Handbuch E-Learning

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Konsequenzen

Bereits früher hatte Kerres (2001c, 17) festgestellt, dass „der Wirkungsgrad dieser Aktivitäten im Hinblick auf qualitative Veränderungen im Lehrbetrieb [...] überraschend gering [blieb]. Ansätze zur nachhaltigen Veränderung von Lehre sind bislang nur punktuell sichtbar. Oft enden Bemühungen zu didaktischer Reform mit dem Ende von Projektförderungen.“ Auch ein Jahrzehnt später stellt Bloh (2010, 9) fest: „E-Learning in der Hochschullehre ist somit keine revolutionäre Innovation, sondern erweist sich als inkrementale Innovation, die in eher kleinen Entwicklungsschritten erfolgt.“ Die Erwartungen waren offensichtlich zu sehr an der technischen Machbarkeit orientiert, während die Fragen einer sinnvollen didaktischen Gestaltung und Einbettung virtueller Lernangebote in Bildungsprozesse noch weitgehend unbeachtet blieben. Bereits Schulmeister (2001, 363) forderte daher eine Korrektur falscher Einschätzungen. Auch Seufert/Euler (2003, 2) sahen die Zukunft des E-Learning „an einem Scheideweg: entweder etabliert sich eLearning zunehmend als integraler Bestandteil der Lehre […], oder eLearning bleibt dort ein Fremdkörper und der bildungstechnologische Friedhof wird neben dem Schulfernsehen, der programmierten Instruktion und dem Sprachlabor um eLearning erweitert“. Kerres (2007) sah die Ursache dafür in den noch weithin fehlenden Medienkompetenzen der Lehrenden. Dabei blieb meist auch unbeachtet, dass die Entwicklung, der Betrieb und die laufende Aktualisierung medialer Bildungsangebote einen nicht unerheblichen zusätzlichen Zeitaufwand erfordern, der das Engagement der Lehrenden in Grenzen hält, wenn sie nicht durch Kompetenzzentren und Tutoren unterstützt werden.

Funktion von E-Learning in Bildungsprozessen

Diesen geäußerten negativen Erwartungen lässt sich entgegenhalten, dass in der Vergangenheit keineswegs alle bildungstechnologischen Innovationen gescheitert sind. Wo sie als Medium im pädagogischen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden dienten, sind sie keineswegs misslungen, sondern trugen zur Verbesserung der Qualität, der Wirksamkeit und Effizienz des Lehrens und zu einem motivierten und erfolgreichen Lernen bei. Die Funktion digitaler Bildungsmedien als im pädagogischen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden vermittelndes Medium ist für ihre Nutzung und Akzeptanz entscheidend. Dies gilt insbesondere – aufgrund ihrer Interaktivität – für die computer- und internetgestützten Multimedien (Issing/Klimsa 2002; Klimsa/Issing 2011). Das persönliche Gespräch sowie die immer erneute Vereinbarung der Ziele, Inhalte und Methoden zwischen Lehrenden und Lernenden sind in Bildungsprozessen unverzichtbar. Die herausragende Bedeutung des Handelns der Lehrenden für gelingende (formale) Bildungsprozesse wurde jüngst auch in der breit angelegten Metastudie von Hattie (2013) belegt. E-Learning-Angebote sind daher so zu gestalten, dass sie kommunikative Lehr- und Lernprozesse nicht ersetzen, sondern diese in ihrer Qualität, Offenheit und Ergebnisorientierung unterstützen und weiterentwickeln.

Aufbau von Kompetenzzentren

Die Unterstützung der Lehrenden und Lernenden in Fragen der Medienkompetenz, der Mediendidaktik, der Organisation sowie der Qualitätssicherung hat sich z. B. an Hochschulen (Kleimann/Schmid 2007, 193) als eine Voraussetzung für die Entwicklung, Etablierung und Nutzung von E-Learning erwiesen. Einige Hochschulen haben daher eigene oder kooperative E-Learning-Kompetenzzentren aufgebaut, die den Lehrenden neben unmittelbaren technischen und personellen Unterstützungen auch Schulungen, Beratungen, Erfahrungsaustausch und in manchen Zentren auch akademische Qualifizierungen (z. B. Masterstudiengänge) anbieten (Kleimann 2009, 83). Ein ungelöstes Problem ist die den Lehrenden fehlende Zeit für den Mehraufwand, den die Objektivierung der Lerninhalte in digitalen Medien und die Beantwortung der online – anders als in Präsenzveranstaltungen – viel häufiger gestellten Nachfragen der Lernenden erfordern. In Fachhochschulen sind zudem aufgrund der deutlich höheren Lehrverpflichtungen, geringeren Personalausstattung, engeren finanziellen Ressourcen und wenigen zeitlichen Freiräumen für Innova­tionen meist die Ausgangs- und Rahmenbedingungen ungünstiger. Außerdem sind die Mitarbeitenden der Kompetenzzentren, im „third space“ (Whitchurch 2008) zwischen Wissenschaft und Verwaltung, oft unter herausfordernden Bedingungen beschäftigt (Salden 2013; für E-Learning-Kompetenzzentren Arnold/Prey/Wortmann 2015). Der Aufbau von Kompetenzzentren ist ein wichtiger Schritt, um die Entwicklung und Nutzung von E-Learning weiter auszubauen. Sie sind die Promotoren, die den arbeitsteiligen Prozess der Konzeptualisierung, Programmierung und Un­terstützung, an dem unterschiedliche Personengruppen in unterschiedlichen Posi­tionen und Funktionen beteiligt sind, organisieren und voranbringen (Arnold/Prey/Wortmann 2016; Kleimann/Wannemacher 2006; Thillosen/Hansen 2009).

Akzeptanz und Nutzung von Massive Open Online Courses (MOOCs)

Das weltweite Wachstum durchgeführter MOOCs und ihrer Nutzerzahlen zeigt, dass diese Form des virtuellen Studienangebots (vgl. Kap. 4.3.3) durchaus große Resonanz zu finden scheint: Im Jahr 2014 gab es ca. 1.000 US-amerikanische MOOCs (Bates 2014, 49), ca. 800 europäische (Open Education Europe 2014), mehr als 5 Millionen Einschreibungen in MOOCs weltweit und durchschnittlich 33.000 Teil­nehmende pro MOOC weltweit (MOOC Infographics 2014). In Deutschland be­findet sich das Angebot noch im Aufbau. Umfassende und systematische Evalua­tionsstudien liegen bisher noch nicht vor. Aber der zusammenfassende Blick auf die einzelnen Untersuchungen lässt wichtige Einschränkungen erkennen: Die Absolventenquoten bei MOOCs sind in der Regel niedrig (ca. 10 %), und ca. 50 % schreiben sich aus Neugier am innovativen Kursformat ein, denn in der Regel verfügen die Teilnehmenden bereits über einen Hochschulabschluss (ca. 70 %) und nutzen MOOCs zur persönlichen und beruflichen Weiterbildung (vgl. MOOC Infographics 2014). Eine Anrechnung der in MOOCs erbrachten Leistungen und ggf. erworbenen Zertifikate erfolgt bislang, selbst an den anbietenden Hochschulen, nur in Ausnahmefällen.

Trotz der beeindruckend großen Zahl derer, die sich zu MOOCs anmelden, kann bisher nicht von einer breiten Akzeptanz neuer virtueller Studienangebote und der Öffnung der Hochschulen im großen Maßstab gesprochen werden, sondern allenfalls von einem großen Interesse an diesem neuartigen Kursformat, der selektiven Nutzung der Kurse für eigene Vertiefungs- oder Weiterbildungsinteressen und von bislang geringer Strukturwirkung auf den Hochschulbetrieb insgesamt. Die Abbruchquoten sind auch hoch, weil meist keine persönliche Betreuung der Lernenden stattfindet. Die menschliche Kommunikation und Betreuung ist eben auch beim Lernen mit digitalen Medien für den Erfolg einer ganzheitlichen Bildung von entscheidender Bedeutung. Inzwischen werden auch MOOCs angeboten, in die Kommunikation und Betreuung integriert ist (siehe Kap. 4.3.3). Bates (2014, 51, in Dt. übersetzt) zieht in dieser Situation ein sehr treffendes Fazit: „MOOCs sollten für das genommen werden, was sie sind: eine ziemlich einzigartige – und wertvolle – Möglichkeit des informellen Lernens.“

Die Ergebnisse der jüngeren deutschen MOOC-Initiativen wie z. B. iversity bleiben abzuwarten, ob sie unterstützt mit Fördermitteln grundlegende Veränderungen im Hochschulbetrieb bewirken werden. Solange die prinzipiellen Probleme der Prüfungen und Zertifizierung in MOOCs (vgl. auch Kap. 7.8) und vor allem der Anrechenbarkeit auf formale Studienleistungen nicht gelöst sind, werden MOOCs wohl noch eine Randerscheinung an Hochschulen bleiben (Daniel 2014, ii).

In betrieblichen Weiterbildungsangeboten haben dagegen, zum Teil in Zusammenarbeit mit Hochschulen, MOOCs zu einer (Wieder-)Entdeckung virtuellen Lehrens und Lernens geführt; sie werden gerade in Großunternehmen auch als Form des Wissensmanagements gesehen, oft mit zusätzlichen Betreuungsleistungen versehen, und Absolventenquoten von 70 % sind unter derart veränderten Rahmenbedingungen nicht selten (Strube 2014).

Erkenntnisse aus der Nutzung virtueller Bildungsangebote

Die Resultate dieser kurzen Betrachtungen sowie der Blick in zwei frühere empirische Untersuchungen (Uhl 2003; Haug/Wedekind 2009) umfangreicher Hochschul­projekte zur Entwicklung und Einführung virtueller Studienangebote im grundständigen Studium zeigen beispielhaft, dass für die Implementierung von E-Learning im Lehren und Lernen noch einige Probleme zu bewältigen und Entwicklungen zu leisten sind:

 Die Studierenden ziehen offensichtlich das Präsenzstudium dem Online-Studium vor, und die Lehrenden bleiben lieber bei der Präsenzlehre, die sie mit vielfältigen begleitenden digitalen Medien unterstützen, obwohl beide keineswegs computer- und internetfeindlich sind, sondern Computer und Internet zur Informationsverarbeitung, Informationssuche und Kommunikation vielfältig und intensiv nutzen.

 Trotz der mentoriellen Betreuung reicht den Studierenden diese Kommunikation für ein erfolgreiches Studium offensichtlich nicht aus. Die unmittelbare Kommunikation mit den Lehrenden über die Studieninhalte in Präsenzveran­stal­tungen – und damit auch unmittelbar mit anderen Studierenden – ist dazu anscheinend unverzichtbar notwendig.

 Die für erforderlich gehaltene unmittelbare Kommunikation mit den Lehrenden und den anderen Studierenden schließt nicht aus, dass die Studierenden auch die Möglichkeiten der Online-Kommunikation ausgiebig nutzen. Insgesamt hat mit Computer und Internet eine erhebliche Intensivierung und Ausweitung der Kommunikation stattgefunden, die positive Effekte hat, aber auch viel Zeit kostet.

 

 Es ist nicht so, dass die Studierenden die virtuellen Studienangebote nicht nutzen. Allerdings verwenden sie diese in anderer Weise, als sich dies die Entwickler der Angebote vorgestellt haben. Sie ziehen Gewinn aus den Online-Studienangeboten, indem sie diese als interaktive und multimediale Studienmaterialien neben Büchern, Zeitschriften, Arbeitsblättern etc. verwenden.

 Es entsteht die Gefahr für die Studierenden, worauf Schulmeister (2009, 321) hinweist, dass sie „die Gedankenschnipsel der Geistesverwandten in Weblogs“ lesen, sich aber „kaum noch Zeit für die umfangreichen Originale und die anspruchsvollen Monografien“ nehmen. „Was auf diese Weise entsteht, das sind nicht wissenschaftliche Schulen wie ehedem, auch nicht echte Diskurszirkel, sondern Zitationskartelle“ (ebd.). Das führt zu einer Verflachung der Studieninhalte und einem Defizit in der Bildung kritisch reflektierender Handlungsfähigkeiten.

 Ohne die Einrichtung von Kompetenzzentren mit der erforderlichen personellen und finanziellen Ausstattung und ohne eine Unterstützung der Lehrenden durch Teletutoren ist der hohe Aufwand virtueller Studienangebote für die Lehrenden nur schwer oder gar nicht zu schaffen. Dafür sind neue Personal- und Finanzstrukturen in Hochschulen für eine erfolgreiche Etablierung virtueller Studienangebote notwendig.

 Hinzugekommen ist in den letzten Jahren eine Zunahme der digitalen Vernetzung, die zu einer Flut von oft auch anonymen Informations- und Kommunikationshäppchen und damit auch zu einer Belastung ohne großen Nutzen geführt hat und noch weiter zunehmend führt. Diese Informations- und Kommunika­tionsflut kann auch dazu führen, dass eine kritisch reflektierende Bildung, die auch die Gründe, Bedingungen und Zusammenhänge im Blick hat, zerstört wird. Es ist daher notwendig, in den gemeinsamen Lehr- und Lernprozessen zu einer souveränen Nutzung der sozialen Netzwerke und einer entsprechenden Kommunikationskultur in der Bildung und der Gesellschaft auszubilden.

 Auch das Lesen von E-Books kann zu einer Abwendung von der gegenständlichen Welt und einer geringeren Konzentration des Lesens führen, wie aktuell diskutiert wird. Küchemann (2017) berichtet von einer internationalen Tagung, dass viele „Studien […] das Lesen auf Bildschirmen grundsätzlich als oberflächlicher, flüchtiger, ablenkungsanfälliger aus[weisen]. Wenn das Gelesene nicht mit einem festen Ort – auf einer Seite, innerhalb eines Buchs – verknüpft werden kann, weil das Gerät immer nur eine Seite anzeigt oder der Text zum Lesen gescrollt werden muss, hat es die Erinnerung schwer.“ Es wird daher wichtig, da die Bildschirme alltäglich genutzt werden, das Lesen und Verstehen der auf dem Bildschirm präsentierten digitalen Medien zu lernen.

Diese Ergebnisse insgesamt betrachtet führen zu drei aufeinander aufbauenden zentralen Fragen, die im Folgenden beantwortet werden sollen. (1) Was sind die konstituierenden Faktoren von Bildungsprozessen? (2) Was sind die konstituierenden Faktoren für ein erfolgreiches virtuelles Lehren und Lernen? (3) Wie ist die virtuelle Lehr- und Lernkultur zu entwickeln, damit eine mögliche Verflachung des E-Learning verhindert und der Erwerb fundierter Handlungskompetenzen gefördert wird?

2.3 Konstituierende Faktoren von Bildungsprozessen

Entscheidend für die Planung, Gestaltung und Durchführung erfolgreicher Bildungsprozesse mit digitalen Medien ist zunächst die allgemeine Klärung der konstituierenden Faktoren für erfolgreiche Bildungsprozesse sowie der möglichen Behinderungen. Eine Grundlage dafür bietet die subjektwissenschaftliche Lerntheorie, wie sie von Holzkamp (1993) entwickelt wurde.

Defizitäre lerntheoretische Basis

Online-Studienangebote und multimediale und interaktive Lernprogramme sind in der Vergangenheit überwiegend nach Modellen des Instruktionsdesigns erstellt worden, denen die Vorstellung von der Herstellung von Lernen durch Lehrmaschinen zugrunde liegt. „Die Masse der Lernangebote im Netz [...] werden einfach additiv zur herkömmlichen Lehre eingeführt und richten sich in der Regel nach altbekannten Lernkonzepten, häufig behaviouristischer Provenienz. [...] Noch ist die Präsenzausbildung der virtuellen Ausbildung in der Regel überlegen“ (Schulmeister 2001, 363). Das bedeutet, dass die multimedial und interaktiv präsentierten Lerninhalte, die in allen Einzelheiten – Aktionen und erwarteten Reaktionen – in den Instruktionsstrukturen des Mediums fixiert sind, von den Studierenden von einem vorgegebenen Ausgangspunkt zu einem ebenso vorgegebenen Endpunkt eines Lernprozesses linear oder in wählbaren Verzweigungen fortschreitend durchzuarbeiten sind. Was sie dabei nach jedem definierten Lernschritt behalten haben, können sie mit den ebenfalls im Medium vorgegebenen Tests (meist Fragen mit vorgegebenen Auswahlantworten) oder programmierten Übungsaufgaben jeweils selbstständig prüfen. Der Unterschied zur gescheiterten Programmierten Unterweisung in den 1960er-Jahren liegt in der komfortabler eingebauten Interaktivität, die dem Lernenden einen begrenzten Spielraum in den Wegen des Erlernens der vorgegebenen Inhalte lässt.

Missverhältnis von Lerngrund und Lernziel

Diese Vorgehensweisen medialen Lehrens werden heute meist zurückgewiesen, weil sie offensichtlich nicht den Ansprüchen der Lernenden an ihre subjektiven Lern- bzw. Bildungsprozesse entsprechen. Die damals den meisten Online-Lernangeboten zugrunde liegende Vorstellung des Verhältnisses von Lehren und Lernen hat Holzkamp (1993, 385 ff., 391, 408) ausführlich analysiert und als „Lehrlernkurzschluss“ bezeichnet und zurückgewiesen. Weil die Lerngründe der lernenden Subjekte nicht der Ausgangspunkt ihrer Lernaktivitäten sind, sondern die Lernziele unabhängig von den subjektiven Lerngründen planmäßig bis in alle Einzelheiten vorgegeben werden, wird Lehren und Lernen gleichgesetzt. Wenn der erhoffte Lernerfolg nicht eintritt, so wird die Ursache entweder in der mangelnden Begabung der Lernenden oder in der mangelnden Motivierungs- und Vermittlungsfähigkeit der Lehrenden gesucht – bei virtuellen Bildungsangeboten werden die Ursachen analog darin gesehen, dass sie entweder nicht gut genug für unterschiedliche Begabungen programmiert sind oder nicht hinreichend motivieren bzw. erfolgreiche Behaltensleistungen nach jedem Lernschritt, ausgedrückt durch Setzen eines Häkchens im richtigen Kästchen, nicht hinreichend durch lobende Icons verstärken.

Begrenzte Chancen zum Diskurs

Systematisch ignoriert wird dabei, dass die Lernenden zu einem erfolgreichen Lernen die unmittelbar angeregte themenbezogene Kommunikation bzw. kritisch reflektierende Diskussion mit den Lehrenden und auch mit den anderen Lernenden brauchen und suchen. Es geht ihnen um die Lebendigkeit unmittelbarer Kommunikation über die Ziele, Inhalte, Abläufe und Kontexte ihres Lernens, das Kommunizieren unterschiedlicher Wahrnehmungen, Einschätzungen, Erfahrungen, Vorstellungen, Bedeutungszuschreibungen und Empfehlungen in den konkreten Situationen, in denen sich die Lehrenden und Lernenden hier und heute in der Gesellschaft bewegen. Die Online-Studienangebote boten früher selten ein Forum für synchrone Diskurse, durch die kritisch-reflektierende Bildung und Kompetenzentwicklung wesentlich angeregt und ermöglicht werden, wie dies in Präsenzveranstaltungen der Fall ist.

Diese unmittelbare Lebendigkeit der Diskurse in Präsenzveranstaltungen kann prinzipiell durch kein multimediales und interaktives Bildungsangebot ersetzt werden – auch nicht durch Intelligente Tutorielle Systeme (ITS), wie bisher entwickelte und größtenteils misslungene Versuche gezeigt haben. Auch die Ausweitung und Intensivierung der Kommunikation in Online-Bildungsgängen können die gefragte Lebendigkeit des Lehrens und Lernens, z. B. durch eine mentorielle Betreuung mit erheblich höherem Kommunikationsaufwand, nur sehr begrenzt wiederherstellen. Asynchronität und Aufwand der (obwohl meist recht formlosen) Schriftlichkeit gegenüber der Mündlichkeit der Kommunikation sind hier die entscheidenden Hemmnisse.

Lernen mit Web 2.0, Chancen und Gefahren

Mit dem Surfen im Internet und den Instrumenten des Web 2.0 können heute eine reichhaltige, aber auch unübersichtliche Vielfalt weiterer Informationen und Sichtweisen zu den Lernaufgaben gefunden werden, was die Chancen für die Erarbeitung einer eigenen Bearbeitung und Lösung deutlich erhöht. Allerdings erfordert dies genaue Vorstellungen über das Ziel der Aufgabenbearbeitung, Kompetenzen zur Auswahl, Analyse und Bewertung der gefundenen Informationen, zur kritischen Reflexion der Aufgabenbearbeitung und des erreichten Ergebnisses sowie der Kontexte, Voraussetzungen und Folgen. Die Nutzung dieser Chancen kann allerdings gründlich misslingen (Carr 2010; Spitzer 2010, 2012): Die außerordentlich große Vielfalt der Informationen sowie der verfügbaren Instrumente und Methoden im Internet und deren gleichzeitige parallele Nutzung kann durch das Hüpfen von Inhalt zu Inhalt zu Oberflächlichkeit, Mangel an Konzentration und Unterscheidung zwischen Wichtigem und Unwichtigem und damit zum Verlust an analytischer Tiefe des Denkens und zum Verfehlen der ursprünglichen Fragestellung führen. Das Denken wird zu einem flüchtigen und oberflächlichen Prozess, und das Kurz- und Langzeitgedächtnis lernt das schnelle Vergessen. Dies wäre das genaue Gegenteil erfolgreichen Lernens. Auch wenn der Computer heute aus den Informationen, die in den Hypermedia-Strukturen der heutigen Webseiten stehen, das Spektrum der für die jeweilige Fragestellung möglicherweise bedeutsamen Informationen schon relativ gut herausfiltern kann, ist die Informationsflut immer noch so groß, dass die zutreffenden Informationen nur mit großem Aufwand gefunden und erfasst werden können. Das noch in Entwicklung befindliche semantische Web könnte hier durch eine auf Bedeutungsstrukturen basierende Informationspräsentation Abhilfe schaffen und damit auch zur Entdeckung neuer Zusammenhänge führen, die zuvor nicht erkennbar waren (Pellegrini/Blumauer 2006).