Heinrich der Seefahrer

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Der Beginn der Atlantikerkundungen

Unter den gegebenen Umständen war es den Portugiesen verwehrt, von ihrem Stützpunkt Ceuta aus weiter nach Nordafrika vorzudringen. So führten nicht zuletzt die Enttäuschungen, die man in dieser Angelegenheit hinnehmen musste, am portugiesischen Hof zu einem Umdenken, was die weiteren Expansionspläne betraf. Die nunmehr neu eingeleitete Politik beinhaltete eine Doppelstrategie: Festhalten an Ceuta bei gleichzeitigen Vorstößen entlang der westafrikanischen Küste. Diese Politik war abgestützt durch einen nationalen Konsens: Die portugiesische Kaufmannschaft erhoffte sich hiervon ein weiteres Aufblühen von Handel und Wirtschaft, die Seeleute, darunter viele von hohem sozialen Rang, lockte die Aussicht auf Beutegewinn, andere wiederum konnten dadurch ihre Abenteuerlust befriedigen. Der Kampf gegen die Ungläubigen war ein weiteres einigendes Motiv. Und in den Kreisen der portugiesischen Dynastie dachte man in erster Linie daran, durch eine erfolgreiche Expansionspolitik das Königtum der Aviz zu stärken. Zur Leitfigur dieses Vorgehens wurde Prinz Heinrich. Unabhängig von der Frage, ob man nun ihm allein zuschreiben soll, den Anstoß für die Ausweitung des portugiesischen Herrschaftsbereichs gegeben zu haben – eine Sicht, die mittlerweile traditionell geworden ist –, bleibt festzuhalten, dass er es war, der am konsequentesten die genannte Doppelstrategie verfolgte, nämlich die Muslime sowohl von Ceuta aus als auch von See her durch Schiffsexpeditionen entlang der Küste von Westafrika anzugreifen25.

Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung war die Kolonisierung von Madeira und der umliegenden Inseln in den Jahren 1418–1425. Danach richtete sich der Blick Portugals erneut auf die Kanarischen Inseln, die von Kastilien als Interessengebiet beansprucht wurden.26 Im Jahr 1424 oder 1425 brach eine erste Expedition unter dem Kommando von Fernando de Castro auf, um die Inselgruppe zu besetzen. Dieses Unternehmen schlug völlig fehl: De Castro musste unverrichteter Dinge wieder umkehren. Obwohl Kastilien heftig dagegen protestierte, unternahm Portugal in der Folgezeit wiederholt den Versuch, die Kanarischen Inseln in seinen Besitz zu bringen.27

In den Jahren zwischen 1425 und 1434 sandte Prinz Heinrich auch mehrere Expeditionen aus – Zuraras Bericht zufolge insgesamt 15 –, die Befehl hatten, jenseits von Kap Bojador, der Grenze der damals bekannten Welt, Neuland zu entdecken. Aus zeitgenössischer Sicht bedeutete dies also nichts weniger, als vorzustoßen »hinaus über das Ende der Welt«.28 Indes gelang keiner dieser Unternehmungen die Umrundung jenes Kaps. Noch am ehesten erreichte dieses Ziel Fray Gonçalo Velho, als er im Jahr 1426 bis nach Terra Alta, kurz vor Kap Bojador gelegen, segelte. Diese Misserfolge ließen Prinz Heinrich jedoch keineswegs resignieren. Zurara führt seine Beharrlichkeit auf folgende Motive zurück: auf Heinrichs unermesslichen Wissensdurst und seinen Drang, unbekannte Länder zu erforschen; auf seinen Wunsch, Handelsbeziehungen mit bislang unentdeckten Regionen zu knüpfen; auf seinen religiösen Eifer, der darauf abzielte, Kontakt mit einem noch zu entdeckenden christlichen Königreich jenseits des islamisch beherrschten Nordafrikagürtels aufzunehmen und mit diesem ein Bündnis gegen die Muslime zu schließen; auf sein Bestreben, die »Heiden« zum Christentum zu bekehren; und schließlich habe Heinrich – so der Chronist – mit den Übersee-Expeditionen das Schicksal erfüllen wollen, das ihm von seinem Horoskop vorhergesagt worden sei.29

In den Jahren 1427–1432 wurden von den Schiffen Heinrichs die Azoren entdeckt und mit Portugiesen besiedelt. Danach machte sich Heinrich daran, die Kanarischen Inseln in portugiesischen Besitz zu bringen. Dazu ging er zunächst auf diplomatischem Wege vor, indem er an Kastilien die Forderung richtete, Portugal das Recht zur Besetzung dieser Inselgruppe einzuräumen. Als dies nichts fruchtete – Kastilien beharrte nach wie vor auf seiner Oberhoheit über die Inseln –, wandte sich der Prinz 1433 direkt an den Papst. Und dieser entsprach – offensichtlich in Unkenntnis der kastilischen Ansprüche – Heinrichs Ersuchen. Daraufhin erhielt Prinz Heinrich von seinem Bruder Duarte, der als Nachfolger des im August verstorbenen Johann I. den portugiesischen Thron bestiegen hatte, weitgehende Verfügungsrechte über die Kanarischen Inseln. Die geistliche Aufsicht über die Inselgruppe wurde dem Christusorden zugesprochen, dem Heinrich als regedor e governador vorstand. Die endgültige völkerrechtliche Klärung der Kanarischen Frage blieb allerdings weiterhin offen, weil der Papst auf kastilischen Druck hin die Entscheidung, die Inseln Portugal zu überlassen, wieder zurücknahm.30

Im Jahr 1434 gelang Gil Eanes endlich die seit Langem angestrebte Umrundung von Kap Bojador, das bislang als unpassierbar gegolten hatte. 1435 folgte eine zweite Fahrt Eanes’, zusammen mit Afonso Gonçalves Baldaia. Damit war eine entscheidende Barriere gefallen, denn von nun an war es für die Seefahrt zumindest in psychologischer Hinsicht leichter, über dieses Kap hinaus weiter nach Süden vorzustoßen – nicht jedoch in technischer Beziehung, da die weit ins Meer hinausragenden Sandbänke und Felsenriffe die Passage dieses Landvorsprungs für die damaligen Schiffe nach wie vor zu einem sehr riskanten Unterfangen machten. Prinz Heinrich zeigte sich mehr denn je ermutigt und entschlossen, seine Schiffe so weit wie nur möglich nach Süden Vordringen zu lassen. Mit entsprechenden Instruktionen versehen, segelte Baldaia 1436 bis Piedra de Galea (Porto do Galé), 120 leagues31 südlich von Kap Bojador auf 22°03’ N gelegen. Auf dieser Reise wurde unter anderem auch der Rio d’Ouro entdeckt.32

Der fehlgeschlagene Tanger-Feldzug von 1437

Nach Baldaias Fahrt trat in der portugiesischen Entdeckungstätigkeit eine mehrjährige Pause ein, die bis 1440 währte. Die militärischen Vorbereitungen für einen Angriff auf das marokkanische Tanger, der Tod König Duartes im Jahr 1438 und die anschließend ausbrechenden Auseinandersetzungen um die Regentschaft zwischen der Königin und Prinz Pedro banden in den Jahren 1436 –1440 alle politischen Energien Portugals.

Am meisten ins Gewicht fiel dabei das Tangerunternehmen von 1437.33 Nachdem Pläne zu einem gemeinsamen Vorgehen von Portugal und Kastilien gegen das maurische Granada an der fortdauernden Rivalität der beiden iberischen Königreiche gescheitert waren, blieb Portugal in seinem Kampf gegen den Islam auf sich allein gestellt. Wie oben gesagt, blieb die Lage um Ceuta sehr unbefriedigend, sowohl was den Handel anbelangte als auch in Bezug auf die Möglichkeit, von hier aus den Kreuzzug gegen die Ungläubigen ins Innere Marokkos voranzutreiben. In dieser Situation wollte Portugal einen neuen Anlauf nehmen zur Zerschlagung der muslimischen Bastionen in Marokko.

Entschiedener Anwalt dieser Politik, die 1436 in den Plan mündete, Tanger anzugreifen, war Prinz Heinrich. Gegen massive Widerstände innerhalb der königlichen Familie – Prinz Pedro z.B. war, sich dabei auf die negativen Erfahrungen um Ceuta stützend, ausdrücklich gegen ein solches Unternehmen34 – konnte sich Heinrich dabei auf eine bula de crusada (Kreuzzugsbulle) von Papst Eugen IV. berufen, wenn er die Überzeugung äußerte, dass ein solcher Kreuzzug »zweifellos dem Willen Gottes« entspreche und in Fortsetzung der Reconquista ein Gott wohlgefälliges Werk sei.35

Umstritten war zudem, ob für diesen Feldzug eine Sondersteuer erhoben werden durfte. Der portugiesischen Bevölkerung eine besondere Kreuzzugsabgabe aufzubürden war unerlässlich, weil im Staatsschatz nicht genügend Geldmittel vorhanden waren, um den Sold und die Verpflegung des Expeditionskorps zu finanzieren. Ein Gutachten von Antonius de Pratovecchio, einem italienischen Rechtsgelehrten, der sowohl den Papst als auch den Kaiser und eine Reihe von Königen juristisch beriet, kam diesbezüglich zu dem Schluss, dass der König das Volk für einen gerechten Krieg zu Steuern heranziehen dürfe: »Collectam pro bello licite subditis imponi posse, ex quo bellum est iustum.«36 Eine Sonderabgabe zur Finanzierung des Tanger-Feldzuges war in der Bevölkerung natürlich sehr unpopulär; nur unter Protest genehmigten die im März 1436 in Evora versammelten cortes die vom König verlangte zusätzliche Steuer.37

Für die Expeditionstruppe wurden ursprünglich 14000 Mann für notwendig erachtet, doch als die Flotte schließlich am 22. August 1437 von Restelo aus aufbrach, waren nur 7000 Mann an Bord, ein Grund, warum das Unternehmen mit einem Desaster enden sollte. Nach der Landung in Ceuta marschierte Prinz Heinrich mit 5000 Mann Richtung Tanger, während sein Bruder, Prinz Fernando, mit der Armada und den restlichen 2000 Mann direkt nach Tanger segelte. Zwischen dem 13. und 20. September wurde die Stadt von den Portugiesen mehrmals erfolglos bestürmt.38 Als am 25. September der Sultan von Fes mit einem riesigen Entsatzheer den Verteidigern von Tanger zu Hilfe eilte, wurden aus den Belagerern Belagerte. Abgeschnitten von ihrer Flotte und angesichts der feindlichen Übermacht, hatten die Portugiesen keine andere Wahl, als den muslimischen Heerführern gegen die Zusicherung freien Abzugs zu den Schiffen die Übergabe Ceutas anzubieten. Am 17. Oktober gingen die Muslime endlich auf diesen Vorschlag ein, allerdings musste sich der Infant Fernando als Unterpfand für Ceuta in die Hand von Salah ben Salah, dem Verteidiger von Tanger, begeben.

Nach Rückkehr der Kriegsflotte entbrannte innerhalb der portugiesischen Führung ein schwerer Konflikt darüber, ob man den mit den Muslimen ausgehandelten Vertrag einhalten und also Ceuta im Austausch gegen Fernando aufgeben sollte.39 Prinz Pedro, der schon immer der Ansicht gewesen war, dass Besitzungen in Afrika für Portugal eher eine Belastung als ein Aktivposten seien, drängte auf die Aufgabe Ceutas, ebenso Prinz Johann. Gegen die Auslieferung der Stadt an die Mauren votierten Prinz Heinrich, der darauf baute, Fernando durch einen neuerlichen Feldzug aus der Geiselhaft befreien zu können, und der Erzbischof von Braga, der aus kirchlichen Gründen an Ceuta festhalten wollte. Der Papst äußerte sich in der gleichen Richtung; und auch das Bürgertum von Lissabon und Oporto beharrte kommerzieller Interessen wegen darauf, dass Ceuta unter keinen Umständen aufgegeben werden dürfe. König Duarte befand sich in einem großen Zwiespalt. Wäre es allein nach seinem Herzen gegangen, dann hätte er, um seinen geliebten jüngeren Bruder Fernando freizubekommen, Ceuta sicherlich fallen gelassen. Andererseits vermochte er sich nicht den Argumenten Heinrichs zu entziehen, der entschieden für ein Festhalten an diesem portugiesischen Brückenkopf plädierte. Als König Duarte am 9. April 1438 starb, war das Schicksal Fernandos weiterhin ungewiss. Auch unter Prinz Pedro und Duartes Witwe, die beide als Regenten eingesetzt worden waren, kam es trotz aller Bemühungen in dieser Frage zu keinem Ergebnis, sodass Prinz Fernando, der in der Gefangenschaft viele Misshandlungen und Demütigungen über sich hatte ergehen lassen müssen, schließlich am 5. Juni 1443 in Fes an der Ruhr starb, ohne sein Vaterland jemals wiedergesehen zu haben.

 

Der portugiesische Historiker David Lopes nennt Fernandos Tod »ein kaltblütig von der Nation verübtes Verbrechen«, für das in erster Linie Prinz Heinrich wegen seines unbedingten Festhaltens an Ceuta verantwortlich sei.40

Heinrichs Biograf John Ure schreibt zu dieser Frage über den Infanten: »Er hatte wirklich viel zu verantworten. Er war es gewesen, der auf dem tollkühnen Unternehmen bestanden hatte, er war es gewesen, der seinen Instruktionen und dem gesunden Menschenverstand zum Trotz gehandelt und Verderben und Erniedrigung auf die portugiesische Armee herabbeschworen hatte; und er hatte sich zur Übergabe seines Bruders Fernando bereitgefunden und später das Herz seines Bruders Duarte so zu verhärten verstanden, dass dieser nicht in Unterhandlungen um die Freilassung Fernandos eintrat. Duarte und Fernando waren nun beide tot. Aber Katastrophen und Tragödien hatten Prinz Heinrichs Charakter nicht weicher werden lassen; er sollte auch weiterhin solche Ziele mit Hartnäckigkeit verfolgen, die seine beträchtliche Einbildungskraft reizten. Und diese Ziele sollten, seiner besonderen Natur entsprechend, zwischen mittelalterlichem Rittertum und aufgeklärter Renaissance die Mitte halten.«41

Die Erforschung der westafrikanischen
Küste in den Jahren 1440–1448

Nach dem Fehlschlag von Tanger und dem Märtyrertod Fernandos zog sich Heinrich nach Sagres, der Halbinsel an der äußersten Südwestspitze Portugals, zurück. An diesem Ort der Provinz Algarve, über die er seit 1419 als Gouverneur regierte, wurden unter seiner Leitung in den folgenden Jahren intensive Studien auf den Gebieten der Mathematik, der Navigation und Kartografie, also Grundlagenforschung für die weiteren portugiesischen Entdeckungsreisen entlang der westafrikanischen Küste, betrieben. Ob man in diesem Zusammenhang von einer besonderen »Schule von Sagres« sprechen kann, wie dies im 19. Jahrhundert üblich war, ist nach neuesten Forschungen nicht mehr so einfach zu beantworten.42 Auch findet sich in zeitgenössischen Dokumenten keine Bestätigung für die Behauptung, Heinrich selbst sei auf den genannten Forschungsgebieten ein herausragender Wissenschaftler gewesen.43 Fest steht John Ure zufolge aber, dass in Sagres »gründliche und erfolgreiche Studien im Schiffsbau, in der Navigation und Kartografie durchgeführt worden sind und dass Prinz Heinrich bei ihrer Leitung jene Eigenschaften klar und deutlich unter Beweis stellte, die wir gewöhnlich einem empirisch vorgehenden Renaissance-Denker zuschreiben«.44 Heinrichs größter Beitrag zur theoretischen Seite der Entdeckungsreisen war, dass er entsprechend seiner Neigung zum Wissenschaftlichen verschiedene renommierte Gelehrte nach Sagres holte und diese dort in ihren Studien förderte. Einer von ihnen war der Jude Jaime Cresques, der aus der berühmten Kartografischen Schule von Mallorca stammte und in Sagres zu einem der führenden Kartografen seiner Zeit wurde.45 Bei der Wahl seiner Mitarbeiter verhielt sich Heinrich geradezu kosmopolitisch: Rassen- oder Glaubenszugehörigkeit spielten keine Rolle, sodass Heinrichs Hof ein buntes Bild verschiedener Nationalitäten bot. Die weltoffene Toleranz, die hierin zum Ausdruck kam, unterschied sich sehr deutlich von jenem »starren Kreuzfahrergeist«46, den Heinrich bei den Feldzügen gegen Ceuta und Tanger an den Tag gelegt hatte. Sein »forschender Intellekt« manifestiert sich auch in dem Titel »Beschützer der Universität von Lissabon«, den er seit 1431 in Anerkennung seiner Verdienste um diese Universität führte.47

Nach seiner Niederlassung in Sagres ging Prinz Heinrich tatkräftig daran, die vier Jahre lang unterbrochene Entdeckertätigkeit entlang der westafrikanischen Küste wieder aufzunehmen. Dass sich in seiner Person all die Kräfte konzentrierten, die auf Expansion drängten, verdeutlicht der Chronist Zurara, wenn im 7. Kapitel seiner Crónica da Guiné »fünf Gründe« angeführt werden, die den »Herrn Infanten bewogen, die Lande von Guinea suchen zu lassen«.

1441 gelangte ein Schiff unter Kapitän Antão Gonçalves zum Rio d’Ouro, im selben Jahr stieß Nuno Tristão bis zum Kap Blanco vor, zum bislang südlichsten Punkt portugiesischer Entdeckungsfahrt (20°46’ N). Tristão hatte ausdrücklichen Befehl, bei dieser Fahrt möglichst viele Eingeborene einzufangen und als Sklaven nach Portugal zu bringen. Diffie ist der Ansicht, dass der psychologische Effekt der Gefangennahme und anschließenden Verschleppung von schwarzen Sklaven – mit Tristãos Schiff kamen die ersten Farbigen nach Portugal – für die weitere Entwicklung der portugiesischen Seefahrt größer gewesen sei als die Erstumrundung von Kap Bojador.48 Viele Abenteurer und eher zwielichtige Figuren wurden nämlich nun von der Aussicht auf den Plan gerufen, beim Handel mit Sklaven profitable Geschäfte machen zu können. Um sich solche Konkurrenz vom Leibe zu halten, ließ sich Prinz Heinrich im Oktober 1443 von seinem Bruder Pedro, der für den noch minderjährigen König Afonso die Regentschaft ausübte, das exklusive Recht einräumen, dass nur in seinem Auftrag die afrikanische Küste befahren werden durfte. Auch Handelsgeschäfte aller Art durften von nun an nur noch getätigt werden, wenn Heinrich hierzu eine Lizenz erteilt hatte. Dieses Recht, das ihm vom Papst ausdrücklich bestätigt wurde, verschaffte dem Infanten eine Art Monopolstellung im Westafrikahandel, die zur finanziellen Grundlage für die künftigen, von Heinrich ausgerüsteten Entdeckungsfahrten wurde.49

Die zahlreichen Schiffsexpeditionen, die nun in den Jahren 1443–1446 entlang der westafrikanischen Küste unterwegs waren, dienten nicht zuletzt der Gefangennahme von Sklaven.50 Das Bestreben, von solchen Fahrten möglichst viele Sklaven nach Portugal mitzubringen, war Heinrichs Kapitänen mittlerweile – so John Ure – »zur zweiten Natur geworden«.51 G.G. Kinzel hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass mit dem Aufschwung des Sklavenhandels die für die portugiesische Volkswirtschaft »sich später so verhängnisvoll auswirkende Einfuhr billiger Arbeitskräfte« begann, die dann im 16. Jahrhundert zur Verachtung der Handarbeit führte – mit der Konsequenz, dass die handwerklichen Fertigkeiten der Portugiesen allmählich verkümmerten.52 Fragt man sich nun, warum Prinz Heinrich diese grausame Verschleppung von Menschen zuließ, dann ist dabei zunächst zu berücksichtigen, dass er die Entdeckungsfahrten entsprechend seinem religiösen Eifer und als Oberhaupt des Christusordens auch als Weiterführung der christlichen Reconquista gegen die Ungläubigen verstand. Er glaubte, in einem gerechten Krieg zu stehen, woraus er das Recht ableitete, Gefangene zu machen. Und es passte zusätzlich in das Bild vom christlich motivierten Vorgehen Heinrichs, dass fast alle der nach Portugal verschleppten Sklaven getauft wurden.53 Zurara berichtet auch, dass er »nie einen dieser Gefangenen in Eisen gesehen« habe.54 Für John Ure sind die genannten christlichen Motive nicht überzeugend. Man müsse Prinz Heinrich zwar von der Anklage freisprechen, den Sklavenhandel an sich in Gang gebracht zu haben, doch könne man ihn andererseits nicht einfach damit entlasten, dass er das in seinem Zeitalter Übliche getan habe. Vielmehr müsse man fragen, wie es dazu kommen konnte, »dass dieser engagierte christliche Kreuzfahrer, der in mancher Hinsicht ein aufgeklärter Denker war, dem ersten Sklavenmarkt in Europa Vorstand«? Ure kommt zu dem Schluss, dass Heinrich in diesem Punkt »ein Opfer jener Verzerrung der Wirklichkeit« geworden sei, die man »als eine der Illusionen des Zeitalters des Rittertums« bezeichnen könne. Er habe in einer ritterlichen »Traumvision« gelebt und von daher Kämpfe mit afrikanischen Stämmen »als ritterliche Geniestreiche aufgefasst«.55

Ure zufolge spielten hierbei auch handfeste materielle Gründe eine gewichtige Rolle: »Als die Entdeckungsreisen immer weiter führten, war es nicht mehr wie früher möglich, Kapitäne nur aus dem Hofstaat von Prinz Heinrich zu rekrutieren. Eine neue Schicht von Abenteurern musste dafür gewonnen werden, in jene entfernten Gewässer aufzubrechen. Während aber Gold auch weiterhin ein Trugbild blieb, waren Sklaven zu einer Realität geworden, die den Zustrom an solchen Abenteurern förderte. Mit jedem neu entdeckten Vorgebirge stieg Prinz Heinrichs Hunger nach Entdeckungen; mit jeder neuen Sklavenladung wurde es einfacher, Kapitäne und Mannschaften für Entdeckungsreisen aufzutreiben. Die beiden Vorgänge – Entdeckungen und Sklavenhandel – ergänzten einander nunmehr. Und der Markt für Sklaven in der unterbevölkerten Algarveregion schien unerschöpflich zu sein.«56 Ures kritisches Fazit zu diesem dunklen Kapitel in Heinrichs Leben lautet: »Aber die Tragödie des Sklavenmarktes in der Stadt Lagos lag darin, dass Prinz Heinrich seine christliche Nächstenliebe von seinen verzerrten ritterlichen Idealen und seinem Entdeckerehrgeiz niedertrampeln ließ. Als er auf seinem stolzen Ross das Auseinanderreißen afrikanischer Familien überwachte und sich über die Rettung ihrer Seelen freute, bemerkte er anscheinend gar nicht, wie unchristlich das war, was er tat. Er zahlte damit den Preis für die ruhmreiche Illusion, die er seit und auch schon vor Ceuta genährt hatte. Sein militärischer Ruf hatte bei Tanger gelitten (…); nun litt auch sein Ruf als Mensch in gleicher Weise.«57

Über der Tatsache, dass »die Sklavenjagd immer häufiger, lukrativer und schmutziger wurde«58, sollte nicht vergessen werden, dass die Afrikafahrten vorrangig der Entdeckung neuen Landes dienten. Von den vielen Entdeckungsreisen dieser Jahre seien hier die wichtigsten herausgegriffen:59 1443 erreichte Nuno Tristão die Inseln Gete und Garças in der Bucht von Arguim, südlich von Kap Blanco; 1444 gelangte Gonçalo de Sintra nach Arguim, und im selben Jahr stieß Dinis Dias bis zum Kap Verde vor und betrat dort als erster portugiesischer Seefahrer »das Land der Schwarzen«. Ein Jahr später, 1445, entdeckte Álvaro Fernandes 96 Kilometer südlich von Kap Verde einen weiteren Landvorsprung, dem er wegen einiger Palmen, die dort wuchsen und die durch einen Tornado ihre Wedel verloren hatten, den Namen Cabo dos Mastos (Kap der Masten) gab. Und ein weiteres Jahr später entdeckte Nuno Tristão die Mündung des Gambia-Flusses. Tristão war in dieser Phase der produktivste Seefahrer Heinrichs. Von allen Kapitänen, die im Auftrag des Prinzen segelten, spiegelte er »am deutlichsten die intellektuelle Neugier seines Herrn« wider.60 Und eben dieser Entdeckergeist und Wissensdurst sollten ihm auf dieser Fahrt zum Verhängnis werden: An der Mündung des Gambia-Flusses angekommen, beschloss Tristão, mit zwei Booten, bemannt mit rund 20 Mann, flussaufwärts zu rudern, um dort Erkundungen anzustellen. Vom dichten Uferdickicht aus wurden die Portugiesen plötzlich von Eingeborenen mit Giftpfeilen beschossen. Unter denjenigen, die der Wirkung des Gifts umgehend erlagen, war auch Tristão. Dieser dramatische Zwischenfall gab Prinz Heinrich Gelegenheit, sein ritterliches Wesen von seiner uneingeschränkt positiven Seite zu beweisen. Er setzte nämlich den Witwen und Kindern der Expeditionsteilnehmer, die bei diesem Überfall ums Leben gekommen waren, eine Rente aus.61

 

Heinrich war nun fast schon auf dem Zenit seines Ruhms angelangt. 1442 ließ ihn der englische König Heinrich VI. zum Ritter des Hosenbandordens schlagen und ihm dadurch die höchste Auszeichnung zukommen, die England zu vergeben hatte. Und im Februar 1446 gewährte ihm Regent Pedro in Anerkennung seiner Verdienste um die portugiesische Seefahrt und als Ausgleich für die Kosten der Entdeckungsfahrten ein Monopol über den südlich von Kap Bojador betriebenen Handel.62