Heinrich der Seefahrer

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VORWORT DES HERAUSGEBERS

Heinrich der Seefahrer und das Zeitalter der portugiesischen Entdeckungen

»Den Ansporn, eine Seemacht zu werden, erhielt Portugal durch seine geografische Lage. Aber bei einer Bevölkerung, die nur eine und eine viertel Million zählte, hätte man kaum erwarten können, dass es im Verlauf eines Jahrhunderts die halbe Welt entdecken würde.« 1

Die portugiesischen Entdeckungen
und die Geschichtsschreibung

Schlägt man in der Absicht, sich rasch über die geschichtliche Entwicklung Portugals zu informieren, eine der zahlreichen Gesamtdarstellungen zur Geschichte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit auf, dann gewinnt man den Eindruck, dass das an der europäischen Peripherie gelegene Portugal nicht viel mehr als eine Komparsenrolle auf der Bühne der europäischen Geschichte gespielt hat. Dass in diesem Land die Wiege der abendländischen Übersee-Expansion gestanden hat, dass von keinem anderen Volk in der Geschichte so weitreichende geografische Entdeckungen gemacht wurden wie vom portugiesischen, dass Portugal als erste Kolonialmacht Europas dem Blick der Europäer neue Horizonte erschlossen, dass es mit seinen Entdeckungsfahrten in bislang unbekannte Weltregionen die Enge europäischer Provinzialität gesprengt und die abendländische Zivilisation mit bis dahin fremden Kulturen und Gesellschaften in Kontakt gebracht hat, scheint, obgleich von welthistorischer Bedeutung, vergessen worden zu sein. Wenn wir nach den Gründen für dieses erstaunliche Phänomen fragen, dann ist zunächst festzustellen, dass die in erster Linie auf die klassischen europäischen Großmächte konzentrierte Forschungsperspektive der meisten Historiker das geschichtliche Geschehen an der Peripherie Europas als zweitrangig erscheinen lässt und Portugal dementsprechend zu einer historischen »Randgruppe« im Kreise der »feinen Gesellschaft« von England, Frankreich und Deutschland degradiert. Nachteilig für eine angemessene Würdigung der welthistorischen Leistungen Portugals im 15. und 16. Jahrhundert wirkt sich zudem der bis in unsere Tage vorherrschende Eurozentrismus der Geschichtswissenschaft aus, insofern nämlich, als dadurch die außereuropäische Welt allenfalls als Appendix der europäischen Geschichte abgehandelt wird. Und dieses Faktum sorgt dafür, dass der Eintritt der südlichen Hemisphäre in das abendländische Weltbild, vorrangig zu verdanken den außerordentlichen Erfolgen der portugiesischen Seefahrt, in seiner die abendländische Welt verändernden Wirkung – sieht man einmal ab von der einschlägigen Spezialliteratur – nicht deutlich genug herausgestrichen wird. Dass von der Geschichtsschreibung weitgehend versäumt wurde, den tief gehenden Einfluss der portugiesischen Geschichte auf die menschliche Zivilisation recht zu würdigen, vermittelt nach Ansicht des amerikanischen Entdeckungshistorikers B.W. Diffie den Anschein, als sei von der internationalen Historikerzunft insgeheim eine regelrechte »Verschwörung« angezettelt worden, die sich zum Ziel gesetzt habe, Portugal seiner Verdienste auf diesem Gebiet zu berauben. Wenn er auch einräumen muss, dass die strikte Geheimhaltungspolitik des portugiesischen Königshauses, also dessen Bestreben, Portugals Entdeckungspläne und Entdeckungserfolge aus Furcht vor ausländischer Konkurrenz nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, und der hieraus resultierende Quellenmangel für die beschriebene Unterbewertung der portugiesischen Geschichte mitverantwortlich sind, so vermag Diffie den Historikern dennoch den Vorwurf nicht zu ersparen, ihre Argumentation in Bezug auf Portugals Entdeckungsleistungen sei ausgesprochen destruktiv«.2 Umgekehrt freilich sei manchen betont nationalistischen portugiesischen Historikern, z.B. Gago Coutinho und Armando Cortesão, vorzuhalten, die entdeckungsgeschichtlichen Meriten Portugals größer gemacht zu haben, als sie es in Wirklichkeit waren: durch die Behauptung nämlich, es habe bereits vor Heinrich dem Seefahrer groß angelegte Entdeckungsreisen, vor Vasco da Gama schon geheim gehaltene Vorstöße in den Atlantik und den Indischen Ozean, vor Columbus Fahrten nach Amerika und vor Cabral Expeditionen nach Brasilien gegeben. Solche von keiner Quelle abgestützten Thesen seien lediglich ein »ausgetüfteltes Ratespiel«, das in Verdrehung der historischen Wahrheit dazu führe, all die genannten großen Entdeckerpersönlichkeiten zu »Pygmäen« zu degradieren, die nur den Spuren der vorgeblich »ersten« anonymen Entdecker gefolgt seien.3

Welche Antriebskräfte ließen Portugal zur
Pioniernation der Entdeckungen werden?

Es ist auf den ersten Blick in der Tat erstaunlich, dass ausgerechnet das kleine, bevölkerungsarme und wirtschaftlich vergleichsweise schwache Portugal, erst 1139 unter Afonso, dem Sohn des Grafen Heinrich von Burgund, im Kampf gegen die Mauren und unter Beseitigung der Oberhoheit Kastiliens zu einem selbstständigen Königreich aufgestiegen4, im 15. und 16. Jahrhundert zur führenden Seefahrer- und Entdeckernation Europas wurde. Dass dieses Königreich, das im Rahmen der innereuropäischen Geschichte über die Jahrhunderte hinweg nur eine untergeordnete Rolle spielte, solches zu vollbringen imstande war, lässt sich auf eine Reihe von Gründen zurückführen: Wesentlich ist zum einen die geografische Position Portugals am äußersten Südwestzipfel Europas, die für maritime Unternehmungen sehr günstig war und dem Land gegenüber den Ländern Mittel- und Nordeuropas auf diesem Terrain deutliche geostrategische Vorteile bot. Eine zweite Voraussetzung war die Existenz eines Handelsbürgertums und einer eigenen Schiffsbauindustrie. Die Aussicht auf wirtschaftlichen Gewinn5 und die Befriedigung von Abenteuerlust waren weitere Antriebskräfte. Jungen Adligen versprach die Seefahrt Ehrgewinn und Reichtum, während andere, vor allem das portugiesische Königshaus und die Kirche, in Übersee-Expeditionen in erster Linie die Möglichkeit sahen, die Ungläubigen zum Christentum zu bekehren. Unabhängig davon aber sind die herausragenden Erfolge der portugiesischen Seefahrt nicht zuletzt das ganz persönliche Verdienst von Heinrich dem Seefahrer, der 1394 als vierter Sohn König Johanns I. geboren wurde und im Mannesalter zum »Chef-Promotor«6 der portugiesischen Entdeckungen werden sollte. Denn während die anderen europäischen Länder zu Beginn des 15. Jahrhunderts in nicht enden wollende Kriege und dynastische Machtkämpfe verstrickt waren, übernahm Portugal, getrieben von Heinrichs unbändigem Entdeckungseifer, die Führung bei der Erforschung der außereuropäischen Welt und leitete damit eine neue Epoche der Weltgeschichte ein.

Zur Frühgeschichte der
portugiesischen Seefahrt

Ohne die entscheidenden Impulse, die die portugiesische Seefahrt von Heinrich dem Seefahrer erhielt, in ihrer Bedeutung herunterspielen zu wollen, darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Portugiesen auch schon in früheren Zeiten auf seemännischem Gebiet Hervorragendes geleistet haben. Obwohl wir über die Frühgeschichte der portugiesischen Seefahrt nur relativ wenig wissen, ist bekannt, dass, vor allem von den portugiesischen Geschäfts- und Handelszentren Lissabon und Oporto aus, bereits im 12. Jahrhundert ein reger Seehandel mit dem Norden Europas und den Mittelmeerländern getrieben wurde. Auch besaß Portugal schon unter Alfons I. (1139–1185) eine, wenn auch noch recht kleine, Kriegsflotte, die immer wieder in Gefechte mit maurischen Geschwadern verwickelt war und mit deren Hilfe es gelang, die Herrschaft der Araber im Rahmen der portugiesischen Reconquista Zug um Zug nach Süden zurückzudrängen. Und im Jahr 1189 beteiligte sich König Sancho I. (1185–1211) mit 40 Galeeren an einer Kreuzfahrerflotte, die den Süden Portugals von den Mauren befreien sollte.7 Einen großen Schritt nach vorn machte die portugiesische Kriegs- und Handelsmarine unter König Diniz (1269–1325), dem wohl bedeutendsten portugiesischen Herrscher im Mittelalter. Um den Schiffsbau zu fördern, ließ er nicht nur bei Leira einen Fichtenwald zur Beseitigung des Holzmangels anlegen, sondern er rief im Jahr 1293 auch eine Schiffsversicherungsgesellschaft, die bolsa, ins Leben, aus der sich später die feitora, die lange Zeit führende portugiesische Überseehandelsgesellschaft, entwickelte.8 Neben einer Reihe von Steuerprivilegien, die er dem Handelsbürgertum gewährte, fiel in diesem Zusammenhang auch ins Gewicht, dass er die Schiffsbauer in den Ritterstand erhob. Dieser Beruf war also fortan mit einem außerordentlichen gesellschaftlichen Prestige und einem hohen sozialen Status verknüpft, was natürlich dazu führte, dass sich dieser Gewerbezweig besonders stark entwickelte. Und schließlich schuf König Diniz das Amt des Admirals, des Befehlshabers der Kriegsflotte, dessen Inhaber er ebenfalls mit großen Privilegien ausstattete. Betraut mit diesem Amt wurde ein Genueser namens Manoel Pezagno, der als Seefahrer in einem guten Ruf stand. Überhaupt war Genua damals die führende Seemacht, deren Kapitäne auch von den Königen Kastiliens und Frankreichs mit der Organisation ihrer Flotten beauftragt wurden.9

Genueser, die mit besagtem Admiral nach Portugal gekommen waren, waren es auch, die die erste aktenkundige Ozeanfahrt unter portugiesischer Flagge anregten: Am 1. Juli 1341 brachen drei Schiffe zu den Kanarischen Inseln auf, die im Altertum als die »Glücklichen Inseln« bekannt und 1270 von dem Genueser Malocello neu entdeckt worden waren.10 Die portugiesische Expeditionsflotte besuchte auf dieser Fahrt die Inseln Fuerteventura, Gran Canaria, Ferro, Gomera und Teneriffa; einige Chronisten vermuten sogar, dass anlässlich dieser Expedition auch die Azoren erreicht wurden. Im November desselben Jahres trafen die drei Schiffe wieder in Lissabon ein, ohne allerdings eine nennenswerte Beute mitzubringen. Wenn dieser ersten Entdeckungsfahrt vorläufig keine weitere folgte, dann lag das vor allem daran, dass Papst Clemens VI. (1342–1352) – nach mittelalterlichem Recht oblag es der päpstlichen Gewalt, über neu entdeckte und bislang unbesetzte Länder zu verfügen – im Jahr 1344 die Kanarischen Inseln dem Grafen Luis de la Cerde, einem Verwandten des Königshauses von Kastilien, gegen eine jährlich zu entrichtende Tributzahlung verlieh.11 Hinzu kam, dass der fortdauernde Krieg gegen die Mauren den vollen Einsatz der portugiesischen Flotte verlangte.

 

In der Folgezeit wurde unter den Königen Pedro I. (1357– 1367), der ausländischen Kaufleuten weitgehende Handelsprivilegien einräumte und somit Portugal zu einem Zentrum des europäischen Handels machte, und Ferdinand I. (1367–1383) die Kriegs- und Handelsflotte Portugals stetig ausgebaut und verbessert. Als jedoch Ferdinand I. vor dem Hintergrund der anhaltenden Erbfolgestreitigkeiten mit Kastilien immer mehr Geld in die Kriegsmarine steckte, stieß er mit dieser Politik auf den Widerstand der cortes, des ständisch verfassten Parlaments Portugals, in dem die Stimme des Handelsbürgertums ein großes Gewicht hatte. Beklagt wurde vom Parlament neben der Vernachlässigung der Handelsschifffahrt auch die Steuer- und Zollpolitik des Königs, die aus der Sicht des Handelsbürgertums nur den Adel und den Klerus und obendrein auch noch die ausländischen Kaufleute begünstigte. Da die Volksvertreter mit dem Steuerbewilligungsrecht ein wirksames Druckmittel in der Hand hatten, musste Ferdinand I. ihrem Begehren nach einer stärkeren Förderung der einheimischen Handelsschifffahrt schließlich nachgeben. 1377 gewährte er der portugiesischen Kaufmannschaft einen großzügigen Privilegienbrief, eine Maßnahme, die er drei Jahre später mit der Gründung einer Schifffahrtsgesellschaft, der Companhia das Naus, ergänzte. Beide Entscheidungen waren für die Zukunft der portugiesischen Seefahrt von größter Wichtigkeit: Mit dem Privilegienbrief erhielten die Handelsschifffahrt und der Handelsschiffsbau ein ganzes Bündel weitreichender Begünstigungen zugesprochen, das von der Gewährung von Steuer-und Zollfreiheit in bestimmten Fällen bis hin zu der Erlaubnis reichte, für den Bau von Schiffen über 100 Tonnen Holz in den königlichen Forsten kostenlos schlagen zu dürfen. Hauptzweck der neu geschaffenen Schifffahrtsgesellschaft war die Einrichtung eines genossenschaftlichen Versicherungsfonds, auf den die Reeder zurückgreifen konnten, wenn eins Schiffe auf See verloren gegangen war.12 Angesichts dieser Maßnahmen verlegten sich viele Portugiesen auf die Handelsschifffahrt, versprach eine Betätigung auf diesem Felde doch reichen wirtschaftlichen Gewinn. Und in der Tat erlebten in den Jahren nach 1380 der portugiesische Seehandel und die Handelsflotte einen ungeheuren Aufschwung, eine Entwicklung, in deren Verlauf viel Geld in das Land strömte und die Wirtschaft Portugals insgesamt aufblühte. Auch der König, dem der Ausbau der Handelsflotte von den cortes zunächst hatte abgerungen werden müssen, zog daraus einen Nutzen, denn die Handelsschiffe, deren Größe mit der Ausweitung des Handels ständig zunahm, konnten in Kriegszeiten auch militärisch eingesetzt werden. Freilich erlitt die Flotte Portugals durch Ferdinands Dauerkrieg gegen den Rivalen Kastilien so schwere Verluste, dass sein Nachfolger auf dem portugiesischen Königsthron, Johann I. (1385–1433), Jahre brauchte, um sie wieder zu reorganisieren.13

Das Zeitalter Heinrichs des Seefahrers
Die Eroberung Ceutas im Jahre 1415

Nach Beendigung des Erbfolgekrieges gegen Kastilien in der für die Portugiesen mit einem entscheidenden Sieg endenden Schlacht von Aljubarrota im August 1385 und der nachfolgenden inneren Konsolidierungsphase unter der neuen Dynastie der Aviz, die mit Johann I. an die Macht gekommen war14, schickte sich Portugal im Jahr 1415 an, seiner Expansionspolitik neue Horizonte abzustecken und über die Straße von Gibraltar hinausgreifend auf dem afrikanischen Festland Fuß zu fassen. In diesem Jahr wurde das maurische Ceuta von einem portugiesischen Expeditionskorps im Handstreich erobert, wobei Prinz Heinrich zum ersten Mal ins Rampenlicht der Geschichte treten sollte.

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts fand Portugal für eine aktive Afrikapolitik außerordentlich günstige Voraussetzungen vor: Kastiliens außenpolitischer Spielraum war zu der Zeit stark eingeengt durch innere Machtkämpfe mit dem Adel, und da England und Frankreich durch den Hundertjährigen Krieg15 die Hände gebunden und die italienischen Stadtstaaten in gegenseitige Rivalitäten verstrickt waren, hatte Portugal – zudem gestützt auf den endgültigen Friedensschluss mit Kastilien aus dem Jahre 1411 – Energien frei für eine erfolgreiche Südexpansion.

Mit einem Feldzug gegen die muslimischen Mauren wollte Johann I. unter anderem Verfehlungen wiedergutmachen, derer er sich im Krieg gegen seinen »christlichen Bruder«, den König von Kastilien, schuldig gemacht zu haben glaubte. Wie uns der Chronist Zurara berichtet, meinte er, dafür am besten Buße tun zu können, »wenn er seine Hände im Blut der Ungläubigen wusch«.16 Nach reiflichem Überlegen wurde am Königshof zu Lissabon schließlich beschlossen, zu diesem Zweck Ceuta anzugreifen, die Stadt, von der aus die muslimischen Omaijaden im Jahr 711 auf die Iberische Halbinsel vorgedrungen waren. Diffie zufolge war diese Entscheidung das »wichtigste Ereignis der Regierungszeit Johanns I., wenn nicht sogar der gesamten portugiesischen Geschichte«.17 Denn die Eroberung Ceutas bildete den Auftakt zur Schaffung des portugiesischen Überseereiches, und sie war gleichsam ein Vorspiel zu den späteren Atlantikerkundungen. Freilich war König Johann dieser Entschluss alles andere als leicht gefallen: Er befürchtete, der Fall Ceutas würde das islamisch-maurische Restkönigreich Granada im Süden Spaniens, das erst 1492 von Kastilien endgültig besiegt werden sollte, vom Nachschub der Hilfstruppen aus Afrika abschneiden und dann Portugals Erzrivalen, den König von Kastilien, ermuntern, nicht nur Granada, sondern auch Portugal mit Krieg zu überziehen. In seiner Crónica de Ceuta bestätigt Zurara ausdrücklich die Bedenken Johanns, die kastilische Front zu entblößen, wenn er ihm folgende Worte zuschreibt: »Die Kastilier hassen uns abgrundtief, zumal die Erinnerung an die Niederlage, die sie gegen uns erlitten haben, noch sehr frisch ist. Es könnte deshalb sein, dass sie diese Gelegenheit ausnützen, um Vergeltung zu üben für die Erniedrigungen, die wir ihnen zugefügt haben.«18 Und obendrein befürchtete der König einen Gegenangriff der Mauren auf die südportugiesische Provinz Algarve, die diesen erst vor Kurzem entrissen worden war. Wenn solchen Befürchtungen zum Trotz schließlich dennoch entschieden wurde, Ceuta zu erobern, dann gab es hierfür – neben dem Kreuzzugsgedanken – eine ganze Reihe von gewichtigen Argumenten19: Ceuta, nach Zurara »die Blume unter den Städten Afrikas« und »Schlüssel zum Mittelmeer«20, war zu der Zeit ein sehr bedeutender Handelsplatz an der Straße von Gibraltar und Endstation verschiedener ins Innere Afrikas führender Karawanenwege. Auf einem davon gelangte man zu den dortigen sagenumwobenen Goldquellen, was auf portugiesischer Seite die Hoffnung nährte, mit der Einnahme von Ceuta den afrikanischen Goldhandel in die Hand zu bekommen. Weiter versprach man sich von der Inbesitznahme eines afrikanischen Hafens an der Straße von Gibraltar eine Stärkung der militärischen Position Portugals gegen die Mauren und einen verbesserten Schutz der Algarveküste gegen das maurische Piratenunwesen. In strategischer Hinsicht sollte Ceuta zu einem Brückenkopf ausgebaut werden, von dem aus weitere Eroberungen in Marokko Platz greifen konnten. Ferner bot ein solcher Feldzug die Möglichkeit zur Beschäftigung der portugiesischen Streitkräfte, die seit dem Friedensschluss mit Kastilien im Jahr 1441 gleichsam »arbeitslos« waren. Auch spielte hierbei die Furcht eine Rolle, dass Portugal von seinen Handelsverbindungen nach Afrika abgeschnitten würde, wenn man Kastilien allein das afrikanische Feld überließe. Ganz persönliche Beweggründe, eine Expedition gegen den maurischen Stützpunkt Ceuta zu fördern, hatten die Prinzen Duarte, Pedro und Heinrich, die Söhne Johanns I. Sie wollten sich nämlich durch eine besondere Waffentat die Ehre verdienen, von ihrem Vater zum Ritter geschlagen zu werden. Und was war hierfür besser geeignet als ein erfolgreicher Kreuzzug gegen die Ungläubigen?

Am 25. Juli 1415 hisste die portugiesische Kriegsflotte die Segel. Sie bestand aus etwa 200 Schiffen jeder Größe und ungefähr 50000 Mann, darunter viele ausländische Söldner und Edelleute, unter anderen auch der Tiroler Dichter Oswald von Wolkenstein. Da die Portugiesen selbst nicht über genügend Schiffe verfügten, um diese Streitmacht nach Afrika überzusetzen, musste hierfür eine große Anzahl aus dem Ausland angemietet werden.21 Einige Tage später ging die Flottille in der Bucht von Lagos, an der Südspitze Portugals gelegen, vor Anker. Um die Truppe für den bevorstehenden Kampf in die richtige Stimmung zu bringen, ließ König Johann dort von seinem Hofkaplan eine zündende Kreuzzugspredigt halten, die mit den Worten endete: »Wer als Katholik und wahrer Christ nicht seine ganze Kraft zur Verteidigung des Glaubens einsetzt, ist kein echter Ritter, kein Glied Jesu Christi; er hat nichts mit ihm gemein und übertrifft an Schlechtigkeit den Ungläubigen.«22 Durch heftige Winde zeitweilig vom richtigen Kurs abgetrieben, erreichte die portugiesische Streitmacht am 14. August schließlich die Reede von Ceuta. Am nächsten Morgen erfolgte die Landung, wobei es den Portugiesen alsbald gelang, in die Stadt einzudringen. Wie Zurara schildert, übernahm Prinz Heinrich selbst die Leitung dieser Operation. Es entbrannte nun ein heftiger Kampf, Straßenzug um Straßenzug, Stadtviertel um Stadtviertel. Die Mauren waren zahlenmäßig weit überlegen, sodass die meisten von Heinrichs Leuten nach und nach ihr Heil in der Flucht suchten. Zuraras Bericht zufolge hielten nur 17 Ritter und Knappen bei Heinrich aus, und dieser kleine Haufen wehrte sich heroisch gegen die maurische Übermacht, wobei sich Heinrich durch außergewöhnlichen Mut hervorgetan haben soll. Erst als es ihm gelungen war, sich mit der Mannschaft seines Bruders Duarte, der inzwischen die Moschee von Ceuta erobert hatte, zu vereinigen, konnte der Versuch unternommen werden, die Zitadelle der Stadt zu erstürmen. Am Abend des 16. August war es dann endlich so weit: Auf der höchsten Zinne der maurischen Trutzburg wehte die portugiesische Flagge, das Banner des heiligen Vincente. Trotz heftiger Gefechte hatten die Portugiesen nach Auskunft des Chronisten insgesamt nur acht Mann verloren, »da die meisten Söldner, im Gegensatz zu den Mauren, einen Harnisch trugen«.23 Als Belohnung für ihren mutigen Einsatz und ihre Tapferkeit wurden die Prinzen Duarte, Pedro und Heinrich am 25. August von ihrem Vater, König Johann I., zu Rittern geschlagen, und zwar mit den Schwertern, die ihnen ihre Mutter kurz vor ihrem Tod – die Königin war unmittelbar vor dem Aufbruch der portugiesischen Flotte nach Ceuta verschieden – noch auf dem Totenbett überreicht hatte.

Nach der erfolgreichen Eroberung Ceutas ergab sich die Frage, ob man die Stadt langfristig halten oder wieder aufgeben sollte. Die Ratgeber des Königs waren hierüber verschiedener Meinung. Die Rückzugsbefürworter verwiesen vor allem darauf, dass eine dauerhafte Besetzung Ceutas mehr Kosten verursache als Gewinne einbringe. Die Gegenpartei war der Auffassung, dass bei einem Rückzug die Stadt wieder den Muslimen ausgeliefert würde und diese so wieder die Möglichkeit hätten, von hier aus die Algarveküste zu überfallen. Nach einigem Hin und Her wurde vom König schließlich beschlossen, Ceuta zu halten. Bevor die portugiesische Flotte am 2. September nach Portugal aufbrach, wurde der Graf von Viana, João Pedro de Menezes, als Gouverneur von Ceuta eingesetzt. Als Besatzungstruppe wurden knapp 3000 Mann mit einigen Schiffen zurückgelassen. Am 6. September 1420 wurde Ceuta – in Übereinstimmung mit einer Bulle Papst Martins V. – in den Rang einer bischöflichen Diözese erhoben.

Die Besetzung Ceutas stellte sich freilich bald als eine schwere Bürde heraus: Dauernde Überfälle der Mauren auf die Stadt machten den portugiesischen Besatzern das Leben schwer. Zwischen 1418 und 1420 wurde Ceuta von einer starken muslimischen Streitmacht belagert, sodass König Johann gezwungen war, seinen Sohn Prinz Heinrich mit einer Entsatzexpedition wieder nach Nordafrika zu schicken. Und obwohl die Mauren daraufhin nicht in der Lage waren, die Stadt zurückzuerobern, brachten Belagerung und ständige Überfälle die Portugiesen um die erhofften Vorteile. Dies galt vor allem auch in wirtschaftlicher Hinsicht, denn der muslimische Handelsschwerpunkt verlagerte sich nach 1415 von Ceuta auf andere Städte in Nordafrika, was zur Folge hatte, dass die Bemühungen der Portugiesen, von Ceuta aus den Sahara-Handel in den Griff zu bekommen, zum Scheitern verurteilt waren.24