Tierkommunikation mit Gänsehaut

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Tiger: Die Fakten

Tiger lassen sich wegen ihres Umherwanderns und ihres scheuen Wesens nur sehr schwer zählen. Ich nahm Kontakt mit TRAFFIC in London auf, und Dr. Richard Thomas, der die globale Kommunikation koordiniert, war so freundlich, mir bei der Recherche der neuesten Fakten zu helfen. Er verwies mich an CITES, dieselbe Organisation, die mich aufgefordert hatte, nach meiner Rückkehr von dem Fiasko in Thailand die Werbung für den Tigertempel von meiner Webseite zu löschen. Ich hoffe, ihnen jetzt wenigstens ein bisschen helfen zu können, nachdem ich es damals nicht konnte.

Verlust des Lebensraums

Die Tiger, die einst in Asien, von der Türkei bis in den Osten Russlands beheimatet waren, sind im letzten Jahrhundert aus Südwest- und Zentralasien, aus Java und Bali in Indonesien und aus großen Teilen des Südostens und Ostens von Asien verschwunden. Tiger haben 93 Prozent ihres historischen Lebensraums und über 40 Prozent ihres Lebensraums in jüngerer Vergangenheit verloren.

Wilderei

Anfang der 1990er wurde der Handel mit Tigerteilen weltweit verboten, doch Tiger sind aufgrund des illegalen Wildtierhandels - der Wilderei - noch immer stark gefährdet. Sie werden hauptsächlich wegen ihrer Knochen gejagt, die in traditionellen asiatischen Medizinen verwendet werden, und wegen ihres Fells und sonstiger Körperteile, wie z. B. ihrer Zähne, Haut und Krallen, die als Schmuckwerk verkauft werden.

Auch werden viele Tiger aufgrund von Konflikten zwischen Mensch und Tier getötet - wenn die Menschen ihr eigenes Leben und das ihres Viehs schützen wollen. Eine Untersuchung, die TRAFFIC vor kurzem durchführte, brachte Körperteile von geschätzten dreiundzwanzig Tigern zum Verkauf in Sumatra zutage, wo der Bestand an Tigern auf die kritische Zahl von unter fünfhundert Tieren geschätzt wird - die letzten Tiger, die es in Indonesien noch gibt. In China sind mehrere Betriebe mit der intensiven Zucht von Tigern beschäftigt. Die Betreiber dieser Tigerfarmen üben Druck auf die Regierung aus, um die Erlaubnis zur Herstellung von Tigerprodukten zu erhalten. Auf der vierzehnten Konferenz der Parteien, die CITES angehören, forderten die Delegierten das Aus der Tigerzucht.

Von TRAFFIC durchgeführte Marktumfragen haben ergeben, dass sich die medizinische Ausbeutung von Tigerknochen verringert hat, seit China 1993 den Verkauf von Tigerknochen verboten hat. Die Aufhebung des Verbots würde jedoch einem Desaster für wilde Tiger gleichkommen. Sie würde die Nachfrage nach Tigerkörperteilen ankurbeln, die durch Wilderei viel billiger als durch die Zucht gefangener Tiere wären. Die Anzahl gefangener Tiger in China beträgt um die fünftausend Tiere; eine ähnliche Zahl findet sich auch in den Vereinigten Staaten.

Tiger werden im Anhang 1 von CITES, das sämtlichen internationalen Handel verbietet, aufgelistet, und auch alle Länder, in denen wilde Tiger beheimatet sind, sowie Länder mit Abnehmermärkten haben den Binnenhandel verboten. In einigen Ländern ist die Gesetzgebung jedoch schwach oder gar nicht vorhanden. In den Vereinigten Staaten beispielsweise stellte der Bericht über den Wildtierhandel in Nordamerika (TRAFFIC North America) für das Jahr 2008 mit dem Titel Papiertiger? Die Rolle, die die in den USA gefangenen Tiger beim Handel von Tigerteilen einnimmt fest, dass die Regierung keine Möglichkeit hat, herauszufinden, wie viele Tiger sich in Gefangenschaft befinden, wo sie von wem gehalten werden und was nach ihrem Tod mit ihren Körperteilen geschieht.

Vorsicht, Tigerschmuggler!

Ein Artikel mit dem Titel „CITES macht den Tigerschmugglern die Hölle heiß“, der am 14. März 2013 auf www.traffic.org veröffentlicht wurde, meldete Folgendes:

Eine neue internationale Gesetzesinitiative, die die Jagd auf und den illegalen Handel mit Tigern beenden soll, wurde heute von den Mitgliedsstaaten der Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES) in Bangkok unterzeichnet.

Es wurde vereinbart, Informationen über Vorfälle der Wilderei und des verbotenen Handels mit allen Arten asiatischer Wildkatzen seit 2010 zu sammeln und diese Informationen zur Weitergabe an zuständige Strafbehörden und betroffene Staaten zu analysieren.

Die Mitglieder von CITES haben zudem vereinbart, die Bemühungen, den illegalen Handel mit Tigern zu beenden, zu überwachen. ...

Letzte Woche veröffentlichte TRAFFIC in Zusammenarbeit mit WWF [World Wildlife Fund] Reduced to Skin and Bones Revisited, einen Bericht, der in 12 der 12 betroffenen Staaten beschlagnahmte Tigerteile analysiert. Der Bericht enthüllt, dass zwischen 2000 und 2012 654 Beschlagnahmungen von Tigerteilen in den betroffenen Staaten stattfanden, was 1.425 Tieren entspricht - durchschnittlich 110 getötete Tiger pro Jahr. Der Bericht zeigt auf, wie detaillierte Informationen über Beschlagnahmungen dazu beitragen können, „Brennpunkte“ des Handels aufzudecken, was die Bemühungen der Behörden offensichtlich erleichtert. „Auch wenn einige Länder von der Kürze der Diskussionen über die asiatischen Wildkatzen während der Tagung frustriert waren, wurden dennoch mehrere wichtige Maßnahmen vereinbart, wie der verbotene Handel mit Tigern im Untergrund gestoppt werden kann“, sagte Natalia Pervushina, die für das TRAFFIC-Programm gegen den Tigerhandel zuständig ist.

Lassen Sie mich ein paar der Fakten zusammenfassen: Ursprünglich gab es neun Unterarten von Tigern auf der Grundlage von eindeutigen Molekularzeichen. Drei Unterarten wurden so lange gejagt und verzehrt, bis sie ausstarben.

Das ist Tatsache. Sie werden nicht etwa bald aussterben, wenn wir nichts unternehmen. Sie sind schon ausgestorben. Der balinesische Tiger, der javanische Tiger, der kaspische Tiger und höchstwahrscheinlich auch der chinesische Tiger haben offiziell den Planeten Erde verlassen. Sie sind für immer verschwunden. Wir haben sie im Stich gelassen.

Tiger werden durch extremes Überzüchten in Gefangenschaft vermehrt, um dann auf brutale Weise geschlachtet und zu „Tigerwein“ verarbeitet zu werden. Auch wenn die rund fünftausend Tiger in den Vereinigten Staaten in engen Käfigen vor sich hinvegetieren, werden sie nicht geschlachtet und gegessen. Die rund fünftausend Tiger, die in China gezüchtet werden, sind dagegen in großer Gefahr. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich beim Schreiben dieser Zeilen Tränen in den Augen habe. Und wenn Sie Tiger lieben, treiben Ihnen diese Zeilen wahrscheinlich auch die Tränen in die Augen. Aber trotzdem bitte ich Sie dringend, weiterzulesen. Halten Sie meine Hand. Lassen Sie es uns gemeinsam tun.

Die Tiger Sumatras, Bengalens, Indochinas, Amurs und Malaysias werden den drei ausgestorbenen Unterarten schon bald folgen, wenn wir keine drastischen Maßnahmen zu ihrem Schutz ergreifen. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen. Wir müssen wieder ein Maß an Unantastbarkeit und gesundem Menschenverstand in unserem Leben und unserer Welt zurückgewinnen. Kommen Sie mit. Ich schaffe es nicht alleine. Ich brauche Ihre Hilfe. Holen Sie tief Luft und lesen Sie weiter.

Der folgende Ausschnitt stammt von der Seite „Panthera tigris“ der von IUCN herausgegebenen Roten Liste gefährdeter Arten:

Gemäß Kriterium A2abcd wird der Tiger als gefährdete Tierart gelistet. Eine vor kurzem erstellte Schätzung der Vermehrung ergab im Vergleich zu einer Schätzung aus dem Jahr 2006 einen Rückgang von über 50 %. ... Im Jahr 1998 wurde der weltweite Bestand an Tigern auf 5.000 bis 7.000 Tiere geschätzt (Seidensticker et al., 1999). Der Vergleich mit dieser Schätzung aus den 1990er Jahren weist einen Rückgang von ca. 50 % auf (die obere Grenze von 7.000 als Anzahl der ausgewachsenen Tiger im Jahr 1993 ging bis 2014 auf ca. 3.500 zurück). ... Es besteht ein deutlicher Rückgang, wobei die Tiger aus einem Großteil ihrer Waldgebiete - vor allem im Südosten Asiens - fast vollständig eliminiert wurden ...

Es wird seit langem davon ausgegangen, dass Tigerknochen eine entzündungshemmende Wirkung hätten, was von medizinischen Untersuchungen in China in gewisser Hinsicht bestätigt wurde, doch viele Fachleute halten die Wirkung für eher psychologisch als pharmazeutisch (Nowell und Xu, 2007). Obwohl sämtliche Länder die Verwendung und Verarbeitung von Tigerknochen verboten haben, besteht die illegale Produktion in mehreren asiatischen Ländern, vor allem in China, Malaysia und Vietnam, weiter (Nowell, 2007). In China existieren mehrere Betriebe, die eine intensive Tigerzucht mit einer Anzahl von über 6.000 Tieren in Gefangenschaft betreiben. Diese Betriebe üben Druck auf die Regierung aus, um die Erlaubnis zu erhalten, Tigerprodukte herzustellen, und einige von ihnen stellen längst den verbotenen Tigerknochenwein her. ... Die Tigerzucht hält weiterhin an und droht, die Nachfrage der Konsumenten wieder anzukurbeln (Nowell und Xu, 2007). 2008 fasste CITES den Beschluss, dass „Tiger nicht für den Zweck, mit ihren Körperteilen und Produkten aus diesen zu handeln, gezüchtet werden sollten“ (CITES 2008). ... Verbote verdeutlichen nur einen Bruchteil des wahren Ausmaßes des illegalen Handels und zeigen, dass Tiger durch die Nachfrage auf dem Schwarzmarkt stark gefährdet sind.

Treten Sie durch das Tor zu den Sternen

Haben wir Menschen so große Angst vor den gefährlichsten Raubkatzen der Welt, die zugleich die herrlichsten und bewundernswertesten Geschöpfe sind, dass ihre Gegenwart alle Ängste und Unsicherheiten der Menschheit zum Vorschein bringt? Werden wir die gesamte Spezies ausrotten, weil wir sie so geringschätzen? Auf einer tiefen Ebene weiß der Mensch, dass Tiger mächtig sind und dass die „Tigermedizin“ eine Rolle im menschlichen Bewusstsein spielen sollte. Doch mir gefällt meine eigene Tigermedizin besser - es ist eine, die diese verspielten Kreaturen, die das Recht auf Gesundheit, Glück und Freiheit haben, ehrt und schützt. Und ich bin sicher, meine Tante Rue wäre ganz meiner Meinung.

 

Die Herausforderung für uns Menschen bleibt, den Tigern zu helfen, immun gegen menschliche Tyrannei, Dummheit und Zerstörungswahn zu werden. Ich hatte so viele Fragen, auf die ich Antworten brauchte, dass ich mir Tag und Nacht den Kopf darüber zerbrach.

Um den richtigen Partner für eine Befragung zu finden, flog ich nach Johannesburg. Ich ging heute Vormittag von meiner Frühstückspension in den Zoo von Johannesburg, um herauszufinden, ob die Tiger dort mir sagen konnten, was sie den Menschen mitteilen wollen. Zu meiner Enttäuschung fand ich keine der Wildkatzen im Gehege vor. Doch dann sah ich, wie ein Tiger durch eine Tür in einen hölzernen Käfig verschwand. Zum Glück befindet sich im Untergrund ein Raum, von dem aus man die Tiger beobachten kann. Dort setzte ich mich hin und wartete geduldig, bis die Tigerin sich mir zeigte. Als sie endlich auftauchte, freute ich mich riesig.

Ich muss zugeben, dass ich meine Gedanken auf dem langen Fußmarsch zum Zoo schon vorausgeschickt hatte. Und dass schon beim Betreten des Zoos eine bizarre Änderung in meiner Wahrnehmung stattfand.

In meiner Wohltätigkeitsorganisation Ark Angel arbeite ich mit afrikanischen Kindern vor Ort zusammen. Dazu besuche ich Schulen in den ländlichen Gegenden Afrikas und spreche mit den Kindern über Wildtiere und ihre Gefühle, damit die Kinder nicht zu Wilderern heranwachsen. Der illegale chinesische Tigerhandel zu „medizinischen Zwecken“ ist so grauenhaft außer Kontrolle geraten, dass heutzutage sogar Löwen - meist in Gefangenschaft gezüchtete und mit der Flasche aufgezogene Tiere, die friedlich sind - hier in Afrika getötet werden und ihre Knochen als Tigerknochen verhökert werden. Wenn die Kinder über die Gedanken, Gefühle, Beziehungen und Rechte von Löwen und Elefanten aufgeklärt werden, wird dadurch ihr Bewusstsein des ansteigenden illegalen Handels mit Wildtieren indirekt geschärft. Ich liebe diese Arbeit an den Schulen mehr als alles andere, und das Zusammensein mit diesen verarmten Kindern erfüllt mich auf eine Weise, die sich mit Worten nicht er-klären lässt. Sie steht gleich hinter dem Glücksgefühl, das mich überkommt, wenn ich mit den Wildtieren selbst allein bin.

Diese aufgeweckten Kinder mit ihren strahlenden Augen haben einen besonderen Platz in meinem Herzen. Doch als ich den Zoo betrat und von einer Horde kreischender kleiner Afrikaner in Schuluniform begrüßt wurde, hatte ich ein mir bisher völlig fremdes Gefühl. Mir wurde klar, dass ich sie aus einer mir fremden Perspektive heraus ansah - so als wären sie total unausstehlich. In diesem Moment sah ich zwei Löwen, die versuchten, im Freien zu schlafen. Sie waren von drei Gruppen Schulkindern umzingelt, die mit ohrenbetäubendem, schrillem Lärm im Zoo umherwuselten. Da wurde mir bewusst, dass ich die normale menschliche Realität hinter mir gelassen hatte und schon die Sichtweise der großen Katzen angenommen hatte.

Ich bin eine starke Befürworterin des Johannesburger Zoos und habe sogar Carte Blanche, Afrikas kritischsten Nachrichtensender, in diesen Zoo geholt, als der Sender eine Doku über meine Arbeit machte. Für die Reportage nahm ich ein paar afrikanische Kinder mit auf meine telepathische Tour durch den Zoo, damit Carte Blanche die Kinder dabei filmen konnte, wie sie lernten, mit den Tieren zu „sprechen“. Während der Dreharbeiten sprach ich nicht mit den Tigern und war ihnen auch noch nicht begegnet.

Während des Drehs sprach ich mit einer Orang-Utan-Dame, der ihr neuer Partner nicht gefiel, über ihre Probleme und tröstete einen alternden Eisbär, der seine große Liebe verloren hatte. Noch tragischer war das posttraumatische Stresssyndrom eines verwaisten Rhinozeros-Babys, das immer noch offene Schusswunden in der Brust hatte. Es hatte mitansehen müssen, wie seine ganze Familie und Gemeinschaft von chinesischen Wilderern getötet worden war, bevor der Johannesburger Zoo es per Hubschrauber in Sicherheit brachte. Ich versuchte mit all meiner Macht, ihm Gefühle der Ruhe, des Friedens und der Sicherheit zu vermitteln, obwohl es nach dem Massaker in der Hölle noch schwer traumatisiert war.

Unbeschwerter war die erstaunliche Tierkommunikation der Kinder mit einer verwaisten jungen Giraffe. Die kleine Giraffe schmiegte sich an ein Muttertier, doch auch wenn es nach allen Regeln der Logik so aussah, als wäre die erwachsene Giraffe seine leibliche Mutter, war meine Truppe kleiner Fachleute der Meinung, dass die Giraffendame nicht die Mutter, sondern die Tante des Kleinen war! Als ich die Kinder fragte, wo seine Mutter sei, sagte eines von ihnen: „Die läuft frei im Dschungel herum.“ Ein anderes Kind meinte: „Sie ist tot.“ Was für eine vollkommene Beschreibung des Giraffenhimmels ist „frei im Dschungel“! Wie der Pfleger uns bestätigte, war die erwachsene Giraffe tatsächlich die Tante des Babys und nicht seine Mutter, die vor kurzem gestorben war. Die Kinder hatten diese Information nicht zuvor erhalten. Sie hatten sich auf das Giraffenbaby eingestellt und die Visionen und Gefühle des Tiers durch ihre eigenen angeborenen Antennen empfangen - eine Intuition, die noch nicht durch Scham, dem Gefühl der Lächerlichkeit und der „Vernunft“ der Erwachsenen eingedämmt war.

Daher kannte ich zwar schon die Giraffen, das Rhinozeros, die Löwen und die Orang-Utan-Affen in diesem Zoo, doch ich wusste nicht, wie viele Tiger hier lebten, da ich noch nie mit ihnen gearbeitet hatte.

Mein letzter Besuch in diesem Zoo lag schon ein paar Jahre zurück. Daher fühlte ich mich geehrt, als die Tigerin sich zu einem Treffen mit mir bereiterklärte. Als ich sie fragte, ob sie einen Partner habe, erzählte sie mir, sie habe einen großen Mann, der in seinem Versteck schlafe. Ich saß eine geschlagene Stunde vor der Glasscheibe, doch ich bekam ihn nicht zu Gesicht. Sie kam immer wieder in das Gehege hinter der Scheibe und verschwand dann wieder, wenn hinter mir Besucher mit schreienden Kleinkindern auftauchten. Ich ließ die Kinder und sogar die lauten Erwachsenen verstummen, indem ich mir den Finger auf den Mund legte und sagte: „Psst! Wir müssen still sein! Wenn ihr laut schreit, rennen sie weg.“ Es funktionierte erstaunlich gut. Die Kinder waren still, und die Erwachsenen schubsten sich wortlos gegenseitig aus dem Weg, um den Tiger mit dem Handy zu fotografieren.

Irgendwann verschwand die Menschenmenge, und wie in einem Traum war ich fast eine Stunde lang allein mit ihr, ohne Störungen, so still und friedlich, als wäre der Zoo geschlossen und ich der einzige Mensch in diesem Tigerhaus. Ich fragte die Tigerin, was ich Ihnen in diesem Buch von ihr mitteilen sollte. Sie antwortete jedoch nicht. Stattdessen tigerte sie nur aus ihrer Betonzelle heraus und hinein, immer wieder, so als hätte sie den Verstand verloren. Schließlich sang ich ihr ein Liebeslied vor. Sie blieb stehen und urinierte an die Glaswand. Das Geräusch, das Tiger machen, wenn sie glücklich sind und wenn sie einen anderen geliebten Tiger (oder Menschen) begrüßen, ist ein Zwischenton zwischen Brüllen und Schnurren. Ich grüßte sie auf diese Weise. Sie grüßte zurück.

Auf diese Weise entstand eine Art Beziehung zwischen uns, die sich jedoch auf einer so feinen Energieebene abspielte, dass sie wortlos blieb. Ich fragte immer wieder: „Was soll ich schreiben?“ Ich flehte sie an, mir zu sagen, was sie den Menschen mitteilen wollte, doch wir begegneten uns in einer Dimension, in der Worte nicht existieren, vielleicht, weil sie auf dieser Ebene überflüssig sind. Das Gefühl der Liebe geht so tief, dass es über das Bedürfnis, irgendetwas zu benennen oder zu beschreiben, hinausgeht. Schließlich kletterte sie auf einen Tisch hinter der Glasscheibe, legte sich hin und leckte sich genüsslich die Pfoten. Ich sang leise: „Ich weiß, Baby, ich weiß ... ich weiß, wie sehr ich dich lieben könnte ...“ Sie bedachte mich mit entzückenden Blicken und klimperte mit den Wimpern. Dann verdrehte sie den Kopf. Es passierte zwar etwas zwischen uns, aber sie gab mir keine Antworten auf meine Fragen. Niedergeschlagen wollte ich gehen. Ich verabschiedete mich von ihr und drehte dem Gehege den Rücken zu, um wieder den Hügel hinaufzugehen. Doch irgendwas ließ mich innehalten. Ich blieb bei einem Geländer stehen und schaute zum Gehege zurück. Dort war nur wenige Meter vor mir eine zweite Tigerin aufgetaucht, die mich intensiv ansah. Ich fing an, ihr das Liebeslied vorzusingen. „Ich weiß, Baby, ich weiß ... ich weiß, wie sehr ich dich lieben könnte ...“ Dann sagte ich ihr, dass ich unbedingt dieses Buch schreiben müsste und nicht wüsste, wie ich die ganze Tragödie auf informative Weise - geschweige denn in einem positiven Licht - herüberbringen sollte. Ich fragte sie, ob sie die Notlage ihrer Artgenossen kennen würde und ob sie wüsste, dass Tiger auf der Erde schon fast ausgerottet seien.

„Klar weiß ich das, Amelia“, sagte sie. Ich staunte darüber, dass sie meinen Namen kannte. „Aber sie können uns nicht töten.“

„Was meinst du damit? Genau das tun sie doch!!“

„Sie können zwar unseren Körper töten, aber nicht unsere Seele. Wir können zwar den Planeten verlassen, so dass kein Tigerkörper mehr auf der Erde lebt. Aber Tiger wird es immer geben. Tiger kann man nicht zerstören. Wir sind überall. Die Tigerseele ist unzerstörbar.“

Mir kam eine Offenbarung, die sich nur schwer beschreiben lässt, und es ist ziemlich unverfroren von mir, sie gleich im ersten Kapitel dieses Buches zu präsentieren. Doch sie erinnerte mich an meine letzte Unterhaltung dieser Größenordnung mit einem anderen König des Dschungels - und damit meine ich nicht etwa John Varty, den berühmten und kontroversen Wildkatzenschützer, den ich den Großteil meines Lebens über Fernsehberichte verfolgt habe. Nein, ich meine einen seiner Tiger.

Letztes Jahr hatte ich einen Tiger namens Corbett kennengelernt, der John zerfetzt hatte und fast getötet hätte. Auf Johns Bitte hin, Corbett zu „lesen“, nachdem der Tiger ihn auf die Intensivstation gebracht hatte, wo er beinahe gestorben wäre, flog ich nach Tiger Canyons, John Vartys Tigerschutzgebiet in Afrikas Free State. John schickte mir von der Intensivstation aus eine E-Mail, in der er mich bat, mit Corbett zu sprechen, obwohl John und ich noch nie miteinander telefoniert oder uns persönlich kennengelernt hatten. Damals schwebte Corbett in Lebensgefahr, weil John den Rest der Welt fragte - sie geradezu herausforderte -, ob er Corbett nach dem Angriff einschläfern lassen sollte oder nicht. Ich flehte John an, Corbett am Leben zu lassen, und klinkte mich bei Corbett ein, um seine Sichtweise der Geschichte zu erfahren.

Was geschah, als ich Corbett begegnete, war etwas so Verzauberndes, dass ich es noch nicht einmal John erzählen konnte. Nach einem weltweiten Aufschrei zugunsten des Tigers beschloss John, Corbett am Leben zu lassen. Daher flog ich in die Tiger Canyons, um von Angesicht zu pelzigem Angesicht mit Corbett zu sprechen.

Wie Corbett mir sagte, habe er John deswegen angegriffen, weil dieser es verdient habe. Diese Aussage zweifle ich keine Sekunde an. Da ich etwas Zeit mit John verbracht hatte, wusste ich, was der Tiger meinte. John ist die Art von Mensch, die man am liebsten hassen würde, aber trotzdem mag. Das war mir nichts Neues, doch was Corbett mir sonst noch mitteilte, waren mystische, metaphysische Weisheiten, die so neu waren, dass sie meine Sichtweise über Tiger und alle irdische Realität für immer veränderten.

Hoch oben auf dem Berg, der in den feuerroten Sonnenuntergang Afrikas eingetaucht war, erblickte ich den wilden, wütenden Tiger, der als gefährlich und unberechenbar galt. Er ist dominant und sehr groß. Daher wirkte sein sphinxartiges Profil auf einem hohen Felsen in der Ferne so majestätisch, dass mir vor Ehrfurcht fast das Herz stehenblieb. Ich bat ihn, zu mir herunterzukommen, und er kam.

Wenn ein wilder Tiger sich mir nähert, um mit mir zu sprechen, ist das Gefühl für mich irgendwo zwischen einem Orgasmus und einem Gebet. Ich spüre eine innere Symphonie der Freude, die in mir aufsteigt und jede Zelle meines Körpers durchdringt. Es ist, als würde jedes Teilchen meines Körpers anfangen zu singen. Als der Tiger sich von seinem Thron oben auf dem Felsen heruntergeschlichen hatte, sagte ich zu ihm: „Ich liebe dich. Ich liebe alles an dir, deine Wildheit, deine Sanftheit, deine Fähigkeit, dich durch den Zaun hindurch sanft an meiner Wange zu reiben.“

Oh Mann, wie auch er sich danach sehnte, seine Wange an meiner zu reiben! Hat er versucht, mich zu töten? Nein. Aber ich brachte ihm etwas entgegen, was er von niemandem sonst bekam: Respekt. Ich verehrte den Gott in ihm, den heiligen Geist, der durch ihn hindurch strahlt, seine Fähigkeit, sein Bedürfnis und sein Recht, ein Individuum mit Gefühlen zu sein, das auch Wut empfindet, das Temperament hat, genauso wie sein menschlicher Vater ... doch das ist eine andere Geschichte.

 

Ich sagte zu diesem gefährlichen Tiger: „Ich liebe dich. Ich verehre dich. Ich verstehe dich. Ich finde dich toll. Ich finde alles an dir toll. Ich bleibe an deiner Seite, ganz egal, was die Menschen denken. John wird dich nicht töten. Dazu müsste er zuerst mich töten. Ist mit dir alles in Ordnung?“

Aus seinem Grrrr wurde eine zärtliche Tigerbegrüßung. Das Ungeheuer verschwand, und an seine Stelle trat ein dreihundert Kilo schweres schnurrendes, lächelndes, unwiderstehlich warmes und verschmustes Wesen mit kürbisgelben Streifen. Plötzlich geriet ich in einen anderen Bewusstseinszustand, und in dieser Trance bewegten wir uns. Die Welt um mich herum verschwand und alles, was ich jemals gekannt hatte, fiel in sich zusammen. Ich befand mich in einem Wurmloch. In einer Welt des sich drehenden Klangs, der blendenden Farben, in der Liebe mich auf eine Reise schickte, auf der Zeit und Raum explodierten.

Die Tatsache, dass dieser scheue Tiger - der auf die Menschheit wütend war - von seinem Rückzugsort hoch oben auf der Bergkuppe heruntergerannt kam, als ich ihn rief, und der mir nun zu Füßen lag, war schon verzaubert genug, doch als ich ihn nun betrachtete, wurde mir so schwindlig, dass mir die Knie weich wurden. Er schien mich auf eine nie gekannte Weise in sich hineinziehen zu können, und ich befürchtete, dass mein Körper ganz verschwinden würde, wenn ich der Versuchung nachgab. Ich versuchte, das Gleichgewicht zu behalten und mich aus diesem interdimensionalen Strudel herauszuziehen.

Wir unterhielten uns über alltägliche Dinge und dass er sich ein größeres Gehege wünschte und sich nach einer Gefährtin sehnte. Als ich John diese Bitte vortrug, befürchtete er, dass dieser Tiger - seine gefährlichste und unvorhersehbarste Wildkatze - eine Artgenossin zerreißen würde. Corbett versprach mir jedoch, einer Partnerin kein Haar zu krümmen.

Ich konnte mich für Corbetts Leben und seine Würde einsetzen und seine Bedürfnisse John übermitteln, was ehrlich gesagt das größte Wunder war - nicht meine Übersetzung von Corbetts Wünschen, sondern die Tatsache, dass John darauf hörte. Mein Besuch wurde später im selben Jahr davon gekrönt, dass John Corbett eine Freundin und ein größeres Gehege verschaffte. Während ich dies niederschreibe, ist Corbett ein überaus glücklicher Tiger.

Diese Meister der Illusion sind die Zaubergeister des Universums, wie ich noch herausfinden würde. Während ich vor der Tigerin stand und wie in Trance dieses Gespräch aus einer anderen Welt mit ihr führte, mich in einem Strudel aus unbeschreiblicher Liebe drehte und mich in einer Matrix aus gefrorenem Licht auflöste, zerstörte das schrille Geschrei einer Touristin plötzlich den heiligen Zauber.

„Wo ist denn jetzt der Tiger?!“, kreischte eine schreckliche weibliche Stimme.

„Ich seh keinen!“, polterte eine männliche Stimme.

„Aber ich will den Tiiiger sehen!“, beharrte die blecherne Gänsestimme.

Auch wenn ich direkt vor der Tigerin stand und ganz schön in die Breite gegangen war, da ich auf dieser Tour zu viel gegessen hatte, war ich mit Sicherheit nicht dick genug, um den Blick einer gaffenden Touristin, die über meine Schulter lehnte, auf die riesengroße sibirische Tigerin zu versperren. Daher schickte ich diesen Gedanken an die Wildkatze: „Kannst du die Leute verschwinden lassen?“

Und dann geschah das Wunder. Plötzlich flackerte ein orangerotes Feuer auf. Atemlos und in den Augen der anderen versunken, vertieften wir beide uns noch tiefer in unseren hypnotischen Tagtraum. Außerhalb von Zeit und Raum versanken wir in Liebe. Wir befanden uns für alle Ewigkeit an einem Ort, an dem nichts und niemand sonst existierte. Die Tigerin zog mich immer tiefer in diesen leeren Raum hinein. Die nervige Stimme plapperte immer weiter: „Wo sind denn jetzt die Tiger? Gibt’s in diesem Gehege denn keine Tiger?“

Die Stimme tönte in meinem Ohr. Die Frau blickte direkt auf die Tigerin. Die Stimme des Mannes dröhnte in meinem anderen Ohr: „Ich seh auch keinen!“ Er schaute über meine andere Schulter direkt auf die Wildkatze. Schließlich stellte er fest: „Die scheinen sich zu verstecken. Ich kann hier keine Tiger sehen.“

Irgendwann schlurften die beiden wieder den Hügel hinter mir herunter. Die ganze Zeit über hatte ich der Tigerin vor mir in die Augen gesehen. Wir hatten uns in einer Zeitfalte verloren. Ich spürte, wie sich etwas ganz leicht veränderte, und holte tief Luft. Wir waren wieder da.

„Wir sind die ultimative Realität“, sagte sie.

„Was ist die Realität? Meinst du das Wesen des Tigers? Seid ihr das stärkste Wesen im ewigen Kosmos?“

„Wir sind die Stärke an sich. Kein Mensch kann Stärke zerstören. Er kann nur versuchen, uns zu überwältigen. Aber wir existieren. Wir werden immer existieren.“

„Hör zu! Ich versuche, ein Buch darüber zu schreiben, wie wir euch retten können, und muss gegen Wissenschaftler ankämpfen, die das hier alles für Quatsch halten! Was soll ich schreiben? Und alle meine Leser wollen euch retten, und ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll! Ich komme mir schon blöd genug vor, und jetzt lässt du mich auch noch wie einen Idioten aussehen? Ich kann ihnen doch nicht sagen, ihr würdet herumphilosophieren und interdimensionales Verstecken spielen! Ich möchte ein ernstzunehmendes Buch über Tierkommunikation schreiben und nicht die nächste Episode von Star Wars!“

„Du musst das große Ganze betrachten“, sagte sie. Plötzlich hatte ich eine Vision, wie Jesus aus dem Grab aufsteigt. Die Menschen töteten zwar seinen Körper, doch niemand konnte seinen Geist töten. Das Bewusstsein Jesu lässt sich nicht töten. Und offensichtlich lässt sich das Bewusstsein der Tiger auch nicht zerstören.

„Das kann ich den Menschen, die euch lieben, doch nicht erzählen! Wir alle wissen, dass ihr bald aussterben werdet. Und die wenigen Tiger, die noch übrig sind, leben schon in Käfigen!“

„Wenn ich es dir erklären würde, würdest du es trotzdem nicht verstehen. Ich bin nicht die Einzige, die in einem Käfig steckt, Amelia.“ Sie zeigte mir eine Szene aus meinem Leben in Los Angeles, wie ich mich durch den Betondschungel kämpfte, mich im Käfig eines kleinen metallenen Autos durch die Straßen quälte, während alle Fahrer in ihre Burgen - ihre überteuerten Häuser - zurückfuhren, die sie vor anderen Menschen schützten und die die Wildtiere völlig ausschlossen.

„Die Menschen sitzen in Käfigen“, sagte sie. „Sie bauen sich und anderen gerne Käfige.“

Wieder kam mir die Vision von Smog, Stahl, Luftverschmutzung, abgeholzten Wäldern. Sie führte zu einer zweiten, virtuellen Realität, in der die Menschen in ihren Smartphones und Fernsehern leben, statt draußen im Freien zusammen mit den Tieren, die sie brauchen.

„Wir sterben nicht aus, aber ihr“, sagte sie.

Daraufhin hatte ich die Vision, in der die Menschheit, wie wir sie kennen, ausstirbt, während sich ein paar hart arbeitende Menschen in etwas Schöneres, Höherentwickeltes verwandelten. Nicht alle Menschen werden die Verwandlung von der Raupe in den Schmetterling schaffen, doch viele von ihnen sind schon dabei. Auf der anderen Seite sind Tiger eine absolute Wahrheit der Schöpfung. Sie sind schon in jeder Hinsicht vollkommen. Daher müssen sie sich spirituell nicht mehr weiterentwickeln. Wir sind die kleinen Raupen, die die Verwandlung anstreben, die zu Schmetterlingen werden müssen.