SCHWARZ-WEISSE TODE

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SCHWARZ-WEISSE TODE
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Arthur Gordon Wolf

SCHWARZ-WEISSE TODE

Eine UMC-Story

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Inhaltsverzeichnis

Titel

„Schwarz-Weiße Tode“

Impressum neobooks

„Schwarz-Weiße Tode“

Die Sonne hatte ihren Zenith schon seit mehreren Stunden überschritten, als Zarkon die kleine Lichtung erreichte. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm er seine Armbrust vom Rücken, überprüfte die gespannte Sehne und legte dann einen Bolzen aus seinem Köcher in die Säule der Waffe. Zarkon wählte einen kupfergefiederten Bolzen mit einer breiten gezackten Eisenspitze. Im richtigen Winkel und aus mittlerer Entfernung konnte ein derartiges Geschoss sogar den Schuppenpanzer eines Drachens durchschlagen. Als erfahrener Jäger durfte er sich darauf jedoch nicht verlassen. In geduckter Haltung schlich er zu einem mannshohen Farn. Bevor er sich flach hinter dem Busch auf die Erde legte, zog er sein Schwert und ließ es fast vollständig unter dem mit Laub und Flechten bedeckten Waldboden verschwinden. Zarkon schob es so weit, bis nur noch der mit breiten Lederbändern umwickelte Griff auffordernd aus den Blättern hervorragte. Er musste vorsichtig sein. Jedes Aufblitzen von Metall konnte seine Position verraten. Während er mit der linken Hand das glatte Eibenholz seiner Armbrust streichelte, spähte er angestrengt auf die Lichtung hinaus. Schillernde Libellen tanzten über kleinen Wassertümpeln, an deren Rändern Bärlapp, Schachtelhalme und Hartriegel wuchsen.

Die Idylle trog. Bis auf die Insekten gab es keinen Hinweis auf weiteres tierisches Leben. Kein Eichhörnchen, Waldmurmeltier oder Kaninchen ließ sich blicken. Die Stille war allerdings weitaus beunruhigender. Zarkon hielt den Atem an und schloss die Augen. Das ewig sanfte Säuseln des Windes, der durch den mit Fichten und Eichen durchsetzten Wald strich, war alles, was er vernahm. Der Gesang der Vögel war verstummt. Zarkon riss die Augen auf. Wie lange schon war diese Stille um ihn? Er fluchte leise vor sich hin. Ein Waldläufer musste nicht nur erkennen, was um ihn herum geschah, er musste auch bemerken, wenn etwas fehlte. Er befand sich in den nördlichen Regionen von Karnac, und das Land verzieh keine Fehler. Überall herrschte nur ein Gesetz: Der Stärkere überlebt. Es waren Unachtsamkeiten wie diese, die das Leben eines Menschen schneller verlöschen ließen als das Licht einer Kerze im Sturm.

Wie ein flehmendes Tier öffnete er leicht den Mund und sog die Luft geräuschvoll durch Mund und Nase ein. Zarkon roch die Säure des Farns, die schwere süßliche Erde des Bodens, in die sich aromatische Pilz- und Beerendüfte mischten, den würzigen Harz der Fichten.

Und die schwachen Ausdünstungen von verwesendem Fleisch.

Augenblicklich erhöhte sich sein Pulsschlag. Behutsam bog er einige der Farnblätter zur Seite, presste sich den Knauf der Armbrust fest gegen die Schulter und beobachtete die Lichtung über Kimme und Korn hinweg. Der Drache musste sich in seiner unmittelbaren Nähe befinden.

Für längere Zeit geschah nichts. Dann huschte plötzlich ein großer Schatten über den Wald. Noch ehe Zarkon das Ziel anvisieren konnte, war es schon wieder aus seinem Blickfeld verschwunden. Auch ohne es gesehen zu haben, wusste der Jäger, um was es sich gehandelt hatte. Das ledrige Rauschen der Schwingen gehörte eindeutig zu einem „Raucher“. Wenn man die Stärke des Rauschens bedachte, so musste es sich zudem um ein besonders großes Exemplar der Gattung handeln. „Raucher“ zählten zu den gefährlichsten Drachen, da sie ihrer Beute nicht nur mit Klauen und Zähnen sondern auch mit ausgespienem Feuer den Garaus machen konnten.

‚Nun denn’, dachte Zarkon. ‚Komm’ nur her! Mir ist jedes von euch flatternden Krokodilen recht.’ Er war schließlich nicht zum Schmetterlingsfangen hierhergekommen.

Diesmal musste er nicht lange warten. Als das Rauschen der Schwingen lauter wurde, kroch er entschlossen ein Stück auf die Lichtung und suchte den Himmel mit seiner Waffe ab.

Die Konfrontation stand kurz bevor, als plötzlich gleißendes Licht seine Augen blendete. Vor Verwirrung und Anspannung laut schreiend starrte Zarkon auf kahle weiße Wände. Der Wald war plötzlich verschwunden. Die gesamte Welt schien mit einem Mal auf einen winzigen geometrischen Raum zusammengeschrumpft zu sein. Keuchend schaute er an sich hinunter. Seine Hände, die eben noch die Armbrust gehalten hatten, waren leer. Er trug auch keinen Jagdrock mehr; wo soeben noch lederne Beinkleider und Mokassins gewesen waren, glänzte nun ein widerliches Etwas aus grau- blauen und violetten Farben. Wenn es sich tatsächlich um Stoff handelte, war er so dünn, dass er ihn nicht spüren konnte. Ein heftiger Schwindel ließ Zarkon taumelnd zu Boden stürzen. Er landete auf dem federnden Grund eines etwa zwei Meter großen Quadrates, das durch Seile vom übrigen Raum abgetrennt war. Ein Quadrat in einem Quadrat. Zarkon schloss stöhnend die Augen. Die unerbittliche Strenge der rechten Winkel drohte sein Gehirn zu sprengen. Er wusste nun, wo er sich befand. Der Drache hatte ihn besiegt und ihn direkt in die Abgründe der Hölle geschickt.

„Nun stell’ dich mal nicht so an, Derek!“ Die Stimme erklang so laut, dass sein Besitzer direkt neben ihm stehen musste. Vorsichtig blinzelte Zarkon in das gleißende Lichtband über sich, in das sich nun der Kopf eines älteren Mannes schob. Erschrocken wich der gefallene Krieger zurück. Sein Gegenüber musste ein Dämon sein; die Gestalt war von Kopf bis Fuß in matten schwarzen Stoff gehüllt.

„Na, wie sehe ich aus?“, grinste der Dämon. „Ich finde, Schwarz steht mir besonders gut.“ Während er sprach ließ er unablässig ein glänzendes Objekt in seiner Hand kreisen.

Zarkons Verwirrung steigerte sich ins Unermessliche. Er kannte das Gesicht des Höllenboten, und er wusste, dass das seltsame Ding in seiner Hand „Ray Ban“ genannt wurde. Es war ein „Eye-Phone“. Was aber waren eine „Ray Ban“ und ein „Eye-Phone“? Er hatte nicht den geringsten Schimmer.

„Was ist?“, fragte der seltsam vertraute Dämon. „Willst du hier ein Nickerchen halten? Na los, Derek! Ich habe eine tolle Überraschung für dich.“ Bei diesen Worten hielt er eine Schachtel in die Höhe, in der sich ein weiterer schwarzer Anzug befand. „Da bist du sprachlos, was? Genau in deiner Größe. Heute ist dein großer Tag, Sohnemann. Endlich wirst du erleben, was es bedeutet, wenn man wirklich auf die Jagd geht. Jetzt aber Beeilung! Spritz’ dir ein bisschen Wasser ins Gesicht und wirf dir den Coverall über. Ich warte unten auf dich.“

Als der schwarze Mann verschwunden war, zog sich Zarkon mühsam in die Höhe und betrachtete eine ganze Weile das Ray-Ban-Ding, das der Dämon achtlos neben die Schachtel gelegt hatte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Stromschlag. Es war eine Brille mit integrierten Video- Bildschirmen. Zusammen mit einem Geruchs- und Berührungs- Stimulator konnte der Monitor jeden vom Computer erzeugten Gegenstand als „wirklich“ erscheinen lassen. Der Wald war nur eine Illusion gewesen. Ganz Karnac hatte lediglich aus genial arrangierten Bits und Bytes bestanden. Sein Name war auch nicht Zarkon. Immer noch leicht taumelnd zwängte er sich zwischen den Seilen hindurch und schlurfte langsam in den angrenzenden Raum. Im Spiegel des Badezimmers blickte ihn das Gesicht eines verstört dreinblickenden Teenagers an. Der tapfere Drachenbezwinger war nur ein schmächtiger Jüngling mit Pickeln auf der Stirn. Er seufzte. „Hi Derek!“, grüßte er sein Gegenüber. „Und alles Gute zum Geburtstag.“

Nach einer schnellen Katzenwäsche tauschte Derek eine künstliche Haut mit einer anderen. Selbst seine Haare verschwanden unter der angenähten Kappe. Irgendwie erinnerte ihn das schwarze Ding an einen Taucheranzug, nur war der Stoff wesentlich dünner und nicht gummiert. Die mattierte, leicht raue Oberfläche zeigte nicht das geringste Anzeichen einer Naht; alles schien wie aus einem Guss entstanden zu sein. Kein Wunder, dachte er. Schließlich hatte sein Vater erst vor einigen Wochen ein Laser-Hologramm von ihm erstellen lassen. Der Coverall saß bis auf den tausendstel Millimeter genau.

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