Ingenieure - Status und Perspektiven

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Ingenieure - Status und Perspektiven
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Ingenieure - Status und Perspektiven

Der Ingenieur ist „schuld“. Sei es nun, dass ein Handy explodiert oder ein Flugzeug abstürzt. Die Debakel der letzten Jahre sprechen eine eindeutige Sprache. Das Vorurteil, dass bei Ingenieuren alle Entscheidungen nach Faktenlage geschehen, erschwert die Beurteilung der Situation. Denn in diesem Falle wären die Ingenieure tatsächlich immer schuld.

Wer berichtet über die Debakel? Presse, Management und Politik. Laien, die grundsätzlich jegliche Schuld von sich weisen. Äußerungen von Ingenieuren findet man selten. Geschürt werden Ressentiments durch die „öffentliche Meinung“, die das Ingenieurwesen nicht versteht, technikfeindlich denkt und somit im Ingenieur ein Opfer gefunden hat. Das System ist mittlerweile so fortgeschritten, dass „Promis“ stolz damit hausieren gehen dürfen, früher Nieten in Naturwissenschaften und Mathe gewesen zu sein. Andere Bereiche sind dafür nicht geeignet. Diese „Psychologie der bestätigten Vorurteile“ gegenüber Gruppen, die man schuldig sprechen will, funktionierte schon immer bestens. Trotz unfassbarer Beispiele scheint der Lerneffekt aber gegen Null zu tendieren.

Die Realität ist im Ingenieurwesen aber eine andere: Bei vielen technischen Entscheidungen werden die Fachingenieure nicht mit einbezogen. Sie müssen die ihnen gestellten Aufgaben lediglich „irgendwie“ umsetzen. Um den Schein zu wahren, findet jedoch eine Einbindung pro forma statt: Der Vorstand trifft eine Entscheidung und der 30-jährige karriereverliebte Abteilungsleiter bestätigt die Ausführung mit der Bemerkung „kein Problem“. Dieser verlangt vom 25 Jahre älteren Ingenieur die Umsetzung dieser Aufgabe, während er ihm gleichzeitig Unfähigkeit bescheinigt. Dies ist häufig die klassische deutsche Ausgangsbasis, die auch bestens dazu geeignet ist, teure Arbeitskräfte loszuwerden.

Dies alles, da die Entscheidungsträger in den seltensten Fällen nach Faktenlage, sondern meist nach reinem persönlichem Vorteil entscheiden und dabei ihr Risiko minimieren wollen.

Unterstützend „informiert“ die Presse die Öffentlichkeit durch unkritische, irrelevante, inkompetente und somit teilweise falsche Berichte und beschäftigt sie damit. Aber auch für Propagandamaßnahmen der Wirtschaft lässt sie sich gerne benutzen.

Die überforderte Politik kaschiert ihre Unfähigkeit durch Zusammenarbeit mit Industrie und Kapital zum Zwecke des Machterhalts beider Seiten.

Zu diesem Zweck schreckt sie auch nicht davor zurück, weit über 50 % der Arbeitslosen schlichtweg umzubenennen. Dies, um die potentiellen Wähler und Nachbarländer durch Zahlen zu manipulieren, aber auch, um damit über die Behauptung des Fehlens von Arbeitskräften aus Nachbarländern Arbeitskräfte rekrutieren zu können. Damit wird ein Überangebot an (Pseudo-)fachkräften geschaffen, womit deren beliebige Austauschbarkeit im Sinne der „Freien Wirtschaft“ gewährleistet wird.

Die Eskalation dieser Systeme wird in Europa auf mittlere Sicht nur Verlierer produzieren, wenn sich nichts grundlegendst ändert. Dies ist auch einfach daran ersichtlich, dass jedes Großprojekt der letzten Jahrzehnte in einem Desaster für die Gemeinschaft endete. Noch nie gab es für diese Verantwortungslosigkeit echte Konsequenzen, womit dieser offiziell Vorschub geleistet wird.

Um die finale Eskalation der Systeme zu verhindern, müssen aber zunächst deren Strukturen klar dargelegt und verstanden werden.

Armin Odoleg

Ingenieure

Status und Perspektiven

Im System des

Absurden Optimismus

Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen,

müssten wir beide Seiten dieser Grenze denken können

(wir müssten also denken können, was sich nicht denken lässt).

Ludwig Wittgenstein

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1

Die Funktionsweise von Menschen 7

Die Wahrnehmung und ihre Folgen 8

Kognitive Dissonanz 14

Die Sucht nach „Konformität“ 17

Beispiele der Kognitiven Dissonanz 18

Überzeugungen 25

Erfahrung und Vorurteil 26

Die „Paradoxe Verschreibung“ 28

Dunning-Kruger-Effekt 30

Gut und Böse, Richtig und Falsch... 31

Was denn nun? 32

Die Qualifikation des Ingenieurs 34

„Qualität... 36

Schlechte Nachrichten 39

Der „Chef-Effekt“ 43

Absurder Optimismus 44

„Manager 46

Das Gehirn 49

Soziopathen 50

Die selbsternannten Eliten 52

Verantwortung 58

Krisen 62

Ingenieure 63

Kompetenz 64

Die Bewertung der Kompetenz 69

Der Fachkräftemangel 70

Das Bewerbungsgespräch 75

Die Entlassungen 77

Die Personaldienstleister 79

Die „Vollendeten Tatsachen“ 80

Der Ruf nach Frei- und Querdenkern 83

Innovation und Kreativität 85

Großraumbüros 87

Computer 89

VDI-Nachrichten 93

Die ideale Firma 96

Die Firmen-Berater 102

Die Kontrollmechanismen 107

Die Controller 108

Die falschen Hoffnungen 111

Die falschen Schlüsse 113

Die falschen Aussagen ( = Lügen) 114

Die Erniedrigung 116

Die Bildung an den Universitäten 118

Die Professoren 120

Die Veröffentlichungen 122

Die Rolle der Presse 123

Das Geld... 126

Die Pendelei 128

Erfolg 130

„Wer gut schmiert... 133

Die Übertragung auf andere Bereiche 138

Systeme der Macht 140

Bekannte Systeme? 141

Abschlussgeschichte ICE 1 144

Die Radreifen 150

Das aktuelle Pendant 151

 

Die Verhaltensmuster 155

Strategien zur Erhaltung der Macht 156

Die Arbeit am Produkt 158

Menschliche Konsequenzen 161

Zusammenfassung und Ausblick 162

Das Schrumpfen des Wasserkopfes 164

Direkte Ansätze 164

Abstellung des Absurden Optimismus 168

Die Wertschätzung 169

Das Führungspersonal 171

Die Gesellschaft 173

Es ist alles gesagt... 176

Glossar 178

Zitate 182

Literatur 184

Vorwort

Als Luft- und Raumfahrttechniker arbeite ich mittlerweile im Bereich der Windkraft. Warum? Als ich vor langer Zeit studierte hörte ich den Vortrag eines Betriebswirts. Er fragte: „Wie viele Unis gibt es, die Luft- und Raumfahrttechnik unterrichten?“. Wir kamen auf mindestens 8; Fachhochschulen und Universitäten. Dann meinte er: „Nehmen wir einmal an, pro Universität gibt es in diesem Studiengang 50 Studenten (wir waren mehr) – dies bedeutet im Minimum 400 Abgänger pro Jahr“. Er schloss mit der Feststellung: „Wissen sie, wie viele im Jahr in Deutschland gebraucht werden? Ich sag's Ihnen: es sind 70!“.

Und damals waren Firmen, die Flugzeuge bauten, in Deutschland noch relativ zahlreich.

Zum Thema „Windkraft“: Mir fallen ad hoc 6 Universitäten ein, an denen ein Lehrstuhl für Windkraft eingerichtet wurde. Man kann zu diesem Thema stehen, wie man will, aber: Wie viele Ingenieure werden momentan ausgebildet und wie viele werden benötigt? Muss jeder Fehler wiederholt werden? In jedem Falle wird künstlich ein Überangebot erzeugt. Vorsichtig geschätzt werden also doppelt so viele Fachleute ausgebildet wie benötigt werden. Und gleichzeitig wird der „Fachkräftemangel“ permanent thematisiert. Komisch, oder?

Das Dokument stellt somit an Beispielen die Situation insbesondere von Ingenieuren, aber auch anderen Naturwissenschaftlern, dar. Dies geschieht durch konsequentes, systematisches Hinterfragen dieser Situation.

Die Erfahrung aus vielen Firmen zeigt, dass dort so ziemlich alles eigenartig ist. Die Systeme, von denen man umgeben ist, erweisen sich großenteils als widersprüchlich. Diese Systeme werden hier erklärt, die Widersprüche aufgezeigt und der Sinn dargelegt. Denn normalerweise wäre es leicht, sie aufzulösen – wenn es wirklich gewünscht wäre.

Das bedeutet nicht, dass dies für alle Firmen gültig ist. Es scheint mir jedoch im Mittel und insbesondere für größere Firmen korrekt zu sein. Die Firmen sind dann auch zum Teil mit großem Presserummel in die Insolvenz gegangen. Oder sie waren permanent kurz davor – deshalb waren sie permanent in finanziellen Nöten und damit fehlte auch das Geld für die Angestellten und an eine Gehaltserhöhung war schon gar nicht zu denken. Während Gehaltserhöhungen nach einem halben Jahrzehnt Firmenzugehörigkeit „nicht möglich“ waren, hat der Vorstand zum selben Zeitpunkt immer eine Möglichkeit gefunden, sich mehrere Millionen an Boni, also an zusätzlichem Gehalt, zu gönnen. Wie hoch dies ausfiel, kann nicht exakt beziffert werden, aber als Mitarbeiter einer Firma kann es leicht näherungsweise rückgerechnet werden, da „Gehaltsaufwendungen“ öffentlich dargelegt werden müssen. Und das Gehalt der normalen Angestellten stieg in den letzten Jahren in keiner bekannten Firma um über 8 %...

Primär geht es hier aber nicht um Geld. Es ist allerdings ein Indikator des Respekts gegenüber den Angestellten. Hauptsächlich befasst sich der Text damit, wie es im „Land der Dichter und Denker“ im Ingenieurwesen und in den Naturwissenschaften bestellt ist. Dort denken doch die meisten, dass alles nach Faktenlage entschieden wird, oder? Es gibt Probleme und die werden dann gelöst – das ist doch nur logisch!

Es existiert der „Zeitgeist“, nach dem die Gesellschaft funktioniert. In der Politik ist klar, wer an der Macht ist: Politiker haben ein Ohr für den Zeitgeist und es wird so entschieden, dass dieser befriedigt wird. Er wird durch die (angeblich) überwiegende Menge des Volkes vorgegeben. Zumindest ist es so, dass der, der diesen nicht befriedigt, keine Stimmen bekommt. Kleine Gruppen können ignoriert werden, denn sie sind für den Ausgang der nächsten Wahl nicht entscheidend. Beziehungsweise kann man auf ihnen herumhacken, um vermeintliche Lösungen zu suggerieren und nicht dem Vorwurf der Untätigkeit ausgesetzt zu sein. Das Volk möchte keine Probleme und Zwänge; es hat genug: Und so ist die Partei an der Macht, die Probleme nicht thematisiert und gleichzeitig so entscheidet, wie ein Großteil des Volkes es gefühlsmäßig haben möchte.

Warum ich das hier schreibe? Vor etwa vier Wochen bin ich bei YouTube über eine Dokumentation „gestolpert“ in der jemand die Qualität von wissenschaftlichen Veröffentlichungen in seinem Bereich (Ernährungswissenschaften) kritisiert. Er fordert die Zuschauer auf, diese kritisch zu betrachten. Der Vortragende zitiert auch die jeweiligen Literaturstellen, um die Reproduzierbarkeit seiner Aussagen zu gewährleisten.

Als Negativbeispiel diskutierte er eine amerikanische Veröffentlichung, mit der gezeigt wurde, dass die Reduktion der Aufnahme von Salz das Herzinfarktrisiko dahingehend verringert, dass in Amerika jährlich (bitte nicht auf die abenteuerliche hohe Zahl der Nullen festlegen) 10 Milliarden Dollar gespart werden könnten. Die Zahl der Probanden der Studie war – exakt Null. Es handelte sich um eine Computersimulation; die Ersparnis für die Wirtschaft wurde „hochgerechnet“. Eine folgende Studie mit erhöhter Salzaufnahme, in die fast 8000 Personen involviert waren und in der sogar eine (nicht signifikante) geringe Reduktion des Herzinfarktrisikos festgestellt wurde, ignorierte die Presse.

Analog dazu existieren in Deutschland Presseartikeln, in denen von 300.000 getöteten Fledermäuse pro Jahr an deutschen Windenergieanlagen berichtet wird. Diese Zahl wurde ebenfalls von durchschnittlich 13 toten Fledermäusen pro Jahr „hochgerechnet“. Der Rechengang ist nirgends dargelegt.

Erinnern wir uns an Studien, die vor etwa 12 Jahren stattfanden und in denen „Acrylamid“ in Pommes Frites nachgewiesen wurde. An Hand von Experimenten mit Ratten wurde „nachgewiesen“, dass dieser Stoff krebserregend ist. Heute ist von den Studien keine Rede mehr. Dies auch deswegen, da in vielen anderen Nahrungsmitteln dieser Stoff entdeckt wurde und dass in neueren Studien eher das Gegenteil gezeigt werden konnte. Die Presse gibt nicht gerne zu, dass sie schlecht bzw. gar nicht recherchiert hat. Weiterhin will die Presse auch nicht Schuld an der finanziellen Situation der betroffenen Firmen sein, die Pommes Frites produzierten und aufgrund der Pressemitteilungen kurz vor der Insolvenz standen.

Die Presse spricht von „Ingenieur-“ bzw. „Fachkräftemangel“, einer gut funktionierenden deutschen Wirtschaft, Innovation, einer niedrigen Arbeitslosigkeit und viel Wohlstand.

Insbesondere auf diesem „Fachkräftemangel“ wird quasi ein „Endzeitszenario“ aufgebaut, in dem ausführlich regelrecht ausgemalt wird, welches Risiko dadurch der Wirtschaft droht. Bisweilen werden Zahlen genannt, wie viele fehlen. In kurzen anderen Beiträgen wird jedoch berichtet, dass der Fachkräftemangel gar nicht existiert. Wie passen diese beiden Aussagen zusammen? Hier besteht die Möglichkeit, dass eine Seite die Unwahrheit oder „Halbwahrheiten“ erzählt oder beide Seiten reden über etwas unterschiedliches.

Ich hoffe, dass am Ende dieses Buches jeder motiviert ist, sich wichtige Informationen selbst zu besorgen. Die Frage ist immer: Über was genau wird geredet, welche Information fehlt und wer hat u.U. Interesse, Zahlen zu verschweigen oder in eine erwünschte Richtung zu „verbiegen“?

Beim Fachkräftemangel beispielsweise maße ich mir an, wesentliche Zahlen, Daten und Fakten zu hinterfragen. Dies mit relativ einfachen Prüfungen zur Plausibilität und mit Internetrecherchen. Einzelne Aussagen im Internet sollten nicht als bare Münze genommen werden.

Bei der „gut funktionierenden deutschen Wirtschaft“ muss leider festgestellt werden, dass sie im „Dreamteam“ mit der Politik (Die Parteirichtung ist einerlei) in den letzten zwei Jahrzehnten alles gegen die Wand gefahren hat, was möglich ist. Kein einziges Projekt wurde auch nur halbwegs im Kosten- und Zeitrahmen beendet wurde. Den „Bock“ im Bereich Kostensteigerung hat bis Dato die Hamburger Elbphilharmonie geschossen, deren Kostensteigerung momentan mit dem Faktor 10 festgestellt wurde. Die Richterskala ist nach oben offen. Man könnte hier natürlich auch die „Drohne“ nennen – hier bekommt man für die eingesetzte knappe Milliarde nichts1 .

Alle Projekte wurden mit den tollsten Computer-Planungs-programmen (bspw. Microsoft „Project“) geplant. Diese lassen eine Darstellung und Auswertung des geplanten Projektes in jeder beliebigen Option dar. Bei Großprojekten werden sicherlich hunderte dieser Projektplanungsdiagramme erstellt.Um nachträglich einen Zeitverzug von 14 Jahren (NH90) verkünden zu müssen. Ist das alles „kontraproduktiv“? Wir werden sehen.

Aber: Bei TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen) wird natürlich alles nach Plan laufen!2 Genauso wie es bei der Aufnahme Griechenlands im Jahre 2001 in die EU war: Knapp 10 Jahre später wird „bemerkt“, dass es Probleme gibt3 . So lange sie nicht schwerwiegend sind, kehrt man sie unter den Teppich. Um mehrere Jahre später den großen Knüppel auszupacken. Die Politik reagiert plan- und hilflos und weiterhin realitätsfremd.

Somit zeigt alleine die statistische Betrachtung dieser Fakten, mit welcher Wahrscheinlichkeit zukünftige Projekte auch nur halbwegs „gut gehen“ werden. Wenn es mathematisch möglich wäre, würde man vermutlich eine Wahrscheinlichkeit kleiner als Null errechnen.

Diese in diesem Buch getätigten Betrachtungen werden nicht dem Anspruch genügen, die „Wahrheit“ darzustellen. Dies kann auch nicht funktionieren, denn diese bedient eine komplexe Wissenschaft, die Philosophie. Außerdem kann man nicht für jeden Sachverhalt beliebig genaues Detailwissen besitzen. Und die Systeme werden mittlerweile beliebig komplex. Die Darstellungen in diesem Buch können somit auch nicht 100 % neutral sein, denn zum einen kann der Autor nicht alle Details wissen und zum anderen ist niemand völlig neutral.

Dieser Text soll eine Anregung geben, Dinge, die immer als selbstverständlich behandelt werden, aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Im Kantschen Sinne der Aufklärung: Gesicherte Erkenntnis ist der erste Schritt. Denn ohne diese kann der schwierigere Schritt, die Mündigkeit, nicht folgen.

Die Funktionsweise von Menschen

Der Ingenieur spricht von „Funktion“- man möge mir verzeihen – ich weiß, Menschen sind keine Maschinen. Dieses Kapitel zeigt die „Grundlagen“ auf, auf denen menschliche Verhaltensweisen basieren. In der Mathematik werden sie als „Randbedingungen“ bezeichnet. Lösungen in der Mathematik müssen diese Randbedingungen erfüllen, sonst sind sie nicht korrekt.

Und um zu verstehen, warum die Wirtschaft und die Personen, die sie lenken (und auch alle andere Menschen), so funktionieren, wie sie es momentan tun und auch auch schon immer getan haben, bringe ich hier psychologische Aspekte ins Spiel. Obwohl man denkt, dass dies im Bereich des Ingenieurwesens keine Rolle spielen kann. Das dachte ich auch lange, bis ich irgendwann von der (meiner) Wirklichkeit eingeholt wurde.

Hierzu ist zu bemerken, dass nicht ganz unwichtige Philosophen unserer Zeit wie beispielsweise Ludwig Wittgenstein („Tractatus logico-philosophicus“) oder Rudolf Steiner (Anthroposophie, Waldorfschulen) ebenfalls Ingenieure waren, bevor sie sich der Philosophie zuwandten. Paul Watzlawick war Philosoph und Psychologe. Reines Ingenieurwesen und -wissen erweist sich somit als nicht ausreichend, um gute Produkte zu schaffen. Eine gute Grundlage stellt es aber dennoch dar.

 

Die Wahrnehmung und ihre Folgen

Die Grundlage für die „persönliche Daseinsgestaltung“ aller Menschen bildet deren eigene Wahrnehmung. Betrachtet man etwa das Beispiel einer Herbstwanderung im Gebirge: Der Naturliebhaber erfreut sich der unterschiedlich gefärbten Blätter, der Chemiker macht sich Gedanken über das Chlorophyll und die verschiedenen Farben der Blätter, der Techniker überlegt sich, warum seine Wanderschuhe auf dem nassen Boden leicht rutschen und der Feinschmecker sammelt viele schmackhafte Pilze. Jeder geht spezifischen Interessen nach, deren Ursachen irgendwo liegen. Wo, ist nicht von Belang. Wichtig ist, dass jede dieser Personen alles unterschiedlich wahrnimmt. Darauf basieren für alle Dinge unterschiedliche Schlussfolgerungen. Dies bedeutet, dass sich jeder seine Welt nach seinen Denk- und Erfahrungsmustern konstruiert.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass die verschiedenartige Wahrnehmung auch für komplexe Sachverhalte zutrifft, wobei mit der Komplexität derselben auch die Differenziertheit der Wahrnehmung und mit dieser zusätzlich die Anzahl der Möglichkeiten der Interpretation derselben steigt.

Ein Vertreter dieser Interpretation unseres „Ichs“ war der Philosoph Paul Watzlawick, er nannte die Konstruktion der persönlichen Wirklichkeit „Radikalen Konstruktivismus“. Nach dem Studium der Philosophie hatte er sich der Psychoanalyse zugewandt. Dies, als er feststellte, dass Menschen ein psychisches Problem bekommen, wenn ihre „Konstruktionen“ im Gehirn, also ihre persönlichen Wahrheiten, mit Fakten kollidieren.

Die Natur hat es deshalb so „eingerichtet“, dass sie versucht, Kollisionen im Gehirn zu vermeiden. Dies auch, damit der Mensch psychisch gesund bleibt.

Wichtig ist, dass auch Randbedingungen existieren, wie etwa Naturgesetze, nach denen sich die Konstruktionen im Gehirn richten müssen bzw. müssten. Diese lassen sich nicht konstruieren, da sie definitiv nicht veränderbar sind. Die Größe der Lichtgeschwindigkeit ist beispielsweise ein Naturgesetz, das besagt, dass sie von massebehafteten Teilchen nicht erreicht werden kann. In wie weit Naturgesetze bei technischen Entscheidungen gelten? Wir werden sehen.

Für die weitere Erkenntnis erscheint mir wichtig, dass aus diesen (subjektiven) Wahrnehmungen heraus Schlussfolgerungen resultieren; und aus diesen Schlussfolgerungen werden final Entscheidungen getroffen – nach bestem Wissen und Gewissen. Dies beispielsweise bei einer Wahl an der Urne. Wobei natürlich auch so gewählt wird, dass sich ein persönlicher Vorteil ergibt. Bei dieser Beurteilung denkt nahezu jede(r) von sich, er/sie hätte die beste Wahrnehmung bzw. Urteilsvermögen und sieht alles aus seiner persönlichen Sicht.

Die „Grundkette“ besteht also aus:

Wahrnehmung → Schlussfolgerung/Reflektion/Vergleich mit Erfahrungswerten → Entscheidung.

Das bedeutet nicht, dass die alleinige Ursache von Entscheidungen die Schlussfolgerungen sind. Bei Entscheidungen spielen neben den in Gehirn getroffenen Schlussfolgerungen auch andere Faktoren eine wesentliche Rolle: Beispielsweise die Risikofreudigkeit von Personen. Und diese hängt wiederum von Hormonen ab - Dopamin und Testosteron beispielsweise. Um hier einen Praxisbezug zu bieten: Manager, die in die neuere Deutsche Geschichte nachträglich gesehen nicht sehr ruhmreich eingingen, legten laut Presse „Rambo-Methoden“ an den Tag.

Dass jeder seine Umwelt individuell wahrnimmt, war für die Evolution lebensnotwendig. Wenn jeder gleich denken und handeln würde, so könnte man dies nicht als Evolution bezeichnen. Weiterhin würde sich dann jeder dem Gleichen widmen. Ein Naturereignis wie beispielsweise die Explosion einer nahen Supernova würde die komplette Spezies ausrotten. Da aber ein Teil der Spezies in Zelten und der andere in Höhlen wohnte, in denen dieser vor gefährlichen Strahlen bzw. Teilchen geschützt war, überlebten die Höhlenbewohner.

Ein einfaches Beispiel für eine verfälschte Wahrnehmung der Realität stellt eine Fata Morgana dar, die einem vorgaukelt, dass Gebäude oder Städte sehr viel näher sind als in der Realität. Die Ursache dieser falsch interpretierten Sinneswahrnehmung sind Spiegeleffekte an atmosphärischen Schichten. Wobei in diesem Falle die Wahrnehmung eigentlich sogar physikalisch korrekt ist. Hier wird das Gehirn darüber betrogen, dass die Natur dort Spiegel aufstellt, wo normalerweise keine vorhanden sind.

Ein klassisches Beispiel für sinnliche Konstruktionen im Gehirn sind Verschwörungstheorien: Hier wird etwas „konstruiert“. Beispielsweise, dass die Mondlandung nie stattgefunden hätte und alle Filme, in denen die Astronauten auf dem Mond spazierten, auf der Erde gedreht sind. Dabei werden die absurdesten Argumente angeführt. Diese basieren meist darauf, dass ein Hintergrundwissen fehlt. Die Argumente können alle von Wissenschaftlern leicht widerlegt werden, was aber ignoriert wird4 .

Was den Autor dieser Schrift irritiert: Man kann tatsächlich nachweisen, dass die Mondlandungen stattgefunden haben: Dies ist daran sichtbar, dass in den Filmen die Sandteilchen des Mondmobils einer niedrigeren Schwerkraft ausgesetzt sind und somit in einem größeren Bogen als auf der Erde fliegen. Gleichzeitig fliegen sie in einer idealen Parabel, da der Luftwiderstand fehlt. Es hat nämlich noch niemand geschafft, die Schwerkraft zu reduzieren, um solche Kameraaufnahmen auf der Erde zu machen und zudem so große Volumina leerzupumpen, da die Sandteilchen durch die Luft abgebremst würden. Wer die Schwerkraft reduzieren kann, für den wäre eine Mondlandung ein Klacks5 . Scheinbar wird nie versucht, mit dieser Methode die Verschwörungstheoretiker auszuhebeln. Statt dessen wird mühsam versucht, die Argumente der Verschwörungstheoretiker zu widerlegen. Zurück zum Thema:

In der heutigen Zeit hat die Konstruktion der Wirklichkeit, der die Menschheit über Millionen Jahre zum Erfolg geführt hat, mehrere große Probleme:

Wie man am Beispiel der Mondlandung sehen kann, werden die Systeme immer komplexer. Um sie wirklich zu verstehen, muss man sich über Jahre intensiv damit beschäftigen. Das Wissen der Menschheit ist in den letzten 150 Jahren quasi explodiert. Niemand kann mehr den Überblick über alles haben und tiefer gehende Einsichten erlangt man nur noch in Teilbereichen. Beispielsweise war die Physik am Ende des 19. Jahrhunderts mit der Newtonschen Mechanik am Ende. Bis dann Max Planck und Albert Einstein erschienen und den Umfang der Physik mit Quantenmechanik und Relativitätstheorie, zum Teil eingebettet in umfangreiche Mathematik, um ein Vielfaches erweiterten.

Dieser Wissensmenge wird viel untergeordnet beziehungsweise geopfert; andere menschliche Eigenschaften bleiben auf der Strecke. Wie zum Beispiel jene, mit einfachen Mitteln und mit relativ wenig „Input“ logische, plausible Schlüsse zu ziehen. Dies sind Eigenschaften, die einem das Leben sehr erleichtern könnten6 .

Die Kunst bei dieser Methode besteht darin, möglichst schnell auf elementare Dinge wie einfache Formeln zu reduzieren, die keinen Interpretationsspielraum besitzen. Beim „Mondlandebeispiel“ sind dies die Kenntnis der Formeln des schiefen Wurfes, das Wissen, dass auf dem Mond Vakuum herrscht und der schiefe Wurf nicht abgebremst wird und außerdem, dass die Anziehungskraft des Mondes geringer als die der Erde ist. Und man muss einmal einen Film abspielen, in dem zu sehen ist, wie das Mondauto Staub hochschleudert.

Das zweite große Problem liegt seit circa 20 Jahren in der Wahrnehmung begründet: in den Augen des Autors wird sie immer schlechter. Dies liegt insbesondere an den Computern, an denen auch der vorliegende Text verfasst wird. Die Wahrnehmung besteht aus Berühren der Materialien (Haptik), sehen, riechen, hören und interpersoneller Kommunikation. Alle diese Eindrücke werden im Kopf koordiniert, um ein Gesamtbild der persönlichen Wahrheit zu erzeugen. Dabei handelt es sich um eine beachtliche Geistesleistung. Aber jeder wird nur noch an den Computer verbannt und viele tun dies sogar freiwillig. In einem Computer kann man weder Dinge anfassen, die dort konstruierten Teile machen keinen Lärm und sie riechen nicht7 . Und Kommunikation am Computer funktioniert völlig anders als im wahren Leben - wenngleich hier eine andere Wahrnehmung verlangt wird, so kann sie keinesfalls die Wahrnehmung der Körpersprache des Gegenübers ersetzen. Somit fehlt vielen Menschen einfach die Übung der Wahrnehmung. Und so können Sie ganz leicht zu Opfern von Bauernfängern werden.

Das nächste schwerwiegende Problem ist folgendes: je komplizierter die Systeme werden, desto schwieriger wird es für die involvierten Personen, sich von diesen Systemen zu trennen.

Hierzu zwei Beispiele:

Im Moment sind Kohlefasern als Baumaterial für Maschinen und Maschinenteile (wieder einmal) „modern“. Gegenstände, die daraus gefertigt sind, lassen sich gut verkaufen. Sie werden eingesetzt, um zu zeigen, was man Tolles kann oder wie innovativ man dasteht (mehr dazu später). Nun haben aber Kohlefasern auch Nachteile, wie jeder Werkstoff. Beispielsweise sind Kohlefasern ein sensibles Material. Gemäß dem Motto: je hochwertiger, desto sensibler; dies gilt für Werkstoffe (und in meinen Augen kann man die Aussage beliebig erweitern). Jedenfalls stellt die Verarbeitung von Kohlefasern eine Herausforderung dar. Diese beginnt bei der Planung und der Wahl der Verarbeitungstechnologien, setzt sich bei der Ausbildung derjenigen fort, die dieses Material verarbeiten und endet beim Zusammenfügen der Teile. Man benötigt viel Übung, bis man dazu fähig ist, denn es bedeutet großenteils Handarbeit. Beispielsweise wurde der Rahmen eines Stadtfahrrades und Ellenbogenschützer fürs Inline-Skating damit gebaut. Reine Kohlefasern haben aber den Nachteil, dass sie spröde und wenig schlagfest sind (Ellenbogenschützer...), was man in jedem Buch über Faserverbundwerkstoffe nachlesen kann. Weiterhin werden häufig kohlefaserverstärkten Bauteile direkt mit dem Aluminium verklebt. Mit einem Elektrolyt wie Regenwasser korrodiert das Aluminium und die Verbindung löst sich von selbst. Bei Segelflugzeugbauern weiß dies jeder. Dieser Fehler wurde von fast jedem gemacht, der anfing, Leichtbauteile mit diesen Fasern zu fertigen. Er wird aber immer wieder wiederholt8 .

Eine Überprüfung würde das geistige Konstrukt dieses in den Augen der Hersteller perfekten Teiles zerstören. Als Argument hört man beispielsweise: „Wenn das so wäre, hätte mein Tutor mir das gesagt“9 . Kritik wird nicht einmal in Betracht gezogen, wenn jahrelange Arbeit vorausging. Somit wird ersichtlich, dass es sich umso schwieriger gestaltet, vom einmal betretenen Pfad abzuweichen, je komplexer das Teil ist bzw. je mehr Vorarbeiten notwendig waren.

Ein anderes Beispiel stammt aus der Automobilindustrie. Mir wurde zugetragen, dass bei einem politisch gewollten Spar-Auto mit viel Aufwand eine Heckklappe aus einem teuren Leichtmetall entwickelt wurde. Niemand kam auf die Idee, vor der Entwicklung dieser das KFZ ohne Heckklappe zu testen, auch nicht im Simulator. Die einfachste Methode wäre gewesen, die Heckklappe abzuschrauben und das KFZ einmal ohne sie zu fahren. Dann war sie entwickelt und die Werkzeuge, in denen diese gefertigt werden sollte, standen bereit. Es stellte sich heraus, dass die Heckklappe so leicht war, dass das KFZ unfahrbar war, wenn nichts im Kofferraum lag. Die Lösung war, Bleigewichte an die Hinterachse zu hängen. Der Kunde hatte somit die Leichtmetallheckklappe zu bezahlen, die aber faktisch zu nichts nutze war.

Die vernünftigste Lösung wäre wohl gewesen10 , die Stahlheckklappe, die bei der normalen Serie verwendet wurde, beizubehalten und zu optimieren. Aber dann wäre das Gedankenkonstrukt der Ingenieure, vor allem der Vermarkter und Vertriebsingenieure, zusammengebrochen. Somit blieb man bei Leichtmetall in Verbindung mit Blei. Solch eine Lösung wird dann als „Politische Entscheidung“ bezeichnet. Und da die Leichtmetallheckklappe mit ihrem großen Entwicklungsaufwand bei Verwendung einer Stahlheckklappe überflüssig geworden wäre und jemand für diese Kosten hätte gerade stehen müssen, wälzte man diese auf die Kunden ab, zudem das Auto politische Unterstützung fand. Die Personen, die das Auto aus Umweltschutzgründen kauften, hätten sowieso quasi jeden Preis gezahlt, um ihren Beitrag zum Umweltschutz zu demonstrieren. Autokauf verläuft emotions-gesteuert und mitnichten rational. Nicht nur bei Sportwagen-Fahrern (Was immer ein „Sport“-wagen auch sein mag).