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Corona Magazine #355: Dezember 2020

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From the series: Corona Magazine #355
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Kurzgeschichte: Erntezeit

von Samuel Sommer

1

»Nicht so schnell, Muru!«, warnte Dom das Kind, während er sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte und für einen Moment die Augen schloss. Es war ein verflixt heißer Erntetag und alle würden froh sein, wenn die Arbeit getan war.

Entgegen der Warnung sauste Muru weiter um die Arbeiter herum, die alle entlang der vom Traktor gezogenen Furche die an die Oberfläche gerüttelten Kartoffeln in braune Säcke füllten. Kurz hinter Muru liefen die Kinder von Ann und Mat, beide beinahe zu alt zum sorglosen Herumtoben und nächstes Jahr vielleicht schon unter den Helfern.

»He, alter Mann. Keine Müdigkeit vortäuschen.« Jemand pikte ihn freundschaftlich in die Seite, und Dom blickte in das Gesicht seiner wunderbaren Frau.

»Ich bin nicht alt«, brummte er. Seitdem er dieses graue Haar hatte, machte es ihr anscheinend Freude, ihn mit seinem Alter aufzuziehen. Er tat dann immer so, als fühle er sich in seiner Ehre gekränkt, aber eigentlich war das gar nicht so.

Er warf einen letzten Blick den weiten Hang hinunter, der voller Äcker, Wiesen und Felder war, die bis an die ersten Fachwerkhäuser von Niederfluss grenzten, ihrem Heimatdorf. Dann widmete er sich wieder dem Aufsammeln der Töften. Als der Sack annähernd voll war, band Dom ihn mit dem Geschick vieler Jahre mit einem blauen Band zu und schulterte den Sack, um ihn zum Wagen zu bringen.

»Nicht alleine!«, protestierte seine Frau, als sie sah, dass er das schwere Ding einmal mehr ganz alleine schulterte.

»Ich bin alt«, entgegnete er. »Aber nicht zu alt für einen Sack Kartoffeln.«

Seine stämmigen Beine brachten ihn sicher zu dem großen Wagen, und mit Schwung beförderte er den Sack zu den anderen. Wie immer staubte es ordentlich. Beinahe dreißig Säcke hatten sie bereits sorgfältig auf dem Wagen gestapelt. Vorne, ganz obenauf, saß der kleine Tom und freute sich mit einem glucksenden Lachen über jeden Sack, der seine Burg vergrößerte.

Dom machte eine Grimasse, und das Kind fing darauf wieder an zu kichern. In dem Alter waren sie noch leicht zu beeindrucken. Es war das jüngste seiner Enkelkinder. Insgesamt sieben Stück waren es mittlerweile, und wenn es gut lief, dann würden auch noch ein paar mehr hinzukommen. Er hoffte es zumindest. Man konnte nie genug Helfer haben.

Von der dem Kartoffelacker gegenüberliegenden Weide kam der verzweifelte Schrei eines Karabi-Rindes zu ihnen herüber. Der alte Bulle versuchte erneut erfolglos, eine seiner Frauen zu besteigen, aber offenbar war niemand in rechter Stimmung heute.

Alle Arbeiter auf dem Feld blickten kurz auf und beobachteten das Spektakel mit grinsenden Gesichtern.

»He, Paps. Wann schlachten wir den alten Bullen endlich und du kaufst dir einen neuen. Einen, der nicht so alt ist?«, fragte sein ältester Sohn Darius.

»Es kommt nicht auf das Alter an«, meinte Dom überzeugt. »Außerdem hat er ab und an ja noch Glück. Ich gönne ihm noch ein oder zwei Jahre.«

»Irgendwann ist er zu alt, um ihn noch an den Schlachthof zu verkaufen.«

»Dann ist das eben so. Wir sind doch hier nicht in den Kernwelten«, meinte er. Auf anderen Planeten mochten Geld und Gewinn wichtiger sein als alles andere, aber hier war das nicht der Fall. Er war ja auch nicht ausgewandert, weil ihm solche Dinge wichtig waren. Er war ausgewandert, weil er mit seinen eigenen Händen ehrliche Arbeit machen wollte. Die beste Entscheidung seines Lebens. Seit dreißig Jahren war er hier glücklich.

Da die Arbeiter die komplette Reihe aufgelesen hatten, warf Dom wieder den Traktor an. Hinten angehängt war ein spezieller Pflug, der durch Drehen des bepflanzten Damms die Kartoffeln an die Oberfläche förderte. Als die Kinder bemerkten, dass es eine weitere Runde mit dem Traktor gab, kamen sie laut schreiend angelaufen und setzten sich zu ihrem Großvater auf die beiden Plätze links und rechts von ihm. Dabei quetschten sich zwei oder drei Kinder auf den Platz, der eigentlich für eine Person vorgesehen war. Dom begann lächelnd, den Pflug zu senken, und all seine Helfer kamen heran, um die nächsten Säcke zu füllen.

Schlussendlich arbeiteten sie bis in den späten Nachmittag hinein. Zwischendurch gab es belegte Schwarzbrote mit Marmelade, und alle saßen gemeinsam auf dem Berg aus gefüllten Säcken und ließen es sich gutgehen. Vito und Carla, ihre neuen, aber stets hilfsbereiten Nachbarn, erzählten von Vitos Zeit bei den Sternenkriegern, und auch wenn Dom die Geschichten schon einige Male gehört hatte, verloren sie einfach nie ihre Wirkung, und Vito vollbrachte das Kunststück, sie immer wieder aufregend und spaßig zu erzählen. Die Augen der Kinder füllten sich dann mit Sehnsucht, und sie schienen sich zu fragen, ob sie wohl eines Tages auch zu den Sternen und fremden Welten reisen könnten.

Wenn man bedachte, wo genau ihre Heimat lag, dann war das wohl eher unwahrscheinlich. Und wenn sie wüssten, was sie dort draußen erwartete, dann würden sie wohl auch nicht mehr dorthin wollen.

»Alles einpacken!«, rief Dom gegen halb sechs. Voller Stolz blickte er auf das abgeerntete Feld und einen vollgepackten Anhänger.

Den Pflug würde er über Nacht hier stehen lassen. Jetzt galt es, den Anhänger an den Traktor zu kuppeln und die Kartoffeln noch heute einzukellern.

Die Kinder nahmen wieder bei ihm auf dem Traktor Platz, während es sich die Helfer allesamt auf dem Säckeberg bequem machten. Sie waren alle gemeinsam hergefahren, und sie würden auch alle gemeinsam wieder zurückfahren.

Genüsslich zuckelte Dom über die Feldwege und kam schließlich, in der Nähe des Dorfes, auch wieder auf gepflasterte Straßen.

Keine fünfhundert Meter vor dem ersten Haus entfernt dröhnte ein Horn, durchdringend und tief, durch das gesamte Tal, und Dom bekam eine Gänsehaut. Alle Augen auf dem Wagen richteten sich gen Himmel, und am Horizont stieß ein schwarzer Klecks rasend schnell näher.

»Sie kommen!«, brüllte Dom und trat das Gaspedal durch. Jetzt würde es auf jede Minute ankommen.

Die Kinder schrien, die Erwachsenen blickten sich ängstlich in die Augen, und ein jeder, der religiös war, faltete die Hände zum stillen Gebet. Dom blickte sich um, und sein Blick begegnete dem seiner Frau. Eine unvergossene Träne schien in ihren Augen zu liegen, und wortlos teilte Dom ihr mit, dass sie sich keine Sorgen machen musste.

Das Horn erklang ein zweites Mal. In der Ferne sahen sie einige Menschen zwischen den Häusern herlaufen. Panisch und schnell. Hinein in die Bunker.

Dom wusste, dass sie zu weit draußen waren. Sie würden es nicht rechtzeitig bis zu ihrem Haus schaffen.

Trotzdem musste er es versuchen. Trotzdem musste er irgendwie alles geben, um seine Familie zu beschützen.

Der Klecks am Himmel kam näher, das Röhren riesiger Aggregate drang an ihre Ohren, das Flimmern von Energiefeldern roch nach fremden Aggressoren. Das Raumschiff parkte über dem Ort, verdunkelte die Sonne, und aus verdeckten Luken sausten Gleiter zu ihnen herab.

»Halt kurz an. Wir können es bis zum unserem Bunker schaffen!«, rief Vito.

»Nein, du musst …!«

»Halt jetzt an, du alter Narr!«

Dom trat auf die Bremse, damit Vito und seine Frau absteigen konnten. Gemeinsam rannten sie über die Wiese der Schornsteinfegerfamilie und versuchten, irgendwie ihr Heim zu erreichen. Doch einer der Gleiter brauste aus dem Himmel. Ein Geschoss löste sich, wirbelte durch die Luft und traf die beiden Flüchtenden. Dom konnte sehen, wie sie sich in einem dichten Netz verfingen und durch lähmendes Gift ihre Bewegungen langsam erstarben. Der Gleiter landete, sammelte das Netz auf, und zusammen mit seiner Beute brauste er wieder zum Raumschiff empor. Dom war wie gelähmt. Sie hatten seine Nachbarn geholt. Die verdammten Diebe hatten seine Nachbarn geholt. Die Leute, die er seit drei Jahren kannte und schätzte. Die ihm jeden Sommer auf dem Feld geholfen hatten.

»Dom! Fahr!«, kreischte sein Sohn und holte ihn wieder zurück in das Hier und Jetzt. Sein Fuß stieß herunter, und der Traktor beschleunigte wieder. Die Kinder rechts und links von ihm weinten, während um sie herum Paraton-Gleiter niederstürzten und auf Menschenfang gingen.

»Wir schaffen es!«, versicherte er seinen Kindern. »Wir schaffen es. Gleich sind wir in Sicherheit!«

Dann zuckte etwas aus dem Himmel, und einer der Gleiter angelte sich Muru aus dem Sitz. Entsetzt starrte Dom auf die leere Fläche und begann zu schreien. »Nein. So nehmt doch mich. Nehmt doch bitte mich!«

2

»Nicht so schnell, Chara!«, murrte Elkon seine Kollegin an, während sie über den makellosen Flur schritten. Es war ein verflixt anstrengender Erntetag, und alle würden froh sein, wenn die Arbeit getan war.

»Keine Müdigkeit vortäuschen«, meinte Chara nur und warf ihm einen dieser Blicke zu, die alles bedeuten konnten.

»Niemand wird sich beschweren, wenn die Listen zwei Minuten später online sind«, sagte er. Er wusste, dass er damit recht hatte. Sie wusste, dass er damit recht hatte. Und dennoch würde es keinen Unterschied machen. Chara war immer mit vollem Einsatz bei der Arbeit, und es war ihr wichtig, dass alles zur vollsten Zufriedenheit der Administration gemacht wurde.

Ein Lift brachte sie sieben Etagen nach unten, und sofort wurden sie von einem roten Warnlicht empfangen. Während der Ernte waren die unteren Ebenen immer auf Gefahrenstufe geschaltet, denn schließlich konnte man nie so genau wissen, was einen erwartete.

Chara schnappte sich ein Pad von der Wand und loggte sich mit ihrem Daumenabdruck in das System ein.

Elkon nahm eine der nebenliegenden Waffen, während er darüber nachdachte, ob er sie heute vielleicht fragen sollte. Vielleicht war heute der Tag, an dem er es wirklich tun sollte. Sie war Single. Er war Single. Alles konnte passieren. Und so wie die Sache aussah, hegte sie durchaus Sympathien für ihn. Zumindest verstanden sie sich während der Arbeit ausgesprochen gut.

 

Chara flitzte um die nächste Biegung und stoppte vor der großen Sicherheitstür. Rasch gab sie ihren Code ein, und das Schott zischte zur Seite. Ein unangenehmer Geruch wehte ihnen entgegen.

»Ah, sie stinken heute aber besonders«, meinte Elkon. Er ekelte sich vor diesem Geruch. Man konnte nur hoffen, dass die Desinfektion alle Keime erwischt hatte und nicht irgendwelche Killer-Bakterien den Weg in das Schiff gefunden hatten.

Zu ihrer linken war nun eine große Scheibe. Das Glas war nur in eine Richtung blickdurchlässig, und so hatten die Menschen auf der anderen Seite keine Ahnung, dass man sie bereits beobachtete. Die von den Gleitern gefangenen Individuen wurden entkleidet und schließlich auf Transportbändern durch die Desinfektionsduschen gefahren. Ein Scanner suchte weiterhin nach Waffen, die bei der Entkleidung entgangen sein konnten. Manche waren bewaffnet, wenn sie herkamen und hatten sich anscheinend geschworen, möglichst viel Schaden anzurichten. Das waren allerdings nur wenige. Die meisten zitterten wie Espenlaub, hatten Tränen in den Augen und schrien ihre Angst und ihre Wut heraus. Besonders die Kinder waren häufig Schreier.

»Sieht gut aus!«, meinte Elkon mit einem prüfenden Blick. Da hatte es schon schlimmere Exemplare gegeben.

»Wir sind auf V-00 IX«, las Chara aus dem Protokoll vor. »Ungenehmigte Kolonie seit knapp hundert Jahren. Wird von Deserteuren bewohnt, die größtenteils während der großen Kalt-Offensive aus den Armeen der Administration getürmt sind!« Ihr Gesicht verzog sich abschätzig. Sie hatte kein Mitleid mit diesen Verrätern. Alle Menschen mussten ihren Teil zum Wohlergehen der Menschheit beisteuern, und diese dachten einfach, sie könnten sich davor drücken. Sie dachten, sie könnten sich dem einfach entziehen und am Ende des Universums ein neues Leben anfangen.

Das war Pack, und sie hatten es nicht anders verdient.

Gemeinsam mit Elkon schritt sie neben den Transportbändern her. Sie sahen zu, wie die besonders Aggressiven mit einem Sedativum beruhigt und schlussendlich zur Stempelung gebracht wurden.

Durch eine weitere Sicherheitstür kamen sie zum ersten Mal in direkten Kontakt mit der Ernte. Von Angesicht zu Angesicht. Elkon entsicherte seine Waffe und versuchte, möglichst bedrohlich zu schauen, während Chara die eingebrannten Barcodes einscannte und mit der Datenaufnahme der Gefangenen begann.

Viele der Daten waren bereits vorprogrammiert. Von welcher Welt. Von welchen Koordinaten. Anatomische Merkmale wie Größe, Geschlecht und ungefähres Alter waren während des Transportvorgangs automatisch erfasst worden. Nun galt es, nur noch ein paar Dinge zu ergänzen. Routiniert spulte Chara ihr Programm ab.

»Und wie heißt du?«, fragte sie ein kleines Mädchen, während sie den Barcode an ihrer Schulter scannte.

»Muru«, antwortete das Mädchen schüchtern. Ihre Augen waren gerötet, und es lag eine tiefe Angst darin.

Chara tippte den Namen ein und stellte einige Testfragen, um die geistige Gesundheit der Ernte zu testen. Für ihr Alter und den Umstand ihrer Erziehung war sie auf einem guten Niveau.

»Was macht ihr mit mir?«, fragte Muru.

»Du wirst in eine Schule kommen. Eine richtige Schule, nicht das, was du kennst. Dort wirst du lernen, wie du deine Fähigkeiten besser einsetzen kannst. Im Kampf gegen die Schwarzaugen brauchen wir alle Kräfte.«

Muru sah sie verständnislos an. Natürlich. Wie sollte sie es auch verstehen?

»Weißt du, eines Tages wirst du es verstehen. Deine Eltern oder Großeltern haben vor vielen Jahren eine böse Sache gemacht. Sie sind einfach abgehauen und haben sich nicht ihrer Verantwortung gestellt. Diesen Fehler müssen wir nun korrigieren. Wir brauchen jeden Mann.«

»Wo ist meine Mama?«

»Wenn sie nicht hier ist, dann ist sie zu alt.« Alte Menschen konnte man nicht mehr umerziehen. Das war schwierig und die Mühe meist nicht wert. Elkon räusperte sich hinter ihr. Er hatte recht. Sie durfte keine Zeit verschwenden.

»Geh durch die Tür dort hinten. Da bekommst du etwas zum Anziehen!« Sie schubste die Kleine davon und widmete sich dem nächsten Objekt.

Seltsam, dass ausgerechnet Elkon sie zur Arbeit antrieb. Normalerweise war es doch immer umgekehrt. Sie fragte sich, ob er sie wohl mal zu einem privaten Treffen einladen würde.

Es zitterte, als das Schiff aus dem Hyperraum austrat, und beinahe wäre der Teller mit Brei vom Tisch gefallen. Elkon reagierte blitzschnell und fing ihn ab, bevor Schlimmeres geschehen konnte.

»Gute Reflexe!«, kommentierte sie.

Er grinste und schaute etwas betreten auf die Konzentratnahrung, die es als einzige an Bord des Schiffes gab. Er wünschte sich, ihr erstes Date hätte etwas glamouröser ausfallen können als in der vollbesetzten Bordkantine, aber solange sie auf Erntemission waren, würde es wohl ausreichen müssen. Er war schon froh genug, dass sie seiner Einladung überhaupt gefolgt war. Und er platzte beinahe vor Stolz. Es war das Beste, was ihm in den letzten Monaten passiert war. So hatte diese unselige Mission tatsächlich noch etwas Gutes gebracht.

Gemeinsam saßen sie in der Kantine und taten so, als hätten sie diesen Moment nur für sich allein. All die anderen hungrigen Leute um sie herum existierten in diesem Moment nicht. Durch das große Panorama-Fenster konnten sie sehen, wie ihre Heimatwelt sich langsam in ihr Sichtfeld schob. Eine riesige grüne Kugel, deren majestätische Schönheit Elkon jedes Mal einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Es tat gut, wieder nach Hause zu kommen. Doch nicht weit von ihrer Heimatwelt entfernt dröhnte plötzlich ein Alarmsignal durchdringend und tief durch die Kantine.

Elkon bekam eine Gänsehaut. Alle Augen in der Kantine richteten sich in den Weltraum und auf der Ekliptik stieg ein schwarzer Klecks rasend schnell näher.

»Sie kommen!«, brüllte Elkon, und seine Hand fasste automatisch nach Chara.

Leute schrien, blickten sich ängstlich in die Augen, und ein jeder wusste, dass er an diesem Ort nicht davonlaufen konnte.

»Sie werden uns nicht kriegen«, sagte Elkon, und er wusste nicht, ob er damit Chara oder sich selbst Mut machen wollte.

»Vielleicht kommen sie nicht zu uns«, nickte Chara.

Doch sie kamen. Der Aggressor zuckte aus dem Himmel und manövrierte sich genau über das Ernteschiff. Die Energie versagte, und es wurde völlig dunkel in der Kantine. Sobald das Licht ausging, wurde es seltsam still. Niemand sagte etwas, und alle lauschten in die Stille hinein. Vielleicht hatten sie ja alle Glück.

Dann flammte ein Lichtkegel auf, und die erste Person verschwand. Dann weitere. Immer mehr. Wie ein diebisches Stroboskop.

Und auf einmal bemerkte Elkon, dass er nicht länger Charas Hand hielt. Der Platz neben ihm war leer. Er begann zu schreien.

3

Khashnamph saß in der Zentrale seines Schiffs und überwachte mit seinen erweiterten, zerebralen Hirnstämmen die eingehenden Datenflüsse. Mehrere Tausend gleichzeitig. Sensoren überwachten den Weltraum außerhalb seines Schiffs. Automatiken steuerten das Schiff nach seinen Anweisungen. Künstliche Intelligenzen pflückten die zu holende Ernte von ihren Koordinaten und brachten sie in das Reservoir, wo Androiden sich um die weitere Abfertigung kümmern würden.

Alles geschah mit genauer Präzision und exakt nach dem vordefinierten Muster. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Alles wurde überwacht.

Die gesamte Aktion dauerte drei Minuten siebenundvierzig Sekunden und war damit genau im Rahmen des geplanten Zeitfensters. Eine Abweichung von fünf Sekunden wäre toleriert worden, aber alles andere hätte wohl einen Fehlschlag bedeutet.

Khashnamph transferierte sein zentrales Bewusstsein durch die Lichtkanäle seines Schiffs in seinen Second Mobile Suite, und als die Sensoren des Androiden zum Leben erwachten, fühlte es sich beinahe an, als würde er die Augen seines wirklichen Körpers öffnen.

Auf vier künstlichen Gelenken bewegte er sich durch den Bauch des Schiffs und machte sich an die Inspektion seiner Ernte.

Säuberlich waren sie wie trocknende Wäsche an der Leine für ihn aufgeknüpft worden, niemand mehr bei Bewusstsein. Khashnamph stellte eine drahtlose Verbindung zu den Nähr-Maschinen her und empfing innerhalb von einer Sekunde alle relevanten Lebensdaten der Beute. Insgesamt vierhundert Individuen hatte er an Bord gebracht, einige davon eindeutig in einem nicht ausgewachsenen Zustand.

Das ärgerte ihn. Immer häufiger trafen sie auf Rohmaterial, für das sie keine Verwendung hatten. Die Weibchen mussten geschlechtsreif sein, wenn man sie sofort einsetzen wollte. Sie hatten keine Zeit, lange zu warten. Das war nicht vorgesehen. Er duplizierte sein Bewusstsein in einen Memo-Mirror und betraute die Kopie seiner selbst damit, sämtliche Schiffssysteme entsprechend umzuprogrammieren, damit solch ein Fehler sich endgültig nicht wiederholen konnte. Es ging schließlich um das Überleben seiner Spezies, und da hatten sie keine Zeit, sich mit Fehlern herumzuplagen. Sein primäres Ich wanderte im künstlichen Körper weiter an seiner Ernte vorbei und begann mit der Zuteilung für entsprechende Aufgaben. Der Hirnstamm der Probanden wurde angepasst und ihnen ihr ursprüngliches Bewusstsein geraubt. Dafür setzte er neue Befehlsroutinen in ihre Körper, damit sie sofort mit der effizienten Arbeit beginnen konnten.

Der ganze Inspektionsgang dauerte nur fünf Minuten. Derweil ging das Schiff wieder auf Streamgeschwindigkeit und verließ die Milchstraße.

Ihm war bewusst, dass diese Galaxis die Heimat aller Menschen war. Auch jener, die schon lange ihre Muttergalaxis verlassen hatten und etwas anderes geworden waren. Auch seine Vorfahren hatten einst so gelebt wie diese Menschen. Primitiv und umständlich. Er gab ihnen eine neue Aufgabe. Er gab ihnen ein besseres Leben. Ein notwendiges Übel in schwierigen Zeiten. Sie brauchten jeden Mann gegen die Aggressoren.

Er loggte sich aus dem Suit aus und sackte wieder in seinen realen Körper zurück. Nährflüssigkeit sorgte für wohlige Wärme, und er absorbierte mit seinen Drüsen schmatzend die notwendigen Nährstoffe. Sein Körper hatte nur wenig Ähnlichkeit mit denen seiner Vorfahren.

Als er aus dem Stream trat, hätte die Überraschung nicht größer sein können. Die Sensoren entdeckten den Feind sofort. Keine fünf Lichtjahre von der Mutterstation entfernt hallte ein Warnsignal durchgehend und tief durch das Schiff.

»Sie kommen!«, stieß Khashnamph erschrocken hervor, während die Automatiken des Schiffs eine Fluchtroute programmierten. Jetzt kam es auf jede Sekunde an.

Ende?

*

Samuel Sommer, Jahrgang 1982, lebt und arbeitet im Siegerland. Im Berufsleben schubst er als Controller die Zahlen eines Industrieunternehmens von links nach rechts, in seiner Freizeit jagt er die Protagonisten seiner Space-Operas von einer Galaxis zur nächsten. Zuletzt erschien im März 2020 Space Vikings – Die Letzten Wikinger. Weitere Informationen zum Autor und seinen Büchern unter https://simongod.jimdo.com/