Read the book: «Lehren und Lernen»

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Herausgeberschaft der Reihe praxis

im hep verlag

Prof. Dr. Jürg Arpagaus

Mitglied der Hochschulleitung der Pädagogischen Hochschule Luzern (PH Luzern)

Prorektor Weiterbildung und Leiter Abteilung Sek II und Tertiär (i. Pu.) an der

PH Luzern

Prof. Dr. Dr. Marc Eyer

Institutsleiter Sekundarstufe II

Pädagogische Hochschule Bern (PH Bern)

Prof. Dr. Esther Kamm

Abteilungsleiterin Sekundarstufe I

Pädagogische Hochschule Zürich (PH Zürich)

Willy Obrist

Vorsteher der Abteilung für Gewerbe-, Dienstleistungs- und Laborberufe (gdl)

Gewerblich-Industrielle Berufsschule Bern (gibb)

Prof. Dr. habil. Manfred Pfiffner

Professur Fachdidaktik der beruflichen Bildung

Pädagogische Hochschule Zürich (PH Zürich)

Dr. phil. Andreas Schubiger

Mitglied der Schulleitung, Leitung Abteilung Berufspädagogik

Zentrum für berufliche Weiterbildung (ZbW), St. Gallen

Prof. Dr. Christoph Städeli

Abteilungsleiter Sekundarstufe II/Berufsbildung

Pädagogische Hochschule Zürich (PH Zürich)


Andreas Schubiger

Lehren und Lernen Ressourcen aktivieren|Informationen verarbeiten|Transfer anbahnen|Auswerten

ISBN Print: 978-3-0355-0646-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-0647-1

Layout & Gestaltung: pooldesign.ch

2., überarbeitete Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

1 Lernverständnis

2 Was wir über gutes Lehren und Lernen wissen

3 Wie Kompetenz entsteht – Lernprozessmodell RITA

3.1 Kompetenz = Wissen x Können x Wollen

3.2 RITA – die Kubatur der Kompetenz

3.3 RITA in der Praxis

4 Unterrichtsplanung

4.1 Planung in zwei Schritten

4.2 Grobplanung

4.3 Feinplanung

5 Methoden

5.1 Methodenübersicht

5.2 Kompetenzwürfel RITA und Methoden

5.3 Selbst- versus Fremdsteuerung

6 Frontalunterricht gut gemacht

6.1 Variationen von Vorträgen

6.2 Unterrichtsgespräch

6.3 Advance Organizer (AO)

6.4 Moderation

7 Instruktion

7.1 Vormachen und Nachmachen

7.2 Cognitive Apprenticeship (Kognitive Meisterlehre)

7.3 Beratende Haltung in der Instruktion

8 Übung macht den Meister – Renaissance der Einzelarbeit

8.1 Fertigkeiten automatisieren

8.2 Übungen im Lernprozessmodell RITA

8.3 Individualisierung und Differenzierung

8.4 Gut geübt ist halb gewonnen

9 Kooperative Lernformen (Gruppenarbeitsformen)

9.1 Phasen von Gruppenarbeit

9.2 Funktion von Gruppenarbeit

9.3 Überlegungen zur Planung von Gruppenarbeit und Gruppenbildung

9.4 Verhalten der Lehrperson während der Gruppenarbeit

9.5 Auswertungsphase

9.6 Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL) als spezielle Form kooperativen Lernens

9.7 Beurteilungskriterien für Gruppenarbeiten

10 Handlungsorientierte Methoden (methodische Grossformen)

10.1 Projektmethode

10.2 Leittextmethode

10.3 Rollenspiel

10.4 Fallstudie

10.5 Simulationen

11 Auswerten

11.1 Wahrnehmung und Bewertung

11.2 Beurteilung im Unterricht

11.3 Arten von Beurteilungen

11.4 Schulische Leistungsbeurteilung als Messvorgang

11.5 Benotungsmodelle

11.6 Konzeption von Prüfungen

11.7 Kompetenzorientiertes Prüfen

11.8 Minimalcheckliste

12 Methodensammlung A – Z

13 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Autor

Vorwort

Die ganze Welt des Lehrens und Lernens in einem einzigen Würfel? – Andreas Schubiger macht es möglich. Ausgehend von jahrelangen positiven Erfahrungen am Zentrum für berufliche Weiterbildung in Sankt Gallen mit Lehr-Lern-Prozessen waren ihm zwei Dinge wichtig. Einmal wollte er sein erfolgreich praktiziertes Lernverständnis in einer gut lesbaren Form offenlegen. Zum anderen wollte er aber auch allen Lehrenden eine übersichtliche Handreichung für die Planung, Durchführung und Auswertung von Unterricht zur Verfügung stellen.

Dass daraus keine «Dienstanweisung für Unterteufel» geworden ist, wie der Schöpfer der Chroniken von Narnia C.S. Lewis 1941 eines seiner Bücher betitelt hat, liegt ganz einfach am hohen Reflexionsniveau dieses Buches. Lehren und Lernen sind für Andreas Schubiger auf den Kompetenzzuwachs ausgerichtete, komplexe Prozesse. Um diese handhabbar zu machen, giesst er sie in einen Würfel, den er als RITA-Modell bezeichnet. RITA ist ein Akronym und steht für die Kompetenzentwicklung in vier Schritten: R = Ressourcen aktivieren, I = Informationen verarbeiten, T = Transfer anbahnen und A = Auswerten. Diese vier Schritte werden der Planung von Unterricht zugrunde gelegt. Mehr noch. Alle gängigen Unterrichtsmethoden, seien es Grossformen wie die Projektmethode oder kleine Einschübe wie die Murmelphase, werden stimmig in dieses Modell eingeordnet, so dass die Lehrenden eine Prüfgrösse für die Angemessenheit des eigenen Handelns erhalten.

Die vielfältigen Unterrichtsmethoden werden darüber hinaus einzeln zu einer umfangreichen Methodensammlung zusammengestellt und in einer Zwölffeldertafel sowohl auf die vier Elemente von RITA als auch auf die drei Basiselemente Wissen, Können und Wollen bezogen. War der Zauberwürfel des Ungarn Erno Rubik (1975) noch ein mechanisches Geduldsspiel, so ist der Zauberwürfel von Andreas Schubiger eine Aufforderung zur nachhaltigen Reflexion über das eigene unterrichtliche Handeln.

Dabei ist es keineswegs einfach, Anhaltspunkte für «guten Unterricht» zu finden. Hilbert Meyer hat dies in seinem gleichnamigen Buch (2004) versucht, indem er teils allgemein akzeptierte Forschungsergebnisse zusammengetragen hat, wie etwa Strukturiertheit und Verständlichkeit, teils aber auch subjektive Erfahrungswerte, wie etwa Methodenvielfalt oder intelligentes Üben. In der Lehrerbildung haben Meyers zehn Merkmale längst die biblischen Zehn Gebote abgelöst. John Hattie ging 2009 in seinem Buch «Visible Learning» noch fundierter vor. In fünfzehn Jahren neuseeländischer Fleissarbeit, die jedem Appenzeller Bergbauern zur Ehre gereicht hätten, führte er die Ergebnisse aus 800 Meta-Analysen zusammen, die ihrerseits wiederum auf über 50 000 empirischen Einzelstudien beruhen. Dabei kommt er zuweilen zu überraschenden Ergebnissen (z. B.: offener Unterricht schadet nicht, nützt aber auch nichts), zuweilen bestätigt er die bislang gewonnenen Einsichten (hohe Bedeutung von Lernzeitnutzung und Klarheit). Hattie zieht in seinem zweiten Buch (2012) daraus die Konsequenzen, die sich aber nicht so anhören, als hätte er, wie The Times Educational Supplement meinte, den «Heiligen Gral» des Lehrens und Lernens gefunden. Hattie (2012, S. 18 f.) fasst zusammen:

1.Lehrpersonen gehören zu den wichtigsten Einflussfaktoren.

2.Lehrpersonen sollten direktiv, einflussreich, fürsorglich und engagiert unterrichten.

3.Lehrpersonen sollten erkennen, was die Lernenden denken und wissen, damit sie den Lernprozess darauf abstimmen können.

4.Lehrenden wie Lernenden sollte klar sein, wie sie die Kluft zwischen dem vorhandenen Lernstand und dem angezielten Lernstand überwinden können.

5.Lehrpersonen sollten von einer einzigen Idee zu zahlreichen Ideen kommen, wie man Lernende bei der Wissenskonstruktion unterstützen kann.

6.Schulleiter wie Lehrpersonen sollten Schulen schaffen, in denen Fehler willkommen sind.

Derartige Aussagen regen sicherlich zum Nachdenken an, doch sie verbessern nicht unbedingt die Welt. So konnte beispielsweise Anton Haas (1998) in seiner bemerkenswerten Studie über die alltägliche Unterrichtsvorbereitung von Lehrkräften zeigen, dass sich diese in der Regel nicht an den studierten fachdidaktischen Theorien orientieren, sondern Unterricht in einer erschreckend unprofessionellen Weise planen, durchführen und auswerten.

Vielleicht schafft es Andreas Schubiger mit diesem Buch, einen Impuls in Richtung besseren Unterrichtens zu geben. Sicher ist dies nicht. Denn wie er selbst schreibt, führt der Weg vom Wissen über Können und Wollen. Und ein Buch ist eben ein Buch und damit zunächst einmal nur Wissen. Können und Wollen müssen in der Folge erst noch entstehen.

Dennoch bin ich der Meinung, dass dieses ausserordentlich hilfreiche Buch ganz sicherlich in die Chroniken von St. Gallen Eingang finden wird.

Prof. Dr. Diethelm Wahl, Psychologie und Erwachsenenbildung

Im Juli 2012

Vorwort des Autors

Dieses Buch basiert auf einer mehr als zehnjährigen Erfahrung in der Ausbildung von Ausbildenden am Zentrum für berufliche Weiterbildung St. Gallen, wo Bildungsverantwortliche verschiedenster Lernorte aus- und weitergebildet werden. Es richtet sich sowohl an Lehrende in Betrieben, überbetrieblichen Kursen, Berufsfachschulen als auch an Lehrpersonen der höheren Berufsbildung. Sicher finden aber auch Lehrpersonen allgemein bildender Schulen der Sekundarstufe II und der Erwachsenenbildung wertvolle Hinweise.

Ursprüngliche Absicht war es, ein Methodenhandbuch zu schreiben. Ich habe mich aber nach verschiedensten Erfahrungen in der Lehrpraxis entschieden, ein umfassendes Lehrbuch mit integriertem Lernprozessmodell und umfassender Methodensammlung zu schreiben. Denn jede Methode zeigt ihre Wirkung erst, wenn sie im Lernprozess begründet, zieladäquat und geplant eingesetzt wird.

Deshalb habe ich die Didaktik des Lehrens und Lernens zu Beginn meiner Ausführungen gestellt. Das Lernverständnis, eine Zusammenfassung empirisch belegter Faktoren «guten Lehrens und Lernens» sowie die Klärung des Kompetenzbegriffs bilden das Fundament. In der beruflichen Grundbildung und höheren Berufsbildung hat sich curricular die Kompetenzorientierung etabliert. Kompetenz, verstanden als Disposition zur Praxisbewältigung, wird inzwischen in der berufspädagogischen Fachwelt weitgehend akzeptiert. Weniger klar ist, wie sich Kompetenzen entwickeln lassen und wie ihre Umsetzung in der Praxis (Performanz) realisiert wird. Die Berufsbildung mit ihrer dualen und trialen Lernortstruktur bietet diesbezüglich aber beste Rahmenbedingungen.

Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen habe ich das Lernprozessmodell RITA entwickelt (Ressourcen aktivieren, Informationen verarbeiten, Transfer anbahnen, Auswerten). Es vereint bekannte didaktische Modelle wie die Lernzielorientierung mit neueren Modellen der Ressourcenorientierung, Kompetenzentwicklung und der Transferdidaktik.

Das Lernprozessmodell RITA dient sowohl der Planung als auch der Analyse von Lernveranstaltungen. Konsequenterweise folgt also ein Kapitel über die Planung, in dem der Grundstein für einen wirkungsvollen Methodeneinsatz gelegt wird. Insbesondere die Ressourcenorientierung bedarf der genauen Analyse der Lernervoraussetzungen, dem Vorwissen, den Vorerfahrungen, Einstellungen und Haltungen der Lernenden.

Vielleicht überrascht es Sie, dass ich im methodischen Teil mit drei konservativen Schwerpunkten beginne: Frontalunterricht – Instruktion – Üben. Gut eingesetzt und mit den neuesten Erkenntnissen angereichert sind diese Lehrformen für die Informationsverarbeitung und den Wissensaufbau insbesondere für das Unterrichten von Novizen und fortgeschrittenen Anfängern unentbehrlich.

Gruppenarbeiten, in der Vergangenheit kaum hinterfragt, zeigen ihre Wirkung nur unter bestimmten Voraussetzungen. In diesem Kapitel fasse ich die wichtigsten Wirkfaktoren zusammen und beschreibe neuere Formen kooperativen Lernens.

Sowohl in der Grundbildung als auch in der höheren Berufsbildung sind die Lehrpläne auf die Ausbildung von Handlungskompetenzen im Sinne eines Transfers in die Praxis ausgerichtet. Das Kapitel über handlungsorientierte Methoden wird diesem Anspruch gerecht. Dabei wirken handlungsorientierte Methoden auf zwei Ebenen. Einerseits wird handelnd gelernt und andererseits bereiten sie auf das Handeln in der Praxis vor.

Mit dem Auswerten von Lernergebnissen schliesse ich den Hauptteil des Buches ab. Prüfen will gelernt sein und das kompetenzorientierte Lehren und Lernen verlangt nach entsprechenden Methoden.

Im hinteren Teil des Buches finden Sie eine umfassende Methodensammlung. Jede Methode wird konsequenterweise zum Lernprozessmodell RITA referenziert. Alle Methoden sind in der Praxis mehrfach erprobt, nichtsdestotrotz müssen sie von den Ausbildenden den eigenen Gegebenheiten angepasst und entsprechend modifiziert werden.

Viele Erkenntnisse und praktischen Beispiele in diesem Buch haben ihren Ursprung in Gesprächen mit Lehrenden und Lernenden. Ich bedanke mich bei allen für Anregungen und kritische Einwände. Ein ganz besonderer Dank gebührt meinem Team des Kompetenzzentrums für angewandte Berufspädagogik, speziell Harry Graschi, Joe Gerig und Susan Rosen, die mich mit Fragen und Hinweisen unterstützten und zur Niederschrift meiner bald 30-jährigen Lehr- und Lernerfahrungen motivierten. Joe Gerig gebührt besonderer Dank, weil er mir insbesondere in der Schlussphase unterstützend und in aller Hartnäckigkeit zur Seite stand.

Dieses Werk läge schliesslich nicht vor, wenn nicht meine Frau Brigitte Riedmann sich immer wieder kritisch mit meinen Gedankenmodellen auseinandergesetzt hätte.

Es freut mich ganz besonders, dass das vorliegende Buch in der Zwischenzeit eine breite Fachleserschaft gefunden hat und wir nach drei Jahren bereits eine zweite, korrigierte Auflage herausgeben dürfen. In den letzten drei Jahren stellte ich das diesem Buch zugrunde liegende kompetenzorientierte Lernprozessmodell in diversen Vorträgen und Schulungen vor. Die positiven Rückmeldungen haben mich darin bestärkt, dass dieses Lernprozessmodell zum didaktischen Handeln im reflexiven, planenden wie ausführenden Sinne anleitet – also nicht einen weiteren Beitrag zum trägen Wissen leistet. Noch mehr freut mich, dass in der Zwischenzeit ganze Bildungsinstitutionen das Modell als Grundlage ihrer didaktischen und berufspädagogischen Ausrichtung verwenden. Ungeachtet dieser positiven Rückmeldungen ist ein solch vorliegendes Modell nur eine Denkstruktur, die zur Umsetzung eine kreative und reflektierte Gestaltung von Lernprozessen durch erfahrene und engagierte Lehrpersonen erfordert.

Dr. Andreas Schubiger

1 Lernverständnis

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Lernverständnis

Wie lernen wir? Ein Buch über das Lehren und Lernen kommt nicht daran vorbei, sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Unser Lernverständnis ist die wesentliche und nicht immer explizite Voraussetzung dessen, was in den folgenden Kapiteln in Form von didaktischen Prinzipien und methodischen Umsetzungen beschrieben wird.

Am Kompetenzzentrum für angewandte Berufspädagogik des ZbW hat sich ein Lernverständnis entwickelt, welches wir hiermit offenlegen. Dieses beruht auf vielfältigen Erfahrungen aus der Durchführung von Lehrgängen der höheren Berufsbildung und der Aus- und Weiterbildung von Berufsbildungsverantwortlichen verschiedenster Lernorte.

Wir verstehen das Lehren und Lernen als ein Wechselspiel zwischen Instruktion und Konstruktion, als Balanceakt zwischen einer anleitenden und orientierenden Hilfestellung durch die Lehrenden und selbstgesteuerter Aktivitäten der Lernenden. Lehren und Lernen verstehen wir als partnerschaftliches Zusammenspiel zwischen Lehrenden und Lernenden. Voraussetzung für ein gelingendes Lernergebnis ist daher eine hohe Leistungsbereitschaft der Lehrenden und Lernenden.

Handlungswissen allein führt aber noch nicht zu professionellem Handeln, vielmehr muss die Umsetzung durch verschiedene Begleitmassnahmen unter Einbezug der Praxis, durch handlungsorientierte Lehr- und Lernformen, intelligente Übungsmöglichkeiten und transferorientierte Übungen angeleitet und unterstützt werden.

Lernen ist ein aktiver, selbstgesteuerter Prozess

Lernen bedeutet, sich aktiv mit Lerninhalten zu beschäftigen. Dies verhindert die Entstehung von trägem Wissen. Die Lernenden erhalten Gelegenheit, sich mit den Lerngegenständen handelnd auseinanderzusetzen und dieses Handeln zu reflektieren. Lehrende ermöglichen den Lernenden durch die Gestaltung der Lernumgebung einen aktiven und selbstgesteuerten Umgang mit den Lerngegenständen. Ihnen kommt die Aufgabe zu, so viel Selbststeuerung wie möglich zu initiieren und so wenig Fremdsteuerung wie nötig zu leisten. Dies weckt das Interesse und fördert die Offenheit, sich auf Lernangebote einzulassen, sich fragend mit Theorien auseinanderzusetzen, handelnd neue Erfahrungen zu sammeln und neue Erkenntnisse zu reflektieren.

Lernen ist ein konstruktiver Prozess

Die Lernumgebung wird so gestaltet, dass die Lernenden Phänomenen fragend begegnen und sich ihre eigenen Antworten konstruieren können. Lernen verstehen wir konstruktivistisch als individuellen Aufbau von Wissensstrukturen, die mit verschiedenen Situationen und sozialen Zusammenhängen verbunden werden.

Lernen ist ein kumulativer Prozess

Lernen ist ein Anknüpfen an Vorwissen und Erfahrungen. In Lerngruppen bestehen diesbezüglich unweigerlich unterschiedliche Voraussetzungen. Die Lehrenden nehmen auf diese Unterschiede Rücksicht und ermöglichen den Austausch der Erfahrungen und das Anknüpfen an individuellem Vorwissen.

Lernen ist ein zielorientierter Prozess

Ausbildungen ermöglichen das Erreichen bestimmter Lernziele. Es ist die Aufgabe von Lehrenden, diese Ziele transparent zu kommunizieren und den Lernenden die Möglichkeit zu geben, sich daran zu messen. Ziele dienen der Planung, Durchführung und Überprüfung von Handlungen. Offene Lernumgebungen ermöglichen den Lernenden unter Berücksichtigung der generellen Zielsetzungen, auch individuelle Lernziele zu verfolgen.

Lernen ist ein sozialer Prozess

Auch wenn die Konstruktion der Wirklichkeit ein individueller Prozess ist, geschieht das Lernen in der Interaktion zwischen Lernenden und den Lehrenden. Die Gruppe wird als Lernfeld zur Erweiterung der personalen und sozialen Kompetenzen genutzt. Dieser soziale Austausch wird durch die Gestaltung der Lernumgebung unterstützt und gefördert.

Lernen ist ein situativer Prozess

Kompetenzen sollten in Situationen erworben werden, die der zukünftigen Praxis entsprechen. Deshalb empfiehlt es sich, Beispiele aus der Praxis als Lerngegenstände zu wählen. Anwendungen erfolgen nach Möglichkeit in der eigenen Praxis.

Lernen ist die Transformation von Wissen in kompetentes Handeln

Wissen allein genügt nicht, um in der Praxis kompetent zu handeln. Der Weg vom Wissen zum kompetenten Handeln ist weit. Er muss erst durch geeignete Lernumgebungen und entsprechend günstige Bedingungen angebahnt und geschaffen werden. Professionelle Handlungskompetenz bei den Lernenden und Studierenden erreichen wir durch die Gestaltung von handlungswirksamen Lernumgebungen. Das vermittelte Wissen leitet zunächst nur zum Handeln an. In Übungen können dann praktische und kognitive Fertigkeiten erlangt werden. Durch angeleitetes Selbststudium wird schliesslich der Praxistransfer gefordert und gefördert.

2 Was wir über gutes Lehren und Lernen wissen

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Was wir über gutes Lehren und Lernen wissen

Weder die richtige Methode noch das eine universelle didaktische Konzept garantieren «gutes Lehren und Lernen». Selbst die Forschungsergebnisse über die Wirkung von handlungsorientiertem Unterricht sind äusserst widersprüchlich (Nickolaus, 2008). Weniger die Methoden selbst als vielmehr die Qualität des Unterrichts haben einen Einfluss auf den Lernerfolg bei den Lernenden (Nickolaus, 2008, Helmke, 2004, Meyer, 2004). Methoden helfen uns allerdings bei der Umsetzung. Folgende übergeordnete Faktoren werden von der aktuellen Forschung für das Gelingen von Lernprozessen herausgestellt:


Faktor Was ist damit gemeint? Methodische Beispiele
Inhaltliche Klarheit Transparenz Struktur •Das Ziel der Lernveranstaltung ist den Lernenden bekannt. Aufgabenstellungen sind den Fähigkeiten der Lernenden angepasst. Der inhaltliche Ablauf ist den Lernenden jederzeit bewusst. Der Inhalt ist in zusammenhängende Abschnitte unterteilt. Die Lernenden können einen persönlichen Bezug durch Reaktivierung der Erfahrungen und der Vorkenntnisse herstellen. Der Unterrichtsverlauf orientiert sich an einem roten Faden und an der Zielerreichung. •Die Unterrichtsschritte folgen einer inneren Logik und sind nicht beliebig aneinandergereiht. Der Unterricht wird mit einem klaren und beabsichtigten Lernprozessmodell geplant. Er zielt auf den Erwerb konkreter Kompetenzen und verfolgt entsprechende Lernziele. Lehrende und Lernende wissen immer, in welcher Phase sie sich befinden. Die methodischen Schritte sind folgerichtig und den Kompetenzen und Lernzielen angepasst. Es ist ein grundlegendes Prinzip erkennbar wie: –Vom Konkreten zum Abstrakten –Vom Abstrakten zum Konkreten –Von der Fremdsteuerung zur Selbststeuerung –Vom Einfachen zum Komplexen –Von der Distanziertheit zur Nähe •Der methodische Grundrhythmus ist in voneinander abgegrenzte Phasen gegliedert. Die Lernenden wissen immer, was sie zu tun haben. Die Aufgaben sind eindeutig formuliert. Es besteht Regelklarheit und den Akteuren ist bewusst, welche Rolle sie einzunehmen haben. –Partnerinterview mit Leitfragen –Agenda –Informierender Einstieg –Advance Organizer –Lernzielkontrollen –Sandwich –Gelenkstellen –Methodenwechsel (in Abstimmung mit Zielen) –Schriftliche Aufträge –Zurückhaltendes Verhalten während individueller und kooperativer Phasen
Sinnhaftigkeit •Die Lehrperson zeigt auf, worauf die neue Lerneinheit aufbaut und wo sie hinführt. Die Lernenden haben die Möglichkeit, eigene Bezüge herzustellen. Die Einführung ins neue Thema ermöglicht den Lernenden, ihre eigenen Interessen zu entwickeln. Die Lernenden bringen sich mit eigenen Impulsen und Fragestellungen ein. –Advance Organizer –Planungsbeteiligung –Problemspeicher –Reflexionsmethoden –Portfolioarbeiten –Lernjournal –Feedbackmethoden
Methodenvielfalt •Lehrende verwenden eine Vielfalt von Methoden. Die methodischen Kleinformen werden den Lernzielen entsprechend eingesetzt. Zwischen ihnen werden die Übergänge fliessend und sinnstiftend gestaltet (keine Aneinanderreihung beliebiger Methoden). Die Lehrenden können auch ausserhalb der Planung zusätzliche Methodenentscheidungen fällen. –Sandwich –Kleinformen von Methoden –Handlungsorientierte Methoden
Klima Interaktion •Unter den Lernenden und zwischen Lernenden und Lehrenden herrscht gegenseitiger Respekt. Es halten sich alle an die gemeinsam erstellten Regeln. Regelverletzungen werden wahrgenommen und geahndet, ohne aber die Störung überzubewerten. –Kriterienbasierte Bewertung von Lernleistungen –Sachbezogene und wertschätzende Rückmeldungen –Kooperative Lernformen ermöglichen und unterstützen
Adaptivität Passung •Die Lehrperson ist in der Lage, auf Abweichungen zwischen Planung und aktueller Lernsituation zu reagieren. Das heisst, sie kann ihr Interaktionshandeln der aktuellen Situation der Lerngruppe wie auch einzelner Lernenden anpassen. –Prozesshafte Rückmeldungen –Formative Lernzielkontrollen –Didaktische Weichen
Nutzung der Unterrichtszeit (time on task) •Die durch den Stundenplan vorgegebene Unterrichtszeit wird optimal für das eigentliche Lernen genutzt. –Organisatorisches und Störungsanfälliges zu Beginn oder am Ende des Unterrichts klären –Rhythmisierung mit klaren Gelenkstellen –Schriftliche Aufträge mit Verständnissicherung
Üben Selbststeuerung und Unterstützung •Dem Üben wird genügend Zeit eingeräumt. Dies nicht nur in der Form von Hausaufgaben, sondern auch während des Unterrichts. Die Übungen sind gut erklärt und dem Leistungsvermögen der Lernenden angepasst. Die Lernenden haben die Möglichkeit, ihrem Leistungsvermögen entsprechend Übungen auszuwählen. Während der Übungsphasen wird eine ungestörte Lernatmosphäre eingefordert. Die Lernenden erhalten auch Anleitung bezüglich Arbeits- und Lernstrategien. –Rhythmisierung –Schriftliche Aufträge –Übungen zur Auswahl mit deklarierten Kriterien –Klare Signale für ruhiges Arbeiten –Auch Lehrperson kommuniziert nur im Flüsterton –Modelling von schwierigen Übungen
Lernumgebung Organisation •Es wird darauf geachtet, dass das Lernmaterial bereitsteht und den Lernenden ohne grössere Umstände zugänglich ist. •Die Infrastruktur ist zweckmässig vorbereitet. –Unterrichtsunterlagen –Lehrperson nutzt individuelle Phasen dazu, die nächsten vorzubereiten
Leistungserwartung •Die Lehrperson orientiert sich an den Vorgaben von Lehrplänen und strebt die Erreichung der Lernziele an. Die Erreichung der Lernziele wird kontinuierlich überprüft und im Sinne einer steten Verbesserung den Lernenden zurückgemeldet. Die Lernenden werden weder über- noch unterfordert, sondern gemäss der «Zone der nächsten Entwicklung» (Vigotzki, 1978) gefordert und gefördert. –Individuelles Lerntempo zur Zielerreichung ermöglichen –Repetitionen einbauen –Abfragen und Sichtbarmachen der Ressourcen –Formative Lernleistungskontrollen –Individuelle Beratung und Förderung
Situierung •Zwischen der Lernsituation und dem Berufsalltag, aber auch dem persönlichen Alltag besteht ein direkter Bezug. Bei der Annäherung an das Thema, beim Erarbeiten neuen Wissens, beim Üben und Anwenden in Transfersituationen sollen wenn möglich Beispiele aus der Praxis herangezogen werden. –Problembasiertes Lernen –Fallbeispiele –Fallstudien –Umsetzungsaufgaben –Portfolioarbeiten –Projekte