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Corona Magazine #355: Dezember 2020

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From the series: Corona Magazine #355
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Rezension: Scythe

(Inkl. Erweiterung »Invasion aus der Ferne« / Feuerland Spiele)


Der erste Neutest eines Vollpreistitels in diesem Artikel. Scythe ist groß, vielfältig und bietet viele Möglichkeiten, sich im imaginären Osteuropa der 1920er Jahre auszutoben.

Aber es ist auch erstaunlich einfach, die Regeln zu lernen.

Die Geschichte zum Spiel ist schnell erzählt. Der erste Weltkrieg ist vorbei und Osteuropa geschwächt. Fünf Nationen (plus zwei weitere in der Erweiterung »Invasion aus der Ferne«) versuchen, die Vorherrschaft zu erlangen – und auch die Kontrolle über die »Fabrik« im Herzen des Spielfeldes. Hier werden jedoch keine Truppenverbände aufeinander gehetzt, sondern übergroße Kampfläufer, sogenannte Mechs, ins Feld geführt. Diese haben dann auch, ganz Steampunk-Like, das Aussehen von bewaffneten Riesentraktoren, Spinnenmaschinen oder großen Feldarbeitern.

Aber obwohl es sich zunächst nach einem Kampfspiel anhört, sind bewaffnete Konflikte nicht das Hauptaugenmerk in Scythe. Und genau das macht es gleich viel interessanter.


Denn das Spiel ist theoretisch sogar ganz ohne einen einzigen Kampf zu gewinnen. Im Mehrspieler-Spiel wird das vermutlich keine echte Option sein, doch im Solospiel ist das tatsächlich möglich. Denn selbst, wenn der sogenannte Automata, also der automatische Gegner, in seinen Zügen auch durchaus mal darauf aus ist, unsere Truppen oder Bauern zu vernichten, ist es möglich, mit gut überlegten Spielzügen dieser Bedrohung aus dem Weg zu gehen und dennoch seine Ziele zu verfolgen.

Wer indes aber auf Krawall gebürstet ist, der kann natürlich auch mit seinen Mechs losstürmen und den Gegner vom Brett fegen. Allerdings sind aggressive Strategien kein Garant dafür, das Spiel zu gewinnen.

Denn obwohl der Spielablauf leicht verständlich und einfach zu lernen ist, ist das Meistern des Spiels keineswegs so simpel. Zehn verschiedene Erfolge kann man im Spiel zu erreichen versuchen, und wer als erstes sechs Erfolge errungen hat, der beendet die Partie. Danach geht es ans Auszählen, und hier können sich schlechte Entscheidungen doch noch bemerkbar machen. Im Mehrspieler-Spiel wird das sicher eine noch größere Tragweite haben als im Solospiel. Dennoch bietet Scythe hier verschiedene Schwierigkeitsgrade des Automata an und kann es dadurch einem einzelnen Spieler schon recht schwer machen, das Spiel zu gewinnen.


Neben der Kampfaktion muss man Bauern erzeugen, diese richtig einsetzen, um Baumaterialien zu erhalten, und auch seine eigene Nation weiterentwickeln. Aber auch Forschung benötigt Materialien, die durch die Bauern erwirtschaftet werden. Die Mechs fallen auch nicht aus den Bäumen, also wird es doch schon recht anspruchsvoll, sich den nächsten und übernächsten Zug zu überlegen.

Dadurch, dass man in jedem Zug andere Optionen auswählen muss als im vorherigen, muss man hier tatsächlich etwas vorausschauender agieren. Denn nur mit den richtigen Materialien lassen sich alle Möglichkeiten ausschöpfen.

Ressourcen abbauen, Gebiete erobern, Geld erwirtschaften, Macht steigern, Beliebtheit erringen und einen erheblichen Vorteil aus der Fabrik für seine Nation mitnehmen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und machen Scythe zu einem spannenden Strategiespiel mit einem gut ausbalancierten Aufbauanteil.


Die Erweiterung »Invasion aus der Ferne« fügt dem Hauptspiel dann noch zwei weitere Nationen hinzu, die ihren Teil vom Kuchen abhaben wollen. Überhaupt hat jede Nation ihre eigenen Stärken, die es gut auszuspielen gilt. Mit einer Spielzeit von 60 bis 90 Minuten ist eine Partie auch relativ überschaubar, und das Spiel lädt durch sein doch recht einfaches Spielprinzip dazu ein, nochmals zu spielen.

Abwechslung bringen hier auf jeden Fall die fünf, mit Erweiterung sogar sieben unterschiedlichen Nationen, deren Stärken ganz verschiedene Schwerpunkte haben. Und dadurch, dass zu dem wichtigen Nationstableau auch ein zufällig gezogenes Spielertableau zum Einsatz kommt, liegen auch die Schwerpunkte jeder Nation immer wieder ein klein wenig anders.


Fazit für Scythe:

Dieses Spiel macht sehr viel richtig und bringt deshalb auch eine gute Portion Freude an den Spieltisch. Im Mehrspielermodus sicher noch um einiges brisanter, weil sich dann eben mehr Spieler um die Ressourcen und um die Fabrik streiten werden.

Im Solomodus aber auf jeden Fall als Perle zu bezeichnen.

Auch das Spielmaterial ist sehr liebevoll gestaltet. Karten, Holz- und Kunststofffiguren sowie Marker und Geldstücke bauen an sich schon eine schöne Spielwelt auf. Mit den schnell zu lernenden Regeln, die anfangs komplizierter aussehen, als sie tatsächlich sind, bringt Feuerland mit Scythe ein wirklich schönes Aufbaustrategiespiel auf den Spieltisch.

Einschätzung: Stimmungsvolle Spielwelt

Rezension: Terraforming Mars

(Schwerkraft Verlag)


Dieses Spiel hat den deutschen Spielepreis 2017 nicht umsonst gewonnen. Die Thematik klingt schon recht schwerwiegend. Aus dem Mars soll eine blühende Landschaft werden, Sauerstoffgehalt und Temperatur müssen angehoben, Ozeane und Wälder erschaffen werden. Dahinter stecken große Konzerne, die natürlich nicht nur aus reiner Menschenliebe den Mars umformen, sondern damit auch Profite machen wollen. Und diese Konzerne werden von den Spielern, in diesem Test jedoch nur ein Konzern von einem Spieler dargestellt.


Hat man sich in das Regelheft eingelesen, stellt man fest, dass das Spiel alles andere als kompliziert ist. Also, zumindest, was den Spielablauf an und für sich angeht. Eine Runde hat hier nämlich nur vier übersichtliche Phasen, die schnell verstanden und unkompliziert abzuhandeln sind. Doch Moment – unkompliziert sind hier – wie bereits erwähnt – nur die Regeln. Die Entscheidungen, die man treffen muss, um aus dem Mars eine grüne Welt werden zu lassen, können dann doch ganz schön knifflig werden. Man muss Entwicklungen kaufen, um sie einsetzen zu können. Das ist noch nicht so teuer. Der Einsatz der Karten kann dann aber doch schnell ins Geld gehen. Wer sich hier vertut, dem fehlen dann plötzlich wichtige Ressourcen, um den Planeten weiter umwandeln zu können.

Läuft die Strategie jedoch gut, kann man sich, insbesondere im Solospiel, darüber ärgern, dass man pro Generation (also pro Zug) nur zwei Aktionen durchführen kann.

Der Solomodus wartet in diesem Spiel nicht mit einem automatischen Gegner auf, sondern gibt dem Spieler vor, in wie vielen Generationen (Runden) er es schaffen muss, den Mars zu terraformen. Und die vorgegebenen 14 Runden sind schon eine ziemlich harte Vorgabe für den Anfang.

Tipp: In der Lernphase und zum Einstieg sollte man sich erstmal 20 Generationen (Runden) Zeit geben, denn gerade in den ersten Spielen fängt das Spiel gerade an, Spaß zu machen … und dann ist es vorbei.


Im Endeffekt versucht man hier jedes Mal, sein Gesamtergebnis innerhalb der 14 (oder eben 20) Runden zu steigern. Der Spaß liegt hier eindeutig darin, einfach zu versuchen, das Beste aus der kurzen Spielzeit herauszuholen.

Trotz mehrerer spannender Solorunden ist es mir selbst bislang noch nicht gelungen, den Mars in nur 14 Generationen (Runden) vollständig umzuwandeln. Doch Spaß macht es allemal, und jedes neue Spiel verlockt dazu, seine Strategie anhand des gezogenen Konzerns und der Entwicklungskarten anzupassen und zu überdenken.

Fazit für Terraforming Mars:

Abgesehen von »Under Falling Skies«, das aktuell nur in der Vorabversion erhältlich ist, sind die Regeln für »Terraforming Mars« in diesem Spielespecial am einfachsten zu erlernen. Generationsmarker vorziehen, vier Karten ziehen, bis zu vier dieser Karten kaufen, dann zwei Aktionen ausspielen und anschließend Einnahmen einheimsen, um die nächste Runde zu beginnen. Das ist einfach, schnell und dennoch spannend. Mit rund 60 Minuten Spielzeit muss man für eine Solopartie rechnen. Das ist ziemlich schnell und kurzweilig. Und genau deswegen darf man hier gerne seinem Spieltrieb nachgeben und gleich noch eine weitere Partie spielen.

 

Die verschiedenen Stärken der spielbaren Konzerne und die immense Anzahl an Forschungskarten garantieren für Abwechslung und Wiederspielbarkeit ohne Langeweile.

Wer keine Aliens jagen, sondern neuen Lebensraum erschaffen will, ist hier hervorragend aufgehoben.

Einschätzung: Leichter als Pfannkuchen essen … und spannender.

Rezension: Ein Fest für Odin

(Feuerland Spiele)


Kommen wir zum Abschluss der Testreihe und zum Ausreißer der getesteten Spiele. Warum Ausreißer? Eigentlich nur deshalb, weil »Ein Fest für Odin« keinen Science Fiction-Hintergrund hat, sondern sich eher mit trinkfreudigen Wikingern beschäftigt, die dem Spieler die Haare vom Kopf futtern und die letzten Fässer Met wegtrinken.

Klingt lustig? Ist es auch irgendwie. Jedenfalls solange es einem gelingt, die Bande Runde für Runde mit einem Festgelage zu Ehren des Wikingergottes Odin zufriedenzustellen. Dazu muss der Spieler seine Speisekammer gut füllen und die Züge nutzen, um möglichst viele unterschiedliche Lebensmittel parat zu haben, wenn die Wikingerbande das nächste Fest feiern will.


Eine gute Idee ist es, sich möglichst früh damit zu beschäftigen, Schafe und Rinder zu züchten. Die geben einem später enorme Vorteile, brauchen aber jeweils zwei Runden, bevor sie sich vermehrt haben.

Bevor man aber für Unmut an seiner Festtafel sorgt, weil es nicht genug Nahrung gibt, kann und sollte man in Boote investieren. Davon gibt es drei verschiedene. Mit am besten sind die, mit denen man eine Horde Wikinger losschicken kann, um sich irgendwo anders anzusiedeln. Auf Nimmerwiedersehen! Und unsere Festtafel ist sogleich etwas kleiner geworden.

Am Ende werden Punkte gezählt. Es gibt also in diesem Sinne keinen Sieg, aber man kann sich im Laufe der Spiele steigern und seine Strategie ausbauen.


Fazit für Ein Fest für Odin:

Keine Science Fiction und eigentlich auch keine Fantasy. Gehört dieses Spiel überhaupt dazu?

Ja, warum denn nicht? Das Szenario, das hierbei bemüht wird, handelt zwar von Wikingern (und in der Erweiterung kommen noch Norweger dazu), aber das Spiel ist derart aufgebaut, dass man genausogut von einer Horde Barbaren oder Thorwaler oder einem beliebigen nordisch anmutenden Fantasyvölkchen sprechen könnte.

Letztlich ist das Spiel spaßig und im Kern eine sehr gut durchdachte Wirtschaftssimulation, ohne Bezug zur heutigen Realität. Mit dem Wikingerszenario eröffnet sich hierbei ein Rahmen, der sowohl im Solo- als auch im Gruppenspiel für einigen Spaß sorgt.

Zum Abschluss

Ein Solospiel kann durchaus viel Spaß machen, und alle hier vorgestellten Spiele haben sehr gute Solospielmechanismen. Manche zählen Punkte, andere setzen Ziele, aber allesamt wissen sie auch einzelne Spieler zu unterhalten.

An dieser Stelle wäre vielleicht eine Rangliste interessant, aber offen gesagt, man kann hier kein Spiel schlechter bewerten als eines der anderen. Der Clou hierbei ist, dass sich die Spiele nicht wirklich miteinander vergleichen lassen und jedes einem anderen Prinzip folgt.

Wer sich also vorstellen kann, auch mal alleine ein Spiel zu spielen, dem können alle Spiele aus diesem Test uneingeschränkt empfohlen werden. Hier sollte der persönliche Geschmack entscheiden.

Wer sich jedoch noch nicht an ein Solospiel herangewagt hat oder es sich nicht recht vorstellen kann, hierbei Spaß zu haben, dem sei als günstigste Variante »Under Falling Skies« zum Einstieg ans Herz gelegt. Alle anderen Kandidaten erweitern das Spielerlebnis, kosten aber auch ein wenig was. Dafür erhält man aber wirklich tolle Spiele, die man dann irgendwann auch wieder mit anderen Spielern zusammen erleben kann.

Ordnung in den Boxen

Mehrere Spiele in diesem Test kommen in der Originalversion mit ausreichend Klemmtütchen daher, um das üppige Material sortiert zu halten. Das ist gut.

Wer hierbei aber ein wenig mehr haben möchte, dem sei angeraten, im Spielezubehör nach Ordnungssystemen zu suchen. Hier gibt es verschiedene Anbieter, die entweder Schaumstoffeinsätze, Kunststoffboxen zum Selbstbasteln oder sogar Holzboxen – ebenfalls zum Selbstbasteln – anbieten.

Meist sind diese Einsätze so gut gestaltet, dass nicht nur das jeweilige Grundspiel seinen Platz darin findet, sondern auch noch eventuell vorhandene Erweiterungen.

Als Beispiel dienen die folgenden beiden Fotos für Terraforming Mars:


Und für die Legendary Box des Spiels Scythe:


Beide Inlays bieten genug Platz, um das jeweils gesamte Spiel unterzubringen und stets sortiert zu halten. Freilich ist das nicht notwendig, sondern soll nur noch ein kleiner zusätzlicher Tipp sein.

Dem Spielspaß steht mit diesen Brettspielen also nichts mehr im Weg. Vertreiben Sie sich die Zeit mit ein paar guten Spielen. Und wenn man wieder näher zusammenrücken kann, lohnt es sich in jedem Fall, alle hier vorgestellten Spiele gemeinsam mit seinen Freunden zu erleben.

Dem Spielspaß steht mit diesen Brettspielen also nichts mehr im Weg. Vertreiben Sie sich die Zeit mit ein paar guten Spielen. Und wenn man wieder näher zusammenrücken kann, lohnt es sich in jedem Fall, alle hier vorgestellten Spiele gemeinsam mit seinen Freunden zu erleben.

Rezension: Zombicide: Invader – Dark Side

von Frank Stein

Durch die Straßen und Einkaufszentren moderner Großstädte sowie die Felder und Hütten einer Fantasy-Welt hat uns die Zombie-Plage schon verfolgt. Nun treten die ersten Infektionen im All auf und verwandeln die eigenbrötlerischen Xenos auf dem Bergbauplaneten PK-L7 in eine rasende Brut, die alles Leben – vor allem das der menschlichen Minenarbeiter – auslöschen will. Zum Glück gibt es die harten Jungs und Mädels des Green Squads, die mit ihren – natürlich grünen – Power-Rüstungen und dicken Waffen dem Problem entgegentreten, tief in der Dunkelheit unter der Oberfläche des Planeten.


Zombicide: Invader – Dark Side ist ein Science-Fiction-Ableger der erfolgreichen Brettspielreihe Zombicide, die – entwickelt von Guillotine Games und herausgebracht von CoolMiniOrNot – 2012 während eines Kickstarter-Crowdfundings das Licht der Welt erblickte. Zombicide war so erfolgreich, dass es gleich zwei Nachfolge-Grundspiele Zombicide 2: Toxic Mall und Zombicide 3: Rue Morgue plus einiger Erweiterungen nach sich zog. Als das moderne Setting ausgereizt war, wechselte man 2015 mit Zombicide: Black Plague in eine fiktionale Mittelalterwelt. 2017 gab es auch hierzu einen Nachfolger namens Green Horde, der dem Horror typische Fantasy-Elemente – vor allem Orks – hinzufügte.

Ein Jahr später, im April 2018, folgte mit Zombicide: Invader dann der nächste Streich, der Wechsel in ein Setting, das optisch schwer an Warhammer 40.000 erinnert, geht es doch um harte Marines, die sich mit Kettensägenschwertern und fetten Wummen gegen fiese Aliens zur Wehr setzen. Im Rahmen dieses Crowdfundings, das immerhin knapp 18.500 Backer anlocken und gute 3,3 Millionen Dollar einnehmen konnte, wurde auch Dark Side vorgestellt, ein voll kompatibles, aber eigenständig spielbares Erweiterungs-Set, also das, was die Green Horde-Box für Black Plague war. Nun ist das Spiel übersetzt auch hierzulande als Einzelwerk erschienen.

Das Spielmaterial

Zunächst einmal bemerkt man, dass sich die Optik gewandelt hat. Bislang fiel Zombicide durch seine deutlich übertriebene Comic-Grafik auf, die allem Zombie-Horror ein wenig die Blutrünstigkeit nahm und so für eine Altersempfehlung ab 14 sorgte. Dark Side wird mittlerweile sogar mit dem Label »ab 12« verkauft, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass der Zombie-Aspekt nur noch ein Feigenblatt ist, der das Alien-Survival-Spiel darunter kaum verbergen kann und will. Ja, die Xenos sind laut Story irgendwie infiziert worden und darum durchgedreht. Visuell bekommt man aber ganz normale und keineswegs untote oder halb verweste Alienmonster geboten. Viecher wie diese kennt man aus jedem Kreaturenbuch eines Science-Fiction-Rollenspiels. Oder aus Spielen wie dem bereits genannten Warhammer 40.000. Oder aus den Alien-Kinofilmen (die allerdings kein 12-Jähriger schauen darf). Also obwohl die Optik dank Künstlern wie Adrian Smith sichtbar realistischer daherkommt, wirkt die Metzelorgie sehr viel »jugendfreier« als die Knochen-und-Eingeweide-Schlachtplatte früherer Zombicide-Inkarnationen. Anspruchsvoll bleibt das kooperative Spielgeschehen trotzdem, sodass die Altersempfehlung schon deshalb sinnvoll ist.


Mit einem Tutorial, das noch einfach ist, geht es los.

Beim Unboxing erwarten einen – im durchaus positiven Sinne – keine Überraschungen. Das Spielmaterial wirkt wie immer hochwertig. Praktische Plastiktableaus unterstützen das Charaktermanagement, Ausrüstungskarten mit passend militaristischen Illustrationen werten die Helden auf, und die Spielmarker bestehen aus fester Pappe. Die neun doppelseiten Kartenteile sind diesmal ziemlich düster gehalten, zeigen sie doch unterirdische Abbaustollen und industrielle Fertigunterkünfte mit Metallgitterböden und schummriger Beleuchtung (wie es sich halt für ein Alien-Setting gehört). Das bietet jetzt kein optisches Feuerwerk auf dem Spieltisch, sieht aber sehr atmosphärisch aus.

Dazu passen auch die Miniaturen, die das Kernstück des Spiels sind. Sechs Helden in Power-Rüstungen, eine mobile Waffenplattform (Verfechter-Bot) und ein Geschütz auf Dreibein wollen für Ordnung sorgen. Ihnen gegenüber stehen blutrote 64 Xenos, die sich – typisch für Zombicide – in Minen-Arbeiter (= Schlurfer), Minen-Jäger (= Läufer), Minen-Berserker (= Fettbrocken) und ein mächtiges Minen-Monstrum unterteilen. Alle Minis sind schön detailreich und sehen viel besser aus als die Zombies vor Jahren beim ursprünglichen Zombicide. Trotzdem sind die Helden nicht ganz leicht auf dem Spieltisch zu unterscheiden: Es sind halt alles Soldaten in Rüstung mit dicker Knarre. Hier hätte man noch ein wenig an den Posen oder Charakereigenheiten schrauben können. So muss man sich primär auf die Farbringe an der Base verlassen, wenn man wissen will, wer wer ist. Diese Farbringe hätten übrigens etwas knalliger ausfallen können. Gerade blassgrün und grau sowie dunkelviolett und schwarz sind bei etwas schlechterer Beleuchtung nur schwer zu unterscheiden.

Das Spiel im Allgemeinen …


So ein paar Xenos können Marines doch nicht erschüttern!

Am Spielkonzept hat sich auch in dieser neusten Inkarnation von Zombicide nichts geändert. Vor dem Spiel wählt man sich eine Mission (von zehn) aus, die entweder einzeln oder als Kampagne gespielt werden können, wobei die Kampagne ein rein narratives Element ist. Jede Partie fängt trotzdem immer bei Null an. Erfahrung und Ausrüstung können nicht mitgenommen werden. Die Mission bestimmt den Aufbau des Spielfelds und legt die Ziele fest. Gespielt wird stets mit dem ganzen Green Squad, egal ob ein Spieler oder sechs am Tisch sitzen. Die Mühe, verschiedene Spielerzahlen auszugleichen, haben sich die Designer nicht gemacht. Alle Soldaten besitzen leicht unterschiedliche Fähigkeiten, die man sinnvollerweise taktisch nutzt. So kann das einzige nichtmenschliche Mitglied der Truppe besonders gut in den finsteren Stollen sehen, eine Soldatin ist auf das Suchen von Ausrüstung spezialisiert, und eine weitere vermag auch in der eigenen Zone Fernkampfangriffe durchzuführen (normalerweise verboten), ohne dabei ihre Kollegen abzuknallen (sehr praktisch). Jedes Mitglied des Teams erhält noch Pistole und Elektroschlagstock (völlig unpassend »Viehtreiber« genannt), dann kann es losgehen.

 

Gespielt wird – wie seit dem ersten Zombicide – in Runden, die in drei Phasen aufgeteilt sind: eine Spielerphase, eine Xeno-Phase und eine Endphase. In der Spielerphase darf jeder Spieler (im Uhrzeigersinn vom Startspieler ausgehend) all seine Überlebenden (in beliebiger Reihenfolge) drei Aktionen ausführen lassen. Dazu zählen die typischen Dinge, die es in jedem Dungeon-Crawler gibt: Bewegen, Angreifen, Raum durchsuchen, Ausrüstung tauschen usw. Die Angriffswerte werden dabei durch die getragenen Waffen bestimmt. Mit einer vorgegebenen Anzahl Würfel muss man einen festgelegten Zielwert erreichen; jeder Erfolg ist ein Treffer, der (meist) einen Xeno tötet. Also auch wenn im Spielverlauf eine Gegnerwelle über einen hinwegschwappt: Mit Glück und einem gut geölten Schnitter-Schwert kann man bis zu 6 der geifernden Kreaturen mit einer Aktion (!) fällen.


Ein Veteran mit 20 Kills.

Weitere taktische Elemente sind beispielsweise Türen, die geschlossen werden können und Xenos eine Runde lang aufhalten (während diese das Schott in Metallsplitter zerschreddern). Beliebt sind auch seismische Granaten, die ganze Zonen verheeren, alle Figuren dort töten und die gefürchteten Zugangsschächte der Xenos zum Einsturz bringen. Das macht natürlich einen Heidenlärm, aber auch Lärm ist mitunter ein taktisches Element, etwa um Xenos in eine falsche Richtung zu locken. Gerade wenn so ein schweres Minen-Monstrum (der dickste Brocken des Spiels) durch die Stollen stapft, ist man froh, wenn man mal in der falschen Richtung ein Glöckchen läuten kann (Lärmplättchen haben kleine Glockensymbole).

Apropos herumstapfen: In der Xeno-Phase steuert das Spiel die Gegner. Jeder Xeno auf dem Spielplan wird einmal aktiviert und darf entweder angreifen, wenn er sich in einer Zone mit einem Helden befindet, oder er bewegt sich eine Zone auf die nächstbesten Helden zu. Am Anfang sieht das alles noch ganz beherrschbar aus, aber spätestens nach fünf bis sechs Runden wird es dann eng. Denn nach der Aktivierung erfolgt die Brut, das heißt: Auf jedem der drei bis vier auf dem Spielplan verteilten Brutplättchen tauchen Xenos auf – und das meist nicht zu knapp. Was genau erscheint, entscheidet eine gezogene Xeno-Karte und das Level der Helden. Denn diese erhalten Erfahrungspunkte für jeden Abschuss und steigen damit bis zu dreimal auf (von Stufe blau über gelb und orange bis rot). So erhalten die Soldaten zwar neue Fähigkeiten, aber gleichzeitig werden auch die Gegner immer zahlreicher und lästiger.

In der Endphase werden alle Lärmplättchen entfernt, und der Startspielermarker wandert einen Spieler nach links. Das wird so lange fortgesetzt, bis entweder die Siegbedingungen für die Mission erfüllt sind – oder diejenigen für eine Niederlage eintreten (meist der Tod der Helden).

… und im Speziellen


Gruppenbild mit Robo und Kanone.

So weit, so allgemein bekannt – zumindest, wenn man bereits andere Zombicide-Spiele gespielt hat. Doch wie jede Inkarnation hat auch Dark Side einige Eigenheiten, die zum Teil schon angedeutet wurden. Zum einen herrscht in allen Stollen auf dem Spielbrett Dunkelheit. In dieser können selbst Soldaten in Power-Rüstungen rein gar nichts sehen (weil die nämlich ihre Helme alle am Gürtel tragen statt auf dem Kopf, die Seppel). Das macht die Durchquerung der Tunnel ziemlich gefährlich, denn Xenos lassen sich erst bekämpfen, wenn sie mit einem in der gleichen Zone stehen. Ein armer Tropf, wer zu diesem Zeitpunkt noch seinen miesen Startkarten-Viehtreiber als einzige Nahkampfwaffe in der Hand hält. Taschenlampen und Prototypen-Waffen sorgen hier für Abhilfe, weil sie die Sichtlinie wieder auf Normalniveau anheben, aber die muss man erst mal finden beziehungsweise einsammeln.

Unerfreulich sind auch die Schächte, die das Minen-Monstrum überall gräbt. Daraus können nicht nur weitere Xenos auftauchen – diejenigen, die sich in einer Zone mit einem Schachtausgang befinden, sind obendrein um einen Punkt schwerer zu verletzen. So braucht man plötzlich für einen läppischen Arbeiter eine schwere Waffe, die zwei Schaden anrichtet, und einen Berserker, der plötzlich drei Schadenpunkte aushält, bekommt man nur mit einem gezielten Treffer und etwas Würfelglück in den Griff. An dieser Stelle möchte ich nochmals auf den Wert der seismischen Granate hinweisen.

Auf der Habenseite stehen der Verfechter-Bot und das Demolier-Geschütz, deren eigenwillige Namen nichts daran ändern, dass sie höchst effektiv gegen Xenos vorgehen und den Helden durchaus den Hintern retten können. Das Demolier-Geschütz steht zwar unbeweglich auf jedem Spielplan und will daher geschickt genutzt werden, aber der Verfechter-Bot ist eine solide Feuerunterstützung, die auch in der Finsternis der Stollen funktioniert. (Gibt ja sowas wie Infrarot-Sensoren, die bestimmt auch in den Helmen der Soldaten drin sind, aber die tragen ihre Helme ja am Gürtel …)


Das Green Squad steht (in einer Solo-Partie) kurz vor dem Sieg.

Eine Anmerkung noch zur Spielerzahl: Zombicide: Invader – Dark Side ist für ein bis sechs Spieler gedacht, wobei das Spiel grundsätzlich nach oben offen skalierbar ist. Allerdings muss man je nach Spielerzahl ein paar taktische Nachteile in Kauf nehmen. Wie oben geschrieben, aktiviert jeder Spieler all seine Helden in beliebiger Reihenfolge, bevor der Spieler zu seiner Linken dran ist. Das heißt, wenn man allein spielt, kann man alle sechs Soldaten völlig frei agieren lassen (was gerade in brenzligen Lagen extrem wichtig ist). Spielt man zu zweit, muss zunächst einer drei Helden, dann der nächste drei Helden aktivieren. Noch schlimmer wird es zu dritt. Da existieren drei Aktivierungsblöcke zu je zwei Helden. Bei mehr als sechs Spielern wird es dann maximal unflexibel, weil die Aktivierungsreihenfolge der Figuren von der Sitzreihenfolge am Tisch festgelegt wird. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad merklich. (Um hier für Fairness zu sorgen, empfehle ich die Hausregel, dass alle Spieler nach dem Startspieler einer Runde in beliebiger Reihenfolge dran sind, bis jeder seine Helden aktiviert hat.)

Fazit

Zombicide: Invader – Dark Side ist ein missionsbasiertes Miniaturenspiel, das vor allem Hobbytaktiker anspricht. Durch die militaristische Optik hat es weniger vom klassischen Zombie-Überlebenskampf und erinnert mehr an den Konflikt zwischen Colonial Marines und Aliens (siehe der Action-Kracher von James Cameron Aliens – Die Rückkehr aus dem Jahr 1986). Jede Mission ist eine Herausforderung, die kluge Planung, etwas Glück und durchaus auch ein wenig Frustrationstoleranz erfordert. Das Zombicide-Feeling beschränkt sich hier auf den reinen (und sehr gelungenen) Spielmechanismus. Aber ob die Xeno-Brut jetzt infiziert ist oder nicht, ist ziemlich egal. Man sieht es den Figuren jedenfalls nicht an. Was im Umkehrschluss das Spiel für alle attraktiv macht, die mehr Spaß an zünftigem Alien-Geballer haben als an schlurfenden Untoten.

Zombicide: Invader – Dark Side

Brettspiel für 1 bis 6 Spieler ab 12 Jahren

Raphaël Guiton, Jean-Baptiste Lullien, Nicolas Raoult

CMON/Asmodee 2020

EAN: 4015566601390

Sprache: Deutsch

Preis: EUR 89,95