Handbuch E-Learning

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Herausforderung Begriffsvielfalt

Beim Schreiben dieser um die aktuellen Entwicklungen erweiterten Fassung des Handbuches standen wir immer noch vor einem grundsätzlichen Problem: Im Themenbereich E-Learning existiert eine große Begriffsvielfalt, und durch die konsumierende und produzierende Nutzung der Instrumente des Web 2.0 und von mobilen Endgeräten zum individuellen Lernen am jeweiligen Aufenthaltsort sowie durch die Entwicklung von Massive Open Online Courses (MOOCs) sind noch viele weitere Begriffe hinzugekommen. Für viele Teilbereiche hat sich noch kein einheitlicher Sprachgebrauch etabliert. Bereits die oben verwendeten Begriffe E-Learning, virtu­elle Bildungsangebote und virtuelle Bildungsräume sind kaum präzise zu definieren. Alternativ könnte auch von telematischen Lehr- und Lernformen gesprochen werden. Denn um Lehr- und Lernformen zu benennen, die Telekommunikationstechnik und Informatik nutzen, z. B. über Computer mit Internetanschluss, ist das Adjektiv telematisch präziser als virtuell. In früheren Publikationen haben wir des­wegen auch das Adjektiv telematisch dem Adjektiv virtuell vorgezogen (Arnold 2001; Zimmer 1997), jedoch hat es sich nicht durchgesetzt. Inzwischen hat das Adjektiv virtuell, z. B. in Publikationen zum virtuellen Lernen (Schulmeister 2001), die ursprüngliche Konnotation des Nichtrealen verloren. Wir verwenden daher virtuell in den herausgebildeten gängigen Zusammensetzungen, wie z. B. virtuelle Bildungsangebote, die sehr reale Neuerungen darstellen. Dementsprechend klären wir in jedem Kapitel die Begrifflichkeiten und verwenden dann den Begriff, der entweder fachlich am präzisesten ist oder am häufigsten benutzt wird. Denn gerade in einem Handbuch, das allen einen leichten Zugang zum Thema verschaffen soll, wollen wir keine begrifflichen Hürden aufbauen. Wir folgen deshalb meist dem herausgebildeten Sprachgebrauch.

Abgrenzungen: Was das Handbuch nicht bieten kann

Mit der Hervorhebung der didaktischen Perspektive sind auch Abgrenzungen verbunden: Das Handbuch liefert keine technischen Detailinformationen, z. B. zu Lernplattformen, Autorenwerkzeugen oder Produktionsprozessen. Ebenso wenig können für alle möglichen unterschiedlichen Bildungsangebote ausführliche Schritt-für-Schritt-Anleitungen für die Planung, Produktion und Durchführung gegeben werden. Auch detaillierte Informationen für eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung zu virtuellen Bildungsangeboten sind aufgrund der Vielfalt der möglichen Varianten nicht möglich. In den einzelnen Handlungsfeldern (und damit in den einzelnen Kapiteln des Handbuchs) werden vielmehr die Bedeutung technischer Details sowie die Voraussetzungen, Anforderungen und Handlungsschritte aus didaktischer Perspektive aufgezeigt. Für Kostenkalkulationen werden zentrale Faktoren aufgezeigt, ohne aber präzise Zahlen anzugeben, da diese ohnehin je nach Rahmenbedingungen stark variieren. Für Details zu diesen Aspekten verweisen wir auf weiterführende Literatur, die wir in die einzelnen Kapitel integriert haben. Die Quellen, die wir im Literaturverzeichnis benennen, ermöglichen den Leserinnen und Lesern eine eigene, weiterführende Recherche. Die in den Kapiteln verwendeten Abkürzungen und Fachbegriffe haben wir am Schluss in einem eigenen Verzeichnis zum schnellen Auffinden zusammengestellt.

1) Erwägungen zur besseren Lesbarkeit haben auch unsere Entscheidung zur Verwendung männlicher und weiblicher Bezeichnungen geprägt. Inhaltlich halten wir es für sinnvoll, die Beteiligung beider Geschlechter an Bildungseinrichtungen durch explizite Nennung männlicher wie weiblicher Berufsbezeichnungen etc. sichtbar zu machen (siehe Gender Mainstreaming in Kap. 4.3.4). Um den Lesefluss dennoch zu gewährleisten, haben wir aber häufig geschlechtsneu­trale Formen, wie z. B. Lehrende oder Studierende, verwendet und nur gelegentlich beide Geschlechter explizit genannt. Im Literaturverzeichnis werden die Vornamen ausgeschrieben, um auch hier die Beteiligung beider Geschlechter an der Entwicklung von E-Learning hervorzuheben.

2 Bildung mit E-Learning
Bildung mit E-Learning zum Erfolg führen – für alle!

Wie sind erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse zum Erwerb fachlicher, ganzheitlicher, verallgemeinerter und expansiver Handlungskompetenzen mit E-Learning zu erreichen? Wie kann E-Learning genutzt werden, um neue Zugänge zu Bildung zu ermöglichen und Inklusion und eine offene Bildung für alle zu unterstützen? Wie ist dafür E-Learning zu gestalten, damit die beabsichtigten individuellen, kooperativen und partizipativen Bildungsprozesse effektiv und effizient zur humanen Bildung des Subjekts unterstützt werden? Dies sind die zentralen Ausgangsfragen und Ziele für die Unterstützung von Kompetenzentwicklung und Bildung mit E-Learning. Denn mit den digitalen Bildungsmedien, den virtuellen Bildungsräumen und der Entwicklung vom Lese- zum Lese-und-Schreib-Internet werden die traditionellen pädagogischen Verhältnisse zwischen Lehrenden und Lernenden, die herausgebildeten Kulturen des Lehrens und Lernens sowie die bisher vor allem durch die Lehrenden bestimmten Lehr- und Lernprozesse grundlegend verändert zu gemeinsam und selbst organisierten Prozessen. Eine weitere Demokratisierung von Bildung für alle Menschen ist daher möglich. Subjektivität und Offenheit der Bildung jedes Menschen in der Gesellschaft zur souveränen Teilhabe an der Aneignung und Gestaltung der Welt sind das Leitprinzip des Lehrens und Lernens (Zimmer 2013).

Aufbau des Kapitels

Um diese Veränderungen begreifen, gestalten und nutzen zu können, ist es notwendig, zunächst die herausgebildeten neuen Begrifflichkeiten zu klären (Kap. 2.1). Ausgehend von den Erfolgen und Defiziten bisheriger virtueller Bildungsangebote (Kap. 2.2) und der generellen Klärung der konstituierenden Faktoren von Bildungsprozessen (Kap. 2.3) können die konstituierenden Faktoren für erfolgreiche virtuelle Lehr- und Lernprozesse (Kap. 2.4) bestimmt werden. Dies ist die Voraussetzung dafür zu klären, in welcher Perspektive die erforderliche Entwicklung der virtuellen Lehr- und Lernkultur zu gestalten ist (Kap. 2.5.1), wie die Potenziale virtueller Bildungsangebote zu nutzen sind (Kap. 2.5.2) und wie die Herausbildung einer neuen Lernkultur zu fördern ist (Kap. 2.5.3). Im Fazit (Kap. 2.6) werden die daraus sich ergebenden neuen Perspektiven für das Lehren und Lernen kurz angesprochen.

2.1 Bestimmung zentraler Begriffe
Begriffsproblem

Der Begriff E-Learning (Electronic Learning, elektronisches Lernen) hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gegenüber anderen Begriffen für das Lernen mithilfe und Nutzung von Computern, wie z. B. multimediales Lernen, in Wissenschaft und Praxis durchgesetzt. E-Learning setzt E-Teaching der Lehrenden voraus. In der Entwicklung des E-Learning und E-Teaching hatten sich zunächst zwei Formen herausgebildet, das am Einzelplatz orientierte Computer Based Training (CBT) und dann das an Kommunikation orientierte Web Based Training (WBT), die heute oft auch integriert in Learning Management Systemen (LMS) angeboten und ergänzt um Zugänge zum Internet und zu den Social Media genutzt werden. Insofern wird auch von einer Digitalisierung der Bildungsprozesse und von einer digitalen Bildung gesprochen. Aber die Verwendungen der populären Begriffe E-Learning, E-Teaching oder digitale Bildung können auch zu folgenreichen Missverständnissen führen, insbesondere wenn diese in ihrer Bedeutung technologischen Begriffe in einen direkten Zusammenhang mit den Begriffen Lernen und Bildung gebracht werden. Denn mit dem Begriff E-Learning, elektronisches Lernen, wird kein subjektiv begründeter Modus der subjektiven Prozesse von Lernen bzw. Kompetenzentwicklung und Bildung benannt, wie z. B. mit den Begriffen defensives Lernen oder expansives Lernen (Holzkamp 1993, 187 ff.). Den Modus elektronisches Lernen, also elektronisch begründetes und vollzogenes Lernen, gibt es nur in elektronischen Systemen, z. B. in Robotern, die mit Systemen künstlicher Intelligenz ausgestattet sind. Auch mit dem Begriff E-Teaching, elektronisches Lehren, wird kein subjektiver Prozess des Lehrens benannt, sondern die digital präsentierten und elektronisch vermittelten Inhalte, Formen und Prozesse des Lehrens. Es darf im E-Learning und E-Teaching nicht übersehen werden, dass Lernen und Lehren immer subjektive Eigenleistungen der Lernenden und Lehrenden in sozialen kommunikativen, kooperativen und partizpativen Prozessen und entsprechend geformten pädagogischen Verhältnissen sind.

E-Learning

Mit dem Begriff E-Learning wird ein vielgestaltiges gegenständliches und organisatorisches Arrangement von elektronischen bzw. digitalen Medien zum Lernen, virtuellen Lernräumen und Blended Learning bezeichnet. Dieses Arrangement von elektronischen Mitteln, Räumen und Verknüpfungen kann individuell oder gemeinsam zum Lernen bzw. zur Kompetenzentwicklung und Bildung von Lernenden in selbst bestimmten Zeiten genutzt werden – sei es zum defensiv oder expansiv begründeten Lernen. Die elektronisch arrangierten digitalen Lernmedien präsentieren den Lernenden die Lerninhalte multimedial und ermöglichen ihnen deren interaktive Bearbeitung, sei es in vorgegebenen Instruktionsstrukturen oder in Netzstrukturen für selbst gesteuertes individuelles, kooperatives oder partizipatives Lernen. Die Lernenden können dabei Autonomie und Selbstwirksamkeit erfahren, die ihre Motivation stärken, auch zum lebenslangen Lernen. Die virtuellen Lernräume, in denen die digitalen Lernmedien angeboten und bearbeitet werden, sind gleichwohl reale Lernräume im Internet, in die nur online eingetreten und mit anderen Lernenden und den Lehrenden asynchron oder synchron kommuniziert und kooperativ oder partizipativ gelernt werden kann.

 

Blended Learning

Der Begriff Blended Learning steht dafür, dass Lernen mit digitalen Medien in virtuellen Lernräumen ergänzt oder verbunden wird mit Lernen in Präsenzveranstaltungen. Wobei die Präsenz heute auch virtuell hergestellt werden kann, z. B. in Online-Vorlesungen, -Seminaren oder -Tutorien. E-Learning ist also ein sehr umfassender Begriff, der ein auf der Basis der elektronischen Informations- und Kommunika­tionstechnik entwickeltes neues multimediales Lehr- und Lernarrangement bezeichnet, in dem Lernen, Kompetenzentwicklung und Bildung von Individuen einzeln oder in Gruppen stattfinden kann und – so der Anspruch – besser als in den traditionellen Lehr- und Lernarrangements. Der Begriff signalisiert auch, dass die digitalen Bildungsmedien letztlich die das Lernen begleitenden Lehrenden, Fachexperten und Kollegen sowie das direkte Lernen in den entsprechenden Feldern der Wissenschaft und Praxis nie vollständig ersetzen können.

E-Teaching

Statt des Begriffs E-Learning wird auch der Begriff E-Teaching – seltener auch der Begriff Computer Assisted Teaching, computerunterstütztes Lehren – verwendet. Der Begriff E-Teaching (Electronic Teaching, elektronisches Lehren) ist zweifellos treffender. Denn in den digitalen Medien und virtuellen Lernräumen sind bei formalen Bildungsprozessen alle geplanten pädagogischen Lehrhandlungen und Kommunikationen der Lehrenden mit den Lernenden zur Erzeugung und Unterstützung der entsprechenden Lernprozesse bei den Lernenden vorab bis in alle Details konzipiert und multimedial und interaktiv elektronisch objektiviert. Der vorgestellte typische Lernende ist dabei die Zielperson, der bestimmte Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertig­keiten und Interessen elektronisch vermittelt werden sollen, in dem der tatsächlich Lernende die programmierten Lehr- und Lernhandlungen mehr oder weniger selbst gesteuert nachvollzieht. Der Lernende nimmt also an einer elektronischen Lehrveranstaltung teil. Die darin fehlende unmittelbare pädagogische Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden wird – falls dies für notwendig erachtet wird – in virtuelle Lernräume mit asynchroner oder synchroner Kommunikation – in kommunikatives E-Teaching – oder in begleitende Präsenzveranstaltungen verlegt. Der Begriff E-Teaching unterscheidet sich somit deutlich vom Begriff E-Learning, der bereits begrifflich den Lernenden als Zielperson der elektronisch basierten Lehr- und Lernarrangements im Blick hat. Wir verwenden daher im Folgenden den Begriff E-Learning für das Arrangement digitaler Lernmedien und virtueller Lernräume.

Lernen

Anlass für Lernen kann sowohl die Erfahrung sein, bestimmte Problematiken oder Aufgaben mit den bisher erworbenen Kompetenzen nicht erfolgreich bearbeiten zu können, als auch die Intention, bereits erworbene Kompetenzen zu erweitern, zu vertiefen und auf weitere Handlungsfelder auszudehnen oder für die Steigerung der persönlichen Handlungsfähigkeit völlig neue Kompetenzen auf höherem Niveau für andere oder neue, komplexere oder anspruchsvollere Handlungsfelder oder Handlungsziele zu erwerben. Beim Lernen geht es somit immer um die begründete Überwindung einer für das lernende Subjekt partiellen oder gar fundamentalen Kom­petenzdiskrepanz in den gesellschaftlichen Lebenszusammenhängen, um eine erweiterte Teilhabe an gesellschaftlicher Praxis und Mitwirkung an ihrer demokratischen Gestaltung zu erreichen (vgl. Holzkamp 1983, 457 ff., 1993, 211 ff.; Markard 2009, 180 ff.; Baldauf-Bergmann 2009, 2015; Zimmer 2010a; Held 2015b). Lernen ist daher immer eine gegenstands- und selbstbezogene Handlung in sozialen Kontexten. Damit das Subjekt den dafür notwendigen Lernprozess beginnen kann, müssen zuvor und gegebenenfalls auch im weiteren Verlauf des Lernprozesses aus den Problematiken und Aufgaben die für den Kompetenzerwerb erforderlichen Lernaufgaben eigenständig oder in kooperativen und partizipativen Prozessen ausgegliedert und bearbeitet werden. Dazu muss das lernende Subjekt seine Lernziele selbst oder in gemeinsamer Abstimmung bestimmen und sich methodischen Zugang zu den Inhalten und Bedeutungsstrukturen des Lerngegenstandes durch die entsprechenden autodidaktischen Lernhandlungen verschaffen. Die autodidaktischen Lernhandlungen können vom Lesen, Durchdenken und Lösen vorgegebener Lernaufgaben bis zum Erarbeiten, Präsentieren und Diskutieren der individuell oder in Kooperation mit anderen Lernenden oder in Partizipation mit Experten erarbeiteten Ergebnisse komplexer Lernprojekte reichen. Von entscheidender Bedeutung für die Lernmotivation und damit auch für den Lernerfolg ist dabei, ob das individuelle Lernen nur vollzogen wird, weil es von anderen gefordert und sanktioniert ist, also defensiv begründet ist, oder ob es vom lernenden Subjekt engagiert vollzogen wird, weil es ein eigenständiges und auch weiter gehendes Interesse an der Überwindung seiner Lerndiskrepanz hat, also expansiv begründet ist. Voraussetzung dafür ist die individuelle Entwicklung eines reflektierten subjektiven Standpunktes und einer subjektiven Perspektive für die Bildung der eigenen Person und ihrer Positionierung und Mitwirkung in der Gesellschaft. Es macht einen großen Unterschied für die individuelle wie die gesellschaftliche Entwicklung, ob sich die Lernenden aus Interesse reflektiert, kritisch, kreativ und urteilsfähig mit Lerninhalten expansiv, also vorgegebene Grenzen überschreitend, auseinandersetzen und komplexere, gesellschaftlich relevante Lernaufgaben auch innovativ in selbst organisierten kooperativen Projekten bearbeiten oder ob sie curricular vorgegebene Lerninhalte unter fremdbestimmtem Zwang, Zeitdruck und Sammeln von Leistungspunkten in den abgesteckten Grenzen defensiv für die erwartete und zu bewertende korrekte Wiedergabe auf Testfragen bzw. in Prüfungsaufgaben auswendig lernen. Dabei ist in expansiven Lernprozessen auch die oft vorhandene Lücke zwischen Theorie und Praxis in gemeinsamer Kommunikation und partizipativer Zusammenarbeit mit Lehrenden und Fachexperten sowie durch den Erwerb eigener Erfahrungen in Praxisfeldern zu schließen – was durch E-Learning sehr gut unterstützt werden kann. Durch den Vollzug der Lernhandlungen kann auch nebenbei etwas gelernt werden, das nicht geplant war und dessen sich auch die Lernenden nicht immer bewusst werden. Auch durch die medialen Präsentationen und Kommunikationen über das Internet kann durch die Wahrnehmung und Reflexion der Handlungen anderer passiv gelernt werden. Dies kann entsprechend den subjektiven Interessen auch selbstbestimmte expansive Lernhandlungen veranlassen.

Lehren

Die von den Individuen durch Lernen erworbenen und subjektiv ausgeprägten Kompetenzen gehen in den Kompetenzbestand einer Arbeitsgemeinschaft, einer Organisation, einer sozialen Schicht, einer Gesellschaft und letztlich der Weltgesellschaft ein. Die Träger der Kompetenzen bleiben dabei immer die Individuen. Der größte Teil ihrer Kompetenzen kann von ihnen in Gestalt von Wissen, Erfahrungen, Methoden, Hinweisen und Beispielen expliziert und multimedial dargestellt werden. Diese Explikationen stehen dann allen Interessierten zur Verfügung, durch deren Bearbeitung sie ebenfalls ihre Kompetenzen subjektiv entwickeln können. Die dabei immer auch entstehenden und für die Handlungsfähigkeit notwendigen impliziten Kompetenzen können dagegen nur im Prozess des Lernens sowie im jeweiligen Handlungsvollzug selbst durch das Machen eigener Erfahrungen individuell herausgebildet werden. Die explizierten und multimedial präsentierten Inhalte, Methoden und Instrumente für den Kompetenzerwerb können didaktisch und methodisch sowohl in interaktiven multimedialen Lernprogrammen für selbst gesteuertes Lernen als auch durch Lehrende für ihre unterrichtliche Vermittlung aufbereitet werden. Die unterrichtliche Vermittlung hat den Vorteil, dass eine unmittelbare Kommunikation besteht zwischen Lehrenden und Lernenden für die immer im Prozess der lehrenden Darlegungen und subjektiven Aneignungen unvorhersehbar entstehenden Nach­fragen und Erklärungen sowie für Verweise auf Kontexte, Historie und Perspektiven. Kompetenzdiskrepanzen können aber auch durch informelles Lernen im Aufgaben bearbeitenden Handlungsprozess mit jederzeit abrufbaren Informationen (Dohmen 2001) und Kommunikationen mit anderen Beteiligten oder Experten überwunden werden. Im formellen Lernen wie bei der Ermöglichung informellen Lernens – ob in Lernmedien objektiviert oder durch Lehrende persönlich vermittelt – handelt es sich immer um didaktisch begründete und mehr oder weniger methodisch strukturierte oder beratende und moderierende pädagogische Handlungen, die es den Lernenden ermöglichen sollen, ihre Lernhandlungen zur Überwindung ihrer Kompetenzdiskrepanz effizient und erfolgreich vollziehen zu können. Die Überwindung ihrer Kompetenzdiskrepanz ist immer ein subjektiver, defensiv oder expansiv selbst bestimmter Lernprozess, der bei offenen Lernaufgaben, wie z. B. bei Lernprojekten, auch zu neuen Lösungen und Erkenntnissen führen kann, die auch den Lehrenden bislang nicht bekannt waren. Im pädagogischen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernen­den wird daher dann am besten gelernt, wenn nicht nur die vermittelten Kompetenzen nachvollziehend erworben werden, sondern die Lernenden auch eigenständig und kooperativ ihre Kompetenzen entwickeln und an Ergebnissen präsentieren, wovon wiederum die Lehrenden und auch andere Interessierte lernen können. Ganz entscheidend für erfolgreiche Lernprozesse ist die Beteiligung der Lernenden an der Bestimmung ihrer Lernziele sowie der Konzipierung, Durchführung, Bewertung und Verbesserung der Lehr- und Lernprozesse und der Vereinbarung ihrer nächsten Lernschritte im partizipativen Dialog mit Lehrenden und Fachexperten sowie im kooperativen Dialog mit den anderen Lernenden, was über einen virtuellen Bildungsraum (Kap. 3) gut realisiert werden kann.

Orientierung

Die Handlungen des Lernens und Lehrens sind ohne ihre Orientierung nicht möglich. Dabei kann die Orientierung der Handlungen bewusst und zielgerichtet oder auch unbewusst erfolgen. „Das Orientieren muss als ein Prozess der Auseinandersetzung mit der Welt verstanden werden, […] Orientierungsprozesse sind Voraussetzungen für das Handeln“ (Held 2015a, 107). Die subjektiven Orientierungen der Lehr- und Lernhandlungen entstehen in den persönlichen, sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, ihrer subjektiven Wahrnehmung und in den Blick genommenen Perspektiven der eigenen Lebensweisen und Lebensziele, und damit auch des eigenen Lehrens und Lernens. Die Herausbildung der subjektiven Orientierung ist eine „explorative Handlung“ und „innere Ausrichtung und Haltung“ und beruht auf „innere[n] Wissensschemata“ (ebd., 111 ff.). Dabei „spielen auch weitere Dimensionen eine Rolle. Zu unterscheiden sind eine zeitliche, soziale und räumliche Dimension. Jemand kann sich in der zeitlichen Dimension, z. B. an der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft orientieren. Man kann sich auch an anderen Menschen oder Gruppen orientieren: soziale Dimension oder an einem bestimmten kulturellen Lebensraum. Wichtig […] [sind] u. a. individuelle und kollektive Orientierungen, globale und lokale Orientierungen, nationale und internationale Orientierungen, Toleranz und demokratische Orientierung, aber auch ausgrenzende Orientierungen wie z. B. Rassismus. Solche Orientierungen realisieren sich in verschiedenen Handlungsformen. Gemeint sind damit zum einen kulturelle Aktivitäten und Stile, zum anderen Formen des Engagements in und außerhalb von Institutionen bzw. Organisationen“ (ebd., 114, Hervorh. im Original). Die subjektiven Orientierungen bestimmen auch bewusst oder unbewusst die Handlungen der Lehrenden und Lernenden und unterliegen beabsichtigt oder unbeabsichtigt der Konzeptualisierung der Lerninhalte und ihrer didaktisch-methodischen Präsentation in den digitalen Bildungsmedien wie auch ihrer Nutzung durch die Lernenden. Die Frage der Orientierung ist daher von allen Beteiligten unbedingt zu beachten.