Free

La San Felice Band 10

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Fünftes Capitel.
Die Sanfedisten

Die Encyclia des Cardinals Ruffo hatte in ganz Untercalabrien die Wirkung des elektrischen Funkens hervorgebracht.

Und in der That« je weiter man von Neapel entfernt war, desto mehr vermindete sich der schwache Reflex von Intelligenz, welcher von der Hauptstadt ausging.

Der Cardinal hatte, wie wir bereits erwähnt, seinen Fuß in das antike Brutium, jenes Asyl entflohener Sklaven, gesetzt. Dieser ganze Theil Calabriens befand sich trotz der verflossenen Jahrhunderte immer noch im Zustande der fürchterlichsten Unwissenheit und der vollkommensten geistigen Stumpfheit, so daß dieselben Menschen, welche am Tage vorher, ohne zu wissen, was sie sagten, riefen: »Es lebe die Republik! Nieder mit den Tyrannen!« mit derselben Stimme zu schreien begannen: »Es lebe die Religion! Es lebe der König! Nieder mit den Jakobinern!«

Wehe Denen, welche sich für die bourbonische Suche gleichgültig zeigten und nicht lauter oder wenigstens eben so laut schrieen als die Anderen. Sie wurden mit dem Ruf: »Das ist ein Jakobiner!« begrüßt und dieser Ruf war, sobald er sich hören ließ, hier wie in Neapel ein Todesurtheil.

Die Anhänger der Revolution oder Diejenigen, welche ihre Sympathie für die Franzosen zu erkennen gegeben, sahen sich genöthigt, ihre Häuser zu verlassen und zu fliehen. Niemals hatte das »Dulcia linquimus arva« Virgils einen traurigeren und umfassenderen Wiederhall gesunden.

Alle diese fliehenden Patrioten nahmen den Weg nach Obercalabrien und blieben, dafern es ihnen gelungen war, den Dolchen ihrer Landsleute zu entrinnen, die einen in Monteleone, die anderen in Catanzaro oder Cotrone, den einzigen Städten, in welchen es gelungen war demokratische Behörden einzusetzen. Dieses Beharren auf der republikanischen Meinung ward in den drei Staaten durch die Hoffnung auf die Ankunft der französischen Armee genährt.

Aus allen anderen durch die Encyclica des Cardinals aufgewiegelten Städten sah man Massen von Bürgern hervorkommen, welchen ihr Pfarrer mit dem Kreuze in der Hand voranschritt und die an ihren Hirten weiße Bänder, die sichtbaren Zeichen ihrer politischen Meinungen, trugen.

Diese Schaaren nahmen, wenn sie aus dem Gebirge kamen, die Richtung nach Mileto, dagegen, wenn sie von der Ebene kamen die Richtung nach Palmi.

Ganze von allen waffenfähigen Männern verlassene Städte und Dörfer waren nur noch von Frauen, Greisen und Kindern bewohnt, so daß nur in dem Feldlager bei Palmi binnen wenigen Tagen gegen zwanzigtausend bewaffnete Männer beisammen waren, während das von Mileto beinahe eben so viel zählte.

Alle diese Leute brachten ihre Lebensmittel und ihre Munition mit. Die Reichen gaben den Armen, die Klöster Allen.

Mitten unter diesen Massen von Freiwilligen bemerkte man Geistliche aller Grade, vom einfachsten Dorfpfarrer, dessen Gemeinde nur wenige hundert Seelen zählte, an bis zum Bischofe der großen Städte.

Es gab darunter Grundbesitzer, die Millionen besaßen, ebenso wie arme Taglöhner, welche mit Mühe zehn Grani täglich verdienten.

»Es gab,« sagt der sanfedistische Schriftsteller Domenico Sacchinelli, welchem wir die Einzelheiten dieses wunderbaren Feldzuges theilweise entlehnen, »es gab unter dieser Menge auch einige ehrliche Leute, die von aufrichtiger Liebe zum Könige und wahrhafter Ehrfurcht vor der Religion beseelt waren; unglücklicherweise aber bestand die Mehrzahl aus Räubern und Mördern, die nur durch Raublust und durch den Durst nach Rache und Blut getrieben wurden.«

Fünf oder sechs Tage nach seiner Ankunft in Catona sah der Cardinal, welcher den ganzen Tag auf seinem Balcon zubrachte, hinter der Landspitze des Leuchtthurmes eine von einem Mönche gesteuerte und von zwei Fischern geruderte kleine Barke auf sich zukommen.

Da Mönch und Fischer die Strömung und den Wind für sich hatten, so ließen die Fischer die Ruder ruhen und der Mönch hielt die Schote des Segels und lenkte das Boot, welches an dem Strande von Catona an derselben Stelle anlegte, wo der Cardinal vor einigen Tagen an’s Land gestiegen war.

Dieser Mönch und Seemann machte anfangs den Cardinal ein wenig neugierig und derselbe nahm sein Fernrohr zu Hilfe, um das Phänomen genauer zu beobachten.

Dieses erklärte sich ihm jedoch sehr bald, denn er erkannte in dem seemännischen Mönche unsern alten Freund Fra Pacifico.

Kaum war die Barke ans Land gestoßen, so sprang der Bruder Capuziner heraus und lenkte mit einem Fuße, der auf dem Lande eben so fest war, wie seine Hand auf dem Meere gewesen, seine Schritte nach dem Hause, wo der Cardinal wohnte.

Dieser kannte Fra Pacifico nicht blos vom Hörensagen, sondern auch persönlich. Er wußte, daß es ein ehemaliger Matrose von der Fregatte »Minerva« war, und eben so war ihm bekannt, auf welche Weise der-Ruf an ihn ergangen. Von Person kannte er ihn, weil er ihn einmal bei dem Könige Ferdinand traf, als er diesem mit seinem Esel Giacobino für seine Krippe saß.

Ebenso hatte er vernommen, welche Heldenthaten der kriegerische Capuziner während der drei Kampftage verrichtet, die der Einnahme von Neapel vorhergegangen waren.

Er beehrte ihn deshalb schon von Weitem mit einer Handbewegung, welche den Mönch bewog, seinen Schritt zu beschleunigen so daß er fünf Minuten später die Ehre hatte, dem Cardinal die Hand zu küssen.

Was aber hatte Fra Pacifico bewogen, sein Kloster zu verlassen und sich nach Calabrien zu begeben?

Wir wollen dies unseren Lesern mit kurzen Worten auseinandersetzen. Die reactionäre Verschwörung Backer's, welche André so unklugerweise Luisa anvertraut und die durch Michele so kluger Weise dem General Championnet verrathen worden, hatte schon seit den letzten Tagen des December, das heißt kaum einige Tage nach Ferdinands Abreise, angefangen sich zu organisierten.

Bis zum 15. Januar waren alle Fäden geknüpft und man suchte einen sichern Mann,, um den König davon in Kenntniß zu setzen.

Man wandte sich an den Vicar der Kirche del Carmine, welche, wie wir bereits erwähnt, ebenfalls mit zu den Verschworenen gehörte.

Der Vicar brachte Fra Pacifico als Boten in Vorschlag und man war sofort damit einverstanden. Fra Pacifico, der schon wegen der Art, wie er seine Almosen einsammelte, in Neapel sehr populär war, hatte durch die letzten Ereignisse noch in so hohem Grade an Popularität gewonnen, daß man seinen Muth und seine royalistische Gesinnung keinen Augenblick bezweifeln konnte.

Fra Pacifico war demzufolge aufgefordert worden, sich nach Palermo zu begeben und den König von dem riesigen Complott in Kenntniß zu setzen, welches man zu seinen Gunsten schmiedete.

Der Mönch hatte diese gefährliche Mission mit Freuden übernommen. Sein Mangel an Beschäftigung lastete wenigstens eben schwer auf ihm, als die Unschuld auf Orestes, und mitten unter seinen beschränkten oder feigen Brüdern schäumte er wüthend in dem Gebiß und gerieth in Zornesausbrüche, welches sich in einem Hagel von Stockschlägen auf dem Rücken des armen Giarobino entluden.

Kaum war er von der Mission, die man ihm anvertraute, unterrichtet und hatte unter der Leitung des Canonicus Jorio das, was er dem König Ferdinand zu sagen hatte, auswendig gelernt – denn man wollte ihm, aus Furcht, daß er in, die Hände der Patrioten fallen könne, nichts Schriftliches anvertrauen – so zog er Giacobino aus dem Stalle, als ob er seine gewöhnliche Almosenrunde machen wollte, verließ mit seinem Lorbeerknüppel in der Hand das Kloster, ging den Largo delle Pigne hinab, bog in die Strada San Giovanni a Carbonara ein, erreichte die Magdalenenbrücke und gelangte, bald zu Fuße gehend bald aufs Giacobino reitend, noch an demselben Tage Salerno.

Er sollte mit möglichst starken Tagmärschen der Küste des thyrrenischen Meeres folgen und mit der ersten Gelegenheit, die er finden würde, nach Sicilien übersetzen.

Nach fünf oder sechs Tagen befand Pacifico sich in Pizzo. Hier hatte er dringende Empfehlungen an einen gewissen Trenta Capelli, einen Freund des Vicars, dessen Anhänglichkeit an die Familie der Bourbons wohlbekannt war.

In der That nahm Trenta Capelli den reisenden Mönch nicht blos bei sich auf, sondern vermittelte auch seine Ueberfahrt nach Palermo.

Fra Pacifico hatte sich demgemäß in Pizzo eingeschifft und nach einer salbungsvollen, rührenden Empfehlung seinen Esel der Obhut Trenta Capellis überlassen, welcher ihm versprochen, für seinen Waffengenossen auf das gewissenhafteste zu sorgen. Fra Pacifico prügelte seinen Esel, ja er konnte fast nicht existieren ohne seinen Esel zu prügeln, aber er wollte nicht, daß Andere ihn prügelten.

Auf dem Rückwege durch Pizzo wollte er sein Thier wieder mitnehmen.

In Palermo glücklich angelangt hatte er seine Schritte unverweilt nach dem königlichen Palast gelenkt. Hier aber hatte er erfahren, daß der König in dem Walde der Ficuzza auf der Jagd war.

Da die Sache keinen Aufschub litt, so verlangte Fra Pacifico nun eine Audienz bei der Königin.

Diese, die ihn dem Namen nach sehr wohl kannte, ließ ihn nicht warten, sondern gab Befehl, ihn sofort vorzulassen.

Fra Pacifico der die Gewalt, welche die Königin ausüben recht wohl kannte, zögerte keinen Augenblick, an sie die Rede zu halten, welche der Canonicus Jorio ihn auswendig gelehrt.

Die Königin fand diese Mittheilung so wichtig, daß sie sofort einen Wagen anspannen, Acton und Fra Pacifico mit entsteigen ließ und nach Ficuzza fuhr.

Hier langte man gerade indem Augenblicke an, wo der König von der Jagd zurückkam.

Er war bei sehr schlechter Laune. Sein Gewehr hatte, was ihm noch niemals begegnet war, zweimal versagt – das erste Mal auf einen Eber, das zweite Mal auf ein Reh.

Der König betrachtete dies nicht blos als einen beklagenswerthen Unfall, sondern auch als eine höchst schlimme Vorbedeutung.

Er kehrte daher Acton den Rücken, begrüßte die Königin in rauher mürrischer Weise und hörte kaum Fra Pacifico an, welcher ihm wie er bereits mit der Königin gethan, alle Einzelheiten des Complottes auseinandersetzte.

 

Bei dem Namen Backer heiterte das Gesicht des Königs sich-ein wenig auf, bei dem Jerios aber nahm es den Ausdruck der Bestürzung an.

»Die Dummköpfe!« rief er. »Sie conspiriren mit dem ersten Jettatore von Neapel und sie wollen daß ihr Complott gelinge. Ich schützt den Vicar del Carmine, obschon ich ihn nicht kenne, und den Fürsten von Canossa, obgleich ich ihn kenne, sehr hoch, aber aus mein Ehrenwort, ich würde nicht zwei Gran für ihre Köpfe geben. Wer mit Jorio conspirirt, muß des Lebens sehr überdrüssig sein.«

Die Königin hatte gegen die Jettatori – die Leute, welchen man den sogenannten bösen Blick zuschreibt – durchaus nicht dieselbe Abneigung wie Ferdinand, denn sie huldigte nicht denselben Vorurtheilen, dennoch aber besaß sie vor dem schlichten gesunden Menschenverstand des Königs eine gewisse Achtung. Sie stellte daher eine Menge Fragen an Pacifico, die er alle mit der Freimüthigkeit eines Seemannes und dem Vertrauen eines Enthusiasten beantwortete. Fra Pacifico nach stand bei, den getroffenen Vorsichtsmaßregeln nichts zu fürchten und die Verschwörung konnte nicht ermangeln von dem gewünschten Resultate begleitet zu sein.

Der König, die Königin und Acton beriethen sich dann mit einander und man kam überein,Fra Pacifico zu dem Cardinal zu schicken, damit auch dieser erführe, was in Neapel im Werke sei, und damit er sich die kriegerischen und religiösen Eigenschaften des Mönches möglichst zu Nutzen mache.

Nachdem Fra Pacifico die Ehre gehabt, an der Tafel Ihrer sicilischen Majestäten zu speisen, kehrte er demgemäß in Gesellschaft des Königs, der Königin und des Generallieutenants nach Palermo zurück.

Hier traf man sofort Anstalt, ihn so schnell als möglich nach Calabrien zu spedieren, und da er in seiner Eigenschaft als Betheiligter mit zu der diesfallsigen Berathung, gezogen ward, so erklärte er, nach seiner Meinung sei das beste und rascheste Transportmittel ein gutes Boot mit dem lateinischen Segel für die Stunden, wo der Wind ginge, und zwei guten Ruderern für die Stunden, wo keiner ginge.

Demzufolge gab man-ihm tausend Dukaten zum Ankauf oder zum Miethen des Bootes. Der Rest der Summe sollte unter dem Namen einer Gratification dem Kloster zufallen.

Noch an demselben Abend miethete Fra Pacifico gegen Zahlung von sechs Ducaten ein Boot mit zwei Ruderern und stach noch vor Mitternacht in See.

Nach Verlauf von vier Tagen umsegelte das Boot den Leuchtthurm und landete zwei Stunden später, wie wir bereits erzählt, in Catona.

Fra Pacifico überbrachte einen eigenhändigen Brief des Königs an den Cardinal.

Dieser Brief lautete :

»Eminentissime«

»Ich habe, wie Sie sich leicht deuten können, die Nachricht von Ihrer Ankunft in Messina und später die von Ihrer glücklichen Landung in Calabrien mit der lebhaftesten Befriedigung empfangen.

»Ihre Encyclica ist ein Muster von kriegerischer und religiöser Beredsamkeit, und ich zweifle nicht, daß wir in Folge derselben, in Verbindung mit der Popularität Ihres Namens, bald eine tapfere und zahlreiche Armee versammelt sehen werden.

»Ich schicke Ihnen einen unserer guten Freunde, der Ihnen nicht unbekannt ist. Es ist Fra Pacifico aus dem Capuzinerkloster von San-Herem. Er kommt von Neapel und bringt uns Gutes und Schlimmes. Ganz wie das neapolitanische Sprichwort sagt, ist das, was er Ihnen erzählen wird, so gut wie etwas zu essen und zu trinken.

»Das Gute besteht darin, daß man sich in Neapel mit uns beschäftigt und daß man mit dem Gedanken umgeht, diesen Banditen von Jakobinern eine neue sicilianische Vesper zu bereiten. Das Schlimme dagegen besteht darin, daß man in die Reihen der Verschworenen auch Jettatori wie den Canonicus Jorio ausgenommen hat, welche nicht verfehlen können, dem Unternehmen Unglück zu bringen.

»Mehr als jemals, Eminentissime, rechne ich daher auf Sie und sehe mein Heil nur in Ihnen.

»Ich stelle Fra Pacifico mit seiner eigenen Einwilligung eben so wie mit der seines Priors zu Ihrer Verfügung. Er ist, wie Sie wissen, ein wackerer und treu ergebener Diener. Ich zweier nicht, daß er uns von großem Nutzen sein werde, sei es nun, daß Sie sich entschließen, ihn nach Neapel zurückzuschicken, sei es, daß Sie es vorziehen, ihn in Ihrer Nähe zu behalten.

»Verlassen Sie Catona nicht und betreten Sie Calabrien nicht, ohne mir vorher einen ausführlichen Plan über den materiellen und politischen Marsch zu senden, den Sie einzuhalten gedenken. Vor allen Dingen aber empfehle ich Ihnen, den Schuldigen keinen Pardon zu gewähren, sondern dieselben, zum Beispiel für die Anderen, ohne Erbarmen zu strafen, und zwar sobald als das begangene Verbrechen in Gewißheit gesetzt ist. Die allzu große Nachsicht, welche wir geübt, ist die Ursache des beklagenswerthen Zustandes, in welchem wir uns befinden.

»Der Herr fördere und segne Ihr Werk, wie ich in meiner Unwürdigkeit darum bete und Ihnen wünsche,

Ferdinand B.«

Der Cardinal sah sich in der Lage, Fra Pacifico sofort einen Auftrag zu ertheilen.

Derselbe bestand darin, daß er ihn zu Cesare schickte, um diesen aufzufordern seine Vereinigung mit ihm, Ruffo, unverweilt zu bewirken.

Es waren Nachrichten von dem vorgeblichen Kronprinzen eingegangen, und diese Nachrichten waren ungemein zufriedenstellend.

Von dem Augenblick an, wo Cesare sowohl durch den Intendanten von Bari, als auch durch die beiden alten Prinzessinnen als der Herzog von Calabrien anerkannt worden, hätte Niemand gewagt, irgend einen Zweifel an seiner Identität abzusprechen.

Demzufolge und nachdem er in Brindisi die Deputationen aller umliegenden Städte empfangen, setzte er sich in Marsch nach Torent, wo er mit ungefähr dreihundert Mann anlangte.

Hier beschlossen Boccheciampe und dessen Cameraden das Rath, welchen Herr von Narbonne und die alten Prinzessinnen ihnen gegeben, sich zu trennen.

Cesare, das heißt der Prinz Franz, und Boccheciampe, das heißt der Herzog von Sachsen, sollten in Calabrien bleiben. Die Anderen,·nämlich Corbara, Geronda, Colonna Durazzo und Pitta Luga sollten auf der Felucke, welche sie in Brindisi gemiethet und von der sie in Tarent abgeholt werden sollten, sich nach Corfu einschiffen, um dort die Ankunft der türkisch-russischen Flotte zu betreiben.

Wir wollen, um mit den zuletzt genannten fünf Abenteurern fertig zu werden, hier sogleich bemerken, daß, als sie kaum in See gestochen waren, von einer tunesischen Galeere gekapert und zu Gefangenen gemacht wurden. Allerdings wurden sie von dem englischen Consul reklamiert und nach einer Gefangenschaft von einigen Monaten wieder freigelassen. Da sie aber zu spät aus der Sklaverei kamen, um noch an den Ereignissen, welche uns zu erzählen übrigbleiben, theilzunehmen, so begnügen wir uns damit, unsere Leser über das Schicksal dieser jungen Leute zu beruhigen, und kommen wieder auf Cesare und Boccheciampe zurück, welche, wie man sogleich sehen wird, Wunder verrichteten.

Von Tarent gingen sie nach Mesagna, wo sie mit allen ihrem vermeinten Range gebührenden Ehren empfangen wurden. In dieser Stadt blieben sie kurze Zeit, stellten die Ordnung in der Provinz wieder her und setzten sie in den Stand, den Kampf, welchen sie vorbereiteten, zu Gunsten der königlichen Sache zu unterstützen.

In Mesagna erfuhren sie, daß die Stadt Oria sich demokratisiert hätte.

Sofort setzten sich sich in Marsch, verstärkten sich unterwegs um etwa hundert Mann und setzten die bourbonische Regierung wieder ein.

Hier folgten nun zahlreiche Deputationen auf einander. Dieselben Namen nicht blos von Lecco und aus der Provinz Bari, sondern auch aus der Basilicata, das heißt von dem entgegengesetzten äußersten Ende Calabriens.

Cesare empfing die Deputierten mit vieler Würde, aber auch mit dankbarer Freundlichkeit. Er sagte allen, jeder treue Unterthan des Königs müsse zu den Waffen greifen und die Revolution bekämpfen, so daß dieser gnädige Empfang und diese beredten Ansprachen eine bedeutende Vermehrung der Freiwilligen zur Folge hatten.

Freilich gingen die Dinge nicht immer und überall so glatt von Statten. In Francavilla hatten die beiden Parteien auf einander geschossen und waren sich mit Messern zu Leibe gegangen. Die Royalisten, welche sich als die Stärkeren fühlten, hatten einige Demokraten getödtet und verwundet.

Cesare und Boccheciampe kamen bald darauf zur Stelle, und man muß ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß durch ihre Ankunft diesen Meuchelmorden sofort ein Ziel gesetzt ward.

Wir haben eine Proclamation von Cesare mit der Unterschrift »Franz, Herzog von Calabrien« in den Händen gehabt. In dieser Proclamation sagt der falsche Prinz, sich durch seine Humanität verrathend, daß man, wenn man sich selbst Recht verschaffte, einen Eingriff in die Rechte der königlichen Justiz beginge. Man müsse vielmehr den Behörden die furchtbare Verantwortlichkeit für Leben und Tod überlassen, und Seine königliche Hoheit habe daher mit dem größten Mißfallen bemerkt, daß die Royalisten sich dergleichen Ausschreitungen gestatteten.

Es war sehr unklug von dem falschen Prinzen, in diesem Tone zu sprechen, während König Ferdinand auf gänzliche Vertilgung der Jakobiner drang. In Neapel wäre Cesare sofort als Abenteurer erkannt worden, in Calabrien dagegen fuhr man, trotz dieses unklugen Mitleids, fort ihn für einen Prinzen zu halten!

Nachdem Cesare und Boccheciampe zwei Tage in Francavilla verweilt, begaben sie sich nach Ostuni, welches sie im Zustande der vollkommensten Anarchie vorfanden.

Die durch ihre Ankunft ermuthigte royalistische Partei hatte sich der ganzen Autorität bemächtigt und wollte einen der bekanntesten und intelligentesten Patrioten der Stadt nebst seiner ganzen Familie ermorden.

Dieser Patriot, ein Mann, der nicht blos als Arzt ausgezeichnet war, sondern auch, wie man sogleich sehen wird, ein edles Herz besaß, hieß Airoldi.

Als er die unvermeidliche Gefahr herannahen sah, beschloß er sich zu opfern, dabei aber auch zugleich seine Familie zu retten.

Demzufolge verbarrikadierte er den Haupteingang seines Hauses, welches er sich bereit machte bis auf's Aeußerste zu vertheidigen, während er zugleich seine Familie mittelst einer seit langer Zeit nicht mehr benutzten, in ein finsteres, menschenleeres Gäßchen führenden Thür entfliehen ließ.

Die Banditen warfen sich nun gegen die Vorderseite des Hauses, welche auf die Hauptstraße ging und verbarrikadiert war.

In dem Augenblick, wo die Thier endlich gesprengt war und die Stürmenden wüthend eindringen wollten, feuerte er auf seine Angreifer zwei Schüsse ab. durch welche ein Mann getödtet und ein zweiter verwundet ward. Dann warf er seine abgefeuerte Doppelbüchse hinter sich und überlieferte sich seinen Henkern.

Diese hatten, um ihn, seine Frau und seine drei Kinder zu verbrennen, einen Scheiterhaufen errichtet, mußten sich nun aber zu ihrem Bedauern mit einem Opfer begnügen. Sie banden es auf dem Scheiterhaufens fest und verbrannten es mit langsamen Feuer.

Cesare und Boccheciampe waren von diesem Vorgange unterrichtet worden. Sie setzten sofort ihre Pferde in Galopp, kamen aber trotz aller ihrer Eile dennoch zu spät. Der Doktor hatte soeben seinen Geist aufgegeben.

Wir wissen recht wohl, daß die Geschichte, welche wir unter der Form eines Romans schreiben und der wir vielleicht diese Form blos gegeben, um das Recht zu haben, sie zu veröffentlichen, so wie die Gewißheit, daß sie Leser finde, eine sehr traurige ist und daß die Bourbons von Ferdinand dem Ersten bis auf Franz den Zweiten, von Mammone bis auf La Gala, mitunter sehr verwerfliche Bundesgenossen zu Vertheidigern ihrer Sache gehabt haben.

Gleichwohl aber freut es uns, das Urtheil der Geschichte über mehrere dieser Personen berichtigen zu können.

Den Cardinal Ruffo haben wir bereits geschildert, so wie er war, aber nicht so, wie die Geschichtschreiber , die seine Correspondenz mit Ferdinand nicht gekannt, ihn hingestellt haben.

In gleicher Weise, wenn auch nach einem andern Maßstabe, freuen wir uns, über Cesare und Boccheciampe die Wahrheit sagen zu können.

Ihre Ankunft in Ostuni that dem Blutvergießen und den übrigen Barbareien sofort Einhalt.

Nach unserer Ansicht ist es allerdings eine große Freude und ein großer Stolz, einem Menschen das Leben zu retten; aber ist es nicht ein eben so großer Stolz und eine ebenso große Freude das Andenken eines Menschen von den Flecken, welche ein nicht hinreichend gewissenhafter Geschichtschreiber ihm zugefügt, zu reinigen und in den Augen der Nachwelt zu rechtfertigen?

 

Dies ist es eben, was wie wir hoffen, unserem Buche ein ganz besonderes Gepräge geben wird, denn mit der größten Gewissenhaftigkeit wird es Licht über Alle und selbst über Diejenigen verbreiten, welche vom Standpunkt unserer Meinung aus unsere Feinde sein würden, wenn wir nicht vom Standpunkt unseres Gewissens aus vor allen Dingen ihr Richter wären.

Auf dem Marktplatz von Ostuni, am Scheiterhaufen des Doktors Airoldi, gesellte Fra Pacifico sich zu Cesare und dessen Begleiter.

Letztere beiden waren eben beschäftigt, Deputationen zu empfangen, welche nicht blos kamen, um dem falschen Prinzen ihre Huldigung darzubringen, sondern auch um ihn um Beistand zu bitten.

Lecce war in zwei Parteien getheilt und die Republikaner waren die stärksten.

Tarent und Martina befanden sich in derselben Lage; Aquaviva war demokratisiert bis zum Fanatismus.

Altamura ganz besonders hatte geschworen sich lieber unter seinen Trümmern zu begraben, als unter der Herrschaft der Bourbons zu bleiben.

Vom Standpunkt der Wirklichkeit aus betrachtet, versprachen die Dinge deshalb keinen so leichten Erfolg, als man anfangs geglaubt.

Fra Pacifico wartete, bis der falsche Prinz die drei oder vier an ihn abgesendeten Deputationen empfangen hatte, meldete dann, daß er im Auftrage des Generalvicars käme.

Cesare ward bleich und sah Boccheciampe an. Seiner Ansicht nach war der einzige Generalvicar, der Jemanden zu ihm schicken konnte, der Prinz Franz.

Der bescheidene Stand des Boten bewies nichts. Cesare selbst wählte zur Beförderung seiner Ordres oder Depeschen gewöhnliche Mönche. Der Mönch wird, wer er auch sei und welchem Orden er auch angehören möge, im südlichen Italien überall gut empfangen, ganz besonders dann, wenn er das Gelübde der Armuth abgelegt hat und einem Bettelorden angehört.

»Wer ist dieser Generalvicar?« fragte Cesare, um sein Gewissen zu beruhigen, obschon er im voraus zu wissen glaubte, welche Antwort er auf diese Frage erhalten würde.

»Dieser Generalvicar,« antwortete Fra Pacifico, »ist Seine Eminenz der Cardinal Ruffo, und hier ist die Depesche, welche ich beauftragt bin Ew. Hoheit zu überreichen.«

Cesare betrachtete Boccheciampe mit dem Ausdruck steigender Unruhe.

»Lassen Sie uns sehen, Monsignore,« sagte Boccheciampe. »Oeffnen Sie diesen Brief und lesen Sie ihn, denn er ist an Sie adressiert.«

In der That lautete die Aufschrift des Briefes:

»An Seine königliche Hoheit den Herzog von Calabrien«

Cesare öffnete den Brief und las:

»Monsignore!

»Ihr erhabener Vater, Seine Majestät der König Ferdinand, welchen Gott noch lange erhalte, hat mir die Ehre erzeigt, mich zu seinem Stellvertreter zu ernennen, und mir zugleich den Auftrag ertheilt, sein von den französischen Jakobinern und deren Principien überfallenes festländisches Königreich wieder zu erobern. Nachdem ich sowohl in Palermo als in Messina und ganz besonders bei meiner Landung in Calabrien am 8. Februar das kühne Unternehmen erfahren, welches Ew. Hoheit Ihrerseits versucht, eben so wie die wunderbare Weise, auf welche Gott dasselbe unterstützt, sende ich einen unserer eifrigsten und erprobtesten Anhänger, um Ew. Hoheit zu melden, daß der König, Ihr Vater, welchen Gott noch lange erhalte, trotz des erhabenen Ranges, welchen Sie einzunehmen bestimmt sind, in Folge des großen Vertrauens. welches er auf mich setzt, geruht hat, Ew. Hoheit unter meine Befehle zu stellen. Demzufolge habe ich die Ehre, Ihnen ferner zu melden, daß, sobald Sie sich der Ruhe der Provinzen, in welchen Sie sich dermalen befinden, versichert haben, es am zweckmäßigsten sein wird, wenn Sie mit Allem, was Sie an freiwilligen Mannschaften Waffen und Munition besitzen, sich mir anschließen, damit wir dann gemeinschaftlich auf Neapel marschieren denn nur dort wird es uns gelingen, die siebenköpfige Hydra zu erlegen und zu vernichten.

»Indem ich Ew. Hoheit es anheimstelle, den Zeitpunkt, wo Sie sich mir anschließen, zu bestimmen, bemerke ich nur noch, daß dies am besten so bald als möglich geschehen wird.

»Ich habe die Ehre zu sein

»Ew. königlichen Hoheit

»gehorsamster Diener und Unterthan

Cardinal Ruffo.«

Diesem Brief: war ein kleines Blättchen beigelegt, auf welches der Cardinal mit seiner feinsten Handschrift die nachfolgenden Worte geschrieben :

»Capitän Cesare der König kennt Ihre Hingebung und billigt dieselbe ebenso wie die Ihrer Gefährten. An dem Tage wo Sie sich mir anschließen, werden Sie auf Ihren Titel als Prinz verzichten, dagegen aber an meiner Seite den Rang eines Brigadiers einnehmen.

»Bis dahin aber bleiben Sie für Alle der Kronprinz, und Gott nehme Sie eben so in seinen Schutz, als ob Sie es wirklich wären.«

»Der Ueberbringer dieses Briefes weiß, obschon er unserer Sache vollkommen ergeben ist, nicht, was Sie ihm werden sagen wollen, und es scheint mir, besonders wenn Sie ihn nach Neapel zurückschicken, wichtig zu sein, daß er dahin mit dem Glauben zurückkehre, Sie seien wirklich der Herzog von Calabrien.«

Cesare las den Brief oder vielmehr die beiden Briefe mit der größten Aufmerksamkeit.

Dann überreichte er sie Boccheciampe, während Fra Pacifico, der den corsischen Abenteurer für den wirklichen Prinzen hielt, ehrerbietig und seine Befehle erwartend in einiger Entfernung stand.

»Ihr könnt wohl lesen, Freund?« fragte Boccheciampe, als er mit den beiden Briefen fertig war, und das der amtlichen Depesche beigefügte besondere Billet wieder an Cesare zurückgegeben hatte.

»Durch die Gnade Gottes, ja,« antwortete Fra Pacifico.

»Wohlan, da Seine Hoheit vor einem so hingebenden Diener, wie Ihr zu sein scheint, kein Geheimnis haben will und außerdem wünscht, daß Ihr den Werth welchen der Cardinal auf Euch legt, kennen lernt, so erlaubt er Euch, von diesem Briefe Kenntniß zu nehmen.«

Fra Pacifico empfing, sich bis auf die Erde verneigend, aus den Händen des vermeinten Herzogs von Sachsen den Brief, welchen er nun seinerseits las.

Hierauf verneigte er sich zum Zeichen des Dankes und gab den Brief demjenigen zurück, welchen er für den Prinzen hielt.

»Wohlan,« sagte dieser, »wir wollen den Instruktionen des Cardinals gemäß mit den wenigen Städten, welche ihre Pflicht vergessen haben, und der königlichen Gewalt Widerstand leisten, so schnell als möglich fertig zu werden suchen und uns dann, ebenfalls seinen Instructionen gemäß, unverweilt ihm zur Verfügung stellen.«

»Und mich, Monsignore,« sagte Fra Pacifico, indem er sich mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, welcher weiß, wie nützlich er sein kann, wenn man ihn auf angemessene Weise verwendet, zur ganzen Höhe seiner langen Gestalt aufrichtete, »womit werden Sie mich beschäftigen?«

Die beiden Abenteurer sahen einander an, richteten dann wieder die Augen auf Fra Pacifico, und der vorgebliche Herzog von Sachsen sagte:

»Wir bedürfen eines zuverlässigen und gewandten Boten, welcher uns nach Martina und nach Tarent vorangeht, diese beiden Städte auf unsere Ankunft vorbereitet und daselbst unsere Proclamationen verbreitet.«

»Hier bin ich,« sagte Fra Pacifico, indem er mit seinem Lorbeerknüppel auf den Boden stieß. »Ach-, wenn ich Giacobino hier hätte!«

Cesare und Boccheciampe wußten natürlich nicht, wer Giacobino war, und erfuhren daher auf Befragen von dem Mönch, daß es sein Esel sei, den er, als er sich nach Sicilien eingeschifft in Pizzo zurückgelassen.

Noch denselben Abend brach Pacifico nach Martina auf und nahm eine fast eben so schwere Ladung Proklamationen mit, als sein schmerzlich vermißter Giacobino zu tragen vermochte hätte.