Gespensterbuch, Drittes Bändchen

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Gespensterbuch, Drittes Bändchen
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A. Apel und F. Laun (Hgr.)

Gespensterbuch

Drittes Bändchen

Gespensterbuch

1 Apel und F. Laun (Hgr.)

Drittes Bändchen

Impressum

Texte: © Copyright by A. Apel und F. Laun (Hgr.)

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2021

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Die Vorbedeutungen.

Klara Mongomery.

Der Gespensterläugner.

Anekdoten.

Die Vorbedeutungen.

Im ersten Hotel der Residenz fiel bald die Aufmerksamkeit der Gäste sowohl als des Wirths auf einen gewissen Herrn von Eibengrün. So nannte sich wenigstens der junge Mann von etwa sechs und zwanzig Jahren, der vor einigen Wochen, mit allen Reisebequemlichkeiten versehen, angekommen war, seitdem die ganze Tageszeit gewöhnlich in der waldigen Gegend zubrachte und aller Ansprache möglichst auswich. Auch seinen Leuten ließ sich keine Auskunft über ihn abgewinnen. In einem benachbarten Lande an Einem Tage von ihm gemiethet, waren sie gleichfalls ohne alle Nachricht über Heimath und Herkunft ihres neuen Herrn.

Die Neugier stieg, als einmal des Morgens ein junger Mann vor das Hotel fuhr und in gebrochenem Deutsch hastig nach dem Herrn von Eibengrün fragte. Der Wirth war dem sichtbar höchst Zornigen nachgeschlichen und hörte bald vor Eibengrüns Zimmer ein Gepolter von italiänischen Worten, das ihm auf einen gefährlichen Ausgang zu deuten schien. Darauf eilte der Fremde zurück in seinen Wagen. Eibengrüns Bedienter wurde gerufen und kam mit ein Paar Pistolen kopfschüttelnd wieder heraus, um sie zu laden. Eine Stunde später fuhr auch Eibengrün ab, denselben Weg als der Fremde. Die Pistolen wurden mitgenommen, der Bediente zurückgewiesen. Mein Herr, mein guter Herr ist verloren! rief dieser und ward so ängstlich, daß es ihm nur noch kurze Zeit im Hause litt. Er nahm ein Pferd und jagte davon. Unfehlbar sollte ein Zweikampf Statt finden, das glaubte man im Hotel allgemein.

Man hatte nicht geirrt. Nachmittags kehrten beide Gegner in Einem Wagen zurück, Herr von Eibengrün aufs gefährlichste in den Unterleib geschossen. Uebrigens war sein Gegner in dem Grade sein Freund geworden, daß er durchaus nicht von ihm weichen wollte. Die Aerzte stellten dem Verwegenen vor, wie mißlich der sehr wahrscheinliche Todesfall für ihn werden könne. Der Kranke selbst beschwor ihn, auf schleunige Rettung bedacht zu seyn. Alles tauben Ohren gepredigt.

Die Neugier des Hauses wuchs immer größer und verbreitete sich endlich in der ganzen Stadt. Der Fürst selber erfuhr davon, wollte aber, aus Mitleid, den Thäter wenigstens so lange in freiem Zustande lassen, bis der Verwundete wirklich seinen Geist aufgegeben. Wer hätte auch nicht Theilnahme mit dem Kranken sowohl als mit dem bitter Bereuenden bezeigen sollen, der mehr als Aerzte und Wärter that, um den so eben noch grimmig gehaßten Mann die letzten Stunden zu erleichtern und zu versüßen. Es findet sich oft, daß ein Zweikampf das gute Vernehmen der Kämpfer wieder herstellt. Aber auf den Grad des Hasses wie hier, eine bis zur Aufopferung gehende Liebe folgen zu sehen, das war allen eine so befremdliche als erhebende Erscheinung.

Wider jedermanns Erwarten überlebte der Kranke eine äußerst schmerzhafte Operation, und bald wiesen die Aerzte auf ihn als auf einen besondern Beweis ihrer Kunst hin, denn seine gute Natur hatte ihn wirklich wunderbar gerettet.

Jetzt schied endlich sein vormaliger Gegner. Der Gastwirth konnte nicht müde werden, die Herzlichkeit bei ihrer Trennung zu beschreiben. Mit dem Winter, der ziemlich früh eintrat, schien in dem Genesenen das Bedürfniß eines geselligern Lebens zu entstehen. Ueberall bot man dem wohlgebildetem interessanten Manne die Hand. Doch lag es außer seinem Plane, sich in allen guten Zirkeln der Residenz herumzutreiben. Ein einziges Haus, dessen Gesellschaft fast tagtäglich dieselbe blieb, wurde sein eigentlicher Zufluchtsort. Da hier eine schöne Tochter aufblühte, so gab es bald Vermuthungen von Absichten. Er dachte nicht an die schöne Blanka. Uebrigens schien ihm in diesem Hause eine Person, eine junge Verwandte, vorzüglich anzuziehen. Wenn sie nicht da war, hatte er meistentheils Langeweile.

Gleichwohl begriff man auch nicht, was er an ihr grade finden konnte, da sie weder hübsch noch besonders geistreich war, und zumal mit Männern gar kein Gespräch bei Seele und Leben zu erhalten wußte, ein Fehler, der von versäumter Erziehung in ihren frühern Jahren herrührte, und den die nachherigen günstigern Verhältnisse nicht hatten verbessern können. Ihre Stimme war nicht ganz unrecht. Aber sie hatte schon einen Bräutigam, der regelmäßig alle Tage das Haus besuchte und manchmal über den Herrn von Eibengrün lächelte, wenn dieser Sophien nachging, sich neben sie setzte und doch größtentheils von einer unbequemen Stummheit gefesselt wurde.

Der seltsame Gast hatte über seine eigene Geschichte bisher geschwiegen, und man ließ ihn gewähren, weil ihm jede Erinnerung an die Vergangenheit Kummer zu machen schien. Er bemerkte jetzt eine traurige Spaltung in der Familie. Ein ausländischer Offizier war Veranlassung, der eine Zeitlang sein Quartier im Hause gehabt und das Herz der schönen Tochter gewonnen hatte. Der Vater war dagegen. Die Mutter schwankte zwischen beiden Partheien und schien von beiden ungerechte Klagen und Vorwürfe anhören zu müssen. Sophie war entschieden auf der Seite des Ausländers.

Die innere Gährung, welche daraus entstand, kam dem Herrn von Eibengrün sehr ungelegen. Am meisten fürchtete er das Zutrauen der Partheien in dieser ziemlich offen daliegenden Sache, weil er wohl wußte, wie schwer selbst der beste und einleuchtendste Rath bei solchen Gelegenheiten Zugang findet.

Der Abmarsch des Offiziers, der jetzt erfolgte, stiftete indessen wieder einigen Verein. Mitleid und Hoffnung neigten den Vater zu der Tochter herüber, welche dessen besondere Zärtlichkeit für eine Aufforderung zum Verdoppeln der ihrigen annahm. Allein das Mißverständniß kam bald an den Tag. Die Hoffnung des Vaters auf Blankens Vergessen des Abwesenden scheiterte, und der allgemeine Mißklang im Hause wurde immer vernehmbarer und unbehaglicher. Endlich fiel Sophie auf die Idee, Eibengrün zum Mittler zu machen und all ihren Einfluß anzuwenden, um ihn zu einem Sturme auf das Herz des Vaters zu vermögen.

Sie war wirklich so voll von dieser Sache und deren Gerechtigkeit, daß die Worte sich dießmal in ungewöhnlicher Menge einfanden. Allein, ob sie schon nicht aufhörte von Grausamkeit und einem ganz unväterlichen Herzen zu sprechen, ob sie schon ihre Ueberzeugung bekannte, daß nur ein ganz fühlloses Gemüth von dem schreienden Unrecht, das der armen Liebenden wiederfahre, nicht empört und zur Hülfe aufgefordert werden könnte, so zuckte Eibengrün doch die Achseln und erwiederte die finstre Miene, die sich ihm hierauf zeigte, durch die wenigstens eben so finstern Worte: Ich will und werde mich nie für eine so leichtsinnig beschlossene Verbindung verwenden, vielmehr würde ich, wenn ich Parthie nehmen müßte, gewiß auf die Seite des verständigen Vaters treten.

Sie hatten in ihrer Leidenschaftlichkeit ganz überhört, daß der Vater unterdessen wirklich herbeigekommen, und dem Inhalte des hitzigen Gespräches zu Gefallen, ganz still in der Thüre stehen geblieben war.

Das heißt wie ein edler Mann sprechen! sagte er, Eibengrün umarmend, der über den Zeugen nicht viel weniger erschrak als Sophie, welche sich sogleich entfernte.

So groß war die Verstimmung noch nicht gewesen als diesen Abend; Sophie und Blanka vermieden Eibengrün, und dieser wich dem Vater aus, um nicht ohne Frucht tiefer in die Sache verwickelt zu werden.

Nach einigen Tagen, als sich die Aufwallung der jüngern Parthei ein wenig gelagert hatte, aber doch noch selten ein zusammenhängendes Gespräch Statt finden wollte, da sagte die Dame vom Hause: Lieber Eibengrün, Sie haben uns nun schon so lange ihre Geschichte versprochen, ja uns durch einzelne Andeutungen auf deren Sonderbarkeit nur noch wißbegieriger gemacht, warum länger mit der Erfüllung dieser Zusage zögern? Wir dürfen, glaube ich, zwiefachen Anspruch darauf machen, da Sie nach und nach im Besitz der meisten, neuerlich wahrlich nicht trostreichen Heimlichkeiten unsers Familienlebens gekommen sind.

Sehr wahr, antwortete Eibengrün. Ich trete auch grade jetzt um so lieber damit hervor, da meine Begebenheiten die anscheinende Härte erklären und entschuldigen können, mit der ich mich, wie Sie ohnfehlbar durch Ihren Gemahl wissen, in einer wichtigen Sache gegen Sophien geäußert habe.

Die Dame konnte einen schweren Seufzer nicht unterdrücken. Sie schien ihn mit einem Kommentare begleiten zu wollen, als Blanka's Eintritt die Veränderung des Gesprächs erheischte. Endlich, fing die Wirthin an, da der Kreis beisammen war, endlich sollen wir unseres Freundes Schicksale in ihrem Zusammenhange erfahren.

Die wenige Empfänglichkeit für dergleichen, welche Eibengrün aus den Gesichtern der jüngern Parthei bemerkte, machte ihm wenig Lust dazu, allein die Dame sowohl als der Herr vom Hause ließen nicht nach, und der Gast fing also an:

Das Reisen hatte mich eine Zeitlang überaus glücklich gemacht. Jugend und Wohlhabenheit bahnten mir selbst die bedenklichsten Wege. Heute taumelte ich munter durch die glänzenden Reihen seiner Gesellschaft. Morgen saß ich nicht minder froh neben einem einfachen Hirtenstamme, auf der Alpe, die alle seine Kenntnisse, Erfahrungen und Wünsche beschränkte. Manche weitberühmte Merkwürdigkeit blieb ungesehen. Ich hüpfte gern regellos in der Welt umher, nicht grade mit dem Vorsatze, dem unmittelbaren Nutzen des Reisens aus dem Wege zu gehen, aber auch nicht mit dem Willen ihn mühsam und ängstlich aufzusuchen. Mein Vater nannte mich darum in manchem Briefe seinen Ueberall und Nirgends, war aber nicht unzufrieden mit diesem Herumschweifen. Vielleicht trugen sogar seine frühern Aeußerungen dazu bei, mich zu dieser Art des Reisens zu bestimmen. Die sogenannten Denkwürdigkeiten der Orte, meinte er, wären größtentheils der Aufmerksamkeit kaum werth, desto nützlicher aber, das Leben in seiner tausendfachen Gestaltung aufzusuchen, und durch das Mannichfaltige unvermerkt zu seinem Einen und Nothwendigen zurückgeführt zu werden.

 

Festern Fuß als zuvor fing ich an, in Italien zu fassen. Die ewig bleibende Größe dieses heiligen Landes schien auch mich zum Bleiben aufzufordern.

Jetzt fingen die Briefe meines Vaters an einige Unzufriedenheit zu äußern. Ich war ihm viel zu lange in Florenz und Neapel gewesen, und als ich nun gar nach Rom zum zweitenmale ging und mich hier gleichsam häuslich niederließ, da legte er mir die bedenkliche Frage vor, wer denn, wenn ich immer dort bleiben wollte, seine weitläuftigen Besitzungen nach seinem Tode verwalten würde und ob ich nicht dächte, daß eine Abwesenheit zu dieser Zeit und die Unbekanntschaft mit seinen Gütern mir einen unendlichen Verlust zuziehen müsse. Ein neuer Brief, der, als jene Aeußerungen keinen großen Eindruck gemacht hatten, an mich erging, traf mein Herz um so gewaltiger. Er sprach die heftigste Sehnsucht meines Vaters aus, mich im Vaterlande an der Seite einer Gattin glücklich zu sehen.

Es mußte nun ein Entschluß gefaßt, die willkommene Gegenwart mußte aufgegeben werden. Sie war mir indessen so freundlich gewesen, daß ich, um wenigstens alle künftigen Augenblicke mich in ihrer Erinnerung berauschen zu können, auf die Idee gerieth, wenn nicht eine schöne Römerin selbst, doch eine Zeugin und Theilnehmerin an meinem hiesigen Wohlseyn als Gattin mit in mein Vaterland zu nehmen. Die Wahl bedurfte keines langen Nachsinnens. Die liebenswürdige Familie eines deutschen Grafen war der Kreis, der seit meiner Ankunft in Rom fast mein ganzes Leben umgränzte. Ich brachte Monate auf ihrem Landhause zu. Ich zeichnete mit den beiden Töchtern. Ich begleitete ihren Gesang bald mit der Guitarre, bald mit dem Pianoforte. Wir gaben in Gemeinschaft mit jungen Bewohnern benachbarter Villen kleine Schauspiele auf einem eigends dazu im Walde angelegten, wunderherrlichen Platze. Wir veranstalteten kleine Bälle, die nicht eben dem Glanze, aber doch der anständigen Fröhlichkeit in ihrem ganzen Umfange gewidmet waren. Was Kunst und Natur in und um Rom besaß, alles dieß hatte ich mit dieser Familie genossen. Die jüngere Tochter, Julie, sollte meine Gemahlin werden. Immer hatte ich mich näher an das stille gelassene Herz dieser blonden, etwas kränkelnden Schönheit als an den kräftigen, fast gigantischen Wuchs der lebhaften Aimee hingezogen gefühlt. Julie schien auch mich vor andern jungen Männern auszuzeichnen. Die Augen der Aeltern ruhten ebenfalls wohlgefällig auf unserer wechselseitigen Freundlichkeit, so daß von ihrer Seite kein Widerspruch zu besorgen war, wenn ich, der künftige Universalerbe eines reichen und angesehenen Mannes, mich um ihre Hand gehörig bewerben wollte.

Schon war ich im Begriff, Julien meine Wünsche zu eröffnen, als eine unbekannte Gestalt mein Auge berührte und der Sache eine andere Wendung gab. Ich besucht einst mit Julien und Aimeen die Peterskirche. Andächtig hören wir der Begeisterung eines deutschen Architekten zu, der uns begleitet. Wir theilen sein Entzücken über die Offenbarungen, deren der Himmel und die Kunst den Erbauer dieses Tempels gewürdigt haben. Da tritt aus einem benachbarten Beichtstuhl ein hohes weibliches Wesen, schreitet wie die Königin des Himmels an uns vorüber und läßt sich neben einer andern nicht mehr ganz jugendlichen, aber sehr reizenden Dame auf die Kniee nieder. Nach dem Rosenkranze, der sich durch kostbare Steine besonders auszeichnete, mußten die Damen von bedeutender Herkunft seyn, eine Vermuthung, welche durch ihr würdevolles Benehmen ein noch stärkeres Gewicht erhielt.

Ob mein Auge erst der Wegweiser von Juliens Blicken geworden war, muß dahin gestellt bleiben, doch entging es mir nicht, daß sie meine Aufmerksamkeit auf die Unbekannte theilte. Auch schien Julie die Erschütterung zu bemerken, die der Moment in mir hervorbrachte, wie die Betende den Schleier zurückwarf, der bis dahin die schönen Züge verborgen hatte. Nie hatte ich ein Gesicht von dieser Würde gesehen! Das mußte auf dem meinen zu lesen seyn. Der Kummer der erst aufgeblühten Dame beängstigte mich, von dem ein Paar große Thränen und die schweren Athemzüge zeugten, unter denen der herrliche Busen auf- und niederflog.

Auch ich wurde von ihr bemerkt und kein Mahnen meiner Begleiter war vermögend mich von dem Platze zu rücken. Eine Säule zu ihrem Ruhme aufgerichtet stand ich da, denn meine Augen hatten nicht einmal die Macht sich in den Schranken der Mäßigung zu erhalten. Der ernste Blick der älteren Dame – der Mutter, wie es schien – sah wie ein Verweis aus. Aber was kümmerten mich die Verweise der ganzen Welt, wenn die Gestalt, der ich huldigte, meine Opfer gnädig aufnahm, wie meine Wünsche mich wirklich überredeten.

Endlich veränderte sich die Scene. Die seidenen Mäntel der Damen rauschten vorüber. Ein leidender Blick der jüngern brachte mich so außer Fassung, daß ich, allen Anstand aus den Augen setzend, die Hand der mir völlig Fremden zu ergreifen suchte. Erschrocken entfernte sie sich und verlor darüber den Rosenkranz. Ihrer Begleiterin Unwille schien um so größer zu werden, da ich die Perlenschnur aufhob und mir dadurch einen dankbaren Blick von der Herrlichen verdiente.

Unbekümmert um meine beiden Freundinnen ging ich hinter den Unbekannten her. Fruchtlos. Denn der Wagen, der sie draußen erwartete, rollte so schnell mit ihnen davon, daß mir keine Spur weiter von den Damen blieb.

Seitdem wurde ich manchmal von Juliens Schwester mit diesem Vorfall aufgezogen. Julie schwieg darüber, woraus ich schließen konnte, daß sie weit weniger gleichgültig als jene dabei gewesen seyn mochte.

Indessen bewendete es bei der flüchtigen Erscheinung. Nirgends hatte ich die Fremde wieder entdecken können. Ich hielt es für lächerlich einem Bilde nachzujagen, das sich gleichsam in Dunst und Nebel verlor, und dachte nach einer kurzen Unterbrechung wieder in ganzem Ernste an die Sehnsucht meines Vaters und an Juliens Hand. Nur mit dem Unterschiede, daß ich vor dieser Erscheinung mich zuerst an die Geliebte selbst wenden wollte, nunmehr aber auf den Gedanken gerieth, die Sache recht nach alter guter Methode zu betreiben, und vor allen Dingen meinen Vater von dem Vorhaben und den Hoffnungen zu benachrichtigen, die ich allem Anscheine nach fassen konnte.

Der wackere Alte war zu glücklich in dem Gedanken an meine Rückkehr, als daß er irgend eine Einwendung hätte machen sollen. Ich bekam den Brief der seinen Segen enthielt, als ich eben meine Wohnung in der Stadt besuchte, wohin alles abgegeben wurde, was vom Auslande an mich einlief.

Im Ganzen konnte mir die Sache nicht anders als willkommen seyn. Aber jetzt beunruhigte mich zum ersten Male die Schwierigkeit, mit der Sprache gegen Julien herauszugehen. So entschieden auch mir ihre Vorliebe für mich geschienen hatte, so war doch hierin eine Täuschung möglich. Dergleichen Täuschungen kommen häufig im Leben vor, und die einmal aufgewachte Besorgniß fing an mich immer mehr und mehr der Eigenliebe und eines viel zu festen Zutrauens auf meine Person und Verdienste zu beschuldigen. Wenigstens glaubte ich mich sicher setzen und auf eine Einleitung meiner Liebeserklärung sinnen zu müssen;, von der ich allenfalls unkompromittirt in mein zeitheriges Verhältniß mit Julien zurücktreten konnte.

Gedankenvoll war ich lange schon in der hellen Nacht herumgestrichen. Ein Eingang nach den sogenannten Farnesischen Gärten, der vermuthlich aus Unachtsamkeit offen geblieben war, lockte mich. Das Mondlicht durchzitterte die weiche herrliche Luft, und die grünenden Trümmer zweier verschiedenen Vorzeiten schienen ihre jetzige Schmach inniger als jemals zu beklagen. Ich schaute umher, und von dem Gefühle der Nichtigkeit des Lebens ganz übermannt, fand ich den schlauen Einfall, auf den ich ausging, des Suchens ganz unwürdig. Mochte doch Julie meinen Antrag aufnehmen wie sie wollte. Ich war in diesem Momente geneigt, jeden Winkelzug zu vermeiden, und trat rascher den Rückweg an.

Da höre ich einen Pistolenschuß und zugleich den durchdringenden Schrei einer weiblichen Stimme. Unwillkührlich griff ich nach einem Messer, das ich immer heimlich bei mir trug, um auf meinen oft ganz einsamen Wanderungen im Nothfalle mich vertheidigen zu können. Dem Schalle nach war das Pistol dicht neben mir hinter einem kleinen Gebüsch abgebrannt worden, und ich beeilte mich, der Hülfsbedürftigen beizustehen. In demselben Augenblicke schoß diese bei mir vorüber. Die schöne Andächtige in der Peterskirche war es.

Halt! rief ich ihrem Verfolger zu und schlug ihm das zweite Pistol, das er nachfeuern wollte, aus der Hand.

Er schäumte vor Wuth und beschwor, ein Stilet hervorreißend, meinen Untergang. Der Mann war ein Riese gegen mich und an seine Entwaffnung nicht zu denken. Bloß auf meine Gewandtheit und mein Messer konnte ich vertrauen. Die Furien waren mit mir. Ein Stich durch sein Herz verhinderte die Ausführung seines Vorhabens.

Ich hatte ihn so gut getroffen, daß ihm keine Regung übrig blieb. Sein feiner Anzug kündigte den vornehmen Mann an, und es war das Rathsamste, mich schleunig aus der Gegend zu entfernen. Von der Dame, die mir allein über das mißliche Abentheuer Aufschluß geben konnte, war nichts weiter zu hören noch zu sehen.

Ich war noch uneins mit mir, ob ich der Polizei Nachricht von dem Vorgange geben sollte. Der Zufall hatte mich in den Streit verwickelt und die Nothwehr allein eine so schauerliche Katastrophe herbeigeführt. Der Beweis meiner Unschuld war indessen so schwer, daß die Sache mich mit sehr nachtheiligen Folgen bedrohte. Ich beschloß des Grafen Rath darüber einzuholen und für's erste noch in Rom zu bleiben, weil nirgend ein Zeuge zu erblicken war, und auf mich schwerlich der Verdacht des Mordes dieses mir ganz Unbekannten sogleich fallen konnte.

So wenig sich auch mein Gewissen beschwert fühlte, so hatte doch der unerwartete, blutige Auftritt mein ganzes Bewußtseyn dergestalt umnebelt, daß in den ersten Momenten die Veranlassung zu der Verfolgung der Dame und die Dame selbst mein Nachdenken unbeschäftiget ließ. Erst als ich in meiner ländlichen Behausung angelangt war und den Grafen abwesend fand, erst da fing mich die räthselhafte, auf jeden Fall unglückliche Situation der schönen Dame zu beunruhigen, um so mehr zu beunruhigen an, weil sie allem Vermuthen nach in sehr schlimmen Verhältnissen mit ihrem Verfolger gestanden haben mußte, und sein Tod sie daher leicht in gefährliche Händel mit der Justiz verwickeln konnte.

Aus diesem Grunde entschloß ich mich nunmehr, die That anzuzeigen, als eine dichtverschleierte Alte mir gemeldet wurde. Eine seltsame Zeit zum Besuch, da nach deutscher Uhr die eilfte Stunde eben vorüber war. Doch das Seltsame gehörte nun einmal in die heutige Nacht.

Herr, fing die Alte an, meine Gebieterin läßt Sie beschwören mir an den Ort ihres Aufenthalts zu folgen. Zu ihrer nähern Bezeichnung und zur Beglaubigung meiner Rede soll ich Ihnen diesen Rosenkranz einhändigen.

Es war der nämliche, den ich einst jener Dame aufgehoben hatte. Ich warf meinen Mantel um und folgte der Alten, so viel ich auch Bedenken dagegen hätte haben können.

In einiger Entfernung von dem Landhause sagte sie: Jetzt haben Sie sich ganz meiner Führung zu überlassen! Dazu überreichte sie mir eine Maske, welcher die Oeffnung vor den Augen gänzlich mangelte.

Auf meine Weigerung erfolgte ein Achselzucken, auch erbat sich die Alte den Rosenkranz zurück.

Ich mußte mich schon zu der Beraubung meines Gesichts auf diesem Wege verstehen. Dazu nahm mir die Verhüllte das Wort ab, die Maske nicht eher anzurühren, als bis sie mich selber dazu auffordern würde. Drauf gab sie mir ihren Arm zur Leitung.

Ich suchte durch künstlich gestellte Fragen einige Auskunft über das Herkommen der Dame zu erlangen. Aber da hatte ich mich grade an die rechte Person gewandt! Ja, nein und vielleicht, weiter war wenig aus ihr zu bringen. Wir wanderten wohl schon eine Stunde, größtentheils über einsame Straßen und Plätze, als mich endlich die Ungeduld anwandelte. Meine Führerin tröstete indessen mit der Nähe des Ziels, und wirklich schloß sie bald nachher eine Thüre auf.

 

Ich fragte, ob die Maske noch immer unentbehrlich sey? Mehr als jemals! war ihre Antwort.

Wie mich dünkte, ging es über eine enge, schmale Treppe hinauf. Jetzt zum ersten Male seit der Verlarvung richtete meine Führerin ein Paar Worte an mich, die ich ihr nicht durch Fragen abgedrungen hatte. Leise, sagte sie, ganz leise; jeder Laut von uns auf diesem Wege könnte zu etwas Gräßlichem führen.

Mit unbefangenerm Gemüth würde ich vielleicht empfänglicher für ihre furchterweckenden Reden gewesen seyn. Doch das Opfer, das ich vor Kurzem erst dem Tode gebracht, hatte mich dermaßen mit diesem Erbfeinde des Lebens befreundet, daß in seinem öden Reiche schon ziemlich einheimisch war. Daher ging alles, was mir nachmals noch in der Erinnerung ein geheimes Grauen erregte, wie ein gleichgültiger Ton durch meine Ohren. Nur das verdroß mich, daß meine Neugier so lange auf der Folter liegen mußte.

Die Gemächer, durch welche ich jetzt geführt wurde, schienen zwar dem Schalle der Tritte nach sehr hoch und weit, mit Einem Worte nach vornehmer Art eingerichtet. Allein der starke Luftzug der hindurchstrich und mit Schadhaftigkeiten in der Decke zu korrespondiren schien, ließ auf schlechtverwahrte Fenster und ein verfallenes Gebäude überhaupt schließen. Auch wurde mein Fuß einigemal, wie mir däuchte, durch Grasbüschel aufgehalten.

So hoch ich erst eine Treppe hinaufgestiegen war, so tief führte mich jetzt eine hinab, welche den häßlichsten Moderduft aushauchte. Hierauf wieder eine Thüre, und nun endlich auch die Erlaubniß die Maske abzunehmen.

Ich fand mich in einem ungeheuer großen Zimmer, dessen seltsames Geräth von einem Jahrhundert früher Zeugniß ablegte. Die Fenster mit Bretern versetzt. Eine Oeffnung im Platfond der einzige Zugang für die äußere Luft. Zwei Fackeln erhellten das Gemach, in dem die schöne Dame sich wie in einer unnatürlichen Verzauberung befand.

Ihr Hiersein, sagte sie, als die Alte sich entfernt hatte, beweist mir die Gerechtigkeit meines Vertrauens.

Fast hätte ich, erwiederte ich, nicht ohne Empfindlichkeit, aus der Art, wie ich hierher geführt worden bin, auf gänzlichen Mangel an diesem Vertrauen geschlossen.

Vergeben Sie. Mein Geheimniß hätte ich ihrem herzvollen Auge gern anvertraut, doch der Ort meines Aufenthaltes ist nicht das meinige allein. Entweder mußte ich auf diese, wie auf jede Zusammenkunft, mit Ihnen Verzicht leisten, oder das Geheimniß meiner treuesten Freundin dabei als ein heilig anvertrautes Gut sichern können.

Ich wußte bei dieser Rede kaum wie mir geschah. Die Worte waren es nicht, die mich entzückten, aber das Gemüth, wenn ich so sagen soll, das in ihnen lag, das von den anmuthigsten Tönen, wie das Hochheilige von der Monstranz, umgeben wurde. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht sprechen hören, so dünkte es mir in diesem Augenblicke. Auch wagte ich keine Erwiederung. Ich verlor mich die kurze Zeit, die mir dazu blieb, in den hohen Augen und der ganzen Kraft und Jugend stralenden Gestalt, die hier, wie eine schöne Rose, aus altem Schutt und Ruinen prächtig hervortrat.

Zuerst, fing Sie nun an, danke ich Ihnen für meine Rettung und dem Himmel für die Ihrige. Was aber ist aus unserm Gegner geworden?

Ein Nichts! Was allen Ihren Gegnern zu gönnen wäre. Mein Messer hat den Frevel, Sie zu verfolgen, mitten in seinem Herzen aufgesucht. Der wird kein Gewehr wieder nach Ihnen ausstrecken.

Gott im Himmel! rief die Dame außer sich, und bedeckte verzweiflungsvoll ihr Gesicht mit den Händen.

Nichts glich meinem Befremden. Das Bedauern eines Missethäters wäre durch die milde Natur der Frauen erklärbar gewesen. Aber das war ein weit tieferer Antheil.

Wer war Ihnen denn der Getödtete? fragte ich.

Mein Bräutigam!

Das Wort durchschmetterte alle meine Gebeine.

Ihr Bräutigam? Aus der letzten Situation war dieß Verhältniß nicht herauszufinden.

Er war – Doch wozu Ihnen, mein Herr, das Herz noch schwerer machen, das schon einen Todtschlag zu tragen hat? – Der böse Ausgang ahndete mir, daher ließ ich Sie zu mir bitten. Ihres eigenen Heils wegen! – Weiß die Obrigkeit schon von der That?

Noch nicht!

Gott sei Dank! Dann suchen Sie alles, den Gräuel zu verheelen. Denn selbst die Entschuldigung eine auf den Tod Verfolgte zu retten, würde Sie nicht zu schützen vermögen. Bei allen Ihren Bekanntschaften nicht! Sogar dann nicht, wenn ich mich selbst entschlösse, Ihr Vorgeben zu bezeugen. Die Obrigkeit zwar könnte Sie freisprechen, aber niemand vor den gewiß überall auflauernden Dolchen der Verwandten des Erblichenen in Schutz nehmen.

Ich will Ihr Bestes! fügte sie sanft hinzu. Befolgen Sie darum meinen Rath. Jetzt verlassen Sie mich. – Allezeit den dritten Tag, sobald es dunkel ist, wird die Alte bei der Villa, die Sie mitbewohnen, vorübergehen. Liegt Ihnen daran mich noch einmal zu sprechen, so gehen Sie ihr nach und befehlen über sie. Immer werden Sie mir willkommen seyn, wenn Sie sich wie heute der Führung meiner Dienerin blind überlassen. – Leben Sie wohl!

Der letzte Wunsch war so seelenvol ausgesprochen, daß ich kaum von der Stelle konnte. Allein mit einer an Zärtlichkeit grenzenden Wehmuth öffnete sie die Thüre und übergab mich der Alten Leitung, welche ganz auf die vorige Weise erfolgte.

Als mich die Führerin meinen Augen wieder überließ und von mir Abschied nahm, war ich in einem Gäßchen ohnweit dem Platze del Popolo.

Ein seltsameres Abentheuer als mein heutiges schien mir kaum ersinnlich. Ein Bräutigam, der seiner Braut nach dem Leben steht; eine Braut, die über den Verlust eines solchen Bräutigams außer sich geräth, und gleichwohl denjenigen, der sie von ihm befreite, sehr entschiedene Beweise ihres Wohlwollens giebt! Dieß alles, verbunden mit der ungewöhnlichen ja schauderhaften Wohnung ließ auf das Zusammentreffen außerordentlich widriger Begebenheiten schließen.

So wenig ich mir aber auch einen Begriff machen konnte, weder von den äußern Beziehungen, noch von dem, wie es schien, aus ganz widersprechenden Bestandtheilen zusammengesetzten Charakter der Dame, so sehr war ich dennoch für sie eingenommen. Gestalt und Haltung, Sprache und Stimme, alles kündigte mir eine innere Größe an, welche die Verworrenheit der Gefühle und äußern Ereignisse noch einmal gänzlich zu lösen versprach.

In diesen Gedanken eilte ich der Villa zu, wo meine späte Ankunft an sich nicht auffallen konnte, da ich ohnehin, wegen häufigen Herumschwärmens in schönen Nächten, der Nachtwandler genannt zu werden pflegte. Nur das, daß der späte Besuch der Alten vorausgegangen war, hätte die Sache verdächtig machen können. Doch hatte mein Bedienter und niemand sonst diesen Besuch bemerkt, und auf seine Verschwiegenheit war immer zu bauen. Daher war, auch am andern Morgen gar nicht von meiner nächtlichen Abwesenheit die Rede. Desto mehr aber von meinem Spleen, wie man das dumpfe, düstre Hinbrüten nannte, welches mich für die Gesellschaft unerträglich machte.

Als mein Bedienter beim Reinigen der Kleidung ihre Taschen auf meinem Zimmer ausleerte, da erst ward ich inne, daß der Rosenkranz, den ich von der Alten unterpfändlich erhalten hatte, noch in meinen Händen war.

Um nicht mißfällige Scherze zu veranlassen, legte ich ihn in mein Bureau. Zu spät. Julie hatte sich an dem Nebengeländer vor meinem Fenster etwas zu thun gemacht, und die Andacht war ihr nicht entgangen, mit der ich, ehe ich den Rosenkranz bei Seite legte, ihn betrachtete. Sie pochte an's Fenster und bat mich, ihr ebenfalls die schöne Perlenschnur zu zeigen.