Aufbereitung der Geschehnisse rund um die Loveparade-Katastrophe am 24.7.2010 in Duisburg

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Aufbereitung der Geschehnisse rund um die Loveparade-Katastrophe am 24.7.2010 in Duisburg
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Aufbereitung der Geschehnisse rund um die Loveparade-
Katastrophe am 24.7.2010 in Duisburg

2. Teil

von Antonia Colloni

ImpressumAufbereitung der Geschehnisse rund um die Loveparade-Katastrophe in Duisburg am 24.7.2010, 2. Teil Antonia Colloni Coverfoto: Wendelin Bottländer Copyright: © 2014 Antonia Colloni published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de ISBN 978-3-8442-9540-5
Die unverantwortlichen Unschuldigen
Lex Specialis
Moloch
Schrecken ohne Ende – Forschung für die zivile Sicherheit
Es ist alles noch viel schlimmer
Flieg, wenn du Flügel hast
Ein erprobtes Format
Übel
One Way Ticket
Tun und Unterlassen
Nachbeben
Geier
Niemandsland?
Countdown
Expressis Verbis
Die unverantwortlichen Unschuldigen

Dr. Klüpfel, der in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2009 bereits im Monat März schon fleißig Kontakt mit der Duisburg Marketing aufgenommen hatte, um sich und seine Dienste dort vorzustellen, wird wohl gleich im ersten gemeinsamen Meeting mit Geschäftsführer Uwe Gerste & Co. erfahren haben, dass die von Lopavent offiziell verbreitete Besucherprognose von 1,4 Millionen eine verdreifachte Marketinglüge gewesen war, an der sie alle ein Rieseninteresse gehabt haben werden, natürlich auch himself, Dr. Klüpfel, denn warum sonst sollte der z.B. im Juli 2009 gegenüber dem WAZ-Redakteur, Journalisten oder Reporter Tobias Bolsmann, der seinen Szene-Aus dem Westen-Artikel „Heute hätte Bochum tanzen sollen“ genannt hatte, folgendes äußern: „In Duisburg selbst verweist man auf das klare Bekenntnis von OB Adolf Sauerland, alles daran zu setzen, dass es klappt. Doch die Überlegungen steckten noch im Anfangsstadium. Es stockt an der Streckenführung und an einer Fläche für die große Abschlussveranstaltung. Ein Ortstermin im Laufe der kommenden Wochen soll erste Aufschlüsse geben... Dass Duisburg und Gelsenkirchen sich mit großer Vorsicht den Massen nähern, kann Hubert Klüpfel bestens nachvollziehen. Der Duisburger Physiker beschäftigt sich seit Jahren mit der Analyse und Simulation der Bewegung von Menschenmengen. Er verdeutlicht die Dimensionen der Loveparade mit einem Beispiel: Wenn es 500.000 Teilnehmer gibt, und jeder von ihnen etwa einen Quadratmeter Platz beansprucht, so würde auf einer 30 bis 40 Meter breiten Strecke der Partyzug 12,5 Kilometer lang sein. Wenn Klüpfel von 1,6 Millionen Tänzern in Dortmund hört, steigt in ihm die Vermutung auf, dass solche Zahlen nach oben „korrigiert" wurden. Der Wissenschaftler kann sich gut vorstellen, die Vorbereitungen für die Loveparade mit seinen Berechnungen zu unterstützen. Auf Grund seiner Erfahrungswerte, z.B. beim Kölner Weltjugendtag und der Hadsch in Mekka, hält Klüpfel die Durchführung der Loveparade – zumindest in Duisburg – für realistisch.“ Abschließend (!): „Wenn man will, kann man. Die Probleme sind überwindbar.“ (Zitat des Gelsenkirchener Stadtsprechers Martin Schulmann, in den Mund von Dr. Klüpfel gelegt von Tobias Bolsmann)

Bereits am 24.3.2009, also fast vier Monate zuvor, schrieb Willi Mohrs in der WAZ: „…Love Parade in Duisburg? Womöglich auf dem früheren Güterbahnhofsgelände? „Halte ich für clever", sagt Dr. Hubert Klüpfel. Wenn der Logistikstandort Duisburg den Andrang von Hundertausenden Musik-Fans nicht organisiert kriege, wer denn dann? (Anm.: Kam dieser Slogan direkt aus dem Hause der DMG?) Mit Menschen in Massen kennt sich Klüpfel bestens aus… „Es ist ein frühes Stadium", sagte der Physiker, der seit 2001 mit seiner Firma „TraffGo HT" Personenbewegungen simuliert und beispielsweise Evakuierungen von Gebäuden und Schiffen optimiert. Sein Rat an die Verantwortlichen: Zügig an die Vorarbeiten gehen, dann entscheiden. „Rumeiern ist schlecht!"

Tags darauf, am 25.3.2009 steht in der Lokalausgabe der NRZ: „Im Prinzip geht das in Duisburg." Hubertus Klüpfel, Physiker und Mitbesitzer der Firma Traffgo HT, ist überzeugt von der Möglichkeit, die Loveparade vor Ort durchführen zu können. Mit seiner Firma, einer Ausgründung der Universität Duisburg/Essen, kümmert Klüpfel sich um Dinge wie Personenstrom- und Evakuierungsanalysen – eine Nische, die „von etwa vier oder fünf Unternehmen in ganz Europa besetzt wird". Auch die Berechnung, wie schnell Züge aufeinander fahren können, damit der Fahrgast selbst bei vollbesetzten Waggons noch rechtzeitig vom einen zum anderen Bahnsteig wechseln kann, gehört dazu. Traffgo hat sich auch schon um richtig große Veranstaltungen gekümmert. Dazu gehört zum Beispiel der Weltjugendtag. Klüpfel: „Das war vom Gefährdungspotenzial her viel schwieriger, da war immerhin der Papst dabei." Auch beim Hadsch, der alljährlichen Pilgerfahrt nach Mekka mit immerhin 22 Millionen Menschen, war Traffgo schon involviert. Die Loveparade ist sicherlich ein logistisches Problem, das Duisburg aber bewältigen kann – wenn nicht der Logistikstandort Duisburg, wer dann? Aber es muss geklärt sein, welche Voraussetzungen gegeben sind. Und wenn man das geregelt hat, muss man auch dazu stehen!" Ein weiterer Bericht erscheint gegen Jahresende 2009, am 7. November. Unter einem Online-Artikel vom 10.02.2010 der WAZ Mediengruppe kommentiert der User „DankeTraffGo“ am 30.7.2010: „Der Klüpfel und sein TraffGo haben sich bei der Love Parade mal wieder als reine Theoretiker bewiesen. Wer Ein- und Ausgang als den gleichen Weg wählt, gehört einfach mal in die Menge gesteckt! Das hat man von Provinzforschern.“

Und noch mal, etwas später, am 10.2.2010 in der WAZ, Ressort, Aus aller Welt, Szene; Titel: „Er lotst die Massen durch Mekka; Duisburg. Auf dem Bildschirm des Laptops geht es zu wie in einem Bienenstock. Kleine Pünktchen erscheinen in Rot- und Grüntönen im Inneren einer grob skizzierten Spirale. Geschäftig wuseln sie durch das Gebilde, surren durch die Kurvenstruktur… Hubert Klüpfel aus Duisburg gehört zu einem handverlesenen Stab Experten, der für die saudischen Behörden Konzepte zur Lenkung dieser Menschenmassen erarbeitet. Klüpfel, von Haus aus Physiker, hat sich auf Verkehrsforschung spezialisiert und erstellt Evakuierungskonzepte für Gebäude und große Fähren. Seine Firma TraffGo, ein Ableger der Universität Duisburg-Essen, hat Konzepte für das Dortmunder Westfalenstadion oder eine norwegische Konzerthalle erarbeitet. Jetzt planen sie das Unternehmen Mekka… Aber nicht unter Sicherheitsaspekten. Verkehrsforscher Klüpfel schickt seine flimmernden Pünktchen durch Bebauungspläne, entwirft mögliche Wegführungen und berechnet das Menschenvolumen, das, je nach Wegführung, pro Stunde passieren kann. Sechs Parameter bestimmen das Verhalten der Punkte in seinen Modellen, darunter Faktoren wie Laufgeschwindigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit… Bei der Umrundung der Kaaba, dem so genannten Tawaf, kommen bis zu zehn Menschen auf einem Quadratmeter zu stehen. „Schauen Sie einmal auf die maximale Personenzahl im Aufzug – und dann verdreifachen Sie das“, verdeutlicht Klüpfel die Enge. In solch einem Gedränge ist es kaum noch möglich, die eigene Richtung zu bestimmen. Und wenn der Strom ins Stocken gerät, vielleicht Menschen stürzen, dann kann das fatale Folgen haben: Mehr als 1400 Menschen kamen 1990 beim Gedränge ums Leben. Einbahnstraßen und die Trennung verschiedener Verkehrsteilnehmer, das seien die Grundlagen erfolgreicher Verkehrsplanung an einem Ort wie Mekka… (Anm.: Dies also Klüpfels Maßstäbe!) „Nirgends sonst auf der Welt kommen so viele Menschen so gedrängt zusammen. „Da kann man nicht einfach alles sperren und sagen: Kommt nächstes Jahr wieder!“ (Zitat Klüpfel; Anm.: Tja, was sind da im Vergleich schon schlappe einundzwanzig Tote, nicht wahr? Einundzwanzig Pünktchen mehr oder weniger – das sieht man gar nicht.)

Kein Wunder war dieses Getue seitens der kommunalen Presse, hieß es doch einstimmig in der Ergebnisniederschrift zur Besprechung vom 2.10.2009, an der das Dezernat für Sicherheit und Recht, das Dezernat des OBs, das Ordnungsamt, das Amt für Stadtentwicklung und Projektmanagement, die Feuerwehr, die städtische sowie die Bundespolizei, die Wirtschaftsförderung metropoleruhr (stellvertretend für die Ruhr2010), Aurelis-Real Estate, die DB, der VRR, die DVV, die DMG, Lopavent und der Landesbetrieb Straßenbau NRW teilgenommen hatten, dass eine Presseerklärung seitens Aurelis mit dem Titel "Loveparade auf der Kippe" herausgegeben werden solle (dies deren glorreiche Idee), denn auch, wenn lt. Rabe "der Ministerpräsident des Landes NRW in der Vergangenheit aber bereits eine Aussage getroffen habe, dass die Loveparade in Duisburg stattfinden sollte" (so viel zum politischen Willen) und eine Absage lediglich aus gravierenden Sicherheitsbedenken erfolgen könne, wofür man dann noch mal gnädiger Weise weitere drei Wochen Zeit erhielt, diese evtl. anzumelden, wörtlich: "... sollen über das Ordnungsamt alle grundsätzlichen Aussagen über die Machbarkeit der Loveparade... gemeldet werden" und dass "in diesem Zusammenhang" vereinbart wurde, dass möglichst alle Pressekontakte und Erklärungen über Herrn K. (Lopavent) bzw. Herrn S./Herrn K. (Stadt Duisburg, Dez. des OBs) abgewickelt werden" sollten. Und so viel noch zu weiterem Planungsvokabular, welches das hinter allem stehende Denken treffend offenbart: Am 20.10.2009 wurde Stellung bezogen zu der Überlegung, die A59 (die an das Gelände grenzende Stadtautobahn) als Zu- und Abmarschroute zu nutzen. Lex Specialis

Hin zur Politik. An dieser Stelle möchte ich ein unveröffentlichtes Interview zur Verfügung stellen, das ich mit dem Politik- und Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Knill mit Lehrstuhl für Vergleichende Policy-Forschung und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz geführt hatte.

Frage: Herr Prof. Dr. Knill, erforschen Sie vielleicht auch die Zusammenhänge von Macht und Moral? Wie können Städte, deren Dezernate, Ratsleute, Oberbürgermeister, Sprecher, Stadtdirektoren und Amtsleiter dafür Sorge tragen, dass die Moral beim Regieren insgesamt nicht zu kurz kommt? Nach Bertold Brecht, kommt ja erst das Fressen, und dann die Moral.

 

Prof. Dr. Knill: Politisches Handeln – zumindest in Demokratien – sollte dem Gemeinwohl verpflichtet sein und insofern effektive Lösungen für Probleme hervorbringen, welche rechtlichen und moralischen Standards gerecht werden. Diesem Anspruch werden politische Systeme (sei es auf zentraler, regionaler oder kommunaler Ebene) freilich nicht immer gerecht. So verfolgen Politiker und Bürokraten Eigeninteressen, welche möglicherweise mit den Zielen der Allgemeinheit kollidieren. In demokratischen Systemen wird generell versucht, durch verschiedene Kontrollmechanismen (Wahlen, Bürgerbeteiligung, parlamentarische Kontrolle) dieses Problem soweit wie möglich einzudämmen. Auch wenn diese Mechanismen in der Regel – halbwegs – funktionieren, schließt dies ein Versagen im Einzelfall nicht aus. Die Duisburger Love Parade kann sicherlich in diesem Sinne interpretiert werden.

Frage: Ist das machbar, ohne dass die Bürger effektiv in Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden und dies nachhaltig und konsequent fordern, denn ist die städtische Gesellschaft nicht die wichtigste Kontrollinstanz?

Prof. Dr. Knill: Wie schon gesagt, stellt demokratische Kontrolle durch Wahlen, Bürgerbeteiligung, Protest, aber auch Parteien-Wettbewerb ein zentrales Element dar, um zu verhindern, dass Politik und Bürokratie eigeninteressiert und nicht Gemeinwohl orientiert handeln.

Frage: Ein deutsches Vorbild könnte vielleicht Tübingen darstellen. Dort hatte es der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer erreicht, dass ein ehemaliger Autotunnel Auto frei für Radfahrer und vor allem eine komplette Stadt freie Zone geschaffen wurde, in der rechte und rechtsradikale Parteien und Gruppierungen draußen bleiben müssen. Eine Ausnahme in Deutschland, also nicht nur in Duisburg undenkbar?

Prof. Dr. Knill: Sicher stellt Tübingen keine Ausnahme dar. Hier hat sich die Bevölkerung bei ihrer Wahlentscheidung für eine Person entschieden, die für ein bestimmtes politisches Programm steht. Dieses Programm hat Herr Palmer in der Folgezeit versucht entsprechend umzusetzen. Der Auto freie Tunnel ist insofern nichts anderes als das Ergebnis einer demokratischen Wahlentscheidung, die letztlich in jeder anderen deutschen Stadt in gleicher Weise hätte getroffen werden können. Und natürlich wird Herr Palmer bei der nächsten Wahl – so er kandidieren würde – an seiner Performanz gemessen. Das wird auch für den Duisburger OB gelten.

Frage: Wie viel Chuzpe benötigt ein Oberbürgermeister, um gegen politischen und wirtschaftlichen Druck auf Landes- und Bundesebene immun zu sein?

Prof. Dr. Knill: Das hängt von der Frage ab, ob dieser Druck gleichzeitig auch von Seiten der Bevölkerung und der Ratsmitglieder ausgeübt wird und der OB insofern nicht nur gegenüber Bund und Land, sondern auch in seiner Stadt eine Gegenposition vertreten müsste. Je isolierter er mit seiner Position ist, desto mehr Rückgrat braucht er, um auf seinem Standpunkt zu beharren. Wenn er aufgrund der Sachlage zum Ergebnis kommt, dass es besser ist, Druck von außen nicht nachzugeben, ist er moralisch dazu verpflichtet, diesem Druck Stand zu halten – ungeachtet der Konsequenzen, die dies möglicherweise für ihn hat. Aber – wie gesagt – Politiker verfolgen eben auch Eigeninteressen.

Frage: Druck von Seiten der Bevölkerung und der Ratsmitglieder gibt es leider so gut wie gleich null in Duisburg. Was halten Sie von unabhängigen Expertenkommissionen, wie sie z.B. in den USA gang und gäbe sind, wenn Katastrophen aufgeklärt werden müssen? Denn das werden sie dort, im Gegensatz zu Deutschland (z.B. nach der jüngsten Ölkatastrophe im Golf von Mexiko). Dass es in gestandenen Demokratien - wie jener in den USA - ja wohl traditionell gewachsen und nicht wegzudenken ist. Sind wir in Deutschland (noch) weit davon entfernt?

Prof. Dr. Knill: Nein – sicher nicht. Aber Evaluationen durch Expertenkommissionen laufen immer Gefahr, dass sie politisch instrumentalisiert werden können – egal, ob in Deutschland oder anderswo. Wirkliche Unabhängigkeit ist nur schwer zu erreichen. Wer die Expertenkommission einsetzt, wird immer darauf bedacht sein, dass die Kommission zumindest nicht gegen dessen eigene Interessen urteilt.

Frage: Experten wurden auch in Duisburg eingesetzt, um die Loveparade ein paar Tage vorher mit Hängen und Würgen genehmigt zu bekommen, denn der Brandschutzexperte Rainer Jaspers, Dipl.-Ing. der Brandschutzfirma Ökotec, hatte der Stadt Duisburg eine „unabhängig“ angefertigte Entfluchtungsanalyse empfohlen, da weder Rettungs- und Fluchtwege, noch Brandschutz absolut nicht sichergestellt waren. Dipl.-Ing., Experte der Brandschutzfirma Ökotec, der mit dem guten Draht zum Bau-/Verkehrsministerium.

Prof. Dr. Knill: Dies ist ein gutes Beispiel für die vorhin angesprochene Problematik der Instrumentalisierung. Auf diese Weise besteht die Gefahr, dass unter dem Verweis auf „unabhängige Expertise“ politische Legitimation erzeugt wird.

Frage: Ein weiterer Experte kam hinzu: Der Physiker Prof. Michael Schreckenberg, wie Dr. Hubert Klüpfel ein Stau- und Verkehrsforscher, der die Expertise seines ehemaligen Studenten für gut befinden sollte, wofür er 20.000 Euro vom Rechts- und Sicherheitsdezernenten Wolfgang Rabe aktenkundig erhalten haben soll (und für was auch immer), was dieser aber leugnet. Unabhängig sähe anders aus, oder? Erhielt angeblich von Lopavent 60.000 Euro für seine "Expertise".

Prof. Dr. Knill: Das ist ein generelles Problem vieler Gutachten, die von Politik und Verwaltung eingeholt werden. Gutacher wollen gerne lukrativ bezahlte Folgeaufträge und werden daher selten ein Gutachten verfassen, das den Zielen ihrer Auftraggeber zuwider läuft. „Wer zahlt, schafft an…“

Frage: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Sachen Aufklärung der Duisburger Love Parade-Katastrophe wurde von der CDU, den Grünen und der SPD auf Landesebene abgelehnt. Höher und unabhängiger geht ja kaum. Was zeigt das?

Prof. Dr. Knill: Das zeigt, dass keine der genannten Parteien sich einen politischen Gewinn von einem Untersuchungsausschuss erhofften, sondern vielmehr mögliche Kosten sah. Diese dürften darin zu sehen sein, dass man Gefahr läuft, unter Umständen selbst in die Kritik zu geraten, da die Veranstaltung in Duisburg auf Landesebene allgemein „forciert“ worden war.

Frage: Sehen Sie die Demokratie in Deutschland in Gefahr?

Prof. Dr. Knill: Nein. Deutschland hat eine sehr funktionsfähige Demokratie, die sich langfristig betrachtet als sehr leistungsfähig erwiesen hat – gerade auch im internationalen Vergleich. Dies schließt Skandale nicht aus, die in keinem politischen System ausbleiben. Ein großer struktureller Nachteil des deutschen Systems ist sicherlich die unklare Attribution* politischer Verantwortlichkeit, welche sich aufgrund der föderalen Politikverflechtung ergibt. Im Zweifel schieben sich Bund, Länder und Kommunen wechselseitig den „Schwarzen Peter“ zu, was es für den Wähler schwierig macht, die Leistung der von ihm gewählten Partei oder Vertreter zu evaluieren. Im Hinblick auf genuin kommunale Ereignisse und Entwicklungen sind klare Verantwortungszuschreibungen jedoch auch in Deutschland durchaus möglich. Auch der Duisburger OB wird sich dieser Evaluation bei der nächsten Wahl stellen müssen bzw. diese antizipieren, indem er auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet.

*„Der aus dem Lateinischen stammende Begriff Attribution… bezeichnet in der Psychologie sowohl die Zuschreibung von Ursache und Wirkung von Handlungen und Vorgängen als auch die daraus resultierenden Konsequenzen für das Erleben und Verhalten von Menschen“. (wikipedia)

Frage: Ist Duisburg ein Exempel für Deutschland? Offenbart es, was hier los ist (bzw. nicht los ist), oder nimmt Duisburg mit ihren Regenten eine etwaige Sonderstellung ein?

Prof. Dr. Knill: Der Fall Duisburg steht für politisches und administratives Versagen, wie es in allen politischen Systemen und auf allen Ebenen immer wieder vorkommt. Glücklicherweise hat dieses Versagen nicht in allen Fällen die gleich katastrophalen Auswirkungen wie im Falle Duisburgs. Auch der Versuch der Verantwortlichen, sich der Rechenschaft zu entziehen, ist normal. Eher selten (und in diesem Sinne ist Duisburg ein Sonderfall) ist, dass sie damit angesichts der katastrophalen Folgen ihres Versagens auch durchkommen. Dies kann nur vor dem Hintergrund einer gegebenen Macht- und Interessenkonstellation erklärt werden.

Ein Bochumer Strafrechtler, dessen Studentin bei der Loveparade ums Leben kam, geht davon aus, dass niemand verurteilt wird, da das Verfahren – ähnlich dem Fall „Düsseldorfer Flughafenbrand“ – seiner Ansicht nach eingestellt werden wird. Dessen Regensburger Kollege Prof. Dr. Ernst Henning Müller, der zum Thema im Beck-Rechtsblog veröffentlicht, denkt das nicht, geht aber auch nur davon aus, dass die später einmal Verurteilten zu einer Geldstrafe und eventuell zu einer Freiheitsstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt würde, verdonnert werden, mehr nicht. Wie kann das sein, dass in Deutschland Eigentumsdelikte oder Wettbetrugsfälle mit zum Teil mehrjährigen Freiheitsstrafen OHNE Bewährung ausgesetzt werden und Leute, die 21 Menschen umbringen, MIT? Da scheint doch wirklich was faul zu sein. Entscheidend sei die Fahrlässigkeit als solche, erklärt Herr Professor Müller, das reicht von einfacher und leichtfertiger Fahrlässigkeit und geht hin zur billigenden Inkaufnahme, was jedoch bereits als Vorsatz gewertet werde. Das sehe ich anders, denn ich denke, dass eine billigende Inkaufnahme durchaus noch als Fahrlässigkeit gewertet werden müsste und zwar als eine grobe, die es allerdings so nicht gibt. Im Falle der Loveparade wird man sich im Voraus unisono darauf verständigt haben, dass es einige Verletzte geben wird, weil es die immer gibt und Wolfgang Rabe hatte ja auch klar und deutlich von "Kollateralschäden" gesprochen gehabt. Angenommen, man hat dies weiter gefasst und sich gesagt, hier, in dieser neuralgischen Zone und sensiblem Bereich könnte es Verletzte geben, wäre dies als eine billigende Inkaufnahme zu bewerten. Wie schaut es aber aus mit dem billigenden in Kauf nehmen von Verletzten an sich? Man weiß doch, wie schnell aus Verletzten Tote werden können auf Veranstaltungen, insbesondere auf großen, jeder Stadtmarathon birgt ja da bereits Gefahren, nicht wahr, Herr Professor Müller?

Strafrechtlich von Bedeutung sind hingegen Vertreter von Organisationen, die (bislang) bei der Staatsanwalt (noch) überhaupt keine Rolle spielen, entweder weil man sie von der Liste mittlerweile gestrichen hat oder weil sie von vorne herein nicht darauf gelandet sind. Zu allererst wäre meiner Ansicht nach der hauptamtliche Geschäftsführer des Mitveranstalters Essen für das Ruhrgebiet alias Ruhr.2010 GmbH zu nennen, Herr Dr. h.c. Fritz Pleitgen. Ja, des MITVERANSTALTERS, denn das war Essen für das Ruhrgebiet nun mal, auch wenn sich Herr Pleitgen auf den Kopf stellt! By the way, was Sie da von „moralischer Verantwortung“sübernahme faselten, ist ja nun mal auch völliger Blödsinn, aber ich denke, Sie wissen das selbst. So etwas existiert nur in Ihrer Fantasie und in der von Adolf Sauerland, der gut ein Jahr später bedauert, nicht selber auf diese geniale Idee gekommen zu sein. Es existiert einzig eine persönliche und in Ihren Fällen eine politische Verantwortung und wie, Herr Sauerland, inzwischen weiß, eine juristische, womit die strafrechtliche gemeint ist.

Nicht nur in der Frage der finanziellen Entschädigung ist die Frage nach etwaigen Mitveranstaltern höchst interessant. Auch in Fragen eines eventuellen Vertragsbruchs gegenüber der Stadt Duisburg und der Frage, ob es von dem Essener Gesellschafter vielleicht versäumt wurde, zu veranlassen, die an der Kulturhauptstadtaustragung beteiligte Kommune bei der Ausrichtung ihrer größten Veranstaltung zu beraten und zu kontrollieren und – wohlgemerkt – der größten leuchtendsten und strahlendsten der Essen für das Ruhrgebiet GmbH überhaupt! Hier kommt aber noch eine weitere mögliche Mitveranstalterin ins Spiel, das städtische Marketingunternehmen nämlich, die Duisburg Marketing GmbH mit ihrem hauptamtlichen Geschäftsführer Uwe Gerste, die es überdies gewesen sein könnten, die die „Ruhr.2010“ GmbH zu beraten/zu betreuen bzw. zu kontrollieren gehabt hätte, denn zum damaligen Planungskreis zählten Vertreter derselben! Gleichfalls zu überprüfen wäre gegebenenfalls das Duisburger Kulturhauptstadtbüro mit dessen Geschäftsführer Karl Janssen, gleichzeitiger Geschäftsführer der Duisburg Marketing GmbH in dieser Hinsicht. Und wer sagt uns, dass nicht auch die Metropole Ruhr GmbH und der Regionalverband Rhein-Ruhr nicht auch Mitveranstalterinnen gewesen waren?

 

Weiterhin interessant ist die 100%ige Bahntochter Aurelis Real Estate, nicht in Form einer etwaigen Mitveranstalterin, sondern als Eignerin des Großteils des Veranstaltungsgeländes, zu dem der Teil gehört, an dem die Menschen verstarben. Sie hatten zwar wohl ordnungsgemäß das Hausrecht übertragen und auch die Freistellung über ihr Grundstück erteilt (da es ohne nun mal eigentlich gar nicht geht), was aber in Fragen der finanziellen Opferentschädigung gleichfalls ohne Bedeutung ist, da einzig und allein die Frage von Relevanz ist, wer das Eigentumsrecht besaß. Dies ist auch im Falle der DB Netz AG so, die die Betreiberin des Tunnels ist und im Falle des Landesministeriums für Verkehr etc., die wiederum die Betreiberin der Karl-Lehr-Straße darstellt, denn diese ist die Landesstraße L237. Ebenfalls von höchster Bedeutung, dies aber nur dann, wenn dort Tote geborgen worden wären, die Menschen also vorab nicht dort von der Rampe ab etwa Höhe des Bauzauns/Gully/Wurzel (der zum Bereich Aurelis zählt) hingetragen wurden, um sie dort beispielsweise zu reanimieren. Laut Staatsanwaltschaft gab es zwei Funde außerhalb der Rampe (Treppe, Bauzaun): einen am Fuße der Westrampe, einen am Ausgang des Westtunnels, was Orte sind, die sowohl der Straße als auch dem Tunnel zuzuordnen sind.

Was das untere Rampenareal angeht, so behauptet der von der Staatsanwalt befragte Security-Chef, dass zu Beginn der Veranstaltung der Gully noch in Ordnung gewesen sei, dass sich das erst später – im Verlauf der Veranstaltung – geändert hätte (vermutlich deshalb, weil Personen darüber gelaufen waren). Dass er darum den Verbindungsbeamten der Polizei darauf aufmerksam gemacht habe und er dann einen Bauzaun darauf gelegt hätte. Nicht erwähnen tut er hingegen die Wurzel, und die Staatsanwalt an dieser Stelle (im aktuellen Zwischenbericht von Januar 2011) ebenso nicht. Weshalb nicht? Denn hierzu äußert sich in diesem Bericht sogar ein beauftragter Gutachter, und auch dieser erwähnt die Wurzel mit keinem Wort! Er stellt lediglich fest, dass der Gully aufgrund seines insgesamten Zustandes schon lange zuvor äußerst kaputt und schadhaft gewesen muss, veraltet, morsch, fehlerhaft, unvollständig, woraus man schließen könne, dass der Schaden schon recht lange bestehe. Fazit: Zwei bzw. drei gegenteilige Meinungen, wonach die des Gutachters letztendlich Gültigkeit haben müsste, aber auch dieser erwähnt die Wurzel nicht, was ja letztendlich DIE Stolperfalle schlechthin gewesen sein könnte! Bei der kann man nicht unterschiedlicher Meinung sein, die war nicht beseitigt worden und fertig, die war vermutlich ebenfalls Jahre alt, so wie sie da herausragte! Und da der Security-Chef einen leichten - wenngleich engmaschigen Bauzaun - darauf gelegt hatte, muss davon ausgegangen werden, dass sich Wurzelteile sogar an einigen Stellen hindurchgedrückt haben könnten, da eine alte, morsche Wurzel nun mal nicht aussieht wie ein Gartenschlauch und ein Zaun darüber somit nicht plan gelegen haben kann. So ein Ding hat Ecken und Kanten, Rinde, Verzweigungen und Verästelungen. Ich hatte sie gesehen, und sie sah verdammt schlimm aus Anfang September 2010. Für diese Schäden war laut des Kommentatoren Meister für Veranstaltungstechnik (der auch ein solcher ist) einzig und allein Lopavent verantwortlich. Für die letztendliche Kontrolle und Endabnahme des Areals jedoch sowohl das Ordnungs- als auch das Bauamt. Die Tatsache, weshalb der offen stehende Gully erst Anfang September 2010 entdeckt wurde, hat damit zu tun, dass diejenigen, die dort hinter Zäunen sofort eine Gedenkstätte eingerichtet hatten, einen Betonklotz darauf gelegt hatten und darüber einen der Kränze. Fiel somit also nicht auf. Genauso wenig wie die herausragend Wurzel daneben, die man auch zudekoriert hatte (Fotos: http://loveparade2010doku.wordpress.com/bilder/)

Das Ordnungs- und Bauamt hatten sich fadenscheinig von ihren Pflichten entbinden lassen und zwar ab dem 23.7.2010, was definitiv überhaupt nicht geht, da man sich von NIEMANDEN davon entbinden lassen kann! Auch das weiß der Meister für Veranstaltungstechnik mit Bestimmtheit festzuhalten. Intern hieß es das allerdings. Von wem die Mitarbeiter/innen „entbunden“ wurden ist jedoch unklar, war es Dressler, war es B., war es G., war es Rabe, mittels Absegnung Jägers, waren es alle und keiner? Fakt ist, dies stellt eine Rechtsverletzung dar und zwar eine gewaltige, selbstverständlich auch das Unterlassen derselben, wozu auch das Zählen der Besucher selber gewertet werden kann, wofür man vermutlich ein Klicksystem an den Vereinzelungsschleusen eingesetzt haben müsste.

Wie eiskalt muss man sein, am Abend des 24.7.2010 in Kameras – wenn auch nur kaum sichtbar verächtlich grinsend - zu sagen, dass das nicht passiert wäre, wenn man sich normal verhalten hätte, denn noch nie habe man bei einer Loveparade so viel Heckmeck um ein Sicherheitskonzept gemacht wie in Duisburg? Adolf Sauerland im hellbraunen Wildlederjankerl mit Hornknöpfen aus Österreich, frisch von dort aus dem Urlaub zurückgekehrt. Dass man einfach eine Treppe genommen hätte, obwohl diese doch abgesperrt gewesen und daraufhin abgestürzt sei? Wolfgang Rabe im Rathaus.

Rainer Schaller berichtet mit betroffenem Blick, dass er um kurz nach 17 Uhr ein Interview abgebrochen habe, da er eine SMS mit der Meldung, dass es zwei Tote an der Rampe gegeben hätte, erhalten habe. Das war aber nicht das mit dem Herrn Bug vom WDR, das sowieso nur bis kurz vor 17 Uhr ging, oder Herr Schaller? Beides zu erleben in dem VOX-Beitrag, der am Abend des Jahrestages ausgestrahlt wurde. Weiterhin kann man im selben Beitrag von Schaller erfahren, dass er irgendwann dann ins Sicherheitszentrum, welches sich im Krisenstab befunden hätte, gefahren sei, und da wundere ich mich dann schon über diese Bezeichnung, die ich an dieser Stelle das erste Mal höre. Okay, es gab also ein Sicherheitszentrum! War da vielleicht der Schreckenberg zu finden? Herr Schaller, sagen Sie doch auch mal was, wissen Sie denn nicht, dass der Besucher aus dem Bahnhof kommend beobachtet haben will? War Schreckenberg also nicht nur Leiter des Krisenstabes, sondern auch noch Chef des Sicherheitszentrums, denn, wie das, hätte das nicht Rabe gewesen sein müssen? Und, eine neue Bezeichnung dank VOX. Die nennen das eine Tragödie. Fragt sich nur für wen, da sich die Frage stellen würde, wer die Hauptfigur(en) sind, der/die einen schicksalhaften Konflikt erleben, dessen/deren Situation sich ab dem Zeitpunkt verschlechtert, wo die Katastrophe eintritt, wobei in diesem Fall mit Katastrophe nur die unausweichliche Verschlechterung für den tragischen Helden gemeint ist, was zwangsläufig nicht zwingend dessen/deren Tod bedeuten muss? Sein/ihr Scheitern jedoch ist in der Tragödie unausweichlich, da die Ursache in der Konstellation und dem Charakter der Figur(en) zu finden ist, da der Keim der Tragödie ist, dass der Mensch der Hybris verfällt und dem ihm vorbestimmten Schicksal durch sein Handeln entgehen will, denn die Hybris bedeutet eine Selbstüberhebung, die unter Berufung auf einen gerechten göttlichen Zorn, die Nemesis gerächt wird, versehen Sie, Frau Hermann und Herr Laun? Denn die Hauptfigur ignoriert in ihrer Überheblichkeit Befehle und Gesetze der Götter, was unvermeidlich zu ihrem Fall und zu ihrem Tod führt. Und will hier noch eine/r sagen, dass das die Pilger und Pilgerinnen der Loveparade gewesen sein könnten, der/die trete vor, jetzt und hier!

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