Reisen im Sudan

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From the series: Edition Erdmann
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Nach kurzer Besichtigung der Altertümer bei Luksor und Karnak schickten wir uns zur Weiterreise an. Da erschienen, in leichte Gewänder gehüllt, drei jener öffentlichen Tänzerinnen »Rhauasïe« – von den Reisenden oft »Almeh«* genannt – und begannen beim Klang ihrer Kastagnetten, eines Tamburins und einer zweisaitigen Violine, die ein alter blinder Kerl bearbeitete, ihre sinnlichen maurischen Tänze aufzuführen. Wir weltliches Personal hätten gern den reizenden Tänzerinnen zugeschaut; die geistlichen Herren aber, vielleicht mit Ausnahme des Bischofs, fürchteten die Versuchung und jagten sie unbarmherzig fort.

Es wurde uns erzählt, dass die Rhauasïaht* hier in der Verbannung leben. Sie übten ihre Künste früher in der Khahira und in Alexandrien aus, trieben es aber dem alten Mohammed-Ali zuletzt doch zu bunt. Plötzlich erzürnt, unterbrach er ihr fröhliches Leben durch den strengen Befehl, nach Oberägypten auszuwandern, und ließ die Säumigen durch Soldaten nach mehreren Städtchen transportieren. Hier führen sie ein höchst unregelmäßiges Leben und werden dem Reisenden durch ihre Zudringlichkeit oft lästig. Man findet unter ihnen sehr schöne Mädchen; gewöhnlich aber sind sie durch Ausschweifungen aller Art, hauptsächlich auch durch Trunksucht, so herabgekommen, dass sie Ekel und Mitleid erregen. Die mit ihnen aufgeführten Orgien und Bacchanalien nennen die Türken »Fanthasïe«**; auf ihre Tänze werde ich zurückkommen.

Wenn die Rhauasïe jung, hübsch und reich gekleidet ist und ihre leidenschaftlichen Tänze gut zu produzieren versteht, ist der Ausdruck Fanthasïe auch in seiner ursprünglichen Bedeutung gerechtfertigt. Ihr Erscheinen schon ist phantastisch. Aber leider verblühen ihre Reize bald, und wenn sie dann Männerherzen zu fesseln nicht mehr fähig ist, sinkt sie gar schnell in die Nacht der Vergessenheit. Nur die allerniedrigsten Kupplerdienste erwerben ihr, wenn sie alt wird, einen notdürftigen Geldgewinn, kaum hinreichend, ihr elendes Leben zu fristen. Dieses kontrastiert mit dem Glanz ihres früheren Auftretens so grell, dass wirklich eine mohammedanische Ergebung in das Walten des unabänderlichen Fatums dazugehört, um den Kontrast ertragen zu können.

Eine wegen ihrer Schönheit berühmte Tänzerin namens Safïe (Sophie) war die Geliebte des nachherigen Vizekönigs Abbas-Pascha.3 Sie soll zur Zeit ihrer Blüte so schön gewesen sein, dass Abbas, damals Gouverneur von Kairo, in seinem Harem keine ihr an Reizen ähnliche Frau besaß. Er besuchte heimlich oft die liebliche Tänzerin, überhäufte sie mit Geschenken, verlangte aber von einem öffentlichen Mädchen Treue, die er nie erwarten konnte. Einst fand er sie in den Armen eines schmucken Arabers. Seine Rache war seiner Roheit und Grausamkeit gleich. Er ließ das unglückliche Weib ergreifen und ihren Rücken mit Peitschenhieben zerfleischen. Monate vergingen, ehe ihre Wunden heilten; ihre Blüte war geknickt, ihre Schönheit vernichtet. Ich sah sie später in Esneh, wo sie ein ziemlich großes Haus bewohnte. Sie zeigte noch immer Spuren ihrer früheren Schönheit; doch war ihr kostbarer Anzug damals noch das Schönste an ihr. Eine unheilbare Lahmheit, die Folge der erlittenen qualvollen Strafe, blieb ihr für immer eine Erinnerung an die Liebe und Rachsucht eines Abbas.

Der Wind war uns unausgesetzt günstig. Schon am 13. Oktober erreichten wir das Städtchen Esneh, am 16. Oktober den »Berg der Kette« (Djebel el Selseli) – nach anderen »Berg des Erdbebens« (Djebel el Salßali) genannt –, einen engen Strompass: den letzten Damm, durch welchen sich der Nil Bahn brechen musste, ehe er in dem durch ihn hervorgerufenen Schlammland Ägypten seine Fluten still und ruhig dahinsenden konnte. Die Stelle ist merkwürdig, weil man am rechten Ufer großartige Steinbrüche, am gegenüberliegenden Katakomben und kleine Tempelportale der Alten bemerken kann.

Oberhalb des Djebel el Selseli treten die Gebirge wieder in weitem Bogen zurück und das Ackerland Ägyptens zeigt noch einmal seinen Reichtum. Am rechten Ufer liegt auf einem steilen, jetzt mit Sand überschütteten Felskegel Kom-Ombos, ein Doppeltempel der Pharaonen.

Wir fuhren mit der Schnelligkeit eines kleinen Dampfbootes den Strom hinauf. Auf mehreren Sandinseln bemerkten wir die ersten lebenden Krokodile, welche aber unsere Barke nicht einmal auf Büchsenschussweite an sich kommen ließen und langsam ins Wasser krochen. Vor einigen Tagen sahen wir bereits einen dieser Riesensaurier im Fluss schwimmen, aber, wie ich sogleich wahrnahm, leblos. Dennoch sandten die geistlichen Herren ein halbes Dutzend Kugeln nach der Panzerhaut des keinen Schuss mehr verlangenden Tieres ab. Man wunderte sich allgemein über die Ruhe des »schlafenden Ungeheuers« und ich im Stillen mich über Sonntagsjäger und Sonntagsjägerei.

Gegen Abend legten wir in Assuan, der Grenzstadt Ägyptens gegen Nubien hin, neben einer Sklavenbarke an. Schon von Weitem, lange bevor man die hinter Palmen versteckte Stadt gewahrt, sieht man das hoch auf den Bergen des linken Ufers gelegene Grabmal des Heiligen Muhsa, des Schutzpatrons des ersten Katarakts. Im Strom türmen sich schwarzglänzende Granit- und Syenitmassen zusammen und hemmen im Sommer die Schifffahrt. Dann erscheint die Insel Elephantine wie ein lieblicher Garten und mit ihr Assuan. Bei hohem Nilstand kann man zu Schiff direkt bis an die Stadt gelangen, bei niederem Wasser muss man, am rechten Ufer hinfahrend, die Insel umschiffen und mit großer Vorsicht sich zwischen den letzten Felsblöcken der Stromschnelle hindurchwinden. Dann findet man in höchst romantischer Lage zwischen Granitblöcken mit Hieroglyphenbildern ein stilles Ankerplätzchen, zu welchem nur das ferne Tosen des Katarakts dringt, dicht oberhalb der Stadt.

Assuan ist das alte Syene der Griechen. Früher war es wegen der berühmten Steinbrüche der Alten von größerer Ausdehnung und Bedeutung als jetzt, wie man aus Trümmern, welche den vierfachen Raum der heutigen erbärmlichen Stadt bedecken, leicht schließen kann. Die Steinbrüche, aus denen jene Kolosse, Obelisken und Säulen stammen, deren Massenhaftigkeit, Festigkeit und Schönheit man bei allen Tempelruinen Ägyptens zu bewundern Gelegenheit hat, liegen ganz in der Nähe der Stadt in der Wüste. Man sieht noch überall die Spuren der Sprengarbeiten der Alten: kleine, aber tiefe, in gerader Reihe in das Urgestein eingemeißelte Löcher, in denen man eingetriebene Holzkeile durch Übergießen mit Wasser so ausdehnte, dass sie Blöcke von mehreren tausend Zentnern Gewicht vom Felsen ablösten. Das Urgestein ist jene Quarz-, Glimmer- und Feldspat-Verbindung*, welcher man nach ihrem altbekannten Fundort Syene den Namen »Syenit« erteilt hat.

Weniger solide erbaute Festungswerke, Moscheen und Grabmäler aus einer viel späteren Periode, vielleicht noch aus der Zeit der Mamelukkenherrschaft herstammend, nehmen einen großen Raum der jetzigen Wüste ein. Sie liegen in Trümmern und vereinigen sich mit mehreren wilden Partien der Stromschnelle im Hintergrund zu sehr anziehenden Ansichten. Die große Ausdehnung dieser Trümmermassen deutet darauf hin, dass Assuan, der Stapelplatz des ersten Katarakts, früher eine ansehnliche Handelsstadt gewesen sein muss.

Das heutige Assuan verdient den Namen einer Stadt nicht mehr. Es hat nur wenige und schlechte Kaufhallen, in denen man oft weder Käufer noch Verkäufer sieht, und ist der Sitz einer ägyptischen Maut**, weil alle nach dem Sudan gehenden und von daher kommenden Waren hier versteuert werden müssen. Für die Sklaven, welche ja im Orient überall als Ware betrachtet werden, ist die Steuer sehr hoch***. Wahrscheinlich lagen wegen der Versteuerung ihrer Neger und Negerinnen während unseres Aufenthalts mehrere Sklavenhändler einige Tage hier. Man bot uns ein sehr niedliches Gallamädchen zum Preis von achtzehnhundert Piastern an; Negerknaben und Negermädchen waren viel billiger.

Einer dieser Sklavenhändler besuchte uns auf unserem Schiff und erzählte uns von den oberen Ländern des Weißen Flusses, den er bereist zu haben vorgab. Er zeigte uns Waffen und Gerätschaften der Neger, welche allerdings furchtbar und eigentümlich genug aussahen und von uns allen mit lebhaftem Interesse betrachtet wurden.

Alle von Ägypten nach Nubien gehenden Nilschiffe passieren den Katarakt von Assuan, obgleich er nicht gefährlich ist, nur wenn es dem Reïs des Schiffes vorher kontraktlich zur Pflicht gemacht worden ist. Unsere große Dahabïe wäre unter allen Umständen nicht dazu geeignet gewesen. Wir mussten deshalb unsere Effekten von Assuan aus mit Kamelen über die Stromschnelle bringen lassen. Don Ignatio hatte in der Nähe der Insel Philae einen Lagerplatz ausgewählt, in welchem wir bis zur Ankunft anderer Barken verweilen wollten. Am achtzehnten Oktober kamen gemietete Kameltreiber, beluden ihre stöhnenden Tiere mit dem Gepäck der Mission und zogen gegen Mittag dem Lagerplatz zu. Wir ritten nach dem Aassr auf Eseln nach und erreichten mit Sonnenuntergang das oberhalb der Stromschnelle gelegene Dörfchen Siahle.

Die Umgebung desselben ist wildromantisch. Die Gebirge treten in einem weiten Bogen zurück, der Nil braust über ihre Ausläufer hinweg. Schwarzglänzende Syenit- und Porphyrmassen, teils in ungeheuren Felsen vereinigt, teils wie von der Hand eines Riesen durcheinandergeworfen und zuammengeschichtet, teilen den Strom in Hunderte von kleinen, rauschenden Bächen, stauen ihn in den durch ihr Zurücktreten gebildeten Kessel auf und zwingen ihn, seine Fluten mit donnerndem Schwall über sie hinwegzustürzen. Nur schmale Kulturstreifen ziehen sich dicht an seinen Ufern dahin, die Gegend ist tot und öde, aber dennoch schön.

 

Inmitten dieses Felsenchaos liegt die palmenbestandene, grünende Insel Philae mit ihren Tempelruinen. Man glaubt ein Feenschloss vor sich zu sehen, wenn man sie zum ersten Mal erblickt. Ernste, gegen die dunklen Felsenmassen aber doch freundliche Tempel, in der tiefen Stille der Einsamkeit nur umtobt von den immer und immer von Neuem dahinrollenden Wasserstürzen, eingerahmt von balsamduftenden Mimosen und schlanken Palmen, stehen sie an einem zur Verehrung der alten Gottheit Ägyptens passenden Ort, wie es keinen zweiten, ähnlichen geben kann.

Die Tempelhallen sind in dem vollendetsten, reinsten ägyptischen Stil ausgeführt; jeder einzelne Teil des Bauwerks zeugt von einer mehr ideellen Anlage des Ganzen. Das Schwerfällige, Erdrückende anderer Monumente Ägyptens verschwindet, während ein freierer, kühnerer Schwung ganz unverkennbar ist. Leicht gehaltene Knäufe krönen die schlanken Säulen; jeder einzelne ist von den übrigen verschieden, nur die Lotosblume ist allen gemeinsam. Wie ich an einigen noch unvollendeten Kapitälen sah, wurde ihre feinere Bearbeitung erst nach Vollendung des ganzen Baues vorgenommen, woraus sich auch eher die Schärfe und Mannigfaltigkeit des dargestellten Blätterwerks erklären lässt.

Die bestimmte und sichere Nachricht, dass wir in Korosko nicht die nötige Anzahl von Kamelen zur Reise durch die große Nubische Wüste finden würden, bewog die Mission, ihre Reiseroute umzuändern. Man mietete zwei kleinere Schiffe bis Wadi-Halfa und beschloss, von dort aus entweder zu Kamel oder zu Schiff nach Dongola zu gehen, von wo aus man, ohne Aufenthalt befürchten zu müssen, durch die Wüstensteppe Bahiuda weiterreisen konnte. Am 21. Oktober bezogen wir mit dem Bischof Casolani, Padre Muhsa und Don Angelo das kleinere, aber bequemere der beiden Schiffe, die übrigen Mitglieder blieben auf der Transportbarke. Der Wind blieb uns günstig. Schon am 22. Oktober passierten wir mit Gewehrsalven den Wendekreis; zwei Tage später erreichten wir Korosko. Wir fanden hier eine meist aus Bergleuten bestehende Expedition des Vizekönigs, welche für die Goldbergwerke bei Khassahn bestimmt war und seit achtzehn Tagen auf Kamele, mit denen sie durch die Wüste reisen wollten, warteten. Die Leute gingen mit Zittern und Zagen nach dem in Kairo wegen seines Klimas sehr verrufenen Sudan.

Korosko ist ein elendes Dorf und enthält nur wenige Häuser: die erbärmlichen Wohnungen der die Briefpost zwischen Khartum und Kairo besorgenden Kamelreiter. Dennoch ist der Ort für den Verkehr Ägyptens mit dem Ostsudan als Einbruchsstation in die große Nubische Wüste von großer Wichtigkeit. Man legt den fünfunddreißig bis vierzig deutsche Meilen langen Wüstenweg nach Abu-Hammed4 im südlichen Nubien in sieben bis neun Tagen zurück und gelangt, am Nil fortziehend, in fünf weiteren Tagen nach Berber el Mucheïref. Im Inneren der Wüste stößt man nur einmal auf einen Brunnen, den Bihr murre, welcher, wie der arabische Beiname besagt, nur salziges Wasser enthält. Deshalb gehört die Reise zu den beschwerlichsten und zu den teuersten dieser Art*, auch ohne die Prellereien und Betrügereien der Kamelscheichs, denen der Reisende, wenn er nicht einen Firmahn** von der Regierung besitzt, sicher ausgesetzt ist.

Der Unterschied zwischen dem bis jetzt bereisten Teil Nubiens, dem Wadi-Kenuhs, und Ägypten ist auffallend und erstreckt sich nicht auf das feste Land allein, sondern auch auf die Menschen, ihre Sprache und ihre Sitten. Nackte Felsmassen engen den Strom auf beiden Seiten ein; seine Ufer sind viel zu hoch, als dass er sie überfluten könnte. Daher hört man hier das Gekreisch unzähliger Schöpfräder, welche die schmalen und wenig fruchtbaren Felder an den Ufern des Stromes bewässern, Tag und Nacht. Der arme Nubier konnte seinem Steinland nur wenig abgewinnen. Seine Dörfer sind armseliger, aber freundlicher und hübscher als die der Fellachen; er selbst ist ärmer, aber besser als der Ägypter.

Schon auf den ersten Blick unterscheiden sich die friedlichen Berbern von den Ägyptern. Die Männer haben eine mehr oder weniger dunkle Hautfarbe, sind schmächtiger, furchtsamer als die Fellachen und nicht so geeignet, jene enormen Körperanstrengungen, welche wir bei dem Ägypter beobachten können, zu ertragen; die Frauen sind klein, nicht besonders hübsch und gehen unverschleiert. Erstere bekleiden sich mit kurzen Beinkleidern und einem langen und breiten Umschlagtuch, »Ferdah« genannt, feiertags wohl auch mit einer blaugefärbten Baumwollkutte; Letztere tragen über einem Paar weiten Beinkleidern die in den mannigfaltigsten Faltenwürfen wie eine römische Tunika um sich geschlagene Ferdah und haben ihr kurzes struppiges und grobes Haar in Hunderte von kleinen Zöpfchen geflochten, gerade so, wie es, nach den Bildhauerarbeiten auf ägyptischen Denkmälern der Baukunst, vor mehreren tausend Jahren auch üblich war. Ihre bisweilen recht angenehmen Gesichtszüge kann man leider nur aus der Ferne betrachten, denn in der Nähe schwindet deren Reiz vor ganz anderen Eindrücken. Ein unerträglicher Gestank weht dem entgegen, der sich einer Nubierin nähert. Sie haben nämlich die Gewohnheit, sich ihre Haare mit Rizinusöl sehr stark einzusalben; dieses wird in der heißen Luft bald ranzig und verpestet die Atmosphäre bis auf dreißig Schritte Entfernung. Die Mädchen tragen schon hier den »Rahhad«, eine im Sudan allgemein gebräuchliche Lederschürze, als einziges Kleidungsstück, die Knaben gehen bis ins zwölfte Jahr fast ohne Ausnahme nackt.


Lager einer Missions-Expedition oberhalb der ersten Nilkatarakte bei Philae

Zwischen Derr und Korosko verlässt der Nil seine südlich-nördliche Richtung und wendet sich nordöstlich. Auf dieser Strecke ist der herrschende Nordwind den Schiffen ungünstig, weshalb diese am »Trekseile«, arabisch »Libbahn« genannt, weitergezogen werden müssen. Ein Befehl der Regierung hat den Bewohnern des rechten Ufers – das linke ist Wüste – die Pflicht auferlegt, diese Arbeit zu übernehmen. Auch wir machten von dem Vorrecht aller Vornehmen Gebrauch und ließen uns so rasch als möglich befördern. Aber es empörte uns die Art und Weise, mit welcher man die Nubier zum Schiffsziehen presste. Zwei unserer Matrosen, tüchtige, handfeste Burschen, liefen den Barken voraus und trieben die in den Feldern, an den Schöpfrädern oder in den Häusern arbeitenden Männer mit Gewalt und Prügeln zum Zugseil. Wir wollten ihrer Roheit Einhalt tun, sahen aber ein, dass es ohne die landesübliche Methode nicht möglich war, fortzukommen, und mussten diese daher ihren Weg gehen lassen.

Während der Fahrt bereitete uns Don Angelo, dessen Furcht vor dem Ertrinken ich schon gedacht habe, ein spaßhaftes Intermezzo. Unsere Dahabïe lag still, der Nil war seicht und ruhig und die Luft höchst angenehm. Man redete also dem guten Padre zu, sein Rettungsboot, die Gummimatratze, doch einmal zu versuchen, um ihre Nützlichkeit bei einem tatsächlich vorkommenden Schiffbruch zu erproben. Es fehlte nicht an Gründen und Vorstellungen, ihm die Sache recht einleuchtend zu machen; er entschloss sich wirklich zu einer Probefahrt. Die luftgefüllte Matratze lag auf dem Wasser, Don Angelo entkleidete sich und bestieg sie mit Hilfe des Barons sehr vorsichtig. Behaglich schaute er von seinem Lager herab in den Strom. »Nun wüte, Nil, ich bin geborgen!« Aber – eine Bewegung – das trügerische Bett drehte sich, Don Angelo lag im Wasser! Obgleich er auf festem Grund stand, rief er doch kläglich um Hilfe. Man brachte ihn an Bord, um eine Hoffnung weniger. Von nun an sah er nur mit der höchsten Seelenangst in die trüben Fluten des Stromes.

Abends landeten wir in Derr, einem großen, zwischen Palmen versteckten, ganz unbedeutenden Dorf, in dessen Nähe sich ein halbverfallener Felsentempel befindet. Hier hatten unsere geistlichen Herren eine Amtsverrichtung. Ein Vater begehrte Hilfe für sein krankes, ganz erbärmlich aussehendes Kind. Man wusste nicht, was man diesem geben sollte, da die Mutter schon lange vor seiner Geburt an Syphilis gelitten hatte. Aber der Bischof wusste sich zu helfen. Er ließ es dem Vater unter dem Vorwand, dass er ihm Arzneien geben wolle, abnehmen und taufen! O sancta simplicitas!

Von Derr aus fehlte uns der Wind. Die Barken wurden deshalb von unserem Schiffsvolk am Libbahn langsam weiter gezogen. Am 29. kamen wir an der zerstörten Mamelukkenfestung Ibrim vorüber. Ein Dorf gleichen Namens liegt am Ufer des Stromes unter Palmen. Die Festung befand sich auf einem fast senkrecht vom Nil aufsteigenden Felsen, wenig stromaufwärts vom Dorf. Ihre Mauern waren zwar nur aus lufttrockenen Steinen aufgeführt, aber diese sind in Ländern, in denen es fast nie regnet, ein vollkommen dauerhaftes Material. Ibrim war einer der letzten Haltepunkte der Mamelukken5, jener von Mohammed-Ali sehr gefürchteten, willens- und tatkräftigen Kriegerschar, dem Pascha, solange sie bestanden, gefährlicher als das an einem Haar hängende Schwert dem Damokles. Lange war es ihm nicht möglich, etwas gegen die wohlverteidigte, fast unersteigliche Festung zu unternehmen, während die Besatzung, insgeheim mit den Nubiern im Bund, dem Angreifer durch Plünderung der den Strom befahrenden Schiffe und kühne Ausfälle beträchtlichen Schaden tat. Das Felsenschloss war mit Nahrung und durch eine in den Felsen gehauene, aus dem Strom gefüllte Zisterne auch mit Trinkwasser wohlversorgt. Endlich entschieden die Geschütze des Paschas den Fall desselben. Er zerschoss, eroberte und zerstörte die Burg und trieb die geschlagenen Feinde bis zur Insel Sais. Dort fanden sie später vollends ihren Untergang.

Am 1. November erreichten wir die Felsentempel von Abu-Simbel6 oder Ibsambol. Es sind zwei großartige Monumente, welche die kühnsten Erwartungen übertreffen. Vor dem vom Sand der Wüste fast verschütteten Portal des großen Tempels sitzen vier Kolosse von der Höhe des Memnoninus (vierundsechzig Pariser Fuß); ihre Gesichter sind wie die aller ägyptischen Bildsäulen unschön, aber wirklich grauenhaft anzusehen und deshalb imponierend. Der innere Tempel ist ganz aus dem Felsen gehauen. Er enthält vierzehn Kammern und Hallen mit Hieroglyphentafeln und Statuen von mehr als dreißig Fuß Höhe. In der hintersten und kleinsten Zelle sieht man drei Steinbilder, wahrscheinlich Sinnbilder verschiedener Gottheiten. Nach Prokesch* beträgt die innere Tiefe des Riesenbaues hundertdreißig, die Breite hunderfünfundvierzig Wiener Fuß. Der zweite Tempel verschwindet neben ihm. Er liegt nur wenige hundert Schritte von dem großen Tempel entfernt dicht am Strom, ist kleiner und weniger schön.

Dem Reisenden fällt die ewige Bettelei der Kinder und Erwachsenen aller nubischen Dörfer sehr zur Last. Bis hierher erstrecken sich noch die Reisen der gewöhnlichen Touristen, welche das Volk durch kleine Geschenke so verwöhnt haben, dass man in Dörfern, zumal wenn man europäisch gekleidet ist, sogleich von einem Haufen nackter Knaben oder in Lumpen gehüllter Erwachsener umringt und mit den im Chor geschrienen Worten: »Chawahdje haht Bakschisch [Herr, gib uns ein Trinkgeld]!« förmlich verfolgt wird. Selbst ganz kleine Kinder rufen dem Fremden schon »Bakschisch« entgegen; es sind die ersten Laute, welche sie stammeln lernen. Gegen die oft die Grenzen himmlischer Geduld – und diese besaß ich nie – übersteigende Anmaßung der Erwachsenen halfen mir gemeiniglich einige Hiebe mit dem unübertrefflichen Dolmetscher meiner Entrüstung, der aus der Haut des Hippopotamus geschnittenen Peitsche, kurzweg »Nilpeitsche« genannt. Da habe ich zum Beweis der unersetzbaren, überraschenden Wirkungen dieses vorzüglichen Instruments dann häufig sagen hören: »›Samehhuhni ja sihdi!‹ [Verzeihe mir, Herr], ich wusste nicht, dass du den ›tartieb el belled‹ [die Sitte, den guten Ton des Landes] so gut verstündest, ich will durchaus kein Bakschisch; aber ich hielt dich für einen des Landes Unkundigen, ›mahlesch‹ [lass es gut sein].« »Rabbena chaliek [Unser Herr erhalte dich]!« Erst oberhalb Wadi-Halfas, dessen Katarakt den Touristenreisen Grenzen setzt, hört diese Bettelei allmählich auf.


Abu Simbel

 

Am dritten November erreichten wir den letztgenannten Ort. Er liegt in einem meilenlang sich am rechten Ufer hinziehenden Palmenwald zerstreut, ist armselig, ohne Bedeutung, und bietet an und für sich gar nichts. Nur der eine Viertelmeile oberhalb der letzten Häuser des Dorfes beginnende, sogenannte »zweite Katarakt« hat Wadi-Halfa8 bekanntgemacht, denn es besitzt nicht einmal einen Markt. Sein Name ist aus den Worten »wadi«, d. i. ›Niederung‹, und »halfa«, der Benennung eines trockenen scharfschneidigen Riedgrases, abgeleitet.

Wir bezogen die große, von den Einwohnern »el-Khassr«, ›das Schloss‹, betitelte Karawanserei und mussten hier, weil sich in Wadi-Halfa weder Kamele noch oberhalb der Stromschnelle Schiffe vorfanden, dreizehn Tage verweilen. Unsere Wohnung bestand – vier Jahre später lag sie fast ganz in Trümmern – aus einem zweistöckigen, zimmerarmen Wohnhaus und einem sehr ausgedehnten Hofraum. Das Gebäude war durchgehend aus lufttrockenen Ziegeln aufgeführt und mit (zu diesem Zweck unbrauchbarem) Sparrwerk aus Palmenstämmen gedeckt. In der Ringmauer, welche das Ganze umschloss, sah man viele auf die Möglichkeit einer Verteidigung hindeutende Schießscharten. Früher mochte es wohl nötig gewesen sein, die reichen Karawanen vor etwaigen Angriffen zu schützen; zur Zeit unseres Aufenthalts in Wadi-Haifa, wo der Handel Monopol der Regierung war, erschien der Bau als nutzlos. Jedenfalls kam er uns aber sehr gelegen.

Wir langweilten uns in Wadi-Halfa ganz entsetzlich. In unserer Wohnung peinigten oder ängstigten uns große, in Menge vorhandene Skorpione; im Freien ärgerten wir uns über das unergiebige Jagdterrain. Nur durch Zufall erhielten wir einige wertvolle Vögel. Am 23. November konnten wir endlich die Reise fortsetzen. Einige Nubier schafften unser Gepäck über den Katarakt hinauf; wir verließen, auf Eseln reitend, nachmittags den einförmigen Ort und zogen längs des Nilufers an dem Katarakt hinauf. Mehrere unserer Reisegesellschaft hatten zum ersten Mal Reitkamele bestiegen und machten, um sich in den hohen Sätteln im Gleichgewicht zu erhalten, wunderliche Anstrengungen.

Die Entfernung unseres Ziels, des Lagerplatzes Amke oder Abke, beträgt, von Wadi-Halfa aus gerechnet, über zwei Meilen. Schon eine Viertelmeile oberhalb des letztgenannten Ortes sieht man keine menschlichen Wohnungen mehr. Man gelangt in das Gebiet des von Wüsten eingeschlossenen zweiten oder »großen Katarakts«. Das Auge erschaut nichts als Steine, Sand, Felsen, den Himmel und den durch Hunderte von Felseninseln zerspaltenen, schäumenden und donnernden, seine gestauten Fluten gewaltsam über die hemmenden Felsblöcke stürzenden Nil; nur hier und da reckt ein Mimosenbäumchen seine Zweiglein in die ruhige Luft; es hat am Ufer oder selbst mitten zwischen dem zerklüfteten Gestein doch noch Nahrung und somit die Möglichkeit zum Leben gefunden. Das Schauspiel ist entsetzlich schön. Es scheint, als läge hier die Natur noch in der chaotischen Verwirrung des Schöpfungsmorgens vor dem Auge des Beschauenden: so unendlich wild ist das vom Donner des Wasserfalls scheinbar erzitternde Panorama.


Scheik-Wohnung

Mit einbrechender Nacht kamen wir in Abke an. Die Matrosen vieler hier in einer Bucht wie im Hafen liegenden Barken saßen bei einer Temperatur von +14° Reaumur am Feuer und wärmten sich. Auch unseren verwöhnten Körpern tat die Wärme des Feuers wohl. Die Nacht war wundervoll. Noch hallte das Tosen des Katarakts in unserer Nähe als Echo wider, aber es begleitete nur die nicht unmelodischen Klänge der nubischen Zither, welche, weil sich das junge Volk der Schiffer zum Tanz ordnete, vor uns von kundiger Hand geschlagen wurde. Im Strom konnte ein scharfes Auge den Mastenwald der unweit vereinigten Schiffe erkennen; er selbst glich einem stillen, nur melodisch an dem Felsenufer plätschernden See, darin die leuchtenden Sternlein wieder flimmerten. Würzige Mimosendüfte schwängerten die frische reine Luft. Im leichten Wind rauschten die Kronen der Palmen; sie rauschten sanfter und weicher – wir schliefen!

In Abke lagen mehr als fünfzig jener kleinen Barken, welche man zur Fahrt in den Katarakten benutzt, und löschten ihre von Dongola el Urdi hierhergebrachte, fast nur aus Sennesblättern bestehende Ladung. Die Schiffchen sind aus einzelnen, verhältnismäßig kleinen Planken ohne Rippen zusammengenagelt, haben einen Mast mit rautenförmigem Segel, aber keine Kajüten, sondern nur einen höchst unbequemen Schiffsraum, welcher selten mehr als vierzig arabische Zentner an Ladung aufnimmt. Alle Abweichungen dieser Bauart von der anderer Nilschiffe sind durch die gefährliche Wegstrecke, innerhalb deren sie sich bewegen, geboten. Die Rippen fehlen, damit das Boot eine möglichst große Elastizität bekommt und bei dem häufig vorkommenden Auffahren und Aufstoßen an Felsenstücke nicht sogleich leck wird; die zwischen zwei Rahen (eine bewegliche und eine unbewegliche) eingeklemmten Segel sind rautenförmig, damit man die Kraft des Segels nach der verschiedenen Stärke des Windes regulieren kann; das Boot ist klein, kurz und niedrig, weil alles darauf ankommt, schnelle Wendungen machen zu können.

Die Mission bedurfte acht dieser Schiffe zum Transport ihrer und unserer Effekten und stieß am 18. November zugleich mit einigen und zwanzig anderer Barken vom Ufer ab, um bei günstigem Wind ihre Reise fortzusetzen. Es war ein schöner Anblick, den Strom mit einem Mal von mehr als dreißig mit weit geöffneten, weißen Segeln fahrenden Schiffen bedeckt zu sehen. Unsere Boote zeichneten sich von den übrigen durch die an der Rahenspitze flatternden Pavillone aus. Die höchst malerisch auf einem zackigen kohlschwarzen Felskegel gelegene Lehmfestung von Abke verschwand den Blicken; wir betraten das Battn el Hadjar, »den Bauch der Steine«, d. i. das Steintal: die wüsteste Provinz Nubiens, den traurigsten Landstrich, welchen ich je gesehen habe. Hohe, kahle, schwarze und glänzende Felsenmassen steigen senkrecht aus dem Nil, welcher sich durch sie hindurch im Laufe der Jahrtausende sein Bett graben musste, empor, engen ihn ein und zersplittern, sich seinem tobenden Drängen kühn entgegenstellend, seine Kraft, stauen ihn hoch auf und zwängen ihn derart ein, dass er zur Zeit seines höchsten Wasserstandes um zweiundvierzig Fuß höher steht als im April. Sie brechen die Macht des Mächtigen. Er strebt, sie zu vernichten, umschäumt sie mit seinem ewig rauschenden Wogenschwall; sie stehen unerschütterlich. Alles Kulturland haben sie verdrängt, aber mit ihnen im ewigen Wechselkampf sucht der Strom sein göttliches Vorrecht, das segensreiche Korn zu nähren und zu stärken, auch hier geltend zu machen. Wo er ein stilles Plätzchen findet, senkt er seinen fruchtbaren Schlamm auf das nackte Gestein und führt diesem selbst den Samen zu. Mitten im Strom sieht man von Weidengebüsch überzogene, ursprünglich kahle Felseninseln. Die Weiden haben ihre Zweige tief eingesenkt in das zerklüftete Gestein und treiben zur Zeit des niedersten Wasserstandes Blätter, Zweige, neue Wurzeln. Sie gewähren den gefiederten Wanderern gastlich ein wirkliches Dach. Fröhliche Sänger durchschlüpfen die blüten- und insektenreichen Flecken; die ägyptische Gans brütet dort still auf ihren sechs bis zehn Eiern, der Pelikan ruht dort von seiner Fischjagd aus und putzt sich mit plumpem Schnabel das rosenrot überhauchte Gefieder, die schwanzwippende Felsenbachstelze (Motacilla capensis) wird hier geboren. Jetzt schwellt die gewitterreiche Regenzeit der Tropen den mächtigen Strom. Die Umstände ändern sich, die Felsen sind jetzt die Träger des Lebens, der Strom droht Vernichtung des grünenden Weidendickichts der Insel. Aber schlank und schmiegsam beugt sich die Gerte vor dem Zürnen des Gewaltigen. Sie senkt sich, zitternd vor dem heftigen Wellendrang, tief ein in die trüben Fluten, aber geschickt weicht sie und grünt und blüht bei fallendem Nil kräftiger und lebendiger als vorher.

Das Steintal ist kaum fähig, kleine Vögel zu ernähren, und dennoch gibt es Menschen, welche es ihre Heimat nennen. In meilenweiten Abständen haben sie sich kleine Hütten erbaut, sie besitzen nur das, was sie der Milde des Stromes zu verdanken haben. Mit Lebensgefahr schwimmen sie zu einer von dem Gebirge her vielleicht unzugänglichen, stillen Felsenbucht und streuen hier Blumenkörner in den auf den Steinen haftenden Schlamm. Der Ertrag der Ernte ist ihr Reichtum; sie besitzen weiter nichts; sie sind so arm, dass ihnen selbst die ägyptische Regierung keine Steuern auferlegen konnte. Es gibt im Battn el Hadjar wohl auch einzelne Stellen, an denen mehrere Nubier vereinigt ihre Strohhäuser aufgeschlagen haben, ein kleines Stückchen Feld bewirtschaften und zwei Rinder oder vier Ziegen halten können, aber das sind Oasen, welche nicht das Gepräge dieser unglücklichen Provinz an sich tragen. Ein Palmenbaum, ein Strauch, eine Hütte wird hier mit Jubel begrüßt; ein Bohnenfeld ist das Ziel tagelanger Hoffnung, ein Schöpfrad das Zeichen des Reichtums. Das Steintal ist unendlich, unsäglich arm!