Wie die Swissair die UBS rettete

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Der Mann mit der Mappe

Der Mann am anderen Ende der Telefonleitung an diesem 9. März 2001 weiss nicht, ob er sich freuen oder fürchten soll. Eben hat ihm Eric Honegger, der Verwaltungsratspräsident der Swissair, aus Zürich mitgeteilt, dass er zurücktreten werde, wie im Übrigen alle anderen Mitglieder des Gremiums auch; und zwar in zwei Etappen, während der nächsten zwölf Monate. «Da bleibe ja nur ich», entfährt es Mario Corti im fernen Boston. Der Finanzchef von Nestlé liegt absolut richtig!

Das Milliardenunternehmen hat turbulente Monate hinter sich, als sich Honegger bei Corti meldet. Nach dem Rauswurf von Bruggisser ist der neue «starke Mann» Eric Honegger, ein studierter Historiker, viel zu schwach, um den Umschwung einzuleiten. Er holt zwar Suter, handelt aber hinter dessen Rücken – meistens nicht zugunsten der Firma, sondern um politische Turbulenzen zu vermeiden. Er zeigt sich deshalb kulant bei den ausländischen Partnern. Honegger ist immer noch mehr Politiker als Manager oder gar Unternehmer. Die Hunter-Strategie ist nun definitiv vom Tisch, obwohl Swissair-Spezialist René Lüchinger eindringlich betont: «Die Hunter-Strategie war nicht abwegig. Sie hätte gelingen können. Aber äussere Faktoren und der intern bröckelnde Sukkurs haben sie scheitern lassen.» Am Hauptsitz, dem Balsberg bei Kloten, herrscht mittlerweile das nackte Chaos. Nach dem Abgang Bruggissers ist niemand da, der die Fäden wirklich zusammenhalten kann. Die NZZ wird im März monieren, dass seit der Absetzung Bruggissers «wenig bis gar nichts getan worden» sei, um die Verlustlöcher zu stopfen, sodass «die ungefreuten ‹Töchter› die ‹Mutter› unweigerlich in die Tiefe zu reissen drohen». Honegger versucht, sich in dieser turbulenten Zeit als ruhiger Pilot zu positionieren, der das Unternehmen aufräumen will, doch seine Chefqualitäten werden vom ersten Tag an infrage gestellt. Im Februar bestätigt er in einem Interview, dass der Druck gross sei. Er habe diesen Job ja nicht gesucht, aber es gehöre in einer solchen Situation dazu, dass der Verwaltungsratspräsident solche Aufgaben übernehme. Und an Rücktritt denke er nicht: «Ich werfe […] nicht den Bettel hin, sobald Gegenwind aufkommt.» Er sei aber eingebettet in der Geschäftsleitung, zum Beispiel mit Airline-Gründer und -Spezialist Moritz Suter. Doch Suter demissioniert nach 44 Tagen, womit Honegger seine Trumpfkarte verliert, auch gegenüber dem Verwaltungsrat. Das Gremium ist besorgt – sehr besorgt. Nicht nur um die Swissair. Auch um den eigenen Ruf. Wie gerne wären sie nicht mehr in der Verantwortung.

Am 9. März orientiert Honegger also Mario Corti, dass ausser Corti alle Verwaltungsratsmitglieder zurücktreten werden, gestaffelt über zwölf Monate immerhin, aber trotzdem: Es bleibt keiner übrig – ausser Corti. Und der sitzt erst seit elf Monaten in diesem Gremium! Den Verwaltungsrat sofort verlassen werden etwa der Chef des Comptoir Suisse in Lausanne, Paul-Antoine Hoefliger, der Zementbaron Thomas Schmidheiny und die FDP-Vorzeigefrau Vreni Spoerry. Nach Plan ein Jahr später werden Privatbankier Bénédict Hentsch, CS-Chef Lukas Mühlemann und der Roche- und Economiesuisse-Mann Andres Leuenberger zurücktreten. Oder anders gesagt: Die Schweiz AG flieht aus dem Führungsgremium der Swissair! Offiziell werden die Abgänge als «Übernahme der Verantwortung» schöngefärbt. Der SonntagsBlick kommentiert die Abgangswelle so: «Das freisinnige Zürcher System hat die Swissair in ihre schwerste Krise geführt. Sie steht am Abgrund. Weil die Herkunft wichtiger war als Können.»

Honegger versucht derweil verzweifelt, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der Plan ist, dass Corti von ihm übernimmt – in einem Jahr. Der NZZ erklärt er seinen Plan am 11. März 2001 folgendermassen: Man wolle nicht ein Vakuum entstehen lassen, das sei nicht dienlich. Der Verwaltungsrat habe die Verantwortung, eine neue Strategie zu erarbeiten und die Gruppe neu zu positionieren: «Deshalb wollen wir uns der Verantwortung stellen.» Honegger gibt im Gespräch mit der Zeitung zu, dass die Probleme grösser seien, als der Verwaltungsrat noch bis im Vorjahr gedacht habe. Auch wenn er selbst seit 1993 dabei gewesen sei, als einfaches Mitglied habe man einen weniger tiefen Einblick als als Verwaltungsratspräsident. Er habe mit dem Amtsantritt als Vorsitzender des Gremiums im Frühling 2000 «einen völlig anderen Einblick in die Unterlagen erhalten» und habe gewusst, «dass es so nicht weitergehen» könne und er «rasch durchgreifen» müsse. Den Verwaltungsräten dämmert nach den harschen öffentlichen Reaktionen auf die Rücktrittswelle, dass diese Notmassnahmen noch immer nicht ausreichen. Als ihr Präsident sich dann schliesslich in diesem NZZ-Interview – einer Zeitung notabene, deren Verwaltungsratspräsident Honegger ist – reinwaschen will, endet die Solidarität. Zudem gibt es intern massiven Druck. Das Swissair-Personal fordert den Kopf Honeggers: Der «Big Boss» habe zu wenig Ahnung vom Fluggeschäft, und ein Rücktritt in zwölf Monaten sei keine vertrauensbildende Massnahme. Honegger wird deshalb, keine Woche nach den Durchhalteparolen, «abgesetzt», wie selbst die Honegger-nahe NZZ feststellen muss. Und das komme eigentlich nicht überraschend, weiss das Blatt jetzt sogar zu berichten. Honegger wird Anfang Mai 2001 seinen Rücktritt auch als Verwaltungsratspräsident der NZZ bekannt geben; ihm schien offenbar «in letzter Zeit die Kontrolle zu entgleiten», so die Zeitung.

Damit gab die NZZ Eric Honegger zum Abschuss frei. Der Sohn eines Bundesrats, ehemaliger Zürcher Regierungsrat, Verwaltungsrat der UBS, Verwaltungsratspräsident der NZZ, wird von der Schweiz AG angewidert ausgespuckt wie ein Stück verdorbener Apfel. Er verliert innerhalb kürzester Zeit alle Ämter und wird später sein Glück fern der Heimat suchen und finden – als Hotelier in Österreich. Derweil wird Mitte März offiziell bekannt gegeben, dass Mario Corti das Präsidentenamt per sofort übernehme und zugleich Delegierter des Verwaltungsrats sei, also das Tagesgeschäft der Airline leite. Der Mann mit der markanten Haartolle tritt die anspruchsvolle Aufgabe an, die in Turbulenzen geratene Airline wieder in eine ruhige Fluglage zu bringen. Er lässt sich den Wechsel vom bequemen Sessel des Chief Financial Officer bei Nestlé in Vevey auf den mittlerweile riskant gewordenen Kapitänsstuhl in Kloten-Balsberg gut bezahlen: Das Salär über fünf Jahre sei im Voraus abzusichern, verlangt der zum Retter bestimmte Finanzfachmann.

Die Lage der Swissair sieht nicht erfreulich aus – euphemistisch ausgedrückt. Die Grossbank UBS, drei Jahre zuvor aus dem Zusammenschluss der Zürcher Bankgesellschaft und des Basler Bankvereins entstanden, hielt schon am 10. März 2001 in einem internen Memorandum fest, dass die Verschuldung der Swissair den Unternehmenswert um eine bis drei Milliarden Franken übersteige und damit auf keinen Fall neue Kredite gewährt werden dürften. Eigentlich wollten die Banker ihre Analyse dem «alten» Chef Honegger präsentieren. Aber die Sitzung wurde aus den eben geschilderten Gründen abgesagt. Der «neue» Chef lässt sich derweil feiern. Corti sei als Finanzchef von Nestlé in einer komfortablen Position gewesen, «wie man von ihm jederzeit hören konnte», so die NZZ, die den neuen Swissair-Kapitän in doppelter Funktion als Präsident und CEO über den grünen Klee lobt. Ein «Mann des Vertrauens» sei Corti, er habe einen vielfältigen Lebenslauf mit Stationen in Privatwirtschaft (Aluminium, Nestlé) und Verwaltung (Nationalbank, Bundesamt für Aussenwirtschaft). Bei Corti komme zudem «eine äusserst weitgreifende Vernetzung in der Schweiz» dazu, und er sei international breit verbunden. Nicht schaden dürfte auch, dass Corti Anfang der 1990er-Jahre mit einer Cessna einen Flug um die Erde unternommen habe; das erlaube ihm, das Fliegerlatein zu verstehen. Und schliesslich sei der neue Chef der Swissair – so die NZZ – ein begabter Rhetoriker und «Witze-Erzähler»!7

Vorerst hat Corti aber nichts zu lachen. Die Lage ist mehr als ernst, wie die Zahlen der UBS zeigen. Die von Baslern dominierte Bank ist denn auch nicht mehr bereit, Kredite zu sprechen. Trotz dieser schwierigen Situation will der neue Chef Corti sich nicht von einzelnen lukrativen Nebengeschäften des Flugbetriebs trennen. Schliesslich verfügt er dank der Credit Suisse mit Lukas Mühlemann, der Deutschen Bank unter der Leitung des Schweizers Josef Ackermann und der Citibank über eine Kreditlinie von einer Milliarde Schweizer Franken. Corti glaubt, dass er Zeit habe: Fünf Jahre werde es dauern, um die Swissair wieder auf den Erfolgspfad zu bringen, sagt er öffentlich. Von Sparen ist nicht die Rede, im Gegenteil, der Service an Bord und auch der Sitzkomfort müssten besser werden. Über den Verkauf von Beteiligungen, den Honegger noch im Februar angedeutet hat, will man lediglich «nachdenken» – mehr nicht. René Lüchinger erklärt die Fehleinschätzung des neuen Chefs so: «Mario Corti glaubte immer noch, er könne wie bei Nestlé die Hilfe aller Beteiligten, auch der Banken, einfach einfordern. Und dann musste er feststellen: Das geht ja gar nicht mehr.» Und weiter: «Man glaubte immer noch an die Dualstrategie, also daran, dass die Nebengeschäfte das volatile Fluggeschäft ausgleichen würden.» Die Catering-Firmen, das Duty-free-Geschäft und die Unterhaltsfirma SR Technics sind alle Milliarden wert – noch. Schliesslich funktionierten diese Bereiche im Vorjahr «gut bis hervorragend», während die Fluglinien betrieblich nur mässig rentierten. Dieses Zögern, das Tafelsilber zu Geld zu machen und sich damit Luft zu verschaffen, wird rückblickend von allen Befragten als grösster Fehler angesehen. Allerdings konnte auch niemand antizipieren, was im September in den USA passieren würde. René Lüchinger sagt deshalb: «Es ist eine philosophische Frage: Verkaufe ich, wenn es brennt, die Häuser, die nicht brennen? Das wollte Corti offensichtlich nicht.»

 

Während die NZZ den neuen Swissair-Chef über alle Massen lobt, melden sich anderswo kritischere Stimmen: Der «Super-Mario» habe in erster Linie «Schönwetterzeiten beim Sofortkaffee-Konzern erlebt», monieren Wirtschaftsfachleute im SonntagsBlick. Sie würden sich fragen, ob Corti als Krisenmanager bestehen könne. Doch der geht das Ganze gründlich und gemütlich an – wie die Aufgaben zuvor, so das Wirtschaftsmagazin Bilanz: «Mario Corti geht in den Dingen auf, mit denen er sich beschäftigt.» Zwei Jahre habe er sich in den 1980er-Jahren in die Akten des Bundesamts für Aussenwirtschaft gekniet, ehe er dessen Wirken und Aufgaben zu verstehen glaubte. Zwei Jahre habe er in den 1990er-Jahren den Nahrungsmittelmulti Nestlé studiert, bevor er ihn zur Gänze durchschaut habe. Es gibt nur ein Problem: Der Swissair – und damit Corti – bleiben nicht zwei oder gar fünf Jahre Zeit, um die aktuellen Probleme zu lösen. Während alle Weggefährten seine Intelligenz hervorheben – «der kompetenteste CEO, den ich bisher erlebt habe», sagt ein GL-Mitglied –, geht eine andere Eigenheit unter: Corti ist ein Einzelkämpfer, der zwar bei Nestlé als CFO Verantwortung getragen hat, aber nicht die eines obersten Chefs. Deshalb sagen Gefährten auch, er halse sich zu viel auf und könne nicht delegieren. Die Bilanz zeichnet die Detailbesessenheit dieses brillanten Kopfs anhand einer Beobachtung nach: Die schwere Tasche, die Corti in den vergangenen Jahren ständig mit sich führte, war immer übervoll mit Akten. Und so geht Corti denn die Arbeit an: Er holt mit Jacqualyn Fouse von Nestlé eine vertraute Person als neue Verantwortliche für die Finanzen, schafft Ordnung im Reporting – so wie er das schon als junger Mann in seiner damaligen Wohngemeinde Aeugst tat. Er versucht, mit sogenannten Quick Wins, mit Sofortmassnahmen, unmittelbar Wirkung zu erzeugen. Die alte Swissair-Leitung lässt er mit einem Jahresverlust von 2,9 Milliarden Franken im letzten Geschäftsjahr schlecht aussehen. Das macht jeder Neue: Er schiebt die Kosten für fast alles der alten Equipe zu. Seine Finanzchefin beruhigt derweil den Verwaltungsrat insofern, als «die Liquidität bis Ende Jahr ausreichen» werde. Ja, Super-Mario, wie die Medien ihn hoffnungsvoll nennen, besitzt alle intellektuellen Fähigkeiten, den Fleiss, die notwendige Beharrlichkeit, um das Millionenpuzzle Swissair zu lösen. Aber etwas hat er nicht, das, was er bei seinen bisherigen Aufgaben immer hatte: Zeit.

Scheitern mit Ankündigung

Zeit ist relativ. Auch für Mario Corti. Er wird später sagen, er sei die Probleme der Swissair zügig angegangen. Das mag stimmen – in seinen Zeitrelationen. Für die Swissair agiert er nicht schnell genug. Ja, Corti geht den Ausstieg aus den ausländischen Beteiligungen an. Aber nicht ohne zum Beispiel für die deutsche LTU 250 Millionen Franken auf die Seite zu legen – Geld, das damit für das Kerngeschäft verloren ist. Später wird man ihm das vorwerfen: Er habe die Mittel falsch eingesetzt. Er habe es verpasst, den Notausstieg zu suchen und den Geldabfluss zu stoppen. René Lüchinger glaubt ebenfalls, dass ein Ausstieg aus den Auslandsbeteiligungen sinnvoll gewesen wäre. Einfach wäre dies sicherlich nicht gewesen, «aber möglich». Corti aber will korrekt bleiben gegenüber allen. Auch gegenüber dem Personal. Er schnürt ein erstes Sparpaket, streicht Flüge, mottet Flieger ein. Und denkt erstmals laut über den Verkauf von Firmen aus dem Beteiligungsportfolio nach. Ende August kündigt er an, dass die Abfertigungsfirma Swissport und die Duty-free-Firma Nuance verkauft werden sollen – bis Ende Jahr. Von 71 000 Beschäftigten soll die Swissair auf 47 000 schrumpfen, davon sind 1300 Arbeitsplätze direkt bei der Swissair betroffen: «Swissair schockt mit Stellenabbau» empört sich der Zürcher Tages-Anzeiger am 31. August 2001. Hintergrund der Sparübung: Die neue Finanzchefin entdeckt Bilanzmanipulationen, das Unternehmen steht noch viel schlechter da als gedacht. Der bisherige Finanzchef Georges Schorderet, von der Neuen abgeschoben, wird nun definitiv gefeuert.

Chefpilot Corti muss zu Notmassnahmen greifen. «Knapp vor dem finanziellen Abgrund» stehe die Swissair, muss auch der Tages-Anzeiger konstatieren, Corti habe gar keine andere Wahl. Im Blick verströmt der Konzernchef Optimismus: 2002 werde ein tolles Jahr, es gehe nicht um den radikalen Abbau des Netzes, nein, wenn die Konjunktur anziehe, würden auch die Passagierzahlen wieder steigen. Um sich dann mit den Journalisten über das neue Terminal am Zürcher Flughafen, die neue Zuschauerterrasse dort und die Verpflegung in der Economy-Klasse auszutauschen. Und siehe da, auch der so aufrechte Herr Corti arbeitet mit Buchhaltungstricks. So werden plötzlich «vermutlich verfallene Flugscheine» mit 251 Millionen Franken gutgeschrieben. Sie sind bezahlt, aber nicht abgeflogen worden. «Niemand würde nun Corti im Ernst vorwerfen, er wolle irgendetwas verstecken», schreibt die Berner Zeitung. Er tue nur, was jeder Konzernchef tun würde: Optimismus verströmen, «er bemüht sich, mehr noch: er müht sich ab». Der Angesprochene erklärt sich und die Bilanzanpassungen: Nicht er, Corti, sei verantwortlich für die Ticketgutschrift, sondern die Revisionsgesellschaft habe dies veranlasst. Ein Schurke, wer Böses denkt …

Die Schweizer Medien spielen in dieser Phase eine interessante Rolle: Für die einen ist Mario Corti der Herkules, der das nationale Monument Swissair rettet. Für die anderen hat Corti viel zu grosse Illusionen und steht zu wenig in der Gegenwart. Die positive Lesart zeigt sich in der Anlegerzeitung Finanz und Wirtschaft: Sie will «die Swissair Group nicht aufgeben», wie sie am 1. September titelt, und sie kommentiert, das präsentierte Zahlenwerk «lässt erschauern, gleichzeitig aber auch Hoffnung schöpfen». Trotz der Tatsache, «wie nah die Swissair Group am Abgrund steht», gebe es doch «Anlass zu gewissen Hoffnungen». Und begründet dies mit: «Wer sich daran erinnert, wie Cortis analytisches Regime die Nestlé-Divisionen auf Vordermann brachte, sieht deshalb einen Lichtschimmer am Swissair-Horizont.» Die Zahlengläubigkeit von Corti stösst beim SonntagsBlick auf Skepsis: «Corti allein kann nicht Swissair sein», kommentiert die damals auflagenstärkste Zeitung der Schweiz. Sie zweifelt, dass Corti das Unternehmen in die richtige Richtung treibt. Der von ihr befragte Marketingchef der Billig-Airline Ryanair sagt klipp und klar: «Corti lebt in einer Welt von vorgestern.» Die Zukunft im Kurz- und Mittelstreckenverkehr gehöre den kostengünstigen Airlines: «Die Leute sind nicht bereit, für ein besseres Glas Wein und ein knuspriges Sandwich einen Aufpreis zu zahlen.» Die inzwischen eingegangene Westschweizer Sonntagszeitung dimanche.ch fragt denn auch als erste Publikation: «Und wenn Swissair Konkurs geht?» Ein vom Blatt befragter Bankenanalyst sagt, mit 15 Milliarden Franken Schulden «kann man nicht überleben». Nur die Deutsche Bank empfiehlt ihren Kunden in dieser Situation, die Aktie zu kaufen.

Dass sich die Aussichten für die Airline schwer eingetrübt haben, ist noch vor den Anschlägen vom 11. September 2001 vielen klar. Die SonntagsZeitung rechnet ihren Leserinnen und Lesern nur gerade zwei Tage vor den Terrorakten vor, dass 15 Milliarden Schulden 750 Millionen Franken Zinsen pro Jahr bedeuten, dass das Fluggeschäft einen Verlust von 400 Millionen Franken mache, von den Zahlungen an die ausländischen Airline-Beteiligungen nicht zu sprechen. «Das Loch ist nicht zu stopfen», kommt die Zeitung zum Schluss, da hälfen auch die «gewieftesten Bilanztricks» nicht. Deshalb gebe es nur eine Lösung: einen Schuldenverzicht der Bank, sonst sei die «Swissair am Ende». Das Sonntagsblatt holt sich bei dieser Argumentation Hilfe von SVP-Mann Christoph Blocher. Der vergleicht die Situation mit der Lage der Uhrenindustrie Ende der 1970er-Jahre. Es brauche deshalb einen Schuldenverzicht und eine Aufstockung des Eigenkapitals. Blocher: «Damals [bei der Uhrenindustrie, Anm. des Autors] verzichtete man auch auf viel Geld, im Nachhinein stellte sich das aber als sehr lohnendes Geschäft für die Banken heraus.» Eine Staatshilfe lehnt der SVP-Vordenker jedoch strikt ab, genauso eine Bürgschaft: «Das ist keine nationale Airline, das ist eine private Fluggesellschaft», stellt Blocher seine Sicht der Dinge klar. Und sagt bei der Frage nach Cortis Plänen: «Bei Sanierungen dieser Grössenordnung darf man nicht zu zögerlich vorgehen. Da braucht es wohl eher den Vorschlaghammer.»

Am 10. September 2001, einen Tag vor den Anschlägen in Amerika, lässt sich also folgende kurze Zwischenbilanz ziehen: Corti ist die Sanierung der Swissair mit der ihm eigenen Gründlichkeit angegangen, will die Probleme Schritt für Schritt und ganz sauber lösen. Sowohl die Geschäftsentwicklung und neue Informationen aus dem Bauch der Firma zwingen ihn im Sommer, das Tempo zu erhöhen. Aber er glaubt immer noch, genügend Zeit zu haben, will keinen Notverkauf von Beteiligungen einleiten, sondern einzelne Unternehmen bis Ende Jahr loswerden. Erwarteter Ertrag: rund fünf Milliarden Franken. Damit liesse sich die Schuldenlast reduzieren, allerdings fielen dann auch die Betriebseinnahmen dieser rentablen Firmen weg. Und dann kommt der Schock am 11. September 2001: Ein Passagierflugzeug rast in einen Tower des World Trade Center im Süden Manhattans. Und als die New Yorker noch mit vor Staunen offenem Mund zur Rauchwolke, die aus den obersten Stockwerken quillt, hochstarren, rast bereits die zweite Maschine in den anderen Tower. Stunden später kollabieren beide Hochhäuser, brechen in sich zusammen. Zudem kommt die Nachricht, dass ein weiteres Flugzeug in das Pentagon geflogen und eine vierte Maschine vor dem Erreichen ihres Ziels abgestürzt ist. Bei diesen koordinierten Anschlägen von islamistischen Terroristen sterben fast 3000 Menschen. Sie senden Schockwellen rund um die Welt. Und sie bringen innerhalb von Stunden den gesamten Flugverkehr in und nach den USA zum Erliegen. Die Erkenntnis dringt langsam durch: Mit den Ereignissen von 9/11 sind alle Pläne und alle Szenarien Mario Cortis für die Swissair Makulatur. Zwar titelt die Finanz und Wirtschaft noch am Tag nach den Anschlägen «Swissair Group auf dem Weg zum Turnaround». Allen anderen aber ist klar, dass die Anschläge «mindestens kurz- und mittelfristig gravierende Auswirkungen auf die Airline-Industrie haben» werden, wie der Tages-Anzeiger am 13. September schreibt. Der Blick meint: «Für die Swissair ist es eine Katastrophe.» Gegen aussen gibt sich die Airline bedeckt, man rechne «verschiedene Szenarien» durch. Sicher ist, dass der geplante Verkauf der Tochterfirmen nicht die erwarteten Erlöse bringen wird. Der Finanzexperte und SVP-Nationalrat Hans Kaufmann orakelt, es bleibe nur noch die Umwandlung von Fremd -in Eigenkapital, getreu der Parteilinie, dass die Wirtschaft ihre Probleme selbst lösen muss. Nur einer aus dem bürgerlichen Lager kann sich auch einen anderen Weg vorstellen: Wirtschaftsminister Pascal Couchepin. In den USA berät der dortige Kongress über eine Bundeshilfe für die darniederliegende Airline-Industrie. Deshalb sagt der freisinnige Bundesrat aus dem Wallis eine Woche nach den Anschlägen: «Wir können nicht heiliger sein als das Heilige Land der freien Wirtschaft.» Und funkt damit gleich zwei Regierungskollegen in ihre Arbeit hinein: Für die Fluggesellschaft ist eigentlich der SP-Mann und Verkehrsminister Moritz Leuenberger zuständig, und die Bundesfinanzen hütet Couchepins Parteikollege Kaspar Villiger.