Was deine Angst dir sagen will

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Was deine Angst dir sagen will
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Andreas Winter

Was deine Angst

dir sagen will

Blockaden verstehen und überwinden

Mit Extra-Tipps gegen Panikattacken

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Andreas Winter

Was deine Angst dir sagen will

Blockaden verstehen und überwinden

E-Book (Epub): ISBN 978-3-86374-325-3

(Druckausgabe: ISBN 978-3-86374-323-9, 1. Auflage 2016)

Mankau Verlag GmbH

Postfach 13 22, D-82413 Murnau a. Staffelsee

Im Netz: www.mankau-verlag.de

Internetforum: www.mankau-verlag.de/forum

Lektorat: Josef K. Pöllath, Dachau

Endkorrektorat: Susanne Langer M. A., Traunstein

Umschlag: Andrea Barth, Guter Punkt GmbH & Co. KG, München

Gestaltung Innenteil: Sebastian Herzig, Mankau Verlag GmbH

Illustrationen: danmir12 – Fotolia.com (8); Aliaksei Lasevich – Fotolia.com (18/19); Colourbox.de (46/47, 78/79, 104/105, Kolumnentitel)

Energ. Beratung: Gerhard Albustin, Raum & Form, Winhöring

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Wichtiger Hinweis des Verlags:

Der Autor hat bei der Erstellung dieses Buches Informationen und Ratschläge mit Sorgfalt recherchiert und geprüft, dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr; Verlag und Autor können keinerlei Haftung für etwaige Schäden oder Nachteile übernehmen, die sich aus der praktischen Umsetzung der in diesem Buch dargestellten Inhalte ergeben. Bitte respektieren Sie die Grenzen der Selbstbehandlung und suchen Sie bei Erkrankungen einen erfahrenen Arzt oder Heilpraktiker auf.

ACHTUNG:

DIESES BUCH DIENT NICHT

DER UNTERHALTUNG ODER

LEICHTEN LEKTÜRE.

ES IST EIN RATGEBER,

DER IHR LEBEN RADIKAL

VERÄNDERN KANN!

Inhalt

Vorwort

Einführung

Angst ist erlernt

Der gemeinsame Nenner

Der Algorithmus der Psyche

Angst entsteht durch Konditionierung

Was ist eine Konditionierung?

Das Gehirn vergisst – leider – nichts!

Erlernte Reiz-Reaktions-Paare

Stress

Stress ausweichen und stressfrei sein

Sind Sie Vermeider oder Erreicher?

Das Geheimnis des leeren Topfes

Verzeihen durch echtes Verstehen

Angst wovor?

Was steckt hinter den Angstauslösern?

Wie wird man die Angst los?

Drei Fragen zur Angstauflösung

Frage 1: Warum genau haben Sie Angst?

Frage 2: Was ist das Schlimmste, was Ihnen in einer bestimmten Situation passieren könnte?

Frage 3: Wofür lohnt es sich, das Schlimmste in Kauf zu nehmen?

Was Menschen aus Angst tun

Angstfrei durch Selbstcoaching

Warum sich Angst nicht lohnt

Fernsehen macht Angst – und dick

Wie Sie ganz leicht abnehmen

Rückfallfrei Nichtraucher werden

Alkoholismus ist keine Krankheit

Angst vor Sex

Extra-Tipps gegen Panikattacken

Angst vor Fremden, Ausländern, Asylbewerbern, Taliban und Co.

Noch mehr Paniktipps

Die Ursache archetypischer Ängste

Gutes und schlechtes Gewissen

Geißel Schuldgefühl

Risikobereitschaft – Angstfreiheit – Selbstsicherheit

Wie fühlt sich Angstfreiheit an?

Schlusswort: Eine menschenwürdige Gesellschaft ist angstfrei!

Nachwort

Danksagung

Ausbildung zum Gesundheitsberater

Über den Autor

Weitere Bücher von Andreas Winter

Audio-CDs und DVDs von Andreas Winter

Anmerkungen

Stichwortregister


Vorwort

Na, der Winter traut sich was! Hat denn der überhaupt keine Angst, ein Buch über die Angst zu schreiben? Ist der besser als Kierkegaard oder Riemann? Oder rät und unterrichtet der nur frisch von der Leber weg, wie man der Herrschaft seiner Ängste entkommt? Wie immer kommt Winter gleich zur Sache, fackelt nicht lange herum, krempelt die Ärmel auf, als wolle er nur ja keine Zeit verlieren, und legt die Wurzel aller Ängste erst einmal frei. Er ist verdammt schnell, effizient, rational. Und damit liegt er richtig.

Es stimmt, dass in kritischen Momenten in uns allen immer noch der Steinzeitmensch im Kopf das Kommando übernimmt. Der Neandertaler in uns spürt in sich bis zum heutigen Tag, dass er im Grunde ein abhängiges Leben führen muss. Das war in den Vorzeiten meistens die Abhängigkeit vom Wetter, vom Wachsen der Pflanzen und vom Jagdglück. Und das ist es bis heute. Die Bedroher unseres Lebens haben zwar im Großen und Ganzen ihre Themen und Werkzeuge gewechselt, aber nicht ihre menschlichen Adressaten. Und zu Blitz und Donner, Dürre und Kartoffelkäferplagen kamen Krankheit, Feinde, Armut und immer wieder Isolation, Isolation und Isolation. Dies ist eine Katastrophe für den Homo sapiens mit seiner vermeintlich angeborenen Schwarmintelligenz. Die Rückkehr der Götter ist in vollem Gang. Es ist ein „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“, wie das frühe 19. Jahrhundert die tiefste unserer Empfindungen auf den Punkt brachte. Modern und mit Andreas Winter konstatieren wir Kontrollverlust als Grundübel unserer Existenz. Da hilft kein Nachtgebet mehr, weil es als Beschwörung des allabendlich eintretenden Kontrollverlusts vor dem Schlafengehen nicht mehr stattfindet. Das Wohl oder Wehe des Lebens liegt einfach nicht in unserer Hand. Und Abgeben geht nicht, weil in modernen Zeiten ja keiner mehr da ist. Wir sind abhängige Lebewesen und werden es bleiben. Das merkt man schon als Baby, schiebt es für ein paar erwachsene Jahre in den Hintergrund, um es als alter Mensch erneut bestätigt zu bekommen: Wir sind Nesthocker, Opfer des Gelbfiebers oder Spielzeug einer wütenden Gottheit, die seit dreitausend Jahren zürnt, weil er einen von uns in seinem Garten beim Äpfelklauen erwischt hat!

Aber statt sich nun den unzähligen theologischen und philosophischen Deutungsversuchen dieser Urangst anzuschließen, interessiert sich Winter nicht dafür. Diese lassen ihn kalt. Allerdings nicht jene, die ihn mit ihren Ängsten um Rat und Hilfe angehen. Die Ängstlichen haben eben nicht nur die Angst geerbt (Erbsünde), sondern gleich auch die antiken und bis heute tradierten therapeutischen Methoden, um damit fertig zu werden. Die Steinzeitmenschen aller Zeiten, für die das Leben im frühesten aller Frühkapitalismen schon nichts anderes war als ein Geben und Nehmen, nahmen an, dass mit Hagel, Blitz und Donner, Dürre und Unfällen, Krankheit und Tod das Nehmen und Geben anscheinend nicht mehr ausgeglichen war. Opfer mussten her, Investitionen in ein auszusöhnendes Götterverhältnis. Da türmten sich wahre Schätze um die Altäre aller Zeiten und Kulte. Und weil das Leben des eigenen Kindes das teuerste und wertvollste war, lag ganz oben auf den Altären oft eine Kinderleiche. Nicht nur bei den Mayas, auch im Juden- und Christentum. Überall opfern die Väter ihre Söhne. Solche Opfer sind die tragischen therapeutischen Verirrungen nahezu aller Kulturen und Zeiten. Wie viele Söhne und Töchter forderte der jeweilige Vater Staat bis zum heutigen Tag? Aber seien wir nicht hochmütig! Ein an Krebs erkrankter oder von seinen Traumata gejagter Mensch bietet seiner jeweiligen selbst gemachten Gottheit allerhand Opfergaben und Schnickschnack an. Was versprechen wir in ausweglosen Situationen nicht alles unseren unbekannten Göttern: Pilgerreisen, Tempel im eigenen Garten, das Rauchen aufzugeben und ein neuer Mensch zu werden und für den Papst in Rom eine riesige Spende. Der Pfennig dort im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Aber hilft das? Ist das ein therapeutischer Ansatz, der am Ende einen freien Menschen zu Gesicht bekommt? Die Gottheiten wenigstens, soweit ich sie studiert habe, lassen sich auch von solchem Geschachere nicht beeindrucken. Die Statistik ist eindeutig: Beten kann süchtig machen. Wenn überhaupt da drinnen und draußen eine Gottheit existiert, will sie wohl eher, dass wir unserem Schicksal (geschicktes „salus“, Heil) zustimmen und endlich schauen, was ist.

 

Wer aber nimmt uns bei der Hand und ist bei uns, wenn wir uns umschauen nach dem, was uns verfolgt in unsere Tage und Nächte? Wer ist treu und betreut und tröstet uns, wem vertrauen wir in solchen Momenten? Da sind wir ganz Steinzeit und Urmensch und haben ein urmenschliches Bedürfnis. Wir brauchen eine Hand! Wir brauchen einen zweiten Menschen. Wie immer, wenn wir in ein Loch fallen. Wer könnte das sein, wenn die Mutter tot ist und viele andere mit einer Medizin daherkommen, die nur den Göttern und Halbgöttern gefällt, die die Macht behalten wollen und uns knechten und beherrschen mit unseren Ängsten? Ganz einfach! Versuchen Sie es doch einmal mit dem vorliegenden Buch und dem, der es für Sie geschrieben hat. Versuchen Sie es doch einmal mit Andreas Winter! Er löst die tatsächlich erlebte Katastrophe in unserer Kindheit oder wo und wann auch immer von der allzu frühzeitig eintretenden Deutung und Interpretation auf. Winter stellt nur fest. Er konstatiert, die Angst war berechtigt. Aber ist sie es heute auch noch? Ist Angst vor dem Neuen berechtigt und hilfreich, um sich frühzeitig zu verteidigen? Oder aber – und das ist die eigentliche Entdeckung des Pädagogen Winter – sind wir Menschen vielleicht auch nur Hunde? Hunde, die wie der Pawlowsche Hund schon Speichelfluss oder eben wie in unserem Fall mit spontanem Urinfluss die Hose voll haben, kaum dass irgendwo eine Alarmglocke klingelt und unser Unterbewusstsein an die einstmalige berechtigte Angst erinnert? Wenn Angst konditioniert ist, wie vieles andere auch, ist ein Weg aus der Angst gefunden. Die Therapieplätze vieler Kliniken, die Angststörungen zu bewältigen versuchen, sind ausgebucht. Aber geht das auch ambulant? Einfacher, unkomplizierter, schneller? Ja, wie dieses Buch zeigt.

Jürgen Fliege im Juni 2016

Einführung

Hunderte meiner Klienten haben durch ein Gespräch ihre Ängste aufgelöst. Zuvor hatten viele dieser Menschen eine Odyssee von Psychotherapiestunden hinter sich und Dutzende Ratgeberbücher gelesen. Doch selten wurde ihre Angst so therapiert, dass sie von der Ursache her restlos verschwand und auch nicht später auf anderer Ebene wieder auftrat. Dass dies dennoch möglich ist, und zwar präzise, einfach und in kürzester Zeit, ist vielleicht etwas ungewöhnlich und nicht immer im Interesse der Medizinindustrie, aber sicher in Ihrem Interesse und dem Ihrer Mitmenschen. Allerdings: Angst hat viele Gesichter. Nicht jeder, der Angst hat, ist sich auch darüber im Klaren und dessen bewusst. Oftmals versucht man ein Problem zu lösen – wie Schulden, Übergewicht oder eine Allergie – und übersieht dabei, dass es sich nur um ein Symptom handelt und die eigentliche Ursache dahinter Angst ist.

Oder wussten Sie, dass der Grund vieler Krankheiten, Verbrechen und Verhaltensweisen Angst ist? Aus Angst heiraten Menschen, und aus Angst trennen sie sich. Sie lügen, mobben, neiden und geizen. Angst macht Menschen dick oder süchtig. Sie lässt sie rauchen und trinken, stehlen und töten. Aus Angst werden Menschen bestraft, geächtet, gedemütigt und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Angst ist oft der Grund für Perfektionismus, Depression und Krebs. Angst bestimmt unsere Gesellschaft. Ganze Industriezweige sind darauf spezialisiert, Angst zu schüren, um uns dann ein vermeintliches Gegenmittel zu verkaufen: Versicherungen, Zigaretten, Schusswaffen, Gewerkschaften, Mausefallen, Spielhallen, Desinfektionsmittel, Medikamente, Kinofilme und vieles mehr. Schulen, Kindergärten, Kirchen und Krankenhäuser könnten unser Selbstvertrauen oder unsere Gesundheit fördern, doch stattdessen verstärken und weiten sie oft unsere Angst nur noch. Und wir schleppen diese Angst dann mit durch unser ganzes Leben und projizieren sie auf alles Mögliche. Menschen glauben, sie hätten Angst vor Spinnen, Fremden, Aufzügen, Dunkelheit, Schlangen, Spritzen, Krieg, Armut oder der Polizei. Dabei steckt etwas ganz anderes dahinter, etwas, das bei jedem Menschen gleich ist. Es ist der Kontrollverlust!

Doch Angst ist ein Gefühl, welches nicht in ein freies, erwachsenes Leben gehört. Aus Angst werden die unglaublichsten Dinge getan, die man später unter Tränen, vor Gericht oder auf dem OP-Tisch liegend bereut, denn Angst sorgt dafür, dass ein Mensch nicht entscheidet, sondern lediglich reagiert. Er tut nicht, was er für klug und richtig hält, sondern was ihn aktuell emotional erleichtert – ungeachtet der Folgen. Reagieren bedeutet, nicht zu wissen, warum man etwas tut. Eine Reaktion lässt den Menschen im Hinblick auf das Jetzt handeln anstelle mit Blick auf die Ursache und vor allem, ohne sich der Konsequenzen des Tuns bewusst zu sein. Angst ist somit emotional, unberechenbar und nahezu verantwortungslos. Angst und Unwissenheit gehen oft Hand in Hand. Etwas ohne Angst zu entscheiden ist bewusstes, rationales Handeln – ist somit zielführend und verantwortungsvoll.

Selbst wenn ein Täter die Folgen seiner emotionalen Reaktion nicht beabsichtigte, so hat er sie genau so zu verantworten, wie die Konsequenz einer rationalen und gewollten Entscheidung. Nur ist sich dessen kaum jemand bewusst. Wenn Sie im Flugzeug sitzen und aus Angst vor einem Absturz nahezu durchdrehen und die Maschine wegen Ihnen notlanden muss, dann müssen Sie die Landung voll verantworten und dafür aufkommen.

Bekommen Sie aus Angst vor einer Examensprüfung einen Migräneanfall und können daher an der Prüfung nicht teilnehmen, dann wird dies so behandelt, als wären Sie durchgefallen. In beiden Fällen haben Sie keinen Abschluss und müssen die Prüfung nachholen. Migräne ist ein Zeichen von Angst.

Wenn Sie aus Angst vor einem Konflikt mit Ihrem Partner Ihre Bedürfnisse unterdrücken und stattdessen unzufrieden und nörgelig werden, dann versteht das niemand, und es wird Ihnen auch nicht verziehen. Sie belasten mit einem solchen Verhalten Ihre Mitmenschen nur – und bald haben Sie dennoch einen Konflikt, obwohl Sie ihn eigentlich vermeiden wollten. Aus Angst vor Zurückweisung riskieren wir, dass man sich schließlich von uns trennt.

Allerdings begründen sich nicht alle störenden Verhaltensweisen auf Angst. Einschlaf- und Durchschlafstörungen können zwar dadurch zustande kommen, dass der Betreffende Angst hat, es kann aber auch genauso gut sein, dass der Mensch einfach dadurch, dass er nicht, wie bei Menschen natürlich, morgens geboren wurde, hierdurch eine verschobene Leistungskurve hat und nachtaktiv ist – ohne es zu wissen.

Menschen, die scheinbar hyperaktiv sind und immer unter Strom, können das aufgrund eines Schuldgefühls, also aufgrund von Angst sein. Sie können aber auch einfach zu den Menschen gehören, die sehr viele Reize verarbeiten und diese Fähigkeit nutzen, so wie ein Rennpferd eben manchmal galoppieren muss. Sie erkennen den Unterschied daran, dass der Betreffende nicht unter seinem Verhalten leidet, wenn es nicht angstmotiviert ist.

Etwas aus Angst zu tun, ist eine Hypothek mit viel zu hohen Zinsen. Sie vermeiden damit nicht Ihre Probleme, sondern verschieben sie nur und nehmen in Kauf, dass diese dadurch größer werden.

Angst lebt von der Machtlosigkeit und Unreife eines kleinen Kindes. Es ist daher einem souveränen, reflektierten Erwachsenen auch nicht möglich, Angst zu haben – alle unsere Ängste und Angstsymptome kommen aus der Kindheit und basieren auf der Logik eines hilflosen Kindes! Ängste sind zwar äußerst intelligent, aber leider auch zerstörerisch und unberechenbar. Sie schwächen den Organismus und hindern eine Gesellschaft an der Entwicklung. Verzwickterweise entsteht Angst im Unterbewusstsein und nie in der bewusst kontrollierten Absicht. Man muss also mit dem Unterbewusstsein arbeiten, um an die Angstmuster heranzukommen.

Meine Definition:

Angst ist eine unreflektierte Reaktion

in Erwartung einer Bedrohung.

Das bedeutet: Das, wovor wir Angst haben, ist immer irrational, niemals real. Man fürchtet sich vor etwas, was es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Denn wenn Sie etwas Reales erleben, empfinden Sie keine Angst mehr!

Denken Sie nach: Sie haben Angst vor einer Wespe, genauer: vor ihrem Stich. Wenn die Wespe Sie dann tatsächlich gestochen hat, haben Sie Schmerzen und sind vielleicht wütend, aber Sie haben keine Angst! Warum nicht? Weil Sie die tatsächliche Gefahr nun einschätzen können. Nicht einmal das Erleben des Todes macht Angst, wie so gut wie alle Menschen, die eine Nahtoderfahrung machten, berichten.

Ich unterscheide zwischen Angst und Schrecken. Sie erschrecken, wenn jemand zur Tür hereinkommt und mit einer Papiertüte laut knallt.

Angst dagegen heißt zu befürchten, dass jemand hereinkommen könnte. Einen Schrecken bekommen Sie, wenn ein Blumentopf von der Balkonbrüstung direkt vor Ihre Füße fällt. Angst veranlasst Sie, angesichts des Balkons die Straßenseite zu wechseln. Die Bereitschaft zu erschrecken, ist sinnvoll und sollte erhalten bleiben. Angst und Panik jedoch braucht niemand.

Ich glaube zudem, dass wir in einer ausgesprochenen Angstgesellschaft leben, versehen mit einer weitverzweigten und gut organisierten Angstindustrie, wie ich sie nenne. An jeder Ecke, in jedem Medium, in vielen Institutionen wird Angst erzeugt, geschürt und verbreitet. Subtil, indirekt und doch sehr effektiv. Denn Angst ist ein gutes Geschäft, genauer gesagt: Das Gegenmittel zur Angst bringt den Profit.

Die gute Nachricht: Angst wieder aufzulösen ist banal und einfach. Es ist geradezu vermessen, ein ganzes Buch darüber zu schreiben. Ein paar Sätze, die man in der Schule lernen könnte, würden eigentlich reichen. Das große Problem ist jedoch, dass wir eben nicht in der Schule lernen, mit der Angst umzugehen, und daher die Dinge, die ich im Folgenden zeige, für einige Menschen so unbekannt, so unvorstellbar und daher so neu sind, dass dieses Buch gar nicht dick genug sein kann, um auch den letzten Leser davon zu überzeugen.

Ich wage dennoch einen Versuch, denn es ist möglich, ein Leben ohne Angst zu führen.


Haben Sie Angst? Na klar haben Sie Angst! Jeder hat doch irgendeine Form von Abscheu, Vorbehalten, Befürchtungen oder Panik. Über sieben Millionen Deutsche leiden sogar unter einer diagnostizierten spezifischen Phobie, Tendenz steigend. Aber keine Bange, das kriegt man wirklich weg! Ich weiß es, denn ich war der ängstlichste Junge, den Sie sich vorstellen können. Vielleicht nicht in jeder Hinsicht ängstlich, aber ich hatte Angst vor Lehrern, vor Mitschülern, vor Einbrechern, vor Kellern und Spinnen, ja eigentlich vor allem. Damit war ich sicher nicht der Einzige in der Klasse, aber mich quälten meine Ängste so sehr, dass ich mit 15 Jahren beschloss, damit nicht mehr länger leben zu wollen. Ich nahm mir vor, angstfrei zu werden. Es wurde allerdings ein langer Weg. Jahrelang versuchte ich, eine Angst nach der anderen in die Zange zu nehmen, mich zu überwinden, mir Mut einzureden und mich zusammenzureißen oder zu disziplinieren. Doch egal, was ich tat, es tauchten immer neue Ängste in meinem Leben auf: Die Angst, ein Mädchen anzusprechen, die Angst, ein Referat zu halten, später die Angst vor dem Autofahren oder Angst vor Prüfungen. Mein Versuch, mich zu befreien, war fast wie Herakles’ Kampf gegen die schlangenköpfige Hydra. Wurde ihr ein Schlangenkopf abgeschlagen, wuchsen sogleich zwei neue nach. Je mehr man ein Symptom bekämpft, ohne die dahinterliegende Ursache aufzuarbeiten, desto deutlicher zeigt sich der innere Konflikt! Alles wird schlimmer. Sich zusammenreißen brachte also nichts. Eine chronische Bronchitis, chronischer Schnupfen, Schulversagen, Sprachstörungen, Konzentrationsstörungen, psychosomatische Angststörungen, soziale Hemmungen, Begabungsdefizite und Weinerlichkeit waren unerträgliche Folgen meiner Ängste. Lächerlich, peinlich, ein Jammer!

 

Doch irgendwann, ich war schon 18 Jahre alt und stand kurz vorm Abitur, las ich das Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ von den Gebrüdern Grimm. Erinnern Sie sich an das Märchen? Der jüngere Sohn eines Töpfers galt als naiv und dümmlich, weil er sich vor nichts fürchtete. Weder Geister noch Friedhöfe oder Galgen ängstigten ihn. Mich hingegen faszinierte seine Furchtlosigkeit, und mir wurde durch dieses traditionelle Märchen klar, dass man Angst zunächst erlernen muss. Dieser Gedanke ließ mich fortan nicht mehr los. Wenn jemand vor etwas Angst hat, so muss er die befürchtete Situation zunächst einmal in seiner Gefährlichkeit kennengelernt, genauer gesagt emotional erlebt haben. Ich wusste bereits von Konditionierungen, Reiz-Reaktions-Verknüpfungen und Auslösern, und so bestätigte sich in den folgenden Jahren während meines geisteswissenschaftlichen Studiums mein Verdacht. Es war das Gegenteil von dem, was ich an der Uni in den Vorlesungen hörte, denn da hieß es immer, Angst entstünde angesichts des Unbekannten. Aber einmal ehrlich, wenn Sie Angst vor dem Unbekannten hätten, dann hätten Sie auch Angst vor diesem Buch, denn Sie kennen ja den Rest des Inhaltes nicht. Sie müssten gleich morgens nach dem Aufwachen Angst bekommen, denn der Tag, der vor Ihnen liegt, ist unbekannt. „Niemand hat Angst vor ‚Schnirx‘“, sage ich heute bei meinen Vorträgen immer. „Warum nicht? Weil niemand ‚Schnirx‘ kennt.“ Wir haben nur Angst, wenn wir die Gefahr einer Sache bereits kennen oder sie mit einer ähnlichen Situation in Verbindung bringen. Ein Märchen brachte mich auf diesen Zusammenhang; meine Forschung in Sachen Angst wurde eine faszinierende und spannende Arbeit, denn dadurch zeigte sich mir der goldene Schlüssel zur Angstfreiheit, mit dem ich alle meine Ängste vollständig und in Sekunden auflösen konnte.

Zusammenfassung

Ängste und Blockaden basieren auf Erlerntem, haben eine Schutzfunktion und lassen sich durch das Bewusstmachen der ihnen gemeinsamen Ursache mit einer Verhaltensalternative versehen: entscheiden statt reagieren! Angstfreiheit ist somit Entscheidungsfreiheit.

Der gemeinsame Nenner

Fallbeispiel: Ed, Manager

Wochenlang hatte Edmund sich vorbereitet. Doch nun rann dem Manager mit einem Jahreseinkommen von rund 80.000 Euro der Schweiß von der Stirn, als er kreidebleich und mit zitternder Stimme vor der Jahreshauptversammlung sprechen sollte. Ed, wie seine Freunde ihn nannten, schlotterten die Knie. Er stand da wie ein hilfloses Kind. Er hangelte sich von Wort zu Wort, von Satz zu Satz. Seine Hände kneteten verkrampft die Zettel mit dem Redemanuskript. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Immer wieder schaute Ed in die Versammlung und spürte die Blicke, die auf ihn gerichtet waren, deutlich wie Injektionsnadeln. Hier waren nicht seine Freunde, hier waren seine Henker, die nur darauf warteten, ihn endlich verurteilen zu können, so fühlte er sich. Ed war hilflos wie ein Kind.

Endlich, nach einer halben Ewigkeit wrang er den Schlusssatz des Berichtes durch seine Kehle. Er war so froh, sein Manuskript endlich hinter sich gebracht zu haben, dass er vergaß, sich beim Publikum für die Aufmerksamkeit zu bedanken. Den höflichen und verhaltenen Applaus für seine jämmerliche Vorstellung hörte Ed schon gar nicht mehr. Er ging von der Bühne, sank auf seinen Stuhl und stürzte den Rest eines Brandys hinunter. Den weiteren Abend verbrachte Ed vor der Tür, eine Zigarette nach der anderen rauchend, bevor er sich ein Taxi nahm und verschwand.

Fallbeispiel: Marta, Haushaltshilfe

Marta hatte Waschtag. Jeden Mittwoch und jeden Freitag kümmerte sich die junge Polin um den Haushalt ihrer Nachbarin, einer 82-jährigen Kriegerwitwe. Heute war also wieder Waschtag, und die alte Waschmaschine im Keller tat ihre ratternde Pflicht. Es war Mai, und Marta würde die Bettwäsche, die Handtücher und die große Tischdecke im Garten aufhängen. Die Frühlingssonne wärmte schon seit Tagen die Luft und ließ keinen Zweifel daran, dass es bald Sommer wurde.

Marta ging mit dem leeren Wäschekorb die dunklen Betonstufen der Kellertreppe hinunter. Lichtstrahlen fielen durch das vergitterte Kellerfenster, der Staub der Kellerluft teilte die Strahlen in ein flirrendes Muster. Bewegte sich da etwas über der Waschmaschine? Der große schwarze Fleck dort, war das ein Schatten, oder war es das, was Marta befürchtete? Das kleine Tier der Gattung Eratigena atrica machte sich mit seinen acht behaarten Beinen über eine fette Stubenfliege her, die soeben zappelnd in sein Netz gegangen war. Es wickelte sein bewegungsunfähiges Opfer in einen festen Kokon ein, in welchem es durch den mit dem Biss injizierten Verdauungssaft langsam von innen her zersetzt wurde.

Marta schrie, ließ den Wäschekorb fallen und rannte die Treppe hoch. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Oben angekommen, schüttelte sie sich vor Ekel, bevor sie begann, sich für ihre alberne Angst zu schämen. Es war schließlich nur eine Spinne.

Fallbeispiel: Ines, Arzthelferin

Die 65-jährige Rentnerin Renate würde vielleicht noch leben, wenn Ines in ihrem Auto nicht vor Angst erstarrt wäre. Renate wollte eigentlich nur ihren Plastikmüll etwas tiefer in die gelbe Mülltonne stopfen und übersah dabei, dass vorher irgendjemand eine zerbrochene Glasvase in den Müll geworfen hatte.

Mit der bloßen Hand und mit hochgekrempeltem Ärmel griff Renate in die großen, senkrecht stehenden Glasscherben, die zwischen Joghurtbechern und Gemüseverpackungen nicht zu sehen waren, und schnitt sich damit den ganzen Unterarm auf. Die Scherben schnitten tief in das Gewebe hinein und hielten den Arm wie Widerhaken fest. Das Blut quoll aus dem Arm der hilflosen Frau. Bis eine aufmerksame Nachbarin den Notarzt alarmierte, lag Renate bereits ohnmächtig vor der Mülltonne. Der Abtransport der Schwerverletzten erfolgte dann professionell und zügig, bis zur großen Kreuzung kurz vor dem Krankenhaus, wo er vor Ines’ Kleinwagen zum Halten kam.

Trotz Blaulicht und Sirene blieb Ines an der Ampel wie angewurzelt stehen und blockierte die Weiterfahrt. Die junge Frau am Steuer blickte mit weit aufgerissenen Augen und wie hypnotisiert in den Rückspiegel, das Dröhnen des Martinshorns hinter sich, und war unfähig, über die Kreuzung zu fahren – schließlich zeigte die Ampel ja rot. Als es endlich grün wurde, fuhr Ines mit quietschenden Reifen los, hatte aber leider in ihrer Panik den Rückwärtsgang eingelegt und krachte gegen den Krankenwagen. Wie bei jedem normalen Verkehrsunfall stieg Ines aus dem Auto, statt zunächst einmal schnellstmöglich die Kreuzung zu räumen und den Krankenwagen passieren zu lassen.

Schließlich konnte im Krankenhaus nur noch der Tod der Rentnerin festgestellt werden. Ines war durch das Ereignis so geschockt, dass sie sich fortan nicht mehr ans Steuer eines Autos setzte.

Fallbeispiel: Jörg, Auszubildender

Jörg war ein hervorragender Tischler und der Beste seines Jahrgangs in der Berufsschule. Für sein Gesellenstück, eine Spiegelkommode mit Schubfächern, wollte er nur die edelsten Hölzer verwenden.

Die drei Spiegel waren angeordnet wie ein mittelalterliches Triptychon, bei dem die dreigeteilten Kunstgemälde das mittlere Bild auf besondere Weise betonen. Man kennt das von zahlreichen religiösen Darstellungen: Jesus in der Mitte, und die Apostel links und rechts um ihn herum angeordnet.

Die Betrachterin im Spiegel würde durch Jörgs Triptychon zum künstlerischen Mittelpunkt, während sie sich frisiert und schminkt. Größere Schubkästen sollten Platz für Fön und Haarspraydosen bieten, mittlere für Parfüm und Abschminktücher und kleine Schubfächer zur Aufbewahrung von Schmuck dienen. Eher ein Meisterwerk als ein Gesellenstück, denn Jörg hatte hohe Ansprüche.

Den kompletten Entwurf hatte der 18-Jährige fix und fertig im Kopf. Nur mit der Umsetzung, für die er zwei bis drei Monate Zeit eingerechnet hatte, tat er sich schwer. Irgendetwas lenkte ihn immer wieder ab. E-Mails beantworten, ins Kino gehen, die Wohnung aufräumen, Freunde treffen, Faulenzen oder Joggen – es gab viel zu tun.

Und so verschob Jörg die Arbeit, die über seine Zukunft entscheiden sollte, immer wieder, bis er nur noch eine Woche Zeit bis zur Abgabe hatte. Als der Ausbildungsleiter zum wiederholten Mal nach dem Stand der Dinge fragte, entdeckte Jörg eine Katastrophe: die seltenen Hölzer, die er für sein Möbelstück ausgesucht hatte, waren wurmstichig! Aus den Zuschnitten rieselte Staub. Die Bretter standen monatelang unbeobachtet im Lager – nun waren sie gespickt mit kleinen Löchern und damit praktisch unbrauchbar.

Kein Holz, keine Kommode, kein Abschluss! Das Zögern des Auszubildenden ist bei Weitem keine Seltenheit in unserer Gesellschaft und hat sogar einen Namen: Prokrastination (Aufschieberitis) – eine Form von Perfektionismus, die Jörg nun beinahe seinen Arbeitsplatz kostete. Perfektionismus ist nicht etwa ein hoher Qualitätsanspruch, sondern die Angst, Fehler zu machen.

All diese Fallgeschichten haben eines gemeinsam: Es ist die erlernte Angst, oder genauer, der Versuch, eine bedrohliche Situation zu vermeiden. Ein in der Kindheit erlebter Stress ist die dahinterliegende Ursache dieser Angst.

Mit der Aufdeckung der Ursache beginnt auch die Umformung. Man muss allerdings genau an den Datenspeicher im Gehirn herankommen, in welchem die Ängste entstanden sind: die Emotionen. Das ist aufwendig und geht nicht immer schnell. Doch der Aufwand lohnt sich: Dass Ed nun ohne Schwitzen Vorträge hält, Marta Spinnen sogar nach draußen bringt, Ines mittlerweile wieder Auto fährt und Jörg rechtzeitig seine Aufgaben erledigt, spricht für sich und sollte Ihnen Hoffnung machen!