Sag' mal was

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Baden-Württemberg Stiftung

Sag’ mal was

Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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Umschlagabbildungen: KD Busch

Herausgeberin: Baden-Württemberg Stiftung gGmbH Kriegsbergstraße 42, 70174 Stuttgart Tel +49 (0) 711 248 476-0 Fax +49 (0) 711 248 476-50 info@bwstiftung.de, www.bwstiftung.de Verantwortlich: Dr. Andreas Weber Baden-Württemberg Stiftung gGmbH Sag’ mal was und LiSe-DaZ sind eingetragene Marken der Baden-Württemberg Stiftung

Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung, Nr. 94

ISSN 2366-1437

Hinweis: Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung beide Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit nur eine Form erwähnt ist.

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-7720-8670-0 (Print)

ISBN 978-3-7720-0130-7 (ePub)

Inhalt

  Vorwort der Baden-Württemberg Stiftung

 1. Einführung1.1. Das Projekt „Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken“ – Grundlagen und Kontext1.1.1 Sprache, Mehrsprachigkeit und alltagsintegrierte Sprachförderung1.1.2 Zusammenarbeit mit Familien1.1.3 Kinder- und Familienzentren1.1.4 Das Programm Sag’ mal was1.1.5 Das Projekt Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken (SuMi-KiFaz)1.1.6 Aufbau der Publikation1.2 Landesförderprogramm „Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Kinder- und Familienzentren“1.2.1 Kinder fördern – Eltern stärken1.2.2 Blick auf das „System Familie“1.2.3 Bedarfsorientierte Angebote und Kooperationen1.2.4 Weiterentwicklung – ein stetiger Prozess1.2.5 Erfahrungswerte aus den Unterstützungsmaßnahmen1.2.6 Herausforderungen und Chancen

 2 Wissenschaftliche Grundlagen (Foto: KD4126)2.1 Unterstützung (mehr)sprachlicher Entwicklungsprozesse in der Kindertageseinrichtung2.1.1 Grundlegendes zum Spracherwerb2.1.2 Ansätze der Lernunterstützung im Bereich Sprache und deren Wirksamkeit2.1.3 Mehrsprachigkeit in der Kita2.1.4 Fazit2.2 Sozialräumliche Perspektiven auf sprachliche Bildung und Förderung von Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen – Potenziale von Familienzentren2.2.1 Frühkindliche Bildung, pädagogische Qualität und die Bedeutung des Sozialraums2.2.2 Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit in ihren Kontexten2.2.3 Sozialräumliche Perspektiven und Zugänge2.2.4 Konsequenzen für die Förderung sprachlicher Bildung und Mehrsprachigkeit2.2.5 Potenziale von Kinder- und Familienzentren – Ein Ausblick

 3. Die Kinder- und Familienzentren stellen sich vor3.1 Das Familienzentrum Schillerstraße in Heilbronn3.1.1 Wer sind wir und was kennzeichnet uns strukturell?3.1.2 Wie haben wir das Projekt umgesetzt und welche einrichtungsspezifischen Entwicklungen gab es?3.1.3 Was bleibt nach Projektende?3.2 Das Katholische Familienzentrum St. Theresia in Mannheim3.2.1 Wer sind wir und was kennzeichnet uns strukturell?3.2.2 Wie haben wir das Projekt umgesetzt und welche einrichtungsspezifischen Entwicklungen gab es?3.2.3 Was bleibt nach Projektende?3.3 Das Katholische Kinder- und Familienzentrum St. Martin3.3.1 Wer sind wir und was kennzeichnet uns strukturell?3.3.2 Wie haben wir das Projekt umgesetzt und welche einrichtungsspezifischen Entwicklungen gab es?3.3.3 Was bleibt nach Projektende?

 4. Aus der Praxis für die Praxis4.1 Wir denken sprachliche Bildung neu4.1.1 Emma & Frieder4.1.2 Rollenspielkisten4.1.3 Ich-Bücher4.1.4 Mutter-Kind-Schwimmen4.2 Wir setzen uns mit Büchern auseinander4.2.1 Literatur für Kinder bis drei Jahre4.2.2 Buch-Entleih-System4.2.3 Lese-Inseln in Funktionsräumen4.2.4 Büchereiführerschein4.2.5 Eltern-Kind-Bücherei4.2.6 Dialogisches Vorlesen in der Abholzeit4.2.7 Laufbibliothek im Sozialraum4.3 Wir machen Sprache(n) und Schrift(en) hörbar und sichtbar4.3.1 Sprachenportfolio4.3.2 Literacy im Rollenspiel4.3.3 Offene Musikwerkstatt4.3.4 Die Sprachen unserer Gruppe4.3.5 Sprachenwochen4.3.6 Mehrsprachige Lesewoche4.3.7 Neue Medien nutzen: Digitale Lesestifte4.4 Wir qualifizieren uns weiter4.4.1 Sprachworkshops für Pädagoginnen und Pädagogen4.4.2 (Weiter-)Qualifizierung im KiFaZ-Verbund4.4.3 Peer-Coaching4.4.4 Entwicklungen im Team4.4.5 Umgang mit den Sprachen der Pädagoginnen und Pädagogen4.4.6 Selbstporträts der Pädagoginnen und Pädagogen4.5 Wir arbeiten, feiern und schlemmen mit Eltern und Familien4.5.1 Newsletter4.5.2 Adressatengerechte Sprache4.5.3 Beratung to go4.5.4 Offene Beratung von Familien aus dem Sozialraum4.5.5 Offenes Frühstücksbuffet4.5.6 Die Krabbelgruppe4.5.7 Das Eltern-Kind-Frühstück4.5.8 Vielfältig genießen4.5.9 Neujahrsfest4.6 Wir sind im Sozialraum unterwegs4.6.1 Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten4.6.2 Kinder-Fußballfest4.6.3 Deutschkurs für Mütter

 5 „Ich sag’ mal [was], der Schlüssel ist tatsächlich diese Mehrsprachigkeit.“ – Hauptbefunde der wissenschaftlichen Begleitung5.1 Bildungsorte in der frühen Kindheit5.2 Die wissenschaftliche Begleitung5.2.1 Das Qualifizierungskonzept5.2.2 Die prozessbegleitende Evaluation5.3 Hauptbefunde der wissenschaftlichen Begleitung5.3.1 Ausgangssituation, Erwartungen und Ziele5.3.2 Gelingensbedingungen zur Weiterentwicklung von Aktivitäten und Angeboten im KiFaZ aus Sicht der Leiterinnen5.3.3 Aktivitäten und Angebote der KiFaZe: Ausgangslage und (Weiter-)Entwicklung(en)5.3.4 Aktivitäten und Angebote der KiFaZe: Transfer der Qualifizierungsinhalte in den KiFaZ-Alltag5.3.5 Aktivitäten und Angebote der KiFaZe: Zufriedenheit5.3.6 Aktivitäten und Angebote der KiFaZe: Gelingensbedingungen für die Weiterentwicklung5.3.7 Analyse dokumentierter Praxis5.3.8 Resümee5.4 Impulse aus wissenschaftlicher Perspektive

  6. Was bleibt nach drei Jahren „SuMi-KiFaZ“? (Foto: KD4932) 6.1 Kinder und ihre Familien 6.2 Pädagoginnen und Pädagogen 6.3 Einrichtungsleitung 6.4 (Weiter-)Qualifizierung 6.5 Weitere förderliche Faktoren

 AnhangAbbildungenRechtsnachweiseAutorinnen und AutorenSchriftenreihe der Baden-Württemberg-Stiftung

Vorwort der Baden-Württemberg Stiftung

Mit dem Band Sag’ mal was – Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken halten Sie den letzten Band einer Trilogie in Händen, in der die Baden-Württemberg Stiftung die Ergebnisse ihres Programms Sag’ mal was im Laufe der vergangenen 10 Jahre vorstellt. Begonnen hat dieses Programm 2003 mit der Sprachförderung für Vorschulkinder, einem flächendeckenden Unterstützungsprogramm für Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg. Frühkindliche Bildung und Sprachförderung bilden seit dieser Zeit einen Schwerpunkt des Stiftungshandelns. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation dieser Maßnahmen wurden in einem 2011 erschienenen Band ausführlich diskutiert und gewürdigt (Sag’ mal was – Sprachförderung für Vorschulkinder, Tübingen 2011). Die Baden-Württemberg Stiftung wandte sich nach dieser ersten Phase den jüngeren Kindern unter 3 Jahren zu. Dabei erprobte sie in Forschungs- und Entwicklungsprojekten verschiedene Konzepte der Sprachförderung. Gemeinsam mit dem Bericht der wissenschaftlichen Begleitung wurden diese Konzepte im Band Sag’ mal was – Sprachliche Bildung für Kleinkinder (Tübingen 2014) vorgestellt.

Die Sprachkompetenz eines Kindes erhöht seine Bildungschancen und sollte daher möglichst früh gestärkt werden. Mit der vorliegenden Publikation wird nun ein Programm abgeschlossen, das in unterschiedlichen Bereichen der frühkindlichen Bildung – den Kindertagesstätten, der Tagespflege und den neu entstandenen Kinder- und Familienzentren – untersucht, wie sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit gelingen kann.

 

Die Öffnung von Kindertageseinrichtungen zu Kinder- und Familienzentren ermöglicht eine Einbindung von Eltern und Familien in die sprachliche Bildung ihrer Kinder. Das stellt eine wichtige Voraussetzung für das Projekt Sprachförderung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken (SuMi-KiFaZ) dar. Das Projekt hat in hohem Maße dazu beigetragen, dass Eltern und Familien unabhängig von ihrer Herkunft, Sprache, Bildung oder von ihrem sozialen Status die Möglichkeit erhalten haben, ein auf ihren Bedarf abgestimmtes Angebot wahrzunehmen und mitzugestalten. Darüber hinaus sind zahlreiche Kooperationen mit verschiedenen an der kindlichen Sprachentwicklung beteiligten Akteuren im Sozialraum der teilnehmenden Kinder- und Familienzentren entstanden. Damit hat das Projekt der vierten These der „Stuttgarter Erklärung“ Rechnung getragen, die anlässlich der Fachtagung „Frühe Mehrsprachigkeit – Chancen und Perspektiven im Blick“ 2016 formuliert wurde: „Es ist im Interesse ein- und mehrsprachiger Kinder, dass Akteure der sprachlichen Bildung im Sozialraum zusammenwirken. Dies kann durch verstärkte Vernetzungsprozesse z.B. in Kinder- und Familienzentren durch Eltern, pädagogische Fachkräfte, Ärztinnen und Ärzte usw. gelingen.“

Wie die vorangegangenen Projekte war auch dieses bewusst als lernendes Projekt angelegt, in dem sich die Pädagoginnen und Pädagogen der Kinder- und Familienzentren, die wissenschaftliche Begleitung und das Sag’ mal was-Team stetig ausgetauscht haben. Dank des gelungenen Zusammenspiels von Praxis, Wissenschaft und Projektkoordination konnten die teilnehmenden Kinder- und Familienzentren ihre Arbeit sukzessive weiterentwickeln.

Allen Beteiligten ist für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Erstellung dieses Bandes zu danken. In erster Linie möchten wir uns bei den Pädagoginnen des Katholischen Kinder- und Familienzentrums St. Martin in Ludwigsburg, des Familienzentrums Schillerstraße in Heilbronn und des Katholischen Familienzentrums St. Theresia in Mannheim bedanken. Drei Jahre lang haben die Projektteams zahlreiche Ideen und Aktivitäten erdacht und umgesetzt, sich gegenseitig inspiriert und Herausforderungen erfolgreich gemeistert. Aus diesem Prozess sind zahlreiche Praxisbeispiele und Erfolgsfaktoren für die Stärkung der kindlichen Sprachentwicklung und die Förderung von Mehrsprachigkeit hervorgegangen. Die besonders innovativen und kreativen Praxisbeispiele stehen im Zentrum der vorliegenden Publikation. Sie können und sollen anderen Kindertageseinrichtungen sowie Kinder- und Familienzentren Impulse für die eigene Arbeit geben: aus der Praxis für die Praxis. Dem Anspruch eines „lernenden Projekts“ entsprechend werden dabei die „Hürden“ und „Stolpersteine“ auf dem Weg nicht verschwiegen.

Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts wurde vom Team der Pädagogischen Hochschule Weingarten durchgeführt. Die Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Susanna Roux, Jutta Sechtig und Tamara Schubert haben die Weiterentwicklung der Arbeit in den Kinder- und Familienzentren während der gesamten Projektlaufzeit intensiv begleitet und unterstützt und so auch die Grundlage für das Praxiskapitel gelegt.

In den Händen von Anja Bereznai vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg lagen neben der Erstellung von Beiträgen die Koordination und redaktionelle Betreuung der Autorenbeiträge und die äußerst gelungene konzeptionelle Zusammenstellung der Texte. An dieser Stelle sei auch dem Sag’ mal was-Team aus dem Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) und dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) für die hervorragende Programmkoordination gedankt.

Dieses Buch ist jedoch im wirklichen Sinn ein Gemeinschaftswerk, zu dem alle mit viel Engagement beigetragen haben. Dafür danken wir auch den externen Autorinnen und Autoren herzlich, namentlich: Jana Ellwanger, Prof. Dr. Stefan Faas und Prof. Dr. Jens Kratzmann.

Wir schreiben dieses Vorwort in Erinnerung an Prof. Dr. Susanna Roux, die Ende März 2020 verstorben ist. Über viele Jahre war Susanna Roux dem Programm Sag’ mal was und der Baden-Württemberg Stiftung verbunden und leitete zuletzt gemeinsam mit Jutta Sechtig die wissenschaftliche Begleitung des Projekts SuMi-KiFaZ. Es war ihr nicht mehr vergönnt, die Veröffentlichung der Ergebnisse zu erleben. Die Baden-Württemberg Stiftung wird ihr ein ehrendes Andenken bewahren.

Als eine der großen Stiftungen in Deutschland investiert die Baden-Württemberg Stiftung als Zukunftswerkstatt gezielt in drei Themengebiete: zukunftsweisende Forschung, herausragende Bildung sowie Stärkung der Gesellschaft & Kultur. Die Förderung gleicher Chancen und die Ermöglichung der sozialen Teilhabe zeichnen die Bildungsprogramme aus. Frühkindliche Sprachförderung, durchgängige Sprachbildung und Mehrsprachigkeit standen im besonderen Interesse des nun abgeschlossenen Programms Sag’ mal was. Seine Impulse werden bei der Baden-Württemberg Stiftung und im Land Baden-Württemberg in anderen Programmen weitergetragen, die insbesondere Kindern und jungen Menschen gute Zukunftsperspektiven bieten.

Wir wünschen Ihnen eine spannende und anregende Lektüre.


Christoph Dahl Dr. Andreas Weber

Geschäftsführer Abteilungsleiter Bildung

Baden-Württemberg Stiftung Baden-Württemberg Stiftung


Dr. Andreas Weber

Geschäftsführer Abteilungsleiter Bildung

Baden-Württemberg Stiftung Baden-Württemberg Stiftung


1. Einführung
1.1. Das Projekt „Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken“ – Grundlagen und Kontext

Alexandra Dehmel & Anja Bereznai

Die Sprachentwicklung von Kindern zu stärken ist eine der zentralen Aufgaben von Kindertageseinrichtungen. In den Blick zu nehmen ist dabei nicht nur die Unterstützung des Erwerbs der deutschen Sprache, sondern auch der pädagogische Umgang mit den verschiedenen Familiensprachen in einer Einrichtung und die Förderung frühkindlicher Mehrsprachigkeit im Gesamtkontext der Sprachentwicklung. Dieser Aufgabe gerecht zu werden ist eine Herausforderung für die Einrichtungen und die dort tätigen Pädagoginnen und Pädagogen.

Ziel der vorliegenden Publikation ist es, ihnen Orientierung und Unterstützung zu bieten, Impulse zu setzen und generell zu einer Weiterentwicklung in diesem wichtigen Bereich beizutragen. Hierzu widmet sich die Publikation dem Thema „Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit“ sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus praxisorientierter Perspektive. Aus dem Projekt Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken (SuMi-KiFaZ) der Baden-Württemberg Stiftung werden wissenschaftliche Erkenntnisse und konkrete Praxisbeispiele vorgestellt, und auch die beteiligten Kinder- und Familienzentren (KiFaZe) kommen dabei zu Wort. Außerdem werden wissenschaftliche Grundlagen dargelegt. Die Fragen, die im Mittelpunkt stehen, sind:

 Wie kann sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit von Kindern unterstützt werden?

 Wie kann die Zusammenarbeit mit Familien gestärkt werden?

 Welche Chance bietet die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu KiFaZen dabei?

Mit dem Blick auf die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen (Kitas) zu Kinder- und Familienzentren (KiFaZe) wird eine weitere Perspektive integriert, die aktuell von hoher Bedeutung ist und viele Potenziale bietet. Als wohnbereichsnahe niederschwellige Kontakt- und Kommunikationsstätten können KiFaZe spezifisch angepasste Bildungs- und Beratungsgelegenheiten bieten und damit nicht nur einen entscheidenden Beitrag im Bereich Sprachentwicklung leisten, sondern auch allgemein der Marginalisierung von Familien mit Migrationsgeschichte entgegenwirken (Geisen, 2019, S. 83) und die Familie sowie den erweiterten Sozialraum als Bildungsorte stärken.

Dieses Kapitel bietet Einblicke in die Themen Sprache, Mehrsprachigkeit und alltagsintegrierte Sprachförderung (Kap. 1.1.1), Zusammenarbeit mit Familien (Kap. 1.1.2) sowie Kinder- und Familienzentren (Kap. 1.1.3) und liefert damit den fachlichen Kontext. Des Weiteren beinhaltet es Informationen zum Programm Sag’ mal was der Baden-Württemberg Stiftung (Kap. 1.1.4) und zu dem in diesem Programm verorteten Projekt Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit in Kinder- und Familienzentren stärken (SuMi-KiFaz) (Kap. 1.1.5), auf dem die vorliegende Publikation basiert. Abschließend werden der Aufbau und die einzelnen Kapitel der Publikation vorgestellt (Kap. 1.1.6).

1.1.1 Sprache, Mehrsprachigkeit und alltagsintegrierte Sprachförderung

Sprache gilt als die zentrale Schlüsselkompetenz und Voraussetzung eines Menschen für gelingenden Wissenserwerb, Bildungserfolg und -gerechtigkeit sowie für die Möglichkeit zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Clegg, Hollis, Mawhood & Rutter, 2005; Deutsches PISA-Konsortium, 2011; Hasselhorn & Sallat, 2004). Schon für Kinder in der Kita ist Sprache ein wichtiges Medium, mit dessen Hilfe sie bspw. Bedürfnisse und Wünsche kommunizieren und Beziehungen mit Kindern und Erwachsenen gestalten. Sprachkompetenzen sind daher bereits für die Teilhabe von Kindern an Interaktionen in der Kita von Bedeutung (Albers et al., 2017). Auch für die spätere Schullaufbahn scheinen sprachliche Kompetenzen relevant zu sein. So ergaben Studien z. B. einen Zusammenhang von (in unserem Fall deutschen) Sprachkompetenzen mehrsprachig aufwachsender Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung mit Lernzuwächsen in Sachfächern und dem Übergang zwischen Primar- und Sekundarstufe (Übersicht bei Kempert et al., 2016). Von Bedeutung sind auch frühe Erfahrungen mit mündlich vermittelter, aber „schriftförmiger“ („konzeptionell schriftlicher“) Sprache, wie sie Kita-Kinder z. B. beim Erzählen sammeln können, sowie erste Erfahrungen mit Büchern und mit Schrift. Derartige Erfahrungen werden auch als „Literacy“ bezeichnet.

In verschiedenen Untersuchungen zeigten sich zwischen ein- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern bei Schulbeginn große Unterschiede in den deutschen Sprachkompetenzen (vgl. z. B. Simon & Sachse, 2011). Bei differenzierterer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Unterschiede in vielen Fällen weniger mit der Mehrsprachigkeit als mit der sozialen Herkunft der Kinder zusammenhängen (zusammenfassend bei Kempert et al., 2016). Hierzu zählen z. B. der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, der Bildungsstand der Eltern sowie ihre Kenntnis über das Bildungssystem und/oder zeitlich (zu) spät einsetzender Erwerb der deutschen Bildungssprache (Gogolin, 2012).

Eine aktuelle Studie (Hippmann et al., 2019) konnte darüber hinaus zeigen, dass zwischen der Mehrsprachigkeit eines Kindes und seinen Leseleistungen in den ersten beiden Schulklassen kein signifikanter Zusammenhang besteht. Mehrsprachig aufzuwachsen ist daher per se kein „Risikofaktor“.

Von Bedeutung ist auch die Art und Weise, wie die Sprachkompetenz erhoben wird: Studien zu den deutschen Sprachkompetenzen mehrsprachig aufwachsender Kinder beruhen in der Regel auf der Testung mit Verfahren, die an deutsch-einsprachigen Kindern normiert wurden. Verfahren wie der Test „LiSe-DaZ®“ (Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache, Schulz & Tracy, 2011) hingegen bieten je nach Kontaktzeit mit der deutschen Sprache unterschiedliche Normen an und geben ein differenziertes Bild über die Sprachfähigkeiten eines Kindes. Des Weiteren sollten bei der Erhebung des Sprachstandes auch die Kompetenzen in den weiteren Sprachen des Kindes berücksichtigt werden (Ronninger et al., 2019).

Vor diesem Hintergrund erscheinen eine bessere Anschlussfähigkeit der vielfach immer noch stark mittelschichtsorientiert und einsprachig ausgerichteten Bildungseinrichtungen Kita und Schule an familiäre Bedingungen sowie die Berücksichtigung familiärer Sprach(en)- und Literalitätserfahrungen in der Kita unabdingbar (vgl. Montanari & Panagiotopoulou, 2019).

 

Sprachliche Bildung und Förderung sowie die Unterstützung der Literacy-Entwicklung ein- oder mehrsprachig aufwachsender Kinder gehören daher zu den zentralen Aufgaben von Einrichtungen der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung (Baden-Württemberg Stiftung, 2014). Die Verankerung des Bildungsbereichs Sprache im Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in Kindergärten und Kindertageseinrichtungen des Landes Baden-Württemberg verdeutlicht deren Relevanz und Stellenwert (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2011). Bei der sprachlichen Bildung und Förderung haben sich alltagsintegrierte Ansätze als besonders effektiv erwiesen (Hofmann, Polotzek, Roos & Schöler, 2008; Lisker, 2011; siehe hierzu auch unten und den Beitrag von Jens Kratzmann in Kap. 2.1 des vorliegenden Bands).

In frühpädagogischen Einrichtungen muss jedoch nicht nur der Erwerb der Grundlagen der deutschen Sprache in den Blick genommen werden, sondern auch die Wertschätzung und Förderung von Mehrsprachigkeit.