Pique Dame

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LUNATA

Pique Dame

Pique Dame

© 1834 Alexander Puschkin

Originaltitel Pikovaja dama

Aus dem Russischen von Angelo Pankow

Umschlagbild: Adam de Coster

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Epilog

Über den Autor

1

Man kam bis in den trüben Tag

Zusammen, bei mancher Stunde Schlag

So oft.

Man setzte, – wie's Gott vergeben mag!

Und hat auf doppelten Ertrag

Gehofft.

Man spielte, bis Haufen bei Haufen lag;

Gewinn ward fröhlich, Verlust ward zag

Gebucht.

So saß man in den trüben Tag

Und hat das Glück bei Schlag und Schlag

Versucht.

Beim Gardekavallerieoffizier Narumoff wurde einmal gespielt. Die lange Winternacht verging unmerklich; um fünf Uhr morgens setzte man sich zum Souper. Die Gewinner aßen mit viel Appetit, die anderen saßen zerstreut vor ihren leeren Gedecken. Der Champagner kam, das Gespräch belebte sich und alle beteiligten sich daran.

»Wie ging es dir, Surin?« fragte der Wirt.

»Habe wie gewöhnlich verloren. Offengestanden, ich habe stets Pech: trotzdem ich Mirandole spiele, mich niemals aufrege, trotzdem mich nichts aus der Ruhe bringt, verliere ich immer!«

»Ist wirklich niemals die Versuchung an dich herangetreten? Hast du noch niemals auf Route gesetzt? Deine Charakterstärke setzt mich in Erstaunen.«

»Aber Hermann erst!« sagte einer der Gäste und wies auf einen jungen Ingenieur: »zeit seines Lebens hat er noch keine Karte angerührt, Zeit seines Lebens kein Paroli1 geboten und doch sitzt er bis fünf Uhr bei uns und schaut zu, wie wir spielen.«

»Das Spiel interessiert mich sehr,« sagte Hermann: »aber mir fehlen die Mittel, das Notwendige in der Hoffnung zu opfern, überflüssiges zu gewinnen.«

»Hermann ist ein Deutscher: er ist zu vorsichtig, das ist's!« bemerkte Tomski. »Wenn mir aber ein Mensch unbegreiflich ist, so ist das meine Großmutter, die Gräfin Anna Fedorowna.«

»Wie? Was?« riefen die Gäste.

»Ich kann nicht begreifen,« setzte Tomski fort: »warum eigentlich meine Großmutter nicht setzt.«

»Was ist denn dabei so erstaunlich,« entgegnete Narumoff: »wenn eine Greisin von achtzig Jahren nicht setzt.«

»So wißt ihr denn gar nichts von ihr?«

»Nein, allerdings nichts!«

»So hört nur! Man muß wissen, daß meine Großmutter vor etwa sechzig Jahren nach Paris reiste und dort sehr on vogue war. Das ganze Volk lief ihr nach nur um »la Vénus moscovite« zu sehen; Richelieu machte ihr den Hof und meine Großmutter versichert, er habe sich einmal ihrer Sprödigkeit wegen beinahe erschossen. Zu jener Zeit spielten die Damen Pharao. Eines schönen Tages verspielte sie bei Hofe an den Herzog von Orleans auf Ehrenwort eine große Summe. Als meine Großmutter zu Hause war, teilte sie, während sie die Schönheitspflästerchen von ihrem Gesichte löste und den Reifrock losschnürte, meinem Großvater ihren Verlust mit, und befahl ihm, zu zahlen. Mein seliger Großvater war, wenn ich mich recht erinnere, so etwas wie der Haushofmeister meiner Großmutter. Er fürchtete sie wie das Feuer; geriet aber dennoch, als er von diesem furchtbaren Verluste hörte, außer sich, brachte ihr die Rechnungsbücher herbei, bewies ihr, daß sie in einem halben Jahre über eine halbe Million ausgegeben hätten, sowie, daß sie bei Paris nicht ihre Moskauer oder Saratower Güter besäßen, und erklärte rundweg, nichts zahlen zu wollen. Die Großmutter gab ihm eine Ohrfeige und legte sich zum Zeichen ihrer Ungnade allein schlafen. Des anderen Tages ließ sie ihren Gemahl rufen, sie hoffte, daß die häusliche Züchtigung auf ihn eingewirkt habe, doch sie fand ihn unerschütterlich. Zum ersten Male in ihrem Leben ließ sie sich ihm gegenüber zu Erörterungen und Erklärungen herbei; glaubte ihn umstimmen zu können, wenn sie ihm gnädig auseinandersetzte, daß Schuld und Schuld verschiedene Dinge wären und daß es zwischen einem Prinzen und einem Stellmacher einen Unterschied gäbe. Umsonst! Der Großvater war rebellisch. Nein und damit basta. Die Großmutter wußte sich nicht zu helfen. Sie war mit einem sehr bemerkenswerten Menschen bekannt. Sie haben doch bestimmt von dem Grafen Saint-Germain gehört, von dem man viel Wunderbares erzählt. Sie wissen, daß er sich für den ewigen Juden, für den Entdecker des Lebenselixiers, des Steins der Weisen und anderer Dinge ausgab. Allgemein verlachte man ihn als einen Scharlatan und in seinen Memoiren nennt Casanova ihn einen Spion; übrigens war Saint-Germain, ungeachtet seiner Geheimnistuerei, von durchaus achtbarem Äußeren und war in Gesellschaft außerordentlich liebenswürdig. Die Großmutter liebt ihn noch heute ganz sinnlos und wird zornig, wenn man von ihm mit Verachtung spricht. Großmutter wußte, daß Saint-Germain sehr viel Geld zur Verfügung stand. Sie beschloß, sich an ihn zu wenden, schrieb ihm ein Billett und bat ihn, unverzüglich zu ihr zu kommen. Der greise Sonderling kam denn auch sogleich und fand sie in der schrecklichsten Aufregung. Mit den allerschwärzesten Farben malte sie ihm das Bild ihres barbarischen Mannes und sagte endlich, daß sie all ihre Hoffnung nur noch auf seine Freundschaft und Liebenswürdigkeit setze. Und Saint-Germain dachte nach. ›Ich kann Ihnen mit der betreffenden Summe dienen,‹ sagte er dann: ›doch ich weiß, daß Sie sich nicht beruhigen werden, bis Sie mir die Summe zurückerstattet haben, und ich möchte Ihnen nicht gern neue Unannehmlichkeiten bereiten. Es gibt ein anderes Mittel – Sie können das Verlorene wieder zurückgewinnen.‹

›Allein, lieber Graf,‹ entgegnete meine Großmutter: ›ich sagte Ihnen doch, daß wir absolut kein Geld haben.‹

›Dazu haben Sie kein Geld nötig,‹ antwortete Saint-Germain, ›haben Sie nur die Güte, mich anzuhören.‹

Und da hat er ihr das Geheimnis enthüllt, für welches mancher von uns viel bezahlen würde.«

Die jungen Spieler verdoppelten ihre Aufmerksamkeit. Tomski brannte seine Pfeife an, machte einige Züge und fuhr fort:

»Am selben Abend erschien meine Großmutter in Versailles – au jeu de la reine. Die Bank wurde vom Herzog von Orleans gehalten; der Form wegen entschuldigte sich meine Großmutter, daß sie ihre Schuld nicht schon sofort begleichen könnte, ersann deshalb zu ihrer Rechtfertigung eine kleine Geschichte und fing dann an, gegen ihn zu setzen. Sie wählte drei Karten und setzte eine nach der anderen, jede der drei Karten bekam Senika2 und zum Schluß hatte meine Großmutter alles wieder zurückgewonnen.«

»Ein Zufall!« sagte einer der Gäste.

»Märchen!« versetzte Hermann.

»Waren wohl erkennbar, die Karten!« bestärkte ein dritter.

»Ich glaube nicht«, sagte Tomski nachdrücklich.

»Was!« sagte Narumoff, »du hast eine Großmutter, die nach der Reihe drei Karten errät, und hast dir bis jetzt noch nicht ihre Kabbalistik zu eigen gemacht?«

»Hol's der Teufel!« antwortete Tomski. »Sie hatte vier Söhne, einer von ihnen war mein Vater; alle waren tolle Spieler, aber keinem von ihnen hat sie ihr Geheimnis entdeckt, obgleich es ihnen doch nur zum Vorteil sein konnte und ebenso mir. Und dennoch erzählte mir mein Onkel, der Graf Iwan Iljitsch, eine Geschichte, die er mit seinem Ehrenworte bekräftigte. Der verstorbene Tschaplitzki, jener selbe, der als Bettler starb, nachdem er Millionen durchgebracht, hatte einmal, als er noch jung war, gegen dreihunderttausend Rubel verspielt, ich glaube an Soritsch. Er war verzweifelt. Meine Großmutter, welche sonst den Leichtsinn junger Leute sehr streng verurteilte, muß wohl mit ihm Mitleid gehabt haben. Nachdem sie ihm das Ehrenwort abgenommen hatte, nie wieder zu spielen, gab sie ihm drei Karten, die er eine nach der anderen setzen sollte. Alsdann suchte Tschaplitzki seinen siegreichen Partner auf; sie fingen an zu spielen. Auf die erste Karte setzte Tschaplitzki Fünfzigtausend und gewann Senika; bot Paroli, dann Doppelparoli – und gewann nicht nur alles zurück, sondern auch noch mehr ...«

»Allein es ist Zeit, schlafen zu gehen, schon ist es drei Viertel auf sechs.«

Tatsächlich dämmerte es schon. Die jungen Leute leerten ihre Gläser und fuhren nach Hause.

1 Paroli: Die Verdoppelung des liegenden Einsatzes für das nächste Spiel

2 Senika: Die im Spiel erforderliche passende Karte.

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