonst seine Art war, schien überhaupt aufgeräumt und von innen heraus zufrieden.

Elisabeth konnte nicht recht aus ihm klug werden, verstand vor allem nicht, daß er so guter Laune war, während er sonst doch alles miterlebte und mitteilte, was seine Mutter und seine Schwester betraf. Als Elisabeth sich wie immer nach der Mahlzeit in ihr Zimmer zurückzog, um ein wenig Zeitungen zu lesen, kam Ettore ihr nach, setzte sich behaglich in einen Lehnstuhl, zündete eine Zigarette an und blies vorsichtig und geschickt Rauchkringel ins Zimmer hinein. Elisabeth saß ihm gegenüber, nahm bald eine deutsche, bald eine italienische Zeitung zur Hand, wollte lesen oder wenigstens lesend scheinen und war doch innerlich unruhig, ergriffen von einer plötzlichen Angst, daß irgend etwas passiert sei, daß Ettore ihr am Ende wieder eine ähnliche Beichte ablegen könne wie damals, in jener Nacht … Sie versuchte einen Zusammenhang zu finden zwischen der Szene bei der Gräfin und der Aufgeräumtheit Ettores und meinte nicht anders, als daß er sie durch seine Heiterkeit und Freundlichkeit im vorhinein für irgend etwas gefügig machen wolle. Sie saß hinter ihrem Zeitungsblatt, wartete, daß er endlich sprechen sollte, und meinte in diesen Minuten, daß kein Wort von ihm, auch nicht das schwerste, ärger sein könne als dies Warten. Ettore aber blies immer noch seine Rauchkringel so bedacht, als wären sie der Inhalt und der Zweck seines Daseins, rekelte sich ein wenig in seinem Sessel, sah über das Zeitungsblatt weg seine Frau an und lächelte ihr zu, wie im Triumph. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, atmete tief und sagte:

»Gott sei Dank, endlich sind wir ihn los!«

Elisabeth ließ das Blatt sinken, sah ihn verständnislos an.

»Los? … Wen? … Ich verstehe nicht …«

Ettore lachte hell auf.

»Du bist kostbar! Wenn ich sage ›wir sind ihn los‹, so kann ich doch nur einen meinen.«

Elisabeth verstand ihn noch immer nicht.

»Herrgott, Du bist wirklich naiv! Also, in klaren Worten: Eleonorens Leutnant ist versetzt worden, sein Regiment geht nach Pisa! Ich sage Dir, ich bin so vergnügt darüber, als ob ich das Große Los gewonnen hätte. Nun wird endlich Ruhe werden, und Eleonore wird sich auf sich selber besinnen und sich schämen, daß sie sich an solch einen Windbeutel hing!«

Elisabeth war so erstaunt über das, was sie da hörte, und was so verschieden von dem klang, was sie erwartet hatte, daß sie fragte:

»Ist das wahr? Kommt er wirklich fort?«

»Aber Du hörst es ja, nach Pisa! Ich hab' es mittags im Klub erfahren, und vorhin sah ich Eleonore aus dem Hause rasen. Na, mir tut nur die arme mamma leid, die das alles wieder aushalten muß.«

»Wenn nur wirklich jetzt endlich alles zu Ende ist und Eleonore vernünftig wird!«

Die Worte kamen aus Elisabeths Herzen. In all der Zeit hatte Eleonorens Liebschaft auf ihr gelastet, hatte sie beschämt und erbittert, wenngleich alle um sie her, nicht nur im Palazzo Priuli, sondern auch in der Gesellschaft, über Eleonorens Verfehlung nachsichtig weglächelten. So wenig, wie sie es früher in den Romanen verstanden hatte, so wenig verstand sie es hier, daß um der Liebesleidenschaft willen alles gut heißen sollte, was schlecht war, daß der getäuschte Gatte nur als lächerliche Figur dastand, während Eleonore von einem gewissen Nimbus umstrahlt war. Niemals hatte sich Elisabeth, auch im Innern nicht, als Richterin über die Schwägerin aufgeworfen, nur schweigend hatte sie sich immer mehr von ihr entfernt, bis sie beinahe wie Fremde einander gegenüberstanden. In diesem Augenblick aber, der so etwas wie eine Rückkehr zu ihr erschloß, spürte Elisabeth, daß das Wohlgefallen, das sie auf den ersten Blick an Eleonore gefunden hatte, nicht in ihr erloschen war, und darum meinte sie zweifelnd:

»Wenn nur wirklich alles zu Ende ist!«

»Aber natürlich! Glaube mir, es gibt gar kein besseres Mittel gegen Liebe, als sechs Stunden Eisenbahnfahrt. Ich sage Dir, wie ich heute mittag die Versetzung des Regiments in der Zeitung las, hätt' ich am liebsten einen Luftsprung gemacht!«

Elisabeth konnte seine Zuversicht nicht teilen. Sie dachte an die Szene, die es heute nachmittag bei der Gräfin gegeben hatte, an das Schluchzen und Rasen Eleonorens. Sie sprach Ettore davon, er lachte aus vollem Halse.

»Nun ja, das war der erste Sturm, vielleicht kommen noch drei oder vier nach, aber dann wird Ruhe! Nur sich nicht ängstigen und den Dingen ruhig ihren Lauf lassen, l'Italia farà da sè!«

Wie häufig, so zuckte auch jetzt Elisabeth nervös mit den Augenbrauen, als er die gewohnte Redensart siegessicher hinschleuderte. Er sah die Bewegung und wurde ärgerlich.

»Du hast ein Talent, einem jede frohe Stimmung zu verleiden!«

Er war ein paar Minuten lang ärgerlich, als ob sie ihm ein wirkliches Glück gestört hätte, schnell aber war seine gute Laune wieder da, er zündete eine frische Zigarette an und blies abermals seine prachtvollen Rauchkringel.

»Es ist ein wahres Vergnügen, daß diese verdammte Geschichte jetzt so zu Ende geht! Der Kriegsminister hätte uns kein größeres Vergnügen machen können als diese Versetzung! Wenn ich bedenke, was aus Eleonore geworden ist, seitdem sie sich an diesen Gauner gehängt hat! Nichts mehr hat für sie existiert als er, rein nichts. Dabei hat sie Summen in Händen gehabt, Summen, von denen Du Dir nichts träumen läßt. Aber alles nur für ihn.«

Elisabeth hatte ihm zugehört, ohne allzusehr auf seine Worte zu achten. Sie tat jetzt eine Frage, über die sie schon manches Mal nachgedacht und auf die sie doch nie die richtige Antwort gefunden hatte.

»Sage, Ettore, hat Lissignolo nie etwas erfahren? Sie war doch oft so unvorsichtig, und es muß ihm doch aufgefallen sein, wenn sie so viel Geld vertan hat.«

Ettore zuckte die Achseln.

»Chi lo sà! Ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Wie's sein mag, er kann froh sein, daß er diesen Ausbeuter endlich vom Halse kriegt!«

Sie sprachen noch eine Weile hin und her, dann verabschiedete sich Ettore liebenswürdig und heiter, wie ihn Elisabeth seit langem nicht gekannt hatte. Sie blieb allein und dachte noch über diese ganze unerquickliche Geschichte nach. Auch sie war froh, daß nun alles zum Ende gediehen schien, und ihr Staunen über Ettores Glücksempfindung wandelte sich in ein wärmeres Gefühl. Sie hatte ihm also doch wohl unrecht getan, wenn sie ihn für ganz oberflächlich, ja für sträflich leichtsinnig gehalten hatte! Heute merkte sie aus seiner überströmenden Heiterkeit, daß ihm die Sache doch näher gegangen war als es schien, daß er nur nach außen hin das Einverständnis mit der Schwester gewahrt hatte, während er sie in seinem Herzen verurteilte, wie jeder anständige Mensch sie verurteilen mußte. So dachte Elisabeth und fühlte sich ihrem Manne wieder näher, schämte sich sogar ein wenig, daß sie ihm im stillen unrecht getan hatte.

Ruhig und freundlicher als sonst gingen jetzt die Tage im Palazzo Priuli dahin. Auch aus den Gemächern der Gräfin vernahm man keine Szenen und kein Toben mehr. Eleonore kam entweder nicht zur Mutter, oder wenn sie kam, dann beherrschte sie sich oder begann vielleicht wirklich ruhig zu werden … So vergingen Wochen. Ettore blieb in seiner guten, befreiten Stimmung, besuchte seine Schwester öfters und erzählte seiner Frau jedesmal, daß Eleonore einen durchaus vernünftigen Eindruck mache.

»Das heißt, ganz wie sonst ist sie noch nicht, aber das wird schon noch kommen. Jedenfalls ist's ein Glück, daß mein Schwager diesen Blutsauger los ist! Der hätte den guten Lissignolo noch ruiniert!«

Eines Abends, als Ettore just ausgehen wollte, ertönte das Telephon. Ettore, in der sicheren Erwartung, daß irgendein Klubfreund ihn anrief, nahm den Hörer und schmetterte vergnügt seinen Namen in das Schallrohr hinein. Er war etwas erstaunt, als anstatt des Klubfreundes sein Schwager sich meldete.

»Hallo, was gibt's denn? Was ist denn geschehen?«

Er fragte es gedankenlos und heiter, denn er konnte sich gar nicht vorstellen, was Lissignolo um diese Stunde von ihm wollte. Lissignolos Stimme antwortete:

»Ist Eleonore bei Euch oder bei ihrer Mutter?«

»Bei uns ist sie nicht! Aber vielleicht sitzt sie noch bei der mamma; warte einen Augenblick, ich lasse nachfragen!«

Er schickte den Diener zu der alten Gräfin und erfuhr, daß Eleonore heute überhaupt nicht gekommen war. Lissignolos Stimme zitterte, als er fragte:

»Ettore, kannst Du nicht für eine Viertelstunde zu mir kommen?«

Ettore war von diesem Ansinnen nicht entzückt. Im Klub warteten sie auf ihn und hatten gerade für heute abend noch einen amüsanten Bummel durch ein paar Varietés geplant. Er sagte daher etwas träge und vorwurfsvoll:

»Muß denn das heute noch sein? Hat es nicht Zeit bis morgen früh?«

»Nein, ich muß Dich heute noch sprechen!«

»Also schön, ich bin in einer halben Stunde da!«

Elisabeth konnte nicht hören, was er am Telephon verhandelte, war auch gar nicht neugierig, denn sie wußte nicht, daß Lissignolo angeklingelt hatte. Zwei Stunden später erfuhr sie's, erfuhr es ebenso plötzlich und schreckhaft wie damals den Spielverlust Ettores. Sie saß ruhig an ihrem Schreibtisch und schrieb an einen ihrer Brüder, als Ettore hereingestürzt kam, außer sich, mit verzerrtem Gesicht, blaß vor Erregung und Zorn. Ehe Elisabeth, die ihn erschrocken anstarrte, fragen konnte, schrie er es ihr schon entgegen:

»Fort ist sie, fort! Hat man je so etwas erlebt? Diese verrückte Person, diese dumme Gans!«

»Fort? … Wohin?«

Ettore lachte höhnisch auf.

»Wohin? So etwas kannst auch nur Du fragen! Zu ihm ist sie natürlich, nach Pisa! Donnerwetter, die hat uns alle schön hinters Licht geführt. Wir haben geglaubt, daß jetzt alles zu Ende sei, derweil fängt's jetzt erst an. Solch ein Skandal! Und solch eine hirnverbrannte Dummheit!«

Er rannte wütend im Zimmer hin und her, überflutete die entflohene Schwester mit einem Hagel von Scheltworten, die immer roher wurden, je mehr er sich in seinen Zorn hineinwetterte. Ganz allmählich nur und mit beträchtlicher Schwierigkeit bekam Elisabeth die Einzelheiten von Eleonorens Flucht und Ettores Unterredung mit Lissignolo heraus.

Niemand im Hause Lissignolo hatte eine Ahnung von dem Plan der jungen Frau gehabt. Wohl war Eleonore fassungslos gewesen, als sie erfuhr, daß ihr Geliebter nach Pisa versetzt sei, aber just in diesen Tagen war Lissignolo durch Sitzungen und geschäftliche Besprechungen sehr in Anspruch genommen gewesen, und als das Regiment in seine neue Garnison abgerückt war, schien Eleonore sich abgefunden zu haben, war sogar heiterer, als es sonst in ihrer Art lag. Jeder dachte, daß sie den Leutnant alsbald vergessen haben würde, und die jungen Herren Venedigs, die genau über jedes freigewordene Frauenherz orientiert waren, schickten sich schon an, das verlassene Kleinod zu berennen und zu erobern. Eleonore lachte und tändelte mit ihnen wie früher, aber seit heute mittag war sie verschwunden. Lissignolo hatte zuerst gemeint, daß sie sich im Palazzo Priuli verspätet habe, aber als er ihr Zimmer genauer durchsuchte, merkte er, daß es sich hier nicht mehr um eine gewöhnliche Abwesenheit handelte. Wohl hatte Eleonore kaum etwas Wäsche oder Kleider mitnehmen können, denn das wäre im Hause aufgefallen, aber ihr ganzer wertvoller Schmuck war verschwunden, und auf ihrem Schreibtisch lag ein verschlossener, an ihren Mann adressierter Brief. Es standen nur die Worte darin:

 

»Addio, sei mir nicht böse, aber ich kann nicht anders.

Eleonore.«

Elisabeth saß wie betäubt.

»Was nun? Was kann man denn tun?«

Ettore wußte es selbst nicht. Er faselte in der einen Minute, daß er Eleonore an den Haaren von Pisa nach Venedig zurückschleifen, in der nächsten, daß er den Leutnant über den Haufen schießen wolle, aber eine klare Vorstellung des Kommenden hatte er nicht.

»Wie faßt es Lissignolo auf? Glaubst Du, daß er sie wieder aufnimmt, wenn sie zurückkäme?«

Ettore zuckte die Achseln. Ja, das glaubte er wohl, aber konnte man denn sagen, ob Eleonore an Rückkehr dachte? Nein, es war vielmehr zehn gegen eins zu wetten, daß sie sich nun an den Liebhaber klammern und um keinen Preis mehr von ihm lassen würde. –

Und wieder schalt und wetterte Ettore, während Elisabeth mehr als an die entflohene Frau an den einsamen Mann denken mußte, dem jetzt nicht einmal die öffentliche Schande erspart blieb. Sie erinnerte sich an die Nacht, die Eleonorens Hochzeit voraufging, und stärker als je zuvor hatte sie das Gefühl, daß sie selber mitschuldig war an allem, was sich jetzt offenbarte.

Am nächsten Morgen sehr früh kam Lissignolo. Unwillkürlich wollte Elisabeth davoneilen, als er gemeldet wurde, aber Ettore war noch mit seiner Toilette beschäftigt, und so mußte wohl oder übel sie an seiner Stelle ihn empfangen. Sie war so ergriffen und erregt, daß sie zuerst kaum laut sprechen konnte und ihm nur schweigend die Hand reichte. Er sah grau und verstört aus, wie nach einer schlaflosen Nacht, und die Müdigkeit seiner Bewegungen stach seltsam ab von dem Lärm und den heftigen Gesten, mit denen Ettore gestern das Gemach erfüllt hatte. Als Lissignolo sich gesetzt hatte, fragte Elisabeth leise:

»Haben Sie Nachricht … von … von ihr?« Lissignolo schüttelte verneinend den Kopf. Er entgegnete leise: »Was sollte sie denn schreiben? Was nötig ist, weiß ich ja schon.«

Eine kleine Pause entstand. Elisabeth sprach einige Worte, die ihr selber banal und leer vorkamen. Lissignolo hörte ihr mit gesenktem Haupt zu. Vor sich hinblickend, als zöge er das Fazit einer Rechnung, die unwiderruflich ist, sagte er:

»Nein, nein, man darf sie gar nicht so sehr anklagen! Der Fehler liegt vielmehr an mir. Ich war zu alt für sie. Ein Mann mit grauen Haaren soll nicht solch ein junges Ding an sich fesseln.«

Elisabeth konnte ihm nichts entgegnen. Sie fand ihn bewundernswert, daß er alle Schuld von der Frau nahm, um sich selbst anzuklagen, wenngleich sie nicht recht verstand, daß er, der Mann, sich der Schande beugte, statt sich dagegen zu empören. Sie schwieg eine Weile, suchte Worte, mit denen sie fragen wollte, wagte keines zu wählen, weil ihr jedes, so sanft es auch gemeint war, einen Stachel zu haben schien, der dem Verwundeten weh tun mußte. Schließlich sagte sie aber doch:

»So kann es aber doch nicht bleiben! Man muß doch versuchen, Eleonore wieder heimzuholen … sie kann doch nicht … es ist ja unmöglich …«

Lissignolo schüttelte den Kopf.

»Ich kann sie nicht holen, nein, nein!«

»Sie nicht! Aber vielleicht Ettore oder die Mutter.«

Wieder verneinte der Mann mit einer müden Geste.

»Ach nein, da ist nichts zu machen, das sitzt ihr zu tief im Blut! Das verstehen Sie nicht! Nicht wahr, Sie verzeihen, daß ich das offen sage! Aber Eleonore ist ganz anders. – Sie kann von diesem Menschen in alle Ewigkeit nicht lassen …«

»Aber was will sie denn neben ihm machen? Er kann sie ja doch nie heiraten und auch sonst – Es ist eine trostlose Situation, in die sie sich da gestürzt hat.«

Lissignolo nickte.

»Trostlos! Und sie hat es doch, weiß Gott, schön bei mir gehabt; jeden Wunsch habe ich ihr an den Augen abgelesen und ihr alle Freiheit gelassen, die sie gewollt hat, und ihr jeden Tag die Hände mit Gold gefüllt, ohne je zu fragen, wofür sie es verbrauchte! Verbraucht hat sie ja auch genug, denn die Priuli können alle nicht sparen … An ihr hing ja auch nicht nur der Mensch da in Pisa, sondern noch –«

Er brach ab, merkte trotz seinem Schmerz, daß er mehr gesagt hatte, als er dieser Frau sagen durfte. Elisabeth war es, als habe ihr jemand einen Schlag auf das Herz versetzt, und mit jener schreckhaften Hellseherei, die uns gerade im ersten Augenblick einer peinvollen Ueberraschung befällt, wußte sie sogleich, wie alles zwischen Ettore, seiner Schwester und seinem Schwager gewesen war. Ganz deutlich wußte sie nun, daß Ettore all die Zeit über durch die Hand der Schwester Lissignolo in Anspruch genommen hatte, und daß er, um sich Eleonoren für ihre Vermittlung dankbar zu bezeigen, stets allerlei Dienste bei ihren Heimlichkeiten geleistet hatte. Sie verstand jetzt auch, daß Eleonorens Flucht ihn nur darum so tief empörte, weil mit der Schwester ihm die Goldquelle entschwand, geradeso wie ihn die Versetzung des Leutnants nur deshalb so sehr entzückt hatte, weil er auf diese Weise den fordernden Andern erledigt glaubte. Wie sie das alles dicht aneinandergereiht vor sich stehen sah, fiel sie einen Augenblick Schwindel an, so als ob nichts um sie her fest an seinem Platze bliebe, sondern sich in surrendem Kreisen mit ihr drehe, um sie schließlich hinunterzuwerfen, in ein unfaßbares Nichts … Und während sie so saß, empfand sie mehr als sie dachte:

»O, wenn ich nie wieder die Augen aufmachen müßte, wenn ich so regungslos sitzenbleiben dürfte, bis ich in Asche zerfalle!«

Ein paar Minuten blieb es bedrückend still. Dann öffnete Elisabeth langsam die Augen, errötete, als sie auf Lissignolo fielen, ließ sie über ihn weggehen in die Weite des Zimmers hinein und fragte voll tiefer Beschämung:

»Wieviel? Wieviel ist …« (sie stockte, konnte sich kaum entschließen, die Frage zu tun) »wieviel ist Ettore Ihnen schuldig?«

»Ich weiß es nicht!«

Elisabeth beharrte aber leise und eindringlich:

»Sie wissen es wohl, Sie wollen es mir nur nicht sagen! Aber ich bitte Sie, nehmen Sie wenigstens diese Last von mir. Sie müssen doch begreifen, wie schrecklich mir der Gedanke ist, daß … Hätte ich eine Ahnung gehabt, daß Ettore von Ihnen Geld nimmt, so hätte ich lieber mein ganzes Vermögen darangesetzt oder wäre auf und davongegangen.«

Lissignolo, mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt, fand Elisabeths Erregung nicht recht verständlich.

»Lassen Sie doch, Frau Lisa, lassen Sie doch! Das Geld hat mir nicht wehe getan und ist nun doch fort, gleichviel ob für den oder für jenen.«

Elisabeth senkte das Haupt und schwieg. Lissignolo meinte es gut und ahnte nicht, wie er sie erniedrigte, da er den Liebhaber seiner Frau und ihren Mann mit seinen Worten zusammenkoppelte.

Als Ettore mittags nach Hause kam, gab es zwischen dem Ehepaar eine heftige Szene. Elisabeth war vor Beschämung und Zorn außer sich, warf Ettore gleich die leidenschaftliche Frage entgegen:

»Warum hast Du mir nie gesagt, daß Du bei Deinem Schwager bettelst? Ich meine, Du hättest das wahrhaftig nicht nötig gehabt!«

Ettore war etwas verblüfft, ließ sich aber gar nicht aus der Fassung bringen. Er entgegnete gelassen, mit jener Geringschätzung im Ton, die er jetzt fast immer annahm, wenn er mit Elisabeth sprach:

»Carissima, das sind doch meine Angelegenheiten, die Dich nichts angehen. Eleonore ist meine Schwester und nicht die Deine, Lissignolo ist mein Schwager und nicht der Deine, – also! Was wir untereinander abmachen, geht dritte Personen nichts an, merke Dir das gefälligst! Uebrigens was hätt' ich denn tun sollen? Ein Priuli kann nicht so leben, wie Du Dir es in Deiner Kleinbürgerlichkeit einbildest, und wie ein kleiner, deutscher Leutnant lebt. Du hast das nie einsehen wollen, Du hast Deinen Geldschrank zugeschlossen, – ja, meine Liebe, da darfst Du Dich nicht wundern, wenn ich zu meinesgleichen gehe und bei denen das Verständnis suche, das meine Frau nicht für mich hat!«