Read the book: «Arbeitsrecht in der Umstrukturierung», page 12

Font:

e) Betriebsverlegung

70

Unter der Verlegung eines Betriebs versteht man jede wesentliche Veränderung der örtlichen Lage des Betriebs oder Betriebsteils unter Weiterbeschäftigung der gesamten oder des größeren Teils der Belegschaft.[121] Nur geringfügige Veränderungen der örtlichen Lage scheiden aus, etwa der Umzug in einem Gebäude oder in ein Gebäude in der Nähe der alten Betriebsstätte (Umzug auf die andere Straßenseite).[122] Ausreichend ist nach der Rechtsprechung hingegen eine Verlegung des Betriebs vom Zentrum einer Großstadt an den Stadtrand mit 4,3 km Entfernung[123] oder bei einem Umzug innerhalb einer Großstadt ein Entfernungsunterschied von 5,5 km.[124] Eine Anwendung des § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG auf Betriebe, die ihren Standort ohnehin ständig wechseln scheidet aus (z.B. Wanderzirkus, Baustellen etc.).[125]

71

Werden Teile der Belegschaft am neuen Standort nicht weiterbeschäftigt, ist die Betriebsverlegung von der Betriebsstilllegung abzugrenzen. Nach Ansicht des BAG stellt eine erhebliche räumliche Verlegung des Betriebs eine Betriebsstilllegung dar, wenn die alte Betriebsgemeinschaft tatsächlich rechtsbeständig aufgelöst wird und der Aufbau einer im Wesentlichen neuen Betriebsgemeinschaft am neuen Betriebssitz erfolgt.[126]

72

Bei einer Verlegung an einen „räumlich weit entfernten“ Ort i.S.d. § 4 Abs. 1 BetrVG ist in der Regel von einer Betriebsschließung auszugehen.[127] Es handelt sich dann um eine Stilllegung mit anschließender Neuerrichtung.[128] Die Abgrenzung hat in erster Linie Bedeutung für die mögliche Beendigung der Amtszeit des Betriebsrats (bei einer Stilllegung), die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen sowie zugleich den Sonderkündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern nach § 15 Abs. 4 KSchG, weshalb Betriebsräte in der Praxis häufig darauf bestehen, dass der Interessenausgleich von einer Verlegung spricht, nicht von einer Stilllegung. Richtigerweise ist auch in solchen Fällen stets zu prüfen, ob die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft durch die Maßnahmen aufgelöst wird, oder nicht. Im Falle einer Verlagerung ins Ausland ist nach zutreffender Ansicht stets von einer Stilllegung auszugehen.[129]

f) Zusammenschluss und Spaltung von Betrieben

aa) Zusammenschluss

73

Der Zusammenschluss von Betrieben i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG ist dann zu bejahen, wenn durch Änderungen auf der betrieblichen Ebene zwei Betriebe zu einem verbunden werden, beide also ihre Identität verlieren und gemeinsam einen neuen Betrieb bilden.[130] In diesem Fall ist zuständiger Verhandlungspartner regelmäßig der Gesamtbetriebsrat bzw. der Konzernbetriebsrat, wenn die Betriebe verschiedenen Unternehmen desselben Konzerns angehören.[131]

74

Ein Zusammenschluss liegt zudem dann vor, wenn ein Betrieb unter Verlust seiner Identität durch einen anderen aufgenommen wird[132]

75

In beiden Fällen (Zusammenführung oder Aufnahme durch einen anderen Betrieb) kommt es entscheidend darauf an, ob sich die Leitungsorganisation entsprechend ändert und die Betriebsidentität im Zuge der Übertragung bzw. der Zusammenführung erhalten bleibt, oder nicht.[133]

76

Gehören die beiden Betriebe unterschiedlichen Unternehmen an, kommt es für die Bejahung eines Zusammenschlusses i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG darauf an, ob eine einheitliche Leitung etabliert wird. Dann entsteht ein Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).[134] Erforderlich ist eine einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten[135]. Eine Verschmelzung zweier Unternehmen fällt als solche nicht unter § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG, es sei denn, sie hätte Auswirkungen auch auf der betrieblichen Ebene[136].

bb) Spaltung

77

Eine Spaltung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG kann sowohl durch eine Aufspaltung des Betriebs als auch durch die Abspaltung von Betriebsteilen erfolgen.[137] In Fällen der Aufspaltung wird der Ursprungsbetrieb aufgelöst. Der Betriebsrat erhält unter den Voraussetzungen des § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine zeitlich befristetes Übergangsmandat in den Betriebsteilen und behält nach § 21b BetrVG ein Restmandat für den Ursprungsbetrieb.[138] In Fällen der Abspaltung besteht der Ursprungsbetrieb fort. Sein Betriebsrat bleibt im Amt und hat hinsichtlich der Abspaltung nach §§ 111 ff. BetrVG mitzubestimmen. Für die abgespaltenen Teile hat er, sofern die Voraussetzungen des § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorliegen, ein zeitlich befristetes Übergangsmandat (vgl. dazu auch Rn. 360).[139]

78

Die Spaltung von Betrieben erfasst damit neben der unternehmensinternen Betriebsaufspaltung durch Änderung der Organisationsstrukturen auch die unternehmensübergreifende „Betriebsaufspaltung“, etwa im Wege einer Herauslösung eines Betriebsteils aus einer bestehenden Organisationseinheit und der Übertragung auf einen anderen Inhaber i.S.d. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.[140] Das gilt selbst dann, wenn ein abgespaltener Betriebsteil anschließend in einen anderen Betrieb eingegliedert wird und dabei untergeht, d.h. seine Betriebsidentität beim Erwerber verliert.[141]

79

Nach Ansicht des BAG soll es hierbei – anders als bei einer Teil-Betriebsstilllegung – nicht darauf ankommen, ob ein „wesentlicher“ Betriebsteil (vgl. dazu Rn. 54) betroffen ist.[142] Dies stellt nach Ansicht des BAG deshalb keinen Wertungswiderspruch dar, weil der unterschiedlichen Behandlung dieser Fälle die „typisierende gesetzgeberische Einschätzung“ zugrunde liege, eine Spaltung betreffe anders als eine Teilstilllegung regelmäßig nicht nur den stillgelegten Teil, sondern den gesamten Betrieb.[143]

80

Ob sich die Übertragung des Betriebsteils im Wege der Einzelrechtsnachfolge unmittelbar gemäß § 613a BGB (Asset Deal) oder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach dem Umwandlungsgesetz vollzieht (Spaltung gem. §§ 123 ff. UmwG)[144], ist nicht entscheidend, sofern hierdurch eine einheitliche Organisationseinheit in (mindestens) zwei verschiedene Einheiten aufgespalten wird. Nicht erfasst wird hingegen die in § 133 UmwG, §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 106 BetrVG geregelte Aufspaltung von Unternehmen, etwa in Besitzgesellschaft (ohne eigenen Betrieb) und Betriebsgesellschaft.[145]

81

Klargestellt hat das BAG allerdings, dass „Bagatellausgründungen“ ausgenommen sind, wenngleich es offen gelassen hat, unter welchen Voraussetzungen solche Bagatellausgliederungen vorliegen.[146] Ausreichend ist nach Ansicht des BAG jedenfalls, wenn es sich um eine veräußerungsfähige Einheit handelt.[147] Diese ist – so das BAG – regelmäßig erst bei einer „wirtschaftlich relevanten Größenordnung“ und einer „abgrenzbaren, eigenständigen Struktur“ gegeben. Die Ausgliederung im Zusammenhang mit einer solchen Übertragung erfüllt daher regelmäßig auch den Begriff der Spaltung. Welche Schwellenwerte hierfür maßgeblich sein sollen, hat das Gericht nicht abschließend entschieden. Zur Orientierung wird man aber auch hier die Zahlengrenzen des § 17 Abs. 1 KSchG heranziehen können. Dafür spricht, dass das Gericht in der Entscheidung von 1996 eine Spaltung i.S.d. § 111 Satz 2 Nr. 3 BetrVG a.F. (jetzt: § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG) auch deswegen bejaht hat, weil der Betriebsteil „fast den Voraussetzungen des § 17 KSchG“ genügte, die für die Bestimmung einer grundlegenden Änderung oder Verlegung eines wesentlichen Betriebsteils indiziell herangezogen werden. Mit zwei Arbeitnehmern mehr als nach § 17 KSchG maßgeblich werde der Schwellenwert nur „knapp“ unterschritten. Auch deshalb könne – so das BAG – von einer Bagatellausgliederung keine Rede sein. Auch weitergehende Abweichungen sind allerdings denkbar, so hat das BAG in der Entscheidung vom 18.3.2008 eine Bagatellausgliederung verneint, obwohl in dem abgespaltenen Betriebsteil lediglich 10 von 390 Arbeitnehmern beschäftigt wurden.[148]

82

Geht die Spaltung eines Betriebs mit einem Betriebsteilübergang einher, besteht nicht per se eine Sozialplanpflicht. Hier gilt nichts anderes als bei der Übertragung des gesamten Betriebs. Danach kann der Betriebsrat gemäß § 112 BetrVG nur wegen der wirtschaftlichen Nachteile „infolge der geplanten Betriebsänderung“ einen Sozialplan verlangen. Sonstige Nachteile, die nicht aus der Betriebsänderung selbst folgen, gehören nicht dazu (z.B. eine Verringerung der Haftungsmasse bei dem Betriebserwerber sowie dessen befristete Befreiung von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs 2 BetrVG, vgl. dazu auch nachstehend unter Rn. 165 ff.).[149]

83

Wenn sich die Maßnahme darin erschöpft, die betriebliche Tätigkeit eines Betriebsteils zu beenden, ohne dass dessen Substrat erhalten bleibt, liegt keine Spaltung vor, sondern eine teilweise Schließung eines Betriebs, die nicht von § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG erfasst wird.[150] Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Ausführung bestimmter Aufgaben selbst einstellt und diese sodann von einer anderen Gesellschaft fortgesetzt werden. Solange es sich lediglich um eine Auftragsnachfolge handelt und die Voraussetzungen für einen Betriebsteilübergang weder durch Übernahme von Personal noch etwaigen wesentliche Betriebsmittel erfüllt sind, scheidet in solchen Fällen die Annahme einer mitbestimmungspflichten Spaltung aus.[151] Der Betriebsteil wird dann nicht zum Zwecke der Veräußerung ausgegliedert, sondern es wird der in diesem Betriebsteil verfolgte Zweck eingestellt.[152]

84

Da es auf die Spaltung von Betrieben und nicht auf die Spaltung von Unternehmen ankommt, greift § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG auch dann nicht ein, wenn ein Betrieb nach einer Unternehmensaufspaltung unberührt bleibt und als Gemeinschaftsbetrieb der beiden Unternehmen fortgeführt wird.[153]

85

Dies eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten im Zuge von Umstrukturierungen, wobei in der Praxis häufig nicht die Vermeidung etwaiger Interessenausgleichsverhandlungen im Vordergrund stehen, sondern auch andere strategische Erwägungen, etwa die Überlegung, hierdurch einen längerfristigen unternehmensübergreifender Einsatz von Mitarbeitern jenseits der Vorgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu ermöglichen.

g) Grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen

86

Eine Änderung der Betriebsorganisation i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG liegt vor, wenn der Betriebsaufbau, insbesondere hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortung, umgewandelt wird.[154] Damit können etwa die Zentralisierung oder Dezentralisierung von Zuständigkeiten, die Neugliederung von Betriebsabteilungen oder die Spaltung eines Betriebs unter § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG fallen (neben Nr. 3).[155]

87

Grundlegend ist die Änderung aber nur dann, wenn sie sich auf den Betriebsablauf in erheblicher Weise auswirkt. Maßgeblich hierfür ist der Grad der Veränderung.[156] Die Änderung muss in ihrer Gesamtschau von erheblicher Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf sein.[157] Es kommt nach zutreffender Ansicht vielmehr entscheidend darauf an, ob die Änderung einschneidende Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer hat.[158]

88

Zu verneinen ist eine „grundlegende“ Änderung daher etwa dann, wenn die Maßnahme nur den Leiter eines Bereichs betrifft, dessen Arbeitsplatz entfällt und die Aufgaben auf andere Mitarbeiter umverteilt werden. Das gilt selbst dann, wenn die Mitarbeiter des Bereichs neue Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten bekommen, d.h. neue Vorgesetzte und neue Berichtslinien, sofern mit diesen Änderungen nicht einschneidende Auswirkungen auf den Betriebsablauf im gesamten Betrieb oder dem betroffenen Bereich in erheblichem Ausmaß verbunden sind.[159]

89

Beispiele:

Abgelehnt hat das BAG eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation etwa bei einer Ausgliederung und Stilllegung einer technischen Anzeigenproduktion eines Verlags, da sich hierdurch an der Arbeitsweise und den Arbeitsbedingungen des ganz überwiegenden Teils der Belegschaft nichts änderte.[160]

Nach einer in der Literatur zum Teil vertretenen weiten Auffassung soll allerdings bereits der Übergang zur Gruppenarbeit ausreichend sein können.[161]

Auch das „Outsourcing“ bzw. die Vergabe von Aufgaben an externe Handelsvertreter soll unter § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG fallen können; dies hat das BAG zumindest in einem Fall angenommen, in dem der mit eigenen Angestellten durchgeführte Anzeigendienst zugunsten des Aufbaus eines Netzes selbstständiger Handelsvertreter mit neu zugeschnittenen Zuständigkeitsgebieten aufgegeben wurde und dies – so das BAG – „wegen des damit einhergehenden Verlustes betrieblicher Arbeitsplätze“ zugleich „mit einer erheblichen Umgestaltung des Betriebsaufbaus und -ablaufs“ verbunden war.[162]

90

Diese Beispiele zeigen: Es ist stets zu prüfen, ob die Maßnahme, etwa das „Outsourcing“ von Aufgaben einer Betriebsabteilung, tatsächlich mit entsprechenden einschneidenden Änderungen für die verbleibenden Mitarbeiter verbunden ist.

91

Eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks setzt eine nachhaltige Veränderung der arbeitstechnischen und nicht nur wirtschaftlichen Zwecksetzung des Betriebes voraus.[163] Hierunter fallen die Aufgabe, die Ersetzung oder eine Ergänzung des Betriebszwecks.[164]

92

Beispiele:

Dies ist etwa der Fall, wenn von der Motorrad- auf die Kraftwagenproduktion übergegangen wird, nicht aber wenn lediglich ein verbesserter Typ eines Motorrads hergestellt wird.

Das BAG hat eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks auch dann verneint, wenn in einem Schlachthof dazu übergegangen wird, nur noch Schweine zu schlachten.[165]

Andererseits hat das Gericht eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks bejaht, wenn in einem Spielcasino neben dem herkömmlichen Glücksspiel an Spieltischen in einem besonderen Saal mit eigenem Zugang das Spiel an Automaten angeboten wird.[166]

Auch die Herstellung von Geländewagen oder Motorrädern anstelle oder zusätzlich zur Produktion von Personenwagen soll unter § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG fallen, wobei allerdings zutreffend betont wird, dass es sich um eine grundlegende Änderung handeln muss.[167]

93

Soweit aus der Spielcasino-Entscheidung des BAG gefolgert wird, dass § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG grundsätzlich dann zu bejahen sein kann, wenn bei einem Dienstleistungsunternehmen künftig andere Dienstleistungen als bisher angeboten werden sollen,[168] ist zu berücksichtigen, dass es nach den Ausführungen des BAG nicht nur entscheidend war, dass Spielautomaten im Verhältnis zum Spiel an Spieltischen etwas völlig Neues und Andersartiges sind. Insoweit war die Spieltechnik wichtig. Entscheidend waren aber auch die konkreten Auswirkungen für die Beschäftigten. Denn anders als beim herkömmlichen Glücksspiel, bei dem ein persönlicher Kontakt zwischen Spielern und Angestellten der Spielbank besteht und die Spieler die Angestellten mit einem Trinkgeld an ihren Gewinnen beteiligen, entfällt dies bei Spielautomaten. Beim Automatenspiel sind keine Angestellten unmittelbar beteiligt, es gibt keine Trinkgelder und damit auch keinen „Tronc“, an dem die Angestellten beteiligt werden können. Zudem werde – so das BAG – ein ganz anderer Personenkreis angesprochen.[169] Die grundlegende Änderung des Betriebszwecks war also mit erheblichen Konsequenzen für die Verdienstmöglichkeiten der betroffenen Mitarbeiter verbunden.

94

Weder bei einer Ergänzung um einen unwesentlichen Betriebszweck (z.B. das Angebot bestimmter Nebenleistungen), die nach zutreffender Ansicht des BAG keine grundlegende Änderung darstellt, noch bei jeder unwesentlichen Änderung der angebotenen Haupt-Dienstleistungen wird man daher eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks annehmen können. Es muss vielmehr auch bei Änderungen des Betriebszwecks stets geprüft werden, ob hiermit erhebliche Auswirkungen für den Betrieb und die Belegschaft verbunden sind und die Änderung damit tatsächlich „grundlegend“ ist.[170]

95

Bloße Änderungen bzw. Weiterentwicklungen des Produkt- oder Dienstleistungsportfolios werden daher nach zutreffender Ansicht in der Literatur nicht zu den grundlegenden Änderungen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG gezählt.[171]

96

Eine Änderung der Betriebsanlagen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG betrifft die sächliche Einrichtung des Betriebs, d.h. die Maschinen und sonstigen Gegenstände, die zur Verwirklichung des Betriebszwecks eingesetzt werden.[172] Unter Betriebsanlagen i.S.v. § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG a.F. (jetzt: § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG) sind nicht nur Anlagen in der Produktion zu verstehen, sondern allgemein solche, die dem arbeitstechnischen Produktions- und Leistungsprozess dienen.[173] Das können auch Einrichtungen des Rechnungswesens sein.[174]

97

Die Änderung muss nicht die Gesamtheit der Betriebsanlagen zu erfassen. Auch die Änderung einzelner Betriebsanlagen kann unter § 111 Satz 3 Nr 4 BetrVG, wenn es sich um solche handelt, die in der Gesamtschau, d.h. im Verhältnis zu den Anlagen des gesamten Betriebes, von erheblicher Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf sind. Eine Änderung unbedeutender Betriebsmittel stellt sich nicht als eine Veränderung der Betriebsanlagen in ihrer Gesamtheit dar. Nach der Gesetzessystematik steht schließlich in § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG die Änderung der Betriebsanlagen gleichwertig neben der Änderung der Betriebsorganisation und des Betriebszwecks.[175]

98

Bei der Frage, ob die Änderung der Betriebsanlagen „grundlegend“ ist, kommt es entscheidend auf den Grad der technischen Änderung an. Liegt danach eine grundlegende Änderung der Betriebsanlagen vor, so indiziert dies nach Ansicht des BAG die Möglichkeit des Entstehens wesentlicher Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft. Lässt sich aufgrund der Beurteilung der technischen Änderung die Frage einer „grundlegenden“ Änderung nicht zweifelsfrei beantworten, so ist auf den Grad der nachteiligen Auswirkungen der Änderung auf die betroffenen Arbeitnehmer abzustellen und zu prüfen, ob sich wesentliche Nachteile für sie ergeben können. Als Richtschnur dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, könnten die Zahlenangaben in § 17 Abs. 1 KSchG über die Anzeigepflicht bei Massenentlassungen herangezogen werden.[176] Bei größeren Betrieben müssen damit mindestens 5 % der Gesamtbelegschaft betroffen sein.[177]

99

Beispiele:

Grundlegende Änderungen von Betriebsanlagen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG sind etwa die Einführung völlig neuer Maschinen, die Einführung eines EDV-Systems[178], der Übergang zur Selbstbedienung in einem Einzelhandelsgeschäft, der Bau neuer Werkshallen, die Schaffung von Bildschirm- oder Telearbeitsplätzen,[179] oder auch die Einführung von CNS-gesteuerten Maschinen.[180]

100

Dabei wird man allerdings richtigerweise stets auf den „Sprung“ abstellen müssen, den die Einführung bedeutet und etwa den bloßen Austausch alter Maschinen nicht unter Nr. 4 fassen können.[181] Dies wäre mit Sinn und Zweck des § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG nicht zu vereinbaren.

h) Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren

101

Die Regelung in § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG stellt anders als § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG vorrangig auf die Art der Verwertung der menschlichen Arbeitskraft ab.[182] Eine Anwendung des § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG kommt aufgrund der Änderung der Arbeitsmethode etwa dann in Betracht, wenn es sich um mehr als die ohnehin übliche Fortentwicklung handelt,[183] wobei hier meist Überschneidungen zu § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG bestehen, weil bzw. wenn die Neuerung mit dem Einsatz von technischen Hilfsmitteln einhergeht.

102

Beispiele:

Bejaht wird § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG etwa dann, wenn es um die Einführung von Gruppenarbeit[184], die Einführung eines Qualitätsmanagements[185] oder den Drittbezug eines bislang selbst hergestellten Vorprodukts[186] geht.

103

Allerdings ist auch hier stets maßgeblich, ob es sich tatsächlich um eine grundlegende Änderung handelt und – nicht anders als bei § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG – im Zweifelsfall darauf abzustellen ist, ob hierdurch ein erheblicher Anteil der Belegschaft des Betriebs betroffen wird.[187] Ob eine Arbeitsmethode oder ein Fertigungsverfahren „grundlegend neu“ ist, richtet sich nach zutreffender Ansicht in der Literatur zudem nach den Verhältnissen im einzelnen Betrieb oder in der betroffenen Betriebsabteilung, nicht dagegen nach dem technischen oder organisatorischen Standard in der Branche.[188]