Handbuch des Strafrechts

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C. Hauptteil

I. Grundstrukturen der Erpressungstatbestände

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Das Bemerkenswerte am Erpressungstatbestand ist, dass auch mehr als siebzig Jahre nach dem Inkrafttreten der gegenwärtigen Fassung der Erpressung (1943) und mehr als hundertsechzig Jahre nach dem Erlass der Vorgängervorschrift (1851) in Lehre und Rechtsprechung keine Einigkeit über seine tatbestandliche Struktur besteht. Im Wesentlichen dreht sich der Streit um die Frage, welche Funktion die Erpressungstatbestände im Rahmen der übrigen Eigentums- und Vermögensdelikte einnehmen und wie sie gegenüber diesen, insbesondere zum Raub, abzugrenzen sind. Zwar ist es unstreitig, dass es sich beim Grundtatbestand der Erpressung im Kern um ein Vermögensdelikt handelt,[77] welches auf eine Vermögensverschiebung gerichtet ist. Umstritten ist jedoch, ob es sich dabei um ein Selbstschädigungsdelikt handelt, welches voraussetzt, dass das genötigte Opfer eine (mehr oder weniger freiwillige) Vermögensverfügung vornimmt, oder ob auch Fälle der vis absoluta, z.B. in Form der Wegnahme von Vermögensgegenständen erfasst sind. Auf der Grundlage der zuletzt genannten Ansicht ergäben sich insbesondere Überschneidungen zum Raub, die in der Forderung gipfeln, die Erpressung als Grundtatbestand des Raubes anzusehen.[78]

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Der Grundtatbestand der (einfachen) Erpressung ist in § 253 StGB geregelt. Der Täter muss beim Opfer durch ein besonderes Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) einen Nötigungserfolg erzielen (Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung). Diese Elemente sind identisch mit denjenigen der (einfachen) Nötigung, § 240 StGB, weswegen in der vorliegenden Abhandlung auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.[79] Die dortigen Probleme – insbesondere die Frage der Weite des Gewaltbegriffs[80] – tauchen auch hier in gleicher Weise wieder auf. Im Gegensatz zur Nötigung erfordert der Erpressungstatbestand jedoch ein besonderes Nötigungsziel, nämlich einen speziellen Vermögensbezug: Erforderlich ist, dass durch die Nötigung dem Vermögen des Genötigten (oder eines anderen) ein Nachteil zugefügt wurde. Hier sind Parallelen zur Vermögensbeschädigung beim Betrug, § 263 StGB, und dem Nachteil bei der Untreue, § 266 StGB, erkennbar. Da es sich bei der Erpressung jedoch um ein Vermögensverschiebungsdelikt handelt, ist die bloße Nachteilszufügung, wie bei § 266 StGB, nicht ausreichend. Der Täter muss vielmehr handeln, „um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern“. Die angestrebte Bereicherung ist also für die Vollendung der Tat nicht erforderlich, sie muss nur das Tatziel sein, es handelt sich insoweit um ein sog. „kupiertes Erfolgsdelikt“.

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Die räuberische Erpressung, § 255 StGB, unterscheidet sich von der (einfachen) Erpressung, § 253 StGB, durch eine Verschärfung des Nötigungsmittels. Statt „Gewalt“ muss der Täter „Gewalt gegen eine Person“ anwenden bzw. statt „mit einem empfindlichen Übel“ muss der Täter „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ drohen. Diese Nötigungsmittel sind nun ihrerseits identisch mit denen des Raubes, § 249 StGB, weshalb sich gerade in dieser Konstellation die Abgrenzungsfrage von Raub und (räuberischer) Erpressung stellt. Flankierend existieren mit dem erpresserischen Menschenraub, § 239a StGB, und dem räuberischen Angriff auf Kraftfahrer, § 316a StGB, noch zwei weitere Spezialtatbestände, die erpresserische Elemente enthalten, ebenfalls auf eine Vermögensverschiebung abzielen, aber an anderer Stelle näher erörtert werden.[81]

II. Abgrenzung von Raub und (räuberischer) Erpressung

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Die Abgrenzung von Raub und (räuberischer) Erpressung ist insbesondere in denjenigen Fällen erforderlich, in denen „an sich“ ein Raub vorläge, dieser aber aufgrund weiterer tatbestandlicher Voraussetzungen scheitert. Dies kann von vorne herein aber nur dann der Fall sein, wenn es sich bei dem beeinträchtigten Vermögen um eine „Sache“ handelt. Denn während beim Raub (als klassischem Eigentumsdelikt) das Tatobjekt nur eine „Sache“ sein kann, erfasst die (räuberische) Erpressung (als klassisches Vermögensdelikt) auch andere Vermögensgegenstände, wie z.B. Forderungen. Wird nun dem Tatopfer eine Sache weggenommen, scheitert aber eine Strafbarkeit wegen Raubes aus anderen Gründen, so ist es fraglich, ob subsidiär auf die (räuberische) Erpressung zurückgegriffen werden kann oder nicht.[82] Namentlich betrifft dies Fälle der gewaltsamen Wegnahme einer Sache ohne Zueignungsabsicht zum Zwecke des vorübergehenden Gebrauchs[83] oder der gewaltsamen Wegnahme eigener Sachen, die ein Pfandgläubiger berechtigterweise in seinem Besitz hat (Pfandkehr).[84]

1. Die Ansicht der Rechtsprechung

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Die Rechtsprechung des Reichsgerichts beharrte seit einer Leitentscheidung aus dem Jahre 1881[85] stets auf dem Standpunkt, dass eine Vermögensverfügung gleich welcher Art für das Vergehen der Erpressung nicht nötig sei, mithin auch die vis absoluta dem Tatbestand unterfalle. Der BGH hat diese Rechtsprechungslinie bereits früh rezipiert und hält seitdem an ihr fest.[86] Nur ganz vereinzelt haben Senate des Reichsgerichts oder des Bundesgerichtshofs – nicht tragend – von einer Vermögensverfügung als Tatbestandsmerkmal der Erpressung gesprochen.[87] Die Literatur hat hingegen bereits früh gefordert, für den Tatbestand der Erpressung, ähnlich wie beim Betrug, das (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung zu verlangen.[88]

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Symbolisch für die Problemlage ist der „Taxifahrerfall“, den der BGH im Jahre 1960 zu entscheiden hatte:[89] Der Täter veranlasste einen Taxifahrer unter Vorhaltung einer Gaspistole und der Abgabe zweier Schüsse, von denen einer das Opfer ins Gesicht traf, das Taxi zu verlassen. Anschließend setzte er sich selbst ans Steuer, bedrohte den Taxifahrer, der ihn daran hindern wollte, erneut mit der Gaspistole und fuhr davon. Nachdem er eine Weile umhergefahren war, stellte er sich der Polizei. Unwiderlegt ließ er sich darauf ein, dass „er so gerne einmal habe Auto fahren wollen“, aber von Anfang an nicht vorhatte, das Taxi zu behalten. Mangels Zueignungsabsicht schied hier ein schwerer Raub, §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB aus. Der BGH gelangte allerdings zu einer Strafbarkeit wegen schwerer räuberischer Erpressung, §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Eine „Vermögensverfügung“ des Genötigten, wie dies teilweise von der Literatur gefordert werde, sei für den Straftatbestand der (räuberischen) Erpressung nicht erforderlich. Der bei der Erpressung angestrebte Vermögensvorteil müsse nicht in der Einverleibung der Sache als solcher liegen, der bloße Besitz an der Sache und die damit verbundenen (wenn auch kurzfristigen) Gebrauchsvorteile würden als Gegenstand einer möglichen Bereicherung ausreichen.[90] Korrespondierend hierzu läge auch im Verlust des Besitzes der eingetretene Vermögensnachteil beim Tatopfer. Die gleiche Problemlage stellte sich bereits früher in einem vom Reichsgericht zu entscheidenden Fall, in dem der Täter eine Pfandgläubigerin unter Anwendung von Gewalt zur Duldung der Wegnahme der Pfandsache zwang.[91] Auch hier schied ein Raub aus, da der Täter Eigentümer der Sache war.

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Für diese Lösung spreche als erstes der Wortlaut des § 253 StGB, der eine Vermögensverfügung nicht ausdrücklich verlange. Insoweit sei auch derjenige, der sein Opfer rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel dazu nötige, eine Wegnahme zu dulden, vom Wortlaut des § 253 StGB erfasst, sofern der Genötigte oder ein Dritter hierdurch einen Vermögensnachteil erleide.[92] Auch die Entstehungsgeschichte deute darauf hin, dass insbesondere im Rahmen des § 255 StGB mit der „Duldung“ auch Fälle der vis absoluta erfasst werden sollten.[93]

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Als weiteres Argument wird die Parallele zu § 240 StGB angeführt. Vom Wortlaut her würden sich nämlich die Nötigungshandlungen des § 240 StGB und des § 253 StGB decken. Bei § 240 StGB sei es aber unstreitig, dass es auf ein willentliches Verhalten des Opfers nicht ankomme, eine Nötigung also auch dann vorliege, wenn der Täter das Opfer durch vis absoluta zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zwinge. Warum dies bei § 253 StGB anders sein solle und hier ein willentliches Verhalten des Opfers im Sinne einer Vermögensverfügung gefordert werde, vis absoluta also ausscheide, sei nicht ersichtlich. Gerade wenn man bedenke, dass der mit vis absoluta handelnde Täter die Rechtsgüter des Opfers in der Regel schwerwiegender verletze als derjenige, der „nur“ willensbeugende Mittel einsetze, sei nicht einzusehen, warum diese schwerere Handlungsform aus § 253 StGB herausgenommen und der Täter insoweit privilegiert werde. Gleiches gelte im Hinblick auf den Wortlaut des § 249 StGB, der sich in Bezug auf die Nötigungshandlungen („Gewalt gegen eine Person“ bzw. „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“) mit dem Wortlaut des § 255 StGB decke, unzweifelhaft aber auch die vis absoluta erfasse.[94]

 

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Damit komme man zu dem Ergebnis, dass sich Raub und räuberische Erpressung nicht ausschließen würden, vielmehr umfasse der Tatbestand der Erpressung denjenigen des Raubes mit.[95] Der Tatbestand der (räuberischen) Erpressung sei insoweit als Grundtatbestand anzusehen, während der Tatbestand des Raubes eine Spezialvorschrift (lex specialis) darstelle, die sich durch das zusätzliche Vorliegen einer Wegnahme einer fremden Sache in Zueignungsabsicht auszeichne.[96] Liege eines dieser Elemente nicht vor und komme daher eine Bestrafung wegen Raubes nicht in Betracht, könne auf den Grundtatbestand der (räuberischen) Erpressung zurückgegriffen werden.[97]

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Gerade der Taxifahrerfall mache deutlich, dass andernfalls erhebliche Strafbarkeitslücken drohten, die nur durch die vorliegende Auslegung verhindert werden könnten. Eine mit Raubmitteln durchgeführte Gebrauchsentwendung müsse jedenfalls als räuberische Erpressung nach § 255 StGB geahndet werden, denn das Opfer verfüge zwar nicht über sein Vermögen, werde aber zur Duldung der Wegnahme genötigt. Nur auf diese Weise könne durch das Vermögensstrafrecht ein lückenloser Rechtsschutz gegen sämtliche in Bereicherungsabsicht (gewaltsam) herbeigeführten Vermögensschädigungen erreicht werden. Es dürfe letztlich keine Rolle spielen, ob der Täter sich den Besitz gewaltsam dadurch verschaffe, dass er die Sache wegnehme oder sie sich geben lasse. Auch sei nur dadurch eine Parallele zu § 240 StGB möglich, denn hier sei – bei gleichem Wortlaut – auch eine mit vis absoluta durchgeführte Nötigung tatbestandsmäßig.

2. Die abweichende Ansicht in der Literatur

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Die in der Literatur (wohl) herrschende und im Ergebnis zutreffende Lehre verlangt hingegen bereits für den Grundtatbestand der (einfachen) Erpressung, § 253 StGB (und insoweit konsequent auch für die räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB), eine Vermögensverfügung des Genötigten.[98] Die Folge ist ein Exklusivitätsverhältnis von Raub und (räuberischer) Erpressung. Im Taxifahrerfall[99] verbleibt es, da hier eine Vermögensverfügung des Opfers nicht feststellbar ist, bei einer Strafbarkeit wegen Nötigung (und möglicherweise wegen Körperverletzungsdelikten).

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Hierfür sprechen in erster Linie systematische Gründe. Nur durch das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung kann nämlich eine überzeugende Abgrenzung zwischen Diebstahl und Raub (als Fremdschädigungsdelikte) einerseits und Erpressung und räuberischer Erpressung (als Selbstschädigungsdelikte) andererseits gefunden werden. Ohne diese tatbestandliche Eingrenzung verlöre die Erpressung jede tatbestandliche Struktur. Verlangt man für die (räuberische) Erpressung keine Vermögensverfügung würde sie gerade kein Selbstschädigungsdelikt darstellen. Vergleicht man aber die tatbestandliche Struktur der Erpressung mit derjenigen des Betruges, der nahezu ausnahmslos als Selbstschädigungsdelikt anerkannt ist, wird deutlich, dass diese Einordnung auch für die Erpressung angezeigt ist.[100] Beide Delikte fordern den Eintritt eines Vermögensnachteils und eine entsprechende Bereicherungsabsicht des Täters. Während dies beim Betrug durch einen täuschungsbedingten Irrtum des Opfers erreicht werden soll, steht bei der Erpressung die Nötigung mittels Gewalt oder Drohung im Mittelpunkt. Um aber den Betrug (als Selbstschädigungsdelikt) vom Diebstahl (als Fremdschädigungsdelikt) sauber abgrenzen zu können, verlangt man beim Betrug als Bindeglied zwischen dem Irrtum und dem Vermögensschaden die Vermögensverfügung (als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal). Eben diese ist auch für die (räuberische) Erpressung zu fordern, um ein Bindeglied zwischen der Nötigung und dem Vermögensnachteil herzustellen und eine entsprechend saubere Abgrenzung zum Raub zu gewährleisten. Das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung führt insoweit insgesamt zu einer sinnvollen und nachvollziehbaren Systematik der Eigentums- und Vermögensdelikte.[101]

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Als weiteres Argument gegen die Ansicht der Rechtsprechung kann angeführt werden, dass es bereits von der systematischen Stellung der Delikte her äußerst fraglich wäre, warum der Gesetzgeber den Spezialtatbestand (Raub) vor dem Grundtatbestand (Erpressung) regelt und bei den Rechtsfolgen des Grundtatbestandes auf den Spezialtatbestand verweist (denn über die Wendung „gleich einem Räuber zu bestrafen“ wird nicht nur auf den Strafrahmen des Raubes, sondern auch auf die Qualifikationen der §§ 250, 251 StGB verwiesen[102]). Da die Delikte auch denselben Strafrahmen aufweisen, wäre § 249 StGB zudem schlicht überflüssig.[103] Lediglich bei wertlosen Sachen, die von §§ 253, 255 StGB nicht erfasst werden, verbliebe dem § 249 StGB ein eigener Anwendungsbereich.[104] Gerade hieran sieht man aber, dass die Erpressung nicht Grundtatbestand des Raubes sein kann, denn von der Erpressung als Vermögensdelikt sind wertlose Sachen gerade nicht erfasst.

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Die fehlende Strafbarkeit nach §§ 249 ff. StGB in Fällen der vis absoluta, insbesondere bei der Wegnahme von Sachen, ist auch keine systemwidrige Zufälligkeit, sondern gerade eine Folge des gesetzgeberischen Konzepts, die reine Gebrauchsanmaßung ohne Zueignungsabsicht strafrechtlich zu privilegieren.[105] Daher respektiert nur diese Ansicht die Entscheidung des Gesetzgebers, der gerade fordert, eine gewaltsame Wegnahme ohne Zueignungsabsicht nicht der Raubstrafe zu unterwerfen.[106] Dem Gesetzgeber steht es aber frei, bestimmte Angriffe auf das Vermögen mit einer geringeren Strafe zu versehen oder straffrei zu lassen (dies folgt bereits aus dem Grundsatz des fragmentarischen Charakters des Strafrechts). Dagegen führt die Ansicht des BGH dazu, dass entgegen der Wertung des Gesetzgebers jede Vermögensschädigung, d.h. auch die grundsätzlich straflose Gebrauchsanmaßung (furtum usus) als (räuberische) Erpressung angesehen werden müsste, sofern sie mit (qualifizierten) Nötigungsmitteln herbeigeführt wird. Dadurch würden Tatbestände, wie der unbefugte Gebrauch eines Kraftfahrzeuges (§ 248b StGB) oder die Pfandkehr (§ 289 StGB) einen Großteil ihres Anwendungsbereiches verlieren,[107] was vom Gesetzgeber sicherlich nicht so gewollt sein kann. Schließlich würde jeder Diebstahl, der mit einfachen Nötigungsmitteln im Sinne der §§ 240, 253 StGB begangen würde, also gerade (noch) keinen Raub, § 249 StGB, darstellt, zugleich als Erpressung gewertet werden müssen, da der Täter das Opfer zur Duldung der Wegnahme nötigt. Dies aber würde zu vom Gesetzgeber kaum gewollten Divergenzen im Rahmen der Strafzumessung, z.B. bei gewerbsmäßigem Handeln führen, denn den gewerbsmäßig handelnden Dieb erwartet nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren, dem gewerbsmäßig handelnden Erpresser hingegen droht nach § 253 Abs. 4 StGB eine Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr.[108]

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Gegen das Argument, die vorliegend vertretene Ansicht würde zu einer vom Wortlaut her nicht angezeigten unterschiedlichen Auslegung der Nötigungsmittel in § 240 StGB einerseits und § 253 StGB andererseits führen und den mit vis absoluta handelnden Täter im Rahmen des § 253 StGB privilegieren, lässt sich einwenden, dass in den meisten Fällen der vis absoluta die Raubdelikte, §§ 249 ff. StGB, greifen und (in denjenigen wenigen Fällen, in denen dies nicht so ist) der Gesetzgeber diesbezüglich gerade eine bewusste Entscheidung in diese Richtung getroffen hat. Zudem ist es auch nicht zwingend, dass der mit vis absoluta vorgehende Täter die Rechtssphäre des Opfers in schwerwiegenderer Weise beeinträchtigt als der lediglich willensbeugende Täter.[109]

III. Die „einfache“ Erpressung, § 253 StGB

1. Einführung

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In gleicher Weise wie der Raub, so ist auch die Erpressung durch die Kombination eines Angriffs auf einen Sachwert und einen Angriff auf einen Persönlichkeitswert charakterisiert. Beim Sachwert geht es bei der Erpressung jedoch um das „Vermögen“ (= Vermögensverschiebungsdelikt), während es beim Raub um das „Eigentum“ geht (= Eigentumsverschiebungsdelikt). Der Persönlichkeitswert lässt sich – wie bei § 240 StGB – als „Willensfreiheit“ bezeichnen. Im Gegensatz zum Betrug wird die Vermögensverschiebung bei der Erpressung also durch eine Nötigung (und nicht durch eine Täuschung) erreicht.[110]

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Der erpresserische Angriff auf das Vermögen kann nur funktionieren, wenn zugleich ein wertvolleres Rechtsgut als das Vermögen bedroht wird, wobei der Täter seinem Opfer die Abwendung dieser Bedrohung durch die Hinnahme eines Vermögensschadens als dem „kleineren Übel“ ermöglicht. Die Erpressung tangiert also in aller Regel drei Rechtsgüter: (1) Das Vermögen als eigentliches Ziel des Täters; (2) alternativ ein wertvolleres Rechtsgut, welches der Täter durch Gewalt oder Drohung beeinträchtigt und (3) die Willensfreiheit, weil das Opfer durch die Drohung mit der Beeinträchtigung des wertvolleren Rechtsgutes zur Hinnahme eines (Vermögens-)Schadens veranlasst werden soll. Der Tatbestand des § 253 StGB erfasst vom geschützten Rechtsgut her allerdings nur den Angriff auf das Vermögen und den Angriff auf die Willensfreiheit.[111] Nicht unmittelbar einschlägig ist die Bedrohung des oben unter (2) genannten „wertvolleren Rechtsguts“. Falls die Bedrohung dieses wertvolleren Rechtsguts ausnahmsweise schon einen versuchten Angriff auf dieses Rechtsgut darstellt (z.B. eine versuchte Tötung als „Druckmittel“), besteht mit § 253 StGB Tateinheit.

2. Die Nötigungsmittel

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Der Täter muss gegenüber dem Opfer ein besonderes Nötigungsmittel zum Einsatz bringen. Das Gesetz nennt dabei in § 253 StGB die Nötigungsmittel „Gewalt“ oder „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. Diese Elemente sind identisch mit denjenigen der (einfachen) Nötigung, § 240 StGB, weswegen an dieser Stelle auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.[112]

 

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Insbesondere die bei der Nötigung diskutierten Probleme der Weite des Gewaltbegriffs[113] tauchen auch bei der Erpressung in gleicher Weise wieder auf. Wer allerdings, wie hier, für das Vorliegen einer Erpressung in Abgrenzung zum Raub eine (freiwillige) Vermögensverfügung des Opfers verlangt,[114] muss vis absoluta als Nötigungsmittel ausschließen.[115] Als Tatmittel der Gewalt kommt also nur vis compulsiva in Betracht. Diese Frage stellt sich allerdings bei der einfachen Erpressung nicht, da vis absoluta ohnehin nur gegenüber „Personen“ eingesetzt werden kann und in diesem Fall dann nur die räuberische Erpressung einschlägig sein könnte.[116] Bei der einfachen Erpressung, § 253 StGB, kann daher Gewalt stets nur in Form der vis compulsiva und auch nur derart ausgeübt werden, dass sie, wie z.B. durch die Einwirkung auf Sachen, mittelbar gegen den Körper des Opfers wirkt.[117] Denn ein Wesenselement der Gewalt ist die physische (und nicht nur rein psychische) Zwangswirkung auf das Opfer.[118] Beispiele sind das Abdrehen von Strom, Heizung und Wasser[119] bzw. das Ausräumen einer Wohnung,[120] um den Mieter zum Auszug zu bewegen.[121] Eine Gegenansicht sieht in einer solchen mittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers, die mit einer körperlichen Zwangswirkung verbunden ist, aber bereits eine Auswirkung von Gewalt gegen eine Person selbst, sodass eine Gewalt durch die Einwirkung auf Sachen nie tatbestandmäßig sein kann (und höchstens eine konkludente Drohung darstellt).[122] Eine solche konkludente Drohung (und keine Gewalt) kann aber auch in denjenigen Fällen angenommen werden, in denen es an der physischen Zwangswirkung fehlt, wie z.B. beim Zerkratzen des Autos oder der Tötung lieb gewonnener Haustiere.[123] Der Einsatz besonders schwerwiegender Nötigungsmittel (Gewalt gegen eine Person, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) kann dagegen zu § 255 StGB führen.[124] Eine konkludente Drohung kann ferner auch darin liegen, dass ein von einem Dritten bereits zugefügtes Übel lediglich erneut ausgenutzt wird.[125]

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Unter einer Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende einen Einfluss zu haben vorgibt.[126] Dabei ist zu beachten, dass sich die Drohung bei der einfachen Erpressung nicht auf eine Gefahr gegen Leib oder Leben des Opfers beziehen darf (sonst läge eine räuberische Erpressung vor). Es müssen also andere Rechtsgüter oder Interessen betroffen sein, wie z.B. die Freiheit, die Ehre oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Auch die Drohung mit dem Verlust der Arbeitsstelle fällt hierunter.[127] Ferner kann auch die Ankündigung, jemanden durch eine Presseveröffentlichung bloß zu stellen und dadurch dessen Ruf zu schädigen, ein empfindliches Übel darstellen.[128] Auch die Zufügung seelischen Leids kann ein empfindliches Übel bedeuten.[129] Die Drohung kann dabei sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen.[130] Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz nicht allgemein von einem „Übel“, sondern von einem „empfindlichen Übel“ spricht. „Empfindlich“ ist ein Übel nur dann, wenn der angedrohte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren.[131] Dies ist dann nicht der Fall, wenn von dem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.[132] Die Drohung muss also geeignet sein, einen besonnenen Menschen in der konkreten Situation zu dem vom Täter verlangten Verhalten zu bestimmen.[133] Dies wird insbesondere bei der „Bedrohung“ von staatlichen Repräsentanten häufig nicht der Fall sein, wie z.B. in dem Fall, in dem einem Staatsanwalt angedroht wird, Beweismittel in einem Strafverfahren nur gegen Entgelt herauszugeben.[134]

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Fraglich ist, ob das angedrohte Übel auch in einem Unterlassen bestehen kann. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn den Betreffenden eine Verpflichtung zum Tun trifft.[135] Dies ist z.B. dann der Fall, wenn dem Opfer angedroht wird, eine Sache, zu deren Herausgabe man verpflichtet ist, nur gegen Bezahlung herauszugeben oder einen Strafprozess nur gegen Bezahlung eines überhöhten Honorars weiterzuführen, andernfalls aber zur Unzeit zu kündigen. Darüber hinaus ist umstritten, ob die Drohung mit einem Unterlassen auch dann zu einer Erpressung führen kann, wenn keine Pflicht zum Tätigwerden besteht (zu denken wäre z.B. an eine Drohung des Personalleiters, eine bestimmte Person nicht einzustellen, wenn sie ihm nicht „unter dem Tisch“ ein paar Geldscheine zuschiebe).[136] Dies wird teilweise mit dem Argument bejaht, bei der Erpressung käme es nicht darauf an, was man tun oder unterlassen, sondern mit was man drohen dürfe.[137] Entscheidend sei also allein die negative Wirkung der Drohung auf das Opfer.[138] So wurde eine (versuchte) Erpressung in einem Fall bejaht, in dem der Richter dem Angeklagten in einem Strafprozess mit der (rechtmäßigen!) Fortsetzung der lange dauernden und für den Angeklagten wirtschaftlich sehr belastenden strafrechtlichen Ermittlungen gedroht hatte, wenn der Angeklagte ihm nicht eine bestimmte Summe Geldes zahle. In diesem Fall würde er, der Richter, eine Einstellung des Verfahrens bewirken können, da er mit der zuständigen Staatsanwältin verheiratet sei und daher einen gewissen Einfluss ausüben könne.[139] Zwar sei die Fortsetzung der strafrechtlichen Ermittlungen zulässig bzw. der Richter zu einer Einstellung des Verfahrens nicht verpflichtet gewesen, das Verfahren hätte aber dennoch für den Angeklagten ein empfindliches Übel dargestellt. Dies ist zutreffend, wobei jedoch zu beachten ist, dass in vielen dieser Fälle des Androhens eines Unterlassens der Vermögensschaden[140] oder die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ausscheiden dürfte.[141]

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Dies ergibt sich auch aus der Überlegung, dass in vielen Fällen eine sinnvolle Abgrenzung der Drohung mit einem Tun und der Drohung mit einem Unterlassen nicht getroffen werden kann. So ist es unstreitig, dass der Täter damit drohen kann, ein ihm an sich erlaubtes Handeln, das für das Opfer ein empfindliches Übel darstellen würde, vorzunehmen, wenn ihm das Opfer nicht gewisse Leistungen oder Dienste zukommen lässt, auf die der Täter keinen Anspruch hat.[142] Denkbar ist z.B. der Fall, dass das Opfer einer Straftat dem Täter „androht“, eine (wahrheitsgemäße) Strafanzeige oder einen Strafantrag zu stellen, wenn der Täter ihm nicht einen bestimmten Betrag bezahle.[143] Hier ist das Opfer zur Vornahme der entsprechenden Handlung (= Erstattung der Strafanzeige bzw. Stellung des Strafantrages) grundsätzlich berechtigt (aber nicht verpflichtet). In gleicher Weise wie bei § 240 StGB kann aber auch hier in der Drohung mit einer an sich erlaubten Handlung ein empfindliches Übel liegen, welches dann zu einer Strafbarkeit führen kann, wenn die Zweck-Mittel-Relation verwerflich ist.[144] Auch ein Schaden liegt in diesem Fall vor, da das Unterlassen der Strafanzeige keinen saldierungsfähigen Vermögensvorteil für das Opfer darstellt, wenn die Verknüpfung des Unterlassens mit der Forderung nach Geld die Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation begründet. Wenn man nun aber davon ausginge, die Drohung mit dem Unterlassen einer Handlung, zu der der Täter nicht verpflichtet ist, müsse zur Straflosigkeit führen, während die Drohung mit einem Handeln, zu dem der Täter an sich berechtigt ist, eine Strafbarkeit zur Folge haben könne, wird übersehen, wie nahe oft Tun und Unterlassen beisammen liegen können. Man stelle sich im genannten Strafantrags-Fall nur vor, dass das Opfer dem Täter damit droht, einen Strafantrag zu stellen, wenn dieser ihm nicht einen bestimmten Betrag bezahle (= strafbare Drohung mit einem Tun), oder ihm damit droht, einen bereits gestellten Strafantrag nicht zurückzunehmen, wenn der entsprechende Betrag nicht bezahlt wird (= straflose Drohung mit einem Unterlassen). Für das Erpressungsopfer dürfte dies letztlich aber auf dasselbe hinauslaufen.[145] Insoweit schränkte der BGH[146] den Grundsatz der Straflosigkeit der Androhung eines rechtlich möglichen Unterlassens auch in einem Fall ein, in dem der Vorgesetzte eines Privatdetektives, der gerade dabei war, eine Strafanzeige wegen Ladendiebstahls zu verfassen, an den Dieb herantritt und diesem „anbietet“, seinen Einfluss gegenüber seinem Privatdetektiven dahingehend geltend zu machen, dass dieser die Strafanzeige nicht der Polizei weiterleite. Auch hier wird mit dem Unterlassen einer Handlung gedroht, zu der der Erpressungstäter zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist (= Einflussnahme auf den die Anzeige fertigenden Detektiv im Rahmen seines Ermessens als Vorgesetzter). Nach den genannten Grundsätzen müsste dies zu einer Straflosigkeit führen, was der BGH aber zutreffend ablehnt. Eine generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Verhaltens würde bei verwerflichem Verhalten somit zu einer unzulässigen Privilegierung des Drohenden führen. Auch diese Fälle sind daher in die Zweck-Mittel-Relation einzustellen und können dann zu einer Strafbarkeit führen, wenn das „angedrohte“ Unterlassen den Handlungsspielraum des Opfers nicht „erweitert“ (wie bei einem angebotenen Vertragsschluss[147]), sondern sich dieses bereits in einer Notsituation befindet, sodass von ihm nicht mehr erwartet werden kann, dass es „der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält“.[148] Insoweit droht auch derjenige mit einem empfindlichen Übel, der als Kaufhausdetektiv dem überführten Dieb „anbietet“, die Weiterleitung der Anzeige an die Polizei zu unterlassen.[149]

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Nicht entscheidend ist, ob der Täter tatsächlich Einfluss auf den Eintritt des Übels hat, mit welchem er droht, er muss dies nur vorgeben.[150] Ferner ist hier – wie auch bei § 240 StGB – die Drohung abzugrenzen von der bloßen Warnung.[151] Es reicht also nicht aus, wenn der Täter dem Opfer mitteilt, dass Dritte ihm ein Übel zufügen werden. Erforderlich ist, dass er vorgibt, er selbst könne diese Übelszufügung durch Dritte bei Nichterfüllung seiner Forderungen veranlassen, und dass er dies auch wolle.[152] Keine Drohung (insoweit: mit einem Unterlassen) liegt hingegen vor, wenn der Täter dem Opfer von einer bevorstehenden Übelszufügung durch Dritte berichtet und vorgibt, diese Übelszufügung stoppen zu können, wenn das Opfer auf seine Forderungen eingeht.[153]

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Normalerweise verknüpft der Erpresser seine Drohung damit, dass sich das Opfer durch die Erfüllung seiner Forderungen „freikaufen“ kann. Geht dagegen ausnahmsweise einmal die Initiative vom Opfer aus, etwa wenn das Opfer eine Zahlung anbietet, um so einer bedrohlichen Situation zu entgehen, scheidet § 253 StGB aus.[154]