Handbuch des Strafrechts

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III. Das Zwischenverfahren und die Vorbereitung der Hauptverhandlung

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Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung der Hauptverhandlung führt in das Zwischenverfahren, in welchem das Gericht der Hauptsache darüber zu entscheiden hat, ob die Anklage der Staatsanwaltschaft hinreichende Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung enthält.

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Dieses Verfahren hat eigentlich die Funktion, den Angeschuldigten vor dem u.U. unnötigen Stress einer öffentlichen Hauptverhandlung zu schützen. Obwohl die Staatsanwaltschaft gesetzlich verpflichtet ist, sowohl zugunsten wie auch zuungunsten des Beschuldigten zu ermitteln, vgl. oben Rn. 25, geht der Gesetzgeber durchaus zutreffend davon aus, dass in der Realität staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit die belastenden Elemente eine gewichtigere Rolle spielen als die entlastenden. Darum soll es dem unabhängigen Gericht überlassen werden, das Ergebnis der Arbeit der Staatsanwaltschaft noch einmal zu überprüfen.

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Dieser schöne Zweck entfaltet aber in der forensischen Wirklichkeit keinen nennenswerten Effekt. Die Eröffnungsanträge werden allenfalls auf ihre Schlüssigkeit hin geprüft und somit zumeist einfach durchgewunken. Die Zurückweisungsquote liegt nach den Rechtspflegestatistiken unter 1%.

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Zudem enthält das Zwischenverfahren Elemente, welche die Unvoreingenommenheit des Gerichts gefährden. Das Gericht im Zwischenverfahren ist identisch mit dem, welches in der Hauptverhandlung tätig wird. Es gelangt aber nur in die Hauptverhandlung, wenn es aufgrund der Anklageschrift erklärt hat, dass der Beschuldigte der Straftat hinreichend verdächtig sei, § 203 StPO. Eine solche Einschätzung ist durchaus geeignet, das Gericht an seine negative Vorentscheidung psychologisch zu binden und damit den entlastenden Argumenten in der Hauptverhandlung weniger Bedeutung beizumessen. Daher ist es längst überfällig, die Zuständigkeit im Zwischenverfahren einem Gericht zuzuordnen, welches nicht in der Hauptverhandlung tätig wird.

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Ergeht der Beschluss zur Eröffnung der Hauptverhandlung, so hat das Gericht gemäß §§ 212 ff. StPO alle Vorbereitungen dazu zu treffen. Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an Angeklagten und Verteidiger, Mitteilung der Besetzung der Richterbank, Festlegung von Verhandlungsterminen, Zeugenladungen, Gutachterbestellungen und Ähnliches.

IV. Die Hauptverhandlung

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Die Hauptverhandlung ist grundsätzlich öffentlich, § 169 GVG, und beginnt unter Leitung des Vorsitzenden Richters mit dem Aufruf zur Sache, der Identitätskontrolle von Angeklagtem und geladenen Beweispersonen sowie der Feststellung der Anwesenheit des Verteidigers – soweit ein solcher mitwirkt. Danach verlassen die Zeugen den Sitzungssaal, um in ihrer späteren Aussage nicht beeinflusst zu werden. Sodann verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift, um den Gegenstand der Verhandlung zu beschreiben.

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Hiernach wird der Angeklagte darauf hingewiesen, dass er zu keinerlei Aussagen verpflichtet ist, hingegen Angaben zur Person machen müsse. Willigt der Angeklagte in eine Aussage ein, folgt seine Vernehmung.

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Dann beginnt die Beweisaufnahme. Hierbei werden alle von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift angeführten Zeugen sowie nach Entscheidung des Vorsitzenden auch die von der Verteidigung benannten Zeugen gehört. Da die Zeugen in der Regel bereits von Polizei oder Staatsanwaltschaft, mitunter auch durch einen Ermittlungsrichter vernommen worden sind, erscheint ihnen die nochmalige Vernehmung oft als überflüssig. Es muss ihnen daher erklärt werden, dass alles Vorangegangene nur vorbereitender Natur war und für das Urteil allein die Vernehmung in der Hauptverhandlung bedeutsam ist.

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Auch Sachbeweise werden präsentiert und Sachverständige bestellt oder, soweit sie schon bestellt sind, gehört. Zu den Grenzen der Ermittlung vgl. oben Rn. 13.

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Nach Abschluss der Beweisaufnahme folgen die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigung. Dabei werden aus der jeweiligen Sicht des Vortragenden die Ergebnisse der Hauptverhandlung zusammengefasst und mit einem Antrag (Freispruch oder Antrag auf bestimmte Strafe) beendet. Danach hat der Angeklagte das letzte Wort, in dem er seine ganz persönliche Stellungnahme zum Verfahren abgeben kann, § 258 StPO. Das letzte Wort, ein prozessuales Erfordernis, dessen Verletzung die Revision begründen kann, wird in seiner forensischen Bedeutung zumeist überschätzt. Nach den ausgiebigen Diskussionen der juristischen Beteiligten in der Hauptverhandlung kann der Angeklagte in der Regel keinen substantiellen Beitrag mehr leisten. Vielmehr besteht die Gefahr, dass er sich durch unbedachte Formulierungen am Ende noch selbst schadet, etwa wenn es um Elemente des subjektiven Tatbestandes geht, bei denen die Vorstellungen des Angeklagten beim Tatgeschehen eine wesentliche Rolle spielen. Daher wird dem Angeklagten von seiner Verteidigung oft empfohlen, auf das letzte Wort zu verzichten oder sich darauf zu beschränken, sich dem Vortrag des Verteidigers anzuschließen.

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Dann zieht sich das Gericht zur Beratung zurück und verkündet nach dem Wiedereintritt in den Gerichtssaal das Urteil; zunächst im Tenor, also der Entscheidungsformel und dann in einer ausführlichen mündlichen Begründung. Letztere hat jedoch nur vorläufigen Charakter. Die im Rahmen der zeitlichen Grenzen des § 275 StPO anzufertigenden schriftlichen Urteilsbegründungen sind allein entscheidend, und nur sie können als Basis für einzulegende Rechtsmittel dienen. Für den juristischen Anfänger ist dies meist ebenso überraschend wie frustrierend, wenn er aufgrund der mündlichen Begründung eine Menge Rechtsfehler erkennt, die dann in der schriftlichen Version entweder korrigiert sind oder in der Form nicht mehr auftauchen.

V. Rechtsmittel im Rechtsmittelzug

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Wird das erstinstanzliche Urteil nicht akzeptiert, so können Angeklagter/Verteidiger wie auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel einlegen.

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Gegen ein erstinstanzliches Urteil vom Amtsgericht ist Berufung zum Landgericht möglich. Beim Landgericht wird das Verfahren gleichsam wiederholt (falls es nicht durch begrenzende Anträge eingeschränkt wird), also in tatsächlicher und rechtlicher Sicht noch einmal durchgeführt.

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Gegen das Berufungsurteil des Landgerichts ist Revision zum OLG möglich. Auf der Ebene des OLG können dann nur noch Rechtsfragen diskutiert werden. Anders als die formlos einzulegende Berufung muss die der Revision strengen Regeln entsprechen, §§ 337–341 StPO.

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Hat das Verfahren in erster Instanz vor dem Landgericht begonnen, so ist gegen ein solches Urteil nur noch die Revision zum BGH möglich. Natürlich gelten hier dieselben Beschränkungen wie bei der Revision zum OLG.

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Wird die Revision verworfen, erstarkt das Urteil in Rechtskraft, was bedeutet, dass die Feststellungen des Urteils nicht mehr änderbar sind und daher als richtig zu gelten haben. Die Revisionsinstanz kann aber auch zur Korrektur von festgestellten Fehlern das Verfahren an die Vorinstanz zurückverweisen. Das darauf hin ergehende Urteil der Vorinstanz kann wiederum mit der Revision angegriffen werden.

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Ein rechtskräftiges Urteil kann ausnahmsweise im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens doch noch geändert werden, §§ 359 ff. StPO. Stellen sich nach Rechtskraft des Urteils Umstände heraus, die auf tatsächlicher oder rechtlicher Ebene grobe Mängel, so wie sie in § 359 StPO abschließend aufgeführt sind, darstellen, kann ein Wiederaufnahmeverfahren durchgeführt werden. Das Wiederaufnahmeverfahren führt dann wieder in den allgemeinen Rechtsmittelzug.

VI. Rechtsmittel außerhalb des Rechtsmittelzugs

1. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

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Auch jenseits des Rechtsmittelzugs gibt es begrenzte Möglichkeiten, gegen ein rechtskräftiges Urteil vorzugehen.

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Auf nationaler Ebene ist es das Bundesverfassungsgericht, bei dem jedes Urteil wegen Verletzung von Verfassungsgarantien zur Prüfung vorgelegt werden kann. Dies ist im Rahmen des Strafverfahrens von besonderer Bedeutung. Viele der Verfahrensgarantien haben ihren Geltungsursprung im Grundgesetz. So etwa die richterliche Unabhängigkeit, Art. 97, 98 GG, der Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, das Verbot der Doppelbestrafung, Art. 103 Abs. 3 GG, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG, die Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 GG, sowie die vielfältigen Freiheitsrechte, die aus Art. 1 und 2 GG wie aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG folgen. All diese Garantien haben ihre Umsetzung im StGB und in der StPO erfahren. Es kann aber sein, dass diese Vorschriften nicht hinreichend im Sinne der Verfassung vom Gericht ausgelegt und angewendet worden sind, was dann vom BVerfG korrigiert werden kann.

 

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Wird die Verletzung eines dieser Rechte im Verfahren verursacht, ohne geheilt worden zu sein, kann vor dem BVerfG nach Erschöpfung des Rechtsmittelzugs Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Das BVerfG kann dann ein Urteil für ungültig, weil verfassungswidrig, erklären, kann aber auch die Strafgerichte anweisen, erneut und unter Vermeidung der gerügten Verfassungsverletzung zu entscheiden.

2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

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In Deutschland ist im Jahre 1953 die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als Bundesgesetz in Kraft getreten. Die EMRK ist ein vom Europarat verfasster Text, der inzwischen in 47 Ländern des Europarats als Gesetz – zum Teil auch als Verfassungsrecht – gilt. Der Text der Konvention beschreibt im Wesentlichen die Menschenrechtsgarantien, die schon durch das deutsche Grundgesetz geschützt sind. Die Formulierungen der Konvention sind allerdings nicht identisch und setzen auch andere Akzente.

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Damit die Menschenrechtsgarantien der Konvention einheitlich interpretiert und angewendet werden, sieht die EMRK eine eigene Gerichtsbarkeit, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR), vor. Nach Ausschöpfung aller nationalen Rechtsmittel (dazu gehört auch die Anrufung des nationalen Verfassungsgerichts), kann jeder Bürger eines Konventionsstaates sich an den EGMR wenden, um überprüfen zu lassen, ob in seinem Staat ihm gegenüber von den Gerichten die EMRK zutreffend ausgelegt und angewendet worden ist. Nach einem sehr trägen Beginn ist die Rechtsprechungstätigkeit des EGMR heute so vielfältig geworden, dass sie kaum mehr zu überblicken ist. Obwohl, wie erwähnt, das GG letztlich alle Garantien der EMRK auch enthält, hat der EGMR in vielen Entscheidungen den bundesrepublikanischen Gerichten eine nicht hinreichende Berücksichtigung der EMRK vorgeworfen.[11]

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Insofern kann der EGMR eine rechtskräftige deutsche Gerichtsentscheidung, die zudem vom BVerfG als verfassungskonform angesehen worden ist, noch angreifen. Stellt der EGMR eine Verletzung der EMRK fest, hat dies allerdings nicht eine Aufhebung des deutschen Urteils zur Folge. Vielmehr wird dadurch ein Wiederaufnahmegrund geschaffen, § 359 Nr. 6 StPO. Die Wiederaufnahme ist aber nur möglich, wenn das Urteil auf der Konventionsverletzung beruht.

C. Theorie und Praxis des Strafverfahrens

I. Einführung

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In der Philosophie wie auch in der Reflektion des alltäglichen Lebens ist die Divergenz von Sein und Sollen ein wichtiges Thema. Wir streben nach dem, was sein soll, und wissen, dass wir uns dem Zustand der Verwirklichung des moralisch Gesollten und Gewollten doch nur annähern können. Das gilt natürlich auch für die Sollensnormen des Rechts. Würden alle diese erfüllen, brauchten wir keine Justiz. Die Justiz ihrerseits ist an das Recht als Sollensnorm gebunden, nicht nur bei Interpretation und Anwendung der Vorschriften des materiellen Rechts, sondern insbesondere auch bei den Handlungsvorgaben für prozessuales Vorgehen. Das Strafverfahrensrecht – wie grundsätzlich alle Verfahrensrechte – hält für alle Prozessbeteiligten Anweisungen für ihr Verhalten im Verfahren bereit. Dadurch soll die Rechtsanwendung in für alle gleicher und rechtsstaatlicher Art und Weise gewährleistet werden. Aber auch diese Sollens-Vorgaben werden nicht immer erfüllt, wie die korrigierende Rechtsprechung der Obergerichte beständig dokumentiert.

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Darüber hinaus haben sich im Verfahrensrecht Praktiken entwickelt, die der ursprünglichen Intention des Gesetzes – mitunter auch dem Wortlaut – nicht oder zumindest nicht vollständig entsprechen, aber gleichwohl von der obergerichtlichen Rechtsprechung weitgehend toleriert werden und in der untergerichtlichen Praxis beständige Anwendung finden. Will man die Funktionsweise des Strafverfahrens verstehen und in der Praxis der Anwendung bestehen, so ist es unbedingt erforderlich, über diese Dinge Bescheid zu wissen, wenn man unliebsame forensische Überraschungen vermeiden möchte. Hiervon soll im Folgenden gesprochen werden. Dabei werden nur besonders spektakuläre oder wichtige Erscheinungsformen ohne den Ehrgeiz einer vollständigen Darstellung aufgeführt.

II. Einzelbeispiele
1. Richtervorbehalt

a) Grundsätzliche Probleme

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Der Richtervorbehalt ist eines der wichtigsten Instrumente zum Schutze grundrechtlich geschützter Positionen von Verfahrensbeteiligten (zumeist des Beschuldigten etwa bei Durchsuchungen seiner Wohnung oder bei seiner Festnahme in U-Haft) und Verfahrensbetroffenen (etwa Dritten bei dem Abhören der Telefonkommunikation des Beschuldigten). Er soll vermeiden, dass Polizei und Staatsanwaltschaft in ihrem Verfolgungsdrang ohne hinreichenden Grund solche Einschränkungen zu Ermittlungszwecken veranlassen. Der Richter als unabhängigste Institution des Rechtsstaats tritt im Richtervorbehalt als Garant der Rechtmäßigkeit und Angemessenheit grundrechtseinschränkender Ermittlungsmaßnahmen auf. Das ist ein überzeugendes Konzept, welches insbesondere im Ermittlungsverfahren die Rechtsstaatlichkeit wahrt.

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Gleichwohl wird der Richtervorbehalt insbesondere aus der Perspektive der Verteidigung als wenig hilfreich, als ein nur scheinbarer Schutz bezeichnet. Der renommierte Strafverteidiger Egon Müller spricht in diesem Zusammenhang gar von dem Richtervorbehalt als einem Wachhund, der weder bellt noch beißt.[12]

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Das liegt vor allem an zwei Gründen.

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Zum einen stehen die meisten durch einen Richtervorbehalt geschützten Zwangsmaßnahmen unter dem Vorbehalt der Gefahr im Verzug. Ist dies der Fall, können Staatsanwaltschaft und mitunter auch die Polizei verschiedene Zwangsmaßnahmen trotz Richtervorbehalts direkt anordnen. In der Praxis ist diese Ausnahmeregelung zur Regel geworden. Das gilt vor allem bei Durchsuchungen, § 102 StPO, Beschlagnahmen, § 98 StPO und Blutprobenentnahmen, § 81a StPO.[13] Zwar müssen so angeordnete Zwangsmaßnahmen im Nachhinein vom Richter bestätigt oder für rechtswidrig erklärt werden; dies gilt auch für die Frage, ob Gefahr im Verzug zutreffend angenommen wurde.[14] In der Regel aber werden sie nur bei gröbsten Verstößen moniert. Hier greift nicht nur die normative Kraft des Faktischen, die für die Bestätigung einer einmal getroffenen Maßnahme wirkt. Auch der sogenannte Schulterschlusseffekt zwischen Staatsanwaltschaft und Richtern verstärkt diese faktische Bestandskraft. Mit dem Schulterschlusseffekt wird ein Korpsgeist gemeinschaftlichen Empfindens und wechselseitiger Loyalität beschrieben, der durch gemeinsame Karriere (in der Regel müssen Richter als Staatsanwälte gearbeitet haben, bevor sie Richter werden) und der Überzeugung getragen wird, dass die gleiche Ausbildung und die gleiche Berufserfahrung hinreichender Garant für rechtmäßige Entscheidungen sind.[15] Auch die weithin eingerissene Praxis der Staatsanwaltschaft, dem Gericht nicht nur einen Antrag, sondern zugleich auch eine vorformulierte und nur noch zu unterschreibende Antragsbewilligung vorzulegen, belegt, wie gering die Eigenständigkeit der richterlichen Prüfungskompetenz hier geachtet wird.[16]

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Zum anderen liegt die Ineffizienz des Richtervorbehalts an der Organisation richterlicher Arbeitsabläufe. Eigentlich dürften solche Anordnungen nur auf der Grundlage einer umfassenden Prüfung geschehen, die auch die dem Antrag zugrunde liegenden Akten miteinbezieht. Dies würde aber einen erheblichen Arbeitsaufwand bedeuten, den Ermittlungsrichter in der Regel aus Gründen ihrer Arbeitsbelastung nicht leisten können. Deshalb erbringen die Ermittlungsrichter meist nur eine Schlüssigkeitsprüfung, eine Überprüfung also, die davon ausgeht, dass die faktischen Grundlagen des Antrags zutreffend und dem Aktenstand entsprechend sind.

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Nachdem das BVerfG in diesem Zusammenhang auch mündliche richterliche Anordnungen zugelassen hat[17], ist die Versuchung noch größer geworden, die richterliche Prüfung nur sehr kursorisch vorzunehmen.

b) Das Beispiel der U-Haftbeschlüsse

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Die U-Haft ist das stärkste und die persönlichen Freiheitsrechte am meisten beeinträchtigende prozessuale Zwangsmittel. Daher sehen die §§ 112 ff. StPO auch sehr restriktive Bedingungen für ihre Verhängung vor. Nur wenn ein dringender Tatverdacht besteht und einer der abschließend im Gesetz aufgeführten Haftgründe vorliegt, darf dann ein Haftbefehl ergehen, wenn zusätzlich die Haft verhältnismäßig ist, also wenn sie in Hinblick auf die Bedeutung der Sache und die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung noch angemessen erscheint. Das sind hohe Hürden, die eine intensive Überprüfung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erfordern. Gleichwohl überprüft der Richter nur in Ausnahmefällen die Ermittlungsakten und schaut allein auf die Schlüssigkeit der staatsanwaltschaftlichen Argumente.

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Zu allem Überfluss sind dann auch die notwendigen Begründungen für den Haftbefehl oft unzureichend. Das BVerfG hat in mehreren Entscheidungen gerügt, dass eine bloße Wiederholung des Gesetzestextes oder sonstige formelhafte Begründungen unzureichend seien.[18] Der BGH hat sogar einmal einer Strafkammer vorgeworfen, willkürlich Haftgründe angenommen zu haben.[19] Auch empirische Studien belegen, dass sogar jenseits der obergerichtlichen Korrekturen bei Haftbefehlen die Begründungen häufig defizitär sind.[20]

2. Laienrichter

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Laienrichter sind im Strafverfahren auf der Ebene von Amtsgericht und Landgericht im Rahmen der Tatsacheninstanz vom GVG vorgesehen. Sie sind – anders als der geschichtliche Hintergrund vermuten ließe – keine Geschworenen, die lediglich über die Tatsachenlage zu entscheiden haben, sondern in der Hauptverhandlung den Berufsrichtern gleichgestellt.

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Die Rechtsprechung hat jedoch schon seit den Tagen des Reichsgerichts festgelegt, dass Laienrichter keine Akteneinsicht haben dürfen. Anders als Berufsrichter seien sie nicht hinreichend geschult, von einer Aktenkenntnis zu abstrahieren und der Hauptverhandlung unvoreingenommen zu folgen bzw. diese mit zu gestalten.[21] Heute kann man eine derartige Einschränkung aus § 249 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 StPO entnehmen. Ob Berufsrichter diese Fähigkeit tatsächlich haben, soll in diesem Zusammenhang einmal dahin gestellt bleiben.[22]

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In Ermangelung von Rechtskenntnissen ist der Einfluss von Laienrichtern selbst dort, wo sie wie beim Amtsgericht-Schöffengericht den Berufsrichter zahlenmäßig überstimmen können, gering. Die Berufsrichter werden abweichende Ansichten von Schöffen zumeist dadurch „korrigieren“, dass sie rechtliche Gründe vorgeben, die laienrichterliche Vorstellungen unzulässig erscheinen lassen. Die Schöffen können in der Regel die Richtigkeit solcher Gründe nicht überprüfen oder gar dagegen argumentieren. Daher sollte man in der forensischen Praxis nicht allzu viel auf die Gestaltungskraft von Laienrichtern geben.

 
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