Krisheena - Tor zum Abyss

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Krisheena - Tor zum Abyss
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Andreas Nass



Krisheena - Tor zum Abyss



Dunkelheit





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Krisheena — Tor zum Abyss — Dunkelheit







Gelistet im Verzeichnis der verbotenen Schriften des Ordens der Weisen Männer zu Uben Aluk







Aus dem Buch »Von dunklen Mächten«, Geheimarchiv des Sonnentempels zu Ustan







1. Kapitel







2. Kapitel







3. Kapitel







4. Kapitel







5. Kapitel







6. Kapitel







7. Kapitel







8. Kapitel







9. Kapitel







10. Kapitel







11. Kapitel







12. Kapitel







13. Kapitel







14. Kapitel







15. Kapitel







16. Kapitel







17. Kapitel







Danksagung







Impressum neobooks







Krisheena — Tor zum Abyss — Dunkelheit











Dark Erotic Fantasy








Nur für erwachsene Leser und Leserinnen!









»Die Hoffnung stirbt zuletzt,







aber wahre Liebe stirbt nie!«








Gelistet im Verzeichnis der verbotenen Schriften des Ordens der Weisen Männer zu Uben Aluk




Krisheena – Tor zum Abyss: Dunkelheit



Krisheena – Tor zum Abyss: Sündige Herrschaft



Krisheena – Tor zum Abyss: Vergnügen



Krisheena – Tor zum Abyss: Leidenschaft



Krisheena – Tor zum Abyss: Erwachen




Kurzgeschichten vom Treiben des Sukkubus Krisheena: Wollust



Kurzgeschichten vom Treiben des Sukkubus Krisheena: Verbotene Triebe



Kurzgeschichte vom Treiben des Sukkubus Krisheena: Haus der Sinne




Arkane Netzverknüpfung:

http://www.torzumabyss.de






Aus dem Buch »Von dunklen Mächten«, Geheimarchiv des Sonnentempels zu Ustan




Abyss

, der: auch Abgrund genannt. Chaos und Bosheit herrscht in dieser Welt, die aus unzähligen, übereinander liegenden Ebenen besteht. Er ist die Heimat der Dämonen.




Blutkrieg

, der: Noch bevor Zeit einen Namen hatte, tobte zwischen den Dämonen des Abyss und den Teufeln der Hölle ein Krieg um die alleinige Herrschaft. Lange beschränkten sich die Schlachten auf die Felder ihrer Heimat, doch ihr Einfluss wuchs und so trugen sie den Kampf hinaus, unter die Sterblichen, und sie buhlten um deren Seelen, damit sie ihnen im Leben wie im Tode dienten.




Sukkubus

, der: weiblicher Dämon mit der Fähigkeit, das Aussehen zu verändern, und dann in Gestalt einer attraktiven Frau gleichermaßen Männer wie Frauen verführt. Ihren Opfern entzieht sie während des Beischlafs deren Lebenskraft, was auch zum Tode führen kann. Sie ist nur durch Zauberkraft ernsthaft zu verletzen. Ihre Heimat ist der Abyss, zu dem sie zurückkehrt, wenn sie auf einer anderen Welt getötet oder verbannt wurde.





1. Kapitel



Blitze zuckten unablässig über den fernen Horizont und tauchten die karge Landschaft in ein blauweißes Licht. Von sauren Dämpfen gewürzt war die Luft, begierig sog ich sie ein. Etwas Unbekanntes, Bedrohliches lag darin, aber ich war noch zu unerfahren, mir jetzt schon einen Reim darauf zu machen.



Erst vor wenigen Monaten war ich in die Schule der Para-K’hor aufgenommen worden. Meine geistigen Kräfte schienen ausreichend genug, um sie dort weiter zu schärfen und auf eine Weise formen zu können, die mir Macht über andere gab. Zudem lernte ich das Kriegshandwerk, wohl um meinem aggressiven Herzen ein Ventil zu schaffen.



Dabei wirkte ich eher verletzlich, mit meinen langen, schlanken Beinen, der dunkel gebräunten Haut und den so unschuldig blicken könnenden, violetten Augen. Ich betrachtete meine Hände, die langen, grazilen Finger. Meine manikürten Nägel hatten sehr gelitten. All diese plumpen Waffen, irgendwann, so befürchtete ich, würde mir ein Nagel einreißen. Mein Ansinnen war es, andere zu betören, sie in meinen Bann zu ziehen, denn ich war ein Sukkubus, noch jung, aber schon so hübsch, dass mein Lehrmeister mich noch am ersten Ausbildungstag in sein Bett holte.



Ein Lächeln grub sich in meine Wangen. Amüsiert pustete ich eine lange, rabenschwarze Haarsträhne aus meinem Gesicht. Sein Schweiß roch ebenso würzig wie meine Heimat, auf der ich nun schritt. Der Abyss.



Um genau zu sein, ich befand mich in einem winzig kleinen Teil des Abyss. Kaum ein Dämon kannte alle Ebenen und Gerüchte besagten, es gab an die Tausend davon. Vielleicht waren es mehr, vielleicht viel weniger, es kümmerte mich nicht. Jetzt befand ich mich auf dem Weg zum Ebenenlord, dem Herren über alles, was ich sehen konnte, zumindest, solange kein anderer ihn von seiner Herrschaft ablöste. Gedient wurde nur so lange, wie es sinnig erschien, also zum eigenen Vorteil war. Vielleicht konnte ich etwas über das nähere Umfeld des Lords erfahren. Er war sehr geheimnisvoll, und einige Gerüchte hier und da konnten meine Position zweifellos verbessern.



Säuselnde Stimmen lenkten meine Gedanken ab. In der Luft erklang ein Auf und Ab von Lauten, die ich nicht deuten konnte. Mein Blick verzerrte sich. Wurde der Himmel dunkler, von intensiverem Rot, oder war das nur eine Täuschung? Welcher Streich wurde mir hier gespielt? Ich verfluchte alle unsichtbaren Beobachter und meine Unaufmerksamkeit. Irgendein Detail musste ich übersehen haben. Genervt und von sanfter Furcht erfüllt drehte ich mich langsam um meine Achse und durchdrang mit geschärftem Blick die aufgezogene Dunkelheit.



»Krisheena«



Mein Kopf flog herum, versuchte die Herkunft des Sprechers zu erahnen. Mein Herz erstarrte. Ein leichtes Vibrieren blieb im Nichts hängen, ergriff mich. Ich spürte eine Berührung am Arm, doch niemand war dort. Wie Ungeziefer versuchte ich, das Gefühl wegzuwischen, aber es wurde nur stärker, beständiger.



»Krisheena«



Lauter, näher, fordernder klang mein Name. In meinem Magen drehte sich alles. Ein Wirbel bildete sich über mir, rote und schwarze Schlieren mischten sich, drehten sich. Mein Kopf schmerzte. Immer wieder hörte ich meinen Namen und einen Gesang, der mein Trommelfell betäubte. Mit beiden Händen versuchte ich, die Stimmen abzuhalten. Erfolglos. Sie hatten ihren Weg in meine Gedanken gefunden, ein An- und Abschwellen, dem Rauschen eines gigantischen Ozeans gleich.



Dann erkannte ich einige Worte, beschwörend, fordernd, voller Bestimmung.



Und ich war das Ziel der Beschwörung.



Wer hatte meinen Namen verraten? Hass kam in mir auf, verdrängte den Schmerz, verhinderte aber nicht, dass mich der Strudel einhüllte. Nun konnte ich nur noch die Schlieren sehen. Sie waren überall. Boden und Himmel verschwammen, ich kämpfte gegen eine Ohnmacht, die drohte, von mir Besitz zu ergreifen.



Die Stimmen waren nun zum Greifen nahe. Es wurde kühler. Geruch von Rauch und Wachs, getrocknetem Blut und lieblichem Wein.



Unter meinen Füßen bildeten sich langsam rote Steine heraus, sauber angeordnet und geschliffen. Ich schwankte, benommen von den Wirbeln. Nur langsam klärte sich mein Blick und das Rauschen in den Ohren ebbte ab. Eine Handvoll junger Frauen kniete kreisförmig um mich herum. Sie trugen rötliche, leicht durchscheinende Gewänder. Eine reifere Frau dominierte diesen Kreis, senkte langsam die Arme und lächelte.



»Wo bin ich hier?«, wollte ich wissen, obwohl die Antwort mir schon bekannt war. Ich war wütend und funkelte die Priesterin an.



»Ich habe Euch gerufen«, offenbarte sie mir, »um dem Tempel der Scharlachroten Königin eine Gunst zu erweisen.«



Soweit mir bekannt war, befand sich der Tempel im Osten der Verlorenen Reiche, auf der Welt der Sterblichen, der materiellen Welt. Es hatte mich demnach ins Reich Bregantier verschlagen, wo die Anhänger des Gottes Odimorr, dem Schlächter, herrschten, ein Umstand, der interessant werden könnte.

 



Hier residierte also die Scharlachrote Königin. Ein Tempel der Lust und Vergnügungen, aber vor mir stand nur eine Hohepriesterin, wo war die Königin selbst? Oder hatte sie es nicht für nötig befunden, die Beschwörung selbst durchzuführen?



»Wer seid Ihr und was ist Euer Wunsch?« Meine Stimme war eisig. »Wem soll ich dienen? Macht schnell, damit wir es hinter uns bringen. Ist es ein reicher Kaufmann, der einige angenehme Stunden der Lust verleben will?«



»Hebt das ungestüme Wesen in Eurem Herzen für die Mission auf, die ich Euch auferlege. Die Herrscher der östlichen Reiche haben sich zu einer dunklen Allianz zusammengeschlossen, um unsere Feinde im Westen auszulöschen. Und der Scharlachrote Tempel wird die Allianz unterstützen.« Sie hob befehligend ihre Stimme. »Ihr werdet den Anweisungen Landrus Folge leisten und ihn auf seine Reise begleiten.« Während sie sprach, machte sie eine Bewegung zur Seite und hob deutend ihren rechten Arm.



Aus der Dunkelheit verborgener Schatten schälte sich eine dunkle Robe, deren Saum über den Boden zu schweben schien. Es war keine besonders sorgfältige Kleidung, sie wirkte alt und verschlissen. Noch bevor ich Einzelheiten erkennen konnte, roch ich Moder und Fäulnis. Tod näherte sich mir. Nicht nur die Robe musste von einem Alter sein, das weit über normal sterbliche Maße hinaus ging, auch ihr Besitzer war kein Lebender mehr. Übelkeit kam in mir hoch. Wütend kniff ich die Augen zusammen. Mich einem untoten, knochigen und übel riechenden Wesen anzuvertrauen, das seit wer weiß wann oder sogar noch nie die Freuden des Lebens genossen hat, war die größte Beleidigung, die ich mir vorstellen konnte.



»Das ist ein Scherz, oder?«



Sowohl meine helle Stimme wie auch die raue, knorrige Stimme des Todes vor mir vermischten sich in diesem Satz. Mein zukünftiger Gebieter hatte wohl ebenso mit etwas anderem gerechnet.



Aus dem rechten Ärmel ragte nun eine Skeletthand, deren schlanker Zeigefingerknochen leicht gekrümmt auf mich deutete. War das ein rotes Glimmen unter der Kapuze, direkt auf die Hohepriesterin gerichtet? Jetzt wurde es wieder amüsanter. Meine Abscheu blieb.



»Als ich hierher kam«, und der Salmagur brachte es sogar fertig, eine all umfassende Geste zu vollbringen, »und um Unterstützung bat in einer wichtigen Angelegenheit, bin ich davon ausgegangen, dass ich mehr geboten bekomme, als einen tändelnden Sukkubus.« Abfällig betonte er meine dämonische Natur.



»Meister Landru«, besänftigte die Hohepriesterin, »sicherlich werdet Ihr verstehen, dass wir entsprechend unseren Möglichkeiten handeln.«



Sie bauschte geschickt ihr weit geschnittenes Gewand auf und machte es sich auf einen gemütlich wirkenden, sehr breiten Stuhl bequem. Ihre schlanken Finger unterstrichen galant ihre Worte, deuteten mal auf mich, nur um danach kaum nachzuvollziehende Muster in die Luft zu ziehen.



»So lange die Scharlachrote Königin nicht im Tempel verweilt, müsst Ihr mit meinen Entscheidungen Vorlieb nehmen. Euer geschulter Blick sollte schon längst das Potential erkannt haben, dass ich Euch an die Hand gebe. Sie wird unserer Sache dienlich sein, darin bin ich mir sicher.«



Irgendetwas an ihren letzten Worten erzeugte ein Klingeln in meinen Gedanken. Ihr Blick verblieb einige Sekunden zu lange auf mich gerichtet. Mir blieb sowieso keine Wahl, ich musste ihr gehorchen, das war der Haken an einer Beschwörung, zumindest, wenn man der Beschworene war.



Mehrere Male ausschnaufend wendete ich mich Landru zu. Feine Silberfäden in dem faserigen Gewand deuteten auf magische Fähigkeiten hin. Die Präsenz, die er ausstrahlte, führte bei mir zu dem Schluss, dass er ein Hexer war. Verbunden mit der Zeitspanne, die er offensichtlich hinter sich hatte, mussten seine Fähigkeiten immens sein. Es war besser, den Anschein zu erwecken, eine gefolgsame Beschworene zu sein. Was natürlich nicht bedeutete, mit bissigen Bemerkungen zurückzuhalten.



Mit gespielter Liebenswürdigkeit fragte ich: »Womit kann ich Euch dienlich sein, Meister Landru?«



»Haltet den Mund und folgt mir!«



Er schickte noch einen verächtlich schnaufenden Laut hinterher und marschierte zum Torbogen hinaus. Mühelos holte ich auf, mied es aber, ihm zu nahe zu sein, um den Würgereiz leichter unterdrücken zu können, den sein süßlicher Fäulnisgeruch bei mir erzeugte. Ich war angewidert.



Mitten im Gang blieb er stehen und richtete seinen Finger erneut auf mich. Sein raues Krächzen fügte mir eine Gänsehaut zu. Ich fröstelte.



»Hör mir gut zu, nutzloses Ding, ich weiß auch nicht, was in die Hohepriesterin gefahren ist, aber ich habe keine Zeit für noch unnützere Worte.«



Da mein Blick nun auf die verfaulten Fleischreste in seinem Gesicht fiel, musste mein Gesichtsausdruck sämtliche auf mich einströmende Gefühle der Abscheu, des Ekels und des Schreckens widerspiegeln. Sein Mund war ein Loch, in dem einige schwarzbraune Zahnreste hingen. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich behauptet, er lächelte vor Freude, mir solche Angst einjagen zu können.



»Nimm meine Hand. Na los!«



Galle stieg in mir auf, ich würgte und streckte zittrig meine weichen, geschmeidigen Finger der losen Ansammlung von Knochen und Streifen madigen Fleisches entgegen. Ein widerliches Gefühl, Kälte schüttelte mich durch. Landrus faulig gelbe Fingernägel lagen nun neben meinen rosigen, perfekt geformten langen Nägeln.



Er hatte es nicht nötig, zu erklären. Einige kurze, unverständliche Worte, ein Schnippen mit den Fingern und alles drehte sich erneut. Ich hatte das Gefühl, nach vorne zu kippen. Sein Griff war eisern und schmerzte verstärkt durch den Gedanken, was mich da festhielt. Vor meinen Augen verschwand der Gang des Scharlachroten Tempels. Trockener Staub kitzelte meine Nase, fahles Sonnenlicht warf langgezogene Schatten. Wir standen in einer gewinkelten Gasse. Unzählige Gebäude erstreckten sich vor mir, einzelne Mauern, an die drei Schritt hoch und sehr breit, versperrten den Blick. Gänge verzweigten ohne erkennbaren Sinn. Übler Schweißgeruch füllte die Luft, die Ausdünstungen einer sterblichen Gesellschaft. Hoffnung keimte in mir auf.



Ein Passant rempelte mich an, murmelte ein »wesch« und hinterließ herben Alkoholgeruch. Mühelos erkannte ich die Sprache der Goblinartigen. So wie ich die verschiedenen Rassen um mich herum beobachtete, stierten aus unterschiedlichen Richtungen und Höhen Augenpaare zu mir und den plötzlich aufgetauchten Begleiter herüber. Einige Gesichter senkten sich wieder, um ihrem alltäglichen Treiben nachzugehen. Andere hefteten sich auf meine Brüste und ich spürte die Blicke kleiner, runzeliger Goblins geradewegs auf meinen Po gerichtet.



Etwa fünfzig Schritte weiter baumelte ein Schild mit einer bluttriefenden Axt neben einem Eingang.



»Nimm dir dort ein Zimmer und warte, bis die anderen eintreffen«, wies er mich wie ein kleines Gör an und zauberte aus seinen Lumpen einen kleinen Beutel hervor, der klimpernd vor meinen Füßen zu Boden fiel.



Noch bevor ich meine zahlreichen Fragen äußern konnte, war Landru verschwunden. Nur der Fäulnisgeruch blieb. Ich nahm den Geldbeutel auf und entfernte mich schnellen Schrittes. Zielstrebig hielt ich auf dieses offensichtliche Gasthaus zu. Je näher ich kam, umso deutlicher waren Unterhaltungen zu vernehmen. Es musste noch sehr früh sein, denn der Schankraum war nur gering besucht.



An einem Tisch saßen zwei Minotauren und stemmten schwere Krüge, deren Inhalt gelblichen Schaum auf dem braunen Fell hinterließ. Ihre kräftigen Männerkörper wirkten durch den Schädel eines Stiers noch imposanter. Selbst im Sitzen war ihr hoher Wuchs unverkennbar.



Hinter dem Tresen stand ein bärtiger, gedrungener Mann und putzte akribisch einen Tonkrug. Eine junge, etwas füllige Bedienstete sprach in einer Ecke mit vier Gästen, von denen einer sicherlich Orkblut in sich trug. Seine platte Nase und die vorstehenden Eckzähne erinnerten mich stark an ein Schwein.



Leichtfüßigen Schrittes näherte ich mich dem Tresen.



»Gruß und gute Geschäfte, Herr Wirt. Wenn Euer Met frisch ist, soll es meine Kehle erfreuen.«



»Frisch? Ob mein Met frisch ist?« Aus tiefer Kehle kam sein Brummen, das einen Grizzlybären in die Flucht geschlagen hätte. »Es ist das Beste, was Ihr hier finden könnt, an diesem staubigen Ort! Nehmt einen guten Schluck, um Eurer Zunge den nötigen Respekt zu lehren, junge Frau. Ihr seid neu hier, Gesichter merke ich mir immer gut. Und das Eure werde ich genau beobachten!«



Während er sprach, putze er einen Krug sauber, auch wenn ich meine Zweifel hatte, ob das Tuch nicht ebenso viel Dreck erzeugte wie es mit sich nahm. Dann füllte er ihn randvoll und setzte das schäumende Getränk laut polternd auf den Tresen ab.



»Macht drei Kupfer«, forderte er geschäftig.



»Fünf, wenn Ihr mir noch sagt, ob sich in den letzten Tagen weitere vereinzelte Reisende eingefunden haben.«



Er nahm die Münzen wortlos und blickte aus seinen trüben Augen direkt in mein Gesicht.



»Es gibt viele, die hier durchkommen, und manche sind allein. Seht Euch um, dann werdet Ihr sehen, wer keine Gesellschaft mit sich brachte.«



»Vielen Dank«, endete ich unseren kurzen Wortwechsel, nahm den Krug und drehte mich langsam herum.



Über einen kurzen Zug von dem Met hinweg lugte ich in den Schankraum. An den Tischen fanden sich zahlreiche kleine Gruppen ein. Vielleicht war ich auch eine der ersten.



»Verzeiht die Unterbrechung«, hörte ich eine ruhige, wenngleich auch unterschwellig dominante, weibliche Stimme hinter mir und beendete meine Suche, »aber ich denke, wir sollten uns einander vorstellen.« Ich drehte mich zur Sprecherin um.



Am Tresen hatte sich ebenfalls eine leicht gebräunte Frau eingefunden, die durchaus einen zweiten Blick wert war. Ihr kahl rasierter Schädel und die wenigen Kleidungsstücke, allesamt aus Ketten gefertigt, zeugten von Schlichtheit und dem Verzicht auf Luxus. Ihr schlanker Körper war drahtig, ein Zeugnis für den häufigen Gebrauch ihrer Muskeln bei geringer Nahrungsaufnahme, und maß etwa fünfeinhalb Fuß. Dunkle, rotbraune Augen musterten mich. Neben ihr stand ein kleiner Krug, aus dem sie etwas Met in einen Becher gab und mir zuprostete.



»Ich bin Moi’ra und ebenso schnell an diesem Ort abgesetzt worden wie Ihr, zumindest soweit ich es aus der kurzen Unterhaltung mit dem Wirt entnehmen konnte.«



»Sei gegrüßt, Moi’ra, ich bin Crish und froh, auf jemanden zu treffen, den das gleiche Schicksal traf. Aber lassen wir doch die Förmlichkeiten – wir Frauen müssen an einem solchen Ort zusammenhalten.« Wir stießen an und nahmen einen guten Schluck.



»Es sollen weitere eintreffen?«, erkundigte ich mich neugierig.



»Mir wurde sicher nicht mehr erzählt als dir. Auf jeden Fall sollten wir hier ein Zimmer nehmen, um der weiteren Dinge zu harren. Und die Gelegenheit nutzen, näher Bekanntschaft zu machen.«



Ich lächelte und prasselte mit den Fingernägeln auf das Holz.



»Wirt?«, rief ich fordernd.



Mit leicht schwingendem Oberkörper überwand der Bärtige die wenigen Schritt zu uns und schenkte mir Gehör.



»Ihr habt doch sicherlich noch ein Zimmer frei für zwei müde Gäste«, unterstellte ich.



»Zwei Betten stehen in den Quartieren bereit. Wollt Ihr ein Frühstück am nächsten Morgen?«



»Ja, das wäre angemessen. Und auch noch ein Abendbrot, mit viel Met.«



Wir regelten die Bezahlung und ich drückte ihm noch Trinkgeld in die Hand, damit die Getränke nicht so lange auf sich warten ließen.



»Sucht einen Tisch aus«, sagte er gefälliger, »Merjal wird die Speisen bringen.«



Mit einer einfachen Handbewegung gab ich Moi’ra den Vortritt. Wir nahmen den freien Tisch zur Mitte des Schankraumes. Von dort konnte ich meine Ohren für die umgebenden Gespräche spitzen. Auf einem großen Tablett kamen unsere Speisen und ein Krug frischen Mets. Emsig machte ich mich über das deftige Essen her.



Gestärkt suchte ich, das Gespräch wieder aufzunehmen.



»Wie bist du zu der Ehre gekommen, in diese entlegene Gegend geschickt zu werden?«, fragte ich und spülte einen Bissen mit Met herunter.



»Mein Vater hat mich ausgesandt.« Ihre Stimme veränderte sich, als zitierte sie jemand anderen. »Es ist an der Zeit, Erfahrungen zu sammeln.« Ein langer Atemzug folgte, bevor sie mich fragte: »Woher kommst du?«



»Von einem Tempel in Bregantier, dem Reich des Odimorr, auf Geheiß der Hohepriesterin. Einen Grund nannte man mir nicht, ich sollte nur diesem nach Verwesung stinkenden Kerl folgen.« An ihrer Reaktion erkannte ich, dass sie wusste, von wem ich sprach und nicht minder schlecht von ihm dachte. »Ungewöhnliche Kleidung trägst du, insbesondere für eine Frau. Und das Fehlen der Haare kenne ich nur von Menschen, die Entbehrungen auf sich nehmen, um höhere Weihen zu empfangen.«

 



»Ich bin ein Mönch, und die Weihen, von denen du sprichst, sind Erkenntnisse über die Kontrolle des Körpers durch seinen Willen.«



Sie sprach voller Überzeugung und Stolz. Meine gespitzten Lippen und langsames Nicken zeugten den Respekt, den ich ihrem Ehrgeiz entgegenbrachte. Gleichzeitig wurde mir klar, dass sie nicht auf der Seite des Chaos stand, von dem eine solche Disziplin nicht zu erwarten war. Ich wollte sichergehen.



»In welchem Herrschaftsbereich liegt denn das Kloster?«, vergewisserte ich mich. »Ich gehe davon aus, so wird ein Ort genannt, an dem Mönche ihren Körper konditionieren.«



»Unsere Gemeinschaft lebt tatsächlich in einem Kloster. Ich gehöre dem Orden des dunklen Mondes an. Der Ort liegt auf einem Hügel in Asuria, dem Reich Ghorrns.«



Das bestätigte meine Annahmen, denn Ghorrn verfolgt ein sehr hierarchisches System. Unterordnung, nur weil ein Tunichtgut eine höhere Stellung innehatte. Ein leichter Schauer lief meinen Rücken hinunter. Meiner Ansicht nach hatte der das Sagen, der mehr Macht in sich vereinte, doch das behielt ich für mich.



»Dann sind wir beide ein gutes Stück von der Heimat entfernt.« Unter einem Lächeln verbarg ich die Doppeldeutigkeit in meiner Aussage.



»Ich bin gespannt«, fügte ich mehr an mich selbst gewandt hinzu, »welche Überraschungen noch auf uns warten.«



Ein Schluck Met spülte meine Kehle, gab mir eine Pause und die Möglichkeit, meinen Blick schweifen zu lassen.



»Auch was wollen trinken!« Krächzend zupften dreckig grüne Finger an den Schnüren meiner Lederhose. Über der spitz zu laufenden Schnauze samt seiner Reihe gelblich angelaufener Zähne gruben sich zwei schwarze Punkte in den von Warzen übersäten Schädel. Auch im Sitzen sah ich auf den jämmerlichen Goblin hinab.



»Verschwinde!«, knurrte ich. Er zuckte kurz zusammen und wirkte noch erbärmlicher. Vor Schreck hatte er von mir abgelassen, sank nun auf seine Knie und rutschte unterwürfig mit erhobenen Händen über den schmierigen Boden.



»Durst«, weinerlich schrill heulte er seine Bitte. »Nur Schluck.«



Ohne großen Schwung knallte ich ihm meine Rückhand gegen sein freches Maul. Das Vieh rollte über den Boden, direkt vor Moi’ra. Über ihre Füße gebeugt hustete das Wesen Blut und Galle.



»Weg!«, schnaufte der Mönch und schleuderte mit einem Tritt die weinerliche Kreatur von sich.



Langsam füllte sich die Taverne mit Gesindel. Ein ganzer Schwarm von Goblins strömte hinein, es wurde sehr laut.



»Lass uns aufs Zimmer gehen, da haben wir mehr Ruhe«, schlug ich vor und erntete ein bestätigendes Nicken. Moi’ra hatte noch weniger dabei als ich. Ausgesprochen geschickt schritt sie die knarrende Treppe hinauf. Unser Zimmer war wie erwartet muffig und sehr spartanisch eingerichtet. Ich vermisste duftende Kissen und einen flauschigen Teppich.



»Ziemlich armselig hier, nicht wahr, Crish?«, fragte Moi’ra, während sie zu den Strohmatten ging. Ich nickte bestätigend und bekam große Augen, als sie die Felldecke vom flachen Bett riss und nach kurzer Prüfung der Unterlage ihre Decke auf dem Fußboden ausbreitete.



»Ich werde auf dem Boden schlafen. So ein Luxus! Weiche Betten.« Sie schüttelte dabei mitleidig den Kopf. »Ein Zeichen dafür, wie verkommen und verwöhnt die Einwohner hier sind.«



»Äh, brauchst du die Felldecke noch?«, deutete ich mit einem Fingerzeig fragend an.



»Nein, nein, bediene dich.«



Sie kommentierte meine Entscheidung, das Bett zusätzlich zu polstern, nicht. Stattdessen widmete sie sich einer etwa anderthalb Schritt langen Kette und prüfte sie anscheinend wie andere ihre Waffen auf Fehler untersuchten.



»Kämpfst du damit?«, wollte ich auf das Metall deutend wissen.



»Wir lernen eine Kampfkunst, die für viele Augen ungewöhnliche Waffen einbezieht. Von Kindesbeinen an habe ich gelernt, mich mit dieser Kette zur Wehr zu setzten. Bislang hat das auch immer gut funktioniert.«



Ihr Grinsen verwischte jeden Zweifel an der Wahrheit. Fast war mir, als würde sie mit den Ketten reden, auf eine ihr eigene Art. Vom Zusehen wurde ich langsam müde. Das Stroh und die Decken reichten bei weitem nicht, um mir als angenehme Unterlage zu dienen. Innerlich rief ich mich zur Besonnenheit, nicht so verwöhnt zu sein, und eiferte in Gedanken den Momenten hinterher, wo weiche Daunen meinen strapazierten Körper einlullten.



»Nanu?« Ihr überraschter Ausruf weckte mich aus den Träumen. Meine Mitbewohnerin hielt ein Ende der Kette in der Hand. Nichts rührte sich. Das andere Ende lag ausgebreitet auf dem Boden. Ich runzelte die Stirn.



»Stimmt was nicht? Ist etwas mit der Kette?«, erkundigte ich mich und unterdrückte ein Lachen.



Mir fielen noch einige witzige, aber unpassende Bemerkungen ein, worauf eine Kette denn gehorchen sollte, und schreckte zurück, als Bewegung in die Kette kam. So überrascht kippte ich beinahe mit dem Kopf gegen die Steinwand, stützte mich aber gerade noch mit einer Hand ab.



»Die lebt! Die Kette hat sich bewegt!«, rief ich erschrocken.



Von dem weiblichen Mönch kam keine Erklärung. Sie wirkte sehr konzentriert. Eine Schweißperle bildete sich auf ihrer Stirn.



»Warum …?«



Ihre Frage stand im Raum, dann wurde sie förmlich von der Kette nach vorne gezogen und musste loslassen, um nicht mit dem Gesicht voran auf dem Boden zu landen. Eine zweite Kette schlängelte der ersten hinterher, riss einige Splitter aus der hölzernen Zimmertüre und verschwand darunter. Mit großen Augen glotzte ich ihnen nach.



Moi’ra drückte sich vom Boden ab und drehte sich mit ihrem Schwung in eine aufrechte Position. Wäre ich nicht so bestürzt, hätte ich bei der artistischen Darbietung geklatscht. Mit zwei Schritten war sie bei der Türe und riss sie auf. Ich kramte mich aus den Decken heraus und ging ihr nach. Vom Flur hörte ich Kettenrasseln und sah gerade noch, wie die beiden Ketten auf ein Geländer zu krochen und dann Anstalten machten, in den darunter liegenden Schankraum zu fallen. Kurz vor dem Rand verknoteten sich beide: eine wickelte sich um einen Pfosten, der Rest verschwand aus meiner Sicht. Hatte ich mich getäuscht, oder waren die Ketten länger, als noch in unserer Unterkunft?



Unter dem Stimmengewirr waren die ärgerlichen, hell krächzenden Laute einer nicht besonders großen Person zu hören, die durch ein Gurgeln abgeschnitten wurden. Kaum einer schien sich darum zu kümmern, als zunächst der Oberkörper und dann die ganze Gestalt eines Goblins von den Ketten über das Geländer gezogen wurde. Er zappelte, zerrte und biss, aber das Eisen war unnachgiebig. Das belebte Metall brachte seine Beute in unser Zimmer.



Interessiert ging ich hinterher und sah zu, wie die Ketten den Gefangenen vor einem Stuhl festhielten und ihre Enden Widerhaken ausbildeten, um sich in der Decke und am Boden zu befestigten. Entlang der Gliedmaße ringelte sich das Eisen und zog den Körper langsam auseinander. Haut spannte sich, Knochen knackten, Sehnen rissen.



Das schrille Kreischen des Goblins übertönte das dumpfe Klatschen seiner zu Boden fallenden Organe und Gedärme, als die Ketten seinen Körper zerteilten, und endete jäh. Gespenstische Stille nahm von dem Raum Besitz. Ich wagte nicht zu atmen und sah gebannt auf die straff gespannte Haut zwischen den eingehakten Ketten.



Langsam, gegen den Widerstand ankämpfend, wuchsen Gesichtszüge aus der grünlich fleckigen Haut – Stirn, Nase, Mund, geschlossene Augen und kantige Wangen. Lippen bewegten sich und muteten der nun hauchdünnen Gewebeschicht den letzten Rest ihrer Zähigkeit zu. Sie rissen ein schmales Loch und bildeten so einen Rachen, der in die Dunkelheit des Zimmers führte.



All meine Haare knisterten, als der Mund zu sprechen begann. Wer auch immer dieser Unbekannte war, seine Stimme vibrierte in meinem Körper, mein Magen verkrampfte. Mir wurde flau. Geschockt von der auf mich einströmenden Macht konnte mein Verstand die ersten Worte nicht verarbeiten. Ich war auch nicht die angesprochene.



»… Tochter. Der Bote darf die Stadt nicht wieder verlassen. Was er bei sich führt, müsst ihr in eure Gewalt bringen. Er wird nicht auf direktem Wege reisen, aber aus Talor starten. Findet ihn!« Dröhnend wallte der Befehl durch das kleine Zimmer.



Meine Blase drohte, sich zu entleeren. Ich dr