Handbuch des Strafrechts

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5. Weitere Entwicklung bis heute

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Die Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1866 und die Verabschiedung einer Bundesverfassung ermöglichten die Entstehung einer einheitlichen Rechtsordnung innerhalb der norddeutschen Einzelstaaten. Dies beinhaltete auch eine bundesgesetzliche Regelung des Strafrechts. Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes übernahm im Wesentlichen die Bestimmungen des preußischen Strafgesetzbuches.[61] Im Wortlaut des räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) wurde lediglich die Formulierung „einem Räuber gleich zu achten“ durch „gleich einem Räuber zu bestrafen“ ersetzt, damit erhielt der Tatbestand seine bis heute gültige Ausgestaltung.[62] Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes galt ab 1871 – ab 1872 als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich – sodann im gesamten Reichsgebiet. Reformbestrebungen in den 1920er Jahren konnten sich ebenso wenig durchsetzen wie neuere Entwürfe aus der Nachkriegszeit.[63] Eine mittelbare Auswirkung ergab sich durch das 6. StrRG 1998, da der im Rahmen des § 252 StGB begangene Diebstahl nun auch mit Drittzueignungsabsicht begangen werden konnte.

II. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

1. Entwicklung vor 1945

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Die Entstehung des § 316a StGB geht auf einen der prominentesten Kriminalfälle des Dritten Reichs zurück. Dabei handelt es sich um eine Serie von Raubtaten gegen Kraftfahrer, die zwischen November 1934 und März 1938 von den Brüdern Max und Walter Götze auf den (Fern-)Straßen um Berlin verübt wurden. Während sich die Überfälle anfangs gegen die Insassen parkender Fahrzeuge richteten, nahmen die Brüder ab Mitte Juli 1935 auch fahrende Autos ins Visier, indem sie die Fahrer mittels Autofallen zum Stehenbleiben zwangen und ausraubten. Als Straßenhindernisse fungierten unter anderem abgeschlagene Bäume und quer über die Fahrbahn gespannte Drahtseile. Dieses neuartige Vorgehen sorgte auch auf politischer Führungsebene für große Empörung und Unbehagen.[64] Insbesondere der Autobahn kam nicht nur als nationalsozialistisches Prestigeprojekt,[65] sondern auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten große Bedeutung zu. Die Motorisierung des Fahrzeugverkehrs war verbunden mit dem Vorhaben, die Autoindustrie als führenden Wirtschaftszweig zu etablieren und für spätere Kriegszwecke zu nutzen.[66] Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit auf den Straßen erschien dafür unabdingbar. Die absichtliche Gefährdung des Verkehrs stellte aus nationalsozialistischer Perspektive nicht nur einen direkten Angriff auf das „Werk des Führers“[67] und die NS-Wirtschaftspolitik dar, sondern wurde auch als ein Vergehen an der Volksgemeinschaft[68] betrachtet. Dementsprechend stark war das Verlangen nach harter Strafe, nachdem die Brüder Götze im Frühjahr 1938 festgenommen werden konnten. Hitler ließ Reichsjustizminister Gürtner am 20. Juni 1938 mitteilen, „daß es seiner Erwartung entspreche, wenn in dem Prozeß […] gegen beide Beschuldigte auf die Todesstrafe erkannt“ werde.[69] Zu diesem Zeitpunkt war die Hauptverhandlung bereits im Gange und stand vier Tage vor ihrem Abschluss. Die Umsetzung der Führeranordnung stieß jedoch aus anderen Gründen auf praktische Hindernisse. Walter Götze hatte im Zuge der Raubüberfälle zwei Morde verübt,[70] wodurch die Todesstrafe nach dem geltenden Recht zu erwarten war. Als „problematisch“ aus Sicht der NS-Führung erwies sich der Fall von Max Götze. Dieser hatte selbst keinen Mord begangen, eine Strafbarkeit kam folglich „nur“ wegen Raubs und Erpressung (§§ 249 ff. RStGB) und nach dem „Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13. Oktober 1933“[71] in Frage.[72] Keiner der genannten Straftatbestände garantierte sicher die politisch gewünschte Verurteilung zum Tode.[73]

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Der Reformentwurf eines künftigen neuen Strafgesetzbuches sah eine „Vorschrift gegen Straßenraub mittels Autofallen“ zwar vor, diese war allerdings noch nicht in Kraft.[74] Gürtner schilderte Hitler die Situation am 21. Juni 1938 in einem „eiligen Bericht“ und schlug vor, das Gesetz sofort und mit rückwirkender Kraft auf den Weg zu bringen. Den von Gürtner beigefügten Gesetzentwurf unterzeichnete Hitler sodann am 22. Juni 1938, während er noch in seiner Sommerresidenz in Berchtesgaden verweilte.[75] Das weitere Gesetzgebungsverfahren fand in beschleunigter Form statt,[76] sodass das „Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22. Juni 1938“[77] (Autofallengesetz) bereits am Tag darauf nicht als Novelle zum Strafgesetzbuch, sondern als Nebengesetz[78] im Reichsgesetzblatt verkündet werden konnte. Auf eine amtliche Gesetzesbegründung wurde verzichtet,[79] da man diese im Hinblick auf den offenkundigen Anlass für die Einsetzung der Vorschrift für entbehrlich hielt.[80] Der Gesetzestext bestimmte knapp: „Wer in räuberischer Absicht eine Autofalle stellt, wird mit dem Tode bestraft. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1936 in Kraft.“ Damit war die notwendige Rechtsgrundlage geschaffen, um den Fall Götze mit dem gewünschten Ergebnis abzuschließen.[81] Die Entstehung des Autofallengesetzes ist neben der Einführung des Gesetzes gegen erpresserischen Kindesraub,[82] der auf den Fall Giese zurückgeht,[83] eines der bekanntesten Beispiele nationalsozialistischer ad hoc-Gesetzgebung, die mit dem Ziel erfolgte, die Verhängung der Todesstrafe für einen bestimmten Einzelfall zu ermöglichen.

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Dass ein singulärer Kriminalfall die Grundlage für die Verabschiedung des Autofallengesetzes war, änderte nichts an der Tatsache, dass der Tatbestand nach Art nationalsozialistischer Strafgesetzgebung gestaltet war.[84] In sprachlicher Hinsicht fällt diesbezüglich die knappe und wenig juristische Formulierung der Vorschrift auf. Nach zeitgenössischer Einschätzung war dies auf den Umstand zurückzuführen, dass „der Gesetzgeber in dem Gesetz nach einer eindrucksvollen Fassung gesucht hat, die in der Öffentlichkeit zu wirken geeignet sein sollte“.[85] Hierfür bediente man sich einer einfachen und prägnanten Sprache, die den volkstümlichen Charakter des Rechts unterstreichen sollte. Daneben gaben der sehr allgemein gehaltene Wortlaut der Norm sowie die Einführung des dem allgemeinen Sprachgebrauch unbekannten Begriffs der Autofalle dem Richter einen sehr weiten Auslegungsspielraum und machte es leicht, nach Maßgabe des „gesunden Volksempfindens“ zu entscheiden.[86] Die genannten Merkmale verkörperten das nationalsozialistische Verständnis einer neuen Rechtssprache. Dogmatisch lässt sich das Autofallengesetz dem Leitgedanken des Willensstrafrechts zuordnen,[87] wonach der „rechtsbrecherische schuldhafte Wille des Täters“[88] den Anknüpfungspunkt für dessen Strafbarkeit bildete. Gemäß dieser Vorstellung war der Täter „der Feind, den das Strafrecht zu bekämpfen und zu besiegen hatte.“[89] Kennzeichnend für das Willensstrafrecht war zudem die weite Ausdehnung der Strafbarkeit in das Vorfeld des eigentlichen Erfolgseintritts und eine zunehmende Aufhebung der Differenzierung zwischen Versuch und Vollendung.[90] So reichte es für eine Strafbarkeit nach dem Autofallengesetz aus, wenn die Autofalle gestellt war, unabhängig davon, ob es im Anschluss zum Raub kam oder nicht.[91] Deutlichstes Zeichen für die nationalsozialistische Prägung des Autofallengesetzes ist sicherlich die Missachtung des Rückwirkungsverbotes.[92]

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In der Rspr. wurden vor allem die Auslegung des Begriffs der „Autofalle“ und die zeitliche Eingrenzung des Tatbestandes diskutiert.[93] Dabei wurde von den Gerichten einheitlich,[94] ganz i.S.d. offiziellen Vorstellungen, eine besonders weite Auslegung des Tatbestands vertreten.[95] Dies verdeutlicht auch die einzige Entscheidung des Reichsgerichts zum Autofallengesetz vom 3. Januar 1939,[96] nach der der Begriff der Autofalle auf nicht mechanische Hindernisse, das heißt Angriffe mittels List und Täuschung ausgedehnt wurde.[97] Die Frage nach dem Beginn der Strafbarkeit wurde ähnlich extensiv gehandhabt. Die Rspr. knüpfte hier, unabhängig von einer konkreten Gefährdung bereits an psychische Vorbereitungshandlungen an.[98]

2. Entwicklung nach 1945

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Nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes wurde das Autofallengesetz durch das Kontrollratsgesetz Nr. 55[99] zum 25. Juni 1947 aufgehoben. Angesichts des historischen Hintergrundes und der Einordnung des Autofallengesetzes als geradezu typisches nationalsozialistisches Recht, verwundert es aber, dass es bereits in der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages zur Schaffung des § 316a StGB und damit gewissermaßen zu einer Wiedereinführung der nationalsozialistischen Regelung kam. Angesichts schwerer Raubüberfälle auf Autobahnen und Überfälle auf Taxifahrer, die auch heute noch in den überwiegenden Fällen des § 316a StGB zu den Opfern gehören (Rn. 23), wuchs in der Bevölkerung der „Wunsch“ nach der Schaffung eines Straftatbestandes.[100] Durch das „Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952“[101] wurde die auch heute noch weitgehend in dieser Form in Kraft befindliche Vorschrift des § 316a StGB in das Strafgesetzbuch eingefügt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift machte sich strafbar, „wer zur Begehung von Raub oder räuberischer Erpressung (§ 255 StGB) einen Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs unternimmt“. Die Strafe betrug mindestens fünf Jahre Zuchthaus, in besonders schweren Fällen lebenslanges Zuchthaus. Nach § 316a Abs. 2 StGB, der eine Strafmilderung bei tätiger Reue vorsah, konnte auf eine mildere Strafe erkannt werden, wenn der Täter aus freien Stücken seine Tätigkeit aufgab und den Erfolg abwendete bzw. wenn er sich ernstlich bemühte, den Erfolg abzuwenden, sofern der Erfolg ohne sein Zutun unterblieb.

 

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Insbesondere auch zur Abgrenzung gegenüber der nationalsozialistischen Vorgängervorschrift ersetzte der Gesetzgeber den Begriff der Autofalle und konzipierte den Straftatbestand nicht mehr nur als Raubdelikt, sondern auch als Straßenverkehrsdelikt.[102] Dass hiermit eine – im Unterschied zum Autofallengesetz – bestimmte und klare Strafvorschrift geschaffen wurde, kann man angesichts des unbestimmten Tatbestandsmerkmals „unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“, das der Rechtspraxis nach wie vor erhebliche Anwendungsschwierigkeiten bereitet (Rn. 101 ff.), nicht unbedingt sagen, auch wenn dies der Gesetzgeber anders gesehen haben mag.[103] Die Vorschrift warf deshalb schon früh die Frage nach ihrer Verfassungsmäßigkeit auf (Rn. 94). Bedenklich war auch die Ausgestaltung als Unternehmensdelikt und die damit verbundene Gleichstellung von Versuch und Vollendung sowie die Subjektivierung des Tatbestandes. Schließlich ist die Mindeststrafe von fünf Jahren sehr hoch und lässt sich – damals wie heute – kaum in das System des StGB einpassen.[104] Im Ergebnis ist es dem Gesetzgeber deshalb nicht gelungen, dem Wiedergänger des Autofallengesetzes „Rechtsstaatlichkeit einzuhauchen“.[105] Die Rechtsanwender stehen deshalb vor der schwierigen Aufgabe einen Straftatbestand rechtsstaatlich zu bändigen, „dessen geistige Wurzel eindeutig in der nationalsozialistischen Weltanschauung und Strafrechtspolitik liegt“.[106]

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Die hier artikulierten mit der Strafvorschrift verbundenen Probleme wären zumindest im Ansatz entschärft worden, wenn der Entwurf eines Strafgesetzbuches 1962 (E 1962) Gesetz geworden wäre. Zwar hielt man am Straftatbestand selbst fest (§ 348 StGB-E), der „gewissen kriminellen Erscheinungen, die sich für den reibungslosen Ablauf des Kraftverkehrs als Bedrohung erwiesen hatten, wirksam entgegen[…]treten“ sollte.[107] Allerdings sollte der Straftatbestand nicht mehr als echtes Unternehmensdelikt ausgestaltet werden, da die Gleichstellung von Versuch und Vollendung „im Bereich des vorliegenden Tatbestandes kriminalpolitisch wenig sinnvoll“ sei.[108] Eine erste inhaltliche Änderung erfuhr die Vorschrift erst durch das 11. StrÄndG,[109] durch das ein minder schwerer Fall (mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr), der nunmehr mit dem besonders schweren Fall in § 316a Abs. 1 S. 2 StGB a.F. geregelt war, eingefügt wurde. Als weitere mögliche Bezugstat neben Raub und räuberischer Erpressung wurde 1974 der räuberische Diebstahl durch das EGStGB[110] eingefügt, sodass es sogar zu einer tatbestandlichen Erweiterung kam. Die im Nationalsozialismus liegenden Ursprünge der Vorschrift wurden anlässlich dieser Änderungen nicht thematisiert.[111]

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Die letzte und zugleich durchaus bedeutende Änderung erfolgte durch das 6. StrRG.[112] Der Gesetzgeber hat – dem E 1962 folgend – die Tatbestandsmerkmale „einen Angriff […] unternimmt“ durch „einen Angriff […] verübt“ ersetzt und damit den Charakter als echtes Unternehmensdelikt beseitigt. Der Gesetzgeber hat dabei auch in der Begründung an den E 1962 angeknüpft und die Qualifizierung als Unternehmensdelikt ebenfalls als „kriminalpolitisch wenig sinnvoll“ bezeichnet.[113] Im Zuge der Umgestaltung des Tatbestandes, wurde die Vorschrift zur tätigen Reue (§ 316a Abs. 2 StGB a.F.) abgeschafft, da nun die Regelungen des Rücktritts (§ 24 StGB) unmittelbar Anwendung finden und deshalb – so jedenfalls die Auffassung des Gesetzgebers – die Spezialvorschrift des § 316a Abs. 2 StGB a.F. nicht mehr notwendig war.[114] Zudem wurde die Regelung des minder schweren Falles modifiziert (Höchststrafe zehn Jahre), der unbenannte besonders schwere Fall abgeschafft und eine Erfolgsqualifikation eingefügt (§ 316a Abs. 3 StGB).

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 31 Raubähnliche Delikte › C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen der raubähnlichen Delikte

C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen der raubähnlichen Delikte

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In der PKS werden die raubähnlichen Delikte zusammen mit dem Raub und der räuberischen Erpressung als „Raubdelikte“ erfasst, sodass weitgehend auf die Ausführungen zu § 249 StGB verwiesen werden kann (→ BT Bd. 5: Wittig, § 30 Rn. 31 ff.). Die PKS erfasste für das Jahr 2018 insgesamt 8306 Fälle des § 252 StGB, die 22,6 % aller erfassten Raubdelikte (36 756) ausmachten.[115] Die Aufklärungsquote lag dabei bei 76,8 %.[116] Im Vergleich zu 2017 lässt sich sowohl ein Rückgang der erfassten Fälle (im Jahr 2017: 8609) als auch der Aufklärungsquote (im Jahr 2017: 76,9 %) feststellen.[117] Lediglich 9,3 % der Fälle eines räuberischen Diebstahls führten zu einem Schaden größer/gleich 500 Euro.[118] Auch blieb nur ein geringer Anteil der Fälle (ca. 10,1 %) im Versuchsstadium stecken.[119] Außerdem war von den 7251 Tatverdächtigen ein beachtlicher Teil männlich (86,1 %) und nichtdeutsch (47,0 %).[120]

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Im Hinblick auf § 316a StGB erfasste die PKS für das Jahr 2018 insgesamt 181 Fälle, die 0,49 % aller erfassten Raubdelikte (36 756) ausmachten.[121] Im Vergleich zum Jahr 2017, in dem 212 Fälle des § 316a StGB erfasst wurden, lässt sich ein deutlicher Rückgang feststellen.[122] Die Aufklärungsquote lag 2018 allerdings bei 50,8 % und fiel im Vergleich zum Vorjahr (54,7 %) niedriger aus.[123] Ein Schaden ab 500 Euro lag in 23,8 % der Fälle vor.[124] 27,6 % aller Fälle gelangten nicht über das Versuchsstadium hinaus.[125] Außerdem bildeten mit 65 Fällen Taxifahrer erneut eine große Opfergruppe.[126]

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Die Zahl der tatsächlich erfolgten Verurteilungen wegen räuberischen Diebstahls lag 2018 bei 1253,[127] 2017 bei 1283,[128] 2016 bei 1332[129] und 2015 bei 1230,[130] sodass nach einem leichten Anstieg nun ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Im Jahr 2018 betrafen 134 davon Jugendliche und 145 Heranwachsende, wobei lediglich in 5 Fällen eine Verurteilung nach allgemeinem Strafrecht erfolgte.[131] Von den 979 Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht wurde die einjährige Mindestfreiheitsstrafe nur in 628 Fällen überschritten.[132] Die praktische Bedeutung des § 252 StGB – insbesondere im Vergleich zu § 249 StGB (2018: 1493 Verurteilungen)[133] – ist folglich nicht zu unterschätzen; andererseits spricht die auch hier vorherrschende Zurückhaltung der Gerichte bei der Verhängung hoher Strafen dafür, dass es sich in einer Vielzahl der Fälle nicht um den hochkriminellen, sich den Fluchtweg frei schießenden Einbrecher geht, sondern um einfache körperliche Gewalt, wie etwa den Ladendieb, der den Ladendetektiv niederstößt, in denen die Angemessenheit der Raubstrafe fragwürdig scheint.[134] Auch deshalb ist § 252 StGB in der Lehre umstritten (Rn. 25 ff.).

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Wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer wurden 2018 lediglich 64 Personen verurteilt;[135] 2017 waren es noch 63.[136] Von den 64 Verurteilten waren 40 Heranwachsende, die allesamt nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, und acht Jugendliche.[137] Nur drei der 16 nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten erhielten eine höhere als die fünfjährige Mindeststrafe des § 316a StGB.[138] Dass sich die restriktive Handhabung der Raubdelikte durch die Gerichte gerade auch bei dem stark kritisierten § 316a StGB zeigt (Rn. 93 ff.), verwundert nicht.

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 31 Raubähnliche Delikte › D. Hauptteil

D. Hauptteil
I. Räuberischer Diebstahl (§ 252 StGB)

1. Einführung

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Die Kommentierung des § 252 StGB von Vogel beginnt mit der ernüchternden Feststellung: „§ 252 StGB ist eine theoretisch interessante, schwierige und umstrittene, in der Praxis kaum bedeutsame Strafvorschrift.“[139] Während man Vogel angesichts des doch großen Anteils an den Raubdelikten im Hinblick auf die praktische Bedeutung der Vorschrift jedenfalls heute nicht mehr zustimmen kann (Rn. 21), handelt es sich in theoretischer Hinsicht in der Tat um einen anspruchsvollen und schwierigen Straftatbestand. Insbesondere die gesetzgeberische Gleichsetzung des ertappten Diebes, der zur Besitzerhaltung Raubmittel einsetzt, mit einem Räuber wirft erhebliche dogmatische und kriminalpolitische Fragen auf. Während beim Raubtatbestand des § 249 StGB das qualifizierte Nötigungsmittel zur Erlangung des Gewahrsams an einer beweglichen Sache dient, wird es vom Täter bei § 252 StGB zur Erhaltung des bereits erlangten Gewahrsams an der weggenommenen Sache eingesetzt.[140] Der wesentliche Unterschied besteht daher in zeitlicher Hinsicht. Da der Einsatz von Raubmitteln (im Gegensatz zu § 249 StGB) der Wahrung des durch eine Vortat erlangten Besitzes dient, weist § 252 StGB Selbstbegünstigungscharakter auf.[141]

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Anders als es die Überschrift „räuberischer Diebstahl“ suggeriert, handelt es sich bei § 252 StGB nicht um eine Qualifikation des § 242 StGB, sondern um ein selbstständiges, raubähnliches Delikt (delictum sui generis).[142] Nicht zu folgen ist der zugespitzten Formulierung Schünemanns, wonach § 252 StGB ein „spiegelbildlich verkehrter Raub“ sei.[143] Denn die Vorschrift enthält zum einen Elemente, die bei § 249 StGB fehlen (Betroffensein auf frischer Tat, Besitzerhaltungsabsicht).[144] Zum anderen fehlen Elemente, die § 249 StGB enthält, da der Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel bei § 252 StGB objektiv nicht zum Erfolg (der bezweckten Besitzerhaltung) führen muss, während bei § 249 StGB die bezweckte Wegnahme gelingen muss.[145] Als „raubähnlich“ kann der Tatbestand aber bezeichnet werden, weil er sich wie der Raub (§ 249 StGB) aus zwei Elementen, nämlich aus einer (zumindest mit Gewahrsamsverschiebung verbundenen) Wegnahmehandlung (Diebstahlselement) und dem Einsatz von Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (Nötigungselement) zusammensetzt und somit dem Schutz derselben Rechtsgüter dient.[146]

 
2. Grundfragen