Free

La San Felice Band 12

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Zugleich aber bedachte er dabei auch, daß sein Tod, wenn er von einer erfahrenen Hand vollstreckt würde, rascher erfolgen und weniger schmerzhaft sein würde.

Sein halb geöffnetes Auge schloß sich wieder und er versank in die Unempfindlichkeit zurück, ohne daß sein vorübergehendes Erwachen aus derselben von Jemanden bemerkt worden wäre.

Der Beccajo näherte sich ihm, zeigte ihn Meister Donato und sagte:

»Seht, hier ist er.«

Meister Donato ließ die Blicke um sich herschweifen, um einen zur Errichtung eines provisorischen Galgen passenden Ort zu suchen, der Beccajo aber zeigte ihm den Ring und den Strick.

»Man hat Dir die Arbeit bereits leicht gemacht,« sagte er zu ihm.

»Indessen, beeile Dich nicht, Du hast Zeit.«

Meister Donato stieg auf den Tisch, ehrerbietiger aber als der Beccajo gegen den armen Zweifüßler, welcher sich einbildet, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen zu sein und den man den Menschen nennt, wagte er nicht auf den Körper des Gefangenen zu treten, wie der Beccajo gethan.

Er stieg vielmehr auf einen Stuhl, um sich zu überzeugen, daß der Ring fest und die Schlinge gut gemacht sei.

Der Ring war fest, die Schlinge aber war nicht gut gemacht.

Meister Donato zuckte die Achseln, murmelte einige spöttische Worte in Bezug auf Diejenigen, welche sich in Dinge mischten, die sie nicht verstünden, und machte die Schlinge anders.

Mittlerweile insultirte der Beccajo so gut er konnte den Gefangenen der immer noch stumm und unbeweglich dalag, als ob er todt gewesen wäre.

Die Wanduhr schlug die siebente Stunde.

»Jetzt zähle die Minuten,« sagte der Bockschlächter zu Salvato, »denn die Stunden wirst Du nicht mehr zählen.«

Die Nacht war noch nicht eingebrochen, in den schmalen Straßen und zwischen den hohen Häusern von Neapel beginnt aber das Abenddunkel sich schon vor Sonnenuntergang herabzusenken.

Man begann daher in diesem Speisesaale, in welchem sich ein Schauspiel vorbereitete, welchem Jeder bis zur kleinsten Einzelheit beiwohnen wollte, schon etwas undeutlich zu sehen.«

Mehrere Stimmen riefen daher:

»Fackeln! Fackeln!«

Es geschah sehr selten, daß in einer Versammlung von fünf oder sechs Lazzaroni nicht wenigstens einer davon mit einer Fackel versehen gewesen wäre. Brandlegung war ja eines der Dinge, welche der Cardinal Ruffo empfohlen, und das Feuer ist in der That geeignet, den größten Wirrwarr und die unheilvollste Bestürzung in einer Stadt hervorzurufen.

Da nun jetzt vierzig oder fünfzig Lazzaroni in dem Speisesaal gegenwärtig waren, so fanden sich sieben oder acht Fackeln darin.

Binnen wenigen Secunden waren sie angezündet und auf das traurige Licht der einbrechenden Dämmerung folgte der qualmige unheimliche Schein der Fackeln.

Bei diesem Scheine, mit welchem sich in Folge der Bewegung, die ihnen von den Trägern gegeben wird, große Schatten mischten, gewannen die Gesichter des Blutes und der Plünderung einen noch widerwärtigeren Ausdruck.

Indessen, die Schlinge war gemacht und der Strick erwartete nur noch den Hals des Verurtheilten.

Der Henker ließ sich neben Salvato auf ein Knie nieder und sagte, sei es nun aus Mitleid, oder weil er seinen Beruf nur gewissenhaft ausüben wollte:

»Ihr wißt, daß Ihr einen Priester verlangen könnt und daß Niemand das Recht hat, Euch dies zu verweigern.«

Bei diesen Worten, in welchen Salvato den ersten Funken von Sympathie zu erblicken schien, welcher ihm seitdem er in die Hände der Lazzaroni gefallen, bewiesen worden, ward sein Entschluß, unverbrüchliches Schweigen zu beobachten, mit einem Male wankend.

»Ich danke, mein Freund,« sagte er mit sanfter Stimme und lächelnd zu dem Henker. »Ich bin Soldat und folglich stets bereit zu sterben. Ich bin ein rechtschaffener Mensch und deshalb jeden Augenblick fertig, vor Gott zu erscheinen.«

»Wie viel Zeit verlangt Ihr, um euer letztes Gebet zu verrichten? So wahr ich Donato heiße, diese Zeit soll Euch gewährt werden, oder Ihr werdet nicht von mir gehängt.«

»Ich habe, seitdem ich auf diesem Tische liege, Zeit genug gehabt, mein Gebet zu verrichten,« sagte Salvato. »Also, mein Freund, wenn Ihr vielleicht Eile habt, so will ich Euch nicht aufhalten.«

Meister Donato war nicht gewohnt, bei den Leuten, mit welchen er sonst zu thun hatte, diese Zuvorkommenheit zu finden. Obschon er nun Henker war, und vielleicht eben deshalb, weil er Henker war, fühlte er sich dadurch tief gerührt.

»Ich glaube,« sagte er, »es gibt Vorurtheile gegen Diejenigen, welche unseren Beruf ausüben, und gewisse zartfühlende Personen lieben es nicht, von uns angerührt zu werden. Wollt Ihr euer Halstuch selbst abnehmen und den Kragen eures Hemdes selbst zurückschlagen, oder wollt Ihr, daß ich Euch diesen letzten Dienst leiste?«

»Ich habe keine Vorurtheile,« antwortete Salvato, »und Ihr seid für mich nicht blos ganz das, was ein anderer Mensch ist, sondern ich weiß Euch das, was Ihr für mich thut Dank, und wenn ich die Hand frei hätte, so würde ich, ehe ich sterbe, Euch die eure drücken.«

»So wahr ich lebe, Ihr sollt sie mir drücken!« sagte Meister Donato, indem er die Stricke, womit Salvatos Handgelenke zusammengeschnürt waren, aufzubinden begann. »Es wäre dies eine gute Erinnerung für mein ganzes noch übriges Leben.«

»O, verdienst Du dein Geld auf diese Weise?« rief der Beccajo wüthend, als er sah, daß Salvato unter den Händen des Henkers eben so unempfindlich sterben würde, wie unter denen eines andern Menschen. »Wenn dem so ist, dann brauche ich Dich nicht mehr.«

Und Meister Donato von der Plattform, welche der Tisch vorstellte, herabstoßend, trat er an seine Stelle.

»Das Halstuch abnehmen? Den Hemdkragen zurückschlagen? Wozu soll das?« fragte der Beccajo. »Das möchte ich wissen. Damit ist es aber nichts! Mein schöner Freund, so viel Umstände werden wir nicht mit Euch machen. Ihr braucht keinen Priester? Ihr bedürft des Gebetes nicht? Um so besser, dann geht die Sache desto schneller.«

Und die am Ende des Strickes angebrachte Schlinge ergreifend, hob er Salvato’s Kopf bei den Haaren empor und warf ihm die Schlinge um den Hals.

Salvato war in seine anfängliche Stumpfheit zurückversunken. Dennoch würde Jeder, der sein in Schatten gehülltes Gesicht hätte sehen können, an den halbgeöffneten Augen und an dem ein wenig nach dem Fenster zu gestreckten Hals bemerkt haben, daß irgend ein äußeres Geräusch seine Aufmerksamkeit erweckte – ein Geräusch, von welchem bei ihrer widerwärtigen Beschäftigung keiner der Anwesenden etwas bemerkte.

In der That kamen wirklich zwei oder drei in dem Hofe stehengebliebene Lazzaroni mit dem Rufe: »Alarm! Alarm!« in den Speisesaal hereingestürzt.

Gleichzeitig härte man eine Gewehrsalve krachen, so daß die Glasscheiben des Fensters in Splitter flogen und der Beccajo, einen furchtbaren Fluch ausstoßend, auf den Gefangenen fiel.

Eine gräßliche Verwirrung folgte auf diese erste Salve, welche fünf oder sechs Mann getödtet und dem Beccajo einen Schenkel zerschmettert hatte.

In der nächsten Secunde stürzte ein Trupp Bewaffneter durch ein offenes Fenster herein. An der Spitze stand Michele dessen Stimme, den Tumult übertäubend, mit der ganzen Kraft seiner Lunge schrie:

»Ist es noch Zeit, mein General? Wenn Sie noch leben, so sagen Sie es. Wenn Sie aber todt sind, bei der 81 Madonna del Carmine dann schwöre ich, daß keiner von denen, welche hier sind, von dannen kommt.«

»Beruhige Dich, mein guter Michele,« antwortete Salvato mit seiner gewöhnlichen Stimme und ohne daß man in seinem Tone die mindeste Aenderung bemerken konnte. »Ich lebe und bin unversehrt.«

Inder That hatte der Beccajo, indem er auf ihn niederstürzte, ihn gegen die Kugeln geschützt, welche in diesem nächtlichen Kampfe den Freund eben so gut wie den Feind, das Schlachtopfer eben so wie den Mörder treffen konnte.

Ueberdies muß zur Ehre des Meister Donato, des würdigen Henkers, der die Erwartungen, die man in ihn gesetzt, vollständig täuschte, gesagt werden, daß er Salvato von dem Tische herabgezogen, so daß der junge Mann im nächsten Augenblick sich unter dem Tische sah. Innerhalb eines anderweiten Augenblickes und mit einer Gewandtheit, welche lange Uebung und angeborene Geschicklichkeit verrieth, hatte Donato den Strick, der die Hände des Gefangenen band, vollends aufgelöst und ihm aufs Gerathewohl ein Messer in die rechte Hand gegeben.

Salvato that sofort einen Sprung rückwärts, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer und schickte sich an, sein Leben theuer zu verkaufen, wenn vielleicht der Kampf noch länger dauerte und der Sieg seinen Befreiern nicht günstig zu sein schiene.

Von dieser Stellung aus, mit funkelndem Auge, die Hand gegen die Brust gedrückt und den Körper zusammenraffend wie ein Tiger, welcher im Begriff steht« auf seine Beute zu stürzen, hatte er Michele geantwortet und diesen durch seine Antwort beruhigt.

Das aber, was er gefürchtet, geschah nicht. Der Sieg war keinen Augenblick lang zweifelhaft. Die, welche Fackeln hatten, warfen dieselben weg oder löschten sie aus, um rascher zu fliehen, so daß nach Verlauf von fünf Minuten in dem ganzen Zimmer Niemand weiter zurückblieb, als die Todten und die Verwundeten, der junge Officier, Meister Donato, Michele, Pagliucella, sein treuer Lieutenant, und die dreißig oder vierzig Mann, welche es den beiden Lazzaroni mit großer Mühe gelungen war zusammenzubringen, als Michele erfahren, daß Salvato der Gefangene des Beccajo war, und die Gefahr, in der er schwebte, errathen hatte.

Zum Glück und weil der Beccajo nach dem verzweiflungsvollen Geschrei, welches man von allen Seiten ausstieß, unbedingt Herr des Palastes zu sein glaubte, hatte er nicht daran gedacht, Schildwachen aufzustellen, so daß Michele sich hatte dem Hause nähern können, wo, wie man ihm gesagt, Salvato gefangen gehalten war. Hier angelangt war er auf die Trümmer der zerschlagenen Hausgeräthschaften gestiegen, zur Höhe der Fenster des Erdgeschoss es gelangt und hatte gesehen, wie der Beccajo eben Salvato den Strick um den Hals schlang. Er hatte nun sehr richtig geschlossen, daß keine Zeit zu verlieren sei, den Beccajo sofort auf’s Korn genommen und Feuer gegeben mit dem Rufe:

 

»Dem General Salvato zu Hilfe!«

Dann war er zuerst durch das Fenster hineingesprungen. Alle waren ihm gefolgt und jeder hatte mit der Waffe, die er in diesem Augenblick trug, Feuer gegeben, der eine mit seiner Flinte, der andere mit seinem Pistol.

Michele’s erste Sorge, sobald er sich einmal in dem Speisezimmer befand, war, eine von den Sanfedisten weggeworfene Fackel, welche trotz ihrer horizontalen Lage noch fortbrannte, aufzuheben, auf den Tisch zu springen und die Fackel zu schütteln, um den Saal bis in seine Tiefen zu erhellen.

Nun erst erhielt er einen klaren Ueberblick über das Schlachtfeld, erkannte den röchelnd zu seinen Füßen liegenden Beccajo, unterschied zwei oder drei Leichen und vier oder fünf Verwundete, welche sich in ihrem Blute hinschleppten und an die Wand zu stützen suchten.

Salvato stand immer noch, das Messer in der rechten Hand, zum Kampfe bereit, während er mit der linken Hand einen Mann schützte, in welchem Michele allmälig zu seinem großen Erstaunen Meister Donato erkannte.

So intelligent Michele auch war, so ward es ihm doch schwer, sich diese letztere Gruppe zu erklären.

Wie kam es, daß Salvato, den er noch fünf Minuten vorher mit dem Stricke um den Hals und mit gebundenen Händen gesehen, auf einmal frei war und ein Messer ins der Hand hielt? Und wie kam es, daß der Henker, der doch nur hierher gekommen sein konnte um Salvato zu hängen, jetzt von ihm beschützt ward?

Mit zwei Worten wurde Michele von dem Vorgefallenen in Kenntniß gesetzt, diese Erklärung war aber erst gegeben, nachdem Salvato sich ihm in die Arme geworfen hatte.

Es war dies das Gegenstück des Schauspiels auf dem Largo del Pigne, wo Salvato, als man Michele erschießen wollte, diesem ebenfalls das Leben gerettet hatte. Diesmal war es Michele, welcher Salvato rettete, als man diesen hängen wollte.

»Ah,« sagte Michele, als er von Meister Donato selbst erfahren, auf welche Weise derselbe mit zu dem Feste eingeladen worden, und was er hier zu thun gekommen war, »es soll Niemand sagen können, Gevatter, daß man Dich umsonst bemüht habe. Nur wirst Du, anstatt einen ehrlichen Mann und wackern Officier, einen elenden Meuchelmörder und verworfenen Banditen aufknüpfen.«

»Oberst Michele,« antwortete Meister Donato, »ich werde eure Forderung ebensowenig zurückweisen, als ich die des Beccajo zurückgewiesen habe, und ich muß sagen, daß ich letzteren sogar mit weniger Leidwesen hängen werde, als diesen braven Officier. Ich bin vor allen Dingen ein ehrlicher Mann, und da ich von dem Beccajo bereits zehn Ducati erhalten habe, um diesen jungen Mann dafür zu hängen, so glaube ich nicht, daß ich berechtigt bin die zehn Dukaten zu behalten, wenn ich nicht mehr den jungen Mann, sondern ihn selbst hängen soll. Ihr seid folglich Alle Zeugen, daß ich meinem Nachbar, ehe ich ihn anfasse, seine zehn Dukaten zurückgegeben habe.«

Und die zehn Dukaten aus der Tasche nehmend, zählte er sie neben einander auf den Tisch, worauf der Beccajo lag.

»Jetzt,« sagte er sich zu Salvato wendend, »bin ich bereit, Ihren Befehlen zu gehorchen, Signor.«

Und den Strick ergreifend, den er im Augenblick vorher in der Hand hielt, um ihn Salvato um den Hals zu werfen, schickte er sich an, ihn um den Hals den Beccajo zu schlingen, und wartete blos auf einen Wink von Salvato, um die Operation zu beginnen.

Salvato ließ seinen ruhigen Blick über alle Anwesenden, Feinde wie Freunde, schweifen.

»Ist es in der That an mir, hier Befehle zu geben?« fragte er. »Und wenn ich deren gebe, werden dieselben ausgeführt werden?«

»Da, wo Sie sind, General,« sagte Michele, »kann es Niemand anders einfallen, commandiren zu wollen, und Niemand würde, wo Sie commandiren, die Keckheit haben, ungehorsam sein zu wollen.«

»Wohlan,« hob Salvato wieder an, »dann wirst Du mich mit deinen Leuten bis zu dem Castello Nuovo zurück escortiren, denn da ich Befehle von der größten Wichtigkeit an Schipani zu überbringen habe, so kommt es viel darauf an, daß ich so schnell als möglich und unversehrt hingelange. Während dieser Zeit, Meister Donato —«

»Gnade!« murmelte der Beccajo, welcher aus dem Munde des jungen Mannes sein Todesurtheil zu hören erwartete. »Gnade, ich bereue!«

Salvato aber fuhr, ohne auf ihn zu hören, fort:

»Mittlerweile, Meister Donato, werdet Ihr diesen Menschen in sein Haus tragen lassen, und dafür sorgen, daß man ihm alle Pflege angedeihen lasse, welche seine Wunde erheischt. Dies wird ihn vielleicht lehren, daß es Menschen gibt, welche kämpfen und tödten, und Leute, welche meuchelmorden und hängen. Da aber die abscheulichen Thaten dieser letzteren dem heiligen Willen des Herrn zuwider sind so morden sie nur halb und hängen gar nicht.«

Dann zog er eine Banknote aus der Tasche und sagte:

»Hier, Meister Donato, ist eine Anweisung auf hundert Ducati zur Entschädigung für die zwanzig Ducati, deren Ihr hier verlustig gegangen.

Meister Donato empfing die hundert Ducati mit einer melancholischen Miene, welche seinem Gesichte einen mehr grotesken als sentimentalen Ausdruck gab.

»Sie hatten mir aber, wenn Ihre Hände frei wären, etwas Anderes versprochen als Geld, Excellenz,« sagte er.

»Das ist wahr,« sagte Salvato, »ich hatte Dir meine Hand versprochen, und da ein ehrlicher Mann sein Wort hält, so hast Du sie hier!«

Meister Donato ergriff die Hand des jungen Officiers mit dem Ausdruck der Dankbarkeit und küßte sie mit Innbrunst.

Salvato ließ ihm seine Hand einige Secunden lang, ohne durch seine Miene den mindesten Widerwillen zu verrathen.

Als Meister Donato sie wieder losließ, sagte er:

»Wohlan, Michele, wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Lassen wir die Flinten wieder laden und dann geraden Weges nach dem Castello Nuovo.

Und Salvato und Michele eilten an der Spitze der liberalen Lazzaroni, welche diese letzteren bei der Befreiung des Gefangenen unterstützt, in die Strada dei Tribunali, erreichten durch die Porta Alba und über den Mercatello die Toledostraße, folgten dieser bis zur Strada de Santa. Anna dei Lombardi und bogen endlich in die Strada Medina ein, welche sie gerade an das Castello Nuovo fühlte.

Als Salvato sich hier zu erkennen gegeben hatte, erfuhr er, daß das, was ihm begegnet, schon zu den Ohren der im Castell eingeschlossen Patrioten gekommen sei und daß der Gouverneur Massa soeben einer Patrouille von hundert Mann Befehl ertheilt,im geschwindschritt abzumarschieren und ihn zu befreien.

Salvato bedachte in welcher Unruhe Luisa schweben müsse, wenn die Nachricht von seiner Gefangennahme bis zu ihr gedrungen wäre. Stets aber Sklave seiner Pflicht, beauftragte er Michele, zu ihr zu gehen, um sie zu beruhigen, während er sich mit dem Directorium über die Mittel beriethe, die Befehle des Obergenerals an Schipani zu befördern.

Demzufolge ging er geraden Weges in das Zimmer hinauf, in welchem die Directoren ihre Sitzungen hielten. Bei seinem Anblick entrang ein Freudenschrei sich jeder Brust. Man wußte ihn gefangen und da man die Schnelligkeit kannte, mit welcher die Lazzaroni bei dergleichen Gelegenheiten zu verfahren pflegten, so glaubte man ihn bereits erschossen, erdolcht oder gehängt.

Man wollte ihm Glück wünschen, aber er sagte:

»Bürger, wir haben keine Minute zu verlieren. Hier ist der Befehl Bassettis in zwei Abschriften. Nehmen Sie Kenntniß davon und sehen Sie zu, daß derselbe in Bezug auf das, was Sie betrifft, ausgeführt werde. Ich meinerseits werde, wenn Sie erlauben, mich bemühen, Boten zur Weiterbeförderung ausfindig zu machen.«

Salvato hatte eine klare, entschlossene Weise, die Dinge darzustellen, so daß nur von Annahme oder Ablehnung die Rede sein konnte. In dem vorliegenden Falle konnte nur von Annahme die Rede sein.

Die Direktoren nahmen demzufolge an, behielten eine Abschrift des Befehles für den Fall, daß die erste aufgefangen würde, und gaben die andere Salvato zurück.

Salvato nahm, ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren, Abschied von ihnen, ging rasch die Treppe hinunter und eilte, überzeugt, Michele bei Luisa wiederzufinden, nach dem Zimmer, nach welchem, wie er nicht zweifelte die feurigsten, sehnsüchtigsten Wünsche ihn riefen.

Und in der That erwartete Luisa ihn an der Schwelle der Thür. Sobald sie ihren Geliebten gewahrte, entrang der laute Ruf »Salvato!« sich ihrem Munde.

Sie ruhte in den Armen dessen, den sie erwartete, und mit geschlossenen Augen, wildklopfendem Herzen, den Kopf rückwärts neigend, als ab sie ohnmächtig werden wollte, murmelte sie wieder:

»Salvato! Salvato!«

Dieser Name, welcher im Italienischen gerettet bedeutet, besaß in dem Munde Luisa’s die doppelte Zärtlichkeit der doppelten Bedeutung, das heißt, er drang bis in die innersten Fibern des Herzens dessen, den sie rief.

Salvato faßte Luisa in seine Arme und trug sie in sein Zimmer, wo, wie er vorausgesetzt, Michele ihn erwartete.

Dann, als Luisa sich wieder ein wenig ermannt hatte, als ihr immer noch stürmisch schlagendes, aber sich doch allmälig beruhigendes Herz dem Gehirn gestatten, den für den Augenblick unterbrochenen Faden seiner Ideen wieder aufzunehmen, sagte Salvato zu ihr:

»Du hast ihm doch deinen Dank ausgesprochen, diesem guten Michele? Er ist es, dem wir das Glück verdanken, einander wiederzusehen. Ohne ihn hättest Du, anstatt einen lebenden Körper, der Dich liebt, Dir antwortet, von deinem Leben lebt und unter deinen Küssen vor Wonne schauert, in deine Arme zu drücken, nur einen kalten, trägen, gefühllosen Leichnam vor Dir, mit welchem Du vergebens jene himmlische Flamme zu theilen suchen würdest, welche, einmal erloschen, sich nie wieder entzündet.«

»Aber,« sagte Luisa erstaunt, »von all diesem hat er mir ja nicht das Mindeste gesagt, der böse Bube! Er sagte mir blos, Du seiest in die Hände der Sanfedisten gefallen und hättest Dich durch deinen Muth und deine Kaltblütigkeit wieder daraus befreit.«

»Nun, siehst Du,« sagte Salvato, »dann lernst Du endlich in deinem Milchbruder einen abscheulichen Lügner kennen. Ich hatte mich einfältigerweise gefangennehmen lassen und stand im Begriff gehängt zu werden wie ein Hund, als – Doch warte; seine Strafe soll darin bestehen, daß er Dir die Sache selbst erzählen muß.«

»Mein General,« sagte Michele, »das Nothwendigste ist, glaube ich, die Depesche an den General Schipani zu befördern. Sie muß, nach der Gefahr zu urtheilen, welcher Sie getrotzt haben, um in ihren Besitz zu gelangen, von einer gewissen Wichtigkeit sein. Es liegt eine Barke unten, welche bereit ist, auf den ersten Befehl, den Sie ertheilen werden, abzustoßen.«

»Bist Du der Bemannung sicher?«

»So sicher als der Mensch anderer Menschen sein kann; unter der Zahl der Matrosen aber wird auch Pagliucella, dessen ich so sicher bin als meiner selbst, als Matrose verkleidet sich befinden. Ich will die Barke und die Depesche absenden. Sie werden mittlerweile Luisa erzählen, wie ich Ihnen das Leben gerettet. Sie werden dies viel besser erzählen, als es von mir geschehen könnte.«

Und Luisa in Salvato’s Arme stoßend, schloß er die Thür hinter den beiden Liebenden und ging, ein Liedchen trällernd, die Treppe hinab.