Hundsgemein – Kurze Geschichten für Leute, die weder Mensch noch Tier mögen

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Hundsgemein – Kurze Geschichten für Leute, die weder Mensch noch Tier mögen
Font:Smaller АаLarger Aa

B. a. Robin

Hundsgemein – Kurze Geschichten für Leute, die weder Mensch noch Tier mögen

Dieses eBook wurde erstellt bei


Inhaltsverzeichnis

Titel

Archibald

Preis des Erfolgs

Moderne Ritter

Ewig dein

Impressum

Archibald

Schon lange hatten sie gelernt, sich aus dem Weg zu gehen. Es bestand keine Notwendigkeit, ein Wort zu wechseln. Bis sie Archibald fanden.

Sie fütterten ihn mit warmer Milch und betteten ihn in einen Wäschekorb mit Flanellhandtüchern. Das Halsband mit der Telefonnummer warfen sie fort. Glücklich wie schon seit Jahren nicht mehr, standen sie rechts und links des Korbes und bewachten Archibalds Schlaf.

Die Haustür fiel ins Schloss. Er atmete aus.

»Jetzt sind wir zwei alleine.« Er tätschelte Archibalds Kopf. «Wart einen kurzen Moment, ich hol uns was Lecker-Schmeckriges aus meinem Geheimvorrat.« Er legte den Finger auf den Mund und zwinkerte Archibald zu. »Nicht verraten.«

Im Keller schob er vorsichtig einen halbgefüllten Werkzeugschrank zur Seite. Sein Blick wanderte durch den Hohlraum dahinter. Eine extralange Räuchersalami, drei Dosen Tunfisch in Öl, ein Nussschinken, Gänseleberpastete, zwei Tüten Kartoffelchips, eine 300-Gramm-Tafel Nussnougatschokolade mit ganzen Haselnüssen ... Er lächelte. Womit könnte er Archie wohl die größte Freude bereiten?

Zurück in der Küche schwenkte er ein Stück kalten Schweinebraten vor Archibalds Nase.

»Jetzt gibt’s was Feines. Nicht diesen Gesundfraß, den sie immer anschleppt.« Behutsam hob er Archibald auf seinen Schoß und drückte ihn zärtlich an sich. »Wenn es nach mir ginge, ja dann ... Sie lässt mich halt nicht.«

Er blickte in Archibalds braune Augen. Sie waren einander gleich. Unschuldige, reine Seelen, die nichts als ein wenig Freude im Leben wollten. Faulenzen, spielen und am Abend etwas Leckeres zwischen die Zähne.

So innig war seine Zwiesprache mit Archibald, dass er das Drehen des Haustürschlüssels überhörte.

»Ich hab meinen Expander vergessen.«

Erschrocken kickte er die Reste des Schweinebratens unter den Esstisch.

Doch sie war schneller. »Keine fünf Minuten bin ich aus dem Haus und schon versuchst du, ihn zu vergiften.«

Sie packte Archibald.

»Er braucht frische Luft, ich nehme ihn mit.«

Sie warf die Tür hinter sich zu. Noch so ein Fehler durfte ihr nicht unterlaufen. Archibald war von der Natur für besondere Leistungen auserkoren. Er benötigte Bewegung, biotonische Ernährung und das richtige Spielzeug, um seine Entwicklung zu fördern. Es war ihre Verpflichtung, eine Vergeudung seines Potential zu verhindern. Gleich morgen nach dem Check-up beim Arzt würde sie einen Trainingsplan aufstellen.

»Wie kannst du ihm das antun?«

Tränen standen ihm in den Augen. Sah sie denn nicht, wie Archie litt? Wie er sich angewidert von seinem Schälchen wegdrehte?

»Geschmacksneutral und gut verträglich«, so stand es auf der Packung mit der Wurmkur. Von wegen. Seit fast vier Stunden verweigerte Archie die Nahrung.

Wen störten denn so ein paar Würmer? Sollte er sich doch mit dem Hintern am Teppichboden scheuern, was machte das schon?

»Seine Gesundheit ist dir wohl egal«, rief sie laut. »Ich weiß, dass du ihn mit Keksen mästest, wenn ich nur zwei Minuten nicht im Zimmer bin.«

Sie schob die Ärmel ihres Jogginganzugs hoch. Er konnte sich ihretwegen gehen lassen, wie er nur wollte. Er konnte weiterhin jede Nacht zu seinem ach so geheimen Vorrat in den Keller schleichen. Das interessierte sie nicht mehr. Diese Zeiten waren vorbei. Aber Archibald würde sie nicht aufgeben. Sie würde nicht zusehen, wie sein strammer, fester Körper allmählich unter einer immer dickeren Fettschicht verschwand. Archibald war ein Champion. Champions hatten keine Würmer.

Sie lockte Archibald zu ihrem Stuhl, ergriff ihn, klemmte seine Hinterläufe zwischen ihre Schenkel und drückte ihm die Wurmkur direkt aus der Tube ins Maul.

Er starrte aus dem Fenster. Es regnete. Seit fast einer halben Stunde waren sie unterwegs. Wie gern er doch Archie vor diesen grausamen Gewaltmärschen bewahrt hätte. Wie elend musste er sich fühlen. Bei diesem widerwärtigen Wetter durch Wald und Wiesen gehetzt zu werden. Vermutlich ließ sie ihn auch noch Stöckchen apportieren. Und Archie, diese gutmütige Seele, würde sich aus lauter Friedfertigkeit darauf einlassen.

Endlich sah er sie kommen. Sein Archie wedelte eifrig mit dem Schwanz. Was für ein feiner Kerl er doch war; selbst jetzt noch machte er gute Miene zum bösen Spiel.

Die Tür ging auf, Archie stürmte herein, schüttelte sich heftig.

Wie gut er ihn verstand. Der Arme fühlte sich gewiss grauenvoll, so ganz durchnässt.

»Komm zu mir, Herrchen macht dich wieder trocken. Wir gehen dahin, wo’s warm und kuschelig ist. Musst nicht mehr frieren, bist ja jetzt beim Herrchen ...«

Sie stellte ihre Schuhe ins Regal. Eine Tasse Kräutertee wäre jetzt genau das Richtige. Aber erst würde sie Archibald trockenreiben, damit er sich nicht erkältete. Dieser kleine Racker hatte gar nicht genug vom Baden im See kriegen können. Wo steckte er nur?

Sie fand Archibald im Schlafzimmer. Er lag im Ehebett, ließ sich den Bauch kraulen.

»Archie hat gefroren.«

Er postierte sich schützend vor dem Bett. »Du hättest sehen sollen, wie er sich vor Kälte und Nässe geschüttelt hat. Aber das interessiert dich ja nicht.« Er deckte Archie mit einer Steppdecke zu. »Hauptsache er ist schlank. Wie’s ihm dabei geht, ist dir egal.«

Sie schwieg. Der Geruch von feuchtem Hundefell drang zu ihr. Erd- und Grasflecken auf dem Laken, Hundehaare auf dem Kopfkissen. Sie sah ihn an. Sein Pyjamaoberteil hing zur Hälfte aus der Hose, auf dem Morgenmantel klebte Eigelb vom gestrigen Frühstück. Übelkeit überkam sie.

Sie öffnet den Kleiderschrank, warf Blusen und Hosen samt Bügel über ihren Arm.

»Es ist besser, wenn wir nicht im selben Bett schlafen. Ich ziehe ins Gästezimmer.«

»Kastrieren?«

Sie musste wahnsinnig geworden sein. Wie konnte sie an so was nur denken? Archie verstümmeln.

»Es muss sein. Der Arzt sagt bei einem Rüden ist die Operation keine große Sache. Wir können ihn hinterher sofort mitnehmen.«

Er zitterte. »Du willst einen Mann bezahlen, damit er Archie mit einem Messer verkrüppelt.«

»Was für ein Unsinn. Archibald wird überhaupt nichts spüren, zwei Tage später ist er wieder wie neu.«

»Wie neu?« Das glaubte er gerne, dass sie diesem Unterschied keinen Wert zu maß. »Tyrannisierst du ihn nicht schon genug?«

»Ich tyrannisiere ihn nicht, ich trainiere ihn!«

Gott, wie sie sein Gejammer leid war.

»Und du, hör auf dich wie ein nölendes Kleinkind aufzuführen. Wenn du willst, dass er in jede Ecke pisst, dann kannst du gern das Putzen übernehmen.«

»Ha!« Er hatte es gewusst. »Dir geht’s dabei doch nur um dich. Du willst es bequemer haben. Seine Gefühle sind dir egal. Aber ich werde es nicht zulassen.«

»Dass ich nicht lache.«

Sie machte auf dem Absatz kehrt, warf die Tür hinter sich zu.

Am nächsten Morgen stand sie wie üblich um sechs Uhr auf, stieg die Treppe hinunter, setzte das Teewasser auf und rief Archibald zu ihrem ersten Spaziergang. Doch er kam nicht. Normalerweise tobte er vor Begeisterung in der Küche umher und konnte es kaum erwarten, bis sie ihre Tasse geleert hatte. Wo steckte er nur? War er krank?

Schnell rannte sie in die Küche zu seinem Körbchen. Leer.

Unruhe wollte in ihr aufsteigen, doch sie unterdrückte das Gefühl. Wahrscheinlich hatte er Archibald zu sich ins Bett gelockt.

Sie stapfte die Treppe hoch und riss die Tür zum ehelichen Schlafzimmer auf. Ein muffiger, stickiger Geruch schlug ihr entgegen. Das Bett ungemacht, getragene Unterwäsche verstreut am Boden, Essensreste auf dem Nachttisch. Das Zimmer war leer.

Noch nie war er freiwillig vor zehn aufgestanden. Es fiel ihr nur eine Erklärung ein ...

Ihr Hals schien sich zu verengen. Mit Mühe atmete sie gegen ihre Panik an. Ihr Brustkorb war wie ein Schraubstock. Dieser widerliche Geruch. Sie wankte zum Fenster, stieß es auf, lehnte sich nach draußen. Luft. Frische Luft.

Sie umklammerte das Fensterbrett. Sie hatte ihn unterschätzt! Nach all den Jahren hatte sie ihn unterschätzt. Er war ein faules Schwein, zu faul sein Schlafzimmer zu lüften, aber heute hatte er sie erwischt. Wie ein Saboteur hatte er ihre Schwachstelle gesucht, gefunden und in einem unbewachten Moment zugeschlagen. Aber es war ihre eigenes Versagen. Man durfte seinem Feind nie den Rücken zukehren. Aus Freude über Archibalds Gesellschaft hatte sie in ihrer Wachsamkeit nachgelassen. Selbst schuld!

Zusammenreißen, sie musste sich zusammenreißen. Es ging hier schließlich um Archibalds Wohlergehen. Sie ging zum Kleiderschrank und prüfte den Inhalt. Anscheinend fehlte nichts.

Sie stieg in den Keller, schob den Werkzeugschrank vor dem Versteck zur Seite. Ein kurzer Blick genügte ihr. Kaum eine Veränderung seit ihrer letzten Inspektion. Viel konnte er nicht mitgenommen haben. Die Entführung war also offensichtlich nicht geplant gewesen. Bald würde er nicht mehr wissen wohin.

 

Als Erstes musste sie seine Kontokarte bei der Bank als gestohlen melden und sperren lassen. Seinen Ausweis hatte sie ohnehin im Schreibtisch unter Verschluss. Ohne Geld und Pass käme er nicht weit.

Drei Tage dauerte es. Dann war er zurück. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, sah er Archibald an.

»Das tue ich nur für dich, Archie.«

Er hoffte, dass Archie die Größe seines Opfers verstand. Denn er alleine hätte sich weiter durchgeschlagen. Er war schließlich ein Mann. Aber Archie hatte er das nicht antun können. Er sehnte sich so nach seiner vertrauten, heimeligen Umgebung.

Und dann, wie das Zimmermädchen gezetert hatte, als sie Archie im Bett fand. Schlimmer als daheim war es gewesen. Kein Wunder, dass Archies Verdauung da aus dem Takt gekommen war. Aber statt Verständnis und Mitleid zu zeigen, hatte man sie wegen Archies Malheur auf die Straße gesetzt. Ihm hätte es nichts ausgemacht, unter der Brücke sein Bett aufzuschlagen. Aber Archie konnte er nicht zumuten, im Freien zu schlafen. Es war eine Frage der Verantwortung. Nur deshalb war er heimgekehrt.

You have finished the free preview. Would you like to read more?