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La San Felice Band 12

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Sechstes Capitel.
Der Tag des l4. Juni

Pagliucella war nicht ins Meer gefallen, sondern hatte sich freiwillig hineingestürzt.

Als er das verdächtige Benehmen des Patrons bemerkte, sah er sofort ein, daß sein Oberst Michele sein Vertrauen dem unrechten Manne geschenkt, und da Pagliucella so gut schwamm wie der berühmte Pesce Calla, dessen Bildniß den Fischmarkt von Neapel schmückt, so war er, blos dann und wann einmal auftauchend, um Athem zu schöpfen, unter dem Wasser fortgeschwommen, bis er außerhalb Sehweite zu sein glaubte.

Dann hatte er seinen Weg nach der Malo weiter mit der Ruhe eines Mannes fortgesetzt, welcher drei- oder viermal gewettet, von Neapel nach Procida zu schwimmen, und die Wette allemal gewonnen hatte.

Allerdings schwamm er jetzt in den Kleidern, was weit weniger bequem ist als nackt.

Er brauchte jedoch blos ein wenig mehr Zeit, dies war Alles, und er erreichte unversehrt und wohlbehalten den Quai, stieg an’s Land, schüttelte sich und lenkte seine Schritte nach dem Castello Nuovo.

Hier langte er um ein Uhr Morgens oder gerade in dem Augenblick an, wo Salvato mit seinem mit Wunden bedeckten Pferd anlangte.

Er selbst war von fünf oder sechs glücklicherweise nicht sehr gefährlichen Messerstichen getroffen. Seine Pistolen waren abgeschossen und sein Säbel so verbogen, daß er nicht wieder in die Scheide ging. Es bewies dies, daß Salvato, wenn er auch Schläge bekommen, dieselben doch mit Wucherzinsen zurückgegeben hatte.

Beim Anblick des von Wasser triefenden Pagliucella, bei der Erzählung dessen, was geschehen, und ganz besonders der Art und Weise, wie es geschehen, dachte er nicht mehr daran, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Er dachte an weiter nichts, als den Unfall wieder dadurch gut zu machen, daß er eine zweite Botschaft und einen zweiten Boten abschickte.

Uebrigens hatte Salvato diesen Unfall vorausgesehen, denn man erinnert sich, daß er sich die Ordre in duplo hatte ausfertigen lassen.

Demzufolge ging er in das Zimmer des Directoriums hinauf, welches sich, wie wir bereits bemerkt, in Permanenz erklärt hatte.

Von den fünf Mitgliedern schliefen zwei, während drei, eine zur Fassung von Beschlüssen hinreichender Zahl, stets wach waren.

Salvator, der für die Ermüdung unempfindlich zu sein schien, trat in das Zimmer, während Pagliucella ihm folgte.

Seine Uniform war von Messerstichen buchstäblich zerfetzt und an mehreren Stellen mit Blut befleckt.

Mit kurzen Worten erzählte er, was geschehen und wie er mit Nicolino und Michele die Emeute dadurch erstickt, daß er die Toledostraße buchstäblich mit Todten gepflastert. Er glaubte deshalb während der noch übrigen Nacht für die Ruhe von Neapel bürgen zu können.

Michele, der durch einen Messerstich in den linken Arm verwundet worden, war fortgegangen, um sich verbinden zu lassen.

Für den nächstfolgenden Tag konnte man jedoch auf ihn rechnen, denn die Wunde war nicht gefährlich.

Sein Einfluß auf die patriotische Partei der Lazzaroni von Neapel machte seine Gegenwart nothwendig. Mit großer Befriedigung erfuhren die Direktoren daher, daß er schon den nächstfolgenden Tag seine Funktion wieder übernehmen würde.

Dann kam Pagliucella an die Reihe, der sich bescheiden hinter Salvato gehalten, so lange dieser gesprochen.

Er erstattete ebenfalls mit kurzen Worten Bericht.

Die Direktoren sahen einander an.

Wenn Michele, der selbst Lazzarone war, durch Fischer von Santa Lucia getäuscht worden, auf wen konnten sie dann noch rechnen, sie, die auf diese Leute weder den Einfluß der Gleichheit des Ranges noch der Freundschaft besaßen?

»Wir brauchen,« sagte Salvato, »einen sichern Mann, der von hier nach dem Granatello schwimmen kann.«

»Es sind dies beinahe acht Meilen,« sagte seiner der Directoren.

»Es ist ein Ding der Unmöglichkeit,« sagte der andere.

»Das Meer ist ruhig, obschon es jetzt völlig Nacht ist,« sagte Salvato, indem er sich einem Fenster näherte. »Wenn Sie Niemanden finden, so werde ich es versuchen.«

»Ich bitte um Verzeihung, mein General,« sagte Pagliucella, indem er sich näherte, »Sie haben hier zu thun; ich werde gehen.«

»Was, Du?« rief Salvato lachend. »Du hast ja soeben erst diese Tour gemacht.«

»Ein Grund mehr – ich kenne den Weg.«

Die Direktoren sahen einander an.

»Wenn Du wirklich die Kraft in Dir fühlst, zu thun, wozu Du Dich erbietest,« sagte Salvato diesmal ernst, »so wirst Du Dich um das Vaterland sehr verdient machen.«

»Ich stehe dafür,« sagte Pagliucella.

»Nun, dann gönne Dir eine Stunde Ruhe und Gott nehme Dich in seinen Schutz.«

»Ich brauche nicht mir eine Stunde Ruhe zu gönnen,« antwortete der Lazzarone, »und übrigens kann auch eine Stunde Ruhe Alles gefährden. Wir haben jetzt die kürzesten Sommernächte, denn heute ist der 14. Juni. Um drei Uhr fängt es an zu tagen, und es ist deshalb keine Minute Zeit zu verlieren. Geben Sie mir den zweiten Brief in ein Stück Wachsleinwand eingenäht. Ich werde mir ihn um den Hals hängen wie ein Bildniß der heiligen Jungfrau. Ehe ich mich auf den Weg mache, werde ich ein Glas Branntwein trinken, und wenn der heilige Antonius mein Schutzpatron, nicht entschieden zu den Sanfedisten übergegangen, so soll der General Schipani noch vor vier Uhr Morgens Ihren Brief haben.«

»O, wenn er es sagt, so wird er es auch thun,« rief Michele, welcher soeben die Thür geöffnet und Pagliucella’s Versprechen gehört hatte.

Die Nähe seines Cameraden gab Pagliucella neues Vertrauen zu sich selbst.

Der Brief ward in ein Stück Wachsleinwand eingenäht und hermetisch verschlossen.

Dann und da es von der größten Wichtigkeit war, daß Niemand den Boten fortgehen sähe, ließ man ihn durch ein auf das Meer gehendes niedriges Fenster hinaussteigen.

Am Strande angelangt, entledigte er sich seiner Kleider, band sich blos Hemd und Unterhosen auf den Kopf und sprang dann ins Meer.

Pagliucella hatte sehr Recht gehabt, als er gesagt, daß keine Zeit zu verlieren sei, denn er mußte den Barken des Cardinals entschlüpfen und ohne gesehen zu werden, mitten durch die englische Flotte hindurchschwimmen.

Alles gelang so gut, als man nur hoffen konnte.

Allerdings mußte Pagliucella, durch seine erste Schwimmfahrt ermüdet, schon in Portici ans Land steigen, zum Glütk aber war der Tag noch nicht angebrochen und er konnte sich bis Granatello dicht am Strande halten, obschon er stets darauf gefaßt war, bei der geringsten Gefahr sich wieder ins Meer zu werfen.

Die Patrioten hatten Recht gehabt, auf Schipanis Muth zu zählen, aber man weiß bereits, daß bei ihm auf sonst weiter nichts zu zählen war, als eben aus seinen Muth.

Er empfing den Boten freundlich, ließ ihm zu essen und zu trinken auftragen, wies ihm dann sein eigenes Bett zum Ausruhen an und beschäftigte sich mit weiter nichts als mit Ausführung der Befehle des Directoriums.

Pagliucella verschwieg ihm keinen der Umstände in Bezug auf die erste fehlgeschlagene Expedition und die von dem Cardinal genommene Barke.

Schipani begriff daher und Pagliucella machte ihn überdies daraus aufmerksam, daß der Cardinal, da er von seinem Project, nach Neapel zu marschieren, unterrichtet sei, sich ihm mit allen möglichen Mitteln widersetzen würde.

Menschen von Schipanis Charakter glauben aber nicht an materielle Hindernisse, und ebenso wie er gesagt: »Ich werde Castelluccio nehmen,« sagte er jetzt: »Ich werde Portici forciren.«

Um sechs Uhr war seine kleine, aus vierzehn- bis fünfzehnhundert Mann bestehende Armee unter den Waffen und bereit aufzubrechen. Er trat in die Reihen der Patrioten, blieb in der Mitte stehen, stieg auf einen Hügel, so daß er von allen seinen Soldaten gesehen werden konnte, und erinnerte sie mit jener wilden, gewaltigen Beredsamkeit, die mit seiner herkulischen Körperkraft und seinem Löwenmuth in so gutem Einklang stand, an ihre Söhne, ihre Frauen, ihre Freunde, welche dem Schimpf und der Verachtung preisgegeben, Rache verlangten und von ihrem Muthe und ihrer Hingebung das Ende ihrer Leiden- und Bedrückungen erwarteten. Zuletzt las er ihnen den Brief und besonders die Stelle vor, wo Bassetti, der von der Einnahme des Castello del Carmine noch nichts wußte, ihm den vierfachen Ausfall ankündigte, welcher seine Bewegung unterstützen sollte.

Dabei schilderte er ihnen die reinsten Patrioten und machte sie aufmerksam auf die Hoffnung der Republik, welche ihnen auf den Leichen ihrer Feinde entgegenkäme.

Kaum hatte er diese Rede beendet, als in gleichmäßigen Zwischenräumen drei Kanonenschüsse in der Richtung von dem Castello Nuovo her erdröhnten und man dreimal einen leichten Rauch über dem südlichen Thurme, dem einzigen, der für Schipani sichtbar war, zum Vorschein kommen und verdunsten sah.

Dies war das Signal.

Es ward mit dem lauten Rufe: »Es lebe die Republik! Freiheit oder Tod!« aufgenommen.

Pagliucella nahm mit einer Muskete bewaffnet und blos mit Hemd und Hose bekleidet, was übrigens, ehe er von Michele zu den Ehren eines Lieutenantpostens erhoben ward, sein gewöhnliches Costüm war, Platz in den Reihen, die Trommeln wirbelten zum Angriff und man stürzte sich auf den Feind.

Der Feind hatte wie wir bereits mitgetheilt, Befehl, Schipani in die Straßen von Portici eindringen zu lassen. Hätte er aber auch diesen Befehl nicht gehabt, so würde doch die Wuth, womit der republikanische General die Sanfedisten angriff, ihm die Passage geöffnet haben, so lange er nämlich nur Menschen gehabt hätte, um sie ihn zu versperren.

Für derartige Berichte muß man die Auskunft beidem Feinde suchen, denn dieser hat kein Interesse daran, den Muth seiner Gegner zu loben.

Vicenzo Durante, Cesares Adjutant, sagt in dem Buch, wo er den Feldzug des corsischen Abenteurers erzählt, über diesen furchtbaren Zusammenstoß Folgendes:

 

»Der kühne Chef dieser Schaar Verzweifelter rückte drohend und wüthend vor. Mit den Füßen den Boden stampfend glich er dem Stier, welcher schon durch sein Gebrüll Schrecken verbreitet.«

Wir haben es jedoch bereits gesagt, Schipani besaß unglücklicherweise auch die Mängel seiner guten Eigenschaften. Anstatt auf seinen beiden Flügeln Trailleurs voranzuschicken, welche die von Cesare in den Hinterhalt gelegten aufgestöbert hätten, versäumte er jede Vorsicht, forcirte die Passagen von Torre del Greco und der Favorita und drang in die lange Straße von Portici ein, ohne auch nur zu bemerken, daß alle Thüren und alle Fenster geschlossen waren.

Die kleine, aber lange Stadt Portici besteht in der That nur aus einer einzigen Straße. Diese Straße biegt, wenn man von der Favorita herkommt, so plötzlich links ab, daß es in einer Entfernung von hundert Schritten scheint, als würde sie durch eine Kirche gesperrt, welche dem Reisenden gerade gegenübersteht. Man sollte dann meinen, sie habe keinen andern Ausgang als ein schmales Gäßchen zwischen der Kirche und der Häuserreihe, welche in gerader Linie weitergeht.

Erst wenn man sich der Kirche bis auf wenige Schritte genähert hat, erkennt man links den wirklichen Ausgang.

Hier, in dieser Art Sackgasse, erwartete Cesare seinen Gegner Schipani.

Zwei Kanonen vertheidigten den Eingang des Gäßchens und bestrichen ihrer ganzen Länge nach die Straße, durch welche die Republikaner anrücken mußten, während eine mit Schießscharten versehene Barricade, welche die Kirche mit der linken Seite der Straße verband, selbst ohne Vertheidiger ein beinahe unübersteigliches Hinderniß darbot.

Cesare und zweihundert Mann hielten sich in der Kirche, die Artilleristen vertheidigten, sich auf dreihundert Mann Infanterie stützend, das Gäßchen; hundert Mann lagen hinter der Barricade im Hinterhalt und beinahe tausend Mann hielten die Häuser in der doppelten Länge der Straße besetzt.

In dem Augenblick, wo Schipani, Alles vor sich hertreibend, nur noch hundert Schritte von diesem Hinterhalt entfernt war, brach auf das mit den beiden mit Kartätschen geladenen Geschützen gegebene Signal Alles mit einem Male los.

Die Thür der Kirche öffnete sich, und während man den Chor erleuchtet sah wie bei der Ausstellung des heiligen Sacramentes, und vor dem Altar den Priester, der die Hostie emporhob, spie die Kirche, gleich einem sich öffnenden Krater, Feuer und Tod.

In demselben Augenblick schienen sämtliche Fenster in Flammen zu stehen, und die von vorn, von den Seiten und von hinten angegriffene republikanische Armee sah sich in einem Schmelzofen.

Nur das von den beiden Geschützen vertheidigte Gäßchen konnte forcirt werden.

Dreimal kehrte Schipani mit einer jedesmal decimirten Schaar zum Angriff zurück und führte seine Leute bis an den Schlund der Geschütze, die dann loskrachten und ganze Reihen niederwarfen.

Beim dritten Mal detachirte er fünfhundert Mann von den acht- oder neunhundert, die ihm noch blieben, befahl ihnen, die Straße auf der Seite des Meeresstrandes zu umgehen und die Batterie von hinten anzugreifen, während er dies von vorn thun wollte.

Unglücklicherweise aber beauftragte Schipani, anstatt diese Mission den Tapfersten und Selbstverläugnungsvollsten anzuvertrauen, mit seiner gewohnten Unklugheit die ersten Besten.

In den Augen dieses auserwählten Patrioten hatten alle Menschen ein und dasselbe Herz, das heißt das seinige. Die von ihm zum Angriff auf die Sanfedisten abgesendeten Mannschaften führten die anbefohlenen Manöver allerdings aus, anstatt aber die Sanfedisten anzugreifen, schlossen sie sich mit dem Rufe: »Es lebe der König!« diesen an.

Schipani hielt diesen Ruf für ein Signal. Er griff zum vierten Male an, ward aber dieses vierte Mal von einem noch heftigeren Feuer empfangen als die drei vorhergegangenen Male, weil es durch das seiner übergegangenen fünfhundert Mann verstärkt ward.

Der von allen Seiten durch Kanonen- und Musketenkugeln zerrissene kleine Trupp drehte sich um sich selbst, als ob er den Schwindel hätte, und schien dann, auf seinen zehnten Theil reducirt, zu verschwinden wie ein Rauch.

Schipani blieb mit etwa hundert Mann.

Es gelang ihm, sie zu sammeln, dann stellte er sich an ihre Spitze und drehte sich herum wie ein wilder Eber, der sich gegen den Jäger stellt.

Sei es nun aus Respect, sei es aus Furcht, kurz die Masse, welche ihm den Rückzug abschnitt, öffnete sich vor ihm, aber er gerieth wieder in ein doppeltes Feuer.

Dasselbe warf die Hälfte seiner Leute wieder und immer noch verfolgt, langte er mit blos dreißig oder vierzig Mann in Castellamare an.

Er hatte zwei Wunden – eine am Arme, die andere am Schenkel.

Hier warf er sich in ein Gäßchen. Eine Thür stand offen. Er trat hinein. Zum Glück war es die eines Patrioten, der ihn erkannte, ihn verbarg, ihm seine Wunden verband und ihm andere Kleider gab.

Nach denselben Tag nahm Schipani, der diesen edelmüthigen Bürger nicht länger einer Gefahr aussetzen wollte, Abschied von ihm und warf sich nach Einbruch der Nacht in das Gebirge.

So irrte er zwei oder drei Tage umher, bis er endlich erkannt, festgenommen und mit zwei anderen Patrioten Spano und Battistessa, nach Procida geführt ward.

Man erinnert sich, daß Speciale, jener Mann, welcher aus Truebridge den Eindruck des giftigsten Thieres, welches er jemals gesehen, gemacht, in Procida als Richter fungierte.

Kommen wir zu Ende mit Schipani, wie wir bald mit so vielen Anderen zu Ende kommen werden, und machen wir zugleich Bekanntschaft mit Speciale, indem wir eine jener Gräueltaten berichten, welche einen Menschen besser schildern, als alle Beschreibungen, die man von ihm geben könnte.

Spano war ein Officier, dessen Dienste aus den Zeiten der Monarchie her datierten. Die Republik hatte einen General aus ihm gemacht und ihn beauftragt, sich Cesares Marsch zu widersetzen. Er war von einem sanfedistischen Detachement überrumpelt und gefangengenommen worden.

Battistessa hatte eine weniger hervorragende Stellung eingenommen. Er hatte drei Kinder und galt für einen der rechtschaffensten Bürger in Neapel.

Als der Cardinal Ruffo heranrückte, hatte er ohne Geräusch, ohne Ostentation seine Muskete genommen und sich in die Reihen der Patrioten gestellt, wo er sich mit dem offenen Muthe, des wirklich muthigen Mannes geschlagen hatte. Niemand auf der Welt konnte ihm einen Vorwurf machen.

Er hatte dem Rufe seines Vaterlandes gehorcht, dies war Alles. Allerdings gibt es Augenblicke, wo dies den Tod verdient, und welchen Tod! man wird es sogleich sehen.

Man wundere sich nicht, wenn der Verfasser dieser Zeilen vom Roman abweicht, um wieder in die Geschichte zurückzuverfallen, und dabei in Entrüstung geräth und Verwünschungen ausstößt. Niemals würde er in den fürchterlichsten Fieberphantasien erfinden, was er bei dem Studium der Ereignisse dieses Jahres 1799 an seinem innern Auge hat vorübergehen sehen.

Die Gefangenen wurden dem von Speciale gefällten Sprache gemäß alle drei zum Tode verurtheilt.

Dieser Tod war der Tod am Galgen, schon schrecklich durch den entehrenden Begriff, welchen man mit dem Strange verbindet.

Ein besonderer Umstand machte auch Battistessas Tod noch schrecklicher, als man es hätte voraussehen können.

Nachdem Battistessa, Spano und Schipani vierundzwanzig Stunden am Galgen gehangen, wurden sie zu Ischia in der Kirche zum heiligen Geiste ausgestellt.

Kaum aber hatte man Battistessas Körper in den Sarg gelegt, so stieß er einen Seufzer aus und der Priester bemerkte mit einem Gemisch von Erstaunen und Schrecken, daß dieses lange Hängen noch nicht den Tod herbeigeführt hatte.

Ein dumpfes und anhaltendes Röcheln bestätigte die Fortdauer des Lebens, während man gleichzeitig sah, wie die Brust sich hob und senkte.

Allmälig kam der Gehängte wieder zur Besinnung und vollständig zu sich selbst.

Die Meinung Aller war, daß dieser Mann, welcher hingerichtet worden, mit dem Tode fertig sei, da dieser ihn ja vierundzwanzig Stunden lang in seinen Armen gehalten. Dennoch aber wagte Niemand, nicht einmal der Priester, dessen Pflicht es vielleicht gewesen wäre, Muth zu haben, etwas zu entscheiden, ehe man Speciales Befehle eingeholt hätte. Man schickte deshalb einen Boten nach Procida.

Man denke sich die Angst und Unruhe eines Unglücklichen, welcher aus dem Grabe aufsteht, der das Licht, den Himmel, die Natur wieder sieht, der sich wieder an das Leben anklammert, welcher athmet, welcher sich der Vergangenheit erinnert, welcher sagt: »Meine Kinder!« und welcher denkt, daß Alles dies vielleicht weiter nichts ist, als einer jener Träume vom Sterben, welche Hamlet länger als das Leben dauern zu sehen fürchtet.

Es ist der auferweckte Lazarus, welcher Marthe umarmt, Magdalenen gedankt und Christum gepriesen hat und der den Stein des Grabes wieder auf seinen Schädel zurückfallen fühlt.

Dies war es, was der unglückliche Battistessa empfand oder vielmehr empfinden mußte, als er den von dem Henker begleiteten Boten wieder kommen sah.

Der Henker hatte Befehl, Battistessa aus der Kirche, welche um der Rache eines Königs willen aufhörte ein Asylrecht zu besitzen, hervorzuholen, und damit er diesmal nicht wieder davonkäme ihn auf den Stufen zu erdolchen.

Der Richter befahl nicht blos die Todesstrafe an, sondern er erfand sie – es war eine Hinrichtung nach seiner Phantasie, eine Hinrichtung, die nicht im Gesetze begründet war.

Der Befehl ward buchstäblich ausgeführt.

Und nun sage man, daß die Hand der Todten nicht mächtiger sei, als die der Lebenden, um die Throne der Könige umzustürzen, welche dergleichen Märtyrer in den Himmel gesendet haben!

Kehren wir jetzt nach Neapel zurück.

Hier war die Unordnung so groß, daß kein einziger der dem Blutbade in dem Castello del Carmine entronnenen Flüchtlinge auf den Gedanken gekommen war, das Directorium zu benachrichtigen, daß das Castell in die Gewalt der Sanfedisten gefallen sei.

Der Commandant des Castello Nuovo, welcher von dem, was während der Nacht geschehen, nichts wußte, ließ daher verabredetermaßen um sieben Uhr Morgens die drei Kanonenschüsse lösen, welche Schipani zum Signale dienen sollten.

Man weiß bereits, von welchem unheilvollen Resultate dieses Signal begleitet war.

Kaum waren die drei Kanonenschüsse gelöst, so kam man, um den Commandanten der Castelle und den anderen höheren Officieren zu melden, daß das Fort del Carmine genommen und daß die Kanonen anstatt noch auf die Magdalenenbrücke gerichtet, nach der Strada Nuova und gegen den Platz des Altmarktes gewendet seien, das heißt, daß sie die Stadt bedrohten, anstatt dieselbe zu vertheidigen.

Nichtsdestoweniger ward beschlossen, daß man in dem Augenblick, wo man Schipani und seine kleine Armee aus Portici herausrücken sähe, auf jede Gefahr hin und um eine Diversion zu machen, gegen das Lager des Cardinals Ruffo marschieren wollte.

Von dem Castello Nuovo sollte das Signal des Ausfalls von San Martino und der Castelle gegeben werden.

Die Oberofficiere, unter deren Zahl sich auch Salvato befand, hielten daher, das Fernrohr in der Hand, das Auge auf Portici geheftet.

Man sah aus dem Granatello eine Art Staubwolken herauskommen, in deren Mitte Flammenblitze zuckten.

Es war Schipani, der gegen die Favorita und gegen Portici marschierte.

Man sah die Patrioten in die von uns beschriebene lange Straße hineindringen. Dann hörte man das Geschütz donnern, dann stieg eine Rauchwolke über den Häusern auf.

Zwei Stunden lang folgten die Geschützsalven aufeinander und waren nur durch die Zwischenzeit getrennt, welche zum Laden der Geschütze nothwendig war.

Der immer dicker werdende Rauch fuhr fort zum Himmel emporzusteigen. Dann verstummte das Getöse und der Rauch zerstreute sich allmälig. Man sah auf den Punkten, wo die Straße offen war, eine Bewegung in umgekehrter Richtung zu der, welche man vor drei Stunden gesehen.

Es war Schipani, der mit seinen dreißig oder vierzig Mann sich wieder nach Castellamare zurückzog.

Alles war aus.

Blos Michele und Salvato verfolgten hartnäckig, indem sie leise sprachen, und jedesmal, wo er auf der Oberfläche des Wassers erschien, einander darauf aufmerksam machten, einen schwarzen Punkt, welcher immer näher kam.

Als dieser Punkt nur noch eine halbe Meile entfernt war, kam es ihnen vor, als sähen sie von Zeit zu Zeit eine Hand, welche ihnen Zeichen gab, aus dem Wasser auftauchen.

Schon längst hatten beide in diesem Punkt Pagliucella’s Kopf zu erkennen geglaubt.

Als sie die Zeichen sahen, die er machte, erwachte in beiden ein und derselbe Gedanke. Sie glaubten er riefe zu Hilfe.

Rasch gingen sie den Strand hinab, bemächtigten sich eines Bootes, welches zum Verkehr zwischen dem Castello Nuovo und dem Castello d’Uovo diente, sprangen beide hinein, ergriffen jeder ein Ruder und steuerten, indem sie ihre Kräfte gemeinschaftlich aufboten, um die Laterne.

 

Als sie um die Laterne herum waren, schauten sie sich um, sahen aber nichts mehr.

Nach wenigen Augenblicken jedoch kam und zwar nur fünfundzwanzig bis dreißig Schritte von ihnen entfernt, der Kopf wieder zum Vorschein.

Diesmal hatten sie keinen Zweifel mehr. Es war wirklich Pagliucella.

Sein Gesicht war leichenblaß, die Augen traten aus ihren Höhlen hervor, der Mund öffnete sich, um zu schreien und nach Hilfe zu rufen.

Es war augenscheinlich, daß die Kräfte des Schwimmers erschöpft waren, und daß er im Begriff stand zu sinken.

»Rudern Sie allein, mein General,« rief Michele. »Ich werde schneller bei ihm sein, wenn ich schwimme, als wenn ich rudere.«

Mit diesen Worten warf Michele seine Kleider ab und sprang ins Meer.

Schon mit Hilfe dieses einzigen Anstoßes legte er unter dem Wasser die Hälfte der Entfernung zurück, welche ihn und Salvato von Pagliucella trennte, und er kam etwa fünfzehn Schritte noch von ihm entfernt wieder zum Vorschein.

»Muth!« rief er ihm zu, indem er auftauchte.

Pagliucella wollte antworten. Das Meerwasser drang ihm aber in den Mund; er verschwand.

Michele tauchte sofort unter und war auf zehn oder zwölf Secunden verschwunden.

Endlich wallte das Meer, Micheles Kopf spaltete das Wasser. Er machte eine Anstrengung, um gänzlich wieder auf die Oberfläche zu kommen; als er aber sich selbst sinken fühlte, hatte er nur noch Zeit zu rufen:

»Zu Hilfe, mein General! Kommen Sie uns zu Hilfe!«

Mit zwei Ruderschlägen war Salvato nur noch eine Ruderlänge von ihm entfernt; in dem Augenblick aber, wo er die Hand ausstreckte, um Michele bei den Haaren zu fassen, sank dieser, von einer unsichtbaren Macht in den Abgrund gezogen, unter.

Salvato konnte weiter nichts thun, als warten. Er wartete.

Ein abermaliges Wallen des Wassers zeigte sich am Vordertheil des Bootes. Salvato bog sich mit dem ganzen, Oberleibe hinaus und packte Michele beim Kragen seines Hemdes.

Das Boot mit den Knieen nachziehend hielt er den Kopf des Lazzarone über dem Wasser, bis derselbe wieder Athem geschöpft hatte.

Mit dem Athem kehrte auch der Muth zurück. Michele klammerte sich an das Boot an, so daß es beinahe umgeschlagen wäre.

Salvato warf sich rasch auf die andere Seite, um ein Gegengewicht zu bilden.

»Er hält mich!« stammelte Michele; »er hält mich!«

»Versuche mit ihm in das Boot zu steigen,« antwortete Salvato.

»Helfen Sie mir, mein General! Geben Sie mir die Hand, aber bleiben Sie dabei aus der andern Seite.«

Salvato blieb auf der Backbordwand sitzen und streckte die Hand bis zum Steuerbord aus.

Michele ergriff diese Hand.

Salvato zog nun mit seiner wunderbaren Körperstärke Michele in das Boot.

In der That hielt Pagliucella ihn mitten um den Leib gefaßt und hatte alle seine Bewegungen gelähmt.

»Ha!« rief Michele, indem er mühsam das Bein über den Rand des Bootes hob, »es hätte nicht viel gefehlt, so hätte ich die Prophezeiung der alten Nanno Lügen gestraft und dies meinem Freund Pagliucella zu danken gehabt. Das Sprichwort aber, nach welchem das, was hängen soll, nicht ersäuft, scheint sich zu bewähren. Ich bin Ihnen deswegen nicht weniger zu Danke verpflichtet, mein General. Das Schicksal will einmal, daß wir einander gegenseitig das Leben retten sollen. Jetzt haben Sie es wieder einmal gethan und ich bin daher vor der Hand in Ihrer Schuld. Jetzt wollen wir uns mit diesem Bürschchen da beschäftigen.«

Es handelte sich, wie man erräth, um Pagliucella. Er war ohne Besinnung und das Blut floß aus einer doppelten Wunde. Eine Kugel war ihm, ohne den Knochen zu treffen, durch die Muskeln des Schenkels gegangen.

Salvato glaubte, das Beste, was er thun könne, sei, rasch nach dem Castello Nuovo zurückzurudern und Pagliucella, welcher unzweideutige Lebenszeichen gab, den Händen eines Arztes zu überantworten.

Als sie am Fuße der Mauer landeten, fanden sie einen Mann, der sie erwartete.

Es war der Doktor Cirillo, welcher in der vorhergegangenen Nacht in dem Castello Nuovo ein Asyl gesucht hatte.

Er war dem Drama, welches soeben stattgefunden, mit den Augen und bis in die kleinsten Einzelheiten gefolgt – und kam jetzt wie ein Deus ex machina, um die Entwickelung herbeiführen zu helfen.

Mit Hilfe von warmen Decken, Einreibungen mit Kampherspiritus und Einblasung von Luft in die Lunge kam Pagliucella bald wieder zu sich und konnte das furchtbare Blutbad erzählen, dem er nur durch ein Wunder entronnen war.

Eben war er mit der Erzählung fertig, welche den Patrioten von Neapel keine andere Wahl ließ, als sich, von den Castellen gedeckt, bis aufs Aeußerste zu vertheidigen, und der Doktor Cirillo verband die Wunde des Schenkels, an welche die Frische des Wassers und besonders die Gefahr, in welcher er geschwebt, den Verwundeten bis jetzt abgehalten zu denken, als man meldete, daß Bassetti, in Capodichino durch Fra Diavolo und Mammone angegriffen, sich genöthigt gesehen sich zurückzuziehen und daß er hitzig verfolgt in Unordnung in die Stadt zurückkehre.

Die Lazzaroni, sagte man, hatten die Strada del Studi überschritten und standen auf dem Lago San Spirito.

Salvato ergriff eine Muskete, Michele that dasselbe.

Mit zwei oder drei Patrioten verließen sie das Castello Nuovo und sammelten noch einige auf dem Largo del Castello.

Michele warf sich dann mit seinen in der Strada Medina lagernden Lazzaroni in die Strada dei Lombardi, um in der Toledostraße ein wenig vor dem Mercatello zu debouchiren.

Salvato umging die St. Ferdinandskirche, um Bassettis Leute zu sammeln, welche, wie man sagte, Verrath schreiend in die Toledostraße hineinflohen, und sendete zwei oder drei Boten an die Patrioten von San Martino, damit sie von ihrer Höhe herabkommen und seine Bewegung unterstützen möchten.

Dann eilte er ebenfalls in die Toledostraße, in welcher in der That nichts als Geschrei, Unordnung und Verwirrung herrschten.

Eine Zeit lang floß dieser Strom, welcher Salvato führte, zwischen zwei Colonnen erschrockener Flüchtlinge. Als sie aber den schönen jungen Mann sahen, der in bloßem Kopfe, mit wallendem Haar, die Muskete in der Faust, sie in ihrer Sprache ermuthigte und sie wieder zum Kampf aufforderte, begannen sie über ihre panische Furcht zu erröthen, blieben stehen und wagten hinter sich zu schauen.

Die Sanfedisten versperrten am Fuße der Strada dei Studi den Weg und man sah in der ersten Reihe Fra Diavolo in seinem eleganten, malerischen Costüm und Gaetano Mammone mit seinen Müllerhosen und seiner Müllerweste, die früher weiß und mit Mehl bedeckt gewesen, heute aber roth waren und von Blut troffen.

Beim Anblick dieser beiden furchtbaren Anführer des Schreckens der Terra di Lavoro gab sich unter den Patrioten eine Bewegung des Zögerns kund.

In diesem Augenblick aber rückte glücklicherweise Michele aus der Via dei Lombardi hervor und man hörte in der Strada de l’Infrascato zum Angriff trommeln.

Fra Diavolo und Mammone fürchteten zu weit vorgerückt zu sein und da sie über die von dem Cardinal eingenommenen Positionen allerdings auch nicht genau unterrichtet waren und Schipanis Niederlage nicht kannten, so gaben sie Befehl zum Rückzuge.

Dabei aber ließen sie zwei- oder dreihundert Mann in dem bourbonischen Museum zurück, wo sie sich verbarricadirten.

Von dieser vortrefflichen Position aus, welche die Patrioten zu besetzen versäumt, beherrschten sie die Strada de l’Infrascato, die Strada dei Studi, welche eine Verlängerung der Toledostraße ist, und den Largo delle Pigne, durch welchen sie sich mit dem Cardinal in Mittheilung setzen konnten.

Uebrigens bemächtigten Fra Diavolo und Gaetano Mammone, als sie an der Imbrecciata della Sanita angelangt waren, sich der links und rechts gelegenen Häuser der Straße und errichteten auf der Höhe der Via della Cala eine Geschützbatterie.

Salvato und Michele waren ihrer durch einen zweitägigen Kampf ermüdeten Leute nicht sicher genug, um eine so feste Position wie die des bourbonischen Museums anzugreifen.