Handbuch des Strafrechts

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VII. Entwicklung von 1945 bis heute

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Was Änderungen des zwanzigsten Abschnitts nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland betrifft, ist vor allem die Neugestaltung des § 250 StGB und des § 251 StGB durch das EGStGB 1974[130] zu nennen.[131] Hinsichtlich des § 250 StGB wurde statt der Raubqualifikationen „Raub auf öffentlichen Wegen, zur Nachtzeit oder im Rückfall“ der „Raub mit Schusswaffen, Waffen oder sonstigen Werkzeugen oder Mitteln, um den Widerstand eines anderen zu überwinden“, sowie der „Raub mit Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung“ eingeführt.[132] Auch der Tatbestand der Raubqualifikation des § 251 StGB wurde verändert. Nun machte sich wegen Raubes mit Todesfolge nur noch derjenige strafbar, wer durch den Raub „leichtfertig den Tod eines anderen“ verursacht. Die für schwere Folgen geltende objektive Erfolgshaftung war bereits zuvor mit der Änderung des § 56 StGB a.F. (heute § 18 StGB) durch das 3. StrÄndG[133] beseitigt worden, da dem Täter hinsichtlich der qualifizierenden Folge nun zumindest Fahrlässigkeit zur Last fallen musste.

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Die heute gültige Fassung des zwanzigsten Abschnitts geht auf das 6. StrRG 1998[134] zurück. Seitdem genügt für Raub und räuberischen Diebstahl insbesondere auch das Handeln in Drittzueignungsabsicht.[135] Modifiziert wurde auch § 250 Abs. 1 StGB, in dem vor allem die Qualifikationen der Begehung mit Waffen und Werkzeugen verändert wurden (Abschaffung des speziellen Qualifikationstatbestandes „Raub mit Schusswaffen“). Die Qualifikationen in § 250 Abs. 2 StGB wurden neu eingefügt. Die Mindeststrafe für den schweren Raub nach § 250 Abs. 1 StGB wurde von fünf auf drei Jahre verringert und gleichzeitig die Höchststrafe für minder schwere Fälle nach (jetzt) § 250 Abs. 3 StGB von fünf auf zehn Jahre erhöht. In § 251 StGB wurde neben einer geringfügigen (stilistischen) Änderung das Wort „wenigstens“ eingefügt, um deutlich zu machen, dass die Tat auch vorsätzlich begangen werden kann.[136]

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 30 Raub › C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen des Raubes

C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen des Raubes

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Die Bedeutung des Raubtatbestandes in der Praxis ist nicht zu übersehen: In der PKS 2018 wird eine Zahl von 41 530 Personen[137] genannt, die Opfer versuchter oder vollendeter Raubdelikte[138] wurden. Festzustellen ist hierbei jedoch der gegenüber der PKS 2017 verzeichnete Rückgang der im Report aufgenommen Raubdelikte von 5,1 % (2017: 43 759 Opfer).[139] Dieser allgemeine Rückgang der Fallzahlen begann kurz nach der Jahrtausendwende und hält bis 2018 an.[140] Damit entspricht er einem seit längerer Zeit festzustellenden Trend, der eine langfristige Abnahme von Gewaltkriminalität markiert,[141] wenn man von dem im Jahr 2016 zu konstatierenden Anstieg der Gewaltdelikte absieht.[142] Darüber hinaus sind bei der Interpretation dieser rückläufigen Entwicklung der Raubdelikte neben einer tatbestandlichen Überhöhung und Zuviel-Erfassung durch die Strafverfolgungsorgane auch die Effekte einer verstärkten Dunkelfeldaufhellung zu berücksichtigen.[143] Schließlich ist festzustellen, dass es sich bei dem weit überwiegenden Teil der erfassten Raubdelikte um Tatsachverhalte von moderatem Gewicht handelt: über 95% beruhen auf einem Sachverhalt ohne Schusswaffen-Drohung, wobei in nur 0,28 % der Fälle überhaupt eine Schusswaffe eingesetzt wurde.[144] Im Hinblick auf die vollendeten Raubfälle (79,46 %) blieb der Schaden bei 28,1 % unter 50 Euro sowie bei weiteren 45,9 % zwar über 50 Euro, allerdings unter 500 Euro.[145] Somit ist festzustellen, dass der spektakuläre Banküberfall gerade nicht die typische Raubsituation charakterisiert (nur 0,195 %).[146] Vielmehr besteht diese in 20 706 von 29 207 Fällen (knapp der Hälfte aller vollendeten Raubdelikte) in „Straßenkriminalität“ auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen und Handtaschenraub.[147] Zu bedenken gilt es, dass auch ein Schulhoffall unter Jugendlichen der statistischen Erfassung unterfällt.

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Handelt es sich mit knapp unter 10 % weiblichen Tatverdächtigen um ein entsprechend den allgemeinen Feststellungen bei Gewaltdelikten ganz überwiegend von Männern begangenes Delikt,[148] verhält es sich mit Blick auf die Opfer von Raubtaten etwas ausgeglichener, wobei ausweislich der PKS auch hier der männliche Anteil mit 70,4 % beträchtlich ist.[149] Die polizeilich registrierte Raubkriminalität weist hinsichtlich der Tatverdächtigenstruktur außerdem einen Anteil der Jugendlichen von 20,2 % bzw. der Heranwachsenden von 16,3 % auf.[150] Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass es sich bei der genannten „Straßenkriminalität“ um Sachverhalte handelt, die durch Anonymität, Fluchtmöglichkeiten und Überflüssigkeit von Vorausplanungen sowie ein geringes Risiko nach individueller Opferwahl als alterstypische Tatbegehungsformen gekennzeichnet sind.[151] Die Täter haben daher auch weit überwiegend keine persönliche Beziehung zu den Opfern (66,2 %).[152] Die Raubaufklärungsrate lag 2018 ausweislich der PKS bei 57,0 %,[153] was leicht unter dem allgemeinen Aufklärungsdurchschnitt von 57,7 % liegt.[154]

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Weiterhin ist festzustellen, dass 40,6 % der im Jahr 2016 erfassten Tatverdächtigen Nichtdeutsche waren.[155] Blickt man auf die Staatsangehörigkeit der nichtdeutschen Tatverdächtigen, fällt auf, dass die meisten aus der Türkei (10,2 %) und Syrien (9,9 %) stammen.[156] Überrepräsentiert waren nichtdeutsche Tatverdächtige besonders beim Handtaschenraub (42,7 %), während sie bei Raubüberfällen in Wohnungen etwa lediglich ein Drittel (34,2 %) ausmachten.[157] Von den nichtdeutschen Tatverdächtigen waren rund ein Viertel (25,4 %) Asylbewerber, die vor allem beim Handtaschenraub einen hohen Anteil (29,4 %) ausmachten.[158] Damit weist ihre Kriminalitätsbelastung einen überproportionalen Anteil im Hinblick auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung auf. Dies lässt allerdings nicht den (in der Flüchtlingsbewegung oft voreilig gezogenen) Schluss zu, Asylbewerber seien im Verhältnis zur deutschen Bevölkerung besonders kriminell. Denn zu beachten ist, dass ein Vergleich der Kriminalitätsbelastung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen nicht ohne Weiteres möglich ist: Zum einen sind die kriminalitätsbelasteten Alters- und Geschlechtsgruppen bei Nichtdeutschen stärker repräsentiert als bei Deutschen, sodass ein erheblicher demographischer Unterschied besteht.[159] Zum anderen lassen sich die beiden Gruppen auch aus einer ökonomischen Sicht kaum miteinander vergleichen, da Nichtdeutsche in einem größeren Umfang der finanziell schwächer gestellten Bevölkerungsgruppe zuzurechnen sind.[160] Auch leben Ausländer meist in Großstädten, in denen die deutsche Vergleichsbevölkerung ebenfalls eine höhere Kriminalitätsbelastung aufweist.[161]

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Betrachtet man die Anzahl der Verurteilungen nach § 249 StGB, die sich insgesamt im Jahr 2018 auf 1493 belief,[162] so fällt auf, dass im Jahr 2018 nur 548 von 779 Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht auf eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr – der von § 249 Abs. 1 StGB vorgesehenen Mindeststrafe – lauteten.[163] Dies zeigt, dass die Gerichte in der Praxis häufig von §§ 249 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB (Rn. 115) Gebrauch machen.[164] In 385 Fällen erfolgte eine Strafaussetzung.[165] Von den 301 verurteilten Heranwachsenden wurden 286 nach Jugendstrafrecht verurteilt.[166] Diese restriktiven Tendenzen weisen ebenfalls daraufhin, dass das vom Gesetzgeber bei der Schaffung des § 249 StGB zugrunde gelegte Bild des gefährlichen Bank- oder Straßenräubers in der Wirklichkeit nur selten Entsprechung findet und die Gerichte versuchen, die in vielen Fällen der Straßenkriminalität unverhältnismäßige Mindeststrafe zu vermeiden. Die Einschränkungen, die auf Tatbestandsseite unternommen werden (Rn. 50 ff.), um dem spezifischen Unrecht des Raubes und der hohen Strafandrohung Rechnung zu tragen, werden also auf der Rechtsfolgenseite ergänzt.

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Im Jahr 2018 wurden 1194 Menschen wegen (besonders) schweren Raubes verurteilt, hiervon waren knapp 43 % der Verurteilten Jugendliche oder Heranwachsende; knapp 95 % der Täter waren männlich.[167] 38,3 % der Menschen besaßen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.[168] Bei § 250 StGB zeigt sich die Zurückhaltung der Gerichte noch deutlicher.[169] Lediglich gegen 412 der 779 nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten, wurde eine Freiheitsstrafe von mehr als den in § 250 Abs. 1 StGB als Mindeststrafe genannten drei Jahren verhängt.[170] Nur 24 der 266 Heranwachenden wurden nach allgemeinem Strafrecht verurteilt.[171] Häufig erfüllte Qualifikationsmerkmale sind § 250 Abs. 1 Nr. 1a, b StGB sowie § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Selten handelt es sich in der Praxis tatsächlich um Fälle „gefährlicher Hochkriminalität“, wie sie der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 250 StGB vor Augen hatte.[172] Mit den Änderungen durch das 6. StrRG (Rn. 30) wollte der Gesetzgeber die „Diskrepanz von Normtext und richterlicher Spruchpraxis“[173] beseitigen, indem er die Mindeststrafe für den schweren Raub nach § 250 Abs. 1 StGB verringerte und gleichzeitig die Höchststrafe für minder schwere Fälle nach § 250 Abs. 3 StGB erhöhte, doch zeigen die Statistiken, dass ihm dies nur eingeschränkt gelungen ist.[174] In dieser Praxis der Gerichte spiegelt sich die Kritik der Lehre an dem Qualifikationstatbestand wider (Rn. 117). Bei § 251 StGB handelt es sich um ein Delikt von geringer praktischer Bedeutung.[175] Im Jahr 2018 gab es lediglich 19 Verurteilungen wegen Raubes mit Todesfolge;[176] 2017 waren es nur zwölf, darunter nur eine Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.[177] Vogel ist folglich zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass es sich „um eher symbolisches Strafrecht“ zu handeln scheint.[178] Die zahlreichen theoretischen Probleme, die sich bei der Auslegung von § 251 StGB ergeben (Rn. 153, 157 f., 160, 162, 164) stehen mithin in keinem Verhältnis zu dessen geringer Relevanz in der Praxis.

 

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 30 Raub › D. Hauptteil

D. Hauptteil
I. Strafrechtsdogmatische Grundfragen der §§ 249 ff. StGB

1. Systematik und Struktur

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Der Raub ist ein als selbstständiges Delikt (delictum sui generis) ausgestalteter Diebstahl mit qualifizierten Nötigungsmitteln.[179] Es handelt sich nicht um eine bloße (unselbstständige) Qualifikation des Diebstahls (§ 242 StGB) oder der Nötigung (§ 240 StGB). Dies ergibt sich daraus, dass § 249 StGB weder in den achtzehnten noch in den neunzehnten Abschnitt eingestellt wurde, aus der gegenüber der sonst einschlägigen Idealkonkurrenz zwischen Diebstahl und Nötigung einschlägigen erheblichen Strafrahmenerhöhung,[180] dem Erfordernis eines Finalzusammenhangs (Rn. 75) zwischen Diebstahl und Nötigung (der bei Idealkonkurrenz im Schuldspruch nicht zum Ausdruck käme)[181] sowie aus der Gleichrangigkeit der geschützten Rechtsgüter Freiheit und Eigentum (Rn. 39). Die Selbstständigkeit des Raubes gegenüber Diebstahl und Nötigung führt u.a. dazu, dass weder eine Verwerflichkeitsprüfung gemäß § 240 Abs. 2 StGB durchzuführen ist noch die (privilegierenden) Strafantragserfordernisse der §§ 247, 248a StGB greifen. Dies hat zur Folge, dass auch ein Bagatellraub von Amts wegen zu verfolgen ist, die Gewalt kompensiert die Geringwertigkeit.[182] Auch die Qualifikationen des Diebstahls (§§ 244, 244a StGB) sind nicht anwendbar, entsprechende Regelungen finden sich jedoch weitgehend (bis auf den Wohnungseinbruchsdiebstahl) auch beim Raub (§ 250 StGB).

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Als zweiaktiger Tatbestand setzt sich § 249 StGB aus einem Diebstahl (§ 242 StGB) und einer gegenüber § 240 StGB qualifizierten Nötigung zusammen.[183] Dabei setzt der Raub nicht lediglich die bloße Addition dieser beiden Delikte voraus, sondern vielmehr deren Verknüpfung, wobei die Anforderungen an diese Verknüpfung umstritten sind (Rn. 74).[184] Diese Verknüpfung und das dadurch kumulierte Unrecht[185] erklärt auch das hohe Strafmaß des § 249 StGB (nicht unter einem Jahr) und die daraus folgende Einordnung des Delikts als Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB).[186] Für minder schwere Fälle sieht § 249 Abs. 2 StGB eine Herabsetzung des Strafrahmens auf mindestens sechs Monate, höchstens fünf Jahre vor.

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Qualifiziert wird der Raub durch § 250 StGB, den „einfachen“[187] schweren Raub in § 250 Abs. 1 StGB und den „besonders“[188] schweren Raub in § 250 Abs. 2 StGB, sowie durch die Erfolgsqualifikation des § 251 StGB, den Raub mit Todesfolge. Auch hier ist der Strafrahmen gemäß § 250 Abs. 3 StGB in minder schweren Fällen reduziert (ein Jahr bis zehn Jahre). Eine Privilegierung existiert nicht, die §§ 249 Abs. 2, 250 Abs. 3 StGB sind Strafzumessungsvorschriften.[189] § 252 StGB und § 316a StGB werden als raubähnliche Delikte angesehen (→ BT Bd. 5: Petra Wittig, Raubähnliche Delikte, § 31).

2. Geschützte Rechtsgüter

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Der Raub schützt nach h.M. gleichrangig das Eigentum und die persönliche Freiheit der Willensentschließung und -betätigung,[190] also die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung desjenigen, gegen den die Nötigungsmittel eingesetzt werden. Sofern man diese Gleichrangigkeit der geschützten Rechtsgüter zugrunde legt, ist es verkürzt, den Raub entweder als qualifizierte Nötigung oder als qualifizierten Diebstahl anzusehen.

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Da das Eigentum durch die Wegnahme beim Raub nicht auf den Täter übergeht, sondern vielmehr beim Opfer verbleibt (vgl. § 935 Abs. 1 BGB), ist auf die nach § 903 BGB vorausgesetzte uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers abzustellen.[191]

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Die Interpretation des Raubes auch als Freiheitsdelikt wird durchaus kritisch gesehen, u.a. weil als Nötigungserfolg nur die Duldung der Wegnahme vorausgesetzt wird.[192] Doch liegt in dieser Willensbeugung eben auch ein Angriff auf die personale Freiheit, aus der dem Täter Widerstand gegen die Wegnahme droht.[193] Dagegen ist wegen des gegenüber der Nötigung (§ 240 StGB) qualifizierten Nötigungselements (Gewalt gegen Personen oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) als zumindest mittelbares Schutzgut auch Leib und Leben des Nötigungsopfers anzusehen.[194] Die bei § 242 StGB im Hinblick auf die Strafantragsbefugnis relevante Frage, ob auch der Gewahrsam geschützt ist, spielt für das Offizialdelikt des § 249 StGB keine Rolle.[195]

II. Voraussetzungen des § 249 StGB

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Der Grundtatbestand des § 249 setzt objektiv die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (und damit den objektiven Tatbestand des Diebstahls, § 242 StGB) mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben sowie subjektiv Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale sowie rechtswidrige Zueignungsabsicht hinsichtlich der fremden beweglichen Sache voraus.

1. Raubmittel

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Neben den objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Diebstahls muss auch eine (gegenüber § 240 StGB) qualifizierte Nötigung verwirklicht sein. Nötigungsmittel sind Gewalt gegen eine Person und Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben. Eine wahlweise Feststellung einer der Alternativen ist zulässig.[196]

a) Gewalt gegen eine Person

aa) Begriffsbestimmung

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Der Wortlaut des § 249 Abs. 1 StGB ist gegenüber dem des § 240 Abs. 1 StGB enger, denn er fordert nicht nur Gewalt, sondern Gewalt „gegen eine Person“. Gewalt gegen eine Person ist jeder unmittelbar oder auch mittelbar körperlich wirkende Zwang, um einen (gegen die Wegnahme) geleisteten oder zumindest erwarteten Widerstand zu brechen.[197] Grundsätzlich ist vom Begriff „Gewalt gegen eine Person“ in § 249 StGB (zu § 255 StGB → BT Bd. 5: Bernd Heinrich, Erpressung und räuberische Erpressung, § 32 Rn. 103) sowohl vis absoluta (willensbrechende Gewalt) als auch vis compulsiva (willensbeugende Gewalt) erfasst.[198] Da auch die Gewalt i.S.d. § 240 StGB personenbezogen auszulegen ist (→ BT Bd. 4: Brian Valerius, Nötigung, Bedrohung und Zwangsheirat, § 5 Rn. 40 f.), ist die Bedeutung der qualifizierten Gewalt noch wenig geklärt.[199] Zum einen geht es um eine stärkere Betonung der Richtung der Gewalt, zum anderen beinhaltet die Formulierung aber auch eine Einschränkung gegenüber dem Gewaltbegriff des § 240 StGB. Schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Begrifflichkeiten ist die Lehre von einem einheitlichen Gewaltbegriff, wonach Gewalt und Gewalt gegen eine Person denselben Inhalt haben, zu Recht abzulehnen.[200] Vielmehr ist bei § 249 StGB eine „tatbestandsspezifische, restriktive Auslegung“ maßgeblich.[201] Zudem wirft die in der Definition der (Raub-)Gewalt angelegte „spezifische Gewaltfinalität“ (Gewaltanwendung zur Überwindung tatsächlich geleisteten bzw. lediglich erwarteten Widerstands) ungeklärte Fragen auf, die zu einer wenig überzeugenden Gewaltdogmatik führt.[202]

 

bb) Körperliche Zwangswirkung

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Die räuberische Gewalt muss sich zumindest mittelbar auf Leib, Leben oder die Bewegungsfreiheit beziehen. Erforderlich ist, dass der Einsatz auch nur geringer Körperkraft durch den Täter eine körperliche Zwangswirkung beim Opfer zur Folge hat; ein rein psychischer Zwang, wie etwa das Hervorrufen von Angst oder Erregung, ist damit ausgeschlossen, da die körperliche Zwangswirkung ausbleibt.[203] Dies ergibt sich schon daraus, dass selbst bei § 240 StGB rein psychisch wirkender Zwang nicht ausreicht.[204] Das Opfer muss jedoch den Zweck der Gewaltausübung nicht erkennen.[205]

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Str. ist, ob das Opfer die körperliche Zwangswirkung als solche empfinden muss.[206] Dies ist insbesondere von Bedeutung bei Konstellationen, in denen Gewalt gegenüber Schlafenden oder Bewusstlosen angewendet wird. Maßgeblich sollte hier gemäß der Gewaltdefinition sein, ob objektiv eine körperliche Zwangswirkung vorliegt und der Täter handelt, um einen zumindest erwarteten (potentiellen) Widerstand entweder des Opfers oder eines schutzbereiten Dritten zu brechen (zur Gewaltfinalität Rn. 53 ff.).[207] Damit kann tatbestandsmäßige Gewalt auch gegen aktuell Handlungsunfähige (Schlafende, Bewusstlose, stark Betrunkene) verübt werden, wenn dadurch bezweckt wird, „erwarteten Widerstand gegen die Wegnahme […] nach wieder gewonnener Handlungsfähigkeit (nach Aufwachen, Rückkehr ins Bewusstsein, Ausnüchterung) von vorneherein zu verhindern“[208] bzw. zu vermeiden, dass ein schutzbereiter Dritter zugunsten des Opfers Widerstand leistet (z.B. Bewusstloser wird deshalb weggetragen)[209]. Auch wenn immer eine körperliche Zwangswirkung gegeben sein muss, kommt es somit nicht darauf an, ob das Opfer diese auch empfindet. Ausgeschlossen als taugliche Tatopfer sind lediglich irreversibel Bewusstlose. In diesen Fällen kann von vornherein kein Angriff auf die Willensfreiheit erfolgen, da diese zu keinem Zeitpunkt mehr einen Willen bilden können, der durch die Gewalteinwirkung des Täters beeinträchtigt wird.

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Nach der Rspr.[210] ist auch die Bedrohung mit einer Schusswaffe Gewalt. Die körperliche Zwangswirkung wird dabei in der Erregung der Nervenbahnen bzw. in starker seelischer Erregung gesehen. Gegen eine solche Sicht spricht jedoch vor allem, dass sie eine – angesichts der zweiten Tatbestandsvariante – unnötige Verwischung der Grenzen zwischen Gewalt und Drohung bewirkt.[211] Da das Opfer bei einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben regelmäßig in Erregung geraten dürfte, käme dieser Alternative faktisch auch keine eigenständige Bedeutung mehr zu, wenn schon das Merkmal der Gewalt erfüllt wäre.

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Gewalt gegen Sachen kann nur dann qualifiziertes Nötigungsmittel im Sinne des § 249 StGB sein, wenn sie zumindest auch mittelbar Gewalt gegen eine Person in Form eines körperlich wirkenden Zwangs darstellt.[212] Eine solche mittelbare Personengewalt kann z.B. das Einsperren des Opfers sein.[213] Dagegen reicht z.B. das Durchschneiden eines Tragegurts oder das Aufreißen einer Tasche beim Handtaschenraub als bloße Sachgewalt nicht aus.[214]

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Aufgrund der Personenbezogenheit des Gewaltbegriffs in § 249 StGB können (wie bei § 240 StGB) juristische Personen nicht Opfer räuberischer Gewalt sein, wohl aber eine für sie handelnde natürliche Person, also z.B. der Geschäftsführer einer GmbH (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 21).