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Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel

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Christine. Herrin?

Jean. Ja!

Christine. Nein, hört doch! hört doch einmal den!

Jean. Ja, hör' du! das kann dir sehr dienlich sein, und schwatze etwas weniger! Fräulein Julie ist deine Herrin und wegen derselben Sache, deretwegen du sie jetzt verachtest, dürftest du dich selbst verachten.

Christine. Ich habe immer so viel Achtung für mich selbst gehabt —

Jean. Daß du andere verachten kannst?

Christine. Daß ich mich niemals unter meinem Stand fortgeworfen habe. Komm doch und sage, die gräfliche Köchin habe etwas mit dem Viehknecht, oder dem Schweinehirten zu thun gehabt! Komm und sage das!

Jean. Ja, du hast mit einem feinen Kerl zu thun gehabt, das ist ein Glück für dich!

Christine. Ja, ein feiner Kerl, der dem Grafen den Hafer aus dem Stall verkauft —

Jean. Davon willst du reden, die Prozente beim Gewürzkrämer bekommt und sich vom Schlächter bestechen läßt!

Christine. Wie?

Jean. Und du kannst nicht mehr Respekt vor deiner Herrschaft haben! Du, du, du!

Christine. Komm jetzt mit zur Kirche! Nach deinen Thaten kann dir eine gute Predigt sehr dienlich sein!

Jean. Nein, ich gehe heute nicht in die Kirche; du kannst allein gehen und deine Sünden beichten.

Christine. Ja, das werde ich auch, und ich werde mit Vergebung heimkehren, auch gleich noch für dich! Der Erlöser hat gelitten und ist am Kreuz gestorben für alle unsere Sünden, und wenn wir ihm mit Glauben und bußfertigem Sinn entgegentreten, dann nimmt er all' unsere Schuld auf sich.

Julie. Glaubst du das, Christine?

Christine. Das ist mein lebendiger Glaube, so wahr ich hier stehe, und das ist mein Kinderglaube, den ich mir von Jugend auf bewahrt habe, Fräulein Julie. Und wo die Sünde überfließt, fließt auch die Gnade über!

Julie. Ach, wenn ich deinen Glauben hätte! Ach wenn —

Christine. Ja, sehen Sie, den kann man nicht bekommen —

Julie. Wer bekommt ihn denn?

Christine. Das ist das große Geheimnis der Gnadenthat, sehen Sie, Fräulein, und Gott hat kein Ansehen der Person, sondern die Ersten sollen die Letzten sein.

Julie. Ja, dann hat er ja ein Ansehen der Person bei den Letzten —

Christine fährt fort. Und es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Himmelreich komme! Sehen Sie, so ist es, Fräulein Julie! Nun gehe ich indessen – allein, und im Vorbeigehen werde ich dem Stallknecht sagen, daß er keine Pferde herausgiebt, im Falle jemand reisen wollte, bevor der Graf nach Hause kommt! Adieu! Ab durch die Glasthür.

Jean. So ein Teufel! Und all' das um eines Zeisigs willen!

Julie schlaff. Lassen Sie den Zeisig beiseite! Sehen Sie einen Ausweg hieraus, ein Ende für dieses?

Jean grübelt. Nein!

Julie. Was würden Sie an meiner Stelle thun?

Jean. An Ihrer? Warten Sie ein wenig? Als hochgeboren, als Weib – als Gefallene? – Ich weiß nicht— ja! nun weiß ich!

Julie nimmt das Rasiermesser und macht eine Bewegung. So?

Jean. Ja! Aber ich würde es nicht thun – beachten Sie das wohl! denn das ist der Unterschied zwischen uns.

Julie. Weil Sie ein Mann sind und ich ein Weib? Was ist dabei für ein Unterschied?

Jean. Derselbe Unterschied – wie – zwischen Mann und Weib!

Julie mit dem Messer in der Hand. Ich will es, aber ich kann es nicht! Mein Vater konnte es auch nicht, damals, als er es hätte thun sollen.

Jean. Nein, er hätte es nicht thun sollen! Er mußte sich erst rächen!

Julie. Und nun rächt sich meine Mutter wieder durch mich!

Jean. Haben Sie Ihren Vater nicht geliebt, Fräulein Julie?

Julie. Ja, grenzenlos, aber ich habe ihn sicher auch gehaßt! Ich muß es gethan haben, ohne es selbst zu bemerken. Aber er hat mich selbst zur Verachtung meines eigenen Geschlechtes herangezogen, zum Halbweib und Halbmann. Wer hat die Schuld an dem, was geschehen ist? Mein Vater, meine Mutter, ich selbst! Ich selbst? Ich habe ja kein Selbst! Ich habe nicht einen Gedanken, den ich nicht von meinem Vater, nicht eine Leidenschaft, die ich nicht von meiner Mutter bekommen hätte, und das Letzte – daß alle Menschen gleich seien – bekam ich von meinem Verlobten, den ich darum einen Schuft nenne! Wie kann es aber mein eignes Vergehen sein? Die Schuld auf Jesus schieben, wie es Christine macht – nein, dazu bin ich zu stolz und zu klug – dank den Lehren meines Vaters. Und daß ein Reicher nicht ins Himmelreich kommen könne, das ist Lüge, und Christine, die Geld auf der Sparkasse hat, kommt zum Mindesten nicht hinein! Wer hat die Schuld an dem Vergehen? Was geht es uns an, wer sie hat! Bin ich es doch, der die Schuld und die Folgen tragen muß.

Jean. Ja aber —

Es klingelt laut zweimal hintereinander.

Julie fährt auf.

Jean wechselt rasch links den Rock. Der Graf ist zu Hause! Denken Sie, wenn Christine – Er geht nach hinten ans Sprachrohr, klopft an und lauscht.

Julie. Nun ist er schon am Sekretär gewesen?

Jean. Es ist Jean, Herr Graf! Er lauscht; man hört nicht, was der Graf spricht. Ja, Herr Graf. Er lauscht. Ja, Herr Graf! Sogleich. Er lauscht. Sehr wohl, Herr Graf! Er lauscht. Ja! In einer halben Stunde.

Julie äußerst ängstlich. Was sagte er? Herr Jesus, was sagte er?

Jean. Er verlangte seine Stiefel und seinen Kaffee in einer halben Stunde.

Julie. Also in einer halben Stunde! O ich bin so müde; ich vermag nichts, ich vermag nicht zu bereuen, nicht zu fliehen, nicht zu bleiben, nicht zu leben, nicht zu sterben! Helfen Sie mir nun! Befehlen Sie mir, und ich werde gehorchen, wie ein Hund! Leisten Sie mir den letzten Dienst, retten Sie meine Ehre, retten Sie meinen Namen! Sie wissen, was ich wollen sollte, aber nicht will. Wollen Sie es und befehlen Sie mir, es zu vollbringen!

Jean. Ich weiß nicht – aber nun kann ich auch nicht – ich begreife es selbst nicht. Es ist gerade, als wenn der Rock hier bewirkte, daß ich Ihnen nichts befehlen kann – und nun, seitdem der Graf zu mir gesprochen hat – ich kann es nicht recht erklären – aber – ah, es ist der Lakai, der mir im Rücken sitzt! Ich glaube, wenn der Graf jetzt käme und mir befehlen würde, ich sollte mir den Hals abschneiden, so würde ich es auf der Stelle thun.

Julie. Thun Sie also, als wären Sie er, und ich Sie! Sie konnten sich ja vor kurzem so gut verstellen, als Sie vor mir auf den Knieen lagen – da waren Sie ein Ritter – oder sind Sie niemals im Theater gewesen und haben den Magnetiseur gesehn?

Jean macht eine bejahende Gebärde.

Julie. Er sagt zu dem Medium: nimm den Besen; es nimmt ihn; er sagt: fege; und es fegt —

Jean. Dann müßte der andere ja schlafen.

Julie exaltiert. Ich schlafe bereits – der ganze Raum steht mir wie voller Rauch vor Augen – und Sie sehen wie ein eiserner Ofen aus – der einem schwarzgekleideten Mann mit Cylinder gleicht – und Ihre Augen leuchten wie Kohlen, wenn das Feuer ausgeht – und Ihr Gesicht ist ein weißer Fleck wie Flugasche.

Das Sonnenlicht hat nun den Boden erreicht und strömt über Jean hin.

Julie. Es ist so warm und schön – sie reibt sich die Hände, als wenn sie sie an einem Feuer wärmte und dann so hell – und so still!

Jean nimmt das Rasiermesser und giebt es ihr in die Hand. Da ist der Besen! Geh nun, da es hell ist, hinaus in die Scheune – und – er flüstert ihr etwas ins Ohr.

Julie wach. Danke! Nun gehe ich zur Ruhe! Aber sagen Sie mir jetzt noch, daß auch die Ersten der Gnade teilhaftig werden können. Sagen Sie es, wenn Sie es auch nicht glauben.

Jean. Die Ersten? Nein, das kann ich nicht! Aber warten Sie, Fräulein Julie – nun weiß ich! Sie gehören ja nicht mehr zu den Ersten – denn Sie sind unter den Letzten!

Julie. Das ist wahr! – Ich bin unter den Allerletzten; ich bin die Letzte! O – Aber nun kann ich nicht gehen – Sagen Sie noch einmal, daß ich gehen soll!

Jean. Nein, jetzt kann ich es auch nicht mehr! Ich kann nicht!

Julie. Und die Ersten sollen die Letzten sein!

Jean. Denken Sie nicht! Denken Sie nicht! Sie rauben auch mir alle Kraft, sodaß ich feig werde! Was! Ich glaube, die Glocke bewegte sich! Nein! – Sollen wir Papier hineinstecken! – So bang vor dem Ton einer Glocke zu sein! – Ja, aber das ist nicht nur eine Glocke – es sitzt jemand dahinter – eine Hand setzt sie in Bewegung – und etwas anderes setzt die Hand in Bewegung – aber halten Sie sich nur die Ohren zu! Ja, dann klingelt es noch schlimmer! klingelt, bis man Antwort giebt – und dann ist es zu spät! und dann kommt der Schulze – und dann —

Es wird zweimal stark geläutet.

Jean fährt zusammen; dann richtet er sich auf. Es ist entsetzlich! Aber es giebt keinen andern Ausweg! – — – Gehen Sie! —

Julie geht festen Schrittes zur Thüre hinaus.

Ende