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Gabriele

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Drittes Kapitel
Yves von Mauléon

Um den aus sehr verschiedenen Nuancen zusammengesetzten Charakter des jungen Herzogs Yves von Mauléon beurtheilen zu können, muß der Leser wissen, wie er bisher gelebt hatte.

Ein Tag war wichtig in seinem Leben: der fünfundzwanzigste July 1830.

Es war für ihn ein wirklich sehr schöner Tag.

Um fünf Uhr Morgens war er schon aufgestanden, obgleich er die Nacht wenig geschlafen hatte; die Gedanken, die sich in seinem Geiste drängten, erregten ihn zu sehr, aber alle diese Gedanken waren beglückend, glänzend und heiter.

Yves von Mauléon war eben achtzehn Jahr alt geworden; er kam aus der Militairschule, er war Offizier! An diesem Tage sollte er seine Uniform zum ersten Male anprobiren und dem Kriegsminister seinen Dank abstatten, welcher seinem Oheim, dem General L.G., erlaubt hatte, ihn als General-Adjutant mit sich zu nehmen.

Um die Freude zu empfinden, oder nur zu begreifen, die sich seiner bemächtigt hatte, diese unendliche Freude, die in unaufhaltsamen Worten ausströmte, die auf seinem Gesichte glänzte und an seinen leisesten Bewegungen zu erkennen war, müßte man wissen, welche glühende Sehnsucht nach Freiheit seinen Geist in seiner letzten Schulzeit gequält hatte.

Mehrere Jahre hindurch hatten die Spiele in den Erholungsstunden, die Arbeiten in den Klassen und der Erfolg der Nacheiferung sein Leben befriedigend ausgefüllt; aber seit einem Jahre behielt eine unsägliche Langweile bei den Studien, wie bei den Vergnügungen die Oberhand, und Alles, auch die Gesellschaft und Fröhlichkeit feiner Kameraden war ihm in diesem Schülerleben lästig und unerträglich. Es ist unmöglich zu beurtheilen, was die Gleichförmigkeit dieses geregelten Lebens, diese kleinliche Strenge und besonders die scharfe Abgesondertheit von einer Welt, die im Alter von achtzehn Jahren so schön erscheint, zuweilen für unbeschreibliche Neugierde und Gluth, in den Seelen junger Leute erwecken. Es gibt deren, bei denen der Ueberdruß an dem, was sie umgibt, und die Sehnsucht nach neuen, unbekannten Gegenständen so weit gehen, daß ihre Gesundheit unter dieser verzehrenden Ungeduld leidet, und der junge Herzog von Maulcon gehörte zu denen, die diese ihrer Auflösung so nahe Kette wund rieb.

An dem Tage, wo er frei würde, fühlte er sich einer Last entledigt, die seiner Brust das Athmen, seinem gepreßten Herzen den ungehinderten Schlag, seinen Füßen das Gehen erschwert hatte; er fühlte mit Einem Worte, daß er frei war, daß kein Band, kein Hinderniß künftig seinen Willen hemmen konnte, daß alle Güter der Erde sich seinen Freuden darboten.

Und mit solchen Gefühlen zog er diese Uniform an, die, um Alles zu sagen, ihn vortrefflich kleidete und das billigende Lächeln rechtfertigte, welches jeder Spiegel von ihm erhielt. Den Abend vorher hatte seine Großmutter gesagt: »Yves, Du gleichst Deinem Vater,« und Frau von Savigny war da; und Frau von Savigny, in seinen Augen die schönste aller Frauen, die ihm alle entzückend schienen, hatte etwas verlegen hinzugefügt: »Der Herr Herzog von Mauléon galt, wie ich gehört habe, für den schönsten Mann in Paris.« »Ja,« antwortete die Marquise seufzend, »als er meine Tochter heirathete, gab es Niemand, der ihm die Schönheit der Figur und den Adel der Sitten hätte streitig machen können. Er sah vornehm aus, das heißt, seine ganze Erscheinung zeigte den Rang an, in dem er geboren war.«

Aber als Yves sich am folgenden Tage der Worte und der Verlegenheit der Frau von Savigny erinnerte, zeigte sich eine drohende Miene in seinem fröhlichen Gesichte, und die Freude, die er über dieselbe empfand, glich einer Aufforderung, und dies hatte folgenden Grund: Zwei Jahre zuvor, war er eines Tages, wo er Ferien hatte, bei seiner Großmutter eingetreten, während Frau von Savigny bei ihr war, und an diesem Tage erhob sie nicht einmal den Kopf, als er eintrat; ober, aufgefordert durch die Marquise, welche sagte: »Sehen Sie, Liebe, wie Yves wachst,« maß sie die ganze Person des jungen Mannes mit einem schnellen, aber so gleichgültigen, so sonderbar eisigen Blicke, den ein so verächtliches, boshaftes Lächeln begleitete, daß ihm plötzlich Manches klar wurde, was bis jetzt für ihn in tiefer Dunkelheit gehüllt gewesen war. Sogleich suchte sein Auge einen Spiegel und zum ersten Male besah er sich in demselben, ja, zum ersten Male. Er hatte sich wohl in seinem kleinen Toilettenspiegel besehen, er hatte tausendmal große Spiegel in den Salons gesehen, aber er hatte noch nichts gesehen, denn jetzt zum ersten Male sah er sich, wie er war, wie er der Frau von Savigny erschien, nämlich mit dem ganzen linkischen ungeschickten Wesen eines Schülers. Seine Gestalt hatte sich auf eine Weise entwickelt, der die Verhältnisse der Schuluniform, die er schon ein Jahr lang getragen hatte, nicht mehr entsprachen. Die Ärmel hatten sich so ehrfurchtsvoll von den Händen, die aus denselben hervorragten, entfernt, daß eine Vereinigung unmöglich gewesen wäre; eine noch feinere Taille als die unseres jungen Helden würde in diesem engen Rocke gepreßt gewesen sein, und sein langer steifer Hals ragte weit aus dem Kragen der unglücklichen Uniform hervor. Er war häßlich! was noch schlimmer war, er war lächerlich. . . ja, was am allerschlimmsten war, er war unbedeutend!. . . Eine plötzliche Erleuchtung vom Himmel, wie ein großer Redner gesagt hat, oder vielmehr das boshafte Lächeln einer hübschen Frau, hatte ihm dieses Alles im Spiegel gezeigt, und dieses Lächelns hatte er sich seitdem oft erinnert, wobei er eine unangenehme Empfindung hatte, die sich mitunter bis zur Wuth steigerte.

Aber den Abend zuvor hatte sie ihn, als er in den Salon trat, nicht wieder erkannt, und der Ausdruck ihres Gesichts, die Worte, die sie sprach, der Ton ihrer Stimme, Alles war so verändert, daß er sehr schnell begriff, daß auch er verändert war. Und als er sie hernach mit vielleicht zu dreisten und gewiß zu vielsagenden Augen beobachtete, sah er sie unter seinen Blicken erröthen und die ihrigen abwenden; er war kein lächerliches, unbedeutendes Wesen mehr! Ein unerklärliches Etwas klärte ihn hierüber auf und wirkte auch, ihrer selbst unbewußt, auf Frau von Savigny. Denn auch sie warf einen jener verstohlenen Blicke in den Spiegel, durch die, bei wichtigen Gelegenheiten, die Frauen sich über ihre Schönheit vergewissern wollen.

Die Rollen waren gewechselt; er trat in seine Rechte ein; für ihn wollte man schön sein; er war der Richter geworden: kurz, er war ein Mann!

Einige Augenblicke später kam, zu seinem großen Bedauern, Heinrich von Marcenay, und Yves nahm ihn mit nach dem Boulogner Wäldchen, weniger um die Rathschlage anzuhören, die sein Freund ihm ertheilte, als aus einer unwillkürlichen Bewegung, die ihn bewog, Frau von Savigny seinem gefährlichen, und wie er wenigstens damals glaubte, sehr verführerischen Einflusse zu entziehen.

Heinrich von Marcenay hatte jenes unverschämte Wesen, welches in der schlechten Gesellschaft für ausgezeichnet gilt: ohne Vermögen und ohne vornehme Herkunft, lebte er unter den Vornehmsten und Reichsten, und lebte wie sie; ein ungewohntes Wörtchen hatte sich plötzlich vor seinen anspruchslosen Namen geschlichen und er rechtfertigte seine Anmaßung mit einer so großen Verachtung derer, die nicht reich und vornehm waren, daß Niemand vorauszusetzen gewagt halte, daß er weder das Eine noch das Andere war.

Nur geschichtlich berühmte Namen hatten die Ehre, über seine Lippen zu geben, aber ohne Titel oder Bezeichnung des Ranges, um die innige Freundschaft dessen, der sie aussprach, mit ihren Inhabern anzudeuten.

Kleinliche unerklärliche Eitelkeit, die in unseren Tagen hätte verschwinden müssen, wenn die Eitelkeit überhaupt jemals etwas aufgeben könnte! Schlechte Bestätigung, die das, was sie verbergen möchte, dadurch erst darthut! Denn je höher der Rang ist, den man in der Gesellschaft einnimmt, je williger gönnt man Jedem den Platz, der ihm zukommt; wenn man selbst große Ansprüche zu machen das Recht hat, will man Niemand berechtigen, irgend Jemand die Rücksichten, die Titel, die Ehren, kurz, das Geringste, was ihm zukommt, zu verweigern. Dabei gewinnt nur der, welcher nichts zu verlieren hat.

Damals machte Yves diese Bemerkungen nicht! Heinrich imponirte ihm durch die fünf Jahre, die er älter als er war; seine Unerfahrenheit hielt ihn für einen Repräsentanten des feinsten Geschmacks, und der junge Offizier, begierig, die Welt, die sich vor seinen Blicken öffnete, kennen zu lernen, und mit Glanz in derselben aufzutreten, folgte fröhlich dem, welcher es übernahm, ihn hierbei anzuführen. Sein Vertrauen in den Freund, der sich ihm so bereitwillig zeigte, war eben so groß, als die gute Meinung, die Heinrich von sich selbst hatte, und das will viel sagen!

Dieser erfahrene Freund war es, der die Bewegung, welche die neuen über Frau von Savigny gemachten Bemerkungen bei dem jungen Manne erweckten, in Rachegedanken verwandelte: er, aus eigenem Antriebe, würde die erste Frau, die ihn liebte, nur mit Leidenschaft wieder geliebt haben; die Vorstellung, daß die schöne, so glänzende, so köstlich liebenswürdige Frau von Savigny ihn hätte auszeichnen können, würde ihm nicht einmal in den Sinn gekommen sein; er hätte nur gefühlt, daß er jetzt zu denen gehörte, denen eine Frau zu gefallen wünscht, und diese einzige Entdeckung hätte ihn bewegt, verwirrt, entzückt! Ach! wenn ihm in diesem Augenblicke eingefallen wäre, daß eine Frau wie Frau von Savigny ihn einst lieben könnte, sein Herz würde von Freude übergeflossen sein; er würde dem Himmel gedankt und die Frau angebetet haben, die ein solches Glück gewähren konnte, denn er halte noch seine ganze jugendliche Seele.

Aber Heinrich warf so viel Eis in diese Flammen, daß er ihn die ganze Gefahr dieser unschuldigen Eindrücke kennen lehrte; er bewies ihm, daß wir nicht eine Tugend haben, die nicht bei unseren Freunden einen Fehler hervorruft. Die Hingebung, sagte er ihm, erzeugt Tyrannei; die Leidenschaft stößt die Neigung ein, dieselbe zu mißbrauchen z mit den Frauen zum Beispiel, fügte er hinzu, ist es so: um sicher zu sein, daß wir nie von ihnen betrogen werden, müssen wir sie betrügen. ^ Und er bewies ihm deutlich, daß zu großer Eifer den Wunsch eines noch ungewissen Erfolges beweist, während eine leichte Schattierung von Geringschätzung einen schon errungenen Erfolg anzeigt.

 

Er redete von Frau von Savigny, von der der junge Offizier nicht reden wollte, vielleicht aus Instinct, der ihn bewog, den boshaften Leichtsinn seines Freundes nicht aufzuregen, wie man etwas Verletzendes vermeidet; aber Heinrich sprach dennoch, und berührte alle Stellen, wo er Achtung, Begeisterung, Bewunderung, Zärtlichkeit zerstören wollte. Wie viel solche engherzige, neidische Menschen gibt es nicht, die daran arbeiten, in den Seelen Anderer Alles zu vertilgen, was die ihrige nicht fassen kann, und die, wie jener Tyrann, der ihr Vorbild ist, sich bestreben, Alles zu besiegen, was sich über ihren Gesichtskreis erhebt?

Frau von Savigny hatte, sagte er, aus Eigennutz einen alten, reichen Mann geheirathet, den sie nicht liebte. Frau von Savigny war eine Coquette und trachtete unaufhörlich nach Huldigungen, die ihrer Eitelkeit Bedürfniß waren; ihr Ruf als tugendhafte Frau beruhte auf Heuchelei und Gewandtheit; ihr Witz war Bosheit, und wahrscheinlich war Yves ein Opfer, von ihr auserkoren, ihren Reizen, denen vier in der Welt verlebte Jahre schon viel von ihrer Macht und ihren Blendwerken geraubt halten, neuen Glanz zu verleihen.

Der junge Herzog, welcher nicht errieth, daß das einzige Unrecht der Frau von Savigny vielleicht die Schärfe ihres Geistes war, die Niemand gestattete, neben ihr ungestraft ein Narr zu sein, theilte schon die Ansichten seines Freundes und faßte Rachepläne. Nicht blos mehr um der Liebe willen wünschte er zu gefallen.

Als sie aus dem Wäldchen zurückkehrte, hielt Yves sein Pferd an, um einem alten Schulkameraden die Hand zu reichen, einem armen, aber sehr fleißigen und wackeren jungen Manne, den er sehr liebte und schätzte; aber Heinrich erschöpfte sich in Bemerkungen, deren eine noch spitzfindiger und feiner als die andere war, um ihm begreiflich zumachen, daß, wenn er jedem rechtschaffenen, aber armen und schlecht gekleideten Bekannten, der ihm zufällig begegne, die Hand reichen wolle, Man bald das Allerschlimmste von ihm sagen werde, nämlich, daß er ein Mann sei, der schlechten Umgang habe.

Es waren noch nicht acht Tage, daß Yves von Mauléon einfach, gut, natürlich und wahr die Militairschule verlassen hatte und schon war er geziert, albern und unverschämt. Man sieht, daß er entschlossen war, keine Zeit zu verlieren; wenn er immer mit gleicher Schnelligkeit auf diesem Wege fortging, konnte er weit kommen.

In dieser Geistesverfassung hatte ihn der fünfundzwanzigste Juli 1830 gefunden; mit diesen Gedanken seines jungen Kopfes machte er sich auf den Weg zu dem Minister, der ihm eine Audienz gewährt hatte.

In dem Augenblicke, wo Yves von Mauléon in dem Vorzimmer eintrat, erblickte er einen alten Mann, dessen Stellung leidende Ergebung ausdrückte, und auf dessen Gesichte so viel trübe Mutlosigkeit lag, als auf dem des jungen Mannes glänzende Hoffnungen strahlten und dieser auffallende Unterschied war es vielleicht, der eben ihre gegenseitige Aufmerksamkeit erregte.

Wer hat nicht solche bleiche Greise gesehen, auf deren Gesicht das Leiden so tiefe Spuren hinterlassen hat, daß es schon Leiden ist, sie nur zu sehen. Man sieht sie allein, abgesondert, zuweilen aus einer Bank am äußersten Ende der Promenade sitzend; sie sehen aus, als fürchteten sie die Annäherung von Menschen, als suchten sie so wenig als möglich Platz einzunehmen, als schämten sie sich ihrer selbst und als fürchteten sie die Anderen. Nicht blos Alter oder Noth haben ihre Gesichter gefurcht; ein geheimes Leiden, trauriger als das Alter, bitterer als die Armuth, hat ihr Herz zernagt; es waren heftige Leidenschaften, schmerzliche Täuschungen, lange Ungewißheiten, solche Schicksale, die das Herz zusammenpressen, den Stolz beugen und den zartesten empfindlichen Fleck der Seele aufsuchen, um, ihr dort eine schmerzende, unheilbare Wunde zu schlagen. . . Yves von Mauléon hatte eine solche Gestalt gesehen und konnte die Augen, nicht wieder von derselben abwandten, als ein Thürsteher kam und anzeigte, daß der Minister bereit sei den Herrn Herzog Yves von Maulcon zu empfangen. Bei Nennung dieses Namens und bei der Bewegung, die der junge Mann machte, um aus der Thür zu gehen, stand der Greis außer sich auf.

Herr Herzog von Mauléon! Sie sind der Herr Herzog von Mauléon,« rief er, und streckte seine zitternden Hände noch ihm aus.

Yves blieb überrascht stehen und wollte ihn ausforschen, aber der Thürsteher wiederholte, daß der Minister warte und der junge Herzog mußte ihm wohl oder übel in das nächste Zimmer folgen, ohne seine Neugierde befriedigen zu können.

Der Minister empfing den jungen Mann mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen; er schien erfreut, eine so edle Gestalt als Repräsentanten einer so edeln Familie zu sehen. Damals sah die Monarchie noch etwas auf äußere Vorzüge derer, die sie zu hohen Aemtern anstellte; es war noch eine alte Gewohnheit aus der Zeit, wo, um befehlen zu können, man gefallen mußte. Die Demokratie denkt nicht an solche Armseligkeiten.

»Herr Herzog,« sagte der Minister, der damals Excellenz genannt wurde und der, da sein Titel der höchste von allen war, gern Jedem den ihm zukommenden Titel gab, »Sie treten in einer schönen Zeit in der Welt auf: der Thron befestigt sich, und das Königthum, das zu vertheidigen unsere Geburt uns verpflichtet, wird bald von denen, die seit einiger Zeit seine Größe und Macht zu schwächen suchten, nichts mehr zu fürchten haben. Der Adel wird wie die Monarchie seinen Glanz wieder erlangen; die großen Familien wie die Ihrige, die seit vierzig Jahren so viel gelitten haben, werden endlich den Rang, den sie zum Glücke Frankreichs nie hätten verlieren sollen, wieder einnehmen.«

Der Minister fügte diesen Worten noch mehrere Versicherungen des Wohlwollens für den jungen Herzog hinzu, über die Hoffnungen, zu denen seine Ahnen ihn berechtigten, über ihre Rechte, in den Carossen des Königs zu fahren, über die Verbindung ihrer beider Familien, über die Aemter und den Rang, den sie eingenommen hatten, über das Recht, welches Yves als letzter seines Namen an die Pairschaft halte, und über seine Absicht, für ihn bei dem Könige darum nachzusuchen. Dann sprach er von der Nothwendigkeit, die hohen Ehrenstellen nur mit solchen zu besetzen, deren Geburt ihre Ergebenheit verbürge, um nicht Andere dazu gelangen zu lassen. Er sagte auch einige Worte über die Nothwendigkeit, die Erben derer, die dem unglücklichen Königthume ihr Blut geweiht hatten, für ihr in den stürmischen Tagen der Revolution verloren gegangenes Vermögen zu entschädigen; dann verließ er den jungen Mann, dem er auf diese Weise eine, Laufbahn geöffnet hatte, an deren Ziele die glänzendsten Hoffnungen leuchteten.

Yves war geblendet. Er, den Abend zuvor noch ein der Schuldisciplin und der unter Kameraden herrschenden Gleichheit unterworfen gewesenes Kind, hatte jetzt auf einmal die Vortheile des Ranges, der ihn über sie erhob, erkennen gelernt. Es war nicht ein junger Unterlieutenant, welcher einem Minister seine Aufwartung hatte machen dürfen; es war der Herzog von Mauléon, Erbe eines der größesten Namen Frankreichs, den ein Prinz wie seines Gleichen behandelt hatte! Es war nicht blos eine militärische Laufbahn, die ihm mit der Zeit Ehre und Glück bringen konnte; es war die Aussicht auf königliche Gunst, auf Auszeichnungen, auf Macht vielleicht, welche sich seinen Blicken geöffnet hatte, und seine Freude am Morgen schien ihm von diesem Allem das Vorgefühl gewesen zu sein.

Yves vergaß seine eiteln und thörigten Gedanken von Vergnügen, ja selbst von Liebe; alles Dieses erlosch vor einem unbestimmten Ehrgeiz, von dem sein Herz überfloß; er fühlte, daß er zu denen gehörte, die befehlen, handeln, herrschen dürfen; und zum ersten Male hatte seine eingeengte, unruhige und unsichere Seele ein Ziel, das würdig war, alle ihre Gedanken zu beschäftigen, alle ihre Kraft in Anspruch zu nehmen.

Aber nicht der verblendende Glanz, der die Eitelkeit durch Rang, Titel und Ehren befriedigt, beherrschte diese junge Seele, nein! sie dachte an die, die ihren Namen berühmt gemacht und nicht an die, welche ihn schon glänzend erhalten hatten; an die, welche mit Genie, mit Kraft und Gewalt gehandelt hatten, aber nicht an die, welche ihr Leben in thörigten Freuden des Hofes vergeudeten. Yves von Mauléon träumte in diesem Augenblicke seine Zukunft nicht als die eines müßigen großen Herrn, sondern er schwang sich zu der denkbarsten Höhe der nützlichen Tätigkeit eines großen Mannes auf.

Der junge Offizier trat also ganz bewegt und triumphirend aus seinem Vorzimmer, als die bleiche und traurige Gestalt, die sein Name so bewegt hatte, sich ihm zeigte, mit Angst ihre finsteren Blicke auf Yves fröhliches Gesicht heftend. Dieser empfand ohne Zweifel schon die Wirkungen des geträumten Glückes; denn er konnte eine Bewegung der Ungeduld nicht unterdrücken, als er diesen traurigen Alten aufstehen und ihm in den Hof nachfolgen sah. Diese Ungeduld wuchs durch die Unmöglichkeit, ihm zu entschlüpfen. Heinrich von Marcenay, welcher mit Yves bis an die Thür des Ministeriums gekommen war, hatte ihn um sein Cabriolet gebeten, um einen Besuch zu machen, wie er gesagt hatte, und versprochen, es ihm sogleich zurück zu schicken; aber ohne Zweifel hatte der Besuch sich verlängert, oder er hatte mehrere gemacht, denn der junge Herzog sah sich gezwungen, zu Fuße zurück zu gehen und bemerkte zu seinem Verdruß, daß der Unbekannte ihm die ganze Straße St, Dominique entlang folgte, dabei aber sich seiner Aufmerksamkeit zu entziehen suchte.

Dieser Begleitung überdrüssig, ging der junge Herzog in das Haus eines Bekannten und sah, während er mit dem Portier sprach, daß der Unbekannte vorbeiging und sich die Nummer des Hauses, das er wahrscheinlich für die Wohnung des jungen Mannes hielt, in seine Brieftasche schrieb.

Der Freund, den er hatte besuchen wollen, war nicht zu Hause, er mußte also weiter gehen und that dies, nachdem er dem ihm lästigen Neugierigen einen hinreichenden Vorsprung gelassen hatte. Als Yves in den Winkel der kleinen Straße de la Planche kam, sah er den Unbekannten wieder, und neugierig, wer der sein mochte, auf den sein Name und seine Erscheinung einen so mächtigen Eindruck gemacht hatte, folgte er jetzt dem, der noch kurz zuvor ihm gefolgt war. Er sah ihn bei einem kleinen, sehr einfachen Hause anhalten, als wollte er hinein gehen, als in demselben Augenblicke eine junge Dame heraus kam, mit der er zwar ehrfurchtsvoll, aber doch herzlich und wie ein älterer Bekannter sprach, und die ihm sehr freundschaftlich antwortete. Aber wie erstaunte der jung? Mann, als er in der Dame Frau von Savigny erkannte! . . .

Yves blieb unbeweglich stehen und beobachtete, ohne ein Wort davon verstehen zu können, eine Unterhaltung, die ihm sehr lebendig zu sein schien; jetzt war sie beendigt und Frau von Savigny entfernte sich, ohne ihn, der verdrießlich und überrascht, ohne selbst zu wissen warum, da stand, zu bemerken. Aber als er zu sich selbst kam, beeilte er sich, einem unwillkürlichen Drange gehorchend, dem Unbekannten, der unterdessen, in das Haus gegangen war, zu folgen, und ohne mit der Thür zu fragen, kam er fast zugleich mit diesem neugierigen Manne, den er an Neugierde übertraf, in einem großen dunkeln Zimmer an, welches alles Schmuckes so gänzlich entbehrte, daß ein Tisch, ein Bett und einige Stühle dessen ganzes Ameublement ausmachten und die geschwärzten nackten Wände Um so schauerlicher hervortraten.

Aber in dem Augenblicke, wo der Greis, durch das Geräusch von Yves Eintritt veranlaßt, sich umdrehte, frappierte diesen zu gleicher Zeit das Erstaunen und Erschrecken des, Unbekannten und der Anblick eines alten Gemäldes, des einzigen, das an der schmucklosen Wand hing. Dieses Gemälde war eine genaue Copie von dem Gemälde seines im Jahre 1793 auf dem Schaffot gestorbenen Großvaters, des Marquis von Fontenoy-Mareuil, welches seine Großmutter als ein kostbares Heiligthum in ihrem Zimmer aufbewahrte.

Das erschreckte Gesicht des Greises, wie der Ausruf des Jünglings, gaben diesem Zusammentreffen, das dem Einen so überraschend zu sein schien wie dem Andern, etwas Fremdartiges.

Der Unbekannte rief mit sichtbarer Herzensangst:

– »Was wollen Sie? wer hat Sie hierher geführt? Um des Himmelswillen entfernen sie sich! Sie gehören nicht hierher; und ich, ich kann, ich will Ihre Gegenwart nicht ertragen! Um Gotteswillen, Herr von Mauléon, entfernen Sie sich!«

– »Mein Herr,« sagte Yves, erstaunt über die heftige Bewegung dieses Mannes und über den stehenden Ton, in dem er seine Bitte aussprach, »mein Name ist Ihnen bekannt, Sie wollten mit mir reden, Sie folgten mir nach; ich finde bei Ihnen das Portrait eines Mitgliedes meiner Familie; meine Neugierde, dächte ich, wäre entschuldigt, und so möchte ich, wenn es möglich wäre, die Beweggründe des Ihrigen wissen.«

 

Der Unbekannte suchte sich zu fassen und sagte mit etwas mehr Ruhe: »Mein Herr, Ihr Name, so unerwartet in meiner Gegenwart ausgesprochen, hat grausame Erinnerungen in mir aufgeregt, die ich schon lange auszulöschen bemüht war; ich war meiner selbst nicht mächtig.«

»Der Marquis von Fontenoy-Mareuil war mein Großvater,« sagte der junge Mann auf das Bild deutend: »Sie kannten ihn?«

»Ja, mein Herr,« antwortete der Greis nach einigem Zögern.

Yves beobachtete ihn aufmerksam und fand in seinen gefurchten Zügen einen Ausdruck von Seelenadel, den Zeit und Schmerz gebeugt, aber nicht gänzlich zerstört hatten, und mit der rücksichtsvollsten Höflichkeit fügte er hinzu:

»Sie waren vielleicht sein Freund?«

Er bereute jedoch bald diese einfachen Worte, die dem Unbekannten einen lebhaften Schmerz zu machen schienen . . . er stammelte unverständliche Worte . . . »Verzeihung,« fuhr Yves traurig fort, »ich habe, wie ich sehe, traurige Gedanken angeregt.«

Kaum waren diese Worte verhallt, als der Greis einen heftigen Nervenzufall bekam; seine schmerzlichen Klagetöne riefen einen alten Diener herbei, der, nachdem er einen ängstlichen Blick auf den jungen Mann geworfen hatte, sich seinem Herrn näherte . . .ihn unterstützte und ihn mühsam bis zum Bett führte, auf das er ihn sanft legte; dann sich Yves nähernd, sagte er: »Mein Herr ist, wie Sie sehen, Nervenzufällen ausgesetzt, die, ohne lebensgefährlich zu sein, ihn unbeschreiblich quälen, und die möglichste Ruhe erheischen« . . . Und da diese Worte ihm andeuteten, daß seine Entfernung gewünscht werde, mußte Yves von Mauléon, so leid es ihm that, der Befriedigung seiner Neugierde entsagen und entschloß sich, das Zimmer zu verlassen.

Er kam also nach Hause, ganz erfüllt von den Ereignissen des verflossenen Morgens und so mit sich selbst beschäftigt, daß er gar nicht dir ungewöhnliche Bewegung in den Straßen von Paris bemerkte.

Der andern Tag, es war am 26. Julius 1830, kam es zu Gefechten. Drei Tage hindurch war das Leben in Paris zu bewegt, zu thätig, zu außergewöhnlich und unvorhergesehen, als daß irgend Jemand, am wenigsten aber Yves, Zeit zum Nachdenken gehabt hätte. Dieser so plötzliche, so lebhafte, aber kurze Bürgerkrieg machte ihn starr vor Betäubung; er war durch nichts darauf vorbereitet; seine Jugend hatte ihn noch fremd gelassen mit dem Federkriege der Journale; die Cirkel, in denen er lebte, bestanden aus solchen Individuen, die nichts vorausgesehen hatten, und die Worte, die am vorigen Tage der Kriegsminister zu ihm gesagt hatte, kündigten eine solche Sicherheit an, daß Yves kaum glaubte, was er sah! . . .

Aber, so jung, so feurig, versetzte das Gemetzel in den Straßen, der Lärm der Sturmglocken, der Kanonen, das Geschrei des Volks, ihn in eine Art von Taumel. Wenn durch irgend ein Ereigniß von außen das Vaterland in Gefahr gewesen wäre, wenn er mit Aufopferung seines Lebens einen Feind hätte verjagen, für den Sieg all sein Blut hätte vergießen können, würde er nicht gezaudert haben; aber hier, Alles war für ihn unsicher und ungewiß, die Großartigkeit und Erhabenheit der Ansichten des Volkes begeisterte ihn;das Unglück und die Tugend des angegriffenen Königshauses erregte sein Mitleid und seine Bewunderung; die Rechte, die dieses an ihn hatte, entschieden seinen Entschluß. Er war so eben zum Teilnehmer an seiner Größe ernannt, er glaubte sich ihm unzertrennlich in Unglück und Gefahr, und da er noch in keinem Regiment installiert war, eilte er nach St. Cloud, um seinen Arm und seinen Degen darzubieten. Man schickte ihn mit Nachrichten an den commandirenden General nach Paris zurück und in dem Augenblicke, wo er, nachdem er seinen Auftrag vollzogen hatte, durch eine der kleinen, an die Tuilerien grenzenden Straßen ging, erregte seine Uniform eine ihm gefährliche Aufmerksamkeit. Leute aus dem Volke und bewaffnete Kinder, die glaubten, daß er sie angreifen wolle, fielen über ihn her und er war nahe daran, in diesem ungleichen Kampfe zu unterliegen; schon berührte ein Degen seine Brust und ein Schüler zielte mit einem Pistol nach seinem Kopfe, als eine schützende Hand, von einem Ausrufe des Entsetzens begleitet, ihn dem gewissen Tode entriß. Ein Mann hatte sich zwischen ihn und die, welche ihn umringten, gestürzt, hatte sich des Pistoles bemächtigt, den Degen zurückgestoßen und dabei eine leichte Wunde in die Hand bekommen.

»Haltet ein, meine Freunde!« sagte dieser Mann; »wenn Ihr ein Opfer verlangt, tödtet mich, aber verschont diesen Jüngling; er hat Euch nichts zu Leide gethan; rettet ihn, rettet ihn – und tödtet lieber mich, ehe Ihr ihm nur ein Haar krümmt!«

Yves von Mauléon erkannte mit Verwunderung in seinem Retter denselben Greis, der ihn zwei Tage zuvor so geärgert hatte, und sein Erstaunen war gränzenlos, daß dieser Unbekannte sich so gänzlich für ihn aufopfern wollte.

»Sie tödten, Vater Simon!« sagte einer der Männer des Volks, »was denken Sie? halten Sie uns für Mörder?

»Ach! es ist der Vater Simon?« schrien Alle zugleich; »der gute Mann, der soviel Gutes thut, Kranke pflegt, Arme unterstützt . . . ihm sollten wir etwas zu Leide thun? Der Erste, der ihn anrührte. . .«

Und eine drohende Gebärde vollendete den Gedanken des Sprechers.«

»Wenn dieser Knabe da Euer Sohn oder Neffe ist,« sagte ein Anderer, »nun wohl! nehmt ihn mit, aber daß er nicht gegen das Volk fechte: das ist Alles, was wir verlangen.«

Und sie rannten fort, andern Kämpfen entgegen.

Yves war von diesem Manne gerettet: seine Neugierde verdoppelte sich.

»Wer sind Sie denn?« rief er, »welchen Antheil nehmen Sie an mir? darf ich nicht erfahren, wem ich die Rettung meines Lebens verdanke?«

Herr Simon antwortete nicht.

»Welchen unbekannten Freund sehe ich in Ihnen?« fuhr Yves fort. »Und nie kann ich ihm ausdrücken, was ich empfinde!«

Herr Simon zog seine Hand nicht zurück, und drückte zärtlich die Hand, welche die seinige umschloß. Yves glaubte eine Thräne auf den Wangen des immer noch schweigenden Greises zu sehen. Selbst bis zu Thränen gerührt, überließ sich Yves einer unwillkürlichen Bewegung, breitete, seine Arme gegen den Unbekannten aus, und sank in die seinigen mit einem Erguß von Dankbarkeit, in dem sich alle Unbefangenheit der Kindheit, mit aller Innigkeit der reiferen Jugend vereinigte

Von Freude hingerissen, schloß der Greis den Jüngling an sein Herz, aber bald machte dieser Rausch einem Schreckensgefühle Platz. Simon wankte, und rief aus: »Was machen Sie? Nein, nein, das, darf nicht sein!« und immer noch vor Freude zitternd, daß er ihn einen Augenblick an sein Herz hatte drücken können. »Armes Kind!« sagte er zärtlich. Und wenn der junge Mann ihn nicht gehalten hätte, würde er zu seinen Füßen gesunken sein, indem er diese Worte beständig wiederholte.

»Erklären Sie sich doch endlich,« sagte Yves ganz bestürzt.

»Erklären soll ich mich!« antwortete endlich Herr Simon, »mich erklären, wenn in jedem Augenblicke der Tod Sie bedroht! Wenn für Ihre Partei, und für die, welche derselben anhängen, nichts mehr zu hoffen ist! Kommen Sie,« sagte er, Yves nach der Straße Rivoli hinziehend, »sehen Sie, die Truppen verlassen die Stadt, und kaum hatten Sie St. Cloud verlassen, als das Schloß schon verödet war.«