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Die Gespenstersonate

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Später traf ich diesen Mann in Hamburg unter einem andern Namen. Da war er Wucherer und Blutsauger; aber da war er sogar unter Anklage, ein Mädchen aufs Eis gelockt und sie ertränkt zu haben, weil sie durch ihr Zeugnis ein Verbrechen bekräftigte, dessen Entdeckung er befürchtete.

DIE MUMIE fährt mit der Hand über das Gesicht des Greises. Das bist du! Hol jetzt die Schuldscheine und das Testament heraus!

JOHANSSON erscheint in der Vorstubentür und betrachtet den Auftritt mit großem Interesse, denn nun wird er von dem Sklavendienst befreit.

DER GREIS zieht ein Bündel Papiere aus der Tasche und wirft sie auf den Tisch.

DIE MUMIE streichelt den Rücken des Greises. Papchen! Ist Jakob da?

DER GREIS wie ein Papagei. Jakob ist da! – Kakadora! Dora!

DIE MUMIE. Kann die Uhr schlagen?

DER GREIS gluckst. Die Uhr kann schlagen! Ahmt die Kuckucksuhr nach. Kuk–kuck, Kuk–kuck, Kuk–kuck!

DIE MUMIE öffnet die Garderobentür. Jetzt hat die Uhr geschlagen! – Steh auf, geh in die Garderobe hinein, wo ich zwanzig Jahre gesessen und unser Vergehen beweint habe. – Da drinnen hängt eine Schnur, die kann die vorstellen, mit der du den Konsul da oben erdrosseltest, und mit der du deine Wohltäter erdrosseln wolltest … Geh!

DER GREIS geht in die Garderobe.

DIE MUMIE verschließt die Tür. Bengtsson! Setz den Schirm vor die Tür. Den Todesschirm!

BENGTSSON setzt den Schirm vor die Tür.

DIE MUMIE. Es ist vollbracht! – Gott sei seiner Seele gnädig!

ALLE. Amen!

Langes Schweigen.

Im Hyazinthenzimmer sieht man das Fräulein vor einer Harfe, mit der sie den Vortrag des Studenten

begleitet.

Gesang mit voraufgehendem Präludium.

 
Sah die Sonne, und es war mir,
Als erschaut' ich den Verborgnen;
Seine Werke Menschen freuen,
Glücklich, wer da Gutes übet.
Für die Zornestat, die du vollbrachtest,
Büße nicht mit Bosheit;
Tröste, den du einst betrübet,
Gütig; und du hast gesühnet.
Niemand fürchtet, der nicht Böses wollte;
Schadlos sei, und du bist gut.
 

Ein Zimmer in etwas bizarrem Stil, orientalischen Motiven. Überall Hyazinthen in allen Farben. Auf dem Ofen sitzt ein großes Buddhabild mit einer Blumenzwiebel zwischen den Knien, aus der der Stengel einer Askalonzwiebel emporgeschossen ist, den kugelförmigen Blütenstand mit den weißen Sternblumen tragend.

Im Hintergrunde rechts eine Tür nach dem runden Salon: dort sieht man den Obersten und die Mumie beschäftigungslos und stumm sitzen, nur ein Stück des Totenschirms ist sichtbar; links eine Tür nach der Anrichte und der Küche.

Der Student und Fräulein (Adele) am Tisch; sie vor

der Harfe, er stehend.

DAS FRÄULEIN. Singen Sie jetzt meinen Blumen etwa vor!

DER STUDENT. Sind dies die Blumen Ihrer Seele?

DAS FRÄULEIN. Es ist mein einziges! Lieben Sie Hyazinthen?

DER STUDENT. Ich liebe sie über alle andern Blumen, ihre jungfräuliche Gestalt, die sich schlank und gerade aus der Zwiebel erhebt; die wiederum ruht auf dem Wasser und senkt ihre weißen, reinen Wurzeln in die farblose Flüssigkeit; ich liebe ihre Farben, die schneeweiße unschuldige, reine, die honiggelbe liebliche, die rosa junge, die rote reife, vor allem aber die blaue, die tagblaue, die tiefäugige, die treue … ich liebe sie alle, mehr als Gold und Perlen, habe sie geliebt, als ich noch ein Kind war, habe sie bewundert, weil sie alle die schönen Eigenschaften besitzen, die mir fehlen … doch! …

DAS FRÄULEIN. Was?

DER STUDENT. Meine Liebe ist unerwidert, denn die schönen Blumen hassen mich.

DAS FRÄULEIN. Wieso?

DER STUDENT. Ihr Duft, stark und rein von den ersten Winden des Frühlings, der über geschmolzenen Schnee dahingezogen ist, verwirrt meine Sinne, betäubt mich, blendet mich, drängt mich aus dem Zimmer hinaus, beschießt mich mit giftigen Pfeilen, die mir das Herz weh und den Kopf heiß machen! Kennen Sie nicht das Märchen von den Blumen?

DAS FRÄULEIN. Erzählen Sie es!

DER STUDENT. Erst aber seine Deutung. Die Zwiebel, die auf dem Wasser ruht oder in dem Humus, ist die Erde. Jetzt schießt der Stengel empor, gerade wie die Erdachse, an seinem oberen Ende sitzen die sechsstrahligen Sternblüten.

DAS FRÄULEIN. Über der Erde die Sterne! Ach, das ist groß, woher haben Sie das, wo sahen Sie das?

DER STUDENT. Lassen Sie mich nachdenken! – In Ihren Augen! – Es ist also ein Bild des Kosmos … Deswegen sitzt Buddha mit der Zwiebel Erde da, mit grübelnden Blicken, weil er sie sehen will, wie sie heraus- und emporwächst und sich zu einem Himmel umformt. – Die arme Erde soll zum Himmel werden! Darauf wartet Buddha!

DAS FRÄULEIN. Aber – sind nicht die Schneeblüten auch sechsstrahlig, so wie die Lilien – Hyazinthen?

DER STUDENT. Ganz recht! – da sind die Schneeblumen fallende Sterne …

DAS FRÄULEIN. Und das Schneeglöckchen ist ein Schneestern … aus dem Schnee gewachsen.

DER STUDENT. Aber der Sirius, der größte und schönste von den Sternen des Firmaments in Gelb und Rot, das ist die Narzisse mit ihrem gelben und roten Kelch und den sechs weißen Strahlen …

DAS FRÄULEIN. Haben Sie die Askalonzwiebel blühen sehen?

DER STUDENT. Freilich sah ich sie blühen! – Sie trägt ihre Blüten in einem Ball, in einer Kugel, die der Himmelskugel gleicht, mit weißen Sternen übersäet …

DAS FRÄULEIN. Ja, Gott, wie groß! Wessen Gedanke war das?

DER STUDENT. Der deine!

DAS FRÄULEIN. Der deine!

DER STUDENT. Der unsere! – Wir haben etwas Gemeinsames erzeugt, wir sind getraut …

DAS FRÄULEIN. Noch nicht!

DER STUDENT. Was fehlt denn noch?

DAS FRÄULEIN. Warte: die Prüfungen, Geduld!

DER STUDENT. Wohlan! Prüfen Sie mich! Pause. Sagen Sie doch, warum sitzen die Eltern da drinnen so stumm, ohne nur ein einziges Wort zu sagen?

DAS FRÄULEIN. Weil sie einander nichts zu sagen haben, weil der eine nicht glaubt, was der andere sagt. Mein Vater hat das so ausgedrückt: Was für einen Zweck hat es, zu reden, wir können einander ja doch nicht täuschen!

DER STUDENT. Das ist schrecklich zu hören …

DAS FRÄULEIN. Da kommt die Köchin … Sehen Sie sich die an, wie groß und fett sie ist …

DER STUDENT. Was will sie?

DAS FRÄULEIN. Sie will mich nach dem Mittagessen fragen, ich führe nämlich den Haushalt während der Krankheit meiner Mutter …

DER STUDENT. Sollen wir uns um die Küche bekümmern?

DAS FRÄULEIN. Wir müssen ja etwas zu essen haben … Sehen Sie sich die Köchin an, ich kann sie nicht sehen …

DER STUDENT. Wer ist dies Riesenweib?

DAS FRÄULEIN. Sie gehört zu der Vampirfamilie Hummel; sie frißt uns auf …

DER STUDENT. Warum wird sie denn nicht verabschiedet?

DAS FRÄULEIN. Sie geht nicht. Wir haben keine Macht über sie, wir haben sie um unserer Sünden willen bekommen … Sehen Sie nicht, daß wir hinschwinden, verzehrt werden …

DER STUDENT. Bekommen Sie denn nichts zu essen?

DAS FRÄULEIN. Freilich, wir bekommen viele Gerichte, aber alle Kraft ist weg … Sie kocht das Fleisch aus, gibt uns die Fasern und das Wasser, während sie selbst die Kraftbrühe trinkt; und wenn es Braten gibt, so kocht sie erst die Kraft heraus, ißt die Sauce, trinkt die Brühe; alles, was sie anrührt, verliert seinen Saft, es ist, als söge sie sie mit den Augen aus; wir bekommen den Bodensatz, wenn sie den Kaffee getrunken hat, sie trinkt aus den Weinflaschen und füllt sie mit Wasser …

DER STUDENT. Jagen Sie sie weg!

DAS FRÄULEIN. Das können wir nicht!

DER STUDENT. Warum nicht?

DAS FRÄULEIN. Wir wissen es nicht! Sie geht nicht! Niemand vermag etwas über sie – sie hat uns ja die Kraft ausgesogen!

DER STUDENT. Soll ich sie wegjagen?

DAS FRÄULEIN. Nein! Es soll wohl so sein, wie es ist! – Jetzt ist sie hier! Dann fragt sie, was es zu Mittag geben soll, ich antworte das und das; sie erhebt Einwand, und dann wird es so, wie sie will.

DER STUDENT. Dann lassen Sie sie doch selbst bestimmen!

DAS FRÄULEIN. Das will sie nicht.

DER STUDENT. Das ist doch ein sonderbares Haus. Es ist verhext!

DAS FRÄULEIN. Freilich! Aber jetzt kehrt sie um, weil sie Sie gesehen hat!

DIE KÖCHIN in der Tür. Nein, nicht deswegen! Grinst so, daß die Zähne zu sehen sind.

DER STUDENT. Raus, Weib!

DIE KÖCHIN. Wenn es mir beliebt! Pause. Jetzt beliebt es mir! Verschwindet.

DAS FRÄULEIN. Ereifern Sie sich nicht! – Üben Sie sich in Geduld; sie gehört zu den Prüfungen, die wir hier im Hause durchmachen! Aber wir haben auch ein Hausmädchen, hinter der wir aufräumen müssen!

DER STUDENT. Jetzt versinke ich! Cor in aethere! Gesang!

DAS FRÄULEIN. Warten Sie!

DER STUDENT. Gesang!

DAS FRÄULEIN. Geduld! – Dies Zimmer wird das Prüfungszimmer genannt – es ist schön zu sehen, besteht aber aus eitel Gebrechlichkeiten …

DER STUDENT. Unglaublich; aber das muß man übersehen! Schön ist es, aber ein wenig kalt. Warum heizen Sie nicht?

DAS FRÄULEIN. Weil der Ofen raucht.

DER STUDENT. Kann man den Schornstein nicht kehren?

DAS FRÄULEIN. Das hilft nicht! … Sehen Sie den Schreibtisch dort?

DER STUDENT. Außerordentlich schön!

DAS FRÄULEIN. Aber er hinkt; ich lege jeden Tag eine Korkscheibe unter den Fuß, aber das Hausmädchen nimmt sie wieder weg, wenn sie kehrt, und ich muß eine neue schneiden. Der Federhalter ist jeden Morgen voller Tinte und das Schreibzeug ebenfalls; das muß ich jeden Tag, den Gott werden läßt, hinter ihr abwaschen. Pause. Was ist das Schlimmste, das Sie kennen?

DER STUDENT. Wäsche nachzählen! Hu!

DAS FRÄULEIN. Das ist mein Amt! Hu!

 

DER STUDENT. Und was sonst?

DAS FRÄULEIN. In seinem nächtlichen Schlaf gestört werden, wenn man aufstehen und das Fenster festhaken muß … weil das Hausmädchen es vergessen hat.

DER STUDENT. Und was sonst noch?

DAS FRÄULEIN. Auf eine Leiter steigen und die Ofenklappenschnur befestigen, weil das Hausmädchen sie abgerissen hat.

DER STUDENT. Und was sonst noch?

DAS FRÄULEIN. Hinter ihr her kehren, hinter ihr her abstäuben, und hinter ihr her den Ofen anheizen, denn sie legt nur das Holz hinein! Acht auf die Ofenklappe geben, die Gläser trocknen, den Tisch umdecken, die Weinflaschen aufziehen, die Fenster öffnen und lüften, mein Bett noch einmal machen, die Wasserflasche spülen, wenn sie von Algen grün wird, Streichhölzer und Seife kaufen, was beides nie da ist, die Lampengläser putzen und die Dochte beschneiden, damit die Lampen nicht flammen; und damit die Lampen nicht ausgehen, wenn Besuch da ist, muß ich sie selbst füllen …

DER STUDENT. Gesang!

DAS FRÄULEIN. Warten Sie! – Erst die Beschwerden, die Beschwerden, sich das Unreine im Leben fernzuhalten.

DER STUDENT. Aber Sie sind doch vermögend, Sie haben zwei Dienstboten!

DAS FRÄULEIN. Das hilft nicht! Und wenn man dreie hätte! Es ist beschwerlich zu leben, und ich bin oft müde … Denken Sie sich dann noch ein Kinderzimmer dahinzu!

DER STUDENT. Die größte aller Freuden …

DAS FRÄULEIN. Die kostbarste … Ist das Leben so viel Mühe wert?

DER STUDENT. Das hängt wohl von dem Lohn ab, den man von der Mühe erwartet … ich würde nichts scheuen, wenn ich Ihre Hand gewinnen könnte!

DAS FRÄULEIN. Reden Sie nicht so! – Sie können mich nie bekommen!

DER STUDENT. Warum nicht?

DAS FRÄULEIN. Danach dürfen Sie nicht fragen.

Pause.

DER STUDENT. Sie ließen das Armband aus dem Fenster fallen …

DAS FRÄULEIN. Weil meine Hand so schmal geworden ist …

Pause.

Die Köchin erscheint mit einer japanischen Flasche in der Hand.

DAS FRÄULEIN. Da ist die, die mich auffrißt und uns alle.

DER STUDENT. Was hat sie in der Hand?

DAS FRÄULEIN. Die Coleurflasche mit den Skorpionbuchstaben! Es ist die Soja, die das Wasser in Kraftbrühe verwandelt, die Sauce ersetzt, von der man Kohl kocht, aus der man Schildkrötensuppe macht.

DER STUDENT. Raus!

DIE KÖCHIN. Sie saugen uns die Kraft aus, und wir Ihnen; wir nehmen das Blut, und Sie bekommen das Wasse dafür wieder – mit Coleur! Dies ist Coleur! Jetzt gehe ich, aber ich bleibe doch so lange, wie ich will! Ab.

DER STUDENT. Warum hat Bengtsson eine Medaille?

DAS FRÄULEIN. Um seiner großen Verdienste willen.

DER STUDENT. Hat er keine Fehler?

DAS FRÄULEIN. Ja, sehr große, aber für die bekommt man keine Medaille. Sie lachen.