Ius Publicum Europaeum

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b) Kompensation europarechtlicher Individualrechtsschutzdefizite

256

Der Individualrechtsschutz gegen Maßnahmen der Unionsorgane durch den EuGH ist auf europäischer Ebene vergleichsweise schmal ausgestaltet. Er richtet sich nach Art. 263 Abs. 4 AEUV, der nach der sog. Plaumann-Formel[359] eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit durch einen Unionsakt erfordert. Besonders umstritten ist dabei das Kriterium der individuellen Betroffenheit.[360]

257

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Vorschrift ergänzt um eine Variante, die nach dem Vorliegen eines Rechtsakts mit Verordnungscharakter fragt.[361] Es bleibt aber für Rechtsakte, die keinen Verordnungscharakter aufweisen, unter bestimmten Umständen eine Rechtsschutzlücke auf Unionsebene.[362]

258

Die Mitgliedstaaten sind gem. Art. 47 GRCh und Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV verpflichtet, in einem solchen Fall wirksame dezentrale Rechtschutzinstrumente zur Überprüfung von nicht direkt vor der Unionsgerichtsbarkeit angreifbaren Rechtsakten der Union zur Verfügung zu stellen.[363] Es erscheint dann höchst zweifelhaft, ob es einem Kläger zuzumuten ist, einen Normverstoß zu begehen, um über die darauf bezogene Reaktion der Verwaltung ein nationales Gerichtsverfahren zu ermöglichen, das dann über eine Vorlage nach Art. 267 AEUV zum EuGH führen kann.[364]

259

Vorzugswürdig ist der in Deutschland für solche Konstellationen gangbar gemachte Weg, über die Feststellungsklage nach § 43 VwGO die nationalen Gerichte und dann gegebenenfalls im Wege des Vorlageverfahrens den EuGH zu befassen.[365] Aus der europarechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, wirksame Rechtsschutzmöglichkeiten zu gewährleisten, ergibt sich eine europarechtliche Überformung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Feststellungsklagen nach § 43 VwGO.[366] Das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung ist entsprechend im Sinne einer Rechtswegermöglichung zur Kompensation europäischer Rechtsweglücken auszulegen.

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › IV. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der europäischen Rechtsgemeinschaft › 5. Kontrolldichte

5. Kontrolldichte

a) Allgemeines

260

Das Primärrecht macht keine expliziten Vorgaben zur von den nationalen Gerichten verlangten Kontrolldichte. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung erkennen lassen, dass er durchaus bereit ist, exekutive Beurteilungsspielräume und eine entsprechende Reduzierung der richterlichen Prüfungsbefugnis anzuerkennen.[367] Hier spielt der Vergleich mit der eigenen Kontrollpraxis eine Rolle, woraus sich die Bereitschaft erklärt, auch auf nationaler Ebene die richterliche Kontrolle komplexer Beurteilungen auf Sachverhalt, Verfahren und offensichtliche Bewertungsfehler zu begrenzen.[368] Auf eine reine Willkürkontrolle darf die gerichtliche Kontrolle dabei indessen nicht beschränkt werden.[369] Es wird jedenfalls von deutschen Verwaltungsgerichten in Verfahren mit Unionsrechtsbezug keine weitergehende Kontrolle gefordert, als der EuGH sie selbst vornimmt.[370]

261

Allerdings lässt sich fragen, ob nicht die Kontrolldichtekonzepte deutscher Verwaltungsgerichte und des EuGH sich grundsätzlich unterscheiden.[371] So wird beobachtet, dass Unionsgerichte sich nicht strikt an bestimmte dogmatische Grundformen binden, insbesondere bildet die traditionelle deutsche Unterscheidung zwischen unbestimmten Gesetzesbegriffen und Ermessen keine Grundlinie ihrer Rechtsprechung, Ermessen werde vielmehr als eine die Tatbestands- und die Rechtsfolgenseite einer Norm umgreifende Entscheidungskompetenz der Verwaltung verstanden.[372] Hier sind auch Übersetzungsunschärfen zu beachten: So wird in EuGH-Entscheidungen beispielsweise in der französischen Fassung[373] pouvoir d’appréciation verwendet, was für die deutsche Fassung mit Ermessensspielraum übersetzt wird.[374]

262

Verwaltungsentscheidungen, die es mit komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten zu tun haben, unterfallen danach nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig nur einer reduzierten gerichtlichen Überprüfung durch die Unionsgerichte;[375] dies betrifft den Bereich der Landwirtschaft, des Sozialwesens, des Handels, des Verkehrs und der Umweltpolitik.[376]

263

In Deutschland unterliegen Verwaltungsentscheidungen dagegen grundsätzlich einer vollen Überprüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, weil die maßgebliche Kontrolldichte durch das Gebot effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG geprägt wird.[377]

264

Insgesamt wird aber durch das Unionsrecht die Kontrolldichte der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht berührt;[378] auch wenn der EuGH in Anlehnung an das französische Rechtssystem in seiner Rechtsprechung der Verwaltung der Gemeinschaft einen weiterreichenden Beurteilungsspielraum einräumt, gilt das Prinzip der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten.[379] Das Unionsrecht verlangt also keine so weitgehende Kontrolldichte wie das deutsche Recht, verbietet diese aber auch nicht.[380] Überhaupt ist eine unionsweit einheitliche gerichtliche Kontrolldichte nicht geboten, weil Unterschiede in der Kontrolldichte innerhalb des Rahmens bleiben dürften, der vom Äquivalenz- und Effektivitätsgebot gezogen wird.[381]

265

Immerhin wird dem Europarecht das Potenzial zugemessen, der deutschen Diskussion um die Reichweite der Justiziabilität von Verwaltungshandeln[382] befreiende Impulse zu geben.[383]

b) Subjektiver Rechtswidrigkeitszusammenhang

266

Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfordert eine erfolgreiche Anfechtungsklage (Begründetheit) nicht nur die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Kläger muss zudem in eigenen Rechten verletzt sein (subjektiver Rechtswidrigkeitszusammenhang). Von diesem Erfordernis haben die deutschen Verwaltungsgerichte in europarechtlichen Konstellationen nicht absehen wollen, selbst wenn das Europarecht in der UVP-Richtlinie als (lediglich) objektive Kontrolle des Verwaltungshandelns ausgestaltet ist.[384] Die Europäische Kommission hat daraufhin im März 2014 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil die Bestimmungen der UVP-Richtlinie grundsätzlich als keine subjektiven Rechte verleihend angesehen und damit deren gerichtliche Geltendmachung durch Einzelpersonen weitgehend ausgeschlossen werden.[385] In dem Vertragsverletzungsverfahren ging es auch um Verfahrensfehlerfolgen.[386] Der EuGH hat indessen in seinem Urteil vom Oktober 2015 entgegen der Auffassung der Kommission und des Generalanwalts den von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO geforderten Rechtswidrigkeitszusammenhang bei Individualklagen für mit dem Unionsrecht vereinbar gehalten.[387] Zur Begründung führt er an, die einschlägigen Richtlinien würden es den Mitgliedstaaten überlassen, was als Rechtsverletzung gelten soll. Hingegen hat der EuGH die Präklusionsregeln in § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG für unionsrechtswidrig angesehen.[388] Das BVerwG ist dem Urteil des EuGH gefolgt.[389] Der Gesetzgeber hat diese unionsrechtswidrigen Vorschriften inzwischen aufgehoben.[390]

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › IV. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der europäischen Rechtsgemeinschaft › 6. Aufstellung im transnationalen Rechtsschutz gegen transnationale Verwaltungsakte

6. Aufstellung im transnationalen Rechtsschutz gegen
transnationale Verwaltungsakte

267

Der Begriff „transnationaler Verwaltungsakt“ geht zurück auf eine 1993 bei Eberhard Schmidt-Aßmann[391] entstandene Dissertation von Volker Neßler[392] und ist seitdem Gegenstand intensiven wissenschaftlichen Interesses gewesen.[393] Ausgangspunkt ist die Beobachtung eines bestimmten europarechtlichen Wirkmechanismus: Im Bereich der zweistufigen Rechtsetzung vermittels EU-Richtlinie verpflichten nicht selten Richtlinien die nationalen Behörden dazu, Verwaltungsentscheidungen anderer Mitgliedstaaten wie eigene anzuerkennen.

268

„Diese nationalen Verwaltungsakte haben dann – als Folge dieses Anerkennungsprinzips – nicht mehr nur nationale, sondern über die eigenen Staatsgrenzen hinausreichende, also transnationale Wirkungen.“[394] Mit dem transnationalen Verwaltungsakt ist also zunächst einmal das Phänomen eines in einem Mitgliedstaat ergangenen Hoheitsaktes in Gestalt einer behördlichen Einzelfallentscheidung gemeint, die aufgrund von Europarecht Geltung in anderen Mitgliedstaaten beansprucht. Im europarechtlichen Kontext geht es dabei typischerweise um Zulassungen oder Genehmigungen. Bei näherer Betrachtung ergibt sich, dass der transnationale Verwaltungsakt ein Kürzel für eine aufgrund europa- oder völkerrechtlicher Anordnung grenzüberschreitend wirkende Behördenentscheidung ist. Der Verwaltungsakt des deutschen Verwaltungsrechts bleibt in seiner Konzeption und in seiner Stellung vom transnationalen Verwaltungsakt bis auf Weiteres unberührt, weil die Anwendung der bisher an den „echten“ Verwaltungsakt anknüpfenden Verfahrens- und Rechtsschutzbestimmungen nicht in Sicht ist. Die Verwaltungsgerichte haben jedenfalls eine entsprechende Konzeptualisierung nicht eingeleitet.

 

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › IV. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der europäischen Rechtsgemeinschaft › 7. Kooperation mit dem EuGH

7. Kooperation mit dem EuGH

269

In Frankreich ist das höchste Verwaltungsgericht, der Conseil d’État, mit dem Arrêt Cohn-Bendit vom 22. Dezember 1978[395] dem Europarecht und dem EuGH lange Zeit relativ offen und kategorisch, fast schon feindselig, entgegengetreten. Der Conseil d’État verweigerte sich dabei der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien und entzog sich mit dem Argument des nicht auslegungsbedürftigen Europarechts („acte clair“) seiner Vorlagepflicht. Die unmittelbare Anwendbarkeit von EU-Richtlinien ist in Frankreich vom Conseil d’État erst 31 Jahre später, im Jahre 2009,[396] anerkannt worden. Eine vergleichbare Abwehr des Europarechts ist in Deutschland nicht erfolgt. Der Bundesfinanzhof hat zwar für eine kurze Zeit den Versuch unternommen, die Rechtsprechung des Conseil d’État zu rezipieren.[397] Er wurde aber vom BVerfG alsbald zur Ordnung gerufen.[398]

270

Die in der Gesamtbetrachtung bestehende freundliche Offenheit der deutschen Verwaltungsgerichte für die europäische Kooperation belegt die Vorlagepraxis deutscher Verwaltungsgerichte. Anders als beispielsweise skandinavische Gerichte haben die deutschen Gerichte das Vorlageverfahren zum EuGH akzeptiert. Die erste Vorlage des BVerwG datiert auf das Jahr 1970,[399] bis Ende 2016 hat das BVerwG 120 Vorlagen an den EuGH gerichtet.[400]

271

Die seit den fehlgeschlagenen Ausbruchsversuchen des Bundesfinanzhofs (BFH) im Hintergrund stehende und unzählige Male auch realisierte Drohung des BVerfG, bei Nichtvorlage auf eine entsprechende Verfassungsbeschwerde hin die Fachgerichte mit Blick auf das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter zur Vorlage zu zwingen, mag hier eine Rolle spielen. Allerdings ist das BVerfG hier vereinzelt auch über das Ziel hinausgeschossen, wie der Fall Rinke[401] belegt.

272

Insgesamt kann die Kooperation zwischen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit und dem EuGH heute fast durchgehend als positiv und konstruktiv bewertet werden.[402]

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › IV. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der europäischen Rechtsgemeinschaft › 8. Horizontale Kooperation – nationale Verwaltungsgerichte als funktional dezentrale europäische Gerichte?

8. Horizontale Kooperation – nationale Verwaltungsgerichte als
funktional dezentrale europäische Gerichte?

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Der horizontalen Kooperation sind zwischen den Verwaltungsgerichten auf der formalen Ebene Grenzen gesetzt.[403] Eine grenzüberschreitende Interaktion findet nichtsdestotrotz statt. Dem regelmäßigen Austausch und der Begegnung zwischen Richtern aus Frankreich und Deutschland wird vereinzelt sogar eine Bedeutung für die Annäherung der Rechtsschutzsysteme zugeschrieben.[404]

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › V. Gesamtbetrachtung

V. Gesamtbetrachtung

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Wie gut ist der Rechtsschutz gegen die Verwaltung in der Gesamtbilanz? Eine Antwort auf diese Frage ist durchaus voraussetzungsvoll. Diskutieren lässt sich bereits, ob die Antwort auf diese Frage eine rein rechtswissenschaftliche sein kann oder nicht die empirischen Sozialwissenschaften, erforderlichenfalls in Verbundforschung mit der Rechtswissenschaft, maßgebliche Teile einer Antwort ermitteln müssten.

275

Was genau als Qualitätsausweis für Rechtsschutz gegen die Verwaltung gelten könnte, ist unklar und nicht zuletzt vom jeweiligen disziplinären Standpunkt abhängig. Zu beobachten ist in der Rechtswissenschaft in Deutschland jedenfalls eine anhaltende Diskussion darüber, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit modernisiert und die Qualität der Rechtsprechung oder der richterlichen Arbeit verbessert werden müsse. Diese Diskussion ist in den institutionalisierten Zusammenkünften der Präsidenten des BVerwG und der OVGs bzw. VGHs und den Arbeitspapieren der BVerwG/OVG/VGH-Präsidentenkonferenz dokumentiert. Wiederkehrende Themen der Qualitätsdiskussion sind Dauer der Verfahren[405] bzw. der Umfang des Aktenbestands in einzelnen Dezernaten, die Entscheidungsqualität, das Auftreten des Gerichts in der mündlichen Verhandlung und die allgemeine Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten.[406]

276

Diskutiert wird, inwieweit Verfahren zur Qualitätssicherung etwa aus der Wirtschaft auf die Justiz übertragen werden können und worin damit verbundene Risiken liegen. Häufig wird hierbei gewarnt, die richterliche Unabhängigkeit müsse gewahrt werden, und dass Quantität nicht gleich Qualität sei.

277

Trotz aller Diskussionen um Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung ist der Gesamtbefund positiv. Wie immer man die Qualität von Rechtsschutz gegen die Verwaltung im Einzelnen messen und im Detail bewerten mag: Der Rechtsschutz gegen die Verwaltung funktioniert in Deutschland gut.

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › VI. Herausforderungen und Ausblick

VI. Herausforderungen und Ausblick

278

Nach mehr als 150 Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland ist der Rechtsschutz gegen die Verwaltung rechtsstaatlich konsolidiert. Von allgemeinen Entwicklungen bleibt er damit nicht unberührt.

279

Michael Stolleis nennt 2013 in seinem Jubiläumsbeitrag zu 150 Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit[407] als Daueraufgaben für die Verwaltungsgerichte in Deutschland die Grenzziehung zur Verfassungsgerichtsbarkeit und zur Gerichtsbarkeit der EU und den Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen Verwaltung und verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung. Friedrich Schoch sieht die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit ebenfalls 2013 in einer schwierigen Situation und vor großen Herausforderungen[408] und belegt diese anhand der Rechtswegthematik (zunehmende Rechtswegspaltungen und Sonderzuständigkeiten, insbesondere der Zivilgerichte), der Frage des Rechtsschutzes bei Drittklagen und im Hinblick auf die Bewältigung europarechtlicher Herausforderungen.[409]

280

Die Verarbeitung des Prozesses der Europäisierung bleibt eine Daueraufgabe, daneben stellt sich die Frage nach den Einwirkungen noch umfassenderer Entwicklungen unter dem Aspekt der Internationalisierung des Rechtsschutzes gegen die Verwaltung.[410] Entwicklungen und Verläufe jenseits der deutschen Grenzen beschränken sich dabei nicht auf rechtliche Entwicklungen, sie können sich auch sehr konkret in der Realität manifestieren. Die Belastungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit infolge der Flüchtlingskrise[411] haben gezeigt, wie rasch das System durch unvorhergesehene Ereignisse sogar bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit geraten kann.[412]

281

Vielleicht sind die Herausforderungen aber noch grundsätzlicher. Noch einmal Michael Stolleis:[413] „Die technische und politische Komplexität von Großvorhaben und die damit verbundenen offenen Suchprozesse nach Lösungen lassen das traditionelle Modell der ‚Rechtsanwendung‘ (Obersatz, Untersatz, Subsumtion) veraltet erscheinen. Schließlich wird mit der vielfältigen Privatisierung öffentlicher Aufgaben auch die ehemals so klare Trennung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht zunehmend verwischt. Dahinter verbirgt sich die schrittweise Überwindung des klassischen Trennungsmodells von Staat und Gesellschaft des 19. Jahrhunderts durch den Übergang in die moderne, interventionistische Industriegesellschaft.“

282

Festzuhalten ist aber auch, dass sich der Rechtsschutz vor der Verwaltung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten in der Gesamtschau bewährt hat. Abrupte Richtungswechsel aus Anlass einer politischen Krise[414] hat es seit 1949 nicht gegeben, auch allgemeinere politische Umbrüche wie die Wiedervereinigung Deutschlands oder die europäische Integration haben letztlich keine tiefergehenden Verwerfungen verursacht. Das sind gute Voraussetzungen für bestehende und künftige Herausforderungen.

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › Bibliographie

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