Der alte Laden

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Der alte Laden
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Anna Hölzer & Isabell Kamm

Der alte Laden


Illustrationen von Anna Hölzer

Originalausgabe 2020

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2020 by Anna Hölzer und Isabell Kamm

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

Für Pakete bitte gesondert via Kontakt oder E-Mail anfragen.

Text und Satz: Anna Hölzer und Isabell Kamm

Covergestaltung und Illustrationen: Anna Hölzer

Druck und Bindung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin.

www.annaundisabell.de

info@annaundisabell.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.


Alles was je erzählt wird, ist wirklich passiert.

Geschichten sind unsere vergessenen Erinnerungen.

Doctor Who

Staffel 9, Folge 12 „In Teufels Küche“


Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel Der alte Laden

2. Kapitel Nächtlicher Ausflug

3. Kapitel Schleimis Versteck

4. Kapitel Flug in den Zauberwald

5. Kapitel Der Meerschweinchenmann

6. Kapitel Die Vogelscheuche

7. Kapitel Mirpstrolle

8. Kapitel Der unbekannte Ort

9. Kapitel Blaue Rache

10. Kapitel Überraschungen

11. Kapitel Pläne schmieden

12. Kapitel Kompott und Komplott

13. Kapitel Klopfgeist

14. Kapitel Stille Bedrohung

15. Kapitel Aufgespürt

16. Kapitel Pulpa Odem

17. Kapitel Tierische Verbindung

18. Kapitel Birngnome

19. Kapitel Blind

20. Kapitel Kinderblut

21. Kapitel Dunkler Angriff

22. Kapitel Lichtermeer

23. Kapitel Traurige Trolle

24. Kapitel Gefährliche Geschosse

25. Kapitel Aktion Gurkenglas

26. Kapitel Zurück

Danke

Die Autorinnen

Birngnom-Marmelade

1.Kapitel Der alte Laden

Endlich waren Ferien und Anna freute sich darauf, ihre Freundin Isabell zu besuchen. Die beiden hatten sich schon im Kindergarten kennengelernt, waren in die gleiche Klasse gegangen und hatten jede freie Minute zusammen verbracht. Obwohl Isabells Familie vor ein paar Monaten in die Stadt umziehen musste, waren die beiden Mädchen immer noch beste Freundinnen.

Da Anna vor kurzem zehn Jahre alt geworden war, erlaubte ihre Mutter ihr diesmal allein mit dem Bus in die Stadt zu fahren, um Isabell zu besuchen. Jetzt war sie schon fast zwei Stunden unterwegs und bald musste die richtige Haltestelle kommen. Ihren kleinen roten Koffer umklammert, schaute sie ungeduldig aus dem Fenster. Sie konnte es kaum abwarten, ihrer Freundin die Mitbringsel zu zeigen. Annas Oma Regina hatte den beiden Mädchen nämlich etwas von ihrer letzten Reise mitgebracht.

Jedes Jahr wagte sich die alte Dame an die außergewöhnlichsten und abenteuerlichsten Orte unserer Erde. Schon früher, als Opa Hans noch lebte, hatten die beiden zusammen die verschiedensten Reisen unternommen. Denn Opa war Archäologe gewesen und hatte in der Erde nach interessanten alten Gegenständen gegraben. Oma grub nicht nach Schätzen, aber sie liebte es, neue Gegenden zu erforschen, und so führte sie diese Tradition auch nach seinem Tod alleine fort.

Dieses Jahr hatte sie Sào Thomé, eine kleine afrikanische Insel, zu ihrem Reiseziel auserkoren. Jedes Mal brachte sie ihrer Enkelin Anna und deren Freundin Isabell ein kleines Souvenir mit, und diesmal waren es zwei Halsketten: Lederbänder mit jeweils einer Muschel, einer bunten Glasperle und einem pechschwarzen Stein, von dem niemand genau wusste, woher er kam.

Anna dachte, dass die Ketten auch Isabell sehr gefallen würden.

Sie strich sich ihr blondes Haar aus dem Gesicht und drückte ihre Nase an die Fensterscheibe. Große Häuser zogen an ihr vorbei, sie war nun bald da.

Schon von weitem konnte sie das Mädchen mit dem blonden Pferdeschwanz erkennen, das ungeduldig an der Bushaltestelle auf und ab ging. Isabell erwartete sie schon.

Sofort drückte Anna den Halteknopf und rutschte aufgeregt auf ihrem Platz hin und her. Schließlich stand sie auf und positionierte sich schon einmal an der Tür. Kurz darauf sprang sie aus dem Bus und die beiden Mädchen fielen sich jubelnd um den Hals.


„Toll, dass du da bist!“, rief Isabell. „Es ist so langweilig ohne dich!“

Anna nickte: „Ich vermisse dich auch total! Super, dass ich euch besuchen kann.“

„Ja, endlich sind Ferien und wir können uns was länger sehen. Und weißt du was? Zur Feier des Tages macht Mama heute Abend Pizza!“

Fröhlich schnatternd machten sich die Mädchen auf den Weg zu Isabells Eltern.

„Schau mal, was Oma uns mitgebracht hat!“, rief Anna und schleuderte ihren Koffer auf Isabells Bett. Schon beim Aufklappen funkelten den Mädchen die Perlen entgegen.

„Sind die von dieser afrikanischen Insel?“, fragte Isabell und zog eine Kette heraus. Anna nickt, während ihre Freundin den schwarzen, glatten Stein musterte.

„Die sehen aus wie von richtigen Buschmännern!“ Beide streiften sofort die Lederbänder über und betrachteten sich im Spiegel.

„Sag deiner Oma vielen Dank!“

Die beiden richteten noch Annas Nachtlager her, indem sie die weiche Gästematratze neben Isabells Bett wuchteten und Anna darauf ihren Schlafsack ausrollte.

Kurze Zeit später waren die beiden auf dem Weg zum Spielplatz.

„Seit du das letzte Mal bei mir warst, haben sie eine neue Wellenrutsche auf dem großen Spielplatz gebaut, die muss ich dir unbedingt zeigen! Wir müssen uns nur ein bisschen beeilen, damit wir noch ordentlich Zeit zum Rutschen haben, bevor wir zum Abendessen wieder zu Hause sein müssen. Denk an die Pizza“, sagte Isabell während sie über den Zebrastreifen gingen.

„Wellenrutsche und dann Pizza, das wird ein toller Abend!“, rief Anna begeistert.

Vor einem Schaufenster blieb Isabell stehen und betrachtete ihre neue Kette in der Scheibe. „Schau mal, Anna, wie der Stein und die Perle glitzern! Richtig schön. Ich möchte die Kette am Liebsten jeden Tag tragen!“

Anna blickte auch ins Schaufenster, doch ihr fiel etwas anderes auf: Da hing ein kleiner, unauffälliger Zettel an der Scheibe. Das vergilbte Papier war lieblos mit Kreppband festgeklebt. Isabell wollte schon weitergehen, da murmelte Anna: „Komisch, hier stehen Öffnungszeiten. Der Laden macht um Mitternacht auf.“

„Welcher Laden?“, Isabell drehte sich wieder um. Anna zeigte auf den Zettel.

„Das kann ja keiner lesen!“, rief Isabell. Die Schrift war wirklich sehr krakelig. „Der das geschrieben hat, würde in Schönschrift aber höchstens eine Vier bekommen!“

„Aber wer hat das geschrieben?“, wunderte sich Anna.

„Das frage ich mich auch“, sagte Isabell und betrachtete das Haus näher. Es war klein, die Front bestand nur aus dem Schaufenster und der Eingangstür. Von dem Flachdach hingen ein paar Fetzen der Dachpappe herunter und die schwarze Farbe bröckelte ab. Die Fenster waren so schmutzig, dass man kaum hindurchschauen konnte. Innen standen nur ein paar Regale mit Gläsern und kleinen Päckchen. Man bekam wirklich keine Lust, hier etwas einzukaufen.

 

„Schau doch mal, wie schmutzig und heruntergekommen das hier aussieht.“ Die Mädchen drückten ihre Nasen an die Scheibe und sahen in den alten Laden hinein.

Jetzt konnten sie die Kisten und Kästen auf den Regalen besser erkennen. In einer Art Bonbonglas lagen rote Kugeln, die aussahen wie Clownsnasen. Daneben befand sich ein Glas mit verschiedenfarbigen Feuerwerkskörpern, wie Anna und Isabell sie von Silvester kannten. Vor dem Regal stand eine Kiste, sie war ebenfalls in der krakeligen Schrift mit „Irrlichter“ beschriftet.

„Da sind bestimmt auch Knaller drin!“, vermutete Anna.

„Ja, hier müssen wir unbedingt für Karneval und Silvester einkaufen gehen.“

„Aber hier steht, der Laden macht erst um Mitternacht auf und um drei Uhr nachts wieder zu. Wer kauft denn um diese Uhrzeit ein?“

„Seltsam, vielleicht hat sich da jemand vertan.“ Anna blickte sich um. „Wir müssen uns langsam sputen, es wird schon dunkel.“

„Stimmt, wenigstens einmal rutschen!“, meinte Isabell, als sie im Laden einen unheimlichen Schatten sah.

„Da ist jemand“, zischte Isabell erschrocken Anna zu. Sie zuckte zusammen. Die beiden huschten zur Seite und spingsten vorsichtig um die Hausecke in den Laden.

Jemand war die Kellertreppe hochgekommen und packte eine weitere Kiste aus. Die Gestalt war groß und sehr dünn, fast so dünn wie eine Regenrinne. Die langen Arme erinnerten an Gartenschläuche und ihre wenigen Haare standen borstig zu Berge.

Mit hektischen Bewegungen beförderte die Gestalt mehrere Gegenstände in ein Regal und hastete wieder die Treppe hinunter. Für einen kurzen Moment glaubten Isabell und Anna zu sehen, welche Hautfarbe die Figur hatte: Blau!


Verwirrt blickten sie sich an und dann wieder zurück zu der Kellertreppe. Doch die seltsame Gestalt war verschwunden. Die Mädchen standen verdutzt auf dem Bürgersteig, als Anna sich mit einem Mal an ihre neue Kette fasste.

„Was ist denn mit dem Stein los? Der ist plötzlich ganz warm!“

Auch Isabell nahm ihren Stein zwischen die Finger. Sie sog scharf die Luft ein. „Du hast recht. Aber nur der Stein, richtig warm!“

„Isabell, mir ist das hier unheimlich! Lass uns bitte schnell zum Spielplatz gehen!“

Erschöpft und zufrieden saßen die Mädchen später am Küchentisch. „Und, Kinder, wie ist die neue Rutsche? Musstet ihr anstehen?“, fragte Isabells Mutter, während sie den Kindern die Pizza Salami servierte. „War echt viel los!“, sagte Anna und nahm sich ein großes Stück. „Aber es lohnt sich! Mein Hintern tut weh vom vielen Rutschen!“

„Es freut mich, dass ihr Spaß hattet“, erwiderte Isabells Mutter und verteilte Servietten. „Denkt daran, Isabell, dass ihr gleich noch den Meerschweinchenkäfig saubermachen müsst, bevor ihr schlafen geht. Aber jetzt wird sich erst einmal gestärkt!“

Die Pizza schmeckte herrlich und war jetzt genau das Richtige.

Nach einigen Minuten zufriedenen Schmatzens begann Isabell: „Mama, der alte Laden macht wieder auf. Wir glauben, er verkauft Scherzartikel! Ich freu' mich schon!“

„Der alte Laden? Der steht doch schon seit Jahren leer. Das Ding müsste erst einmal renoviert werden. So schnell wird da nichts verkauft!“, erwiderte Isabells Mutter und schenkte Saft aus.

Anna schüttelte den Kopf. „Nein, nein! Da hing ein Zettel mit Öffnungszeiten und überall stehen Regale und Kisten.“

Die Mutter setzte sich zu den Mädchen an den Tisch und runzelte die Stirn. „Das kann nicht sein. Ich bin heute noch dort vorbeigegangen, und da war gar nichts.“

„Hast du richtig nachgeschaut?“, fragte Isabell mit vollem Mund.

„Mit vollem Mund spricht man nicht“, ermahnte Isabells Mutter.

„Da sind weder Kisten noch Kästen, und Regale hab ich auch keine gesehen. Der Laden steht komplett leer, und da waren auch keine Plakate an der Scheibe.“

„Nur ein Zettel, wir haben nur einen Zettel gesehen“, verteidigte sich Anna. Isabell nickte heftig, doch ihre Mutter lächelte nur.

„Da hat sich sicher jemand einen Scherz erlaubt. Seitdem der alte Herr Lörcher damals verschwunden ist, hat den Laden niemand mehr betreten. Sein Sohn lässt das Haus verfallen, obwohl man doch etwas daraus machen könnte. Das ist wirklich eine Schande.“

Anna hatte aufgehört zu kauen. „Wer ist Herr Lörcher? Und warum ist er verschwunden?“

Isabell antwortete: „Er hatte einen Gemüseladen dort und war echt nett, aber immer etwas kauzig. Als ich einmal bei ihm war, hat er mir seine riesige Steinsammlung gezeigt. Ich mochte ihn. Eines Tages war er plötzlich verschwunden. Da war ich noch im Kindergarten. Alle Nachbarn haben mitgesucht.“

Annas Augen wurden immer größer, als Isabells Mutter weiter erzählte. „Da war was los hier! Jetzt kann ich es dir ja erzählen, Isabell. Damals warst du noch zu klein für diese Geschichte. Sie haben ihn in eine Nervenklinik eingeliefert. Er ist immer verrückter geworden und hat sich eingebildet, seltsame Schatten und Dinge zu sehen, die es gar nicht gibt. Er sagte, es spukt bei ihm. Das war natürlich Quatsch. Nach langem Suchen fand man ihn draußen vor der Stadt. Der Polizei sagte er, er sei auf dem Weg zu seinen durchsichtigen Freunden. In seinem Koffer waren aber keine Anziehsachen, sondern nur ein Dutzend Steine, eine Gasmaske und 20 Gläser mit Marmelade. Der arme Mann! Jetzt geht es ihm gut in der Klinik. Er sieht keine Dinge mehr!“

Isabell und Anna blickten sich an. „Was für Dinge?“, riefen sie aus einem Mund.

„Esst jetzt. Sonst wird die Pizza kalt!“

2. Kapitel

Nächtlicher Ausflug

„Rrrrrr!“, machte der Wecker. Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht. Verschlafen zogen Anna und Isabell sich an und schlichen auf Zehenspitzen aus der dunklen Wohnung.

Mit jedem Schritt wich ihre Müdigkeit und die beiden wurden immer aufgeregter. Im Hausflur herrschte Totenstille und die Mädchen flüsterten lieber nur.

„Lass uns den Aufzug nehmen, dann sind wir schneller.“ Die Aufzugtür glitt mit leisem Summen auf. Sie huschten hinein.

Dass jemand im Aufzug war, bemerkten sie erst gar nicht. Die Tür schloss sich wieder, als sie ein Geräusch hörten. Erschrocken drehten die Mädchen sich um und sahen es: Etwa zehn Zentimeter über dem Boden schwebte eine knallgelbe Banane. Sie hatte wundersamerweise ein Gesicht, zwei kleine Ärmchen und trug einen kleinen weißen Schlafanzug mit roten Punkten.

Isabell fasste Annas Hand und die zwei drückten sich vor Schreck an die Rückwand der Aufzugkabine. Beschwichtigend hob das Wesen die kleinen Arme und lächelte sie freundlich an.


„Hallo ihr beiden, keine Angst! Ich tue euch nichts“, rief die kleine Gestalt mit heller Stimme.

Anna und Isabell hatten ihre Sprache immer noch nicht wiedergefunden, als das bananenähnliche Ding schon kichernd fortfuhr: „Wenn ich mich vorstellen darf, ich bin das Banambam. Ich habe euch heute Nachmittag beobachtet und gesehen, dass ihr die Gabe habt. Ihr kommt genau im richtigen Moment!“

„Das verstehe ich nicht“, stammelte Anna.

Isabell setzte hinzu: „Wer oder was bist du? Träumen wir?“

„Nein, nein, ihr seid hellwach! Ich dachte, ihr wüsstet Bescheid. Aber wenn das so ist, will ich es euch näher erklären: Ihr seid zwei der wenigen Menschen, welche zwischen die Dinge schauen können. Normalerweise leben wir ungesehen, aber es gibt immer wieder ein paar, mit denen wir Kontakt aufnehmen können. In eurer Welt würdet ihr mich sicher als eine Art Gespenst bezeichnen.“

„Ein Gespenst!“, staunte Anna. Hektisch spielte sie mit den Anhängern an ihrer Kette. Isabell trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

„Wie heißt ihr beiden denn?“

„Oh, entschuldige! Wir sind Anna und Isabell“, sagte Anna und deutete auf ihre Freundin, während sie ihren Blick nicht von Banambam lösen konnte. „Wobei sollen wir dir helfen?“

„Ich habe euch beobachtet, wie ihr in das Ladenlokal geschaut habt. Dort wohne ich schon seit vielen Jahren zusammen mit meinen Freunden.“

„Wir haben jemanden im alten Laden gesehen, aber das kannst du nicht gewesen sein“, sagte Isabell etwas gefasster. Anna nickte.

„Nein, das war Blaukronus.“

„Wer ist Blaukronus?“

„Er ist ein Störenfried! Ein Lump! Er hat sich bei uns breitgemacht. Außerdem hat er meine Freunde in seiner Gewalt.“ Vor Wut färbte sich das Gesicht des kleinen Wesens rötlich. Banambam hatte die Fäuste geballt und seine Augen blitzten.

„Was hat er mit deinen Freunden gemacht?“, fragte Isabell besorgt.

„Der alte Herr hat uns im Laden wohnen lassen. Auch als er weg ging, durften wir hierbleiben. Es war unser Laden – bis Blaukronus alles an sich riss. Eines Nachts tauchte er plötzlich auf, zusammen mit seinem düsteren Kumpanen Nachtschatten, und sperrte alle meine Freunde in den Keller. Nur mich hat er nicht erwischt. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich glaube, sie müssen dort unten für ihn arbeiten und er verkauft oben im Laden all den Plunder. Gestern hat der Laden eröffnet. Ich mache mir Sorgen. Das kann so nicht weitergehen!“

Die Mädchen lauschten gespannt der Geschichte des kleinen Wesens, von dem sie vor ein paar Minuten nicht einmal gewusst hatten, dass es existierte. Trotz der kurzen Zeit war ihre Angst verschwunden und sie hatten keine Bedenken mehr, sich auf die ungewöhnliche Situation einzulassen.

„Und dann seid ihr mir heute über den Weg gelaufen. Als ich merkte, dass ihr alles seht, habe ich euch beobachtet und bin euch zum Spielplatz und dann hierher gefolgt. Es tut mir wirklich leid, dass ich euch so überrumpele. Ihr müsst mir einfach helfen, meine Freunde zu befreien!“

Anna und Isabell blickten sich an. „Wir hatten vor, uns den alten Laden während der Öffnungszeiten bei Nacht mal etwas genauer anzuschauen“, berichtete Anna.

Isabell flüsterte ihrer Freundin ins Ohr: „Ich glaube, wir können ihm vertrauen. Meinst du nicht, dass wir helfen sollten?“

Anna nickte und lächelte. „Wir sind dabei!“

„Ja, wir helfen dir!“, sagte Isabell und trat einen Schritt näher.

Banambams Freude war nicht zu übersehen. Es machte einen kleinen Salto. „Hast du einen Plan?“, fragte Anna aufgeregt.

„Ja“, erwiderte es und zupfte seinen Pyjama zurecht. „Wir haben noch ein wenig Zeit, Blaukronus ist gerade unterwegs. Pünktlich um Mitternacht wird er wohl wieder da sein. Im Moment ist nur Nachtschatten im Laden. Wir könnten diesen finsteren Gesellen mit Licht überlisten. Je heller es wird, desto langsamer werden seine Bewegungen. Unseren leuchtenden Freund Irrlicht hat Blaukronus genau aus diesem Grund in eine Kiste gesperrt. Ich allein habe nicht genug Kraft sie zu öffnen. Wir müssen Nachtschatten mit Licht in Schach halten. Dann können wir meine Freunde befreien.“

„Wir könnten unsere Taschenlampen mitnehmen“, schlug Anna vor. „Tolle Idee“, quiekte Banambam. „Mal schauen, was wir bei euch sonst noch Nützliches finden. Am besten packt ihr meinen Freunden ein wenig Proviant ein. Sie haben sicher lange nichts mehr zu Essen bekommen.“

Anna betätigte den Türknopf und die drei stiegen auf Isabells Etage wieder aus. Während die Mädchen vorsichtig die Wohnungstür öffneten, erkundigte sich Banambam: „Habt ihr eine Glühbirne? Das wäre am wirksamsten. Blaukronus hat wegen Nachtschatten im Laden alle herausgedreht.“

„Ja, ich hole eine aus dem Kabuff“, flüsterte Isabell und schlich auf die Vorratskammer zu.

Fünf Minuten später standen Anna, Isabell und Banambam auf der stillen Straße und blickten durch das dunkle Schaufenster des alten Ladens. Die drei besprachen noch einmal ihre nächsten Schritte.

„Auf geht's!“ Banambam schwebte über den Köpfen der Mädchen vor der Tür. Sie nickten entschlossen und drückten die Tür einen Spalt weit auf. Bevor das kleine Glöckchen läuten konnte, hatte Banambam es schon in den Händen und hielt den Klöppel fest. Anna und Isabell schlüpften hinein. Leise schlossen sie die Tür hinter sich.

Die Luft war erfüllt von einem moderigen und schwefeligen Geruch. Aus dem Keller drangen seltsame Geräusche. Die Regale waren mittlerweile bis oben hin gefüllt.

 

Anna und Isabell hätten sich gerne noch ein wenig umgeschaut, doch Banambam drängte zur Eile. Es flüsterte: „Da oben ist die Lampe, die ich meinte.“

Isabell fischte die Glühbirne aus ihrem kleinen Rucksack. Banambam schwebte nach oben, wo es sogleich anfing, sich um die eigene Achse zu drehen und so die Glühbirne in die Fassung zu schrauben. Die Mädchen zückten ihre Taschenlampen und Anna stellte sich dicht neben den Lichtschalter. Isabell versteckte sich hinter einer großen Truhe, auf der „Leuchtnebel“ geschrieben stand. Nachdem Banambam sich in einem Regal verborgen hatte, konnte es losgehen.

Es klirrte und splitterte, als Banambam ein großes Glas mit Glühwürmchen vom Regalbrett schubste. Sofort war der ganze Raum erfüllt von einem Surren und grün leuchtenden Punkten. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann war ein näherkommendes Schlurfen zu hören. Jemand kam die Kellertreppe herauf. Anna drückte sich zitternd an die Wand, während Isabell sich an ihre Taschenlampe klammerte.

Eine finstere Gestalt erschien grummelnd im Treppenaufgang. Sie war mannshoch und schien aus einer Art dunklem Nebel zu bestehen. Der Nachtschatten besaß weder Augen noch Mund. Trotzdem sah er das Chaos im Laden und schrie erbost auf: „Zappalot! Was ist den hier passiert?“ Er schlich langsam auf die Scherben zu.

Annas Hände waren schweißnass. Nun kam es auf den richtigen Moment an. Der Nachtschatten schien noch keines der Mädchen bemerkt zu haben und schlurfte an Anna vorbei. Dabei stiegen von seinem Kopf dunkle Wölkchen auf. Er wirkte sehr wütend. Isabell konnte beobachten, wie einige Glühwürmchen einfach durch seinen nebelartigen Körper hindurchschwirrten. Ihre Knie wurden weich, während der Nachtschatten immer näher kam. Gleich hatte er die Raummitte erreicht und würde dann genau unter der Lampe stehen.

Annas Hand schwebte kurz vor dem Lichtschalter, da überkam sie mit einem Mal ein furchtbarer Hustenreiz. Überall um sie herum waberten die Wutwölkchen des Nachtschattens und die Luft war erfüllt vom einem pfeffrigen und beißenden Dunst.

Sofort hielt Anna sich die Hände vor den Mund und versuchte den Reiz zu unterdrücken. Doch es half nichts: Ein leises Hüsteln durchfuhr die Stille.

Der Nachtschatten hatte es gehört und wirbelte herum. Anna war vor Schreck erstarrt. Auch Isabell stand da wie angewurzelt und warf Banambam einen hilflosen Blick zu. Es schrie: „Das Licht, macht das Licht an!“

Dann ging alles ganz schnell. Als der Nachtschatten den Blick von Anna abwandte, um in Banambams Richtung zu schauen, schlug sie mit aller Kraft auf den Lichtschalter. Gleichzeitig durchflutete der Lichtkegel von Isabells Taschenlampe den Raum und Nachtschatten stand bewegungslos, im Licht gefangen da. Banambam klatschte in die Hände und schwebte vom Regal herunter.

Die Mädchen husteten und lachten gleichzeitig, während die Gestalt des Nachtschattens langsam blasser wurde.

„Haltet die Stellung. Ich befreie meine Freunde und dann nichts wie weg!“, rief Banambam erleichtert und schwebte in den Keller.