Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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2.2 Rundfunkbegriff und Neue Medien

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Die Neuen Medien und neuen Dienste stellen den Rundfunkbegriff vor besondere Probleme.[41] Sie hängen mit der Vermehrung der Verbreitungswege und den neuen Erscheinungsformen von Medieninhalten zusammen. Rundfunk wird heute hauptsächlich über Breitbandkabel (45,9 %) und Satellit (46,5 %) verbreitet. Die Terrestrik spielt mit 9,0 % eine wachsende Rolle[42] (seit Frühjahr 2017 nach knapp einjähriger Testphase mit DVB-T2[43]). Immer größere Relevanz kommt zudem der Verbreitung per IP-Protokoll (IP-TV) über DSL-Leitungen im Internet zu (6,2%, 2015 waren es noch 4,8 %).[44] Durch den fortschreitenden Ausbau der VDSL2-Netze und der damit verbundenen Möglichkeit, wesentlich höhere Datenmengen zu übertragen, erlangt diese Verbreitungsform immer mehr praktische Relevanz.[45] Das Internet ermöglicht ferner über die klassischen Mediengattungen hinweg individuelle Zugriffe auf mannigfaltige Angebote. Dadurch entwickeln sich die Nutzergewohnheiten immer mehr weg von linearen sog. laid-back Angeboten – also ohne Einflussnahme des Rezipienten – hin zu nicht linearen, sog. lean-forward Diensten. Durch das mittlerweile verbreitete sog. „Timeshift-TV“ ist es dem Nutzer möglich, in einer nicht linearen Angebotsstruktur über virtuelle, auf einem Server installierte sog. network-based Personal Video Recorders („nPVR“), die Reihenfolge des Empfangs selbst zu bestimmen.

2.2.1 Strukturprobleme des Rundfunkbegriffs

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Unbestritten erfasst der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff Hörfunk und Fernsehen.[46] Es drängt sich aber die Frage auf, ob auch neue Erscheinungsformen unter diesen Begriff zu subsumieren sind. Praktisch wird hierdurch der Programmbereich des klassischen Rundfunks erweitert. Es entstehen Spartenprogramme, unterschiedliche Formen von Pay-TV und neue Angebotsformen, vor allem in Gestalt von Online-Diensten zum Abruf. Der Rundfunkstaatsvertrag unterscheidet einfachgesetzlich zwischen Rundfunk und Telemedien. Die bis zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag umstrittene Frage der einfachgesetzlichen Abgrenzung zwischen diesen beiden Begriffen hat sich durch die Anpassung des Rundfunkbegriffs an die Definition der linearen audiovisuellen Mediendienste (Fernsehprogramme) weitgehend geklärt.[47] Diese Definition entstammt ursprünglich der Richtlinie 2007/65/EG (sog. Fernsehrichtlinie)[48], die 2010 ersetzt worden ist.[49] Gleichwohl ist die Einordnung neuer Angebotsformen weiterhin mit Schwierigkeiten verbunden.

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Den Schutz der aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abgeleiteten Rundfunkfreiheit genießt auch die elektronische Presse.[50] Sie kann entweder als andere Form des Printblattes mit demselben Inhalt digital verfügbar sein oder aber als eigenständiger Auftritt mit selbstständiger Redaktion als mediale Mischform auftreten. Sämtliche Printerzeugnisse sind mittlerweile entweder kostenfrei oder gegen Entgelt als Applikation für mobile Endgeräte verfügbar, in denen neben den im Magazin zu findenden Artikeln regelmäßig auch Hintergrundinformationen (z.B. in Form von Bewegtbildern) abrufbar sind. Derartige Erscheinungsformen, die Elemente unterschiedlicher Mediengattungen in sich vereinen, werfen besondere Einordnungsprobleme auf. Es bereitet zwar keine Probleme eine Tageszeitung, deren Inhalt wie in Papierform in das Internet gestellt wird, ungeachtet ihrer fehlenden Körperlichkeit aufgrund ihrer Herkunft,[51] ihres Charakters und ihrer Wirkung der Pressefreiheit zu unterstellen. Schwieriger ist indes die Einordnung eines Online-Angebots, das inhaltlich eigenständig ist, wie der Online-Auftritt einer Zeitung oder Zeitschrift mit eigener Redaktion und unter Verwendung von Bewegtbildern im Vergleich zur gedruckten Fassung des entsprechenden Magazins. Diese Online-Auftritte lösen sich bewusst vom Herkunftsmedium ab und weisen Bewegtbildern eine wesentliche Rolle zu. Was die Inhalte betrifft, unterscheidet sich dieses Angebot häufig nicht von der Ausstrahlung einer Fernsehsendung. Freilich wird es (bislang) nicht linear ausgestrahlt, sondern lediglich auf Abruf bereitgehalten. Zudem weist es aufgrund seines geringeren Rezipientenkreises nicht die für den Rundfunk typische Reichweite und Meinungsrelevanz auf.

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Gerade im Zusammenhang mit Blogs fällt eine juristische Beurteilung schwer. Hierbei handelt es sich um Inhalte auf einer Website, in denen eine oder mehrere Personen (Blogger) Inhalte jeder Art niederschreiben. 2015 entstand im Zusammenhang mit dem Internetportal netzpolitik.org ein gleichermaßen strafrechtlich wie medienrechtlich und politisch brisanter Konflikt. Nach Anzeigen des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz wurde ein inzwischen eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber des Blogs eingeleitet. Durch die Veröffentlichung von Material mit Staatsgeheimniseigenschaft, das ihnen von einem sog. Whistleblower zugespielt wurde, hätten sich die Blogger u.a. wegen Landesverrats (§ 94 StGB) strafbar gemacht. In medienrechtlicher Hinsicht[52] stellte sich hier zum einen die Frage, welchen verfassungsrechtlichen Status Blogger einnehmen und zum anderen, wie das sog. Whistleblowing vor dem Hintergrund der Presse- und Meinungsfreiheit zu bewerten ist. Wenn und soweit ein Blogger seine Inhalte journalistisch-redaktionell gestaltet, schützt ihn regelmäßig neben der Meinungsäußerungsfreiheit auch die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 GG.[53] Werden ihm erkennbar rechtswidrig erlangte Informationen zugespielt, stellt sich die Frage, ob deren Publikation vom Auftrag des Mediums als Public Watch Dog[54] umfasst ist und auch die Veröffentlichung von Informationen, die als Verschlusssachen klassifiziert sind, von der Pressefreiheit gedeckt sind. Hierbei werden schon vor dem Hintergrund der vom BVerfG wiederholt als „konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung“[55] bezeichneten Medienfreiheit hinsichtlich einer Strafbarkeit und damit eines Zurücktretens der Pressefreiheit hohe Maßstäbe anzusetzen sein.[56] Um den Tatbestand des Landesverrats zu erfüllen, müsste es jedenfalls im Einzelfall um Staatsgeheimnisse gehen, deren Verrat mit einer möglichen Gefährdung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik verbunden wäre.[57] Unabhängig davon stellte sich aber im Fall netzpolitik.org das Problem einer möglichen und bis heute nicht aufgeklärten Einflussnahmen des Justizministeriums auf den Generalbundesanwalt, die rechtsstaatlich besorgniserregend wäre.[58]

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Print- und Telekommunikationsunternehmen experimentieren im Internet mit Formaten, deren Einordnung als Rundfunk oder Telemedien zum Teil umstritten ist.[59] So stellt sich z.B. bei dem auf der Plattform YouTube angebotenen linearen Videokanal „Live“ mit mehr als 500 „followern“[60] die Frage, ob dieser einfachgesetzlich im Sinne des RStV als Rundfunk oder als Telemedium zu qualifizieren ist.[61] Diese Abgrenzung wird allerdings mit Blick auf neue Erscheinungsformen in den Medien zunehmend hinterfragt. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2013 in einer im Internet gestreamten Videokonferenz („Google Hangouts“) 500 Teilnehmer erreichte, wurde dies als Staatsfunk bezeichnet.[62] In der Folge beschäftigte sich – unabhängig vom Problem der Staatsfreiheit des Rundfunks – die ZAK mit der Frage der Kategorisierung des Formates und insbesondere mit der nach einer möglicherweise erforderlichen Rundfunklizenz. Laut Pressemitteilung der ZAK können Angebote – wenn sie linear verbreitet werden – zwar grundsätzlich zulassungspflichtigen Rundfunk darstellen. Im Fall des Google-Hangouts fehle es aber an einem Sendeplan, dem das Format folgt.[63] Im Umkehrschluss wäre eine Bewertung als Rundfunk demnach denkbar, wenn das Format journalistisch-redaktionell verbreitet würde.

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Eine weitere Folge der Konvergenz zeigt sich bei Smart-TV-Portalen. 2017 können über zahlreiche Fernseher in Deutschland Internetinhalte abgerufen und dargestellt werden, sei es unmittelbar über einen eigenen Internetzugang am Gerät oder mittelbar über ein angeschlossenes Tablet, einen angeschlossenen TV-Stick etc.[64] Im Falle eines im Gerät verbauten Internetzugangs kann der Nutzer neben der vom Hersteller bereitgestellten Nutzeroberfläche auch über den sog. Red Button der Fernbedienung oder den Browser auf Internetinhalte zugreifen. So werden etwa beim sog. HbbTV TV-Programme mit umfangreichen Zusatzinformationen angereichert, wenn der Nutzer die Funktionalität über den sog. Red Button aktiviert hat. Dies können Informationen zum laufenden Programm oder auch Werbung im Splitscreen sein. Letztere kann dann, ähnlich wie bei den über das Smartphone, Tablet oder den Laptop abgerufenen Inhalten, auch personalisiert sein. Konkret bedeutet dies, dass Werbebotschaften auf Grundlage des vorherigen Konsumverhaltens auf den Nutzer zugeschnitten werden können. Für Werbetreibe ist dies von besonderer Relevanz, da hier eine Kombination zwischen der hohen Reichweite des klassischen Rundfunks und der zielgerichteten, personalisierten Online-Werbung möglich ist. Damit einhergehen jedoch erhebliche datenschutzrechtliche Probleme. Über die Internetverbindung fließen zahlreiche personenbezogene Daten vom Smart-TV an dessen Hersteller und werden von dort vermittelt oder möglichweise auch unmittelbar an Dritte, etwa Fernsehsender oder Vermarkter, weitergegeben. Personenbezogene Daten sind nach dem BDSG, und sinngemäß auch nach der Ende Mai 2018 wirkenden DSGVO, Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person. Hierbei geht es um Daten, die identifizierende oder beschreibende Informationen über den Betroffenen selbst oder über einen auf ihn beziehbaren Sachverhalt enthalten.[65] Bei HbbTV entstehen eine Vielzahl personenbezogener Daten, nur beispielhaft genannt seien etwa die gewöhnlichen Fernsehzeiten, die Rückschlüsse auf personenbezogene Informationen zu Arbeitszeiten bzw. eine mögliche Arbeitslosigkeit zulassen. Die gewählten Sendungen und das Umschaltverhalten geben Auskunft über Vorlieben und Abneigungen des Nutzers. Der Datenfluss erfolgt dabei schon vor und unabhängig von der Betätigung des Red Buttons ohne wirksame Einwilligung des Nutzers und ohne gesetzliche Ermächtigung, die eine Verwendung der Daten rechtfertigen könnten. Das Landgericht Frankfurt hat im Juni 2016 entschieden,[66] dass einHersteller von Smart-TV keine verantwortliche Stelle i.S.d. Datenschutzrechts ist, wenn er weder Kenntnis noch Verfügungsmacht über diejenigen IP-Adressen hat, die zwischen dem Nutzer und dem Anbieter des HbbTV-Dienstes ausgetauscht werden.[67] Zugleich betont das Gericht die aus §§ 5a Abs. 2, 8 UWG i.V.m. § 13 Abs. 1 TMG herzuleitende Verpflichtung, den Kunden darüber zu informieren, dass schon durch den Anschluss des Smart-TV an das Internet Daten über den Nutzer erhoben werden können, ohne dass zuvor eine entsprechende Information und Einwilligung erteiltwurde.[68] Hinsichtlich der Einwilligung in die Datenerhebung sei eine Datenschutzbestimmung, die 50 Bildschirmseiten umfasse schon wegen ihres Umfanges als Grundlage für eine Einwilligung in die Datenerhebung ungeeignet.[69]

 

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Unter der ab 25.5.2018 geltenden EU-Datenschutzgrundverordnung wird der Maßstab tendenziell noch strenger, vgl. Art. 5 ff. EU-DSGVO zur Datenverarbeitung sowie zu den Transparenz- und Informationspflichten Art. 12 ff. EU-DSGVO. Eine datenschutzkonforme Ausgestaltung der Angebote ist dringend geboten, damit Hersteller und Vermarkter nicht einer Haftung nach Art. 82 f. EU-DSGVO ausgesetzt werden.[70] Betrachtet man die neuen Werbeformen datenschutzrechtlich, so wird deutlich, dass die datenschutzrechtliche Regulierung datengetriebener Geschäftsmodelle im Rundfunkbereich schon heute eine besondere, eigene und neue Regulierung für Rundfunkveranstalter neben der Rundfunkregulierung ausmacht.

2.2.2 Onlinedienste als Rundfunk

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Die Digitalisierung ermöglicht eine technische Konvergenz, in deren Rahmen sich die Verbreitungswege und Rezeptionsmöglichkeiten vervielfachen. Inhalte werden über verschiedene Verbreitungswege auf unterschiedliche Endgeräte übertragen. Die Besonderheit des Internets besteht darin, dass sowohl die Verbreitung individueller Kommunikationsinhalte an die Allgemeinheit ermöglicht wird als auch „massenkommunikative Inhalte mit der Tendenz zur Individualisierung“[71] verbreitet werden können. So verschmelzen Individual- und Massenkommunikation. Nach ihrer traditionellen Lesart schützt die Verfassung in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Massenkommunikation durch Rundfunk, Presse und Film. Die Verbindung dieser Ausdrucksformen stellt sowohl den verfassungsrechtlichen als auch den einfachgesetzlichen Rundfunkbegriff vor ein Strukturproblem. Dem angemessen Rechnung zu tragen ist Aufgabe des europäischen und deutschen Gesetzgebers. Auf Verfassungsebene könnte ein möglicher Lösungsansatz in der Schaffung eines einheitlichen Mediengrundrechts liegen, welches die bisherige Differenzierung zwischen den medialen Gattungen aufgibt.[72] Auf europäischer Ebene hat man sich der Herausforderung einer konvergierten Medienordnung mit der AVMD-Richtlinie[73] gestellt.[74] Diese stand auch im Mittelpunkt des Grünbuchs über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt, das die Europäische Kommission im April 2013 veröffentlicht und zugleich alle interessierten Kreise um Stellungnahme gebeten hat.[75] Ziel des Grünbuchs war die Anregung einer öffentlichen Debatte über die Auswirkungen des gegenwärtigen Wandels der audiovisuellen Medienlandschaft, die durch ein fortschreitendes Zusammenwachsen herkömmlicher Rundfunkdienste mit dem Internet[76] geprägt ist.[77] Nach der Vorstellung der Kommission soll die stetig fortschreitende Konvergenz genutzt werden, um allen Europäern einen möglichst umfassenden Zugang zu vielfältigen europäischen Inhalten zu bieten und eine möglichst große Palette hochwertiger Angebote zu gewährleisten. Häufig sei der Zugang zu solchen Diensten aufgrund geografischer Beschränkungen nicht oder nur eingeschränkt möglich, was, angesichts eines Zuschauerpotenzials von über 368 Mio. Internetnutzern in der EU, allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten der Änderung bedürfe.[78] Als wichtigste Faktoren für die Nutzung dieses durch den europäischen Binnenmarkt hervorgebrachten Potenzials nennt die Kommission einen für Wachstum hinreichend großen Markt, ein von Wettbewerb geprägtes Umfeld, die Bereitschaft zur Anpassung vorhandener Geschäftsmodelle, Interoperabilität, insbesondere im Hinblick auf Hybridfernsehgeräte, sowie eine geeignete Infrastruktur.[79] Insbesondere durch die EU-Wettbewerbsregeln müsse sichergestellt werden, dass in einer immer stärker konvergierenden Medienwelt ein flexibler, effektiver Markt möglich sei.[80] Dabei sei auch zu prüfen, ob es Anzeichen für Markverzerrungen gebe, die auf die Unterscheidung zwischen linearen und nichtlinearen Diensten[81] zurückzuführen sei.[82] Ferner sei auch den Veränderungen im Verbraucherverhalten hin zu nutzergenerierten Inhalten, welche von den Rundfunkveranstaltern in ihr lineares Programm integriert werden könnten, Rechnung zu tragen.[83] Besonders wichtig sei, dass der Zugang zu „Inhalten von allgemeinem Interesse“ gewährleistet bleibe. Dabei sei zu überlegen, ob angesichts zunehmender Filter- und Personalisierungsmechanismen weitergehende europäische Regelungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt und Medienpluralität erforderlich seien.[84] Letztlich besteht das Anliegen der Kommission also darin, die Vorzüge der Konvergenz auf europäischer Ebene zu nutzen, ohne dabei die Achtung derjenigen Werte, die der europäischen Regulierung audiovisueller Mediendienste zugrunde liegen, zu vernachlässigen. So seien namentlich die Förderung der Meinungsfreiheit und des Medienpluralismus, die Förderung der kulturellen Vielfalt und der Schutz personenbezogener Daten sowie der Verbraucherschutz, u.a. schutzbedürftige Personen wie Minderjährige oder Personen mit Behinderungen durch angemessenes politisches Handeln zu fördern.[85]

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Im Herbst 2017 stellen sich die Überlegungen zur Novellierung der AVMD-Richtlinie durch Kommission, Parlament und Rat wie folgt dar:[86]

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Gemeinsame Überlegungen

Die Beibehaltung des Typus der Richtlinie zur EU-weiten Regulierung audiovisueller Dienstleistungen ist zwischen den EU-Organen ebenso wenig streitig wie die Wahrung einer Mindestharmonisierung, die einer strengeren Regulierung auf Ebene der Mitgliedsstaaten bzw. ihrer nach der Verfassungsordnung zuständigen Ebene nicht entgegensteht. Auch besteht, bei divergierenden Auffassungen im Detail, welche nachfolgend erläutert werden, Einigkeit darüber, den Anwendungsbereich der AVMD-Richtlinie zu erweitern. So soll die Richtlinie auch auf den trennbaren Teil einer Dienstleistung Anwendung finden.[87] Diese Ausrichtung bewegt sich im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, der entschieden hat, dass sich der Hauptzweck eines audiovisuellen Mediendienstes nicht notwendigerweise auf den gesamten Dienst beziehen muss, sondern dass in Zeiten von Multimedia-Angeboten auch Teilangebote durchaus einen Hauptzweck erfüllen können.[88]

EU-Kommission

Die regulatorische Trennung in linear und non-linear wird nach den Vorstellungen der Kommission nicht gänzlich aufgehoben, aber im linearen Bereich – insbesondere bei den quantitativen Werbebestimmungen – weniger bedeutsam (s. u.). Gleichzeitig sollen die unterschiedlichen Bestimmungen im Bereich des Jugendschutzes aus dem linearen wie non-linearen Bereich angeglichen werden. Insbesondere mit Blick auf die Absicherung von Jugendschutzstandards und der Menschenwürde wird eine Einbeziehung von Video-Sharing-Plattformen in den Anwendungsbereich angestrebt, wobei die Erfüllung der neuen Anforderungen maßgeblich durch den Einsatz von Verhaltenskodizes/Ko-Regulierung gewährleistetwerden sollen. Die Haftungsbestimmungen der E-Commerce-Richtlinie sollen unberührt bleiben.[89]

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Quantitative Werbevorgaben: Die EU-Kommission strebt eine stärkere Liberalisierung bzw. Flexibilisierung der quantitativen Werbevorgaben an. Einzelspots (Single-Spots) sollen – ohne Einschränkung – möglich sein. Eine Unterbrechung von Fernseh- und Kinospielfilmen sowie Nachrichtensendungen durch Werbung soll künftig alle 20 anstatt wie bisher alle 30 Minuten möglich sein. Anstatt der ursprünglichen 20 % per Stunde soll der Werbeanteil nun innerhalb des Zeitraums von 7:00–23:00 Uhr 20 % nicht übersteigen. Dies würde zu einer Flexibilisierung der zeitlichen Werbebeschränkungen führen. Zudem sollen die Möglichkeiten der Eigenwerbung ausgeweitet werden.

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Qualitative Werbevorgaben: Der Entwurf enthält zwar keine gesetzlichen Verschärfungen im produktspezifischen Werbebereich. Durch Ko- und Selbstregulierungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich der HFSS-Lebensmittel und der alkoholischen Getränke, soll allerdings das Maß, in dem Minderjährige entsprechenden Werbespots ausgesetzt sind, reduziert werden.[90]

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Sponsoring soll künftig einen stärkeren werblichen Charakter haben dürfen. Das derzeitige Verbot mit Erlaubnisvorbehalt von Produktplatzierungen soll in eine generelle Erlaubnis umgewandelt werden. Ausgenommen hiervon sollen jedoch Nachrichten-, Verbraucher- und religiöse Programme und Programme mit einem signifikanten Kinderzuschaueranteil sein. Darüber hinaus soll u.a. die Vorgabe, dass ein Produkt nicht zu stark beworben werden soll, entfallen.[91]

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Der Entwurf sieht ferner eine Verschärfung der Vorgaben zur Förderung europäischer Werke im non-linearen Bereich vor. Hier soll eine 20 %-Quote bei gleichzeitiger prominenter Darstellung dieser Werke sichergestellt werden. Darüber hinaus sollen die Mitgliedstaaten Vorgaben für finanzielle (Produktions-)Beiträge, inkl. nationale Fördersysteme, erlassen können. Explizit erwähnt wird, dass auch Anbieter mit einer Niederlassung im Ausland einbezogen werden können, solange diese den inländischen Markt bedienen.[92]

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Der Entwurf der Kommission sieht zudem eine Streichung des Art. 7 hinsichtlich der Bestimmungen zur Barrierefreiheit vor, da der horizontale RL-Vorschlag der EU-Kommission von Ende 2015 bereits strengere Vorgaben enthalte.[93]

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Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden: Die ERGA (European Regulators Group for Audiovisual Media Services) wird durch die Revision formal eingesetzt und als Beratungsgremium der EU-KOM deutlich gestärkt. Die Richtlinie soll mit Blick auf die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden zudem künftig Kriterien wie Transparenz, ausreichend finanzielle und personelle Mittel etc. enthalten.[94]

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CULT (EP) – Berichtsentwurf Kammerevert/Verheyen[95]

Der Entwurf sieht hinsichtlich der qualitativen Werbebestimmungen eine Änderung des Flexibilisierungsmodells im Verhältnis zum KOM-Vorschlag vor. Neben der Werbezeitbeschränkung auf 20 % im Zeitraum von 7.00–23.00 Uhr (=KOM-Vorschlag) wird im Final Report des EP eine weitere Beschränkung innerhalb eines dem jeweiligen Mitgliedstaat anheimgestellten vierstündigen Zeitfensters zur „Primetime“ vorgesehen. Mit Blick auf das derzeitige Blockwerbegebot sieht der Berichtsentwurf einen Streichungsantrag von Art. 19 (2) RL-Text vor. Damit wären Single Spots zukünftig grundsätzlich zulässig.

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Qualitative Werbebestimmungen:

Die KOM-Vorschläge hinsichtlich der Verhaltenskodizes in den Bereichen Alkohol- und HFSS-Lebensmittelwerbung sollen gestrichen werden. Dies würde zu einem Wegfall der strengen Vorgaben aus dem KOM-Vorschlag für die Ausgestaltung des Kodizes bei Lebensmittel- und Alkoholwerbung führen.

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Änderungen bei der Behandlung von Video-Sharing-Plattformen und UGC:

Der Entwurf sieht in diesem Bereich im Vergleich zum KOM-Vorschlag eine Neustrukturierung vor, die für alle AV-Dienste gelten soll. Es sollen sowohl eine Absicherung der Jugendschutzstandards und der Menschenwürde erfolgen als auch die Werbevorgaben aus dem heutigen Art. 9 AVMD-RL (Grundsätze für die Werbung wie Erkennbarkeitsgrundsatz, Anti-Diskriminierungsgebot, Verbot der Werbung für Tabakprodukte und verschreibungspflichtige Medikamente, keine an Kinder gerichtete Alkoholwerbung, Verhaltenskodizes etc.) sowie die Vorgaben zum Sponsoring (Art. 10 AVMD-RL) und der Produktplatzierung (Art. 11 AVMD-RL) für Video Sharing-Plattformen und UGC gelten. Bei der Produktplatzierung wird das Verbot der übermäßigen Herausstellung erneut aufgenommen.[96]

 

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Der Entwurf schlägt zudem die Schaffung eines Artikels zur Auffindbarkeit und Signalintegrität vor. Hinsichtlich der Förderung europäischer Werke ist eine Erhöhung der Quote für europäische Werke bei On-Demand-Diensten auf 30 % intendiert.[97]

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Zudem wird die Wiederaufnahme von Regelungen zur Barrierefreiheit vorgeschlagen. Der geänderte Wortlaut stellt dabei im Vergleich zur bisherigen Regelung eine Verschärfung dar. Gleichwohl soll über den Weg der Selbst- und Ko-Regulierung eine fast vollständige Barrierefreiheit bis 2027 erzielt werden.[98]

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Rat

Für qualitative Werbebestimmungen (Art. 9 AVMD-RL) sind keine Verschärfungen vorgesehen. Im Bereich der Produktplatzierung (Art. 11 AVMD-RL) enthalten die wesentlichen Änderungen eine Wiederaufnahme der KOM-Formulierung „programmes with a significant childrenʼs audience“ sowie die PP-Kennzeichnungsausnahme für Lizenzware, die grundsätzlich – und nicht wie nach derzeitiger Richtlinie nur in Ausnahmefällen – für die Mitgliedstaaten möglich sein soll. Das Verbot der „zu starken Herausstellung“ ist weiterhin gestrichen.[99] Lineare Vorgaben (Art. 19, 20, 23 AVMD-RL): Der Text sieht keine grundsätzliche Zulässigkeit von Single Spots vor. Die Unterbrechervorgaben werden auf den status quo (alle 30 Minuten) zurückgeführt und der Vorschlag zur zeitlichen Begrenzung sieht die Rückkehr zu 12-Minuten-Regelung im Zweitraum zwischen 7:00 – 19:00 Uhr vor; gleichzeitig wird das PT-Fenster, in dem der 20 %ige Werbeanteil flexibel verteilt werden kann, auf fünf Stunden erweitert (19:00 – 24:00 Uhr). Schwarzblenden sollen nicht auf die Werbezeit angerechnet werden.[100]

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Im deutschen Recht ist die AVMD-Richtlinie in ihrer damaligen Fassung im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag umgesetzt und ein neuer einfachgesetzlicher Rundfunkbegriff geschaffen worden. Nach wie vor ist die einfachgesetzliche Einordnung nach den neuen Abgrenzungskriterien indes nicht immer eindeutig. Insoweit muss stets die Frage beantwortet werden, ob es sich bei oben genannten Erscheinungsformen um Rundfunk oder um sog. Telemedien handelt, die lediglich anzeige- und nicht zulassungspflichtig[101] sind. In der Praxis besonders bedeutsam und zugleich schwierig ist diese Unterscheidung, wenn es um Online-Angebote von Nichtrundfunkveranstaltern geht.[102] Handelt es sich bei diesen Erscheinungsformen um Rundfunk mit der Konsequenz, dass das rundfunkrechtliche Regime mit Lizenzerfordernis, rundfunkrechtlichen Werberegeln und Jugendschutzvorgaben gilt oder kann die Verbreitung dieser Inhalte über das Internet gar nicht oder nur speziell reguliert erfolgen?