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Wegweiser durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge

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XXX. Route: Von Eibenstock über Schönhaide und Auerbach nach Lengenfeld

Von Eibenstock geht man zunächst nach dem an der Mulde gelegenen Schönhaider Hammer und von da nach Schönhaide (4704 E.), dem grössten Dorfe des westlichen Erzgebirges. Der Ort ist über eine Stunde lang und wird, da er sich eine Berglehne hinanzieht, weithin gesehen. Neben der Weissstickerei trifft man hier noch zwei eigenartige Erwerbszweige: nämlich Bürstenbinderei und Blechwaarenfabrikation. – Der Weitermarsch führt über Schnarrtanne (593 E.) und die Schnarrtanner Höhe, welche eine prächtige Aussicht auf das Voigtland gewährt, nach Auerbach. Bei Auerbach befindet man sich im Bezirke des Pech- und Russhandels, für welchen besonders zwei Walddörfer, Beerheide und Brunn, das Material liefern. Von Auerbach geht man über Rodewisch (3386 E.), wo sich Sachsens einziges Messingwerk befindet, nach Lengenfeld und hat damit das Tagesziel erreicht.

Schönhaide, stadtähnliches Dorf mit 4704 E. Sitz der Pleinfabrikation, d. h. der Tambourirstickerei nach fortlaufenden, nicht abgezählten Mustern. Ferner wird die Verfertigung von Bürsten und Pinseln schwunghaft betrieben, so dass manche Geschäfte 100 Sorten Pinsel, Bürsten, Borstwische und Borstbesen führen. Endlich liefern Blecharbeiter allerlei Küchengeräthe, dann Ofenröhren, Giesskannen, Kuchenbleche u. s. w. – Die Schönhaider Bürstenbinder gelten für das lustigste Völkchen des ganzen Erzgebirges.

Auerbach, Stadt an der Göltzsch, 1417´ ü. M. mit 4477 E. Beschäftigt sich mit Weberei und Fertigung genadelter Mulls und gestickter baumwollener Waaren.

Lengenfeld, Stadt an der Göltzsch, 1220´ ü. M. mit 4716 E. Hat Fabrikation von Tuchen und dichten Baumwollenstoffen.

XXXI. Route: Von Elster über Oelsnitz, Falkenstein, Auerbach, Lengenfeld, Treuen, Herlasgrün, Netzschkau und Reichenbach nach Zwickau

(Eisenbahnroute.)

Man geht von Elster nach Mühlhausen und fährt von da mit dem Dampfwagen bis Oelsnitz, um diese Stadt in Augenschein zu nehmen. Sie hat eine herrliche Lage, besitzt aber ausser dem neuen Rathhause und der alterthümlichen Stadtkirche keine hervorragenden Gebäude. Berühmt ist sie indess als Hauptsitz der Perlenfischerei, welche seit Jahrhunderten in der Elster und deren Nebenbächen betrieben wird. Die Elsterperlen wurden früher sehr theuer bezahlt, sind aber nach und nach im Preise so gefallen, dass für die jährliche Ausbeute nur noch einige hundert Thaler gelöst werden. – Von Oelsnitz kann man mit der Eger-Reichenbacher Bahn leicht die Städte Falkenstein, Auerbach, Lengenfeld und Treuen besuchen, wir aber fahren noch über Herlasgrün hinaus bis Netzschkau, um von da einen Abstecher nach der berühmten Göltzschthalbrücke zu machen. Dieselbe ist in ¼ St. erreicht und gewährt, besonders von der tiefsten Stelle des Thales aus gesehen, einen grossartigen Anblick. Ihre Höhe beträgt 139 Ellen, ihre Länge 1018 Ellen; die Spannweite des mittleren grossen Bogens misst 154 Ellen. Diese Riesenbrücke, zu der allein zwanzig Millionen Ziegel erforderlich waren, ist würdig der römischen Viadukte und wird für alle Zeiten den kühnsten Bauwerken der Welt beigezählt werden. – Nunmehr geht es an der Göltzsch aufwärts bis Mylau und dann links ab, auf gut gebahntem Wege, nach Reichenbach, einer bedeutenden Industriestadt. Nachdem man sich hier umgesehen, fährt man mit dem Dampfwagen über Neumark, wo die Greizer Bahn einmündet, nach der Kreishauptstadt Zwickau, welche viel Interessantes darbietet.

Oelsnitz, Stadt a. d. Elster, 1144´ ü. M., mit 5728 E. Sitz der Voigtländischen Halbwollweberei. Seit dem Brande von 1859 fast ganz neu erbaut. ¼ St. von der Stadt liegt das Schloss Voigtsberg, in welchem sich eine Zweiganstalt des Zwickauer Arbeitshauses befindet.

Falkenstein, s. R. XXVIII. S. 132; Auerbach und Lengenfeld, s. R. XXIX, S. 137.

Treuen, Stadt a. d. Trieb, 1264´ ü. M., mit 5238 E. Beschäftigt sich mit Spinnerei, Weberei und Bleicherei.

Netzschkau, Stadt, 1109´ ü. M., mit 3170 E. Hat eine regsame Weberbevölkerung, die bereits Maschinenstühle anwendet und besonders Kattun und Futtermusselin liefert.

Mylau, Stadt a. d. Göltzsch, 937´ ü. M., mit 3170 E. Besitzt mehrere Kammgarn- und Streichgarnspinnereien und ein grosses Alaunwerk. Das Schloss, von 1212–1459 böhmisch, war einst ein Lieblingsaufenthalt Kaiser Karls IV., weshalb der hintere Hof noch jetzt Kaiserhof genannt wird.

Reichenbach, Stadt, 1034´ ü. M., mit 11,713 E. Des Ortes blühende Industrie umfasst drei Branchen: Wollkämmerei, Spinnerei und Weberei. Gefertigt werden besonders Merino's, Thibet's, Circassien's und wollene Tücher. Die Peterpaulkirche, vormals dem deutschen Orden gehörig, enthält eine vortreffliche Silbermann'sche Orgel. – Reichenbach ist Geburtsort der Schauspielerin Karoline Neuber.

Zwickau, Stadt a. d. nach ihr benannten Mulde, 800´ ü. M., mit 27,395 E. Liegt in einem ziemlich weiten, von sanften Höhen umschlossenen Becken, dem sogenannten »Schwanfelde«, welches in seinem Innern 12–14 abbauwürdige Kohlenflöze birgt, die in neuer Zeit einen unberechenbaren Werth erlangt haben. – Ausser mehreren altertümlichen Gebäuden, wie dem Anker und dem Rathhause, wenden wir unsere Aufmerksamkeit den beiden gothischen Kirchen, der Marienkirche und der Katharinenkirche, zu. Letztere enthält ein gutes Altarbild von Kranach. Erstere ein mit kunstvoller Schnitzarbeit versehenes heiliges Grab, die berühmte Kindersegnung von Kranach, ein grosses Altarwerk von M. Wohlgemuth und eine ausgezeichnet konstruirte Doppelwendeltreppe. An der Katharinenkirche war Thomas Münzer von 1520–22 als Pfarrer angestellt, und Luther selbst musste nach Zwickau kommen, um gegen diesen »Schwarmgeist« zu predigen. – Das Gymnasium, im 15. Jahrhundert wegen seiner Strenge nur die »Zwickauer Schleifmühle« genannt, besitzt eine bedeutende Bibliothek mit werthvollen Handschriften. – Im Schlosse Osterstein befindet sich seit 1833 die Arbeitsanstalt für Sträflinge. – Zwickau ist die Geburtsstadt des Komponisten R. Schumann.

Reizende Vergnügungsorte sind: Das Schwanenschlösschen, der Bergkeller und das Dorf Eckersbach mit dem »Trillergut«; weite Aussichten gewähren die Oberhohndorfer und Kainsdorfer Höhen; sehr lehrreich sind Besuche der Kohlenwerke in Schedewitz, Bockwa19 und Planitz.

Während in Zwickau die altväterischen Gebäude und die gothischen Kirchen an das Mittelalter erinnern, deuten die zahlreichen Neubauten, die Fabrikanlagen in und neben der Stadt, die Dampfessen bei den Kohlenschächten und der Bahnhof mit seinem kolossalen Verkehr zugleich darauf hin, dass man sich in einem Bezirke der modernsten industriellen Thätigkeit befindet. Diese Thätigkeit beruht zumeist auf dem vorhandenen Kohlenreichthum. Denn wie früher die Flüsse mit ihrer Triebkraft und die Wälder mit ihrem Heizstoff die Magnete für die Fabrikanten waren, so sind es jetzt die Kohlenfelder mit ihrem billigen Brennmaterial geworden. Und so hat Zwickau – dank seinen unterirdischen Schätzen – in neuerer Zeit viel Industrie bekommen und in den letzten vierzig Jahren seine Bevölkerung mehr als vervierfacht (1834: 6127, heute: 27,395 E.) und damit ein Wachsthum gezeigt, das sich nur dem junger Städte in Nordamerika vergleichen lässt.

Geschichtliches. Zwickau, jedenfalls eine alte sorbische Ansiedelung, hatte schon im frühen Mittelalter Bedeutung. Es wurde durch die Reichsstrasse von Nürnberg nach Leipzig, welche den Verkehr zwischen Süd- und Norddeutschland vermittelte, berührt und erfreute sich als Stapelplatz eines regen Geschäftslebens. Aber mit der Entdeckung des Seewegs nach Ostindien war der Flor der Stadt dahin. Der Handel schlug andere Wege ein und Zwickau vereinsamte, wie Augsburg und Nürnberg vereinsamt waren. Die Zahl seiner Bewohner verminderte sich nach und nach von 30,000 auf 5000 und nur als schlichte Kleinstadt trat es in unser Jahrhundert ein. Doch mit Entwickelung des Kohlenbergbaues nahm es einen ungeahnten Aufschwung. Urkundlich werden die »Steinkoln« schon im 14. Jahrhundert erwähnt, aber die 1520 erlassene und bis 1740 neunmal abgeänderte Kohlenordnung schrieb die lästige Reihenladung vor, wornach der Grubeneigner nur dann ein gewisses Quantum Kohlen verkaufen durfte, wenn der Vordermann das seinige losgeworden war. Auch hatten sich die Feuerarbeiter der Umgegend im Jahre 1550 durch die sogenannte Truhenladung ermässigte Preise für die zum Handwerk erforderlichen Kohlen ertrotzt. Diese beiden Beschränkungen, sowie der Umstand, dass bis Ende des vorigen Jahrhunderts Brennholz im Ueberfluss vorhanden war, verhinderten auf lange hin die Entwickelung des Kohlenbergbaues. Als aber mit Anfang der zwanziger Jahre die Eisenwerke statt der vertheuerten Holzkohle die Steinkohle begehrten und im Jahre 1823 die Kohlenordnung sammt ihren beengenden Vorschriften fiel, auch ein rationeller Abbau eingeführt und mit 1826 die Dampfkraft zur Hebung des Grubenwassers und zur Förderung der Kohlen angewandt wurde, da wuchs die Kohlenproduktion mit ungemeiner Geschwindigkeit. Zahlen werden dies am besten bezeugen: 1820 wurden 65,000, 1830: 165,000, 1840: 780,000 Scheffel gefördert; 1850 betrug die Ausbeute 4 Millionen, 1856: 7 Millionen und 1863: schon 14 Mill. Scheffel.

 

Industrielles. Zwickau's grossartigste Industrie ist die Kohlenförderung selbst; doch hat das billige Brennmaterial auch manchen anderen Fabrikationszweig herbeigelockt. Das Coaksbrennen begann 1830 und hat seitdem so zugenommen, dass jährlich über 100,00 °Ctr. Steinkohlen dabei verbraucht werden. Dazu gesellte sich die Ziegelbrennerei, welche im Jahre mehrere Millionen Backsteine liefert. Ferner wurde eine Porzellanfabrik, eine Fabrik für Steinzeug und Chamottewaaren und eine Glasfabrik angelegt. Das grossartigste Unternehmen aber ist die Marienhütte bei Kainsdorf, ein Eisenwerk, das sich mit jedem in Sachsen, ja in Deutschland messen kann. Hier werden Hunderttausende von Centnern Eisen geschmolzen, gegossen, gepuddelt und zu Eisenbahnschienen verwalzt. – Eine Eigenthümlichkeit findet sich bei Planitz. Da steht seit undenklichen Zeiten ein Kohlenflöz in Brand und kann trotz aller Anstalten nicht zum Erlöschen gebracht werden. Die beim Brennen entwickelte Wärme wird nun zur Heizung von Treibhäusern benutzt, in denen eine Menge seltener, besonders tropischer Gewächse gedeiht.

XXXII. Route. Von Geyer über Zwönitz, Hartenstein und Schloss Stein nach Zwickau

Von Geyer geht man auf der Chaussee durch den Geyerschen Wald nach Stadt Zwönitz und wendet sich hier, Lössnitz links lassend, nach Lenkersdorf und Affalter, um die bei diesen Orten vorkommenden Schieferbrüche in Augenschein zu nehmen. Nunmehr begiebt man sich nach Hartenstein, dem Hauptorte der gleichnamigen Schönburger Rezessherrschaft. Man besteigt allda das Schloss und wandert dann auf angenehmem Pfade, durch prächtigen Laubwald, nach der Prinzenhöhle, welche jedenfalls ein alter verlassener Stollen, aber dadurch von Interesse ist, dass in ihr Kunz von Kaufungen's Genossen, von Mosen und Schönfels, sich mit dem Prinzen Ernst fast 3 Tage lang versteckt hielten und von ihr aus sich ergaben. Sie liegt oberhalb des rechten Muldenufers und ist von dichtem Laubholz umgeben, nicht weit von ihr ist indess eine Platte, welche eine gute Aussicht nach dem jenseitigen Thalhang, auf das Dorf Wildbach und die Ruine Eisenburg, gewährt. Wir steigen nun zum Flusse hinunter und wandern stromabwärts nach Schloss Stein, das wegen alterthümlicher Bauart und reizender Lage einen längeren Aufenthalt verdient. Später fahren wir auf der Eisenbahn, an Wiesenburg mit seiner Ruine, an Kainsdorf mit seinen Schmelzhütten und an Hohendorf mit seinen Essen vorbei nach der alten Schwanenstadt Zwickau, unserem Tagesziele.

Geyer s. R. XV. S. 94.

Zwönitz, Stadt am gleichnamigen Flusse, 1630´ ü. M, mit 2693 E. Hat Klöppelei, Weberei und Strumpfwirkerei, besonders aber Schuhmacherei.

Hartenstein, Stadt am Thierfelder Bache, 1152´ ü. M., mit 2506 E. Beschäftigt sich mit Ackerbau, Weberei, Strumpfwirkerei, Klöppelei und Nähterei. – Zur Herrschaft Hartenstein gehörten früher auch die Aemter Grünhain und Crottendorf, beide sind aber schon 1559 durch Kauf an das Kurhaus Sachsen gekommen. – Hartenstein ist Heimathsort des Dichters Paul Flemming († 1643).

XXXIII. Route: Von Zwickau über Glauchau und Hohenstein-Ernstthal nach Chemnitz

(Eisenbahnroute.)

Man besteigt in Zwickau den Dampfwagen und fahrt zunächst bis Glauchau, um diese wichtige Fabrikstadt in Augenschein zu nehmen. Darnach benutzt man den Zug bis Hohenstein-Ernstthal, weil diese Schwesterstädte sowohl wegen ihrer reizenden Lage als wegen ihrer Industrie Beachtung verdienen. Und endlich lässt man sich durch die Lokomotive bis Chemnitz, der Grossindustrie-Stadt, bringen, welche von den Erzgebirgern nicht ohne Stolz das sächsische Manchester genannt wird und rücksichtlich ihrer Industrie jedem Besucher genug des Interessanten darbietet.

Glauchau, Stadt an der Zwickauer Mulde, 801´ ü. M., mit 22,022 E. Sitz der Schönburgischen Regierung. Enthält zwei gräfliche Schlösser und in der einen Kirche eine Silbermann'sche Orgel. Seine schwunghafte Industrie, die – gleich der von Meerane – wesentlich wollene und halbwollene Kleider- und Mäntelstoffe liefert, hat ein rasches Wachsthum der Bevölkerung ermöglicht. In der Färberei soll Glauchau sogar Chemnitz überholt haben.

Die Städte Hohenstein, 1217´ ü. M., mit 5638 E., und Ernstthal, 1064´ ü. M., mit 3768 E., sind so nah' an einander gelegen, dass in der »Schnabelgasse« die eine Häuserreihe zu Hohenstein und die andere zu Ernstthal gehört. Beide Ortschaften treiben Buntweberei und Strumpfwirkerei. Hohenstein ist, ähnlich wie Buchholz, terassenförmig gebaut und bietet namentlich an der obern Seite des Marktes und am Schiesshause einen prächtigen Blick auf das obere Erzgebirge. Viel umfassender ist allerdings die Sicht auf dem nur eine Stunde von der Stadt entfernten Kapellenberg, da man hier nicht nur das Obergebirge, sondern auch die Muldenländer, sowie die Gegend von Schleiz, Altenburg, Rochlitz, Leipzig, Wurzen und Oschatz sehen kann. – Mineralogisch ist das Terrain bei Hohenstein-Ernstthal dadurch wichtig, dass hier das grosse Zwickauer Kohlenbecken mit dem nördlich von ihm auftretenden Glimmerschiefer raint, welcher an mehreren Stellen verschiedene Einlagen und besonders Serpentin aufweist. – Nicht weit von Hohenstein befindet sich ein Stahlbad, mit dem eine Kaltwasserheilanstalt verbunden ist. – In Hohenstein ist der Erfinder des Pianofortes L. G. Schröder und der Philosoph und Naturforscher Schubert geboren.

Chemnitz, Stadt am gleichnamigen Flusse, 894´ ü. M., mit 68,229 E. Bietet landschaftlich wenig, um so mehr aber industriell dar und kündigt sich schon durch sein Aeusseres, besonders durch die massenhaften, vielstöckigen, kasernenartigen Gebäude und die grosse Schaar von Dampfessen, als Fabrikstadt an. Von Alterthümlichen ist in Chemnitz wenig zu finden. Ausser den geringen Resten der Stadtmauer deuten nur einige Häuser am Markte mit ihren Lauben und eigenartigen Giebeln und die Kirchen auf die Vorzeit hin. Fast alles Andere ist jüngeren, wenn nicht jüngsten Ursprungs. Denn abgesehen von den Erneuerungen, welche durch Feuer und durch Wegreissen veranlasst worden sind, hat sich der Ort in letzterer Zeit so erweitert, dass seine Vorstädte die anliegenden Dörfer zu umfassen drohen. Von den öffentlichen Gebäuden zeichnen sich noch aus: die Post, das Theater, die Börse, das St. Georgs-Hospital, die Kaserne und der Bahnhof. Das Schloss, so sehr seine Lage und Umgebung gefällt, ist mit Ausnahme der wohl erhaltenen gothischen Kirche ohne Bedeutung. – Das Sehenswertheste in Chemnitz sind die verschiedenen industriellen Etablissements, wie die Aktienspinnerei, die sächs. Maschinenfabrik (früher Richard Hartmann), die Chemnitzer Werkzeug-Maschinenfabrik (früher Zimmermann), die Buntwaarenfabriken, die Druckfabriken, die Türkischgarnfärbereien und dergl. mehr. Unter den Privatgebäuden verdient das Haus des Maschinenfabrikanten Zimmermann den Preis und liefert selbiges zugleich den Beleg, dass man in Chemnitz bereits begonnen hat, neben der Zweckmässigkeit auch die Schönheit zu betonen. – Chemnitz ist der Geburtsort des grossen Philologen Heyne († 1812).

Geschichtliches von Chemnitz und dessen Industrie. – Chemnitz ist eine alte sorbische Niederlassung und heisst ursprünglich »Kampnitz«, d. i. Steinheim. Die Stadt wurde von Kaiser Heinrich I. zur freien Reichsstadt erhoben, kam aber 1308 als Pfand und 1324 als erblicher Besitz an die Markgrafen von Meissen. Seit dem 12. Jahrhundert war sie stark befestigt; auch widerstanden ihre (25) Mauerthürme 1429 und 1430 mit Erfolg den sie belagernden Hussiten. Schon im früheren Mittelalter zeichnete sich Chemnitz durch Leinweberei und Bleicherei aus, wozu im 15. Jahrhundert noch die durch Niederländer eingeführte Tuchmacherei kam. Aber der 30jährige Krieg zerstörte wie den Wohlstand mancher anderen, so auch den dieser Stadt, und noch vier Jahrzehnte nach dem westphälischen Friedensschluss zählte sie kaum 5000 E. Mit Ende des 17. Jahrhunderts jedoch that Chemnitz einen glücklichen Griff, indem es früher, als andere deutsche Städte, die Verarbeitung der Baumwolle im Grossen begann und sich so einen grosser Steigerung fähigen Erwerbszweig verschaffte. Nun begann eine emsige Thätigkeit. Tausende von Händen rührten sich, um mittelst der Spindel – später benutzte man dazu die Handmühlen mit je 10 bis 30 Spulen – den Baumwollenfaden herzustellen und mittelst des Weberschiffleins das erhaltene Garn zu Barchent (1715), Musselin (1725) und Kattun zu verweben. Man kann behaupten, dass 50 Jahre nach Betreten der neuen industriellen Bahn in und um Chemnitz 2000 Handstühle in Thätigkeit waren. Dazu kam, dass sich schon 1728 zu der Weberei die Strumpfwirkerei gesellt hatte, wenn diese ihre grosse Bedeutung auch erst gewann, als es dem Kaufmann Esche in Limbach (1776) gelungen war, den von dem Engländer Lee erfundenen Strumpfwirkerstuhl nachzubauen. (S. o. Seite 22).

Allein der grossartige Aufschwung, welchen sammt stufenmässiger Entwickelung wir heute an Chemnitz und dessen Industrie gewahren, datirt erst von Beginn dieses Jahrhunderts. Ausser dem rüstigen Fleisse und der unverwüstlichen Thatkraft der Bewohner trugen dazu folgende 5 Ursachen bei:

1) Die Ersetzung der Handarbeit durch Maschinen, wodurch eine raschere Produktion ermöglicht wurde.

2) Die von Napoleon 1806 angeordnete Kontinentalsperre, welche wenigstens für einige Zeit Chemnitz von seinem gefährlichsten Rivalen, von England, befreite.

3) Die Benutzung der Dampfkraft, wodurch der Industrie ein ganz neuer Motor zugeführt wurde.

4) Der Anschluss Sachsens an den Zollverein, welcher (1834) den Chemnitzer Fabrikaten ein weites Absatzgebiet eröffnete, und

5) Die Anlegung von Eisenbahnen, wodurch Chemnitz zum Centralpunkte Sachsens erhoben und nach allen Richtungen hin mit bequemen Handelsstrassen versehen wurde.

Unter den Chemnitzer Industrien, die sich indess nicht auf die Stadt beschränkt, sondern auch in die Umgegend verbreitet haben, steht nach wie vor die Bearbeitung der Baumwolle oben an. Man unterscheidet drei dahin einschlagende Branchen: Spinnerei, Weberei und Strumpfwirkerei.

Als man bei Beginn dieses Jahrhunderts die 1775 von dem Engländer Richard Arkwright erfundene Spinnmaschine bei und in Chemnitz einführte, da wurden die üblichen Baumwollenräder und Handmaschinen zur Ruhe gewiesen und für den Augenblick Tausende von Arbeitern brodlos gemacht. Aber die Zahl der Spinnmühlen nahm mit der Zeit zu, indem man die Wasser der Zschopau, der Flöha, des Wilischbaches u. s. w. zum Treiben der Spindeln benutzte und, wo die Wasserkraft nicht genügte oder fehlte, später auch die Dampfkraft anwandte. So hat Sachsen nach und nach über 250 Spinnereien – die grösste ist die Aktienspinnerei in Chemnitz – mit 1,200,000 Spindeln erhalten und beschäftigt nun bei der Maschinenspinnerei mehr Arbeiter, als sonst beim Handgespinnst thätig waren. – Die enorme Leistungsfähigkeit der Spinnmühlen hat zugleich Chemnitz zum Sitz eines grossartigen Garnhandels gemacht.

An die Spinnerei schliesst sich naturgemäss die Weberei an, die als Hausindustrie und Fabrikindustrie betrieben wird, wenn auch die neuere Zeit immermehr letzterer den Vorzug zu geben scheint. Grosse Fortschritte sind in der Weberei durch Anwendung des Jaquardstuhles gemacht worden, weil dieser mittelst künstlicher Mechanismen allerlei Muster und Figuren in die Zeuge zu weben vermag. Der Verbrauch der hierbei nöthigen Pappdeckel, deren Löcher das Muster vorzeichnen, ist so gross, dass die »Kartenschläger« in Chemnitz eine besondere Arbeiterklasse bilden. Dazu kommt noch, dass man jetzt mechanische Webstühle construirt, bei denen die Schifflein ohne Beihülfe der Menschenhand hin- und herfliegen und rasch und präcis arbeiten. – Während Chemnitz früher fast nur Kattun und Buntwaaren lieferte, so fertigt es seit Einführung des Jacquardstuhles auch prächtig-gemusterte Möbelstoffe, Tischdecken und Tücher.

Die Weberei rief wiederum die mit ihr in Zusammenhang stehenden Färbereien, Appreturanstalten und Druckereien hervor. Im Zeug- und Kattundruck wird die Menschenhand gleichfalls von der Maschine bekämpft. Und wie beim Buchdrucken die Handpresse vor der Schnellpresse das Feld räumen musste, so wird im Zeugdruck bald auch die Handarbeit durch die Maschinenarbeit verdrängt sein.

 

Die Strumpfwirkerei wird zwar in Chemnitz selbst nicht mehr betrieben, hat sich vielmehr nach dem umliegenden Gebiet gewandt, so dass fast in allen Orten von Zschopau bis Waldenburg und von Lössnitz bis Mittweida das eigenthümliche Schnarren des Wirkerstuhles ertönt. Nichts desto weniger ist Chemnitz für das gelieferte Fabrikat der Hauptstapelplatz; denn dieses kommt zum grössten Theile von hier in den Handel. – Auch in der Strumpfwirkerei sucht man die Handstühle durch Strumpfmaschinen, sogenannte Rundstühle, zu ersetzen, weil diese ihre Maschen ohne Unterbrechung knüpfen und darum schneller produciren.

Ein zweiter wichtiger Industriezweig, welchen Chemnitz bei sich heimisch gemacht hat, ist der Maschinenbau. Des Ortes grosser Bedarf an Spinn- u. Webemaschinen forderte dazu auf, ihre Herstellung nicht auf immer dem Auslande zu überlassen. Und so wurde denn 1826 die Maschinenfabrikation begonnen und nach und nach durch Rührigkeit, Ausdauer und Intelligenz zu voller Blüthe entwickelt. Die Stadt hat jetzt mehr als 50 Werkstätten und fertigt darin alle Arten von Maschinen: als Lokomotiven, Locomobilen, Kalorische Maschinen, Spinnmühlen, Rundstühle, Förderzeuge für Bergwerke, Pumpwerke, Feuerspritzen, Nähmaschinen, Werkzeugmaschinen, landwirthschaftliche Maschinen und dergl. mehr. Das Verzeichniss aller in Chemnitz gebauten Maschinen füllt mehrere Bogen und wird nichts Wichtiges aus der bezüglichen Branche vermissen lassen. Am grössten und vielseitigsten ist die Sächs. Maschinenbau-Anstalt (früher Richard Hartmann). Selbst dem, welcher an anderen Orten bereits Etablissements ähnlicher Art gesehen hat, ist ihr Besuch anzurathen. Was wird da geschmolzen und geschweisst, gefeilt, geschliffen und polirt! Was sind da für Bohr- und Stossapparate, für Drechsel- und Hobelmaschinen in Thätigkeit! Wird doch durch sinnreiche Mechanismen das Eisen hier mit einer Leichtigkeit bearbeitet, als wäre es weiches Holz! Am meisten staunt man aber über die Ruhe und Sicherheit, mit welcher all' diese cyklopischen Kräfte angestellt und geleitet werden. Unter den Tausenden von Beschäftigten verrichtet Jeder, unbekümmert um den Nachbar, nur seine eigene, besondere Arbeit, und dennoch entsteht, wenn ein Beauftragter die vielerlei Stücke und Stangen, Walzen und Räder, Schrauben, Nieten und Nägel planmässig mit einander verbindet, ein Werk, das von einem einzigen Manne gearbeitet zu sein scheint. Wer am Maschinenbau Interesse hat, thut wohl, auch den andern Anstalten, besonders der Chemnitzer Werkzeug-Maschinen-Fabrik (früher Zimmermann) einen Besuch zu machen.

Neben den vier genannten Hauptindustrien besitzt Chemnitz noch viele andere ansehnliche Fabriken: wie Wachstuch-, Blumen-, Lampen-, Regenschirm-, Spielkarten- und Harmonikafabriken, dann Drahtflechtereien, Nagelmaschinen und chemische Fabriken. »Ueberhaupt führt« – um mit dem Verfasser der Lebensbilder vom Sächs. Erzgebirge zu reden – »das Chemnitzer Adressbuch die reichste Musterkarte von Geschäften. Vom Bandage- und Billardfabrikanten geht es durch die Cigarre u. s. w. bis zum Zwirn fast durch alle Buchstaben des Alphabets.«

Durch dies Alles ist Chemnitz zum Mittelpunkte des industriellen Erzgebirges geworden. Wie der Körper vom Herzen die belebenden Pulsschläge erhält, so empfängt von Chemnitz aus der Gewerbfleiss unserer Gaugenossen die befruchtenden Anregungen. Die Stadt spart aber auch nicht Kosten, Mühen und Einrichtungen, um sich auf der Höhe ihrer Sendung zu behaupten. Dafür zeugen ihre technischen Schulen und die für Belebung und Veredelung der Industrie gestifteten Vereine. Denn Chemnitz hat eine höhere Gewerbschule, eine Webschule, eine Baugewerken- und Werkmeisterschule, eine Handelsschule und eine Sonntagsschule, welche sämmtlich für die Jugend bestimmt sind, und daneben den »Industrieverein«, die Permanente Ausstellung und die Kunsthütte, welche auf die Erwachsenen wirken sollen. – Möge Chemnitz auch fürder gedeihen! das der Wunsch, mit dem wir von des Erzgebirges industrieller Hauptstadt scheiden.

19Bockwa wurde durch den Kohlenbergbau zum reichsten Dorf Sachsens, ja vielleicht Deutschlands. Es hat eine prächtige Schule und eine noch prächtigere Kirche; seine Häuser gleichen eher grossstädtischen Palästen als ländlichen Wohnungen.