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‚OSTEOPATHIE‘

Der Begriff Osteopathie ist im funktionellen Sinn zu verstehen. Über manuelle Techniken an den Knochen (gr. osteon) gewinnt man einen Einfluss auf ein Leiden (gr. pathos). Aus heutiger Sicht mag dieser Begriff nicht mehr weit reichend genug erscheinen, was leider zu einer unsäglichen Blüte von neuartigen Begriffen geführt hat.

BIOGEN

Biogen ist einer der meist diskutierten Begriffe aus Stills Schriften. Laut Lexikon bedeutet biogen: (1) Durch Lebewesen entstanden; (2) Durch die Tätigkeit von Lebewesen entstanden, aus ausgestorbenen Lebewesen gebildet; (3) Von organischer Substanz bzw. von Organismen abstammend. Die Erläuterungen der amerikanischen Lexika um 1890 (Webster) gehen in die gleiche Richtung. Ist man nach dem intensiven und vollständigen Studium von Stills vier Büchern mit seiner Philosophie vertrauter, erscheint einem die Diskussion müßig. Wir lesen bei Still:

„Wenn ein Baum in einem Wald stirbt, so hört er auf, Blätter, Blüten und Früchte zu bilden. Er beginnt ein neues Leben zu leben, das genauso aktiv ist wie das Leben, als er noch ein lebendiger Baum war. Das zweite Leben oder der zweite Zustand ist gewöhnlich als Zersetzung bekannt. Sie setzt sich so lange fort, bis die vollständige Auflösung in sämtliche Atome erreicht ist. Nehmen wir an, der Baum ist seit 12 Monaten tot. Bei genauerem Hinsehen erkennen wir jedoch, dass er nicht wirklich tot ist, sondern aktiv ein anderes Wesen hervorbringt, gemeinhin als Schwamm bezeichnet. Unter dem Mikroskop erkennen wir ein vollkommenes System, das von der Natur in Form eines schwammigen Wachstums bereitgestellt wird.“ (Forschung und Praxis)

Kann man ‚biogen‘ noch anschaulicher beschreiben?

WUNDERMETHODE OSTEOPATHIE?

A. T. Stills Texte mit seinem Konzept des triune man scheinen sich nicht eindeutig von Akuttraumen abzugrenzen und damit eine Universalheilmethode zu suggerieren. Nun wurde die Chirurgie aber erst mit der flächendeckenden Einführung der Anästhesie gegen Ende des 19. Jhdt. langsam zu einem vollwertigen Bestandteil der Medizin. Davor galt sie als Hilfstätigkeit, die vorrangig von Laien wie Badern und einfachen Feldchirurgen ausgeübt wurde. Da sich Still jedoch auf den Medizinbegriff seiner Zeit bezieht, ist die Unterstellung, er hätte mit seiner Osteopathie sämtliche Fälle heilen wollen, aus medizinhistorischer Sicht als Fehlinterpretation zu werten.

Still beschreibt zudem immer wieder erfolgreiche Behandlungen von Tumoren. Normalerweise könnte man diese Feststellungen als realitäts-fern abtun. Hat man aber Stills Grundprinzipien bezüglich der Pathophysiologie verstanden, erscheint sein Ansatz insbesondere im Licht jüngster Forschungsergebnisse im Bereich der Immunologie in einem anderen Licht: Da in jedem Einzelnen von uns aufgrund natürlicher Umstände wie der kosmischen Strahlung täglich Tausende von Zellen entarten und damit zum potenziellen Tumorkeim werden, bedurfte es eines evolutionär gewachsenen Mechanismus, um diese Zellen unmittelbar nach ihrer Entartung zu beseitigen. Wie man inzwischen weiß, bieten bestimmte Teile des Immunsystems diesen Schutz auf ganz natürliche Weise. Blut gilt aber als Haupttransportmedium für das Immunsystem. Und schon schließt sich ein Kreis, denn ein Prinzip Stills besagt, dass sich der menschliche Organismus nur bei freiem Fließen der Körperflüssigkeiten (u. a. Blut) zu heilen vermag. Da eine aussagekräftige Vergleichsstudie mit anderen Behandlungsmethoden fehlt, ist eine endgültige Stellungnahme zur Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Osteopathie bei der Tumorbehandlung aus wissenschaftlicher Sicht streng genommen bis heute nicht möglich.

TRIUNE OSTEOPATHY

Stills große Leistung bestand nicht nur darin, die bahnbrechende Evolutionstheorie Spencers in die Medizin zu übertragen: Je mehr sich ver- und entsorgende Anteile des menschlichen Organismus in ihrem physiologischen Zustand befinden (fitness), desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Natur ihr Potenzial im Menschen entfalten kann (Autoregulation).51 Überleben, Gesundheit und Entwicklung erhalten dadurch beste Chancen. Die osteopathische Medizin war geboren.

Stills universaler Geist ging aber noch weiter: Die besagte Gesetzmäßigkeit betrifft neben matter (z. B. Arterien, Venen, Nerven etc.), auch mind (wissbegieriger Verstand), und die spirituell initiierte motion (bewusster Austausch mit einer übergeordneten Instanz als Lebensinteresse bzw. Motivation). Mit diesem Schritt zum triune man schlug er eine breite Brücke in die Antike. Dort wurde der Mensch bereits in seiner dreifach differenzierten Einheit erörtert. Ein bedeutender Nebeneffekt: Der Osteopath wandelt sich vom ‚Heilmacher‘ zum begleitenden Kunsthandwerker, Philosophen und Seelsorger – sozusagen ein triune osteopath als Vertreter einer triune osteopathy. Sie selbst stellt ihrerseits einen lebenden Organismus dar, bestehend aus matter (Wissen und Erfahrung), mind (Beobachtung und Verständnis) und motion (Suche und Ehrfurcht).

In diesem Sinne hoffen Herr Dr. Pöttner als Übersetzer und Lektor und ich als Herausgeber Ihnen mit der hier vorliegenden und sorgfältig überarbeiteten Neuauflage des Still-Kompendiums einen Wegweiser auf dem Weg zu Ihrer ganz persönlichen triune osteopathy in die Hand geben zu können.

„Erkenne dich selbst und lebe in Frieden mit Gott!“ (A. T. Still)

Christian Hartmann

Pähl, August 2005

Aufzeichnungen

1 Louisa Burns, DO, Basic Principles (Nachdruck), Editions Spirale, Montreal, 2007, S.102f. Dt. Übers. v. C. Hartmann

2 Trowbridge, Andrew Taylor Still 1828-1917, JOLANDOS, Pähl, 2005, S. xiii.

3 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Osteopathie_(Alternativmedizin), 15.09.2013. Einige Aussagen zu Still sind übrigens nachweislich falsch. Mit historischen Quellen eindeutig belegbare Gegendarstellungen werden konsequent ignoriert, was eine berufspolitisch handelnde Redaktion vermuten lässt. Interessierte finden die korrekten Darstellungen der fehlerhaften Aussagen im Diskussionsbereich (2013). Interessierten an diesem Themenkomplex sei an dieser Stelle The DOs: Osteopathic Medicine in America (Gevitz) wärmstens ans Herz gelegt. Auch Gevitz stellt am Ende des brillanten Buches die sarkastische Frage, was denn eigentlich der Unterschied zwischen osteopathischer und allopathischer Medizin sei und Osteopathie keine Zukunft hat, wenn sie diese Frage nicht beantworten kann.

4 Siehe hierzu insbesondere die Einleitung des Übersetzers im Anschluss.

5 [Anm. d. Hrsg.:] Auf Wunsch der Verfasserin wird das Vorwort im Englischen Original abgedruckt. Die Deutsche Übersetzung folgt im unmittelbaren Anschluss.

6 Es ist möglicherweise hilfreich, wenn ich betone, dass diese auf der Unabhängigkeitserklärung, dem ‚Amerikanischen Transzendentalismus‘ und der pragmatistischen Weiterentwicklung (s. dazu gleich) basierende Bewegung der Aufklärung in den Vereinigten Staaten in einem beachtlichen politischen und religiösen Gegensatz zu der heute in den Vereinigten Staaten dominierenden politischen und religiösen Strömung protestantischer Fundamentalisten steht. Man sollte Still, der beispielsweise Freimaurer war, nicht mit derartigen Positionen in Verbindung bringen.

7 Carl P. McConnell, DO, The Teachings of Dr. Still, Third Paper, JAAO August 1915, 641 – 651. Er bringt Stills Konzept besonders mit dem neu entstandenen Pragmatismus zusammen. Da Charles Peirce damals schon aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden war, übersieht McConnell die Beziehungen, die auch zu diesem Philosophen bestehen. – Der Pragmatismus unterstellt, dass sich die Wahrheit von Überzeugungen, Behauptungen, Lebensentwürfen, Philosophien usf. nur so zeigt, dass man sich ihre praktischen Wirkungen genau vorzustellen vermag und wenn möglich, auch überprüft. Schon Aristoteles hatte daraufhin gewiesen, man erkenne am besten, was eine Badewanne sei, wenn man sich hineinlege…

8 Wilborn Deason, DO, Dr. Still – Nonconformist. How the ‚Old Doctor‘ reached His Conclusions on Osteopathy, The Osteopathic Profession August 1934, 22 – 25, 44 – 46; ders., Body Fluids. The Original Osteopathic Concept: The Influences Behind Dr. Still ’s Theories as Revealed in His Writings and Interviews. Part II, Mai 1940, 20 – 23.43 – 45.

9 Carol Trowbrigde, Andrew Taylor Still (1828 – 1917), Pähl 2003.

10 James und Rene McGovern, Dein innerer Heiler! Pähl 2003.

11 Walter Llewellyn McKone, DO, Osteopathic Medicine. Philosophy, Principles and Practice, Oxford u. a. 2001.

12 Jane Stark, Still ’s Fascia, Thesis Toronto 2003. Sie steht derartigen Interpretationen wie in Anm. 8 eher skeptisch gegenüber, weil sie den Sinn von Texten in der hinter ihnen liegenden Intention eines Autors oder einer Autorin sieht. Dabei ist sie davon überzeugt, dass diese Intention in den Texten Stills bislang wenig entdeckt worden sei. – Einen Überblick über den Diskurs der letzten 200 Jahre zum grundlegenden hermeneutischen und historischen Thema findet sich bei Martin Pöttner, Art. Wirkungsgeschichte, Theologische Realenzyklopädie (36) 2004, 123 – 131.

13 Martin Pütz, Einleitung, in: Ralph Waldo Emerson, Die Natur. Ausgewählte Essays, Stuttgart 2000, 9 – 81, insbesondere 27 – 51 zum ‚Amerikanischen Transzendentalismus‘.

14 Vgl. Emerson, Natur (s. Anm. 13), 85. Emerson (1803 – 882) war als poetischer Philosoph eine der Hauptfiguren des Transzendentalismus. Mit dem teilweise anders gesonnenen Herbert Spencer verband ihn eine Mitgliedschaft im Twilight Club.

15 Vgl. Pütz (s. Anm. 13) mit einigen instruktiven Beispielen.

16 Vgl. z. B. Andrew Taylor Still, Philosophy of Osteopathy, Kirksville/Missouri 1899, 26. Vgl. hierzu auch Christian Hartmann/Martin Pöttner, Triune Osteopathy, Osteopathische Medizin 6/2 (2005), 19 – 23. Einschränkend muss aber darauf hingewiesen werden, dass Still in Research and Practice das Modell explizit nicht wiederholt hat.

17 Zum Verfahren Stills aus einem grundlegenden Gegensatz (life is dual) eine dreifach differenzierte Einheit zu bilden, vgl. insbesondere Stark (s. Anm. 12), 178f. Dabei ist der Mann/Frau-Gegensatz wichtig, aber auch der Gegensatz von himmlischen und irdischen Körpern. Dies wird vor einem romantischen bzw. transzendentalistischen Hintergrund reflektiert und bildet den Spannungsbogen, woraus Leben entsteht. Hieraus erklärt sich entsprechend die Verwendung des Ausdrucks biogen bei Still. Vgl. auch den anregenden Versuch von Peter Wührl in: Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 1/2005, 34f.

18 Nach McKone (s. Anm. 11), 148ff, sieht dies bei John Martin Littlejohn dann schon anders aus. Zu betonen ist hierbei freilich, dass Littlejohn keine dreifach differenzierte, sondern nur eine zweifach differenzierte Einheit (body/mind) kennt.

19 Thomas A. Sebeok, Jean Umiker-Sebeok, Du kennst meine Methode. Charles S. Peirce und Sherlock Holmes, Frankfurt/M. 1982 (es NF 121).

20 Vgl. Thure von Ueküll u. a., Psychosomatische Medizin, München u. a. 1996, 13 – 62 u. ö. Dabei wäre diese Medizin über Stills mechanistisches Konzept mutmaßlich ebenso erstaunt und würde es kritisieren wie sie dies auch für den Mainstream der Schulmedizin tut.

21 Autobiografie, Kapitel XXIX u. ö. Vgl. z. B. den Swedenborgianer und Spiritisten Andrew Jackson Davis, The Great Harmonia (Vol. I). The Physician, Boston o. J., 70ff, als Parallele; zu ihm vgl. Jane Stark (s. Anm. 12), 172f, 222, 226 ff u. ö. Sie hat mir freundlicherweise den Zugang zu diesem Buch ermöglicht.

22 Er denkt vor allem an Johann Wolfgang von Goethe und Edmund Husserl. Amerikatypischer wäre aber der auch dort immer noch zu wenig bekannte Charles Peirce gewesen. McKone hat das große Verdienst auf den Zusammenhang der Tradition deutscher Auswanderer im Kontext des Vormärz und der gescheiterten Revolution von 1848 hinzuweisen. Ähnlich schon John Martin Littlejohn, Lectures in Psycho-Physiology, Kirksville, Missouri, 1899, 2: German philosophy then made its way to America chiefly through the writings of Coleridge and Emerson.

23 Herbert Spencer, Die ersten Prinzipien der Philosophie, Pähl 2003. Zu einer allgemeinen Charakteristik vgl. dort meine Einleitung.

24 Deason, Dr. Still – Nonconformist (s. Anm. 12), 22.

25 Rudolf Virchow, Cellularpathologie, Berlin 1858. Es handelt sich um Vorlesungen, die Virchow vor allem vor Ärzten in Berlin vorgetragen hat. Sie erschienen in englischer Übersetzung 1860 in London. Der Herausgeber besitzt ein Exemplar aus den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts aus Beständen der medizinischen Abteilung der U. S. Army. Auch so könnte Still mit diesem Buch in Kontakt gekommen sein.

26 Deason, Dr. Still – Nonconformist (s. Anm. 8), 24.

27 Autobiography, Kirksville 1908, 214; Philosophy of Osteopathy (s. Anm. 16), 228; The Philosophy and Mechanical Principles of Osteopathy, Kansas 1902, 178.

28 Body Fluids (s. Anm. 8).

29 Autobiography (s. Anm. 37), 137; vgl. aber Philosophy of Osteopathy (s. Anm. 16), 14. Nach McKone (s. Anm. 11), 17, hieß er freilich Neal, wie dies auch der Philosophy of Osteopathy zufolge vielleicht der Fall ist (mit entsprechend einschlägigen Hinweisen). Er soll nach der Rückkehr nach Schottland die First Principles für Still gekauft und in die Vereinigten Staaten gesandt haben. Die entsprechende Passage in der Autobiography steht zudem innerhalb einer allegorisch-fiktiven Passage.

30 Virchow (s. Anm. 25), 353 u. ö.

31 Virchow (s. Anm. 25), 356.

32 Virchow (s. Anm. 25), 359.

33 Die etwas gezwungene Verwunderung bei Charles Peirce, Herbert Spencers Philosophy (1890), Writings of Charles Peirce. Volume 6, 39 – 09, die als Zeitdokument auf eine breite Akzeptanz Spencers in den Vereinigten Staaten schließen lässt. Peirce trat 1890 eine Artikelkampagne in der New York Times los, hatte aber keinen Erfolg. – Zur Rezeption Spencers in Nordamerika vgl. auch Littlejohn (s. Anm. 22), 4 u. ö.

34 Spencer (s. Anm. 23), 427f.

35 Vgl. Nicholas Handoll, Die Anatomie der Potency, Pähl 2004, 53ff.

36 Still, Philosophy of Osteopathy (s. Anm. 16), 201.

37 Herbert Spencer, First Principles, London 61900, 457 (§ 175). Die Paragrafennennung erlaubt leichter die Auffindung des Textes in der deutschen Übersetzung. Für das aktuelle Argument ist aber die Wahrnehmung des englischen Textes notwendig.

38 Spencer (s. Anm. 37), 451 (§ 173).

39 Vgl. nur τέχνη (techne; Kunst bzw. Kunstlehre, englisch art) im hippokratischen Eid: Hippocrates Volume I, with an English translation, Cambridge/London 1923 u. ö., 298 – 300.

40 Still, Autobiography (s. Anm. 27), 241.

41 Der Ausdruck Jehovah zeigt im Übrigen, dass Still eher kein Hebräisch konnte und einem verbreiteten christlichen Vorurteil aufgesessen war, der von den Juden verehrte Gott besitze biblisch einen lesbaren und aussprechbaren Namen. Das ist jedoch nicht der Fall. Das biblische Tetragramm JHWH, das an der Stelle des Gottesnamens steht, kann nicht ausgesprochen oder gelesen werden – und genau darin besteht die Pointe.

42 Still, Autobiography (s. Anm. 27), 241.

43 Dies zu zeigen, ist der Sinn der §§ 11 – 13 in den First Principles.

44 Diesen Aspekt kann man als pantheistisches Element bei Still bezeichnen. Ebenso scheint Gott im Gesetzesaspekt der Natur gegenwärtig zu sein. Dies scheint er durch die häufige und merkwürdige Formulierung vom Gott der Natur (God of nature) andeuten zu wollen.

45 Nähe in manchen praktisch-medizinischen Fragen, aber noch größere Entfernung in grundsätzlichen Auffassungen zeigt die jetzt bei JOLANDOS erschienene Übersetzung von John Wesleys Primitive Physick: Natürliche Arzneien. Dort heißt es im Vorwort:

[1.] Als der Mensch aus den Händen des großen Schöpfers entstanden war, in Körper und Geist vollkommen, mit Unsterblichkeit beschenkt und ohne Sünde, gab es keine Notwendigkeit für Arznei oder die Heilkunst. Da der Mensch keine Sünde kannte, kannte er auch keinen Schmerz, keine Krankheit, keine Schwachheit und keine körperlichen Beschwerden. Die Wohnstätte, in der die engelsgleiche Seele, die göttliche Aura, weilte, war keinem Verfall unterworfen, obwohl aus dem Staub der Erde geformt. Sie trug keine Samen der Verdorbenheit oder Auflösung in sich. Und es gab nichts, was sie hätte beschädigen können: Himmel und Erde und alles Leben, das sie bewohnte, waren mild, gütig und freundlich zum Menschen. Die gesamte Schöpfung lebte in Frieden mit dem Menschen, so lange wie der Mensch Frieden mit Gott hatte. So konnte man sagen ‚die Morgensterne singen zusammen, und alle Söhne Gottes rufen laut vor Freude‘.

[2.] Aber wie sehr hat sich die Szenerie gewandelt, seitdem der Mensch gegen den Schöpfer des Himmels und der Erde rebellierte! Die Unverderblichkeit hat sich die Verderblichkeit übergestreift, die Unsterblichkeit zog sich die Sterblichkeit an. Die Samen der Schwachheit und des Schmerzes, der Krankheit und des Todes sind nun ausgesät in unserem tiefsten Inneren. So entstehen beständig Tausende Krankheiten, sogar ohne das Zutun von Gewalt, die von außen kommt. Und wie sehr wird diese Zahl noch erhöht durch alles um uns herum! Der Himmel, die Erde, und alles was die Erde bewohnt, haben sich zusammengeschlossen diejenigen zu bestrafen, die sich gegen ihren Schöpfer auflehnten.“

Still akzeptierte als Aufklärer mit freimaurerisch-deistischer Prägung den ersten Teil als grundsätzliche Beschreibung des Verhältnisses von Gott, Welt und Mensch. Den zweiten Teil, die Sünde und ihre Folgen, der folglich mit einer Auffassung der Erlösung verbunden sein musste, akzeptierte er nicht. Dieser zweite Teil existierte für Still überhaupt nicht. Folglich musste es auch aus aufklärerisch-religiösen Gründen eine andere Medizin als die methodistische Wesleys und seines eigenen Vaters geben. Formuliert man jenseits des religiösen Dissenses Stills Position allgemein-philosophisch, muss er anders als z. B. Spencer aktiv die Katastrophen in der Evolution leugnen, wofür es reiche Beispiele in der Autobiografie gibt.

46 In Die Philosophie der Osteopathie und in Die Philosophie und die mechanische Prinzipien der Osteopathie sind es noch fünf Bereiche, wobei Still stets die Willkürlichkeit dieser Unterteilung betont.

47 William James, Was ist Pragmatismus?, Weinheim 1994, 90f (die Übersetzung von W. Jerusalem wurde an einigen Stellen leicht angepasst). James spricht davon, dass truth is what pays.

48 Jedenfalls habe ich diesen Eindruck während meiner Zeit als Physiotherapeut und Arzt gewonnen.

49 Trowbridge, C., Andrew Taylor Still 1828 – 1917, 2. Aufl., JOLANDOS, Pähl 2003.

50 Wesley, J., Natürliche Arzneien – Leichte und natürliche Methoden zur Heilung der meisten Krankheiten, JOLANDOS, Pähl, 2005, S. 24.

51 Spencer, H., Die ersten Prinzipien der Philosophie, JOLANDOS, Pähl, 2003.

I. Autobiografie

INHALTSVERZEICHNIS

KAPITEL I

Erste Lebensjahre – Schultage und der schonungslose Stock – Ein Hundekenner – Mein Feuersteinschloss – Gewehr – Der erste Herd und die erste Nähmaschine – Das Ende der Welt kommt – Meine erste Entdeckung in der Osteopathie

KAPITEL II

Die wilden Tiere im Grenzland – Herr Cochrans Hirsch – Der Hirschfuß – Verfolgt von einem Bock – Ich fange einen Adler – Nachtjagd – Das Jagdhorn meines Bruders Jim – Die Philosophie der Skunks und Bussarde – Melken unter Schwierigkeiten – Von einem Puma angegriffen

KAPITEL III

Mein Vater – An den Missouri übergesiedelt – Eine lange Reise – Das erste Dampfschiff – In St. Louis – Ein skrupelloser Gottesmann – Mühsale im Westen – Der erste Methodistenprediger im Nordosten von Missouri – Der Vorsitzende Älteste – Aufregung in der Methodistenkirche – Der Standpunkt des Ältesten Abram Still – Rückzug nach Kansas

KAPITEL IV

In dem ich eine Frau nehme – Hausbasar – Ein zerstörerischer Hagelsturm – In der Wakarusa Mission – Trauer – Der Ärger mit den Sklavereibefürwortern – Ein gefährlicher Ritt – Drill der Sklavereibefürworter – Meine Erfahrung mit der Gesetzgebung

KAPITEL V

Ich schreibe mich in der Kompanie F der Freiwilligen der 9. Kavallerie ein – Unsere Mission – In Kansas City – Die Verfolgung von Price – Die Armee in Spring field – Vereinte Rache an den Partisanen – Hauptmann der Kompanie D der 18. Kansas Miliz – Major der 21. Kansas Miliz – An der Grenze zu Missouri – Der Kampf mit Joe Shelby – Die Osteopathie in Gefahr – Den Tod unter der Flagge des Waffenstillstandes begraben – Das Regiment erlebt eine Überraschung

KAPITEL VI

Das Ende des Krieges – Jubel im Morgenrot des Friedens – Neue Gefahren – Das Übel der Medikamente – Fürchterliche Visionen – Ein gemaltes Bild – In indianischen Gräbern nach Objekten graben – Das große Buch der Natur studieren – Die Verwüstungen der schrecklichen Krankheit Meningitis – Gebete und Medizin – Der Tod von vier Familienmitgliedern – Sind Medikamente ein Irrtum?

KAPITEL VII

Als Erfinder – Der müde Arm – Schneide- und Mähmaschinen – Der Rechen – Die Stahlfinger – Eine verlorene Erfindung – Auf einem Bauernhof – Eine kluge Frau – Buttern – Die Philosophie der Butter – Eine weitere Erfindung – Die treibenden Kräfte der Natur studieren – Die Wissenschaft der Osteopathie entwickelt sich

KAPITEL VIII

Die Anstrengung, die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Osteopathie zu richten – Irrtum in Baldwin, Kansas – Die Geschichte der Baker Universität – Gebete für den Besessenen – Bruder Jims Zweifel – Das Vertrauen meiner guten Frau – Ein umherziehender Osteopath – Meine Geschichte in Clinton County – Asthma behandeln – Meine Untersuchungen – Ein Hypnotiseur

KAPITEL IX

Mein erster Fall von Durchfall – Alte Methoden – Weitere Fälle – Die Unterstellung vom Teufel besessen zu sein – Gebete von Narren – Eine ausgerenkte Halswirbelsäule – Macon verlassen – In Kirksville – Mutter Ivie – Dr. F. A. Grove – Richter Linder – Chinns Weg der Aufmunterung – Robert Harris – Ein hilfloser Krüppel – Paratyphus – Schwäche in Gesundheit und im Portemonnaie – Kämpfen für die Nüchternheit – Eine Salbe für die Trunksucht

KAPITEL X

Überlegungen zu den Siebzigern – Einen Lebensweg wählen – Was Leben ausmacht – Angst es zu verlassen – Der Mut des Kindes – Das Gehirn, die einzige Hoffnung – Die Versuche der Witwe – Das triumphierende Gehirn – Die größte Energie der Hinterlassenschaft

KAPITEL XI

Alleine arbeiten – Erfolg – Der Prellungsdoktor und der Händler für Blitzableiter – Ein Doktor der Medizin kommt zur Untersuchung – Eine Lehrstunde in Elektrizität – Motorische und sensorische Nerven – Was ist Fieber? – Der konvertierte Arzt – Der Erfolg der Osteopathinnen – Besondere Auszeichnung bei Geburtshilfe – Jahreszeitliche Erkrankungen – Die Allegorie von Josua – Grundprinzipien – Der Mann, der zu viel redet – Die Charta der American School of Osteopathy

KAPITEL XII

Einführung in die Vorlesungen – Redliche Kritik erwünscht – Kein Bücherschreiber – Alte Medikamente und Tod – Osteopathie studieren – Gründliche Anatomiekenntnisse vonnöten – Not eines kahlköpfigen Doktors – Das Weltgericht – Richter über Lebendige und Tote – Das Gericht fährt fort – Für 20.000 Jahre – Kämpfe der Nationen – Soldat unter der neuen Flagge

KAPITEL XIII

Etwas über unfehlbare Zeichen – Appell an meinen kleinen Prediger – Angst während des Wartens auf eine Antwort – Die Beschuldigungen und Angaben – Das göttliche Gesetz von Fingern und Daumen

KAPITEL XIV

Die große Vision – Ein wundervoller Umzug – Eine Versammlung zum Wohle der Menschheit – Krieg – Niederlage – Kapitulation – Die Doktoren im Rat – Geburtszange und Verletzung – Der Spion in der Osteopathie – Eine gestörte Arterie und das Ergebnis – Das Geburtshilfesystem der Natur – Die Definition der Osteopathie – Peitschen aus Chinin gegen Fieber – Das Corpus callosum – Blutkörperchen – Die Ausrüstung als Fremonts Chirurg – Wie Gott Sich offenbart.

KAPITEL XV

Verschiedene Krankheiten – Normal und anormal – Nerven und Venen – Wie oft behandeln – Quetsche nicht die Muskeln – Die Batterie und die Maschine – Hüte Dich vor den Bussarden

KAPITEL XVI

Ein Aufruf zur Revolution – Ein Appell für einen Fortschritt in der Osteopathie – Der Gegenstand der Osteopathie – Bewässern – Die Definition des Todes – Wie der Schmerz entsteht – Das Gebäude des Oberschenkelknochens – Die lösende Kraft des Lebens – Die Zerstörung des Schmerzes – Das Ziel der Bewegung von Knochen und Muskeln

KAPITEL XVII

Der Blinddarm – Vorgehen bei Blinddarmentzündung – Die auswerfende Kraft des Blinddarmes – Angewandte Vorsicht bei der Aufstellung von Behauptungen – Der menschliche Mechanismus – Welche ist besser, des Menschen oder Gottes Maschine? – Der Edelstein – Der Astronom und neue Welten – Das Messer der Weisheit – Das Gesetz der Anziehung – Das Herz des Menschen und der Stamm des Baumes – Das Herz ist König von allem

KAPITEL XVIII

Vorlesung in der College Hall, Montag, 14. Januar 1895 – Einleitung – Gott ist Gott – Der Osteopath als Elektriker – Diphtherie – Die Brightsche Krankheit – Eine Veranschaulichung – Das Zeitalter der Osteopathie – Die Kinder von Leben und Tod

KAPITEL XIX

Vorlesung von A. T. Still im Krankenhaus, 20. Januar 1895 – Warum er die farbigen Leute ins Krankenhaus eingeladen hat – Memorial Hall – Chinin und faserige Tumoren – Dover Puder, Kalomel und Rizinusöl – Kein christlicher Wissenschaftler – Kein Mesmerist – Sauerstoff und Gesundheit – Für Patienten – Der Gegenstand der Osteopathie – 75 % aller Fälle profitieren – 50 % geheilt – Osteopathie

KAPITEL XX

Vorlesung gehalten in der Memorial Hall, 12. März 1958 – Eine reife Frau – Was ist der Mensch? – Das Unerkennbare – Leben ist ein Geheimnis – Die Stufe, die wir gehen – Die Maschine, mit der wir arbeiten

KAPITEL XXI

Osteopathie als Wissenschaft – Ich wurde so wütend, dass ich heulen musste – Der Triumph der Freiheit – Der Vorwurf, den Lehren meines Vaters entgegenzustehen – Osteopathie und die Verehrung Gottes – Die Telegrafie des Lebens – Der Kreislauf – Das Blut vorbereiten – Die Definition der Krankheit – Das elektrische Licht und die Osteopathie – Ein Studium an der Universität der Natur – Professor Pfau und die Lehre von seinem Schwanz

KAPITEL XXII

Ansprache in der Memorial Hall, 22. Juni 1895 – Alle im Menschen gefundenen Muster – Göttliche Eigenschaften im Menschen – Kein Makel in der Konstruktion – Die Lehre einer Sägemühle – Nie war Durchfall – Missbrauch der Osteopathie – Einige warnende Hinweise – Der Versuch, unfähige Studenten zur Praxis zu verführen – Gefahr durch Inkompetenz – Gefahr durch zu frühes Hinausgehen

KAPITEL XXIII

Ansprache in der Memorial Hall, 4. Juni 1896 – Geber und Nehmer – Periodisches Fieber – Gefahr der Entvölkerung – Die Verschreibung eines Arztes gegen Fieber – Die elektrische Maschine im Gehirn – Verletzung mit Rückenmarkslähmung – Wirkungen der Medizin – Was ein Osteopath wissen muss – Die Ernsthaftigkeit im Studium der Osteopathie – Studienkurse – Die Definition von Durchfall – Verbreitung der Osteopathie – Eigenheiten einiger Fälle – Besondere Fälle

KAPITEL XXIV

Vorlesung am 25. April 1895 – Kein Ungläubiger – Noch einmal diese wundervolle Maschine – Was uns die Berufsklugheit lehrt – Der Hufschmied und der Uhrmacher – Das Ziel der Schule – Ich möchte keine mittelmäßigen Osteopathen – Medizin und 12.000 Gifte – Ein Fall von Sprachlosigkeit – Ein Brief

KAPITEL XXV

Ansprache an Studenten und Diplomanden, 7. Mai 1894 – Die Osteopathie folgt dem Gesetz der Natur – Beglaubigung durch Doktoren der Medizin – Die Osteopathie kann alles – Alles oder nichts – Bei der alten Flagge bleiben

KAPITEL XXVI

Ansprache anlässlich des 21. Geburtstages der Entdeckung der Osteopathie, 22. Juni 1895 – König Alkohol – Den Menschen für seinen Lebensweg ausstatten – Der Hebel, der das Fieber kontrolliert – Die große Weisheit kennt keinen Irrtum – Warum ‚Osteopathie‘ für diese Wissenschaft gewählt wurde – Gallensteine und Heilung

KAPITEL XXVII

Der Morgenspaziergang – Morgenröte – Astronomie – Schüchternheit – Die Waffenstillstands-Flagge – Die Art Skalps, die wir suchen – Ein Gebet für Frauen und Mütter – Der neue Josua – Von der Allopathie geschieden – Die Webstühle der Zeit – Das Netz des Lebens – ‚Der alte Doktor‘ – Ein paar Fragen beantwortet – Wie außergewöhnlich ist das Leben – Die Definition der Prophetie – Die Gedanken berühren das Unendliche

KAPITEL XXVIII

Eine Lebensgeschichte – Die Maschine für die Lebensernte – Eine Resolution für die Wahrheit – Hoher Respekt vor der Chirurgie – Die Definition der Chirurgie – Was kann die Osteopathie anstatt der Medikamente geben? – Den Doktoren der Medizin werden ein paar Fragen vorgelegt

KAPITEL XXIX

Ansprache zum 68. Geburtstag – Nur ein paar Zeitzyklen mehr – Überraschung der Menschen – Alles, was das Wort ‚Medikamente‘ bedeutet – Fragen beantworten – Der erhabenste Gedanke – Das Vergnügen Erleichterung zu spenden – Eine Reise vom Herzen zu den Zehen – Intuitiver Verstand – Wird das göttliche Gesetz glauben machen?

KAPITEL XXX

Ansprache zum 69. Geburtstag – Tribut an eine kleine Anatomin – Elternpflicht – Als Still daneben war – Von Geburt an ein Krieger – Wer hat die Osteopathie entdeckt? – Hellseher und Hellhörige – Geboren um etwas über Medizin zu erfahren – Der Kampf um den Erhalt der Gesundheit – Mathematische Krämpfe – Klimatische Wirkungen auf die Lungen – Ernährung – Bestürzung – Warum ich Gott liebe

KAPITEL XXXI

Eine Geschäfts-Allegorie – Mein erstes Leben war ein geschäftlicher Reinfall – Auf der Suche nach Erfolg – Der Rat eines Pfaffen – In eine Sägemühle investieren – Eigenständigkeit – Ein Selbstgespräch – Unter dem Baum eingeschlafen – Der Widder – Den Baum hinauf – Sowohl Beine als auch Kopf sind nötig für den Erfolg – Der schilderreiche Baum – Das Schild des Erfolges – Wie man im Geschäft Erfolg hat – Ein großer Finanzier – Ein Traum und seine Verwirklichung – Die Frau appelliert umsonst – Der gesegnete Widder der Rettung – Vom Dach eines nicht bezahlten $ 10.000-Hauses gestoßen – Der Widder spricht