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Read the book: «Isaak Laquedem», page 18

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Dritte Stunde

Während eines hieraus folgenden kurzen Stillschweigens hörte man den Wind durch das Blätterwerk der Oelbäume pfeifen. Dieser Wind schien beladen mit allen Arten von Klagen, Schreien und Verwünschungen; es war die Stimme der Dämonen, welche aus die der Engel antwortete.

Ein Trauerschleier schien sich über die Schöpfung ausgebreitet zu haben, seit Satan voll Hoffnung gelächelt hatte.

»Laß uns mit dem Anfang beginnen,« sprach der Versucher. »Wir sind in der Zukunft, im Jahre 336 Deines Kalenders. Arius hat sich 312 in Alexandria niedergelassen und hier eine neue ziemlich freche Lehre gepredigt. Zum Glück besteht noch die Freiheit der Erörterung. Die ersten Kirchenväter haben nach der Ansicht des heiligen Paulus entschieden, daß der Ketzer zuerst gewarnt und dann, wenn er in seinem Irrthume beharrt, aus der Kirche ausgeschieden, das heißt, aus der Gesellschaft der Christen ausgeschlossen werden soll. Der Kirchenbann ist noch die einzige gegen die Dissidenten ausgesprochene Strafe . . . Allerdings werden die Väter der Inquisition später, in Verlegenheit gebracht durch diese zu große Milde der Kirche gegen die Ketzer der ersten Jahrhunderte, im Namen des heiligen Geistes erklären, wenn sich die Orthodoxie Anfangs so duldsam gezeigt, so habe sie dies gethan, weil sie nicht die Stärkere gewesen; das Geständniß ist, wie Du siehst, naiv für Schüler des heiligen Dominicus! Doch man muß auch zugeben, daß dieser Arius ein großer Schuft ist, der zukünftigen Jahrhunderten ein Aergerniß bereiten wird . . . Weißt Du, – immer angenommen, wir leben im Jahre 336, – weißt Du, was dieser Arius von Dir sagt? Er bestreitet die Dreieinigkelt; er behauptet, Du seist nicht von Anfang an vorhanden gewesen; er sagt. Du seist nicht Eins mit Deinem Vater; er hat entdeckt. Du seist nur ein einfaches Geschöpf aus dem Nichts gezogen, nicht mehr, nicht weniger, als der arme Lazarus, der, seitdem Du ihn auferweckt hast, sich an allen Bäumen, an allen Steinen stößt weil er sich selbst nicht überzeugen kann, daß er wirklich lebt . . . Und das Schlimmste von Allem ist, daß es nur drei Stimmen brauchen würde, damit sich das Concilium von Nikäa für Arius und gegen Dich ausspräche! Schau aber, wie viel verlorene Mühe wäre es gewesen, hätten sich diese Stimmen, statt sich für die Einheit des Wesens der drei Personen der Gottheit, für die Nichteinheit ausgesprochen! Du wärest dann nicht mehr Gott; das ist ein erschrecklicher Gedanke! Stirb also für die Menschheit, damit man Dich nur mit einer Mehrheit von drei Stimmen zum Gotte ausruft! . . . Zum Glück wird dieser Arius, der sich von drei andern Concilien freisprechen läßt, – was, beiläufig gesagt, ein wenig die Entscheidung des ersten schwächt, – dieser Arius, dem es gelingt, sich aus der Verbannung durch Constantin zurückrufen zu lassen und sein Liebling zu werden, wird eines plötzlichen Todes in dem Augenblick sterben, wo der Kaiser Alexander, dem Patriarchen von Constantinopel, den Befehl gibt, ihn wieder in den Besitz seiner Priesterlichen Functionen zu setzen! Du kannst Dir übrigens wohl denken, daß ein Mensch, auf den die Welt ihre Augen gerichtet hat, nicht so ganz lebendig stirbt, ohne daß sein Tod großen Lärmen macht. Die Ketzer, welche seiner abscheulichen Lehre folgen, werden sagen, er sei vergiftet worden; die Rechtgläubigen, welche dem wahren Wege folgen, werden sagen, sein Tod sei ein von Gott dem Gebete des Bischof Alexander bewilligtes Wunder . . . Sprich doch, was für ein Bischof muß es sein, der in seinen Gebeten den Tod eines Feindes verlangt! Sprich doch, Christus, was für ein Gott muß es sein, der diesen Tod bewilligt! Du, Jesus, der Du behauptest, nur Eins mit diesem Gotte zu machen, hast Du nicht im Gegentheil ausgerufen: Ich will nicht den Tod des Sünders; ich will, daß er sich bekehre und lebe! Der Tod von Arius ist auch mehr wohlthätig als schlimm für die Arianer. Er ist nun Märtyrer: seine Lehre geht in Fleisch und Blut der großen barbarischen Racen über, sie fällt über Europa mit den Gothen, den Burgundern, den Vandalen und den Lombarden her; Deine mit einer Mehrheit von drei Stimmen auf dem Concilium von Nikäa anerkannte Gottheit, o Christus, wird von der Hälfte der neuen christlichen Welt geleugnet! Der Haß und die Eifersucht dieser wilden Horden verschanzen sich hinter Glaubensfragen wie hinter einem Schilde: die Menschen haben keine Gewissensbisse mehr, wenn sie einander tödten: sie tödten sich, die Einen, um zu beweisen, daß Du Gott bist, die Andern, um zu beweisen, daß Du es nicht bist . . . Das erste Wort Deines Mundes bei Deiner Ankunft auf der Erde ist doch gewesen, o Christus: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden! Ich weiß nicht, in welchem Zustande der Himmel um jene Zeit sein wird, o sanfter Jesus! Doch schau die Erde an, – ein Feld der Schlächterei! Aus den Arianern werden die Socinianer hervorgehen. Sieh hier die Flamme dieses Scheiterhaufens, welche die Mauern einer Stadt beleuchtet und sich in einem See wiederstrahlt: die Stadt ist Genf, der Scheiterhaufen ist der von Michael Servet.4«

Jesus stieß einen Seufzer aus und strich mit seiner Hand über seine Augen.

'! Eigentlich Miguel Eeroede, geboren in Arragonien.

»Ah! Du glaubst, wir seien am Ziele angekommen?« sagte Satan, der sich den Anschein gab, als täuschte er sich im Eindrucke von Jesus; »Du glaubst, wir haben acht bis zehn Jahrhunderte mit leeren Händen und geschlossenen Augen übersprungen? Ehe wir dahin gelangen, haben wir noch einige hübsche kleine Metzeleien einzuregistriren, wie Dein Freund Matthäus der Zöllner sagen würde. Durch die Religionskriege und die Umwälzungen der Kirche vertrieben, werden sich einige christliche Familien im zehnten Jahrhundert, wie wilde Blumen, in die abgelegensten Schlünde der Alpen verpflanzen; sie werden hier rein, einfach, unbekannt im Schutze ihrer Felsen leben, die sie für unzugänglich halten; ihre Seele wird stolz sein wie der Adler, der das Azur des Himmels durchschneidet; ihr Gewissen wird weiß sein wie der Schnee, der die Berge bekränzt, welche man den Monte Rosa, den Mont Viso nennt, und die die europäischen Brüder des Orebs und des Sinai sind. Das Israel der Alpen, das ist der Name, den sich selbst diese Kirche mit den strengen Sitten, mit dem Rocke ohne Naht geben wird; der Geist, die Gebräuche, der Ritus der ersten Christen werden in Wirklichkeit nur unter den Armen und Bettlern von Lyon, —denn so nennen sich die Waldenser selbst aus Demuth, – bewahrt werden. Das Evangelium wird ihr Gesetz sein; der Cultus, der diesem Gesetze entfließt, wird der einfachste von allen der Menschheit sein; er wird das Band einer brüderlichen Gemeinschaft sein, deren Mitglieder sich versammeln, um zu beten und zu lieben. Ihr Verbrechen denn man muß wohl einen Vorwand haben, wird sein, daß sie behaupten, Constantin habe dadurch, daß er die Päpste und die Kirche mit großen Reichthümern beschenkt, die christliche Gesellschaft verdorben, und sie werden sich stützen auf zwei Worte, welche aus Deinem Munde gekommen sind; einmal: Der Sohn des Menschen hat kein Haus, daß sein Haupt darin ruhe; zweitens: Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich Gottes komme. Es wird nun nicht mehr brauchen, um diesem Volke von Brüdern die strengen Ahndungen eines heiligen, so eben erst gegründeten Instituts zuzuziehen, das man die Inquisition nennen wird. Ihre Priester, Greise mit weißen Bärten, aus diesem Grunde die Barbä genannt, werden vergebens vorstellen, sie bezahlen, wie Du es zu thun ermahnt hast, getreu dem Kaiser den Zins; sie leben gewissenhaft zwischen dem Gebete und dem Almosen; der Erste der Beste sei ebenso Priester wie sie, —denn es wird eine von ihren Lehren sein, jeder Christ könne den Leib und das Blut Gottes machen, – die Inquisition wird die Hirten schlagen, und die Lämmer werden sich zerstreuen, doch man wird sie verfolgen bis in ihre Höhlen: Weiber, Kinder, Greise, Alles wird fallen unter dem Schwerte Deiner Diener, das heißt, der Diener von demjenigen, woher in einer Stunde zu Petrus sprechen wird: Stecke Dein Schwert in die Scheide, denn wer mit dem Schwerte tödtet, der soll mit dem Schwerte getödtet werden. Verfolgt, umstellt, werden sie zu den Bergen sagen: »O Berge, öffnet euch, um uns aufzunehmen!«« Doch in den finstern Flanken eben dieser Alpen werden sie die Hand des heiligen Offizes und das in der Schlächterei getränkte Schwert finden! Siehst Du dort jene zwei Blutlachen: die eine heißt Cabriéres und die andere Mérindol . . . Siehst Du jene schwarzen Flecken, welche sich wie Spuren vom Blitze an den blutigen Felsen hinziehen: nachdem es den Scheiterhaufen verzehrt, nachdem es die Menschen verschlungen, wird das Feuer den Granit angreifen . . . Zähle, wenn Du kannst, obgleich Du Gott bist, die Zahl der Opfer; ich habe es übernommen, die Märtyrer von Nero, von Domitian und von Commodus zu zählen, doch ich übernehme es nicht, die vom heiligen Dominicus, von Peter von Castelnau und von Torquemaoa zu zählen! Das Blutbad wird drei Jahrhunderte dauern, und wenn es aufhört, wird auch Dein Wort von der Erde verschwinden!«

Jesus wandte sich seufzend ab.

»Warte,« sprach der Engel des Bösen mit seinem unheimlichen Lächeln, ich bin mit den Waldensern noch nicht zu Ende: sie haben im Süden von Frankreich Brüder, die man Albigenser nennen wird, Brüder, weiche man mißhandeln wird wie sie, weil sie Deine Lehren mit denen von Manes haben verbinden wollen. Diese werden nicht nur Deine Gottheit leugnen, sondern sie werden auch Dein Fleisch leugnen; Dein Fleisch, welches soll werden zerrissen Fetzen um Fetzen unter den Ruthen der Soldaten, durchlöchert von den Nägeln, durchbohrt von der Lanze! Begreifst Du diese Menschen, für welche Du wirst gelitten haben, was Du leiden sollst, und die das Leiden leugnen werden, indem sie das Fleisch leugnen! Für sie bist Du nur ein Gespenst, ein Schatten ohne Körper, eine Erscheinung ohne Wirklichkeit; Du hast keine wahre Form im Schooße der Jungfrau Maria angenommen; Du hast geboren zu werden, zu leben und zu sterben geschienen, und nicht mehr. Was Erhabenstes in Dir ist, nämlich der Schmerz, sie werden ihn leugnen. Die Sacramente Deiner Kirche werden sie verwerfen als empfindbare Zeichen und folglich ohne Wirksamkeit; und das Seltsamste dabei ist, daß diese Anbeter der Wahrheit und des Geistes, wie sie sich selbst nennen, sich stützen werden aus folgende Worte Deines Evangeliums: Es kommt die Zeit, daß Ihr weder auf diesem Berge, noch zu Jerusalem werdet den Vater anbeten, sondern Ihr werdet den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit. Aus das Wort dieses Orakels werden sie also den äußeren Cultus verwerfen. Was brauchen sie übrigens die dramatischen Größen des römischen Tempels, diese Kinder von der Gascogue und der Provence, für welche der Himmel selbst der Ruhealtar Gottes ist kraft des Wortes, das Du unkluger Weise gesprochen: Schwöret nicht beim Himmel, denn das ist der Thron Gottes! O Jesus, Jesus, zur Rechten Deines Vaters, wo Du sitzen sollst, wirst Du noch nie von der Erde zum Himmel haben aufsteigen hören ein Concert von Klagen und Seufzern ähnlich dem, welches ausgehen wird von diesen herrlichen, lachenden Gegenden, wo die Schlösser so wohlbewacht, wo die Menschen so poetisch und die Frauen so schön waren! Es ist nicht allein eine Secte, was der finstere Kreuzzug im Blute der Albigenser ersäufen, unter den Trümmern ihrer Städte zermalmen wird: es ist eine Civilisation, eine Literatur, eine Sprache. Drei mächtige Städte: Béziers, Lavour, Carcassonne werden fallen in diesem Feuerwirbel, der den ganzen Süden von Frankreich durchlaufen wird, und darin zerschmelzen wie Metalle im Ofen, Hörst Du unter den Frauen, denen man den Leib aufgebrochen, unter den Kindern, die man von der Brust ihrer Mutter gerissen, und unter den Greisen, die man in ihren Häusern verbrannt hat, hörst Du einen von den Deinigen rufen, während er mit dem Cruzifix schlägt. – denn die schneidenden Warfen sind den geweihten Händen verboten, – hörst Du ihn rufen: »»Tödtet! tödtet immerhin! tödtet Rechtgläubige und Ketzer! Gott wird die Seinigen erkennen! . . .« Und Rechtgläubige und Ketzer, Alles wird fallen beim Schalle der Glocken, welche den Todeskampf von zweitausend Menschen läuten werden; dann, aus den noch rauchenden Trümmern und Leichen von Lavour, Carcassonne und Béziers, werden Deine Brüder anstimmen die Hymne: Veni, creator Spiritus! Wozu, o Christus, wird es Dich genützt haben, daß Du es Deinen Jüngern verwiesen, als sie das Feuer des Himmels aus jene Stadt von Samaria herabriefen, deren Einwohner Dich nicht aufnehmen wollten?«

Und es schien Jesus, als hörete er diese Klagen der Sterbenden, dieses Geschrei der Mütter, dieses Gerüche! der Greise, und als sähe er, unter dem Glockengeläute, diesen Brand, diese Trümmer!

Er wischte seine Stirne mit seinen beiden Händen ab und stieß einen Seufzer aus noch tiefer, noch trauriger, noch flehender als alle Seufzer, die er zu hören glaubte.

Die Woge der menschlichen Schmerzen stieg bis zu ihm empor aus die Stimme des Engels des Bösen und zog über seine Seele wie die Wellen einer finsteren Fluth.

Doch außer diesem Seufzer, außer diesem Schweiße gab es sich durch nichts kund, der göttliche Erlöser sei nahe daran, schwach zu werden.

Satan fuhr fort: »Warte, Jesus, es kommen nun die Templer. Diese werden in Deinem Namen bewaffnete Ritter sein; sie werden den Ungläubigen und den Winden der Wüste streitig machen Dein Grab, die Orte, wo Deine Wiege, wo die Trümmer des Tempels waren, den Du, wenn er zerstört wäre, in drei Tagen wieder auszubauen Dich erboten hast. Von ihrem beständigen Verkehre mit dem Orient, von ihren Reisen, von ihren Eroberungen wer, den sie die Ueberreste von alten Gottesdiensten zurückbringen und diese insgeheim mit Deiner Lehre vermischen; in Ceremonien, welche dunkel und unbekannt wie die Geheimnisse Aegyptens, werden sie ein Götzenbild mit symbolischen Zügen und dem siebenarmigen Leuchter, der beim Triumphe von Titus zur Schau gestellt werden wird, verehren. So heimlich auch das Gerücht von diesen Einweihungen sein mag, so wird es sich doch durch die Welt verbreiten; die Befürchtungen, welche die Tapferkeit der Templer selbst der Kirche einflößen wird, das Verlangen, sich ihrer ungeheuren Schätze zu bemächtigen, der Neid der religiösen Orden, die Eifersucht der militärischen Institutionen, Alles wird sich zu ihrem Untergange verschwören. Man wird keinen Beweis gegen sie haben, doch die Folter wird einen machen: sie werden gestehen, ihre Geständnisse zurücknehmen und auf dem Scheiterhaufen sterben. Dein Papst wird, von ihnen aufgefordert, vor Deinem Throne zu erscheinen, wirklich erscheinen . . . Wie wirst Du diesen sichtbaren Stellvertreter der Gottheit richten, Du, der Du gesagt hast: Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Höre, Jesus, diesen so tief traurigen Gesang, der von Böhmen zu uns kommt. Ein Mann wird geboren werden, genannt Johannes Huß, er wird mit bitteren Worten den Geiz der Kirchenleute angreifen, wie Du, Jesus. Deiner Zeit die Hoffart der Priester, der Pharisäer und der Schriftgelehrten verletzt hast, als Du ausriefst: Wehe Euch, die Ihr der Witwen Häuser fresset und wendet lange Gebete vor! Er wird waschen wollen mit seinem Blute die Flecken Deiner Kirche, wie Du mit dem Deinigen die Sünden der Menschheit waschen wolltest; er wird für die Ruhe seines Gewissens sterben müssen; es ist aber immer etwas Leichtes, so zu sterben! Deine Priester werden ihn einkerkern, richten, verbrennen, ihn und seinen Schüler Hieronymus von Prag; auf seinem Scheiterhaufen wird er Dich zum Zeugen nehmen, daß er um Deinetwillen stirbt, o Jesus, und um Deine Priester des Betrugs zu überweisen, wird er in dem Augenblick, wo die Flamme den Scheiterhaufen erreicht, den Himmel anschauen und in einer Art von prophetischen Vision demüthig und traurig ausrufen: »»Jetzt bratet Ihr die Gans, doch in hundert Jahren wird kommen ein schöner weißer Schwan, den werdet Ihr ungebraten lassen.«« Dieser schöne weiße Schwan wird Luther5 sein. Die arme Gans wird in der That in den Flammen sterben; doch der Wind wird zerstreuen die Asche des Scheiterhaufens, und aus dieser Asche wird der furchtbare Hussitenkrieg hervorgehen. – Uns den Kelch! ist das Feldgeschrei, und bei diesem Schrei bebt Böhmen, Die Priester hatten eine Hälfte von Dir selbst confiscirt: sie hatten den Kelch sich vorbehalten, und zwischen ihnen und dem Volke die Entfernung des Unendlichen gelassen; gegen dieses Vorrecht erhebt sich Böhmen und fordert das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Ah! das wird ein entsetzlicher Krieg sein, und wenn er Dich, Du Lamm des Herrn, betrübt, so wird er den Gott der Waffen, den siegenden Gott, den triumphirenden Gott erfreuen. Calixtiner und Taboriten werden Anfangs unter demselben Banner streiten: Böhmen, Deutschland und Italien werden vor ihnen erzittern; nach Wundern von Kühnheit, Glauben und Hingebung für ihre Sache werden sie, decimirt, erdrückt, verrathen, die letzten Trümmer ihres Heeres in einer Scheune lassen, welche man in Brand stecken wird, damit nicht Einer von diesen Ketzern entkomme, und es wird auch Keiner entkommen! Was denkst Du vom Tode dieser Menschen, welche aus die Befehle des römischen Papstes erwürgt werden, weil sie das Abendmahl unter zweierlei Gestalt nehmen wollten, o Christus, Du, der Du Deine Jünger vor Zwei Stunden, als Du ihnen das Brod und den Wein reichtest, gelehrt hast: »»Nehmet, das ist mein Leib; nehmet, das ist mein Blut; esset und trinket Alle davon!«« . . . Ah! Du schauerst! ah! Du zitterst Jesus! Dein Schweiß verdoppelt sich und wird ein Blutschweiß . . . Schau Deine Hände an, sie sind roth wie die Deiner Priester, Deiner Bischöfe und Deiner Päpste! Oh! wie schön sind diese Hände, und wie ergötzen sie das Auge eines Dämons!«

»Ja.« sprach Jesus, »doch dieses Blut ist mein Blut: es fließet, nicht über meine Leiden, sondern über die Leiden der Menschheit; und mein Vater, der es stießen sieht, gibt mir die Kraft, ihm zu sagen: »»Betrachte nicht meine Schmerzen, o mein Vater, und diese Schmerzen sollen Deine Barmherzigkeit nicht aufhalten auf dem Wege, den sie sich vorgezeichnet hat.««

»Amen!« rief Satan. »Fahren wir fort. Hundert Jahre nach dem Tode der wird der Schwan, von dem Huß gesprochen, wirklich geboren werden und singen. Er wird sich entrüsten über den Ablaßhandel, den Deine Päpste in der Kirche eingeführt haben; er wird das Kriegsgeschrei gegen Rom erheben; aus dieses Geschrei werden die Gewissen antworten . . . Die Racen des Nordens werden davon träumen, daß sie noch einmal ihren Haß gegen die ewige Stadt sättigen und den Vatican nehmen, wie sie das Capitol genommen haben; das geistliche Oberhaupt dieser zweiten Invasion von Barbaren wird ein Mönch sein mit einem durch das Fasten abgemagerten Gesichte, mit einem durch den Zweifel angegriffenen Auge, mit einer durch die Nachtwachen erbleichten Stirne. Die Ketzerei wird die Ketzerei erzeugen: im Schooße der Redefreiheit werden die Secten aus den Secten wachsen; dann werden hunderttausend Bauern, angeführt von Thomas Münzer, einem Deiner Priester, mit ihren Knochen die Ebenen Frankens weiß färben. Auf! muthig! vorwärts, Christen gegen Christen! Reformirte gegen Reformirte! Ketzer gegen Ketzer! Das wird die Vertilgung sein, die Dein geliebter Schüler, der heilige Johannes, in der Apokalypse weissagen wird, – diese Todesvision, welche nicht einmal im Traume den Schatten der blutigen Wirklichkeit erschauen zu lassen vermag! Nach den von Thomas Münzer geführten Bauern werden die Wiedertäufer unter Anführung von Johann Bockold oder Johann von Leyden, wie Du ihn nennen willst, kommen. Der ehemalige Schneider und Schenkwirth, o Christus, wird in Deinem Namen die Aufführung von Salomo und David erneuern; wie sie, wird er König sein; wie sie, wird er Buhlerinnen und Mahle haben, welche vom Abend bis zum Morgen, von einem Tage zum andern dauern; ein Sardanapal des Occident wird er sagen: »»Das Vergnügen ist Gott!«« Dann endlich wird er festgenommen, geschunden, in einem eisernen Käfig verbrannt werden; seine Stadt Münster werden die Hungersnoth und das Schwert heimsuchen; seine Parteigänger werden zerstreut, erwürgt, gehenkt, gerädert, geviertheilt werden! Diese werden sich wenigstens nicht beklagen können: sie haben das Leben genossen und den Becher getrunken, bis sie ihn nach Deinem Versprechen im Reiche Deines Vaters trinken. – Doch die unglücklichen mährischen Brüder! Für sie ist es eine Sünde, so wahr ich Satan bin, für sie, welche keine andere Genüsse auf Erden haben werden als die Kasteiung und das härene Hemd! sie, welche gemeinschaftlich leben, beten und arbeiten werden wie die Christen der ersten Zeit! Und dennoch wird man sie nicht weniger unter den anderen Christen verabscheuen: man wird sie behandeln als öffentliche Feinde, und man wird sie richten, verurtheilen, aus dem Lande jagen und vertilgen. Die Reformation wird selbst keine Gnade vor den Augen von denjenigen finden, die über die Gewissen regieren; was will denn aber auch diese verdammte Reformation, welche: Jesus! Jesus! rufend fortschreitet? Ah! sie will die Messe, von der Du nicht ein Wort gesagt, durch das gemeinschaftliche Abendmahl, das Du gestiftet, ersetzen; sie will zur Ehre der Urkirche die Priesterehe wiederherstellen. Komm, Reformation! komm! Jesus will dich sehen mit allen deinen Kindern: Lutheranern, Hugenotten, Calvinisten, Protestanten! Tretet aus die Seite, ihr Mauern! öffnet euch, ihr Berge! sinket nieder, ihr Wellen des Meeres, damit der Erlöser der Welt einen Blick nach dem Westen werfen kann! Was ist das, warum so viel Blut, Feuer, Rauch? Warum alle diese Galgen, alle diese Schaffote, alle diese Scheiterhaufen, alle diese Trümmer, alle diese Schädelstätten? . . . Ah! Golgatha verlängert sich, entrollt sich, dehnt sich aus; es bedeckt Europa von den Quellen der Oder bis zum britischen Meere, von der Bucht von Galway bis zur Mündung des Tajo . . . Das ist das, was man den vierzigjährigen Krieg nennen wird; er wird beginnen mit der Plünderung der Kathedrale von Antwerpen und endigen mit dem Falle des Hauptes von Karl I, Schau, dort ist England, das brennt: es ist die blutige Maria, die es in Brand steckt; sieh, dort ist Spanien, das flammt: es ist Philipp II., der es enzündet! Ah! Ihr seid sehr würdig, mit einander durch das heilige Sacrament der Ehe verbunden zu werden, Tigerin des Norden und Dämon des Süden. . . . Feuer! Schottland brennt! Feuer! Irland brennt! Feuer! Böhmen, Flandern, Ungarn, Westphalen brennen! Feuer! Frankreich brennt auch! Es lebe der heilige Bartholomäus, Dein Apostel; ich hoffe, daß König Karl IX. ihm ein schönes Fest bereitet! Siehst Du diesen frommen Monarchen auf dem Balcon seines Palastes, eine Büchse in der Hand, Hugenotten, Calvinisten, Lutheraner jagend? Eine schöne Dreieinigkeit von Königen, bei meinem Dämonsworte! Jeder wird sich nach seiner Lust baden und seinen Durst stillen: Maria Tudor hat Blut bis an die Kniee, Philipp II. bis an den Gürtel, Karl IX. bis über den Kopf . . . Wird für Ludwig XIV, noch etwas übrig bleiben? Kaum!«

Und als Jesus seufzend sein Gesicht in seinen Händen verbarg, trat Satan rasch auf ihn zu, schob heftig die Hände von Christus aus einander, und tief:

»So schau' doch!«

Christus schaute, konnte aber nichts sehen, denn er war geblendet durch einen Blutschweiß. Da verließen ihn seine Kräfte, und er fiel mit dem Gesichte auf die Erde und sprach:

»Mein Gott und Herr! nimm mein Leben bis zum letzten Schlage, meinen Athem bis zum letzten Hauche, mein Blut bis auf den letzten Tropfen; verdopple, verzehnfache, verhundertfache meine Qualen! aber es geschehe Dein heiliger Wille und nicht der meines höllischen Versuchers.«

Satan stieß einen entsetzlichen Schrei aus und sprang aus der Grotte, die sich allmälig mit einem himmlischen Lichte erleuchtete, während die Engel also sangen:

»Sie ist abgelaufen die dritte Stunde der Bangigkeiten, die dritte Stunde der Prüfungen, die dritte Stunde der Leiden, die dem Weltall den Frieden geben sollen! Ehre sei Jesus auf Erden! Ehre sei dem Herrn im Himmel!«

Zum zweiten Male war Satan besiegt.

.   .   .   .   .   .   .   .   .  .   .   .   .   .   .   .   .   .

4.Eigentlich Miguel Servede, geboren in Arragonien.
5.Huß böhmisch s. v. w. Ganz, Luther böhmisch s. v. w. Schwaan.
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Release date on Litres:
06 December 2019
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340 p. 1 illustration
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