Free

Königin Margot

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

III.
Ein königlicher Dichter

Der andere Tag und die darauf folgenden vergingen in Festen, Schauspielen und Turnieren. Dieselbe Vermischung unter den zwei Parteien dauerte fort. Es fanden Liebkosungen und zärtliche Freundschaftsbetheuerungen statt, daß auch der wüthendste Hugenotte den Kopf verlieren mußte. Man sah den Vater Cotton mit dem Baron von Courtaumer zu Mittag speisen und schweigen, den Herzog von Guise mit dem Prinzen von Condé eine Lustpartie auf der Seine machen. Der König schien sich von seiner gewöhnlichen Schwermuth geschieden zu haben und konnte seinen Schwager Heinrich nicht mehr entbehren. Die Königin Mutter endlich war so lustig und so mit Stickereien, Juwelen und Helmzierden beschäftigt, daß sie darüber den Schlaf verlor.

Etwas verweichlicht durch dieses neue Capua fingen die Hugenotten an, sich wieder in seidene Wämser zu kleiden, Devisen aufzustellen und vor gewissen Balcons zu paradiren, als ob sie Katholiken gewesen wären. Von allen Seiten bemerkte man eine Reaktion zu Gunsten der reformirten Religion, daß man hätte glauben sollen, der ganze Hof wolle protestantisch werden. Der Admiral selbst ließ sich, trotz seiner Erfahrung wie die Andern täuschen, und sein Kopf war so sehr eingenommen, daß er eines Abends zwei Stunden lang seinen Zahnstocher zu gebrauchen vergaß, eine Beschäftigung der er sich gewöhnlich von zwei Uhr Mittags, wo er sein Mittagsbrod endigte, bis acht Uhr Abends, d. h. bis zu dem Augenblick überließ, wo er sich zu Tische setzte, um zu Nacht zu speisen.

An dem Abend, an welchem der Admiral sich dieses unglaubliche Vergessen seiner Gewohnheiten zu Schulden kommen ließ, hatte Karl IX. Heinrich von Navarra und den Herzog von Guise zum Goûter2 eingeladen; als dieses vorüber war, ging er mit ihnen in sein Zimmer und erklärte ihnen den geistreichen Mechanismus einer Wolfsfalle, die er selbst erfunden hatte, als er plötzlich, sich selbst unterbrechend, fragte:

»Kommt der Herr Admiral diesen Abend nicht? wer hat ihn heute gesehen? wer kann mir Kunde von ihm geben?«

»Ich,« sagte der Herzog von Navarra, »falls Eure Majestät um seine Gesundheit besorgt wäre, könnte ich sie beruhigen, denn ich habe ihn diesen Morgen um sechs Uhr und diesen Abend um sieben Uhr gesehen.«

»Ah, ah!« sprach der König, dessen einen Moment zerstreute Augen mit durchdringender Neugierde auf einem Schwager ruhten, »Ihr steht für einen jungen Mann sehr frühe auf, Heinrich.«

»Ja, Sire,« antwortete der König von Bearn, »ich wollte mich bei dem Cardinal, der Alles weiß, erkundigen, ob einige Edelleute, die ich erwarte; noch nicht auf dem Wege wären.«

»Noch mehr Edelleute? Ihr hattet achthundert an Eurem Hochzeitsfeste, und jeden Tag kommen neue hinzu. Wollt Ihr uns denn überschwemmen?« sprach Karl lächelnd.

Der Herzog von Guise faltete die Stirne.

»Sire,« versetzte der Bearner,« man spricht von einem Unternehmen gegen Flandern, und ich sammle um mich her alle diejenigen meines Landes und der Umgegend, von welchen ich glaube, sie könnten Eurer Majestät nützlich sein.«

Der Herzog erinnerte sich des angeblichen Planes, von dem der Bearner mit Margarethe an ihrem Hochzeitstage gesprochen hatte, und horchte aufmerksam.

»Gut, gut,« antwortete der König, »je mehr Ihr habt, desto zufriedener sind wir. Bringt sie, bringt sie, Heinrich! Aber was für Edelleute sind es, tapfere, wie ich hoffe?«

»Ich weiß nicht, Sire, ob meine Edelleute je so viel werth sein werden, als die Eurer Maßstab die des Herzogs von Anjou oder die des Herrn von Guise. Aber ich kenne sie und weiß, daß sie ihr Möglichstes thun werden.«

»Erwartet Ihr noch viele?«

»Noch zehn bis zwölf.«

»Sie heißen?«

«Sire, ihre Namen entgehen mir, und mit Ausnahme von einem derselben, der mir von Téligny als ein vollkommener Edelmann empfohlen ist und de La Mole heißt, wüßte ich nicht zu sagen …«

»De La Mole? ist es nicht ein Lerac de La Mole?« versetzte der König, welcher in der genealogischen Wissenschaft sehr bewundert war. »Ein Provençal?«

»Ganz richtig, Sire. Ihr seht, ich rekrutiere sogar bis in die Provence.

»Und ich,« sprach der Herzog von Guise mit einem spöttischen Lächeln, »ich gehe noch weiter, als Seine Majestät der König von Navarra, denn ich hole selbst in Piemont alle sichere Katholiken, die ich finden kann.«

»Katholiken oder Hugenotten,« unterbrach ihn der König »mir liegt wenig daran, wenn sie nur tapfer sind.«

Um diese Worte zu sagen, welche in seinem Geiste Hugenotten und Katholiken vermischten, hatte der König eine so gleichgültige Miene angenommen, daß der Herzog von Guise darüber erstaunt war.

»Eure Majestät beschäftigt sich mit uns Flamändern,« sagte der Admiral, dem von dem König seit einigen Tagen die Gunst, unangemeldet einzutreten, bewilligt worden war, und der die letzten Worte Seiner Majestät bei seinem Eintritt gehört hatte.

»Ah, hier ist mein Vater, der Admiral,« rief Karl IX., die Arme öffnend. »Man spricht vom Krieg, von Edelleuten, von Tapferen, und er kommt. Wo der Magnet ist, dahin dreht sich das Eisen. Mein Schwager von Navarra und mein Vetter von Guise erwarten Verstärkungen für Eure Armee. Hiervon ist die Rede.«

»Und diese Verstärkungen kommen,« sagte der Admiral.

»Habt Ihr Nachricht, Herr?« fragte der Bearner.

»Ja, mein Sohn, und besonders von Herrn de La Mole; er war gestern in Orléans und wird morgen oder übermorgen in Paris sein.«

»Teufel, der Herr Admiral ist also ein Nekromant, daß er so weiß, was in einer Entfernung von dreißig bis vierzig Meilen vorgeht? Ich meinerseits möchte wohl mit derselben Sicherheit wissen, was vor Orléans geschehen wird oder geschehen ist.«

Coligny blieb unempfindlich für diesen blutigen Stich des Herzogs von Guise, welcher offenbar auf den Tod von Franz von Guise, seinem Vater, anspielte, der vor Orléans von Poltrot de Mèrè ermordet worden war, nicht ohne daß man den Admiral im Verdacht hatte, er habe zu dem Verbrechen gerathen.

«Mein Herr,« versetzte er kalt und würdevoll, ich bin Nekromant, so oft ich bestimmt wissen will, was von wesentlichem Interesse für meine Angelegenheiten oder für die des Königs ist. Mein Eilbote ist vor einer Stunde von Orléans angekommen und hat mit der Post zweiunddreißig Lieues in einem Tage zurückgelegt. Herr de La Mole, welcher mit seinem Pferde reist, macht nur zehn des Tags, und wird erst am vierundzwanzigsten ankommen. Das ist die ganze Magie.«

»Bravo, mein Vater, gut geantwortet,« sagte Karl IX. »Zeigt diesen jungen Leuten, daß zugleich die Weisheit und das Alter Eure Haupthaare und Euren Bart gebleicht haben. Wir wollen sie auch fortschicken, daß sie von ihren Turnieren und Liebschaften plaudern, und beisammen bleiben, um von unsern Kriegen zu sprechen. Geht, meine Herren, ich habe mit dem Admiral zu reden.«

Die zwei Jungen Männer entfernten sich; der König von Navarra zuerst und der Herzog von Guise hernach; vor der Thüre aber ging jeder nach einer kalten Verbeugung auf einer andern Seite ab.

Coligny Folgte ihnen mit den Augen, nicht ohne eine gewisse Unruhe, denn er sah nie diese zwei eingewurzelten Leidenschaften des Hasses sich nähern, ohne daß irgend ein neuer Blitz daraus hervordrang. Karl IX. begriff, was in seinem Innern vorging, trat auf ihn zu, legte seinen Arm auf den des Admirals und sprach:

»Seid ruhig, mein Vater, ich bin da, um Jeden im Gehorsam und in der Achtung zu erhalten. Ich bin in Wahrheit König, seitdem meine Mutter nicht mehr Königin ist, und sie ist nicht mehr Königin, seitdem Coligny mein Vater ist.«

»Ah, Sire,« sprach der Admiral, »die Königin Catharina …«

»Ist eine Händelstifterin, mit ihr ist kein Friede möglich. Diese italienischen Katholiken sind wüthende Menschen, die von nichts wissen wollen, als von Ausrottung. Ich im Gegentheil will nicht nur Frieden stiften, sondern auch denen von Eurer Religion Macht verleihen. Die Andern sind zu leichtsinnig, mein Vater, sie scandalisiren mich durch ihre Liebschaften und durch ihren ungeordneten Lebenswandel. Soll ich offen mit Dir sprechen?« fuhr Karl IX., seine Treuherzigkeit verdoppelnd, fort. »Ich mißtraue meiner ganzen Umgebung, mit Ausnahme meiner neuen Freunde. Der Ehrgeiz von Tavannes ist mir verdächtig. Vieilleville liebt nur den guten Wein, und wäre im Stande, seinen König um ein Faß Malvasier zu verrathen. Montmorency kümmert sich nur um die Jagd und bringt seine Zeit zwischen seinen Hunden und seinen Falken hin. Der Graf von Retz ist Spanier, die Guisen sind Lothringer. Gott soll mir vergeben, aber ich glaube, es gibt in Frankreich keine wahre Franzosen, außer mir, meinem Schwager von Navarra und Dir. Doch ich bin an den Thron gefesselt und kann die Heere nicht befehligen. Man läßt mich kaum nach meinem Wohlgefallen in Saint Germain und in Rambouillet jagen. Mein Schwager von Navarra ist zu jung und hat zu wenig Erfahrung. Ueberdies scheint er mir in allen Stücken seinem Vater Anton ähnlich, den die Weiber stets verdorben haben. Nur Du, mein Vater, Du bist zugleich tapfer, wie Julius Cäsar, und weise wie Plato. Auch weiß ich in der That nicht, was ich thun soll: Dich als Rath hier behalten oder Dich als General abschicken. Wenn Du mir räthst, wer wird befehligen? Wenn Du befehligst, wer wird mir rathen?«

»Sire,« antwortete Coligny, »man muß zuerst siegen, der Rath wird nach dem Siege kommen.«

»Das ist Deine Ansicht, mein Vater? Wohl, es sei. Es soll nach Deiner Meinung verfahren werden. Du wirst Montag nach Flandern, und ich werde nach Amboise abreisen.«

 

»Euere Majestät verläßt Paris?«

»Ja. Ich bin alles dieses Geräusches, aller dieser Feste müde. Ich bin kein Mann der Thätigkeit, ich bin ein Träumer. Ich war nicht geboren, um ein König, sondern um ein Dichter zu werden. Du bildest eine Art von Rath, welcher regieren wird, während Du im Felde bist, und wenn sich meine Mutter nicht darein mischt, wird Alles gut gehen. Ich habe bereits Ronsard eingeladen, mich dort zu besuchen, und dann werden wir Beide ferne vom Geräusche der Welt, fern von den Bösen, unter unsern großen Bäumen, am Ufer des Flusses, beim Gemurmel der Bäche von göttlichen Dingen sprechen… es ist dies die einzige Entschädigung, die es da es auf Erden für menschliche Dinge gibt. Doch halt, höre die Verse, durch welche ich ihn einlade, ich habe sie diesen Morgen gemacht.«

Coligny lächelte, Karl IX. fuhr mit seiner Hand über seine gelbe, elfenbeinglatte Stirne, und sprach mit einem gewissen, nach dem Takte abgemessenen, Gesange folgende Verse:

 
Ronsard, je connais bien que si tu ne me voies,
Tu oublies soudain de ton grand roi la voix;
Mais pour ton souvenir, pense que je n’oublie
Continuer toujours d’appendre en poésie,
Et pour ce j’ai voulu t’envoyer cet esprit.
 
 
Donc ne t’amuse plus aux soins de ton ménage,
Maintenant n’est plus temps de faire jardinage;
Il faut suivre ton roi, qui t’aime par sus tous,
Pour les vers, qui de toi coulent braves et doux,
Et crois, si tu ne viens me voir à Amboise,
Qu’entre nous adviendra un bien grand noise.3
 

»Bravo, Sire, bravo!« rief Coligny, »ich verstehe mich besser auf den Krieg, als auf die Dichtkunst, aber es scheint mir, diese Verse sind soviel werth, als die besten von Ronsard, Dorat, und selbst von Herrn Michel de l’Hospital, dem Kanzler von Frankreich.«

»Ah, mein Vater, wie sprichst Du so wahr, denn siehst Du, der Titel eines Dichters ist derjenige, nach welchem ich vor allen andern trachte.«

»Sire,« versetzte Coligny, »ich wußte wohl, daß Euere Majestät mit den Musen sich unterhielt; aber ich wußte nicht, daß sie ihren ersten Rath daraus machte.«

»Nach Dir, mein Vater, nach Dir, und damit ich nicht in meiner Verbindung mit ihnen gestört werde, will ich Dich an die Spitze aller Angelegenheiten stellen. Höre also: ich muß in diesem Augenblick ein neues Madrigal beantworten, das mir mein großer und lieber Dichter zugeschickt hat. Ich kann Dir also zu dieser Stunde nicht alle Papiere geben, welche erforderlich sind, um Dich über die große Frage, die uns, Philipp II. und mich, trennt, auf das Laufende zu setzen. Ueberdieß liegt eine Art von Feldzugsplan vor, den meine Minister gemacht haben. Ich werde Dir Alles suchen und morgen früh übergeben.«

»Um welche Stunde, Sire?«

»Um zehn Uhr. Und wenn ich zufällig mit Versen beschäftigt und in meinem Abeitscabinet eingeschlossen wäre, so würdest Du dennoch hier eintreten und alle Papiere, die Du auf dem Tische in diesem rothen Portefeuille verwahrt fändest, mitnehmen. Die Farbe des Portefeuille ist so ausfallend, daß Du Dich nicht täuschen kannst. Ich schreibe nun an Ronsard.«

»Gott befohlen, Sire.«

»Gott befohlen, mein Vater.«

»Eure Hand?«

»Was sagst Du, meine Hand? In meine Arme, an mein Herz, das ist Dein Platz. Oh, mein alter Krieger, komm!«

Und Karl IX. zog Coligny, der sich verbeugte, an sich und drückte seine Lippen auf die weißen Haare des Admirals.«

Der Admiral entfernte sich, eine Thräne trocknend.

Karl IX. folgte ihm mit den Augen, so lange er ihn sehen konnte, horchte, so lange er ihn hören konnte.

Dann, als er nichts mehr sah und nichts mehr hörte, ließ er sein bleiches Haupt, wie dies seine Gewohnheit war, auf seine Schulter fallen und ging langsam von dem Zimmer, in welchem er sich befand, in sein Waffencabinet.

Dieses Cabinet war der Lieblingsaufenthalt des Königs. Hier nahm er seine Fechtstunden bei Pompée, seine Lectionen in der Dichtkunst bei Ronsard. Es fanden sich hier die schönsten Vertheidigungs- und Angriffswaffen in großer Auswahl vereinigt. Alle Wände waren mit Streitäxten, Schilden, Piken, Hellebarden, Pistolen und Musketen tapeziert, und an demselben Tage hatte ihm ein berühmter Waffenschmied eine Büchse gebracht, auf welcher in Silber folgende vier Verse incrustirt waren, die der königliche Dichter selbst verfaßt hatte:

 
Pour maintenir la foy,
Je suis belle et fidèle;
Aux suis Aux ennemis du roy Je suis belle et cruelle.4
 

Karl IX. trat also, wie gesagt, in dieses Cabinet ein, und nachdem er die Hauptthüre verschlossen hatte, hob er eine Tapete empor, welche einen Gang markirte, der nach einem kleinen Gemache führte, wo eine Frau, vor einem Betpulte knieend, ihr Gebet verrichtete.

Da sich diese Bewegung langsam bewerkstelligt hatte und die Tritte des Königs, durch den Teppich gedämpft, nicht stärker schallten, als die eines Gespenstes, so hörte die knieende Frau nichts, wandte sich nicht um und fuhr fort zu beten. Karl blieb einen Augenblick in Gedanken versunken und anschauend stille stehen.

Es war eine Frau von vierunddreißig bis fünfunddreißig Jahren, deren kräftige Schönheit noch mehr durch die Tracht der Bäuerinnen aus der Gegend von Caux hervorgehoben wurde. Sie trug die hohe Haube, welche während der Regierung von Isabeau von Baiern am Hofe von Frankreich so sehr in der Mode gewesen war, und ihr rothes Mieder war ganz mit Gold gestickt, wie es gegenwärtig die Mieder der Landleute von Nettuno und Sora sind. Das Gemach, welches sie seit beinahe zwanzig Jahren bewohnte, stieß an das Schlafzimmer des Königs und bot ein seltsames Gemisch von Eleganz und bäuerlichem Aussehen. Der Palast hatte sich ungefähr in gleichen Theilen an der Hütte abgefärbt, wie die Hütte an dem Palaste, so daß dieses Gemach etwa die Mitte zwischen der Einfachheit der Dorfbewohnerin und dem Luxus der vornehmen Dame hielt. Der Betpult, an welchem sie kniete, war wirklich von vortrefflich geschnitztem Eichenholz und mit Sammet bedeckt, den man mit reichen goldenen Fransen besetzt hatte, während die Bibel, denn diese Frau gehörte der reformirten Religion an, während die Bibel, aus der sie ihre Gebete las, eines von den alten halb zerrissenen Büchern war, wie man sie in den ärmsten Häusern trifft.

Alles Uebrige war nach Maßgabe dieses Betpultes und dieser Bibel.

»He, Madelon!« sagte der König.

Die knieende Frau schaute bei dem Tone dieser vertrauten Stimme lächelnd empor und stand auf.

»Ah, Du bist es, mein Sohn,« sagte sie.

»Ja, Amme, komm hierher.«

Karl IX. ließ den Thürvorhang niederfallen und setzte sich auf den Arm eines Lehnstuhles.

Die Amme trat zu ihm.

»Was willst Du von mir, Charlot?« fragte sie.

Die Amme näherte sich ihm mit einer Vertraulichkeit, die von der mütterlichen Zärtlichkeit herrühren mochte, welche die Frau für das Kind faßt, das sie gestillt hat, der jedoch die Pamphlete jener Zeit eine unendlich weniger reine Quelle geben.

»Hier bin ich,« sagte sie, »sprich!«

»Ist der Mann, den ich habe rufen lassen, hier?«

»Seit einer halben Stunde.«

Karl stand auf, näherte sich dem Fenster, schaute, ob Niemand auf der Lauer wäre, trat an die Thüre, spitzte das Ohr, um sich zu versichern, daß Niemand horchte, schüttelte den Staub von seinen Waffentrophäen, liebkoste einen großen Windhund, der ihm Schritt für Schritt folgte, stehen blieb, wenn sein Herr stille stand, wieder ging, wenn sein Herr sich in Bewegung setzte, und sagte sodann, zu der Amme zurückkehrend:

»Es ist gut, Amme, laß ihn eintreten.«

Die gute Frau entfernte sich durch denselben Gang, durch den sie eingetreten war, während der König sich auf einen Tisch stützte, auf welchem Waffen aller Art lagen.

Kaum hatte er diese Stellung genommen, als der Thürvorhang sich abermals hob und der Erwartete eintrat.

Es war ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, mit grauem, schielendem Auge, mit einer nachteulenartig gebogenen Nase, mit hervorspringenden Backenknochen. Sein Gesicht suchte Ehrfurcht auszudrücken, lieferte aber nur ein heuchlerisches Lächeln auf seinen durch die Furcht gebleichten Lippen.

Karl streckte sachte hinter sich eine Hand aus, welche zu dem Kolben einer Pistole von neuer Erfindung gelangte, die mit Hilfe eines mit einem stählernen Rade in Berührung gebrachten Steines losging, statt daß man hier vorher eine Lunte gebraucht hätte, und schaute mit seinem matten Auge die neue Person an, welche wir so eben in die Scene gebracht haben. Während dieser Prüfung pfiff er mit merkwürdiger Richtigkeit und Melodie eines von seinen Lieblingsjagdliedern.

Nach einigen Secunden, in denen sich das Gesicht des Fremden immer mehr entfärbte, sagte der König zu ihm:

»Ihr seid es, den man Franz von Louviers-Maurevel nennt?«

»Ja, Sire.«

»Commandant der Petardirer?«

»Ja, Sire.«

»Ich wollte Euch sehen.«

Maurevel verbeugte sich.

»Ihr wißt,« fuhr Karl, auf jedes Wort einen besonderen Nachdruck legend, fort, »Ihr wißt, das ich alle meine Unterthanen gleichmäßig liebe.«

»Ich weiß,« stammelte Maurevel, »daß Eure Majestät der Vater seines Volkes ist.«

»Und daß Hugenotten und Katholiken gleichmäßig meine Kinder sind.«

Maurevel blieb stumm, nur wurde das Zittern, welches seinen Körper schüttelte, dem durchdringenden Blicke des Königs sichtbar, obgleich derjenige, zu welchem er sprach, beinahe im Schatten verborgen war.

Maurevel fiel auf die Kniee.

»Sire,« stammelte er, »glaubt mir …«

»Ich glaube,« fuhr Karl IX. fort, Maurevel immer fester mit einem Blicke anschauend, der, Anfangs glasig, nach und nach beinahe flammend wurde, »ich glaube, daß ihr in Moncontour große Lust hattet, den Herrn Admiral, der sich so eben von hier entfernt, zu tödten; ich glaube, daß ihr Euren Streich verfehltet und dann zum Heere des Herzogs von Anjou, unseres Bruders, überginget; ich glaube endlich, daß Ihr sodann zum zweiten Male zu dem Prinzen übergegangen seid und Dienste in der Compagnie von Herrn Mouy von Saint-Phale genommen habt.«

»Oh, Sire!«

»Ein braver picardischer Edelmann.«

»Sire, Sire!« rief Maurevel, »beugt mich nicht so sehr nieder.«

»Es war ein würdiger Offizier,« fuhr Karl IX. fort, und allmählich trat ein Ausdruck beinahe wilder Grausamkeit auf seinem Gesichte hervor, »ein braver Offizier, der Euch wie einen Sohn aufnahm, Euch Wohnung, Kleidung, Nahrung gab.«

Maurevel entschlüpfte ein Seufzer der Verzweiflung.

»Ihr nanntet ihn, glaube ich, Euren Vater,« sprach der König unbarmherzig, »und eine zarte Freundschaft verband Euch mit dem jungen Mouy, seinem Sohne.«

Immer noch aus den Knieen beugte sich Maurevel mehr und mehr unter der Macht des Wortes von Karl IX., welcher unempfindlich und einer Statue ähnlich, deren Lippen allein mit Leben begabt sind, aufrecht stand.

»Sprecht,« fuhr der König fort, »solltet Ihr nicht zehntausend Thaler von Herrn von Guise bekommen, wenn Ihr den Admiral tödten würdet?«

Ganz bestürzt schlug der Mörder mit der Stirne auf den Boden.

»Was den Herrn von Mouy, Euern guten Vater, betrifft so begleitetet Ihr ihn eines Tags, als er gegen Chevreux rekognoszierte. Er ließ seine Peitsche fallen und stieg ab, um sie aufzuheben. Ihr waret allein mit ihm, nahmet eine Pistole aus Euren Polstern, und während er sich blickte, drücktet Ihr auf ihn ab. Als Ihr saht, daß er todt war, denn Ihr tödtetet ihn mit dem Schusse, ergriffet Ihr die Flucht auf dem Pferde, das er Euch geschenkt hatte.«

 

Und als Maurevel bei dieser Anklage, die in allen einzelnen Umständen der Wahrheit entsprach, stumm blieb, fing Karl IX. wieder an, mit derselben Richtigkeit und demselben Wohlklang sein Lieblingsjagdlied zu pfeifen.

»He, Meister Mörder,« sprach er sodann, »wißt Ihr, daß ich große Lust habe, Euch hängen zu lassen?«

»Oh, Majestät!« rief Maurevel.

»Der junge Mouy hat mich noch darum gebeten, und ich wußte nicht, was ich ihm antworten sollte, denn in der That, seine Bitte ist sehr gerecht.«

Maurevel faltete die Hände.

»Um so gerechter, als ich, wie Ihr sagtet, der Vater des Volkes bin, und die Hugenotten nun, da ich mich mit denselben ausgesöhnt habe, eben so gut zu meinen Kindern gehören, als die Katholiken.«

»Sire,« sprach Maurevel völlig entmuthigt, »mein Leben ist in Euren Händen, macht damit, was Ihr wollt.«

»Ihr habt Recht, ich würde keinen Liar dafür geben.«

»Aber, Sire,« sagte der Mörder, »gibt es kein Mittel, mein Verbrechen abzukaufen?«

»Ich kenne keines. Wenn ich jedoch an Eurer Stelle wäre, was Gott sei Dank nicht der Fall ist …«

»Nun, Sire, wenn Ihr an meiner Stelle wäret,« antwortete Maurevel, dessen Blick an den Lippen von Karl hing.

»Ich glaube, ich würde mich aus der ganzen Geschichte zu ziehen wissen,« fuhr der König fort.

Maurevel erhob sich auf ein Knie und auf eine Hand und heftete seine Augen auf Karl, um sich zu versichern, daß er nicht spottete.

»Ich liebe allerdings den jungen Mouy ungemein,« fuhr der König fort, »aber ich liebe auch meinen Vetter von Guise gar sehr, und wenn er von mir das Leben eines Menschen forderte, dessen Tod ein Anderer verlangen würde, so wäre ich in großer Verlegenheit. In Betreff guter Politik wie guter Religion müßte ich thun, was mein Vetter von Guise von mir verlangen wurde, denn von Mouy erscheint, ein so muthiger Kapitän er auch ist, doch nur als ein kleiner Kamerad im Vergleich mit dem Prinzen von Lothringen.«

Während dieser Worte erhob sich Maurevel langsam und wie ein Mensch, der zum Leben zurückkehrt.

»Das Wichtige für Euch wäre also in der verzweiflungsvollen Lage, in welcher Ihr Euch befindet, daß Ihr die Gunst meines Vetters von Guise zu gewinnen suchen würdet, und in dieser Hinsicht erinnere ich mich einer Sache, die er mir gestern erzählte.«

Maurevel näherte sich einen Schritt.

»»Denkt Euch, Sire,«« sagte er zu mir, »»das jeden Morgen um zehn Uhr mein Todfeind, von dem Louvre zurückkehrend, durch die Straße Saint-Germain-l’Auxerrois kommt. Ich sehe ihn von einem Fenster des Erdgeschosses aus. Es ist das Fenster der Wohnung, meines ehemaligen Lehrers, des Canonicus Peter Pille. Ich sehe also jeden Morgen meinen Feind und bitte den Teufel, ihn in die Eingeweide der Erde hinabzuziehen.«« Sagt, Meister Maurevel, wenn Ihr der Teufel wäret, das würde meinem Vetter von Guise vielleicht Freude machen?«

Maurevel nahm sein höhnisches Lächeln wieder an und seinen von Schrecken bleichen Lippen entfielen die Worte:

»Sire, ich habe aber nicht die Gewalt, die Erde öffnen.«

»Ihr habt sie, wenn ich mich recht erinnere, dem Mouy geöffnet. Ihr werdet mir hernach sagen, daß es mit der Pistole geschah. Habt Ihr sie nicht mehr, diese Pistole?«

»Verzeiht, Sire,« versetzte der Räuber, »aber ich schieße beinahe noch besser mit der Büchse, als mit der Pistole.«

»Oh!« rief Karl IX., gleichviel, Pistole oder Büchse. Ich bin überzeugt, mein Vetter von Guise wird nicht sehr häkelig bei der Wahl des Mittels sein.«

»Aber ich müßte ein Gewehr haben,« versetzte Maurevel, »auf dessen Genauigkeit ich mich verlassen könnte, denn ich hätte vielleicht von ferne zu schießen.«

»Ich habe habe zehn Büchsen in diesem Gemache,« versetzte Karl IX., »mit denen ich einen Goldthaler auf hundertfünfzig Schritte treffe. Wollt Ihr eine versuchen?«

»Oh! Sire, mit dem größten Vergnügen,« rief Maurevel, auf die Büchse zuschreitend, welche in einer Ecke stand und an demselben Morgen Karl IX. gebracht worden war.

»Nicht diese,« sagte der König, »nicht diese, denn ich habe sie mir selbst vorbehalten. Ich werde in den nächsten Tagen eine große Jagd haben, wo sie mir hoffentlich von Nutzen ist. Aber Ihr könnt jede andere wählen.«

»Und der Feind, Sire, wer ist es?« fragte der Mörder.

»Weiß ich es?« antwortete der König, den Elenden mit seinem verächtlichen Blicke niederschmetternd.

»Ich werde also Herrn von Guise fragen,« stammelte Maurevel.

Der König zuckte die Achseln und erwiederte:

»Fragt nicht, Herr von Guise würde nicht antworten. Verantwortet man dergleichen Dinge? Es ist die Sache derjenigen, welche nicht gehängt werden wollen, sie zu errathen.«

»Aber woran soll ich ihn erkennen?«

»Ich habe Euch bereits gesagt, er käme jeden Morgen um zehn Uhr an dem Fenster des Canonicus vorüber.«

»Es gehen viele Leute vor diesem Fenster vorüber. Wollte Eure Majestät nur die Gnade haben, mir irgend ein Zeichen anzugeben.«

»Oh, das ist sehr leicht. Morgen zum Beispiel wird er ein Portefeuille von rothem Maroquin unter dem Arme haben.«

»Sire, es genügt.«

»Ihr habt immer noch das Pferd, das Euch Herr von Mouy geschenkt hat, und das so gut läuft?«

»Sire, ich habe ein vortreffliches Barberroß.«

»Oh! ich bin nicht bange um Euch; nur ist es gut, wenn Ihr wißt, daß das Kloster eine Hinterpforte hat.«

»Ich danke, Sire; betet zu Gott für mich.«

»Er, tausend Teufel, betet lieber zu dem Höllischen, denn ohne seinen Schutz könnt Ihr dem Strange nicht entgehen.«

»Gott befohlen, Sire.«

»Gott befohlen. Doch halt, Herr von Maurevel, Ihr wißt, daß es, wenn man aus irgend eine Art vor übermorgen um zehn Uhr von Euch sprechen hört, oder wenn man nachher nicht von Euch hört, im Louvre eine Oubliette5 gibt.«

Und Karl IX. fing wieder an, ruhig und richtiger als je seine Lieblingsmelodie zu pfeifen.

2heute: Nachmittagstee oder -kaffee, damals vielleicht: Vesperbrot
3Ich weiß es wohl, wenn mich Dein Aug nicht siehet,Daß das Gedächtniß Dir des großen Herrn entfliehet;Doch daß Du meiner denkst, vergiß es nie,Daß ich ein Treuer bin der schönen Poesie,Und darum send’ ich Dir dieß heitre Gedicht,Das die Begeisterung um Deine Verse flicht.Laß Dich den Haushalt, Ronsard, nimmer quälen,Dir möcht sonst die Mus’ in Anderem, als Gartenwesen fehlen,Dem König mußt Du folgen, der dich so herzlich liebt,Weil Du die Poesie so kühn, so zart geübt.In Amboise hoffe ich, daß mir Dein Antlitz lache,Wo nicht so schwör’ ich Dichter Dir die tiefste Rache.
4Um den Glauben aufrecht zu erhalten,bin ich schön und treu;gegen die Feinde des Königsbin ich schön und grausam.
5Ein mit einer Fallthüre versehenes unterirdisches Gefängniß für Leute, welche man in der Stille aus dem Wege räumen will, ähnlich dem, was man in Deutschland Jungfernkuß nannte.