Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962)

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Die Kunstschutztätigkeit, die außer in Frankreich und Serbien in der dem OKH unterstehenden institutionalisierten Form auch in Griechenland35 und Norditalien36 stattfand, wurde bislang nur in Aufsatzliteratur untersucht. Eine Monographie von Fuhrmeister dazu ist im September 2019 erschienen, konnte aber aus Zeitgründen hier nicht mehr in Bezug auf Italien ausgewertet werden.37 Für die Universität Trier bereitet Raik Stolzenberg eine Dissertation unter dem Titel „Der ‚Kunstschutz‘ der deutschen Wehrmacht im besetzten Griechenland (1941–1944)“ vor. In Griechenland arbeitete der militärische Kunstschutz eng mit dem Deutschen Archäologischen Institut38 gegen die Bestrebungen des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg39 zusammen. Letztlich setzten sich nach Gaertringen die Kunstschützer durch.40 Kankeleit folgt zum Teil dieser Sichtweise: „Festzuhalten bleibt, dass während der Besatzungszeit kein systematischer Raub oder eine von oben verordnete Zerstörung der Antiken stattgefunden hat.“ Andererseits aber moniert sie die Ignoranz der Archäologen gegenüber den Schattenseiten der Besatzung: „Die in Griechenland tätigen deutschen Archäologen waren Repräsentanten eines gebildeten Großbürgertums philhellenischer Prägung. Sie profitierten von der nationalsozialistischen Ideologie, die ihre ‚geistige und kulturelle Überlegenheit‘ gegenüber anderen Völkern manifestierte. Mit staatlicher Unterstützung konnten sie sich auf ihre archäologischen Aktivitäten konzentrieren und alle Verbrechen, die in der direkten Umgebung stattfanden, ignorieren.“41 Trifft diese Diagnose auch auf Serbien zu?

Floudas Aufsatz ist eine Fallstudie über den auf Kreta tätigen österreichischen Kunstschützer August Schörgendorfer (1914–1976). Methodisch folgt sie, wie auch die vorliegende Arbeit, dem „paradigmatic shift of emphasis from collective to personal narratives“ und besorgt, ähnlich wie die vorliegende Studie, eine „combined study of official and personal archival testimonies“. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „archaeological research during the Nazi regime was not just dictated from above“, wobei der Fall Schörgendorfer auch zeige, „how military and research institutions in totalitarian regimes prevailed over archaeological ethics, and also how their priorities were filtered through personal academic interests and ambitions.“42 Es wird zu überprüfen sein, in welchem Wechselspiel militärische Interessen und die persönlichen Ambitionen von Reiswitz sich im Falle des Kunstschutzes in Serbien bewegten. Inwieweit war Reiswitz’ Tätigkeit „dictated from above“?43

Gesamtdarstellungen der deutschen Besatzungsherrschaft in Serbien liegen in ausreichender Zahl vor.44 Keines dieser Überblickswerke aber widmet sich der Arbeit des Kunstschutzes. Marjanović, der im Jahre 1963 eine Studie des deutschen Besatzungssystems vorlegte, erwähnt lediglich ein nicht näher bezeichnetes „Command for the Gathering of War Booty“45, womit vermutlich der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg gemeint war.

Gegen Ende seiner 1993 erschienenen Studie über die deutsche Besatzungspolitik in Serbien von 1941 bis 1942 konstatiert der Politikwissenschaftler Manoschek: „Das im NS-System typische institutionelle Chaos gab es auch in Serbien.“46 Obwohl Manoschek in serbokroatischer Sprache verfasste Literatur ignorierte – wie z. B. Kresos ursprünglich 1970 als Magisterarbeit vorgelegte grundlegende Studie über die deutsche Militärverwaltung47 –, so bietet sein Buch doch weiterhin eine hinreichende Einführung in die Struktur der militärischen Besatzung Serbiens. Allerdings befasst sich Manoschek in der Hauptsache nur mit einem der beiden Stäbe des Chefs der Militärverwaltung, dem Kommandostab. Den Verwaltungsstab, innerhalb dessen der Kunstschutz angesiedelt war, behandelt Manoschek nur äußerst kursorisch. Der Nachfolger Harald Turners als Chef der Militärverwaltung, Egon Bönner, wird mit keinem Wort erwähnt. Der Kunstschutz tritt gar nicht in Erscheinung.

Kresos Abhandlung hingegen widmet sich – anders als neun Jahre zuvor Čulinović48 – detailliert auch und gerade der Arbeit des Verwaltungsstabes. Der 2015 verstorbene Kreso erwähnt auch Bönner und dessen Nachfolger Danckwerts – bei beiden Namen gerät die Schreibweise durcheinander49 – doch fehlt die Nennung von Reiswitz. Die Arbeit des Kunstschutzes beschreibt Kreso als lediglich im deutschen Interesse. Allerdings hebt er hervor, dass der Kunstraub keine „offizielle Aufgabe“ des Kunstschutzes gewesen sei. Dafür sei der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg zuständig gewesen, dessen Tätigkeit in Serbien gestreift wird.50 Trifft dies tatsächlich zu? Oder war der militärische Kunstschutz nicht doch in den Kunstraub verwickelt?51

Allen bisherigen Darstellungen des Wirkens der deutschen Militärverwaltung in Serbien ist gemein, dass sie sich sich entweder mit rein militärischen bzw. wirtschaftlichen Fragen befassen, oder aber mit der Judenvernichtung. Bislang fehlt eine Gesamtschau, die über den Gesamtzeitraum der Jahre 1941–1944 alle Abteilungen der Militärverwaltung abdeckt, auch das Bauwesen, die Finanzen, die Justiz, das Arbeitsressort und auch die dem SS-Standartenführer Dengel unterstehende Pferdezucht, so dass es noch nicht möglich ist, den Kunstschutz im Kontext der Militärverwaltung zu beurteilen.

Schlarp gelangte bereits 1986 zu dem Schluss, dass eine „effektive Koordination“ der wirtschaftspolitischen Maßnahmen durch die deutschen Besatzer auch in Serbien an der „Unfähigkeit der nationalsozialistischen Machthaber“ scheiterte. Wie „effektiv“ bzw. „unfähig“ arbeitete der Kunstschutz? Das „Dritte Reich“ konnte nur „marginal“ von der Indienststellung der serbischen Wirtschaft während des Krieges profitieren und erlitt darüber hinaus durch die „ausbeuterische Praxis“ einen erheblichen „Vertrauensverlust“.52 Inwiefern trifft dieses Szenario auch auf den von der Wehrmacht eingerichteten Kunstschutz zu?

Schlarp weist darauf hin, dass innerhalb der Militärverwaltung die Beamten des Verwaltungsstabes, zu denen auch Reiswitz gehörte, nicht nur die serbische Kollaborationsregierung zu kontrollieren hatten, sondern auch versuchen sollten, die serbische „Bevölkerung für die Sache des Reiches zu gewinnen“. Der kulturelle Bereich, zu dem der Kunstschutz gehörte, hatte dabei durchaus Handlungsspielraum, war „sehr viel unabhängiger als etwa das Finanzwesen oder der Bergbau.“53 Konnte der Kunstschutz diese Gelegenheit nutzen?

Auf den Vorarbeiten von Schlarp fußend, befasst sich Ristović in seiner ursprünglich 1991 erschienenen und 2005 wiederaufgelegten Studie insbesondere mit der deutschen Wirtschaftsplanung in Bezug auf Südosteuropa und kommt zu dem Ergebnis, dass Serbien nur eine passive Rolle zugedacht war und es damit zusammen mit Griechenland in der „neofeudal pyramid of conquered and vassal ‘allied’ peoples and states“ in Südosteuropa den Bodensatz bildete. Allerdings ist die Befundlage nicht eindeutig dahingehend, ob Serbien reiner Agrarstaat und Arbeitskräftelieferant sein sollte oder aber zum deutschen Nutzen innerhalb der anvisierten „Großraumwirtschaft“ auch Nutznießer industrieller Modernisierung hätte sein können. Als aktiver Planer oder gar akzentsetzende Stelle jedenfalls tritt die Belgrader Militärverwaltung, anders als bei Schlarp, bei Ristović kaum in Erscheinung. Auch Erpenbeck hatte in seiner Studie, trotz ihres Titels, die „Militärverwaltung“ nur insoweit im Fokus, als es um rein militärisch-operative Belange ging, die Sache des Kommandostabes waren. Der Verwaltungsstab findet nur kurze Erwähnung.54

Abgesehen von Brownings Aufsatz über Turner55 fehlt es völlig an biographischen Studien über die Militärverwaltungschefs Bönner und Danckwerts. Selbst der von Reiswitz als „Arsch mit Ohren“ bezeichnete Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft in Serbien, Franz Neuhausen, wurde bislang nicht bedacht. Über untergeordnete Beamte im Range von Oberkriegs- bzw. Militärverwaltungsräten und darunter gibt es ebenfalls keine wissenschaftlichen Arbeiten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die aber in keinem Fall an eine biographische Studie heranreichen.56

Wie an einer Gesamtdarstellung der nichtmilitärischen Arbeit der deutschen Verwaltung im besetzten Serbien fehlt es auch an einem opus magnum zur Politik der Kollaborationsregierung. Überzeugende Vorarbeit hat hier Stojanović geleistet.57

In Abwesenheit struktureller Verbindlichkeit ergeben sich individuelle Handlungsspielräume, da letztlich politische Entscheidungen „nicht von Strukturen, sondern von Menschen getroffen“58 werden. In den Jahren 1941–44 wurden im besetzten Serbien viele der unheilvollsten Entscheidungen von österreichischen Militärs getroffen. Diese Diagnose stellt Manoschek und gibt dabei sogar den „cool tone“ – so Steinberg – des Historikers auf: „Manoschek is particularly angry at his fellow Austrians.“59 Viele dieser österreichischen Offiziere waren bereits im Ersten Weltkrieg in Serbien in Erscheinung getreten und trachteten nun nach Genugtuung für die von ihnen als Schmach empfundene Niederlage.60 Der erste Chef der Militärverwaltung, der aus Hessen stammende Jurist Harald Turner, zeichnete sich allerdings eher durch seine antisemitische denn serbophobe Grundhaltung aus und vermochte schon im August 1942, nachdem die Mordaktionen abgeschlossen waren, Serbien für „judenfrei“ zu erklären.61

Konnte bei dieser Konstellation ein preußischer Baron dienstlich reüssieren, der es als Historiker strikt ablehnte, „eine heranwachsende Generation in den Vorurteilen der Habsburgischen Monarchie … zu erziehen“62, und zu dessen engsten Freunden ein Berliner und ein Belgrader Jude zählten? Konnte ein zu fünfzig Prozent Kriegsversehrter mit nach Aussage des dritten Chefs der Militärverwaltung „fraglicher“63 soldatischer Eignung, dem noch kurze Zeit vor seinem Amtsantritt als Leiter des Kunstschutzes in Serbien der spätere Rektor der Universität München „unmännliche Unentschlossenheit“ attestiert hatte, erfolgreich wirken? Vermochte ein Mann, dem nach seiner Ankunft in Belgrad im Juli 1941 mehrfach nachgesagt wurde, Freimaurer und Serbenfreund zu sein, seine Aufgabe als einziger Kunstschützer im Lande so erfüllen, dass er 2014 in der offiziellen Geschichte des serbischen Militärmuseums als „Lichtgestalt in deutscher Uniform“64 etikettiert wurde? Konnte der schwächliche Serbenfreund und seit mehreren Jahren erfolglos um eine Dozentur kämpfende parteilose Südosteuropahistoriker im Range eines Majors seinen ganz persönlichen Plan der Denkmalspflege, den er siebzehn Jahre zuvor bereits zu konzipieren begonnen hatte, als Angehöriger einer Wehrmacht, die in Belgrad 1941 rund 4.750 Geiseln erschoss,65 im Alleingang in die Tat umsetzen?

 

Studien, die das Wirken einzelner Wissenschaftler zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland erhellen, sind keine Seltenheit,66 insbesondere nachdem das wissenschaftliche Genre der Biographie in Deutschland wieder verstärkt salonfähig wurde.67 Zunehmend werden einzelne Gelehrte nicht mehr ausschließlich entweder als Opfer, Täter oder Mitläufer gesehen. Es ist erkannt worden, dass viele Forscher versuchten, die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik, der ein „Masterplan“68 fehlte, für ihre eigenen Ziele zu nutzen. Diese Ziele konnten sowohl wissenschaftlicher Natur sein als auch persönliche Ambitionen in den Vordergrund stellen. In der Regel handelte es sich aber um ein Wechselspiel bei der Nutzung von Ressourcen.69 Die Minderheit der bislang untersuchten Wissenschaftler war schon fest im Wissenschaftsbetrieb etabliert, sei es in den Universitäten, oder auch in bestehenden oder nach 1933 neu geschaffenen Forschungseinrichtungen. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu ergründen, wo der Münchener Südosteuropahistoriker Johann Albrecht von Reiswitz in diesem Zusammenhang zu verorten ist. Insofern kann sie auch einen Beitrag leisten zur Erforschung der Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität zur Zeit des „Dritten Reiches“.

Historikerkarrieren im Nationalsozialismus haben ebenfalls das Augenmerk der Forschung auf sich gezogen.70 Eine Vielzahl von Studien widmet sich der Frage nach dem aktiven Beitrag von Geschichtswissenschaftlern bei der Legitimierung und Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft.71 Auch die Gruppe der Ost- bzw. Südosteuropahistoriker hat dabei bereits Aufmerksamkeit erfahren72, wobei in der Regel die Tätigkeit der Ordinarien oder aber die Arbeit bestimmter Forschungseinrichtungen unter die Lupe genommen wurde. In ihrer Arbeit über den Osteuropahistoriker Peter Scheibert (1915–1995) kommt die Autorin zu dem Schluss, dass wegen der signifikanten Ambivalenzen, Kontinuitäten und Widersprüche „für die Zeit des ‚Dritten Reiches‘ und auch für die Frage nach der … Motivationsstruktur die Biographie eines Historikers in jedem Einzelfall zu hinterfragen ist.“73 Dieser Aussage schließt sich der Verfasser an.

Quellen

Der private Nachlass – im Folgenden schlicht „Nachlass“ – von Johann Albrecht von Reiswitz, der dem Verfasser durch die Familie des 1962 Verstorbenen zu Studienzwecken übergeben wurde, ist zwar fragmentarisch und ungeordnet, doch umfasst er eine reichhaltige Überlieferung an sowohl privatem als auch dienstlichem Schrifttum, das erstmalig zu Forschungszwecken herangezogen werden konnte und die Quellenbasis der Arbeit bildet. Dokumente aus dem Nachlass werden dergestalt zitiert, dass sie im Fußnotenapparat eindeutig identifizierbar bleiben. Bei Briefen werden z.B. das Datum und die Namen von Absender und Empfänger genannt, ohne allerdings in jedem Einzelfall den Nachlass als Quelle anzugeben.74 Alle Archivalien hingegen, die nicht aus dem Nachlass stammen, werden gemäß der üblichen wissenschaftlichen Verfahrensweise zitiert.

Reiswitz hatte die Gewohnheit, auch von seiner Privatkorrespondenz Durchschläge zurückzubehalten. Mehrere hundert Kopien von Briefen an seine Frau konnten in dieser Form ausgewertet werden. Seine Briefe aus Belgrad in den Jahren 1941–44 beinhalten sowohl private wie dienstliche Komponenten.75 Da die Originale wohl verloren gegangen sind, kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob und inwieweit die Briefe an seine Frau und an eine geringere Zahl weiterer privater Empfänger, wie seine Mutter oder eine enge Freundin, der Militärzensur unterlagen. Auffällig ist, dass er durchaus, wenn auch in der Regel nicht zu detailliert und oft in Anspielungen, Kritik an der deutschen Besatzungpolitik bzw. einzelnen Vertretern der Militäradministration übte. Die Briefe an seine Frau Erna Böcks (1906–1988) dienen in dieser Studie weniger einer psychologischen Evaluation von Reiswitz, wozu sie durchaus herangezogen werden könnten, da er in ihnen häufig auf seine Sorgen und Nöte als Besatzer einging. Sie bieten vielmehr eine ausgezeichnete Grundlage dafür, persönliche Schwerpunkte, die er seiner Arbeit als Kunstschützer setzte, zu ermitteln. Sie können damit als Korrektiv zur dienstlichen Korrespondenz dienen. Generell kann von einem hohen Glaubwürdigkeitsgrad der Briefe von Reiswitz an seine Frau ausgegangen werden, die ihm ebenfalls regelmäßig an seine Feldpostadresse schrieb. Die Briefe von Erna von Reiswitz, „Böckschen“, wurden hier aber nicht ausgewertet, da sie inhaltlich fast ausschließlich um rein private Themen kreisten. Von einer Analyse der Beziehung der Eheleute zueinander oder der von Reiswitz zu seinen Kindern ist angesichts der Fragestellungen dieser Arbeit ebenfalls abgesehen worden. Aus der Ehe mit Erna Böcks ging der Sohn Stefan (geb. 1931) hervor. Die Ehe wurde 1948 geschieden. Ein Jahr später heiratete Reiswitz Elisabeth Reichel (1918–1995). Aus dieser zweiten Ehe stammen der Sohn Christoph (geb. 1950) und die Tochter Bettina (geb. 1956).

Hinzu kommen aus dem privaten Nachlass Durchschläge von Briefen an diverse Einzelpersonen, die einerseits häufig aus dem Bereich der Wissenschaft stammen, andererseits aber auch romantische billets doux umfassen. Zum Teil ergänzen sich Reiswitz’ Durchschläge mit den Originalbriefen seiner Korrespondenzpartner, so dass streckenweise ein vollständiger Briefwechsel erhalten geblieben ist. Für die Rekonstruktion der Genese von Reiswitz’ Interesse an Serbien war insbesondere die Auswertung von Reiswitz’ Korrespondenz mit Vida Davidović, einer jungen Serbin aus dem heutigen Zrenjanin, von Bedeutung.

Neben Briefen finden sich im Nachlass auch tagebuchartige Aufzeichnungen. Diese reichen von unvollständig erhaltenen Dienst- und Taschenkalendern hin zu längeren, teilweise sehr intimen Tagebuchnotizen. Den Aussagen seiner Kinder zufolge führte Reiswitz regelmäßig privat Tagebuch, doch sind nur gewisse Jahrgänge und auch diese nicht immer vollständig erhalten.76

Im Laufe der vorliegenden Arbeit wird ganz bewusst aus vielen Primärquellen Reiswitz’scher Provenienz ausführlich zitiert, so dass der Leser ein besseres Gespür dafür entwickelt, der Gedankenwelt und dem „Duktus“77 des Protagonisten zu folgen. Ein vielleicht aus platzökonomischer Sicht zu rechtfertigender Verzicht auf solche längeren Passagen oder ihre Kürzung bzw. Paraphrasierung würden dem gewählten methodischen Zugriff nicht gerecht. Dabei gilt es klar zu konstatieren, dass bei aller Würdigung der Quellen diese damit nicht den argumentativen Diskurs der Arbeit beherrschen. Ein weiteres Argument für die Einbindung längerer Zitate ist dem besonderen Umstand schuldig, dass derzeit die im Privatnachlass befindlichen Quellen der Forschung nur schwer zugänglich sind.

Äußerst ertragreich waren die im Nachlass gefundenen Aktenbestände des Kunstschutzes in Serbien, die Reiswitz im September 1944 nach Deutschland transportieren ließ. In den Folgejahren kam es zu unfreiwilligen und freiwilligen Teilabgaben dieser Bestände an verschiedene Archive. Reiswitz übergab auf Befehl der amerikanischen Besatzungsmacht einen Teil der Akten dem Munich Collecting Point, von wo aus diese viele Jahre später ins Bundesarchiv – Militärarchiv gelangten und vom Verfasser erstmalig ausgewertet werden konnten.78 Ein weiterer Teilbestand gelangte nach seinem Tod auf Umwegen in die Bayerische Staatsbibliothek und wurde dort erstmalig von Kott teilinventarisiert und ausgewertet. Ferner beherbergt der Nachlass Reiswitz im Archiv der Universität München mehr als ein Dutzend Kisten, von denen der Verfasser allerdings nur fünf einsehen durfte. Diese beinhalten ebenfalls dienstliche Vorgänge aus der Kunstschutzzeit in Serbien. Detaillierten Packlisten zufolge, die im Bundesarchiv – Militärarchiv überliefert sind, konnte aber dennoch nicht das gesamte Kunstschutz-Aktenmaterial ausfindig gemacht werden, das Reiswitz 1944 nach Deutschland bringen ließ. Ein Teil ist vielleicht auf dem Weg von Serbien nach Deutschland den Kriegswirren zum Opfer gefallen, oder nach dem Tode von Reiswitz vernichtet worden. Gut möglich ist es auch, dass ein Teil des Materials in Serbien verblieb, da Reiswitz auf eine Fortsetzung seiner Arbeit durch den serbischen Denkmalschutz hoffte. Oder aber die fehlenden Bestände befinden sich in den nicht zugänglichen Kisten des Archivs der Münchener Universität. Es wäre wünschenswert und entspricht auch dem Willen der Nachkommen, wenn der private Nachlass, der sich momentan noch beim Verfasser befindet, und die Nachlässe in der Staatsbibliothek bzw. im Universitätsarchiv zusammengeführt werden könnten.

In Serbien wurde das Archiv der Stadt Belgrad konsultiert, wo Spuren von Reiswitz auszumachen waren, ferner das Archiv Serbiens mit seinen Beständen über die Arbeit des serbischen Unterrichtsministeriums79 in Verbindung mit dem Kunstschutz, der Fond Marambo im Archiv Jugoslawiens, wo sich Dokumente über den Archivschutz finden, das Archiv des Museums in Zrenjanin, wo die Fundstücke der vom Kunstschutz organisierten Grabung von Crna Bara liegen. Das Archiv der Matica Srpska in Novi Sad beherbergt die Kriegstagebücher des Reiswitz-Freundes und Staatsarchivdirektors Milan Jovanović Stojimirović und die Außenstelle des Archivs der Serbischen Akademie der Wissenschaften in Sremski Karlovci den Nachlass des Archäologen Miodrag Grbić.

Ferner wurden diverse Archivalien aus Deutschland ausgewertet. Am reichhaltigsten sind sicherlich die Bestände des Bundesarchivs in Berlin bzw. des Bundesarchivs – Militärarchivs in Freiburg. Ersteres beinhaltet den „Ahnenerbe“-Bestand über die Grabungen in Serbien während des Zweiten Weltkrieges und die Ahnenerbe-Akten der wichtigsten daran beteiligten Wissenschaftler, aber auch die Akten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu den Reiswitz gewährten Stipendien. In Freiburg ruht die militärische Personalakte von Reiswitz ebenso wie ein Teil seiner Lageberichte und der Kunstschutzakten. Aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes wurde Material zur Auseinandersetzung zwischen Reiswitz und Fritz Valjavec herangezogen und die überschaubaren Bestände zum Kunstschutz in Serbien durchgesehen.

Das Bayerische Hauptstaatsarchiv in München führt die Personalakte von Reiswitz, die schon Fuhrmeister heranzog. Im Archiv der Humboldt-Universität liegen die Bestände von Reiswitz’ Promotions- und Habilitationsverfahren, seine Personalakte und seine Dozentenschaftsakte. In der Bibliothek der Humboldt-Universität fand sich auch Reiswitz’ ungedruckte Dissertationsschrift. Das Archiv des Museums für Vor- und Frühgeschichte bewahrt Akten über Reiswitz’ Ohridausgrabung auf, ebenso das Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts, dass auch Akten über die schon vor Kriegsbeginn mit Jugoslawien 1941 geplanten Ausgrabungen am Kalemegdan, ebenso wie auf die Biographica-Mappe des Kunstschutz-Mitarbeiters Friedrich Holste enthält. Um die Ohridgrabung geht es auch in der Korrespondenz von Wilhelm Unverzagt, die im Archiv der Römisch-Germanischen Kommission in Frankurt am Main aufbewahrt wird. Im Berliner Geheimen Staatsarchiv ist das Reiswitz vom preußischen Kultusminister über Jahre hinweg gewährte Stipendium dokumentiert.

Hinzu kommen Archivalien aus dem Archiv des Peabody Museum for Archaeology and Ethnology in Cambridge, USA, über die Reise des Reiswitz-Konkurrenten Fewkes in Mazedonien und ein Hinweis zu Fewkes aus dem Archiv der University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology. Schließlich wurden die Direktionsakten des Österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien konsultiert, welche Auskunft über die Arbeit des Archivschutzes in Belgrad geben.

 

Über den Privatnachlass Reiswitz und die archivalischen Quellen hinaus wurde für die vorliegenden Studie eine Vielzahl von zeitgenössischen, vornehmlich jugoslawischen Zeitungsartikeln ausgewertet, die in der Bibliographie nicht im Einzelnen nachgewiesen, aber in den Fußnoten dokumentiert sind. Zitate in serbokroatischer Sprache wurden vom Verfasser in der Regel ins Deutsche übertragen.