Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen

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Kurzworttypdeutsche Entsprechung
typerna el och bilKopfwörter, Endwörter, Rumpfwörter, diskontinuierliche Kurzwörter, gebundene Kürzungen, Kürzungskomposita
klammerformer(Klammerformen)
akronymer/initialordBuchstabierwörter, Lautinitialwörter, (Lehnkurzwörter), diskontinuierliche Kurzwörter, Mischkurzwörter, (Kunstwörter)
teleskopord(Wortkreuzungen)

Tabelle 15: Typologie schwedischer Kurzwörter nach Tekniska Nomenklaturcentralen 1977 mit deutschen Entsprechungen

Noch mehr terminologische Verwirrung stiftet die Arbeit von Stig Eliasson, die bei der Betrachtung eines phonologischen Prozesses – einer Konsonantengemination bei schwedischen Hypokorismen und manchen Kurzwörtern – das Thema Kurzwortbildung am Rande streift. Zum Phänomen der Kurzwortbildung heißt es dort: „stympning (även kallad reduktion, kortning eller ellips; om man mer vill rikta uppmärksamheten på den bevarade sekvensen, skulle man alternativt kunna tala om extrahering)“31 (Eliasson 1979:342). Für die Kürzungsprodukte fallen die Begriffe „ellipsord (stympord, reduktionsord eller kort­ord)“32 (343). Eliassons Formulierungen zeigen deutlich, dass im Schwedischen zu jenem Zeitpunkt keine etablierte Kurzwortterminologie vorhanden war, woran sich bis heute allerdings kaum etwas geändert hat.

Ein Beispiel für die terminologische Verquickung von Abkürzungen und Kurzwörtern liefert Sigurd (1979). In dem Aufsatz „Förkortningarna och det moderna samhället“ diskutiert Bengt Sigurd unter dem Begriff „förkortning“33 sowohl auf die Schrift beschränkte Abkürzungen als auch Buchstabierwörter und Lautinitialwörter. Dabei zeigt er durchaus ein Bewusstsein dafür, dass zwischen Abkürzungen und Kurzwörtern ein Unterschied besteht, da er „initialförkortningar eller akronymer“34 (5) gesondert erwähnt. Dennoch werden beide Phänomene auch im empirischen Teil, einer Frequenzuntersuchung, unter dem Begriff „förkortningar“ zusammengefasst, was die Empirie für die Kurzwortdiskussion quasi unbrauchbar macht, da nicht nachvollziehbar ist, welcher Anteil an Sigurds Abkürzungen auf Kurzwörter entfällt. Kurzwörter im engeren Sinne, also Kopfwörter, Endwörter und diskontinuierliche Kurzwörter, finden bei Sigurd dagegen keine Erwähnung. Kürzungskomposita wie i-land < industriland ‚Industrieland‘ werden als Kompositum einer Initialkürzung mit einem gewöhnlichen Lexem analysiert (6). Für Sigurd gehören zu den „förkortningar“35 also Abkürzungen und einige Kurzworttypen im Sinne der vorliegenden Arbeit, während andere nicht darunter fallen, was einmal mehr zeigt, dass ein einheitliches Verständnis der Begrifflichkeiten in der schwedischen Kurzwortforschung noch aussteht.

Auch in dem von Ralf Svenblad herausgegebenen „Norstedts förkortnings­ordbok“, das 1998 in der ersten und 2003 in der zweiten Auflage erschien, wird weder im einleitenden Text noch im Register zwischen Abkürzungen und Kurzwörtern differenziert. Unabhängig von der Aussprache unterscheidet Svenblad zwischen „avbrytningar“36 wie uppl. < upplaga ‚Auflage‘, „sammandragningar“37 wie ngt < något ‚etwas‘ und „initialförkortningar/akronymer“38 wie BVC < barnavårdscentral ‚Kinderfürsorgeamt‘ (Svenblad 2003:XI). Kürzungskomposita werden hier nicht als eigener Kürzungstyp, sondern als Komposita aus einer „initialförkortning“ und einem weiteren Lexem analysiert (XIII).

Einer der wenigen schwedischen Texte, der eine Differenzierung zwischen auf die Schrift begrenzten Abkürzungen und auch mündlich realisierbaren Kurzwörtern enthält, sind die von Språkrådet herausgegebenen „Svenska skrivregler“39. Allerdings unterscheidet sich auch hier die Einteilung von der in der deutschen Kurzwortforschung üblichen. Als Arten von „förkortningar“40 werden wie in „Nordstedts förkortningsordbok“ „avbrytningar“41 und „sammandragningar“42, die nur im schriftlichen Sprachgebrauch vorkommen, sowie „initialförkortningar“43, die schriftlich und mündlich realisiert werden können, unterschieden. Bei den Initialabkürzungen wird weiter zwischen einer Aussprache nach Buchstabennamen und einer phonetisch gebundenen Aussprache differenziert (Språkrådet 2008:142f.). Eine eigene Lautform haben daneben auch „kortord“44 wie temp < temperatur, die aus ursprünglich reinen Schriftkürzungen hervorgegangen sind. „Förkortningen har då blivit ett vanligt ord, ett kortord.“45 (141) Kurzwörter im engeren Sinne werden hier also deutlich von Akronymen abgegrenzt. Obwohl letztere auch eine eigene Aussprache aufweisen und dekliniert werden können, wird ihnen ein geringerer Wortcharakter zugestanden als Kurzwörtern im engeren Sinne, und sie werden mit den Abkürzungen gruppiert. Diese Einteilung wird in Tabelle 16 veranschaulicht.


förkortningkortord
avbrytningsammandragninginitialförkortning

Tabelle 16: Typologie schwedischer Kurzwörter nach Svenska skrivregler 2008

Eine kontrastive Ausrichtung in der schwedischen Kurzwortforschung findet sich erstmals bei Nübling (2001). In Ermangelung einer etablierten schwedischen Terminologie stützt sich Damaris Nüblings Vergleich von deutschen und schwedischen Kurzwörtern auf die deutsche Kurzwortforschung und lehnt sich im Hinblick auf die Kurzworttypologie an Ronneberger-Sibold (1992) an. In Nüblings Artikel werden viele interessante Aspekte der Kurzwortbildung thematisiert; ein besonderer Schwerpunkt liegt neben einer Vorstellung der verschiedenen Kurzworttypen auf phonologischen Eigenschaften deutscher und schwedischer Kurzwörter. Dabei weist Nübling wiederholt darauf hin, dass im Hinblick auf eine eingehendere Untersuchung schwedischer Kurzwörter eine Forschungslücke besteht (z.B. Nübling 2001:196), zu deren Schließung die vorliegende Arbeit beiträgt. Eine Diskussion schwedischer Kurzwörter in einem skandinavistischen Rahmen bieten Nübling/Duke (2007). Janet Duke und Damaris Nübling diskutieren hier Kurzwörter im Schwedischen, Dänischen, Norwegischen und Isländischen, wobei für keine der genannten skandinavischen Sprachen bislang eine systematische Kurzwortforschung existiert. Eine empirisch fundierte Kurzwortanalyse ist also für alle skandinavischen Sprachen ein Forschungsdesiderat.

Schließlich existieren zwei von Nübling (2001) inspirierte Abschlussarbeiten vom Anfang dieses Jahrtausends, die schwedische Kurzwörter ebenfalls aus einem kontrastiven Blinkwinkel diskutieren. Lemey (2002) beschäftigt sich vor allem mit deutschen und niederländischen Kurzwörtern, zieht jedoch immer wieder auch englische und schwedische Kurzwörter heran und kommt zu der Schlussfolgerung, dass niederländische Kurzwörter „im Hinblick auf strukturelle und morphologische Eigenschaften eine Zwischenposition zwischen deutschen und schwedischen Kurzwörtern“ (87) einnehmen. Wahl (2002) untersucht dagegen deutsche und schwedische Kurzwörter, die sie ebenfalls anhand deutscher Typologien klassifiziert und anschließend unter verschiedenen Aspekten diskutiert. Als einer der ersten Schritte beim Vergleich deutscher und schwedischer Kurzwörter ist die Arbeit von Gisela Wahl und die von ihr zusammengetragene Belegsammlung sehr hilfreich, auch wenn für eine intensivere schwedische Kurzwortforschung nach wie vor systematisch erstellte Korpora nötig sind, die einen detaillierteren Vergleich mit dem Deutschen ermöglicht. Dazu will die vorliegende Arbeit beitragen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Menge der Diskussionsbeiträge über schwedische Kurzwörter relativ gering ist und deutlich weniger Arbeiten existieren, die sich explizit mit Kurzwortbildung befassen, als dies für das Deutsche der Fall ist. Hinzu kommt, dass die wenigsten Arbeiten das gesamte Kurzwortphänomen, wie es in dieser Arbeit verstanden wird, im Blick haben. Häufig wird von vornherein nur ein Kurzworttyp betrachtet (z.B. Pseudoableitungen bei Inghult 1968 und Blume 1976 oder elliptische Kürzungen bei Wellander 1921), oder die Darstellung der Kurzwortbildung wird auf wenige Typen verkürzt (z.B. bei Kjellin 2005 auf Akronyme). Auch wenn die Kurzworttypologie im Deutschen nicht einheitlich ist, wie in Kapitel 2.4.1 erläutert wurde, herrscht im Vergleich zum Schwedischen dennoch eine relativ große Einigkeit über gewisse Grundbegriffe. So ist die im Deutschen übliche Abgrenzung von Abkürzungen und Kurzwörtern aufgrund des Kriteriums der eigenen Aussprache im Schwedischen nicht etabliert. Häufig wird „förkortning“46 als Oberbegriff für sowohl Abkürzungen als auch Kurzwörter gebraucht, teils sind mit diesem Begriff aber auch nur Abkürzungen und Akronyme bzw. wenige Kurzworttypen gemeint. Wenn der Begriff „kortord“47 überhaupt verwendet wird, bezeichnet er häufig nur Kurzwörter im engeren Sinne und wird „initialord“48 gegenübergestellt (so z.B. bei Josefsson 2001:64 oder Hultman 2003:34f.).49 Dass „kortord“ das gesamte Spektrum an Kurzworttypen abdeckt wie der deutsche Terminus „Kurzwörter“, kommt kaum vor. Als Besonderheit der schwedischen Diskussion ist weiter zu nennen, dass immer wieder der Begriff „ellips“ für das Phänomen der Kurzwortbildung verwendet wird (z.B. auch bei Malmgren 1994:72f.). Teils wird damit nur der Kürzungsprozess bezeichnet, teils aber auch die Resultate dieser Kürzung. Doch auch wenn die Rede von „ellips“ ist, herrscht bei den verschiedenen Autoren keine Einigkeit darüber, welche Kurzworttypen dazu gezählt werden.

Aus diesem Grund wird bei der vorliegenden Arbeit auf die im Vergleich zum Schwedischen doch recht homogene Terminologie der deutschen Kurzwortforschung zurückgegriffen und diese auch auf die schwedischen Belege ange­wendet. Abschließend werden in Tabelle 17 die in der schwedischen Literatur am häufigsten verwendeten Termini für Kurzwörter oder einzelne Kurzworttypen samt ihren deutschen Übersetzungen aufgeführt.

 

schwedischer Terminusdeutsche Übersetzung
ellipsEllipse
förkortningAbkürzung
initialord/initialförkortningInitialwort/Initialkürzung
akronymAkronym
kortordKurzwort
avbrytningUnterbrechung
teleskopordWortkreuzung
klammerformKlammerform

Tabelle 17: Termini der schwedischen Kurzwortforschung

Dass die konkreten Inhalte der einzelnen Begriffe bei der Verwendung durch unterschiedliche Autoren nicht zwangsläufig deckungsgleich sein müssen, dürfte in diesem Unterkapitel deutlich geworden sein. Auch wenn „Kurzwort“ die Übersetzung des schwedischen „kortord“ ist, können wie oben ausgeführt beträchtliche Unterschiede hinsichtlich des Bedeutungsumfangs bestehen.

3. Vorgehensweise und erste Ergebnisse

Für mehrere Arbeiten zur Kurzwortbildung im Deutschen wurden bereits empirische Kurzwortdaten erhoben (vgl. beispielsweise Kobler-Trill 1994, Ronneberger-Sibold 1992 oder Steinhauer 2000), was unabdingbar ist, wenn der tatsächliche Sprachgebrauch im Hinblick auf dieses Phänomen untersucht werden soll. Leider existieren für das Schwedische hingegen keine größeren Untersuchungen dieser Art, weshalb Damaris Nübling an verschiedenen Stellen ausdrücklich Analysen schwedischer Kurzwörter auf Grundlage einer größeren Datenmenge fordert, beispielsweise in Nübling (2001:196): „Auch hier wären eingehendere Untersuchungen vonnöten, ebenso was die Quantität von Kurzwörtern betrifft.“ Die vorliegende Arbeit liefert nun eine derartige größere Datenbasis, auf deren Grundlage dann vergleichende Aussagen über Kurzwörter im Deutschen und Schwedischen – auch in quantitativer Hinsicht – getroffen werden können.

Daher wurden für das Deutsche und das Schwedische je zwei Korpora erstellt. Dabei handelt es sich jeweils um ein Korpus aus Zeitungsdaten, das das Kernkorpus darstellt, sowie um eine Belegsammlung aus Wörterbuchdaten, die als Kontrollkorpus fungiert. Die Vorgehensweise bei der Erstellung der Korpora sowie erste Ergebnisse in Form der Häufigkeiten unterschiedlicher Kurzworttypen in den Untersuchungssprachen sollen im Folgenden kurz erläutert werden.

3.1 Zeitungskorpora

Die Datengewinnung erfolgte in zwei Schritten: Aus deutschen und schwedischen Tageszeitungen wurde je ein Zeitungskorpus erstellt, anhand dessen die tatsächliche Verwendung von Kurzwörtern im Sprachgebrauch untersucht werden konnte. Zusätzlich wurden aus deutschen und schwedischen Wörterbuchdaten Belegsammlungen erstellt, die als Kontrollkorpora dienen sollen (siehe Kapitel 3.2). Dass die Datengrundlage für die Kernkorpora aus Zeitungstexten besteht, hat mehrere Gründe. Zeitungstexte können als Abbild des gegenwärtigen Sprachgebrauchs angesehen werden, in dem sich auch aktuelle sprachliche Entwicklungen erkennen lassen (vgl. Ptashnyk 2009:4f.). Sie sind in der Regel in der Standardsprache abgefasst und somit variantenübergreifend, d.h. sie verzichten weitgehend auf reine fach- oder gruppensprachlichen Merkmale und Dialektgebrauch. Des Weiteren zeichnet sie eine thematische Vielfalt aus, wodurch die Gefahr vermindert wird, dass Belege eines bestimmtes Wortfeldes überrepräsentiert sind.

Allerdings ist die Frequenz mancher Kurzworttypen registerspezifisch. So werden wie bereits erwähnt manche Kurzworttypen wie Silbeninitialwörter oder Pseudoableitungen überwiegend in der mündlichen Kommunikation gebildet und sind daher in Zeitungstexten weniger häufig zu finden. Eine Untersuchung anderer Textsorten oder Kommunikationsformen wie z.B. von Chat oder gesprochener Sprache würde hinsichtlich der Frequenz dieser Kurzworttypen sicher zu etwas anderen Ergebnissen führen. Trotz dieser Einschränkung gilt, dass die Zeitungssprache für die Zwecke der vorliegenden Arbeit und die erstmalige systematische Betrachtung schwedischer Kurzwörter aufgrund der oben angeführten Vorteile meiner Meinung nach am besten geeignet ist.

Für die Zeitungskorpora der vorliegenden Untersuchung wurden die Süddeutsche Zeitung (SZ) und Dagens Nyheter (DN) als deutsche bzw. schwedische überregionale Tageszeitung mit hohem Verbreitungsgrad ausgewählt.1 Da sich die durchschnittlichen Ausgaben der Süddeutschen Zeitung und von Dagens Nyheter in ihrer Textmenge stark unterscheiden2, wurden 12 Ausgaben der SZ und 24 Ausgaben der DN ausgewertet, um in beiden Untersuchungssprachen ein ähnlich großes Textvolumen zu erreichen. Sämtliche analysierten Zeitungsausgaben stammen aus dem Mai 2010. Bei der Auswertung wurden nach der in Kapitel 2.3 dargelegten Abgrenzung sämtliche Kurzwörter inklusive Eigennamen erfasst, die in sämtlichen Artikeln, Überschriften, Bildunterschriften, Leserbriefen sowie zum Text gehörigen Tabellen der gesamten untersuchten Zeitungsausgabe vorkamen. Nicht berücksichtigt wurde lediglich der Text von Werbeanzeigen, Fernseh- und Radioprogrammen, Rätseln und Comics. Innerhalb jedes Teilkorpus wurden das jeweilige Kurzwort, seine Vollform sowie weitere relevante Informationen, etwa zu Wortart, Silbenzahl, Silbenstruktur, Pluralbildung etc. erfasst. Die Auswertung der Daten erfolgte in einer Tabellenkalkulation.

Als Grundlage für Aussagen über Häufigkeiten von Kurzwörtern und einzelnen Kurzworttypen wurde die gesamte Textmenge jedes Korpus in einer Hochrechnung überschlägig ermittelt. Dazu wurde je Zeitung – also für die Süddeutsche Zeitung und Dagens Nyheter – die Wortmenge einer gesamten Ausgabe gezählt und durch die Zahl der Textseiten dieser Ausgabe geteilt. Die somit ermittelte Zahl der Textwörter pro Zeitungsseite wurde mit der Anzahl der gesamten Textseiten für alle untersuchten Ausgaben multipliziert. Dadurch ergibt sich eine gesamte Menge von ca. 970000 Wörtern Zeitungstext für das Deutsche und von ca. 880000 Wörtern für das Schwedische. Im Vergleich zu anderen Korpora, die teilweise mehrere Millionen Textwörter umfassen, ist dies offensichtlich eine relativ geringe Menge. Dabei ist allerdings zu beachten, dass verschiedene Kurzwörter derart unterschiedliche Strukturen aufweisen können, dass die Suche nach Belegen in den Zeitungstexten nicht durch elektronisches Filtern durchgeführt werden konnte. Auf diese Weise hätte lediglich nach bereits bekannten Belegen gesucht werden können; neue, noch nicht erfasste Kurzwörter wären dabei allerdings unentdeckt geblieben. Um möglichst alle vorhandenen Kurzwortbelege extrahieren zu können, blieb eine manuelle Durchsicht der Texte die einzige Möglichkeit. Dieser hohe Aufwand diktierte die Grenzen des Umfangs dieser Korpora.3

Manche Kurzwörter wie dt. Auto < Automobil oder schwed. bil < automobil ‚Auto‘ sind in den untersuchten Zeitungstexten sehr häufig. Um zwischen den einzelnen Vorkommen eines bestimmten Kurzworts und dem Kurzwortlexem an sich unterscheiden zu können, wurde bei der Erfassung der Kurzwortbelege zwischen Types und Tokens unterschieden. Auto beispielsweise ist demnach ein Type, der im deutschen Zeitungskorpus in Gestalt von 278 Tokens vorkommt. In den untersuchten Ausgaben der Süddeutschen Zeitung wurden insgesamt 5945 Tokens Kurzwortbelege gefunden, die sich auf 449 unterschiedliche Types verteilen. Jeder Type kommt also im Schnitt 13 Mal vor. Setzt man die Menge der Kurzworttokens in Beziehung zu der geschätzten gesamten Wortzahl der deutschen Zeitungsausgaben, so ergibt sich, dass 0,61 % des deutschen Textvolumens aus Kurzwörtern besteht. Geringfügig höher ist die Menge der Kurzwörter in Dagens Nyheter. Hier enthält der Zeitungstext 6469 Kurzworttokens, was 0,74 % der Textmenge entspricht. Die schwedischen Tokens verteilen sich auf 384 Types; der einzelne schwedische Type ist also mit durchschnittlich knapp 17 Vorkommen etwas häufiger als sein deutsches Pendant. Diese Zahlen zeigen, dass sich der Anteil von Kurzwörtern im Zeitungstext in beiden Sprachen mit weniger als einem Prozent des Textvolumens auf einem ähnlichen Niveau bewegt.

Auffällig ist der hohe Anteil an Eigennamen unter den Kurzwortbelegen in beiden Sprachen, ganz besonders allerdings im Deutschen, wo Eigennamen sogar die Mehrheit der Zeitungsbelege ausmachen. 66,78 % der Belege aus der Süddeutschen Zeitung sind Eigennamen wie GEZ < Gebühreneinzugszentrale, lediglich ein Drittel der deutschen Zeitungsbelege ist den Appellativa zuzurechnen. Die Appellativa unter den Kurzwörtern spielen also im Sprachgebrauch der untersuchten deutschen Zeitungstexte verglichen mit den Eigennamen eine untergeordnete Rolle und stellen bezogen auf den gesamten deutschen Zeitungstext nur 0,2 % der Wörter. Bei den schwedischen Daten ist dagegen das Verhältnis zwischen Appellativa und Eigennamen etwas ausgewogener: Die knappe Mehrheit der schwedischen Zeitungsbelege sind Appellativa, die folglich 0,38 % des gesamten Zeitungstexts ausmachen. Durch Kurzwortbildung gebildete Eigennamen sind in den schwedischen Zeitungstexten zwar seltener als in den deutschen, dennoch entfällt knapp die Hälfte der erfassten schwedischen Kurzwortbelege auf Eigennamen wie ABF < Arbetarnas Bildningsförbund ‚Bildungsverband der Arbeiter‘. Da Eigennamen unter den Kurzwörtern also offensichtlich eine wichtige Rolle spielen, wird im Verlauf dieser Arbeit immer wieder gesondert auf Eigennamen eingegangen werden, auch wenn der Schwerpunkt der Untersuchung wie in Kapitel 2.3 erläutert auf Appellativa liegt. Tabelle 18 veranschaulicht die genaue Verteilung von Appellativa und Eigennamen in den beiden Zeitungskorpora.


KorpusWortschatzbereichprozentuale HäufigkeitTokensTypes
deutsches ZeitungskorpusAppellativa33,22 %1975161
Eigennamen66,78 %3970288
schwedisches ZeitungskorpusAppellativa51,62 %3339180
Eigennamen48,38 %3130204

Tabelle 18: Verteilung von Appellativa und Eigennamen in den Zeitungskorpora

Kobler-Trill (1994:154ff.) ermittelt in ihrer Arbeit für verschiedene Zeitungsjahrgänge eine sogenannte Kurzwortdichte, einen Quotienten, der die Zahl der Kurzwörter auf 1000 Wörter Zeitungstext angibt, wobei Kobler-Trill sich in ihrer Korpusuntersuchung auf Akronyme und Kürzungskomposita beschränkt und die Kurzwörter i.e.S. sowie einen Großteil der Kurzwortypen aus der Gruppe der Sonderfälle außer Acht lässt. Der von ihr ermittelte Quotient bewegt sich für ihre Auswertungen von Zeitungstexten aus dem Jahr 1989 je nach untersuchter Zeitung und Zeitungsteil zwischen 10,7 und 22,6. Rechnet man meine Ergebnisse aus der SZ auf Kobler-Trills Quotienten um, erhält man lediglich eine Kurzwortdichte von 6,13. Dieses Ergebnis ist zunächst überraschend, da nicht davon auszugehen ist, dass der Kurzwortgebrauch zwischen 1989 und 2010 stark abgenommen hat. Eine Erklärung für die Diskrepanz könnte zum einen darin liegen, dass sich Kobler-Trill nicht auf deutsche Kürzungen beschränkt, sondern auch Lehnkurzwörter aus anderen Sprachen wie engl. Nato < North Atlantic Treaty Organization und Laser < Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation in ihr Korpus aufgenommen hat, die zum Teil sehr frequent sind. Des Weiteren beziehen sich Kobler-Trills Zahlen nicht auf gesamte Zeitungsausgaben, sondern lediglich auf bestimmte ausgewählte Seiten wie Titelblatt, Wirtschafts- und Sportteil (150). Da in der vorliegenden Arbeit hingegen ganze Zeitungsausgaben ausgewertet wurden, gehen in mein Korpus auch Zeitungsteile wie das Feuilleton ein, die tendenziell eine sehr geringe Menge an Kurzwörtern aufweisen und somit die Gesamtfrequenz an Kurzwörtern senken. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auf Grund unterschiedlicher Ansätze zur Abgrenzung des betrachteten Phänomens und der unterschiedlichen Materialauswahl die Vergleichbarkeit der beiden deutschen Korpora leider sehr begrenzt ist. Für das Schwedische existiert meines Wissens bislang kein systematisch er­stelltes Kurzwortkorpus, mit dem ein Vergleich hätte vorgenommen werden können.

 

Wie sich im Folgenden zeigen wird, sind die einzelnen Kurzworttypen in den Kurzwortkorpora unterschiedlich stark vertreten. Daher lag es nahe, eine Unterscheidung zwischen gebräuchlichen und weniger gebräuchlichen Kurzworttypen vorzunehmen, um sich in den Analysen dieser Arbeit vor allem den gebräuchlichen Kurzworttypen widmen zu können, was in der bisherigen deutschen Kurzwortforschung noch keine Tradition hat. Zunächst wurde die Anwendbarkeit klassischer Verfahren der Korpuslinguistik wie der Produktivitätsberechnung nach Baayen (1992) oder der Ermittlung von Type-Token-Verhältnissen untersucht. Diese führen jedoch zu keinen verwertbaren Ergebnissen, was im Folgenden kurz skizziert werden soll. Mit Hilfe der Produktivitätsberechnung sollte die Wahrscheinlichkeit ermittelt werden, mit der Neubildungen nach dem untersuchten Wortbildungsmuster entstehen, wobei im vorliegenden Fall einzelne Kurzworttypen wie Buchstabierwörter, Kopfwörter und Endwörter als unterschiedliche Wortbildungsmuster aufgefasst werden. Hintergrund ist folgende Annahme: Entfallen bei einem Kurzworttyp viele Tokens auf nur wenige Types, ist davon auszugehen, dass es sich um etablierte Lexeme handelt, die „eine gewisse Formelhaftigkeit aufweisen“ (Scherer 2006:37) und dass kaum neue Bildungen nach diesem Muster gebildet werden. Finden sich unter den Types eines Wortbildungsmusters hingegen viele selten belegte Bildungen, ist es wahrscheinlich, dass das entsprechende Muster von Sprechern produktiv zur Bildung neuer Belege eingesetzt wird. Eine zentrale Rolle kommt dabei Hapax legomena zu, also Types, die nur ein einziges Mal im Korpus belegt sind. „Je höher der Anteil der Einmalbelege, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Muster Neubildungen hervorbringt.“ (Scherer 2006:37) In seiner zentralen Arbeit zu morphologischer Produktivität leitet Baayen (1992:115) die Formel her, mit der die Produktivität eines Wortbildungsmusters berechnet werden kann:

P = n1/N 4

P „expresses in a very real sense the probability that new types will be encountered when the item sample is increased.“ (Baayen 1992:115) Damit soll P ein Instrument darstellen, mit dem unabhängig von der tatsächlichen Anzahl von im Korpus belegten Types zwischen produktiven und unproduktiven Mustern unterschieden werden kann (117). P stellt jedoch keinen absoluten Wert in dem Sinne dar, dass man ab einem bestimmten Wert für P von der Produktivität eines Wortbildungsmusters ausgehen könnte. Stattdessen muss der ermittelte Wert immer zu den für andere Wortbildungsmuster ermittelten Werten in Relation gesetzt werden, um letztlich Aussagen darüber treffen zu können, ob ein bestimmtes Muster produktiv ist.

Bereits Baayen selbst weist allerdings auf Grenzen seines Verfahrens hin: So wird P bei sehr großen Datenmengen mit einer sehr hohen Zahl von Tokens immer kleiner und tendiert allmählich gegen Null, da die Wahrscheinlichkeit, noch nicht belegte Bildungen zu finden, immer geringer wird. Doch auch sehr kleine Datenmengen können problematisch sein. Ist ein Wortbildungsmuster nur in Gestalt weniger Tokens vertreten, worunter einige Hapax legomena sind, kann der Wert für P vergleichsweise hoch ausfallen, was jedoch in diesem Fall nicht zwangsläufig ein Zeichen für echte Produktivität ist. Bei einer nur geringen Belegzahl kann das Vorhandensein von Hapax legomena auf Zufall beruhen, oder die Hapax legomena können statt Neubildungen auch veraltete Lexeme sein, die nur noch selten gebraucht werden.

Die Berechnung der Produktivitätswerte (P-Werte) für die Belege meiner Zeitungskorpora führte zu widersprüchlichen Resultaten, die in den Tabellen 19 und 20 aufgeführt sind. Bereits auf den ersten Blick wird klar, dass diese Verhältnisse nicht die sprachliche Realität abbilden. Laut dieser Ergebnisse sind etwa deutsche Endwörter doppelt so produktiv wie Kopfwörter, und die sehr seltenen gebundenen Kürzungen sind der produktivste deutsche Kurzworttyp. Tatsächlich sind Buchstabierwörter einerseits viel frequenter und andererseits deutlich leichter zu bilden als die gebunden ausgesprochenen Lautinitialwörter, da sie deutlich weniger Restriktionen unterliegen. Dennoch haben deutsche Lautinitialwörter laut dieser Ergebnissen eine vier Mal so hohe Produktivität wie Buchstabierwörter. Im Schwedischen sind gemäß den ermittelten Werten Lautinitialwörter am produktivsten, während Buchstabierwörter nahezu völlig unproduktiv sind. Der Grund dafür, dass diese Ergebnisse nicht verwertbar sind, dürfte in den teilweise sehr geringen Belegzahlen zu suchen sein. Geringe Belegzahlen eines Wortbildungsmusters scheinen das Verfahren zur Produktivitätsberechnung unzuverlässig und äußerst anfällig für Zufälligkeiten zu machen. So erzielen gerade besonders schwach belegte Kurzworttypen wie deutsche Endwörter oder schwedische Rumpfwörter ungewöhnlich hohe Produktivitätswerte, da sich das Vorhandensein von Hapax legomena bei einer geringen Anzahl von Tokens relativ stark auswirkt.


deutsches ZeitungskorpusP-WertType-Token-Verhältnis
alle Belege0,021:13,24
Appellativa0,021:12,20
Eigennamen0,021:13,83
Buchstabierwörter (Appellativa)0,021:14,42
Lautinitialwörter (Appellativa)0,081:3,71
Silbeninitialwörter (Appellativa)0,151:2,71
Kopfwörter (Appellativa)0,011:14,36
Endwörter (Appellativa)0,021:24
diskontinuierliche Kurzwörter (Appellativa)01:8
Pseudoableitungen (Appellativa)0,021:15,5
Kürzungskomposita (Appellativa)0,031:9,26
gebundene Kürzungen (Appellativa)0,331:1,5
elliptische Kürzungen (Appellativa)0,061:8,58

Tabelle 19: Produktivitätswerte und Type-Token-Verhältnisse im deutschen Zeitungskorpus


schwedisches ZeitungskorpusP-WertType-Token-Verhältnis
alle Belege0,021:16,85
Appellativa0,021:18,55
Eigennamen0,021:15,34
Buchstabierwörter (Appellativa)0,0091:38,5
Lautinitialwörter (Appellativa)0,61: 1,25
Silbeninitialwörter (Appellativa)0,141:3,5
Kopfwörter (Appellativa)0,031:9,16
Endwörter (Appellativa)0,0031:155,5
Rumpfwörter (Appellativa)0,171:2
diskontinuierliche Kurzwörter (Appellativa)0,011:11,43
Pseudoableitungen (Appellativa)0,041:5
Kürzungskomposita (Appellativa)0,031:9,12
gebundene Kürzungen (Appellativa)0,061:7,71
elliptische Kürzungen (Appellativa)0,021:14,26

Tabelle 20: Produktivitätswerte und Type-Token-Verhältnisse im schwedischen Zeitungskorpus

Baayen (1992:122ff.) versucht die Abhängigkeit des Produktivitätswerts von der Anzahl der Tokens dadurch auszugleichen, dass er zum errechneten P-Wert die Anzahl der Types eines Wortbildungsmusters hinzuzieht und damit die globale Produktivität ermittelt. Für die Zeitungsdaten der vorliegenden Arbeiten wurden daher auch die Types durch Ermittlung der Type-Token-Verhältnisse berücksichtigt, was sich jedoch ebenfalls als problematisch herausstellte. Theoretisch müsste – wie oben dargelegt – ein geringes Type-Token-Verhältnis ein Anzeichen dafür sein, dass ein Wortbildungsmuster rege genutzt wird. Dass dies nicht pauschal gilt, zeigen die Auswertungen meiner Zeitungskorpora (siehe die rechten Spalten der Tabellen 19 und 20). Demnach ist ein niedriges Verhältnis von Types zu Tokens nicht zwangsläufig ein Zeichen für spontane, neue Bil­dungen mit dem Potential für viele Neubildungen; es kann sich auch ganz profan um ein seltenes Muster handeln, das aber nicht gleichzeitig hochfrequent ist. Bei deutschen gebundenen Kürzungen ist beispielsweise davon auszugehen, dass sie nur wenig produktiv sind. Gleichzeitig sind sie auch selten (6 Tokens auf 4 Types). Das bedeutet aber nicht, dass sie ein produktives Wortbildungsmuster wären, das viele spontane Neubildungen hervorbringt. Ebenso wenig spricht ein hohes Type-Token-Verhältnis zwingend für ein erstarrtes, formelhaftes Wortbildungsmuster. Es ist durchaus möglich, dass ein Wortbildungsmuster einige hochfrequente Types hervorgebracht hat, die durchaus formelhaft sind, daneben aber auch spontane Neubildungen hervorbringt. So sehe ich die Sachlage etwa bei deutschen Buchstabierwörtern und Kopfwörtern, die aufgrund einiger hochfrequenter Types wie WM < Weltmeisterschaft und Auto < Automobil ein recht hohes Type-Token-Verhältnis haben, aber dennoch alles andere als unproduktive, erstarrte Wortbildungsmuster sind, sondern meiner Einschätzung nach die zentralen Mittel für Neubildungen bei deutschen Kurzwörtern darstellen.

Aufgrund der teilweise sehr geringen Belegzahlen mancher Kurzworttypen und der oben skizzierten Problempunkte ergab sich also, dass weder die Produktivitätsberechnung nach Baayen noch die Berücksichtigung der Type-Token-Verhältnisse für die Zwecke dieser Untersuchung das passende Instrument waren, um zwischen gebräuchlichen und weniger gebräuchlichen Kurzwortypen zu differenzieren. Eine Unterscheidung zwischen unterschiedlich stark genutzten Kurzworttypen sollte dennoch vorgenommen werden, wozu in Anlehnung an Ronneberger-Sibold (1992)5 diejenigen Kurzworttypen, die bei den Appellativa der Zeitungskorpora mit bis zu fünf Types belegt sind, als wenig frequent klassifiziert wurden. Auch Baayen (1992:123ff.) weist darauf hin, dass die Typenfrequenz ein Instrument bei der Beurteilung der Produktivität von Wortbildungsprozessen sein kann. Insgesamt wurden drei Frequenzstufen unterschieden: Kurzworttypen mit geringer Frequenz, die mit bis zu fünf Types belegt sind, Typen mit mittlerer Frequenz mit zwischen sechs und zehn Belegen und Kurzworttypen mit hoher Frequenz, von denen mehr als zehn Types verzeichnet sind.6 Diese Differenzierung lieferte die folgenden Ergebnisse, die in den Tabellen 21 und 22 zusammengestellt sind. Mit der Konzentration auf Types bei der Berücksichtigung gebräuchlicher Kurzworttypen werden genau jene Kurzworttypen als hochfrequent markiert, die man intuitiv als besonders elementar eingestuft hätte und die auch in der bisherigen Kurzwortforschung prominent diskutiert wurden.

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