Urlaub mit Freunden

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Barcelona - wan Jüro

Wachs und Späne

Ohne Worte

Schamlos

Ein alter Weg in Cornwall

Ein Abend in London

Ich war noch niemals in New York

Römische Stadtführung

Die Flucht

Die Sonnenbrille

Urlaub mit Eltern und August

Und Tschüss

Morgen vielleicht

Urlaub mit mir

Der Weg der Freunde

Sedona

Zwei Kamele

Urlaub mit Freunden

Istanbul hat mich umarmt

Guacamole zum Frühstück

Unter ferner liefen

Kriegerin des Lichts

Urlaub mit Freunden

Von Andreas Berg, Martina Raguse

Kathrin Thiemann, Nadejda Stoilova,

Eva Greif, Matthias Deigner

Buchbeschreibung:

Urlaub mit Freunden

Wenn das nur mal immer so einfach wäre. In Urlaub mit Freunden erleben sie als Leserin und Leser die unterschiedlichsten Facetten dieses Themas. Das kann durchaus einmal heiter, sein, ironisch, hasserfüllt, zerbrechend oder traurig.

Entstanden ist dieses Buch aus einer Gruppe von Autorinnen und Autoren die sich vor Jahren auf der Insel Baltrum kennengelernt haben. Im Laufe der Zeit war klar, wir schreiben zusammen ein Buch. Nun sind sie damit fertig geworden.

Über den Autor:

Die Autoren dieses Buches: Andreas Berg, Martina Raguse, Kathrin Thiemann, Nadejda Stoilova, Eva Greif, Matthias Deigner

Urlaub mit Freunden

Von Andreas Berg, Martina Raguse

Kathrin Thiemann, Nadejda Stoilova,

Eva Greif, Matthias Deigner

Baltrum Verlag

Weststraße 5

67454 Haßloch

Impressum

© 2020 Baltrum Verlag GbR

BV 2032 – Urlaub mit Freunden

Umschlaggestaltung: Baltrum Verlag GbR

Illustration: Baltrum Verlag GbR

Lektorat, Korrektorat: Baltrum Verlag GbR

Herausgeber: Baltrum Verlag GbR

Verlag: Baltrum Verlag GbR, Weststraße 5, 67454 Haßloch

Internet: www.baltrum-verlag.de

E-Mail an info@baltrum-verlag.de

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Barcelona - wan Jüro

Martina Raguse

Gaudipark, Park Guell, da muss man hin, wenn man in Barcelona ist.

Meine Freundin Christel hat alles schon in Deutschland gebucht, und dann haben wir sie nicht gefunden, die deutsche Führung. Hitze, Schnaufen, Hügel hoch, Hügel runter, von überall her ertönen die Stimmen der Wasserverkäufer, wan Jüro, wan Jüro, wan Jüro...

Ich lasse meine beiden Freundinnen laufen, sie geben die Suche noch nicht auf, ich schon, setze mich auf eine Bank unter der Taubenbrücke. Keine Taubenscheiße, sie sind hier scheinbar glücklich und entspannt, die Tauben, und jetzt auch ich. Das liegt bestimmt an diesen schönen Klängen, ein Musiker spielt spanische, nein, katalonische Geschichten, melancholische Klänge.

Sie erinnern an einen einsamen Mann namens Gaudi, der Zeit seines Lebens Steine aufeinandergestapelt hat, wie das Kinder tun, nur viel mehr und viel Höher. Dann hat er den Spitzen noch zu Glanz verholfen, sie bunt bemalt, so dass die Sonnenstrahlen ihn finden und sein Herz erwärmen konnten. Welche Schönheit, keine Frau dieser Welt hält dieser Schönheit stand. Vielleicht könnte das eine Göttin, vielleicht...

So hatte er die Idee, einen unglaublichen Palast zu bauen, Familia Sagrada, sie wurde seine Göttin, alle Menschen waren und sind willkommen, sie repräsentiert ihn in seinen Ideen, verleiht ihm ungeahnten Glanz. Er wird über diese Göttin noch heute bewundert.

Sein Gott hat ihm geholfen, eine geistige Heimat zu finden. Sein Herz blieb leider einsam. Ein Herz mit Liebe zu füllen, erfordert Öffnung und Einsatz.

Die unvollendete Familia Sagrada lädt uns Menschen aus allen Religionen, ungeachtet unserer Herkunft und unseres Glaubens, ein, zusammen Spiritualität zu leben. Wir haben die Macht sie wachsen zu lassen, in der Symbolik des Allumfassenden. Zusammen können wir alles schaffen. Diese Vorstellung erfüllt mein Herz mit Liebe.

Gaudi hat seine ganze Liebe und Energie in diese Idee gelegt. Sich selber nahm er nicht so wichtig. Schade, Eigenliebe ist der Ursprung aller Liebenden.

Meine Mama hat immer gesagt: »Lebe und liebe, morgen könntest Du von einer Straßenbahn überfahren werden.«

Ich weiß nicht mal, ob sie Gaudi kannte. Er wurde von einer Straßenbahn überfahren. Zufälle gibt es ...

Wachs und Späne

Kathrin Thiemann

Das Ferienhaus war winzig. Ein ebensolches Gärtchen, umgeben von drei etwas größeren Fachwerkhäusern, gehörte glücklicherweise dazu, denn es war eine ziemlich heiße Woche, der Rasen sowie die wenigen Büsche und Blumen senkten die Temperaturen um ein paar Grad. Die Altstadt des mittelalterlichen Städtchens war durch das Kopfsteinpflaster aufgeheizt wie ein Backofen. Kein Lüftchen wehte an dem Abend, als unsere Freundschaft zu Gabi und Karl sich etwas zu sehr erhitzte.

Diesmal waren wir zu viert in unserm Wanderurlaub. Das Wandern war unser Ding, wir drei waren schon öfter gemeinsam unterwegs. Ein reiner Frauenurlaub hat ja seinen ganz eigenen Charme. Gabis Freund Karl wollte jedoch unbedingt mit, und ihre flehenden Augen ließen uns nicht nein sagen. Ihm zuliebe entschieden wir uns sogar für dieses Häuschen, nicht wie sonst im Dorf oder am Waldrand, sondern mitten in dieser kleinen Stadt. Nach so viel Grün und gesunder Waldluft am Tag, so sagte er, brauche er abends ein wenig vom prallen Leben, sonst drehe er durch.

Wir wogen diese Idee gemeinsam ab und fanden sie letztlich nicht so übel.

Karl war eben ganz schön überzeugend. Er meinte, wir seien doch alle Stadtkinder und gewohnt, abends auf die Strunz zu gehen.

Jeden Morgen stiegen wir in den Bus, der uns zum Startpunkt der Wanderung brachte. Grundsätzlich zufrieden, aber müde von Weg, Hitze und von Karls immer wiederkehrendem Maulen über die Auswahl des Weges trafen wir am späten Nachmittag in unserm Häuschen ein.

Das Feuer am letzten Abend war wieder Karls Idee. Er hatte ständig neue Einfälle, er bastelte, stapelte oder schraubte unentwegt an irgendetwas herum.

»Guckt mal, ich glaube, ich habe eine Feuerschale gefunden«, rief er, als er mit einer großen Schüssel aus dem Schuppen kam, sie auf den Rasen stellte und nachdenklich betrachtete.

»Das ist doch keine Feuerschale«, meinte Gabi, »das sieht für mich nach einer Wachsschale für ein Schmelzfeuer aus. Da ist ja sogar noch Wachs drin.«

»Ach was«, meinte Karl, »lass mich mal machen.«

»Ist es nicht viel zu heiß für ein Feuer?«, warf ich fragend in die Runde.

»Nein, ist doch gemütlich«, meinte Karl.

An unserm letzten Abend fände er es schön, um ein Lagerfeuer zu sitzen.

»Wir könnten ja sogar zusammen singen, so wie früher, als ich jung war.«

Die anderen zuckten mit den Schultern. Wie so oft setzte sich Karl durch, wir waren zu lahm für Widerstand, es war schließlich unser Abschied.

Karl behielt Recht, es wurde wirklich gemütlich. Als die Dunkelheit hereinbrach, saßen wir mit der inzwischen dritten Rotweinflasche um die Schale herum und hielten Rückschau auf den Urlaub. Das Wetter hatte mitgespielt, im Wald war es schön kühl und die Abende im Städtchen sind lau gewesen. Wir hatten uns keine Blasen gelaufen. Eigentlich hatten wir vier uns sogar ganz gut verstanden.

 

Gabis Freund Karl war in Ordnung, eigentlich ein lustiger Typ, aber er schien sich berufen zu fühlen, uns immer wieder die Welt unaufgefordert zu erklären. Manchmal ging mir genau das auf die Nerven, andererseits war er unglaublich hilfsbereit. Er schleppte unsere Koffer und den Einkauf, holte morgens die Brötchen und sprang gleich auf, wenn es etwas zu tun gab. Kurzum: Er verwöhnte uns und wir ließen ihn. Auch das nervte mich oft, schließlich gab ich aber meinen müden Füßen und der Gruppen-Stimmung immer wieder den Vorrang.

Manchmal trafen sich Lauras und meine Blicke und wir wussten beide sofort, was die andere dachte. Gabi hatte nur Augen für ihn.

Ein kleines Flämmchen züngelte inzwischen in der Schale vor sich hin.

»Das ist ja mickrig«, nörgelte Karl.

Das Wachs zerschmolz und das Flämmchen wuchs ein wenig. Für mich musste das Feuer in so einem kleinen Garten nicht größer sein. Außerdem war es ohnehin noch warm.

»Lass gut sein, Karl«, sagte ich zu ihm.

Da fuhr er mich unerwartet an: »Du bist so langweilig, Kirsten.«

Mit diesen Worten stand er auf, ging in den Schuppen und kam mit zwei Händen voller Holzspäne zurück, die er in das heiße Wachs warf. Zufrieden beobachtete er, wie die Flamme wuchs.

»Das ist ein Feuer!« Er setzte sich und öffnete den nächsten Rotwein.

Nach einer Weile wurden in den umliegenden Häusern die Fenster geschlossen, denn es begann zu rauchen. »Friert ihr?«, rief ein Nachbar vom Balkon. »Braucht ihr vielleicht auch noch eine Decke? – He, was soll das?«

Das Feuer wuchs und wuchs. Binnen Sekunden stand die ganze Wachsschale in Flammen, schwarzer Rauch stieg zum Himmel auf.

Wir sprangen von den Stühlen. Erschrocken und hilflos, aber auch fasziniert starrten wir auf die Feuersäule, die sich sogar über Karls Kopf erhob. Der Hibiskusbusch sengte an und wir wichen vor der Hitze zurück.

Wieder wusste Karl Rat. Er lief ins Haus und kam mit einem Backblech als Deckel zurück, unter dem er das Feuer ersticken wollte. Doch die Hitze war so stark, dass er sich nicht richtig nähern konnte.

»Achtung!«, rief er und warf das Blech in die Flammen.

Dieser Karl! Tatsächlich landete es mitten auf der Schale und das Feuer erstickte. Wir atmeten erleichtert auf. Doch Karl, der große Held, wollte nachsehen und hob das Blech wieder ab. Dabei kippte er die Schale um. Einige glühende, in Wachs getränkte Holzspäne flogen auf und gegen Lauras Unterschenkel. Schreiend vor Schmerz sprang sie herum und versuchte die Hose auszuziehen.

Andere Späne gruben sich glühend in die trockene Wiese.

Karl wusste nicht, wo er zuerst handeln sollte, sein Blick flatterte zwischen dem Hibiskusbusch, dem Rasen, der Schale und Laura hin und her. Dass ihm sein Lagerfeuer aus dem Ruder gelaufen war, merkte er erst jetzt.

Gabi versuchte, den glimmenden Rasen auszutreten, ich warf eine Decke aus dem Schuppen über den Hibiskus. Ein Nachbar kam auf das Geschrei mit einem Notfall-Kästchen gelaufen.

Karl starrte.

Die Sirenen mehrerer Löschzüge hallten durch die Gassen, Blaulicht flackerte in unsere Augen. Gabi und ich ließen uns auf die Stühle fallen.

Laura schrie noch immer.

Karl starrte.

Ohne Worte

Nadejda Stoilova

Er war ein Wolf. In den Bergen.

Tagelang irrte er auf nicht betretenen Pfaden. Je tiefer er im Wald war, desto besser konnte er seine Gedanken ordnen.

Er war scheu. Vermied die Menschen. Sie machten ihn unruhig. Sie machten ihn zum bösen Wolf. Einer, der mit den Zähnen die Luft zischend zerreißen konnte. Angriffsbereit.

Er hatte keine Angst, böse zu sein. Anzugreifen, wenn es sein muss. Sein Revier zu verteidigen. Das hat er jahrelang in seinem Berufsleben getan.

Jetzt wollte er seine Ruhe haben. Weg von den Menschen. Weg von der Verantwortung. Weg vom Geprahle des eigenen Egos. Ab und zu musste er die Luft rauslassen. Allein sein. In den Bergen. Da wollte er in Ruhe nachdenken.

Es ist gefährlich geworden. Sie war gefährlich. Tea war ihr Name.

Er war daran gewohnt, die Kontrolle zu behalten. Als Alphatier war er immer ein paar Schritte voraus.

Von außen war er eher unscheinbar. Kein typischer Macho. Dürr, klein, zierlich, aber trainiert. Keine Tattoos. Kurzes borstiges graues Haar, beinahe Glatze. Stets gebräunt.

Sein unscheinbares Äußeres verhalf ihm oft, einen Treffer im Herzen der Tatsachen zu erzielen.

Er war ein Sieger. Ein weiser Mann. Er konnte tief in die Seele seines Gegenübers schauen. Seine innere Klarheit verschaffte ihm diese Fähigkeit. Es schien durchaus, dass er Entscheidungen auch dann noch treffen konnte, wenn andere nicht mehr dazu in der Lage waren. Zumindest im Beruf.

Nur Gefühle waren sein Schwachpunkt. Vor allem bei Frauen.

Echte Gefühle kannte er nicht.

Seine Mutter war eine gefühlskalte Frau. Sie war stets distanziert. Er hatte nie gesehen, wie sie einen ihrer Männer küsste. Oder überhaupt irgendwelche Zärtlichkeiten zeigte. Dennoch gab es immer Verehrer.

Seinen Vater hatte er nicht kennengelernt. Er war einfach nie da gewesen. Darüber hatte er nie mit seiner Mutter gesprochen.

Sein Elternhaus hatte er deswegen auch früh verlassen. Mit sechzehn hatte er seine erste Firma aufgebaut, einen Internetshop für jedermann. Zudem sehr erfolgreich. So dass er ihn zwei Jahre später verkaufen konnte. Dies gab ihm die finanziellen Mittel für eine Weltreise.

Alaska, Kanada, Sibirien.

Er liebte die Kälte, die Wildnis, die Einsamkeit.

Monatelang hat er in den tiefsten Wäldern Sibiriens gelebt. Er fühlte sich mit den Tieren und dem Wald verbunden. Dank seiner ausgeprägten Sensibilität konnte er ihre Stimmung spüren. Es genügte ein Blick, um sie zu besänftigen. Dabei schaute er tief in ihre Augen. Für Außenstehende mochte es so aussehen, als wären sie hypnotisiert. Doch es war mehr als Hypnose, die Tiere fühlten sich zu ihm hingezogen. Wilde Wölfe wurden zu gezähmten Hunden und lagen an kalten Nächten bei ihm am Feuer.

Zwei Jahre verbrachte er in der Einsamkeit, ehe er zurückkehrte.

Die Natur war sein Zuhause. Nicht verwunderlich, dass sein neuer weltweiter Konzern für Naturschutzprojekte stand. Natürlich insbesondere für die grünen Lungen dieser Erde. Aufforstung und Schutz waren seine Ziele.

Ein Vordenker, der mitriss.

Nur in der Liebe hatte er nach wie vor keinen Erfolg.

Doch er wollte das ändern. Er hatte sich zu einem Tantra Seminar angemeldet. Seine eigene Gefühlswelt spüren und in sie eintauchen. Vielleicht könnte das der Schlüssel zur Liebe sein.

Echte Liebe.

Natürlich, Liebschaften hatte er einige. Doch nur auf den Wellen der Leidenschaft zu reiten, war ihm viel zu oberflächlich. Er sehnte sich nach Tiefe. Wie er sie in der Einsamkeit des Waldes erlebt hatte.

Doch war er dazu bereit? Sein Herz wie im Wald Sibiriens zu öffnen und eine Frau hinein zu lassen? Musste er sich dafür nicht seinen eigenen Ängsten stellen? Die eigenen Grenzen von innen durchbrechen?

Doch dann traf er sie. Vor einem Jahr in einem Tantra Retreat auf Korsika.

Sie war wie ein Schmetterling.

Bunt, wild, flatterhaft.

Sie begrüßte die Menschen im Kreis mit der Leichtigkeit eines Schmetterlings. Von einer Blume zur Nächsten. Sie schwebte fast in der Luft. Ganz leicht und frei.

Oberflächliche Frauen gab es in seinem Leben zur Genüge. Auf den ersten Blick wirkte auch sie so. Doch er spürte, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Da war eine Tiefe. Eine ungeahnte Tiefe.

Sie wirkte so jung.

Er blieb auf Distanz. Tagelang hatte er nicht mit ihr gesprochen. Sie nur still beobachtet.

Doch dann war es nicht mehr auszuhalten. Sein Inneres wollte sich offenbaren. Und er musste eine Übung zusammen mit ihr machen. Sie hatte ihn ausgesucht. So konnte er ihr nicht mehr ausweichen. Sie hatte ihn gewählt, den Einsamen unter den Anderen.

Bei dieser Übung wurde das Licht ausgeschaltet. Ihn umgab eine ungewöhnliche, schier undurchdringliche Dunkelheit. Darauf war er nicht vorbereitet. Sich nicht auf das zu verlassen, was er als seine Stärke empfand. Taxieren, Anvisieren, mit Augenkontakt Menschen durchdringen und beeinflussen. Mit einem Male musste er sich auf Gefühle verlassen, die für ihn immer sekundär waren, zweitrangig, doch nun nötig. Da spürte er ihre Wärme. Ihr Atem hauchte ihn an. Ihre Nähe brachte ihn um den Verstand.

Wie ein Stich ins Herz, der ihn so unbedeutsam werden ließ. Einfach so. Aus dem Nichts. Wie ein kleines Kind brach er in hemmungsloses Winseln aus. In ihren Schoß eingekuschelt.

Seinen Körper konnte er nicht mehr kontrollieren. Er lebte seine eigene Wahrheit. Später erinnerte er sich an kein Detail mehr. Nur eine unbeschreibliche Leichtigkeit fühlte er. Als wäre er neu geboren.

Scheu saß er in einer Ecke beim Abendessen. Er wollte mit keinem darüber reden. Er wollte einfach nur allein sein. Wie immer.

Am nächsten Morgen wurde eine Übung angekündigt. Diesmal durften die Männer eine Partnerin aussuchen. Mit dieser dann den Vormittag gestalten. Ihr wohlwollend Aufmerksamkeit schenken. Wiederum durften die Partnerinnen all das annehmen, was sie als richtig empfanden. In der Magie des Augenblicks dankend verweilen.

Er war selbst überrascht, als er vor ihr stand. So als wäre er eben erst erwacht. Als hätte ihn sein Körper aus eigenem Willen vor sie bewegt. Sein Verstand war ausgeschaltet.

Sie schaute ihn ernst an. Anders als sonst. Sie tauchte tief in seine Augen ein. Beide fielen in Trance. Magische Wellen breiteten sich in seinem Bauch aus. Es dauerte nur ein paar Sekunden, obwohl ihm das später als Ewigkeit vorkam. Bis die Glocke der Trainerin sie aus diesem Zustand zurückholte.

Er wollte ihr den Wald zeigen. Seinen Rückzugsort. Sein Zuhause. Stumm, ohne ein Wort zu wechseln, waren sie beisammen. Sie liefen und liefen. Ohne Ziel. Ohne Richtung. Unterwegs umarmte Tea die Bäume. Sie streichelte ihre Blätter. Er sprach mit den Vögeln. Ohne Worte.

Sie kamen wortlos an eine Lichtung. Zartrosa blühende Wildnelken bedeckten diese. Sie legten sich auf das Gras. Beieinander und doch auf leichter Distanz. Die Wolken waren sanft wellig, entspannt, durchschimmernd. Ein stilles Meer.

Erstaunlich viele Schmetterlinge zogen ihre Kreise um die beiden herum. Sie spielten mit den hohen, leicht schaukelnden, Gräsern. Der Wind sang sein sanftes Lied.

Zeitlose Weite.

Später badeten sie im Meer. Auf dem Weg dorthin gab es himmlisch leckere Walderdbeeren und saftige Heidelbeeren. Der warme Wind sauste an der Küstenklippe entlang. Pfiff magisch seine Liebesbeschwörung.

Der Tag verging wie im Flug. Es war klar, dass sie nicht zurück zum Seminar gehen würden. Nicht heute.

Als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, hatte er sie zu seiner Waldlichtung geführt. Zwischen den großen Lärchen war der Moosboden weich und einladend. Dort ließen sie sich nieder. Er machte ein Feuer. Später saßen sie dicht nebeneinander. Schauten den tanzenden Feuerzungen zu, die sich einander verschlangen. Das Spiel des Feuers führte sie auf eine andere Ebene.

Erschöpft und dankbar legten sie sich unter eine der Lärchen. Er nahm sie von hinten in seine Arme. Sie schmiegte sich an ihn. Er spürte wieder die tanzende Wärme in seinem Bauch. Ihr Herz war so nah. Pulsierte zusammen mit seinem.

So sind sie eingeschlafen.

Erst als der Morgen graute, gingen sie ins Hotel zurück. Die Gruppe war schon bei der Meditationsrunde. Tea setzte sich leise dazu.

Er musste weg. Einen klaren Kopf kriegen.

Der feuchte Herbst wich einer frostreichen Winterstille.

Immer wieder erinnerte sie sich an den Retreat des vergangenen Sommers. Sehnsüchtig.

Sie legte ihre Hände auf ihren Bauch. Die Kühle des Raumes abwehrend.

Ihre innere Wärme spürend. Mit geschlossenen Augen tauchte sie in eine andere Welt ein. Als sie am Meer waren. Die Wellen haben seufzend gerauscht. Der Wind war von der Seite gekommen und hatte ihnen entgegen gebrüllt. Der raue Wind hatte die Bäume nach unten gedrückt. Hatte der Wind so viel Kraft, sie aus dem Boden zu reißen? Fühlte sie sich nicht genauso?

 

Sie spürte noch seine Umarmung. Ganz zerbrechlich. Aus wolkenartigen Wattefetzen. Weich und warm.

Dann war er weg.

Nur der Wind erinnerte sie jetzt an ihn. An seine Umarmung.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie daran zerbrechen würde.

Wie dieser Baum da, der im dünnen Felsenspalt aufgewachsen ist.

Jedes Mal, wenn der Wind aufkam, hat es an seinen Kräften gezerrt.

Das machte ihn zäher. Machte ihn demütiger. Bis der Sturm kam und ihn zerbrach.

Doch sie hatte ihre innere Wärme. Ihre Hände waren magisch.

Die Wärme hatte sich in ihrem Bauch ganz allmählich ausgebreitet.

Wie lauwarmer, dickflüssiger Karamellsirup, der im Inneren fließt.

Vom Bauch zur Brust. Dann den Nacken entlang. Sie öffnete ihre Augen.

Genau jetzt. In diesem Moment berührten seine Hände ihren Nacken.

Zärtlich. Bedacht. Leise.

Tausende Sterne spielten wie Kinder. In der Tiefe seiner Augen.

Langsam wurde sie wach. Nach wie vor in ihrer Wohnung in New York. Der Großstadtlärm drängte in ihren Körper. Sie hatte keine Lust aufzustehen, tat es aber, um das Fenster aufzumachen. Der kalte Wind umschmeichelte sie. Sie spürte jedes ihrer Härchen aufstehen. Eins nach dem anderen.

Eine raue Stimme hinter ihr grunzte etwas Unverständliches.

Die Spannung auf ihren Lippen verschwand. Ganz leicht, kaum spürbar, mit nach oben gerundeten Mundwinkeln. Achtsam ist sie der Wärme gefolgt.

Ihr Gedanke »Mein Leben ist hier« holte sie im Hier und Jetzt zurück. In dieser Welt. Dann kuschelte sie sich an ihn. Seufzte leise.

Alles war still. Nur im Bauch. Ein leises Ziehen grüßte. Es erinnerte sie an ihn.

Ohne Worte.

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