Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium

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Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium
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Anna Cornelius

Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium

A. Francke Verlag Tübingen


© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-7720-0002-7

Inhalt

  Widmung

  Vorwort

  1 Einleitung

 2 Methodik2.1 Narratologie2.2 Erzählmodelle2.2.1 Überblick über verschiedene Erzählmodelle2.2.2 Das in dieser Arbeit verwendete Erzählmodell2.3 Figurenanalyse2.3.1 Vorgehensweisen der Figurenanalyse in verschiedenen Bereichen2.3.2 Zur figurenanalytischen Untersuchung in dieser Arbeit

 3 Figurenanalyse des Auferstandenen3.1 Figurenanalyse des Auferstandenen in Mt 28,1–203.1.1 Fremdcharakterisierung des Auferstandenen3.1.2 Selbstcharakterisierung des Auferstandenen3.1.3 Figur und Figuren3.1.4 Figur und Umwelt3.1.5 Figur und Handlung3.1.6 Figur und Erzähler3.1.7 Fazit3.2 Figurenanalyse des Auferstandenen in Lk 24,1–533.2.1 Fremdcharakterisierung des Auferstandenen3.2.2 Selbstcharakterisierung des Auferstandenen3.2.3 Figur und Figuren3.2.4 Figur und Umwelt3.2.5 Figur und Handlung3.2.6 Figur und Erzähler3.2.7 Fazit3.3 Vergleich beider Figurendarstellungen3.3.1 Fremdcharakterisierung des Auferstandenen3.3.2 Selbstcharakterisierung des Auferstandenen3.3.3 Figur und Figuren3.3.4 Figur und Umwelt3.3.5 Figur und Handlung3.3.6 Figur und Erzähler3.3.7 Fazit

 4 Das Verhältnis der Darstellungen des Auferstandenen zu denen des Irdischen4.1 Im Matthäusevangelium4.1.1 Die Exousia des Irdischen4.1.2 Die Mission des Irdischen4.1.3 Fazit4.2 Im Lukasevangelium4.2.1 Die Mahlgemeinschaft beim Irdischen4.2.2 Die Metanoia beim Irdischen4.2.3 Die Einordnung in den göttlichen Plan beim Irdischen4.2.4 Der Heilige Geist beim irdischen Jesus4.2.5 Fazit

  5 Gesamtfazit

  Literaturverzeichnis

Für Anita und Peter

in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet.

Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Horn, der die Entstehung dieser Arbeit angeregt hat. Während der zwei Jahre ihrer Entstehung hat er mich stets ermutigt und unterstützt, mir aber gleichzeitig auch den nötigen Freiraum gelassen. Frau Prof. Dr. Christine Gerber danke ich für ihre Unterstützung hier vor Ort in Hamburg.

Ein besonderer Dank gilt auch der Stipendienstiftung Rheinland-Pfalz für die Gewährung eines Promotionsstipendiums für zwei Jahre sowie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland für ihre finanzielle Unterstützung in der Zeit bis zum Rigorosum.

Für die Aufnahme in die Reihe NET danke ich dem Herausgeberkreis der Reihe. Dem Francke-Verlag danke ich für die freundliche Unterstützung bei der Drucklegung. An den Druckkosten haben sich dankenswerterweise die Georg-Strecker-Stiftung und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland beteiligt.

Ein weiterer Dank gilt dem Team der Krankenhausseelsorge des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Während meiner Promotion hier als Ehrenamtliche mitarbeiten zu dürfen, hat mir zusätzlich viele neue Einblicke und intensive Erfahrungen ermöglicht.

Ganz herzlich bedanke ich mich auch bei meinen Eltern, meinem Bruder und meinen Freunden, die mir während dieser Zeit immer zur Seite standen und mich in meinem Vorhaben motiviert und bestärkt haben.

Schließlich danke ich ganz besonders meinem Mann für sein Verständnis und seinen bedingungslosen Rückhalt.

Hamburg, im Juni 2016 Anna Cornelius

1 Einleitung

„Wer ist der durch Gott von den Toten Auferweckte?“1 „Ist der auferstandene Jesus Christus, der Herr, den die neutestamentliche Verkündigung bezeugt, erkennbar derselbe wie der irdische Jesus, der Bote des Reiches Gottes, der um seiner Botschaft willen angefeindet und getötet wurde?“2 Diese zentralen Fragen nach dem Auferstandenen und seiner Relation zum Irdischen sind seit je her und auch heute noch im Bereich der Dogmatik oft gestellte und diskutierte Fragen.3 Diese Arbeit wird den Fragen nachgehen, sie dabei jedoch auf eine andere Ebene, nämlich auf die Ebene des Textes des Matthäus- und Lukasevangeliums, stellen.

Es soll im Folgenden untersucht werden, wie das Matthäus- und das Lukasevangelium jeweils die literarische Figur des Auferstandenen darstellen und welches Bild sie von ihm zeichnen. Darüber hinaus soll gefragt werden, wie sich die Darstellung des auferstandenen Jesus zur Darstellung des irdischen Jesus in den beiden Evangelien verhält, ob es sich jeweils um eine kohärente und in sich geschlossene Figurendarstellung handelt oder ob bei der Darstellung des Auferstandenen im Vergleich zur Darstellung des Irdischen ganz neue Akzente gesetzt werden.

Der Vergleich der Figurenzeichnung beider Evangelien soll dazu beitragen, das christologische Profil der beiden Evangelien, das in der Darstellung des Auferstandenen im Rückbezug auf die des Irdischen zum Ausdruck kommt, möglichst genau zu erfassen. Die Analyse der Figur des Auferstandenen in den Ostergeschichten sowie der Rückblick auf die jeweils vorangehende Darstellung des Irdischen und schließlich der Vergleich zwischen beiden Evangelien unter diesem Gesichtspunkt sollen also im Verständnis der Christologie des Matthäusevangeliums und des Lukasevangeliums weiterführen.

Um das Bild, das das Matthäus- und das Lukasevangelium vom Auferstandenen zeichnen, zu untersuchen und miteinander zu vergleichen, bietet sich die aus dem Bereich der Literaturwissenschaft stammende narratologische Methodik der Figurenanalyse an. Diese kann durch gezielte Fragestellungen vielfältige Beobachtungen im Text zutage fördern, die dann im Hinblick auf die mögliche Intention des jeweiligen Evangeliums ausgewertet werden können.

Die bisherige (historisch-kritische) Forschung zur Christologie in den Evangelien ist u.a. geprägt von einer Konzentration auf die Hoheitstitel Jesu.4 Erst in der letzten Zeit wurden einige narratologische Untersuchungen zur Jesus-Figur unternommen.5

Der Vorteil einer solchen narratologischen Analyse der Jesus-Figur liegt darin, dass sie vielschichtige und differenzierte Einblicke und Erkenntnisse liefert, indem sie die Jesus-Figur in ihrer Rolle und Funktion innerhalb einer Handlung, in ihren Beziehungen zu anderen Figuren sowie zur dargestellten Umwelt und in Beziehung zum Erzähler analysiert und dadurch dem Erzählcharakter der Evangelien besonders gerecht wird. In dieser Arbeit wird somit nicht nach dem historischen Jesus gefragt6, sondern nach dem erinnerten Jesus7, wie er als erzählter Jesus im Lukas- und Matthäusevangelium dargestellt ist. Denn insgesamt gilt: „Der erinnerte Jesus ist zugleich der erzählte Jesus.“8 Die Evangelien schildern nicht den historischen Jesus, sondern sie entwerfen unterschiedliche Jesus-Bilder, bei denen je unterschiedliche Intentionen leitend sind. Erzählungen sind damit stets Konstruktionen von Wirklichkeiten. „Ein genaues Textstudium muss somit dem spezifischen Charakter des jeweiligen Texts Rechnung tragen.“9 Narrative und linguistische Methoden tragen dazu bei, die Darstellung der Jesus-Figur innerhalb der jeweiligen Erzählungen genauer zu analysieren und vielfältige Beobachtungen am Text zutage zu fördern.10 Narratologische Methoden sind also Hilfsmittel, um die komplexe literarische Gestaltung der Texte und ihrer jeweiligen Jesus-Bilder erfassen und analysieren zu können.

Im Vergleich zur redaktionsgeschichtlichen Evangelienforschung zeichnet sich der in dieser Arbeit gewählte narratologische Ansatz dadurch aus, dass er sich konsequent auf das Kommunikationsgeschehen innerhalb des Evangeliums als einer Erzählung richtet und nicht mehr das spezifische Profil des Textes durch den redaktionellen Umgang des Verfassers mit den Quellen zu bestimmen sucht. Zudem geht es im narratologischen Ansatz nicht um die Bestimmung der Autorintention, sondern der Erzählintention.11 Dennoch ist die „Grenzlinie“ zwischen redaktionsgeschichtlichen und narratologischen Herangehensweisen nicht einfach starr zu ziehen, denn auch in redaktionsgeschichtlichen Arbeiten lassen sich oftmals narrative Elemente finden.

 

Im Verlauf dieser Arbeit werden zunächst ein Erzählmodell, das die Basis der Figurenanalyse bildet, und ein Figurenanalysemodell – jeweils in kritischer Auseinandersetzung mit in der Forschung gängigen Modellen – entwickelt.

Anschließend wird die literarische Figur des auferstandenen Jesus in den Ostererzählungen des Matthäusevangeliums (Mt 28,1–20) und des Lukasevangeliums (Lk 24,1–53) anhand der im Vorherigen entwickelten Kategorien der Figurenanalyse untersucht. Die angestellten Beobachtungen werden sodann ausgewertet hinsichtlich der möglichen (christologischen) Intention des jeweiligen Evangeliums.

Ein abschließender Vergleich zwischen den beiden Figurendarstellungen des Auferstandenen im Matthäusevangelium und im Lukasevangelium lässt das spezifische (christologische) Profil beider Evangelien noch stärker hervortreten. Die Ergebnisse zur literarischen Figur des Auferstandenen werden anschließend in Beziehung gesetzt zur literarischen Figur des irdischen Jesus im jeweiligen Evangelium. Hierfür wird – ausgehend von den Ergebnissen der Figurenanalyse des Auferstandenen in der jeweiligen Ostererzählung – in die vorherigen Kapitel des jeweiligen Evangeliums unter dem Aspekt zurückgefragt, ob die Darstellung der Jesus-Figur kohärent ist, also ob sich Übereinstimmungen in der Figurendarstellung des Auferstandenen und des Irdischen finden lassen, oder ob möglicherweise Akzentverschiebungen und Unterschiede auszumachen sind.

Bei diesen Rückblicken kann es selbstverständlich nicht um eine detaillierte Figurenanalyse des irdischen Jesus gehen, die sich auf das gesamte Evangelium bis hin zu den Ostererzählungen bezieht. Vielmehr werden einzelne Textabschnitte unter bestimmten, zuvor ermittelten inhaltlichen Gesichtspunkten herangezogen, um die Darstellung des Irdischen innerhalb dieser Abschnitte zu untersuchen.

2 Methodik
2.1 Narratologie

Die Narratologie ist eine Forschungsrichtung der Literaturwissenschaften zur Theorie der Erzählung1, aus der sich konkrete Analysemethoden für Erzähltexte ergeben können. Es geht der Narratologie um die „Erforschung der Strukturen und Funktionsweisen narrativer Phänomene mit dem Ziel ihrer Beschreibung und Systematisierung.“2 Dabei kann keineswegs von der Narratologie gesprochen werden, es existieren vielmehr unterschiedliche Theorien, Ansätze und Modelle.3 Die Anfänge der Narratologie liegen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. Von da an hat sie verschiedene Phasen durchlaufen.4 Die Phase, in der sich die Narratologie seit den 1990er Jahren und bis heute befindet, kann mit Finnern als postklassische Narratologie5 bezeichnet werden. Sie zeichnet sich durch eine Fülle, Vielfältigkeit und das Nebeneinander unterschiedlicher Ansätze aus. Signifikant für diese Phase sind darüber hinaus ihre stärkere historische Orientierung6, ihre Interdisziplinarität7 und ihre Einbeziehung der Rezeptionsforschung8. Insgesamt ist die heutige Narratologie von der „kognitiven Wende“9 sowie – damit unmittelbar zusammenhängend – einer historischen und kulturellen Wende10 bestimmt.

Seit den 1970er Jahren findet die Narratologie zunächst im anglo-amerikanischen Raum, aber auch vermehrt in der deutschen Exegese Beachtung, wobei sich auch hier noch kein einheitliches Verfahren zur narrativen Analyse biblischer Erzählungen durchgesetzt hat.11

Der Anwendung narratologischer Methoden auf biblische Texte liegt die Einsicht zugrunde, dass die Bibel selbst ein „Buch voller Erzählungen“12 ist und deshalb auch – oder gerade – mit narrativen Methoden untersucht werden kann. Durch eine narratologische Analyse eines Textes können vielfältige Beobachtungen erzielt werden, die im Hinblick auf den Erzählerstandpunkt und damit letztlich im Hinblick auf die Intention und Theologie des Textes ausgewertet werden können. Im Unterschied zu der historisch-kritischen Methodik, die immer auch einen diachronen Schwerpunkt besitzt, und die v.a. nach der Entstehung eines Textes und der Autorintention fragt, geht es der Narratologie vorrangig um Fragen nach der Gestaltung und Komposition des Textes durch den Erzähler, den Figurendarstellungen sowie der Wirkung eines Textes. Der Text wird stärker auf einer synchronen Ebene untersucht. Im Hinblick auf die vier kanonischen Evangelien ist eine narratologische Untersuchung besonders reizvoll, denn „[D]ie vier kanonischen Evangelien erzählen auf jeweils eigene Weise dieselbe Geschichte. In jedem der vier Evangelien wird die Welt etwas anders dargestellt, und das zeigt, dass Erzählen auch Weltentwerfen heißt. […] In erzählte Welten einzutauchen, diese in ihren Strukturen und Funktionsweisen zu erfassen, zu beschreiben und ihre Bedeutungen zu entschlüsseln, ist das Ziel der Erzählforschung bzw. der Narratologie.“13

Die narratologische Untersuchung von Erzähltexten stellt dabei jedoch keine grundsätzliche Alternative und erst recht keinen Gegensatz zur historisch-kritischen Sichtweise dar, vielmehr kann und sollte sie als sinnvolle Ergänzung verstanden werden.14 Die narratologische Betrachtung von Erzähltexten steht daher „in ergänzender Spannung, aber nicht in einem prinzipiellen Widerspruch zum diachronen Ansatz historisch-kritischer Methode“15.

2.2 Erzählmodelle

In der Narratologie existieren – wie bereits erwähnt – verschiedene Ansätze und damit auch unterschiedliche Erzählmodelle.1 Ein Erzählmodell bildet die Basis und Grundlage jeder Figurenanalyse, denn Figuren sind Akteure in einer Erzählung. Je nachdem, welches Erzählmodell einer Figurenanalyse zugrunde gelegt wird, wird diese mit bestimmten Begrifflichkeiten (sozusagen den „Werkzeugen“ einer Analyse) durchgeführt. Da sich in der Sekundärliteratur die narratologischen Begrifflichkeiten wie „Autor“, „Erzähler“, „Leser“ etc. zum Teil stark voneinander unterscheiden oder unterschiedlich verwendet werden, ist es nötig, vor Beginn der Figurenanalyse genau zu definieren, welche narratologischen Begriffe in dieser Arbeit wie verwendet werden. Denn sie sind bei der anschließenden Figurenanalyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium die „Werkzeuge“, mit denen die Analyse durchgeführt wird. Die Entscheidung für ein bestimmtes Erzählmodell wird daher bereits an dieser Stelle der Arbeit vor den Überlegungen zur Methodik der Figurenanalyse getroffen. Im Folgenden soll zunächst ein knapper Überblick über verschiedene Erzählmodelle gegeben werden.2 Ein solcher Überblick über unterschiedliche Modelle ist notwendig, da das in dieser Arbeit zugrunde liegende Erzählmodell in vielen Punkten auf andere Modelle zurückgreift bzw. sich kritisch gegen sie abgrenzt. Im Anschluss an die Darstellung der vorgegebenen Modelle wird gezeigt, wie sich aus der kritischen Auseinandersetzung ein Modell entwickeln lässt, an dem sich die geplante Analyse dieser Arbeit orientieren kann. Abschließend werden die für dieses Modell wichtigen Begriffe geklärt.

Insgesamt wird beim folgenden Überblick der Fokus auf die Kommunikationssituation in einer Erzählung, also auf die Frage nach der Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Autor“, „Erzähler“, „Leser“, etc. gelegt, da diese für die Figurenanalyse eine große Rolle spielt.3 Aber auch die Frage, welche Ebenen in einer Erzählung grundsätzlich unterscheidbar sind, wird dabei thematisiert. Auch diese Frage ist im Hinblick auf die Figurenanalyse relevant, da die Analyse von Figuren in der Forschung jeweils unterschiedlichen Ebenen zugeordnet wird. Zur besseren Veranschaulichung und Vergleichbarkeit untereinander werden die Erzählmodelle der unterschiedlichen Autoren sowie das dieser Arbeit zugrundeliegende Erzählmodell jeweils am Ende in Form eines Schaubildes dargestellt.

2.2.1 Überblick über verschiedene Erzählmodelle
2.2.1.1 Genette

Genette teilt eine Erzählung grundsätzlich in drei Ebenen, Erzählung, Geschichte und Narration, ein.1 Dabei kann der Begriff Geschichte mit der Handlung gleichgesetzt werden. Er beschreibt das, was passiert, den „narrativen Inhalt“2. Der Begriff Erzählung bezeichnet dagegen bei ihm den narrativen Text und die Aussage.3 Unter den Begriff Narration fällt bei Genette die Situation des Erzählens, der narrative Akt.4 Die Dreiteilung einer Erzählung in Geschichte, Erzählung und Narration ist in der Literatur vielfach rezipiert und weitergeführt worden.5

Auf der Ebene der Erzählsituation unterscheidet Genette zwischen Autor, Adressaten, Leser und Erzählinstanz, wobei er letztere besonders betont.6 Er geht von einem realen Autor aus, der eine Erzählinstanz bzw. einen Erzähler erschafft (wobei es auch mehrere sein können), der dann aus einer bestimmten Erzählposition heraus an einen Adressaten eine Geschichte erzählt.7 Dabei wird der Adressat wiederum unterschieden in einen intradiegetischen Adressaten, eine Figur, die explizit im Text selbst genannt wird, und in einen extradiegetischen Adressaten. Dieser extradiegetische Adressat ist dabei mit dem virtuellen Leser identisch: „Denn der extradiegetische Adressat ist nicht, wie der intradiegetische, eine 'Zwischenstation' zwischen dem Erzähler und dem virtuellen Leser: er ist mit dem virtuellen Leser (mit dem der reale Leser sich identifizieren kann oder auch nicht) absolut eins.“8 Jedoch verzichtet Genette auf den Begriff des impliziten Autors und kritisiert ihn als „schattenhaften Doppelgänger“9.

Genettes Erzählmodell lässt sich daher folgendermaßen veranschaulichen:


Abb. 1 Erzählmodell nach Genette (eigene Darstellung)

2.2.1.2 Chatman

Chatman verwendet hinsichtlich der Erzählsituation die Begriffe realer Autor, impliziter Autor, Erzähler, Adressat, impliziter Leser und realer Leser.1 Dabei stehen der reale Autor sowie der reale Leser außerhalb des Textes und sind daher für die narrative Analyse unerheblich.2 Darüber hinaus ist es für Chatman wichtig „not to confuse author and narrator“3. Mit Rückgriff auf Booth4 spricht er sich für die Verwendung der Begrifflichkeit des impliziten Autors aus. Der implizite Autor ist demnach das Bild vom Autor, das beim Leser durch das Lesen der Erzählung entsteht.5 Er ist es, der die Fäden im Hintergrund zieht, der die Figuren erschafft und die Handlung bestimmt. Der implizite Autor schafft sich einen Erzähler, der dann seine Entscheidungen ausführt, indem er zur Stimme des impliziten Autors wird.6 Chatmans impliziter Autor trägt daher bereits anthro­pomorphe Züge. Das Verhältnis des impliziten Autors zum Erzähler definiert er darüber hinaus folgendermaßen: „Unlike the narator, the implied author can tell us nothing. He, or better, it has no voice, no direct means of communicating. It instructs us silently, through the design of the whole, with all the voices, by all the means it has chosen to let us learn.”7 Die seines Erachtens notwendige Unterscheidung zwischen dem realen und dem impliziten Autor macht Chatman deutlich, indem er aufzeigt, dass verschiedene Werke desselben realen Autors unterschiedliche implizite Autoren besitzen können.8 Besonders in Bezug auf biblische Literatur ist die folgende Aussage Chatmans zum Verhältnis des realen und impliziten Autors von Bedeutung: „There is always an implied author, though there might not be a single real author in the ordinary sense: the narrative may have been composed by a committee […], by a disparate group of people over a long period of time”9. Das Gegenstück zum impliziten Autor ist bei Chatman der implizite Leser. Er ist „the audiance presupposed by the narrative itself“10 und im Gegensatz zum Erzähler und zum Adressaten immer im Text präsent.11

 

Eine Erzählung unterteilt Chatman generell in die zwei Ebenen story und discourse. Dabei bezeichnet story die Handlung, also das, was erzählt wird, und der Begriff discourse die Darstellung, also wie etwas erzählt wird.12

Chatmans Erzählmodell lässt sich demnach wie folgt skizzieren:


Abb. 2 Erzählmodell nach Chatman (eigene Darstellung)