Handbuch E-Learning

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3 Virtueller Bildungsraum

Der virtuelle Bildungsraum, in dem im E-Learning die individuellen und koopera­tiven Bildungsprozesse stattfinden, ist die Nahtstelle zwischen Informations- und Kommunikationstechnik, didaktischer Konzeption, Lernmaterialien und den Lehr- und Lernhandlungen. Verschiedene Typen von Software-Systemen sind dafür ent­wickelt worden: Learning Management Systeme (LMS), Content Management Systeme (CMS) und die Verknüpfung beider Systeme in Learning Content Manage­ment Systemen (LCMS) (siehe ausführlich Kap. 3.5.1). Im Folgenden werden diese drei Systeme zunächst unter dem Begriff Lernplattformen zusammengefasst. Diese Lernplattformen werden von vielen Bildungsanbietern genutzt, um netzbasierte Lehr- und Lernprozesse zu ermöglichen. Lernplattformen sind die technische Infrastruktur, in denen intendierte und vorwiegend formale, aber auch informelle Lernprozesse organisiert, geplant, durchgeführt und ggf. auch geprüft und evaluiert (z. B. mit Veranstaltungsevaluationen) werden können. Sie bieten einen geschützten virtuellen Raum für Lehr-Lern-Prozesses.

Zugleich zeichnet sich durch die wachsende Verfügbarkeit vielfältiger, gut aufbereiteter, digitalisierter Inhalte sowie (frei) verfügbarer Informationen, die als Bildungsressourcen genutzt werden können, und durch die Entwicklung von Wissensgemeinschaften im Internet eine Integration der verfügbaren Internetangebote in die Lernplattform ab. Lehr- und Lernressourcen können aus dem Internet in die Lernplattform übernommen werden, um Lernprozesse zu fördern. Es entsteht ein virtueller Bildungsraum, der neben der Lernplattform weitere Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten bietet, die zum Lernen und zur Kompetenzentwicklung genutzt werden können.

Die technischen Entwicklungen, wie die ständige Verfügbarkeit einer Netzanbindung und die steigende Leistungsfähigkeit der mobilen Geräte, in den letzten Jahren führen zur zunehmenden Auflösung der Grenzen zwischen realen und virtuellen Räumen. Diese Entwicklungen verändern auch die Art und Weise des Lehrens und Lernens. Durch die gegenseitigen Grenzüberschreitungen von virtuellen und realen Bildungsräumen entwickeln sich hybride Bildungsräume (siehe Abb. 3.1).


Abb. 3.1: Integration von Lernplattform und virtuellem Bildungsraum zum hybriden Bildungsraum

Im Folgenden werden die drei benannten Räume – die Lernplattform, der virtuelle Bildungsraum sowie der hybride Bildungsraum – aus pädagogischer Sicht betrachtet. Dabei wird zunächst auf die Integration realer und virtueller Bildungsräume zu hybriden Bildungsräumen (Kap. 3.1) und die Etablierung des mobilen und ubiquitären Lernens als Auslöser für diesen Integrationsprozess eingegangen (Kap. 3.2). Diese Entwicklung hat Konsequenzen für die Gestaltung der Bildungsräume und das Lehren und Lernen. Für vollständige und erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse sind die entsprechenden Funktionsbereiche des virtuellen Bildungsraums einschließlich der genutzten Lernplattform von entscheidender Bedeutung (Kap. 3.3). Insbesondere für aktive, selbst organisierte individuelle, kooperative und partizipative Bildungsprozesse müssen die Möglichkeiten der Nutzung der Instrumente des Web 2.0 in den virtuellen Bildungsraum einbezogen werden (Kap. 3.4). Darauf aufbauend werden Hinweise zur Gestaltung der pädagogischen Infrastruktur für die Lehr- und Lernprozesse mit digitalen Medien gegeben (Kap. 3.5). Der Auswahl einer geeigneten Lernplattform ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken, damit diese den Anforderungen an ihre Implementierung und Nutzung sowie des virtuellen Bildungsangebots in allen Dimensionen und Aspekten entspricht (Kap. 3.6). Anschließend werden die Formen, Anforderungen und notwendigen Unterstützungen der Nutzung eines virtuellen Bildungsraums sowie der Lernplattform durch die Lehrenden und Lernenden beschrieben (Kap. 3.7). Abschließend werden aus den detailliert dargestellten und zu beachtenden Aspekten virtueller Bildungsräume Schlussfolgerungen gezogen und Handlungsempfehlungen gegeben (Kap. 3.8).

3.1 Integration realer und virtueller Bildungsräume zu hybriden Bildungsräumen

Die Frage nach dem Ort des Lehrens und Lernens, dem Bildungsraum, ist bei der Planung und Durchführung von Präsenzlehre in der Regel schon durch die vorhandenen Ausstattungen beantwortet. Die Bildungseinrichtungen bilden das Umfeld, in dem sich Lehrende und Lernende treffen, und stellen die Räume für die Gestaltung der unterschiedlichen Anforderungen und Situationen des Lehrens und Lernens zur Verfügung:

 Unterrichts-, Kurs- und Seminarräume,

 Sprechzimmer für verschiedene Arbeitsformen und Diskussionen bis hin zur Einzel- und Lernberatung,

 Bibliotheken, Einzel- und Gruppenarbeitsräume oder Lesesäle zum Selbstlernen,

 Cafeterien zur informellen Kommunikation,

 Verwaltungsräume für organisatorische Zwecke (für Sekretariat, Lehrende, wissenschaftliche Mitarbeiter, Verwaltung usw.).

E-Teaching und E-Learning finden dagegen zunächst einmal vor dem Bildschirm eines Computers statt, sei es in einem PC-Raum einer Bildungseinrichtung, am Arbeitsplatz, zu Hause oder ortsungebunden durch die zunehmende Verbreitung leistungsfähiger mobiler Datennetze. Obwohl es zutrifft, dass „Lernen immer real ist, unabhängig davon, ob es mit physischen oder elektroni­schen Materialien, in realen oder virtuellen Umgebungen stattfindet“ (Schulmeister 1999, 1), zieht die Vir­tualisierung des Bildungsraumes eine Fülle von Konsequenzen nach sich. Sie betreffen nicht nur die Organisation der Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens, sondern auch die Didaktik, wie die Aufbereitung, Bereitstellung und den Zugriff auf Lernmaterialien, die Gestaltung der Lernszenarien, die Kommunikation der Beteiligten oder auch die Prüfung erworbener Kompetenzen bzw. erreichter Lernziele.

Bedeutung virtueller Bildungsräume

Während es zu Beginn der Entwicklung von E-Learning-Angeboten, z. B. bei individuell am heimischen PC zu nutzenden Lernprogrammen (Computer Based Training, CBT), kaum ein Bewusstsein für die Bedeutung virtueller Bildungsräume gab, wuchs mit dem Angebot an internetbasierten, Kommunikation und Gruppenarbeit integrierenden Kursen (Web Based Training, WBT) die Nachfrage nach geeigneten technischen Lösungen, die auch dem weniger technisch versierten Lehrenden bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung unterstützen und dem Lernenden einen geschützten Raum für das Lernen bieten. In der Folge wurden eine Vielzahl unterschiedlicher technischer Systeme für E-Learning entwickelt, welche die Planer von E-Learning-Angeboten vor nicht unerhebliche Entscheidungsfragen bzgl. der Auswahl der geeigneten technischen Infrastruktur stellen. Denn die Anschaffung kann nicht nur mit erheblichen Kosten verbunden sein, sondern die technische Infrastruktur muss auch möglichst passgenau und anpassbar an die Bedarfe der Nutzer, der Lehrenden und Lernenden, sein. Die Einführung einer Lernplattform beeinflusst nicht zuletzt auch die zukünftige strategische Ausrichtung des Bildungsanbieters bzgl. des Aufbaus seiner Bildungsangebote. So stellt Schulmeister fest: „Die Auswahl des Portals und die Entscheidung für eine Lernplattform dürfte zum Problem jeder Hochschule werden. Diese Entscheidung sollte nach einer auf breiter Basis geführten Diskussion gefällt werden“ (Schulmeister 2000, 8; vgl. auch Arnold/Prey/Wortmann 2006). Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass dieser Prozess bei den meisten Bildungsanbietern abgeschlossen ist und die genutzten Lernplattformen an die aktuellen Bedarfe der Bildungsanbieter angepasst werden.

Zwar ist es prinzipiell möglich, dass die Teilnehmenden an einem virtuellen Kurs auch ohne eine Lernplattform mithilfe der im Internet vorhandenen Dienste (wie E-Mail, Chat, Diskussionsforen, Wikis, zunehmend auch soziale Netzwerke und cloudbasierte Dienste wie Webspeicher und Kollaborationswerkzeuge usw.) miteinander kommunizieren und kooperieren. Die Entwicklung und Etablierung des Web 2.0 (siehe Kap. 3.4) fördert diese Option, und Beispiele zeigen, dass Lehr-/Lernszenarien auch ohne den Einsatz entsprechender Lernplattformen möglich sind (z. B. Johannes Gutenberg Universität Mainz 2012). Jedoch erleichtert ein gemeinsamer (virtueller) Lernort, der Zugriff auf alle notwendigen Bereiche eines Kurses bietet (wie z. B. Informationen zu den Lehrenden, den Teilnehmenden, dem Kursplan und -verlauf, aktuellen Terminen, Prüfungen, Lernmaterialien und unterschiedlichen Kommunikationsfunktionen), die Gestaltung und Organisation der Lerprozesse erheblich. Nicht zuletzt liegt ein entscheidender Vorteil von Lernplattformen darin, dass die Lernumgebungen geschützt vor äußeren Zugriffen sind. Dies ist für die Gestaltung und Durchführung von Lernprozessen nicht unerheblich, da in solchen Kontexten die Möglichkeit vorbehalten bleiben muss, dass Lernende ihre Lernhandlungen ausprobieren und dabei auch Irrwege gehen können und dürfen. Dies gilt nicht nur für Seminar- und Unterrichtsräume, sondern gleichfalls für virtuelle Bildungsräume. Diese Sicherheit kann in frei zugänglichen virtuellen Bildungsräumen, wie sie z. B. auf Social-Media-Plattformen angeboten werden, nicht gewährleistet werden. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen in jüngerer Zeit gewinnt der Datenschutz an Bedeutung und ist insbesondere in E-Learning-Bereichen wie Learning Analytics (Kap. 7.9) und Educational Data Mining (Kap. 5.2.1) zum Schutz aufgezeichneter privater Daten über die individuellen Lernprozesse sehr wichtig (Chatti u. a. 2012, 24; Schön, M./Ebner 2013, 7).

 

Allerdings zeichnen sich Lernplattformen auch dadurch aus, dass sie nur einen begrenzten Umfang an Informationen im Vergleich zu den Angeboten des Internets bieten, da in ihnen nur die Informationen in Form von Lernmaterialien, Übungsaufgaben etc. zu finden sind, die Lehrende oder zunehmend auch Lernende sowie weitere an der Kursgestaltung beteiligte Personen ablegen. Auch die Kommunika­tions- und Kooperationsmöglichkeiten sind begrenzt: einerseits auf die Auswahl entsprechender Instrumente (z. B. Chat, Foren, Kollaborationsinstrumente usw.) und andererseits auf die Gruppe der Kommunikationspartner, die sich üblicherweise neben den Mitlernenden auch aus Lehrenden und Tutoren zusammensetzt. Neben den Vorteilen, die eine derartige Begrenzung bietet (z. B. alle kennen die Chatfunktion und können diese bedienen; alle wissen, wo die Lernmaterialien liegen und haben Zugriff darauf; Lehrende haben idealerweise die Lernmaterialien didaktisch für die Lernenden aufbereitet u. v. m.), gibt es jedoch auch Nachteile. Denn nicht jede/r Lernende kann ggf. etwas mit dem Angebot anfangen, manch eine/r sucht lieber Unterstützung in Communitys außerhalb der Lernplattform oder nach Informationen, die über die auf der Lernplattform bereitgestellten Materialien hinausgehen. Dies führte zu einer neuen Sicht auf die technischen Infrastrukturen des E-Learnings, und es fand eine Einbeziehung von Internetressourcen in die Lernplattformen statt. Diese neue Sicht zeigte, dass die begrenzende Perspektive auf die Lernplattform und deren Gestaltung Lehr- und Lernprozesse behindern kann, und sie führte zu einer Erweiterung zum virtuellen Bildungsraum. Dieser enthält z. B. ein Learning Management System, berücksichtigt aber auch die Einbindung von Internetressourcen in die Gestaltung der Lehr-Lern-Szenarien. Die Diskussionen um die Gestaltung sogenannter Persönlicher Lernumgebungen (engl. Personal Learning Environment, PLE; siehe Kap. 3.5.2) verdeutlichen diese Entwicklung. Auch der inzwischen abgeklungene Hype bzgl. der Entwicklungen von Massive Open Online Courses (MOOCs) zeigt, dass eine Erweiterung von reinen Lernplattformen zu virtuellen Bildungsräumen stattfindet: Bildungsanbieter organisieren E-Learning auf ihren Plattformen und binden zusätzlich fremd erstellte MOOCs in das Kursgeschehen ein. Zugleich bieten diese MOOCs den Lernenden die Möglichkeit, sich mit anderen Lernenden außerhalb der Lernplattform, jedoch innerhalb des MOOCs auszutauschen.

Die Erweiterung der Perspektive von der Lernplattform auf den virtuellen Bildungsraum birgt viele Potenziale, aber auch einige Unsicherheiten für Lehrende und Lernende, da der Verlauf von E-Learning-Angeboten nicht mehr komplett geplant werden kann. Denn neue Informationsquellen und Kommunikationskanäle dringen in den Lernprozess, und Unsicherheiten bzgl. der Qualität und Nutzbarkeit der Ressourcen aus dem Web kommen hinzu. Zugleich können jedoch Lerngegenstände multiperspektivischer bearbeitet werden, und Lernende können ihren Intentionen und ihrem Vorwissen entsprechend geeignetere Quellen in ihre Lernprozesse einbeziehen. Damit die Lernenden und Lehrenden diesen neuen Anforderungen und Chancen gerecht werden können, müssen sie ihre Medien­kompetenzen in der erforderlichen Breite und Tiefe entwickeln (siehe ausführlich Kap. 6).

Was einen guten virtuellen Bildungsraum kennzeichnet, kann nicht von vornherein bestimmt werden und unterliegt lehr- und lernkulturellen sowie technischen Entwicklungen. Diese sind unter anderem abhängig sowohl von Nutzungsgewohnheiten der Lehrenden und der Lernenden, den technischen Innovationen oder auch von den Vermarktungsformen der Angebote im Internet. Die optimale Lösung wird es nicht geben. Auch die Räume in Bildungseinrichtungen sind unterschiedlich ausgestattet, z. B. der Hörsaal für Germanisten an einer Universität, der PC-Raum für EDV-Kurse an einer Volkshochschule oder der Chemieraum einer allgemeinbildenden Schule. Durch die Verbindung von Lernplattform und Internet und die damit einhergehende Entstehung eines virtuellen Bildungsraums bieten sich jedoch neue weitreichende Möglichkeiten der Gestaltung und Durchführung von Lehr-Lern-Szenarien, die weniger durch die technischen Rahmenbedingungen als durch weiterzuentwickelnde medientechnische und -didaktische Kompetenzen, fehlende Kreativität oder auch Zeitmangel bzgl. ihrer pädagogischen Inszenierung begrenzt sein können.

Abgrenzung zwischen realem und virtuellem Bildungsraum

Bildungsraum ist ein Begriff, der neben den räumlichen Gegebenheiten (z. B. Seminarraum mit Lernmaterialien, Museum mit Exponaten, Labor mit Experimentiermöglichkeiten) auch die subjektiven Verfasstheiten und Ansprüche der Lernenden und Lehrenden mit in den Blick nimmt. Der virtuelle Bildungsraum hingegen stellt eine technische Infrastruktur dar, die Instrumente und Bereiche bereithält, mit denen Bildungsprozesse, initiiert durch Lehr- und Lernhandlungen, technisch und organisatorisch unterstützt werden (siehe unten Abb. 3.2). In dieser technischen Infrastruktur befindet sich auch die Lernplattform. Die Lernplattform wird je nach ihren Eigenschaften als Learning Management System (LMS), Content Management System (CMS) bzw. in Verknüpfung beider als Learning Content Management System (LCMS) bezeichnet. LMS sind in Aufbau und Funktionen eher auf die Unterstützung von netzbasierten Lehr- und Lernprozessen ausgerichtet und haben in der Regel Kommunikations- und Kooperationswerkzeuge für die Unterstützung der Lehr-Lern-Prozesse, Kurserstellungs- und Verwaltungswerkzeuge für die Lehrenden, Instrumente zur Organisation und Bearbeitung eines Kurses für die Lernenden oder auch Instrumente zur Gruppenbildung sowie zur Leistungsüberprüfung. CMS hingegen unterstützen die netzbasierte Dokumenten­erstellung, -ablage und -recherche. Die meisten der heute am Markt befindlichen Lernplattformen sind LCMS, die beide Funktionsbereiche umfassen (ausführlich Kap. 3.5.1).

Internetnutzung

Nach den Ergebnissen der Onlinestudie der Fernsehanstalten ARD und ZDF (Koch/Frees 2016) verfügen 100 % der Deutschen über 14 Jahre und 95,2 % der Berufstätigen über Internetzugänge (ebd., 378), wobei 63,1 % täglich online sind (ebd., 420 f.). Die Internetnutzung ist also in Deutschland sehr verbreitet, und ein weiterer Ausbau wird mit den aktuellen Digitalisierungsstrategien politisch vorangetrieben. Mobile Endgeräte gewinnen bei der Internetnutzung an Bedeutung. Eine BITKOM-Studie zur Netzgesellschaft zeigt bereits 2011: Jeder zweite Internetnutzer nutzt das Netz als Informationsquelle, für die sogenannten Digital Natives stellt das Internet die wichtigste Informationsquelle dar und läuft Zeitungen und Zeitschriften den Rang ab, wobei die Internetseiten der klassischen Informationsträger wie Fernsehsender und Zeitungen besonders beliebt sind. Nutzer unter 30 Jahren greifen aber auch verstärkt auf soziale Medien zur Information zurück (BITKOM 2011b, 6–7).

Internet als gesellschaftlicher Bildungsraum?

Das Internet stellt ein intensiv genutztes Informations- und Kommunikationsmedium dar. Neben dem Informieren, bspw. über Suchmaschinen oder auf den Internetseiten einer Zeitung, findet Kommunikation bspw. in Diskussionsforen, Blogs, Chats u. a. statt. Kommunikation birgt die Möglichkeit der kritisch reflexiven Aus­einandersetzung mit Informationen durch den Austausch mit anderen in der Netz­gemeinschaft, die dazu führt, dass Informationen kontextualisiert und mit bereits Bekanntem (Vorwissen) verknüpft werden. Die Kontextualisierung von Informationen stellt damit einen Lernprozess dar, der die Wissensgenese ermöglicht (Auer 2003). Die Auseinandersetzungen mit einem Thema sowie die vielfältigen themenbezogenen Kommunikationen unterstützen weiterhin den Transfer des Wissens in andere Anwendungsbezüge, was letztlich zur weiteren Entwicklung von Kompetenzen führt (Kap. 6). Kompetenzen sind die „erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, 27).

Damit das Internet ein Bildungsraum werden kann, benötigen die Nutzer entsprechende Kompetenzen. Im Zusammenhang mit den digitalen Medien wird häufig von Medienkompetenz (Baacke 1996, 1998) gesprochen, die für einen adäquaten Umgang mit den Medien erforderlich ist. Jedoch reicht Medienkompetenz, die Medienkunde, -kritik, -gestaltung und -nutzung umfasst (ebd.), allein nicht aus, um die Teilhabe und vor allem einen Gewinn für die Nutzer digitaler Medien zu ermöglichen. Neben einer interkulturellen Kompetenz (Auernheimer 2008) bedarf es auch einer Informationskompetenz (Schiefner-Rohs 2012, 103 ff.), um überhaupt eigene Lernbedarfe zu definieren, gezielt nach entsprechenden Inhalten zu suchen sowie die gefundenen Informationen bewerten und verarbeiten zu können. Denn es wird „häufig übersehen, dass eine methodisch versierte Herangehensweise und die Nutzung professioneller Fachinformation zu den Grundvoraussetzungen erfolgreichen Lernens und Forschens gehören“ (DGI 2008, 321).

Sichtbarmachen des Lernerfolgs

Diese Kompetenzen ermöglichen, dass sich die Nutzer selbst organisiert Informationen aneignen und neue Wissensinhalte aufbauen können. Damit einher geht eine weitere Besonderheit des Bildungsraums Internet, dass es nämlich bislang kaum eine Möglichkeit gibt, die im Internet informell und nonformal erworbenen Wissensbestände und Kompetenzen so zu dokumentieren, dass sie, ähnlich einem Schul- oder Universitätsabschluss, mit einem Zeugnis oder einer qualifizierten Bescheinigung belegt werden können. Dazu gibt es zwar erste Ansätze, z. B. E-Portfolio-Systeme wie Mahara (http://www.mahara.de), eProfilpass (https://www.eprofilpass.de) oder auch Badges (vgl. Kap. 7.8), jedoch haben sich diese, vor allem in Deutschland, bislang nicht durchgesetzt. Darüber hinaus scheinen eine Vielzahl dieser Ansätze das Lernen im Internet noch nicht ausreichend erfassen zu können. Doch gerade im E-Learning werden Lernprozesse und -ergebnisse häufig nebenbei dokumentiert und könnten gut nachvollzogen werden, wenn die Nutzer bspw. in Diskussionsforen Probleme lösen oder einer eigenen Webseite Ergebnisse ihrer Arbeit einstellen etc. (Kap. 7.6; Kap. 7.7). Solchen Ansätzen wird für die Zukunft bei der Gestaltung und Zertifizierung von Lernprozessen mit digitalen Medien eine hohe Relevanz zugesprochen (Baumgartner/Bauer 2013, 92 f.). Hier ist nicht nur Entwicklungsarbeit zur Gestaltung entsprechender Werkzeuge nötig, es muss auch ein Umdenken bzgl. der Verteilung und Anerkennung von Bildung erfolgen. „Dieses Umdenken hat in der Praxis noch nicht stattgefunden, und so werden Lernaktivitäten regelmäßig mit Prüfungen ‚abgeschlossen‘, statt die Lernaktivitäten als solche zu kreditieren. Genau dies ist die Chance einer Lehr-/Lernplattform: Auf ihr wird der Lernprozess selbst sichtbar, und genau dieser Lernprozess kann damit auch als Leistung dokumentiert und honoriert werden“ (Kerres u. a. 2009, 112).