Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen

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2.2 Typologie deutscher und schwedischer Kurzwörter

Ehe in Kapitel 2.3 das Phänomen der Kurzwortbildung von verwandten Phänomenen abgegrenzt wird und in Kapitel 2.4 ein Überblick über die bisher erfolgte Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern gegeben wird, soll zunächst die in dieser Arbeit verwendete Kurzworttypologie vorgestellt werden. Da bei der Diskussion der bisherigen Kurzwortforschung immer wieder einzelne Kurzworttypen zur Sprache kommen werden, ist es sinnvoll, dem Forschungsüberblick und der Abgrenzung des Phänomens eine Diskussion der einzelnen Kurzworttypen voranzustellen, sodass die in dieser Arbeit verwendete Terminologie geklärt ist und sich etwaige abweichende Einteilungen anderer Autoren besser einordnen lassen. Da sich besonders die deutsche Kurzwortforschung sehr intensiv mit Kurzworttypologien befasst hat, sind die Diskussion der Klassifikation und der dazu erfolgten Forschung natürlich eng miteinander verzahnt, wodurch sich einzelne Doppelungen nicht ausschließen lassen.

Was die Klassifizierung von Kurzwörtern betrifft, herrscht in der Forschungsliteratur keine Einigkeit. Im Wesentlichen lassen sich zwei Ansätze mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung unterscheiden, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Dem ersten Ansatz folgen für das Deutsche Autoren wie Bellmann (1980), Kobler-Trill (1994), die in ihren Arbeiten eine sehr differenzierte und komplexe Typologie der unterschiedlichen Typen von Kurzwörtern erstellt, und Fleischer/Barz (2007). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie vom Verhältnis von Kurz- und Vollform ausgehen und primär zwischen uni- und multisegmentalen Kurzwörtern unterscheiden, wobei Erstere aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform, Letztere aus mehreren diskontinuierlichen Elementen bestehen. Unisegmentale Kurzwörter werden weiter danach untergliedert, welcher Teil der Vollform als Kürzung erhalten bleibt und bilden dementsprechend Kopfwörter, Rumpfwörter und End- oder Schwanzwörter. Multisegmentale Kurzwörter werden häufig danach klassifiziert, welcher Art die aus der Vollform entnommenen Elemente sind, ob es sich beispielsweise um Initialen oder Silbenteile handelt, und danach, ob die Kurzwörter als Buchstabenfolge oder lautlich gebunden ausgesprochen werden. Zu kritisieren ist bei solchen Ansätzen vor allem die uneinheitliche Vorgehensweise, da für ein- und dieselbe Ebene der Hierarchie unterschiedliche Kriterien Anwendung finden. Bei unisegmentalen Kurzwörtern ist beispielsweise die Position in der Vollform ein Klassifizierungskriterium, bei den multisegmentalen Kurzwörtern dagegen unabhängig von der Position die Qualität des Segments – also Buchstabe, Silbe/Silbenteil oder Morphem – und die Aussprache.1

Im Gegensatz dazu richtet eine andere Forschungsrichtung ihr Augenmerk verstärkt auf die Struktur des Kürzungsproduktes, ohne jedoch den Kürzungsprozess auszuschließen. Dieser Ansatz findet sich erstmals bei Ronneberger-Sibold (1992) und wird von Nübling (2001) und Nübling/Duke (2007) aufgegriffen. Ebenso folgen Wahl (2002) sowie Leuschner (2008) der von Nübling modifizierten Klassifikation. Dieser Einteilung, die in den Arbeiten von Nübling, Wahl und Leuschner bereits auf schwedische Kurzwörter bezogen wurde, soll auch diese Arbeit folgen, da angesichts des in Kapitel 2.4 näher ausgeführten terminologischen Wirrwarrs die Etablierung einer zumindest annähernd einheitlichen Terminologie wünschenswert ist. Dies gilt in besonderem Maße für die Diskussion der noch wenig erforschten schwedischen Kurzwörter. Hier soll an die in den oben genannten Arbeiten erfolgte fruchtbare Diskussion angeknüpft und diese weitergeführt werden. Darüber hinaus erachte ich es für sinnvoll, auch den sprachlichen Output zu berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass den Sprechern nahezu jedes sprachlich komplexe Material als Grundlage für eine Kürzung dienen kann und dass die Kürzungsprodukte bevorzugt eine bestimmte lautliche Gestalt aufweisen, die einzelsprachlich unterschiedlich sein kann. Daher sollte sich eine Klassifizierung nicht ausschließlich auf das Verhältnis von Kurz- und Vollform stützen, sondern die Struktur der Kurzwörter einbeziehen.2

Was die Terminologie angeht, treten die Vertreter dieses Ansatzes jedoch nicht für eine völlige Abkehr von etablierten Begriffen ein. Etliche Begriffe wie „Kopfwort“ für Kürzungen des Typs Abi < Abitur nehmen Bezug auf die Stelle, die das Kurzwort ursprünglich in der Vollform eingenommen hat. Dies führt dazu, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Typologien bei der Benennung einzelner Kurzworttypen häufig eher gering erscheinen und es diverse Überschneidungen zwischen Klassifikationsansätzen der verschiedenen Autoren gibt. Die Gegensätze zwischen einzelnen Ansätzen werden vor allem bei der Zuordnung mehrerer Kurzworttypen zu Kurzwortgruppen deutlich. Zu der Kurzwortgruppe der Kurzwörter im engeren Sinne bei Nübling (2001) gehören beispielsweise nicht nur unisegmentale Kurzwörter, sondern auch diskontinuierliche Kurzwörter wie Flak < Flugabwehrkanone, die aus verschiedenen Elementen der Vollform bestehen. In einer Typologie, die lediglich von der Beziehung des Kurzworts zur Vollform ausgeht, müssten solche Belege hingegen mit Buchstabierwörtern wie Kfz < Kraftfahrzeug gruppiert werden, die ebenfalls aus mehreren Segmenten der Vollform bestehen. Der Hauptunterschied liegt also in der Herangehensweise bei der Typologisierung: Während bei einer Klassifikation wie der von Kobler-Trill (1994) der Kürzungsprozess den alleinigen Ausgangspunkt der Klassifikation darstellt, wird bei den Ansätzen nach Ronneberger-Sibold (1992) außerdem das Kürzungsprodukt, also der Output des Kürzungsprozesses, berücksichtigt. Leuschner (2008:250) weist darauf hin, dass sich eine derartige den Output integrierende Typologie besonders gut für kontrastive Untersuchungen eignet, da sie genau die Kurzworttypen zu einer Kurzwortgruppe – diejenige der Kurzwörter im engeren Sinne – zusammenfasst, die bei Vergleichen phonologischer Aspekte die interessantesten Ergebnisse liefern. Daher nutzt auch die vorliegende sprachvergleichende Arbeit die in Nübling (2001:170–184) beschriebene Typologie, die in Tabelle 1 dargestellt ist.


Kurzwörter i.w.Seigentliche KürzungenAkronymeBuchstabierwörter
Lautinitialwörter
Silbeninitialwörter
Kurzwörter i.e.S.Kopfwörter
Endwörter
diskontinuierliche Kurzwörter
SonderfällePseudoableitungen
Kürzungskomposita
gebundene Kürzungen
elliptische Kürzungen

Tabelle 1: Typologie deutscher Kurzwörter nach Nübling 2001:172

Die Unterscheidung zwischen eigentlichen Kürzungen und Sonderfällen als Zwischenebene geht auf Ronneberger-Sibold (1992) zurück, da sie neue, frei vorkommende Wortwurzeln von solchen Kürzungen unterscheidet, die entweder nur gebunden vorkommen, bei denen gleichzeitig Suffigierung erfolgt oder die nach morphologischen Gesichtspunkten gekürzt sind (vgl. Nübling 2001:172). Auch wenn diese Unterscheidung für die vorliegende Arbeit nicht zentral ist, erleichtert eine derartige Aufteilung der einzelnen Kurzworttypen in die Kurzwortgruppen Akronyme, Kurzwörter i.e.S. und Sonderfälle die Handhabung und wird daher beibehalten. Wenn in dieser Arbeit von Kurzwörtern die Rede ist, sind damit jedoch stets die Kurzwörter im weiteren Sinne – also sämtliche Kurzworttypen – gemeint. Wo nur Kurzwörter i.e.S. gemeint sind, wird dies explizit erwähnt.

Auch wenn Nüblings Einteilung aus Gründen der Kontinuität komplett übernommen wird, lassen sich doch vereinzelt Kritikpunkte vorbringen, die allerdings bereits auf Ronneberger-Sibolds (1992:7–17) Kategorisierung zurückgehen. So liegen den verschiedenen Kurzwortgruppen verschiedene Klassifizierungskriterien zugrunde. Die Kurzwörter im engeren Sinne gehen aus unterschiedlichen Kürzungsprozessen hervor, ähneln sich aber im Output und bilden daher eine Kurzwortgruppe. Silbeninitialwörter und Lautinitialwörter werden hingegen nach der Bildungsweise zu den Akronymen gerechnet, auch wenn sie strukturell mehr Gemeinsamkeiten mit den Kurzwörtern im engeren Sinne als mit Buchstabierwörtern aufweisen (vgl. das Kopfwort Sani < Sanitäter mit dem Silbeninitialwort Schiri < Schiedsrichter und dem Lautinitialwort Ufo < unbekanntes Flugobjekt).

Des Weiteren kann etwa der Begriff des Kürzungskompositums missverstanden werden. Zu verstehen ist er als Kompositum, dessen Erstglied aus einer Kürzung besteht. Er könnte jedoch auch dahingehend interpretiert werden, dass einem Kürzungskompositum ein Kompositum zugrunde liegen muss, das dann teilweise gekürzt wird. Diese Auffassung wäre jedoch unpräzise und würde nicht alle möglichen Fälle abdecken. Kürzungen wie E-Musik und H-Milch liegt zum Beispiel als Vollform kein Kompositum zugrunde, sondern die Phrase ernste Musik bzw. haltbare Milch. Auch im Schwedischen sind derartige Belege nicht zwangsläufig Kürzungen eines Kompositums, vgl. no-ämnen < naturorienterande ämnen ‚naturwissenschaftliche Schulfächer‘. Um der terminologischen Kontinuität willen wird der Begriff des Kürzungskompositums allerdings trotzdem beibehalten.

Auch der Typ der Silbeninitialwörter, bei anderen Autoren auch Silbenkurzwörter oder Silbenwörter genannt, muss kritisiert werden. Der Begriff impliziert, dass ganze Silben aus der Vollform in das Kurzwort eingehen, während dies jedoch äußerst selten der Fall ist. In der Regel besteht ein sogenanntes Silbenwort lediglich aus Silbenteilen der Vollform. In Schupo < Schutzpolizei wird beispielsweise von der ersten Silbe nur der Onset und der Silbenkern ohne die Koda übernommen; die vollständige erste Silbe der Vollform lautet Schutz. Gemeint ist mit diesem Begriff dagegen vermutlich, dass bei Kurzwörtern diesen Typs alle Silben des Kurzworts als Ganzes aus der Vollform entnommen wurden, was sich durch diesen Terminus jedoch nicht unmittelbar erschließt. Da aber trotz dieses Einwands die überwiegende Mehrheit der Autoren von Silbenwörtern, Silbeninitialwörtern oder Silbenkurzwörtern spricht, soll diese Begrifflichkeit auch in der vorliegenden Arbeit beibehalten werden und von Silbeninitialwörtern die Rede sein. Um den terminologischen Apparat nicht noch weiter zu belasten, wurden sämtliche Einzeltypen aus Nüblings Typologie mit ihren Bezeichnungen übernommen.

 

Während im Deutschen verschiedene ausdifferenzierte Typologien miteinander konkurrieren, existiert für das Schwedische keine einheitliche, etablierte Typologie. In der linguistischen Forschung zum Schwedischen wurde die Kurzwortbildung bislang generell nur wenig thematisiert (siehe dazu ausführlicher Kapitel 2.4.2). Im Hinblick auf die Terminologie ist die Situation im Schwedischen noch unklarer als im Deutschen, da dort verschiedene Begriffe wie „förkortning“, „stympning“, „avbrytning“, „ellipsord“, „initialord“ und „kortord“3 bei unterschiedlichen Autoren teilweise synonym oder auch als Ober- oder Unterbegriffe voneinander verwendet werden. Aus diesem Grund soll nach dem Vorbild von Nübling (2001) die für diese Arbeit etablierte deutsche Terminologie auch der Ausgangspunkt für die Analyse der schwedischen Belege sein. Wo in der Literatur bereits schwedische Termini für einen bestimmten Kurzworttyp vorgeschlagen wurden, werden diese im entsprechenden Unterkapitel erwähnt. In den folgenden Unterkapiteln sollen daher die in dieser Arbeit verwendeten Kurzworttypen nach Nübling (2001) anhand deutscher und schwedischer Beispiele vorgestellt werden.

2.2.1 Akronyme

Zur Gruppe der Akronyme zählen nach Nübling (2001:171–174) Buchstabierwörter, Lautinitialwörter und Silbeninitialwörter. Gemeinsam ist diesen Typen, dass das Kurzwort aus mehreren initialen Segmenten der Vollform (Buchstaben, Lauten oder Silbenteilen) besteht. Nach der Terminologie von Kobler-Trill (1994) handelt es sich bei Akronymen durchweg um multisegmentale Kurzwörter. Bis auf den Typ der Silbeninitialwörter werden Akronyme kaum spontan im mündlichen Sprachgebrauch gebildet, sondern entstehen meist in der Schriftsprache, da zur Bildung von Akronymen in sehr viel höherem Maße Bezug auf die morphologische Ausgangsstruktur genommen werden muss als bei der Bildung von Kurzwörtern i.e.S. Ronneberger-Sibold (1992:64) formuliert es folgendermaßen: „Die Akronymie ist also in mehreren Hinsichten eine sehr viel intellektuellere Kürzungstechnik als die Bildung von Kurzwörtern1.“ Trotz der unterschiedlichen Bildungsweise unterscheiden sich Akronyme in vielen Punkten nicht grundlegend von Kurzwörtern im engeren Sinne. Im Lauf der Arbeit wird sich zeigen, dass Akronyme etwa in phonologischer Hinsicht zum Großteil die bei Kurzwörtern im engeren Sinne beobachteten Präferenzen teilen. Es ist also durchaus gerechtfertigt, sie als Teil der Kurzwortbildung zu betrachten.

2.2.1.1 Buchstabierwörter

Bei Buchstabierwörtern werden die Anfangsbuchstaben von Bestandteilen der Vollform, zum Beispiel von Lexemen einer Wortgruppe oder Morphemen eines Kompositums, zu einem Kurzwort zusammengefügt und mit den entsprechenden Buchstabennamen ausgesprochen. Die Aussprache der Buchstaben des deutschen und schwedischen Alphabets ist in Tabelle 2 angegeben. Wie daraus zu erkennen ist, gibt es dabei bis auf wenige Unterschiede große Übereinstimmungen zwischen den Untersuchungssprachen. Im Deutschen haben 19 von 29, im Schwedischen sogar 22 von 29 Buchstabennamen einen vokalischen Auslaut. Dies ist besonders im Hinblick auf die Silbenstruktur der Kurzworttypen der Buchstabierwörter und Kürzungskomposita (siehe Kapitel 4.2) von Bedeutung, da Kurzwörter, die ganz oder teilweise mit Buchstabennamen gebildet werden, zwangsläufig einen hohen Anteil offener Silben enthalten.


das schwedische Alphabet
A [aː]A [ɑː]
B [beː]B [beː]
C [tseː]C [seː]
D [deː]D [deː]
E [eː]E [eː]
F [ɛf]F [ɛf]
G [geː]G [geː]
H [haː]H [hoː]
I [iː]I [iː]
J [jɔt]J [jiː]
K [kaː]K [koː]
L [ɛl]L [ɛl]
M [ɛm]M [ɛm]
N [ɛn]N [ɛn]
O [oː]O [ɷː]
P [peː]P [peː]
Q [kuː]Q [kʉː]
R [ɛr]R [ær]
S [ɛs]
T [teː]T [teː]
U [uː]U [ʉː]
V [faʊ]V [veː]
W [veː]
X [iks]X [ɛks]
Y ['ʏpsilɔn]Y [yː]
Z [t͡sɛt]Z [ˇsɛːta]
Ä [ɛː]Å [oː]
Ö [øː]Ä [ɛː]
Ü [yː]Ö [øː]

Tabelle 2: deutsches und schwedisches Alphabet

Beispiele für propriale und appellativische deutsche und schwedische Buchstabierwörter finden sich in Tabelle 3. Dieser Kurzworttyp ist im Deutschen sehr produktiv und deutlich häufiger als im Schwedischen, wie in Kapitel 3 deutlich werden wird.


deutsche Buchstabierwörterschwedische Buchstabierwörter
AOK < Allgemeine OrtskrankenkasseAIK < Allmänna Idrottsklubben ‚allgemeiner Sportklub‘
GEZ < GebühreneinzugszentraleFP < Folkpartiet Liberalerna ‚Volkspartei die Liberalen‘
IHK < Industrie- und HandelskammerKTH < Kungliga Tekniska Högskolan ‚Königlich Technische Hochschule‘
MG < Maschinengewehrmc < motorcykel ‚Motorrad‘

Tabelle 3: deutsche und schwedische Buchstabierwörter

Typischerweise werden Eigennamen wie Namen von Organisationen auf diese Weise gebildet, z.B. dt. VDMA < Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau und schwed. LRF < Lantbrukarnas riksförbund ‚Reichsverband der Landwirte‘. Zum einen legen es deren oft sehr komplexe Vollformen nahe, eine gekürzte Form zu bilden, die in der Alltagskommunikation leichter zu handhaben ist. Des Weiteren ist die Akronymisierung eine Opakisierungsstrategie, mit der appellativische Interpretationen verhindert werden, die möglicherweise nicht mehr mit dem Referenten kompatibel sind, weil sich beispielsweise die Produktpalette oder die Ausrichtung der Organisation geändert hat.

Doch auch appellativische Buchstabierwörter werden in beiden Untersuchungssprachen durchaus gebildet, z.B. dt. AB < Anrufbeantworter oder schwed. vd < verkställande direktör ‚Geschäftsführer‘. Während diese im Deutschen recht häufig sind, ist ihre Frequenz im Schwedischen dagegen deutlich geringer; dort werden für Appellativa eher andere Kürzungsarten bevorzugt.

Im Schwedischen ist bei Belegen dieses Typs die Rede von „initialord“4 (z.B. bei Laurén 1972:3), „initialförkortningar“5 oder „akronymer“6, wobei in der gesamten Kurzwortterminologie im Schwedischen noch klare Abgrenzungen und etablierte Begrifflichkeiten fehlen, wie in Kapitel 2.4.2 erläutert wird.

Nübling (2001:173) weist darauf hin, dass das Schwedische einen Sondertyp der Buchstabierwörter kennt, bei dem die Schreibung der Aussprache angenähert wird, indem die Buchstabennamen ausgeschrieben werden. Das auch im Deutschen existierende Kurzwort TV < Television wird im Schwedischen demnach teve geschrieben. Dasselbe gilt für behå < bysthållare ‚Büstenhalter‘. Dieses Verfahren ist dem Deutschen nicht grundsätzlich unbekannt, wird jedoch bei Appellativa nicht angewandt. Es finden sich lediglich Beispiele für Eigennamen nach diesem Muster, so Vaude < von Dewitz und Edeka < Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin.

Ein weiterer Sonderfall der Buchstabierwörter, der bislang in der Forschungsliteratur noch nicht beschrieben wurde, ist im Schwedischen zu beobachten. Diese Belege, die ich hier als teilgebundene Buchstabierwörter bezeichnen möchte, werden wie gewöhnliche Buchstabierwörter gebildet, es wird jedoch nur ein Teil des Kurzworts mit Buchstabennamen ausgesprochen und ein weiterer Teil phonetisch gebunden, z.B. KTIB < Konsumenternas tele-, tv- och internetbyrå7 ‚Beratungsdienst für Medienkonsumenten‘ mit der Aussprache [koːtib] oder HSAN < Hälso- och sjukvårdens ansvarsnämnd ‚Amt für medizinische Verantwortung‘ mit der Aussprache [hoːsan]. Teilgebundene Buchstabierwörter stellen damit eine Art Mischung aus Buchstabierwörtern und Lautinitialwörtern dar. Bei sämtlichen in den Korpora dieser Arbeit verzeichneten Belegen dieses Typs handelt es sich um Eigennamen. Appellativa dieses Typs sind bislang nicht belegt.

2.2.1.2 Lautinitialwörter

Die Bildungsweise von Lautinitialwörtern ist identisch mit der von Buchstabierwörtern; die beiden Typen unterscheiden sich lediglich in der Aussprache. Lautinitialwörter werden als phonetisch gebundene Wörter ausgesprochen. Auch dieser Typ kommt in beiden Sprachen vor, er ist allerdings deutlich seltener als die häufigen Buchstabierwörter, da seine Bildung sehr viel stärkeren Restriktionen unterliegt. Während innerhalb eines Buchstabierworts im Grunde alle Buchstabenkombinationen möglich sind, müssen bei der Bildung eines Lautinitialworts die Initialen der Vollform so gewählt werden, dass sie ein in der jeweiligen Sprache aussprechbares und phonologisch wohlgeformtes Wort ergeben. Tabelle 4 enthält Beispiele für propriale und appellativische deutsche und schwedische Lautinitialwörter.


deutsche Lautinitialwörterschwedische Lautinitialwörter
APO < außerparlamentarische OppositionBris < Barnens rätt i samhället ‚schwed. Kinderschutzorganisation‘
Bams < Bild am SonntagSifo < Svenska Institutet för opinionsundersökningar ‚schwed. Meinungsforschungsinstitut‘
GAU < größter anzunehmender UnfallFoU < forskning och utveckling ‚Forschung und Entwicklung‘
vab < vård av sjukt barn ‚Freistellung von der Arbeit zur Pflege eines kranken Kindes‘

Tabelle 4: deutsche und schwedische Lautinitialwörter

In einigen Fällen wird nicht nur ein Anfangsbuchstabe, sondern ein etwas größerer Teil der Vollform übernommen. So wird etwa bei dt. AStA < Allgemeiner Studentenausschuss die silbeninitiale Konsonantenverbindung <st> übernommen.2 Dadurch bleibt der Zusammenhang zur Vollform besser erhalten, was bei der schriftlichen Kommunikation dem Leser die Verarbeitung erleichtert. Bei Belegen wie DEFA < Deutsche Film-AG wird neben reinen Initialen auch eine initiale Verbindung aus zwei Graphemen in die Kurzform übernommen, um deren Aussprechbarkeit als Lautinitialwort zu gewährleisten.3 Einen Sonderfall stellt der deutsche Beleg Dax < Deutscher Aktienindex dar. Hier gehen die Initialen der ersten beiden Morpheme der Vollform in das Kurzwort ein; statt der dritten Initiale enthält die Kurzform jedoch das finale Graphem <x>. Dadurch erhält das Lautinitialwort eine geschlossene statt eine offene Silbe. Es ist jedoch anzunehmen, dass in erster Linie die prägnantere Gestaltung des Schriftbilds ausschlaggebend für diese Bildungsweise war. Möglicherweise soll <x> Technik und Fortschritt evozieren.

Im Schwedischen werden Lautinitialwörter in der Regel wie auch Buchstabierwörter „initialord/initialförkortningar“4 oder „akronymer“5 genannt. Meist wird begrifflich nicht zwischen Buchstabierwörtern und Lautinitialwörtern differenziert. Interessanterweise spricht Laurén (1972:7) für das Schwedische nur bei Lautinitialwörtern von Akronymen: „akronymerna, dvs. initialord, där bokstavsföljden kan läsas som ett ord“6 und betont: „Man bör ytterligare observera att akronymer egentligen inte är liktydigt med initialord, utan endast en underavdelning av dem.“7 (3) Lauréns Kategorisierung dieser Kurzworttypen ist damit genau gegensätzlich zu der in dieser Arbeit vorgenommenen. Während bei ihm ein Akronym ein Untertyp eines Initialworts ist, ist in dieser Arbeit Akronym der Oberbegriff, unter dem verschiedene Arten von Initialwörtern zusammengefasst werden.

 

Durch die gebundene Aussprache beansprucht im Gegensatz zu den Buchstabierwörtern nicht jede aus der Vollform entnommene Initiale eine eigene Silbe, sodass hier Kurzwortbildungen mit einer geringeren Silbenzahl als im Fall der Buchstabierwörter entstehen. So sind auch einsilbige Lautinitialwörter möglich, während es zumindest im Deutschen keine einsilbigen Buchstabierwörter gibt, die aus nur einer Initiale bestehen müssten. Diese sind im Schwedischen belegt, aber auf die Parteinamen beschränkt (siehe dazu Kapitel 4.1.2). Bei einigen deutschen Kurzwörtern ist eine alternative Aussprache als Buchstabierwort oder als Lautinitialwort möglich, beispielsweise bei RAF < Rote Armee Fraktion oder FAZ < Frankfurter Allgemeine Zeitung. Für das Schwedische sind mir keine derartigen Beispiele bekannt.

Durch den Typ der Lautinitialwörter können beabsichtigt oder unbeabsichtigt Homonymien zu Lexemen des Normalwortschatzes entstehen, so beispielsweise dt. ERNA < Eigene Rufnummer-Ansage, was gerade bei Produkt- und Unternehmensnamen ein gern genutztes Mittel ist.