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Read the book: «Isaak Laquedem», page 16

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»Jesus! Jesus! mein Kind!« rief die Jungfrau, indem sie aus die Kniee sank und ihren göttlichen Sohn in ihren Armen preßte.

»Ja, ich weiß es,« sprach Jesus mit einer tiefen Wehmuth, »man wird Dich nennen die Mutter der Bitterkeit.«

»Aber bist Du denn so sicher, daß die Stunde, uns zu verlassen, nahe ist?« fragte die Jungfrau.

»Gestern im Rathe von Caiphas hat man beschlossen, mich festzunehmen.«

»Und Niemand unter allen diesen Priestern, unter allen diesen Obersten, unter allen diesen Menschen hat Dich verteidigt? Sie wissen also nicht, daß Du eine Mutter hast, oder sie haben keinen Sohn?«

»Doch, meine Mutter, zwei Gerechte haben für mich gesprochen: Nicodemus und Joseph von Arimathia.«

»Ah! der Herr sei mit ihnen in der Stunde ihres Todes.«

»Er wird es sein, meine Mutter.«

»Aber man weiß nicht, wo Du bist; die Häscher werden Dich vielleicht nicht finden.«

»Ein Mensch hat es übernommen, sie zu führen, wo ich sein werde, und mich zu liefern in ihre Hände.«

»Ein Mensch! . . .Und was hast Du ihm zu Leide gethan?«

»Ich habe ihm nichts zu Leide gethan, meine Mutter.«

»Das ist ein Götzendiener aus Samaria, oder ein Heide von Tyrus.«

»Es ist einer von meinen Jüngern.«

Die Jungfrau stieß einen Schrei aus.

»Oh! der Wahnsinnige!« rief sie; »oh! der Undankbare! oh! der Schändliche!«

»Sage, der Unglückliche, meine Mutter.«

»Und was konnte ihn zu diesem Verbrechen antreiben?«

»Die Eifersucht und der Ehrgeiz. Er ist eifersüchtig auf Johannes und Petrus; er glaubt, ich liebe sie mehr als ihn, als ob der, welcher sterben soll für die Menschen, sie nicht Alle gleich liebte! Er glaubt, ich trachte nach einem irdischen Reiche, und er fürchtet, ich mache ihm in diesem Reiche einen Theil unter den Andern.«

»Und wann ist ihm dieser unselige Gedanke, Dich zu verrathen, gekommen?«

»An jenem Abend in Bethania,« sprach Jesus, »als Magdalena Narde auf meine Füße goß und das Gefäß zerbrach, das sie enthielt, um auch den letzten Tropfen davon auf meinem Haupte zu verbreiten.«

»Das ist Judas!« rief Maria.

Jesus schwieg.

»Oh!« fuhr die Jungfrau fort, »daß Gott. . .«

Doch Jesus legte ihr die Hand auf den Mund, um sie zu verhindern, ihren Fluch zu vollenden.

»Meine Mütter,« sprach er, »verfluche nicht; Dein Fluch wäre zu mächtig! Einmal vergessend, daß ich der Sohn Gottes war, verfluchte ich einen Feigenbaum, auf dem ich keine Früchte fand, und der Feigenbaum ist verdorrt bis in seine Wurzel . . . Meine Mutter, verfluche Judas nicht!«

Jesus hob seine Hand auf.

»Gott vergebe ihm!« murmelte die Jungfrau, doch mit einer so schwachen Stimme, daß sie Gott allein hörte.

Jesus machte eine Bewegung, um zu seinen Schülern zurückzukehren.

»Oh! noch nicht, verlasse mich noch nicht,« sagte die Jungfrau.

»Meine Mutter,« sprach Jesus, »ich verlasse Dich nicht; denn trotz dieser Mauern werde ich machen, daß Du mich siehst, Trotz der Entfernung werde ich machen, daß Du mich hörst«

Und auf der Stelle, damit seine Mutter nicht zweifle, machte er die Mauern durchsichtig und hob die Entfernung aus, so daß die Jungfrau konnte die Apostel das Mahl bereiten sehen, und daß sie hören konnte, was sie sprachen.

Doch die Jungfrau schaute zu Jesus empor und murmelte:

»Noch einen Augenblick, mein geliebter Sohn, Deine Mutter bittet Dich darum.«

Jesus hob die Jungfrau aus und drückte mit seinen beiden Händen ihren Kopf an seine Brust.

Während dieser Zeit hörte man eine göttliche Harmonie, und als ob sich der Himmel geöffnet hätte, sangen über dem Haupte von Maria engelische Stimmen im Chor.

Bei den Klängen dieser göttlichen Musik, beim harmonischen Tönen dieser Stimmen erhob Maria langsam das Haupt, tauchte den Blick in den Glanz des Firmaments, und ihr Antlitz war einleuchtet von den Strahlen der ewigen Herrlichkeit, die sie erschaut.

Dann seufzte sie und sprach:

»Oh! wie schön ist der Himmel mit seinen Engeln, aber wie gut ist man aus der Erde mit seinem Kinde!«

»Meine Mutter,« erwiederte Jesus, »nicht allein aus der Erde wirst Du wohnen mit Deinem Kinde während kurzer Jahre, Du sollst den Himmel haben mit Deinem Sohne die Ewigkeit hindurch. Indem ich die Menschen erlöse, tödte ich den Tod; doch um wider den Tod zu streiten, um ihn zu besiegen, um ihn zu tödten, muß ich in sein Reich hinabsteigen. In der Tiefe des Grabes werde ich kämpfen mit diesem König der Schrecknisse; vom Abgrunde werde ich siegend zum Himmel aussteigen. Dann, meine Mutter wird der Tod immer sein, doch die Vernichtung wird nicht mehr sein; dann wird Niemand wissen die Zahl der Seelen, die ich erlöset habe; Niemand wird zählen können die Geschlechter, welche aus meine Stimme aus dem Staube des Grabes hervorkommen werden, um in das ewige Leben einzugehen!«

»Also sei es!»sprach die Jungfrau seufzend.

Und um Jesus so spät als möglich zu verlassen, ging sie, immer den Kopf an seine Brust angelehnt, mit ihm.

Doch nach einigen Schritten blieben Beide stehen: der Leib einer ohnmächtigen Frau versperrte ihnen den Weg.

Es war Magdalena. Magdalena war an dem Orte geblieben, wo Jesus sie hatte heißen stille stehen; von da hatte sie aber gehört, daß Jesus sterben sollte, und bei dieser Kunde war sie in Ohnmacht gefallen.

»Meine Mutter,« sprach Jesus, »ich lasse Dich minder unglücklich zurück; Du hast Jemand zu trösten.«

Achtes Kapitel.
Das ist mein Leib – Das ist mein Blut

Jesus kehrte in den Speisesaal zurück. – Judas war gekommen.

Christus heftete seinen Blick auf das finstere Auge des Verräthers; dann sprach er zu den Aposteln:

»Das Osterlamm ist bereit, das Opfer kann beginnen.«

Jesus setzte sich mitten unter die Apostel. Zu seiner Rechten hatte er Johannes, seinen geliebten Jünger, Johannes, den Mann mit dem reinen Herzen, mit dem lieblichen Lächeln, mit dem beredten Worte, Johannes, den der Messias, – wie seinen Bruder Jacobus, – Barnerges, das heißt, Sohn des Donners, nannte.

Statt aller anderen Gerichte, war auf der Tafel nur das Lamm, das die Mitte einnahm, rechts eine Schüssel voll bittere Kräuter, eine Anspielung auf die Bitterkeit der Speise, welche die Hebräer im Lande der Verbannung zu sich genommen, und links eine Schüssel voll süße Kräuter, eine Anspielung auf die Speise, welche der Boden des Vaterlandes erzeugt.

Heli bediente.

Ehe er sich setzte, sprach Jesus laut das Gebet, das er selbst auf dem Berge gelehrt hatte: »Unser Vater, der Du bist im Himmel . . .«

Dann beim Worte: »Amen!« schaute er nach der Stelle, wo er die Jungfrau im Garten gelassen hatte, und so wie sie ihn sehen konnte, sah er sie auf der Bank sitzen, zu der er sie geführt.

Magdalena lag zu ihren Füßen und verbarg ihren Kopf in den Gewändern der Jungfrau.

Maria, als sie sah, daß er sie anschaute, streckte die Arme gegen ihren Sohn aus.

Jesus flüsterte:

»Ich denke an Dich, meine Mutter, und sogleich werde ich mit Dir, wenn nicht mit dem Körper, doch wenigstens im Geiste das Abendmahl nehmen.«

Die Jungfrau lächelte traurig und ließ ihre beiden Hände auf die Haare von Magdalena fallen, welche schluchzte, daß sich ihr Kopf und ihre Schultern zuckend hoben.

Während dieser Zeit zerschnitt Heli das Lamm und stellte vor Jesus einen Becher Wein, und zwischen die Apostel sechs weitere Becher; ein einziger Kelch, ein Symbol der Brüderschaft, sollte für zwei Apostel genügen.

Jesus segnete den Wein, der im Becher war, und berührte ihn mit dem Ende der Lippen; dann sprach er mit einer tiefen Traurigkeit:

»Meine lieben Freunde, erinnert Euch der Worte des Propheten: »»Mein Diener wird groß werden vor Gott, wie ein Reis, das aus einem dürren Erdreiche hervorkommt; wir haben ihn gesehen, und da er uns erschienen ist ohne Herrlichkeit und unter einer gemeinen Gestalt, so haben wir ihn verkannt.

»»Er war der Allerverachtetste, Unwertheste, ein Mensch voller Schmerzen; er nahm unser Siechthum auf sich, wir aber hielten ihn für einen Aussätzigen, für einen von Gott Geschlagenen.

»»Und er ist doch um unseretwillen verwundet und um unserer Sünden willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

»»Wir gingen Alle in der Irre wie Schafe, Jeglicher sah auf seinen Weg, doch der Herr warf unser Aller Sünden auf ihn.

»»Er ist als Opfer gebracht worden, weil er es gewollt, und er that seinen Mund nicht auf, um zu klagen; er wird zum Tode geführt werden wie ein Lamm zur Schlachtbank, und wird stumm sein wie ein Schaf vor seinem Scheerer.

»»Er ist gestorben unter Schmerzen, da er von den Juden verurtheilt ward; er hat nie die Lüge gekannt, und dennoch habe ich ihn aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, denn wegen der Missethat meines Volkes ist er zerschlagen worden.««

»Dies sagte Jesaias vor achthundert Jahren, meine Geliebten, und indem er diese Worte sprach, dachte er an mich; es war meine Marter, die er sah; es war mein Tod, den er prophezeite. Wahrlich ich sage Euch, alles menschliche Elend wird sich anhäufen auf meinem Haupte; sehen sie mich traurig und leidend vorübergehen, so werden die Menschen die Augen abwenden; sie werden glauben, ich beuge mich unter der Last meiner Missethat; sie werden glauben, es seien die Gewissensbisse, die mich quälen; ich, ich werde ihnen ihren Irrthum nicht nehmen können; doch Ihr, rufet der Weil zu: »»Menschen, erkennet Euren Irrthum; leidet der Messias, seufzt er, krümmt er sich unter der Hand der Verfluchung, unter der Geißel der Soldaten, unter dem Eisen der Henker, so ist die Menschheit der Schuldige! Der Verworfene ist das ganze Menschengeschlecht! Er ist gerichtet, er ist verurtheilt, er ist im Todeskampfe, doch er stirbt, ohne sich zu beklagen. Kaum wird er einen letzten Schrei von sich geben, wie jenes arme Lamm, dessen Bild er ist; doch gedenket dessen, was ich Euch sage: Diese Wunden, die Euch schauern machen, in Eurem Namen hat er sie erhalten, und vergesset nicht, daß jeder Blutstropfen, den er vergießt, eine Feder beifüget den Flügeln des Engels der Erlösung, und daß sein Blut so Tropfen für Tropfen, fließen wird, bis diese wohlthätigen Flügel breit genug sind, um die ganze Schöpfung zu beschirmen!««

»Oh! Jesus! oh! Herr!« rief Johannes, indem er seinen Kopf aus die Brust Christi fallen ließ.

»Es ist gekommen der Tag, meine Lieben, wo wir uns trennen müssen! Fortan werdet Ihr ohne mich speisen das Lamm, das aus den Wiesen von Saron springt; fortan werdet Ihr ohne mich trinken den Wein, der aus den Keltern von Engeddi fließt; folget aber dem Wege, den ich Euch zeige; im Hause meines Vaters, im Thale des ewigen Friedens, gibt es süße Wohnungen für alle meine Freunde, Wohnungen, wo wir das Fest der allgemeinen Erlösung feiern werden; ein Fest, das kein Trennungsgedanke trüben wird.«

Und da Johannes und Thaddäus weinten, sprach Christus:

»Weinet nicht, unsere Trennung wird kurz sein und unsere Wiedervereinigung wird ewig währen.«

Wenn wir aber nicht weinen sollen, Herr,« versetzte Thomas, »warum weinst Du selbst?«

Schwere Thränen flossen' in der That still über die Wangen von Jesus.

»Ich weine nicht beim Gedanken an unsere Trennung,« erwiederte Jesus, »sondern weil ich daran denke, daß Einer von Euch mich verrathen wird.«

Da erhob sich Johannes; da schleuderten die Augen von Thaddäus einen Blitz durch die Thränen; da riefen alle Jünger, mit Ausnahme von Judas, einstimmig:

»Bin ich es, Meister?«

»Es ist Einer von Euch,« antwortete Jesus.

»Allerdings ist dieser Verrath geweissagt von den Propheten; doch wehe dem Jünger, der den Meister verrathen wird!«

Judas wurde todesbleich; da er aber einsah, daß, wenn er allein nicht fragte, seine Gefährten vielleicht Verdacht gegen ihn schöpfen würden, raffte er seinen ganzen Muth zusammen und fragte mit bebender Stimme:

»Ist es Judas, der verrathen soll?«

»Judas, antwortete Jesus, »erinnere Dich dessen, was ich Dir gesagt habe, als wir Beide noch Kinder waren, und Du mir einen Faustschlag gabst an die rechte Seite. Die rechte Seite hat aber eine große und geheimnißvolle Bedeutung; auf der rechten Seite von Adam wurde Eva genommen; auf der Rechten von Isaac wurde Jacob gesegnet; zur Rechten meines Vaters werde ich mich setzen; meine rechte Seite wird durch eine Lanze geöffnet werden; an meine Rechte, Judas, hatte ich Dich für dieses letzte Mahl gesetzt, denn ich verzweifle an keinem Menschen, und wäre es ein Dieb, ein Mörder, so lange ich ihn mit der rechten Hand berühren kann,« fügte Jesus hinzu.

Und er schaute Judas mit einem unendlichen Erbarmen an, als hätte er gehofft, bei diesen sanften Worten werde Judas bereuen, vor ihm auf die Kniee fallen und sein Verbrechen gestehen.

Doch statt sich einer ersten Bewegung der Reue hinzugeben, wandte Judas den Kopf ab und sprach:

»Wie kann der Meister wissen, welcher derjenige ist, der ihn verräth? Es muß also derjenige, welcher ihn verräth, selbst verrathen worden sein.«

»Judas,« sprach Jesus, »jeder Mensch hat seinen Schutzengel, der, abgesandt vom Herrn zur Wiege des Kindes, ihn durch das Leben begleitet, wenn nicht eine große Missethat diesen Engel erschreckt und macht, daß er wieder zum Himmel aufsteigt. Ich habe aber gesehen einen Engel meines Vaters, der mit den Händen auf den Augen und mit ausgebreiteten Flügeln vorüberzog; ich habe ihm gerufen und zu ihm gesagt, Sohn des Feuerhimmels, Bruder der Sterne, welche Missethat ist denn begangen worden auf der Erde?«« Und er hat mir geantwortet: »»Herr, einer von Deinen Jüngern, einer von denen, die Du hast gelehret durch Dein Wort und Dein Beispiel, hat Dich verrathen aus Neid, hat Dich verkauft aus Habgier. Er hat vom Hohenpriester Laiphas dreißig Silberlinge bekommen, um Dich zu überliefern . . . Ich bin nicht mehr sein Schutzengel, nur wird er mich am Tage des jüngsten Gerichts, die Hand über die ewige Nacht ausstreckend, bei sich wieder finden, und meine Stimme mit der Starke des Donners bewaffnend, werde ich zu ihm sagen: »»Im Namen desjenigen, welcher sein Blut am Kreuze vergossen, hast Du Dich unwürdig gemacht, zu schauen den Sohn des Menschen in seiner ganzen Herrlichkeit. Ich überlasse Dich dem Abgrunde der Verdammniß?««

Das hat mir der Engel geantwortet, Judas; so habe ich erfahren, daß einer von meinen Jüngern mich verrieth.«

»Hat er Dir den Namen des Verräthers genannt?« fragte Judas.

»Er hat ihn mir genannt,« antwortete Jesus.

»Nenne den Verräther, o Herr! Nenne den Verräther!« riefen gleichzeitig alle Apostel.

»O Herr,« flüsterte ihm Johannes zu, »sage mir, wer der Verräther ist.«

»Dir, mein geliebter Johannes,« erwiederte leise Jesus, »doch Dir allein; der Verräther ist derjenige, für welchen ich dieses Brod breche.«

Und er machte zwei Theile aus dem Brode, das er vor sich hatte, und reichte Judas das Symbol der Versöhnung des Sünders mit seinem Gott.

Judas konnte es nicht länger aushalten: er richtete sich hoch aus, fuhr mit seinen Händen an seine Stirne, blickte mit einer ganz verwirrten Miene umher und stürzte aus dem Saale.

Jesus wandte sich gegen seine Mutter. Er bemerkte, daß sie immer noch aus seine Seite schaute; nur in dem Augenblick, als Judas aus dem Hause ging, bedeckte sie ihr Gesicht mit ihrem Mantel, um ihn nicht zu sehen.

Es herrschte einige Secunden eine tiefe Stille, welche dem Schrecken glich.

Dann sprach Jesus:

»Nun, da wir unter uns sind,« sagte er, als wollte er seinen Jüngern begreiflich machen, er hege keinen Zweifel mehr, seitdem Judas weggegangen, »nun muß ich Euch erklären, warum ich bis zum Tage des Mahles gezögert habe, mich meinen Henkern zu überliefern: ich habe mir selbst gelobt, nicht eher vom Tode zu kosten, als bis ich Euch habe Theil nehmen lassen an meinem Leben, Schließe die Thüren, Petrus, damit nicht ein Uneingeweihter hereinkomme; und Du, Johannes, hole mir den Kelch, den ich bei Seraphia, der Frau von Sirach, zur Aufbewahrung gelassen habe.«

Johannes stand auf, ging auf einen Schrank zu, öffnete ihn, nahm einen Kelch daraus, kam wieder zurück, stellte den Kelch vor Christus und reichte ihm zugleich ein ungesäuertes Brod auf einem Teller.

Jesus füllte den Kelch mit Wein und sprach:

»Meine geliebten Freunde, es ist ein alter Gebrauch, besonders wenn Jeder seinerseits hingeht, um eine große Reise zu unternehmen, am Ende des Mahles das Brod zu theilen und aus demselben Kelche zu trinken. Jeder von uns aber geht hin zu einer mehr oder minder langen Reise. Ich werde zuerst ankommen. Ich werde allein ankommen, denn wohin ich gehe, könnt Ihr mir nicht folgen; wenn Ihr mich indessen wohl suchet, werdet Ihr mich immer finden! Ich hinterlasse Tuch ein Gebot, das heiliger ist als eines von denen, die je gelehret worden sind durch eines Menschen Mund; hättet Ihr Alles das vergessen, was ich Euch gelehret habe, so hättet Ihr nichts vergessen, so lange Ihr Euch erinnern würdet des Gebotes: »»Liebet einander!«'' Das ganze Weltall empfange aus Eurem Munde diesen brüderlichen Grundsatz und verlange einzutreten in Euren Liebesbund.«

Dann brach er das Brod in so viele Theile, als Jünger da waren, ohne den Theil von Judas zu vergessen, und sprach:

»Nehmet und esset, das ist mein Leib.«

Und er segnete den Wein, den er in den Kelch gegossen, und sprach:

»Nehmet und trinket, das ist mein Blut.«

Johannes, der zur Linken von Jesus saß und zuerst gegessen und getrunken hatte, sagte zu Christus:

»Oh! mein göttlicher Meister, wiederhole Deinem getreuen Jünger, daß Du keinen Zweifel über ihn hast.«

Jesus lächelte mit seinem himmlischen Lächeln und erwiederte:

»Gestern, während ich im Oelgarten betete, wie ich dies seit mehreren Tagen zu thun pflegte, bist Du ein paar Schritte von mir eingeschlafen. Als mein Gebet beendigt war, suchte ich, wo Du warst, und da ich Dich liegen sah, trat ich aus Dich zu; doch statt Dich aufzuwecken, folgte ich Dir in die Tiefe Deines Schlafs. Ein Lächeln milder als das des Frühlings, wenn er Blumen aus der Erde, seiner Braut, ausstreut, ruhte aus Deinen Lippen. Ich habe Eva, ich habe Adam am Tage der Schöpfung ihren ersten Schlaf unter den Lauben Edens schlafen sehen; ihr Schlaf war minder rein und minder unschuldig als der Deine.«

»Ich danke Dir, Herr,« sprach Johannes, indem er die Hand von Jesus küßte.

»Meine Lieben,« fuhr Christus fort, »erinnert Euch nun, daß ich Euch Alles gegeben, was ich habe geben können, da ich Euch, indem ich Euch meinen Leib gab, indem ich Euch mein Blut gab, mich selbst gegeben habe. Gebt Euch nun auch Euren Brüdern, wie ich mich Euch gegeben habe, ganz und ohne Beschränkung. Diejenigen, welche mir vorhergegangen sind, haben gesagt: »»Das jüdische Volk ist das auserwählte Volk des Herrn; die anderen Völker haben kein Recht aus das Licht von Moses, aus das Wort der Propheten;«« ich aber sage Euch: »»Wenn die Sonne glänzt, beleuchtet sie nicht nur das jüdische Volk, sondern auch alle andere Völker; wenn der Sturm tost, befruchtet der Regen, der aus den Wolken fällt, nicht nur die Erde Judäas, sondern alle Länder.«« Die Wahrheit, die ich Euch geoffenbart, sei die Sonne, welche scheint auf die Welt, von Osten nach Westen, von Süden nach Norden; das Wort, das ich Euch übertragen, sei der Thau, der Alles befruchtet, vom Felde Eurer Väter an bis zu den entferntesten, unbekanntesten Ländern. Bekümmert Euch nicht darum, wenn Ihr durch ein Land ziehet, wer der Gott ist, den man dort anbetet, wer der König, der dort regiert, wer das Volk ist, das dort wohnt. Gehet gerade aus, und wenn man Euch fragt, von wannen Ihr kommet, so antwortet:,,»Ich komme gesandt von der ewigen Liebe.««

Und es schien den Jüngern, Jesus werde, als er diese Worte sprach, leuchtend und durchsichtig. Etwas der Verklärung von Thabor Aehnliches ging in diesem Augenblicke vor, und man sah ihn horchen auf eine Stimme, die er allein hörte, und die die seiner Mutter war.

Die Jungfrau streckte die Arme gegen ihn aus und sprach:

»Oh! mein Herr, in diesem Augenblick erkenne ich Dich als den Sohn Gottes.«

Christus hob mit der einen Hand den Kelch und mit der andern das Brod auf.

Die Jungfrau kreuzte die Arme auf ihrer Brust und warf, die Augen halb geschlossen, den Mund halb geöffnet, den Kopf zurück.

Sie nahm geistig das Abendmahl mit ihrem göttlichen Sohne.

Jesus setzte wieder auf den Tisch den Kelch und das Brod.

»Und nun,« sprach er zu Petrus, »öffne die Thüre wieder und sage Heli, daß er Wasser und Becken bringe.«

Heli trat mit Dienern ein, welche Becken voll Wasser und Leintücher trugen.

Die Apostel setzten sich, lösten ihre Fußbekleidung, und Heli stellte vor Jeden von ihnen ein Becken mit lauem Wasser.

Jesus kniete nieder und sing an den Jüngern die Füße zu waschen.

Alle ließen ihn thun, wie Diener, welche dem Willen eines Herrn gehorchen.

Als er aber zu Petrus kam, sprach dieser zu ihm:

»Oh! werde ich je dulden, daß mir mein Herr die Füße wasche?«

»Was, ich thue, das weißt Du jetzt nicht,« antwortete Jesus, »doch Du wirst es hernach erfahren.«

Dann sagte er leise:

»Petrus, Du hast verdient, von meinem Vater zu erfahren, wer ich bin, von wo ich komme, wohin ich gehe.

Darum werde ich auf Dich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden nichts gegen sie vermögen; meine Kraft soll bleiben bei Deinen Nachfolgern bis zum Ende der Welt.«

Dann sprach er lauter und so, daß alle Apostel es hörten:

»Meine Lieben, wenn ich nicht mehr sein werde, vergesset nicht, daß Petrus es ist, der meine Stelle bei Euch vertreten soll.«

Da sprach Petrus zu ihm:

»Du magst mich immerhin groß machen, Herr, ich werde nimmer dulden, daß der Herr die Füße wasche seinem Knechte.«

»Petrus,« antwortete ihm Jesus mit einem Lächeln: »wasche ich Dir nicht die Füße, so wirst Du keinen Theil an mir haben.«

Da rief Petrus:

»O Herr, wenn dem so ist, so wasche mir nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und den Kopf.«

Und als die Füße von Petrus gewaschen waren, sprach der Apostel:

»Herr, ich bin bereit, Dir zu folgen, wohin Du gehst.«

Habe ich Dir nicht gesagt.

Du könnest mir nicht folgen, wohin ich gehe?« versetzte Jesus.

»Warum stoßest Du mich zurück?« rief der Apostel, »mich, der ich mein Leben für Dich geben würde!«

»Dein Leben!« versetzte Jesus, während er Petrus mit einem schmerzlichen Lächeln anschaute; »wahrlich, Petrus, ich sage Dir, ehe der Hahn dreimal gekräht hat, wirst Du mich dreimal verleugnet haben.«

Petrus wollte betheuern, doch Jesus streckte die Hand aus und sprach:

»Meine Brüder, so oft ich Euch gesandt habe ohne Beutel, ohne Tasche, ohne Schuhe, habt Ihr je Mangel gehabt auf dem Wege?«

»Nie,« antworteten die Jünger.

»Nun,« fuhr Jesus fort, »wer einen Beutel hat, der nehme ihn! Wer nichts hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert, denn was von mir geschrieben ist, wird in Erfüllung gehen.«

Dann wandte er sich gegen die Seite, wohin er schon mehrere Male geschaut hatte, und sprach, indem er eine Anstrengung gegen sich selbst machte:

»Es ist genug, laßt uns gehen.«

Jesus ging zuerst hinaus, und Petrus, der ihm folgte, drang abermals in ihn und sprach:

»Wenn ich mit Dir sterben sollte, ich werte Dich nie verleugnen, mein göttlicher Meister.«

Vor der Hausthüre fand Jesus auf der einen Seite der Schwelle die heilige Jungfrau, auf der andern Magdalena: Beide lagen auf den Knieen.

Jesus küßte seine Mutter aus die Stirne, und während Jesus seine Mutter küßte, nahm Magdalena das Ende seines Mantels und drückte es an ihre Lippen.

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06 December 2019
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340 p. 1 illustration
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