Read the book: «Gabriele»
Erster Theil
Erstes Kapitel
Eine verarmte Dame aus der großen Welt
Es gibt keine Frauen mehr! nein, mein lieber Graf, es gibt keine Frauen mehr,« rief schmerzvoll die Marquise von Fontenoy-Mareuil, indem sie sich zu dem Grafen Rhinville wendete, der neben ihr im Wagen saß. Der Graf seufzte, schien aber keineswegs aufgelegt zu sein, eine Behauptung, die im ersten Augenblicke fremdartig und gewagt erscheinen konnte, zu bezweifeln oder zu bestreiten.
Da die Marquise keinen Widerspruch fand, so sah sie sich genöthigt, dem Vergnügen einer weiteren Erörterung zu entsagen. Der Graf, seit langer Zeit Vertrauter ihrer Gedanken, war entweder überwunden, ober fürchtete, es zu werden, er antwortete nicht und zeigte auch nicht einmal Ueberraschung, als die Marquise obige Behauptung aufstellte, die freilich zu oft in ihren Gesprächen vorkam, als daß er nicht hätte daran gewöhnt sein sollen.
So saßen sie denn schweigend neben einander, während der Wagen rasch dahin rollte, sie hatten einander wenig zu sagen,'denn in dem Wen Alter Beider fallen die Worte langsam, trübselig und sparsam. In der Jugend theilt man einander seine Gedanken und Gefühle weit schneller mit – da folgen die Ausdrücke und die Sätze lebhaft und zusammenhängend, man offenbart, oder läßt erathen, die Gedanken, Pläne, Hoffnungen, die Schmerzen und die Freuden des Daseins. Man spricht oft, ohne es zu wissen, zu gleicher Zeit; man hat einander so viel zu sagen! – Zwei Greise dagegen würden fast immer schweigsam sein, wenn nicht besondere Gründe sie bewögen, das Schweigen zu brechen, und dennoch bleiben gegen ihren Willen die Sätze oft unvollendet. Zuweilen sogar halten sie mitten im Gespräch inne, wenn sie einander ansehen; – sie sagen nichts, sie betrachten die weißen Haare, die Runzeln, welche ihre Stirnen falten, jene Spuren der Zeit und der Schmerzen, die ihren Gesichtern eingeprägt sind. Sie lesen darin die Leiden und Sorgen der Vergangenheit, die Trübseligkeit der Gegenwart, die wenigen Hoffnungen, welche die Zukunft darbietet, und somit bleibt ihnen für dieses Leben nur noch wenig zu besprechen übrig.
Die Marquise von Fontenoy-Mareuil schien indessen ungeachtet ihrer siebzig Jahre heute durch irgend eine wichtige Angelegenheit bewegt zu sein, denn sie wiederholte lebhaft: »Und weil es keine Frauen mehr gibt, Herr Graf, geht Frankreich verloren, – gehen die jungen Leute verloren – und geht mein Enkel . . .« Hier hielt sie inne, zögernd, eine entschiedene Anklage gegen den Gegenstand ihres Stolzes und ihrer Zärtlichkeit auszusprechen.
Der Graf konnte sich eines feinen Lächelns nicht enthalten, indem er entgegnete:
»Ich hätte ganz das Gegentheil vermuthet.«
Die Marquise war in diesem Augenblicke nicht zum Scherzen aufgelegt, auch blieb sie ernst und traurig, indem sie hinzufügte: »Ohne Zweifel gibt es noch junge Mädchen, Gattinnen und Mütter. – Man heirathet noch die Frauen, die reich, man verliebt sich noch in die, welche hübsch sind, aber hierauf beschrankt sich auch jetzt die ganze Macht der Frauen. – Die Salons existieren nicht mehr, die Conversation hat aufgehört; der gute Geschmack ist mit beiden verschwunden und der Geist der Gesellschaft hat allen Glanz verloren. Ihr habt einen König, welcher Minister ein- und absetzt – eine Deputirtenkammer, die Gesetze gibt und widerruft, – eine Pairskammer, die gar nichts thut; – aber habt Ihr eine Macht, welche liebenswürdige Menschen schafft? – welche die jungen Leute den Gesetzen der feinen Lebensart unterwürfig macht? die sie lehrt, daß der gute Geschmack ein Beweis von Geist, und die edlen Manieren die Folge edler Gesinnungen sind? Die ihnen imponiert durch die öffentliche Stimme, durch Gesetze der Feinheit und Vernunft, wie sie in keinem Gesetzbuche stehen? – Durch welche Macht werden ihnen hinlängliche Zweifel an ihren Vollkommenheiten erweckt, damit sie sich bemühen, Männer von Verdienst zu werden, ohne aufzuhören, liebenswürdige Männer zu sein? – Kurz, diese Macht, mein Freund, diese mit so vielen anderen vernichtete Macht – sie bestand einst!
»Es waren die Frauen!
»Damals würde die Furcht vor dem Urtheil der Salons, in welchen er leben sollte, dem Herzog Yves von Mauléon niemals erlaubt haben, sich gänzlich von seiner Familie zu trennen; er, der Sprößling zweier edlen Häuser, der Erbe eines so großen Namens, würde nie gewagt haben, in einer Gesellschaft zu leben, die nicht die unsrige ist, und dort« – damit hielt sie wieder inne; – was sie noch hinzu zu fügen hatte, schien nicht über ihre Lippen zu wollen.
»Es ist also wahr, was man sagt?« erwiderte der
Graf, »was ich gehört habe – —«
. »Was haben Sie gehört? – was hat man Ihnen gesagt? – reden Sie! – ich will Alles wissen!« entgegnete die Marquise besorgt.«
»Nichts sehr Bedeutendes, nichts, was die Ehre einer Familie prostituieren könnte,« antwortete Herr von Rhinville.
Und doch, will Alles wissen,« wiederholte sie gebieterisch.
Ungeachtet der Unruhe und des Kummers, die sich auf den Zügen der Marquise malten, konnte der Graf ein leichtes lächeln nicht unterdrücken, indem er ausrief:
»Thorheiten eines Jünglings, die man sich lachend erzählt, woran die Welt sich belustigt und sie sehr schnell vergißt. Man sagt, er habe, als er mündig geworden und in den Besitz von 15 bis 20,000 Livres Renten gelangt sei (dem einzigen Ueberrest der unermeßlichen Besitzungen seiner Vorfahren) diese Summe zu unverhältnißmäßig mit seinem Range und seinen Neigungen gefunden, und da er mit seinen zwanzig Jahren und seinem Herzogstitel nicht leben wollte, wie ein alter Gewürzkrämer, so habe er seine Besitzungen verkauft, und die vierhundert-tausend Franken, die er daraus gelöst, in vier Theile legend, habe er den Vorsatz gefaßt, davon vier Jahre zu leben, als hätte er hunderttausend Livres jährliche Renten. Man fügt hinzu, Ihr Enkel sei diesem Vorsatze so treu geblieben daß der gestrige Tag zugleich das Ende der vier Jahre und der vierhundert-tausend Franken gesehen habe.«
Ein trauriger Seufzer entstieg dem Herzen der Marquise, indem sie sprach:
Vierhundert-tausend Franken sind nicht die Hälfte der jährlichen Recenüen, welche der Herr Marquis von Fontenoy-Mareuil im Jahre 1789 hatte, als wir uns vermählten; und dazu kam noch sein Gouvernement der Bretagne und sein Amt als erster Stallmeister von Madame.«
Der Graf machte eine Bewegung des Mitgefühls und der Betrübniß und das Schweigen begann wieder.
Es lagen so viele traurige Erinnerungen für Beide in diesen wenigen Worten!
Die Marquise, klein und zierlich, mit feinen Zügen, zartem blassem Gesicht, wenigen, sehr weißen, aber sorgfältig geordneten Haaren, einer sauberen Haube, weißem Hut und Schleier, einem Kleide von brauner Seide und einer großen, mit breiten schwarzen Blonden besetzten Mantille, hatte, ungeachtet ihres Alters, etwas Angenehmes, welches Folge eines feinen Anstandes und geläuterten Geschmackes war. Ihre Manieren waren einfach und natürlich; die Frauen von sehr hohem Range haben selten einen Anschein von Ziererei; des Platzes, den sie einnehmen und der Berücksichtigung, die man ihnen schuldig ist, gewiß, bringen sie nicht jene ängstliche Unsicherheit mit in die Gesellschaft, welche die Grazie des Geistes, wie die der Persönlichkeit lähmt. Die Gesellschaft, die sie umgibt, kennt sie, ihre Ansprüche sind festgestellt; unbestritten und sicher in der Gesellschaft, sind sie es auch in sich selbst.
Den höheren Classen sind die feinen und eleganten Manieren eben so natürlich, als den Handwerkern und Landleuten ihre treuherzigen und plumpen Gewohnheiten; dagegen aber pflegt eine gewisse Geziertheit in den Manieren der Mittelklassen zu herrschen; die Unsicherheit noch unbestätigter Ansprüche, der Wunsch, einen höheren Platz einzunehmen, die Furcht, zu gering geachtet zu werden, eine gewisse Eitelkeit, die durch höher Stehendes verletzt wird, und doch verachtet, was unter ihr ist, veranlassen unzählige Verlegenheiten, die sich' auf die sonderbarste, oft lächerlichste Weise verrathen. In allen Classen jedoch gleichen Verstand und Einsicht Alles aus, geben der Haltung Ruhe, der Rede Anmuth und den Manieren Natürlichkeit, durch das beruhigende Bewußtsein des eigenen Werthes; doch von allen Vorzügen ist Seelengröße der erste und verleiht als solcher am meisten den unnachahmlichen Anstand der mit Würde vereinten Grazie.
Die Revolutionen und Alles, was den Ansichten, welche die Marquise in frühester Jugend schon angenommen hatte. Widersprechendes geschehen und gesagt war, hatten dieselbe nicht im Geringsten geändert, zwei ihrer Ansichten besonders beherrschten alle anderen und dienten ihnen gleichsam zur Stütze und Grundlage, nämlich:
Die Größe ihrer edeln Familie und
Der Einfluß der Frauen auf die Gesellschaft.
Diese entthronten Gottheiten um jeden Preis zu beleben, zu erhalten und wiederherzustellen, schien ihr eine heilige Pflicht; ihre Lage betrübte sie weit weniger wegen der Entbehrungen, die sie ihr auferlegte, als weil, sie, als eine Person ihres Ranges, sich gezwungen sah, sich denselben zu unterwerfen, und nur um der beeinträchtigten Ehre dieses Ranges willen litt sie. – Sie fühlte die Würde und moralische Wichtigkeit der Frauen verletzt durch die wenige Beachtung, die in jetziger Zeit einer Frau von ihrem Alter und Range gewidmet wird.
Wenn die übertriebenen Ansichten der Marquise über diese Punkte zuweilen an das Lächerliche streiften, so bewiesen sie doch ungleich öfter eine ungemeine Größe und Erhabenheit ihres Charakters, indem ihre Persönlichkeit in einem Grundsatze sich auflöste. Vergessenheit seiner selbst und Aufopferung der eigenen Persönlichkeit adelt immer, wenn auch der Geist über die Ursachen und Folgerichtigkeit sich täuschen sollte.
Für den Theil der Vorstadt Saint-Germain, welchem die Marquise und der Graf angehörten, schien der jetzige Stand der Dinge noch zu fremd, zu undenkbar, um dauernd sein zu können – und ohne sich je daran gewöhnen zu können, ertrugen sie ihn als einen Zustand der Krisis, die freilich etwas lange wahrte, aber, wie Alles, was gegen die Gesetze der Natur ist, durchaus aufhören mußte.
Das Schicksal einiger Familien war so lange schon so innig mit dem Geschick Frankreichs verknüpft gewesen, daß es ihren Nachkommen schien, als müsse eine Trennung der gegenseitigen Interessen den Untergang beider herbeiführen.
In einem kriegerischen Staate immer zum Kampfe bereit, weihte der Adel der Vorzeit Schwert und Ergebenheit der Treue. – Später umgab er den friedlichen Thron mit der Anmuth des Geistes, dem Reize feiner Sitten und der Eleganz des Luxus, diesem glänzenden Schmucke eines müßigen und sorglosen Hofes; endlich nachdem er dem Königthume aus das Schlachtfeld und zu den Festen gefolgt war, begleitete er dasselbe sogar bis zum Schaffot, und der königliche Märtyrer erschien vor dem Könige des Himmels nicht ohne ein blutiges, aber glänzendes Gefolge, welches sein Geschick theilte, da es dasselbe nicht abzuwenden vermocht hatte.
Wie könnte dieser Adel willig anerkennen, was ihn nicht anerkennt? Einige aus dieser Gesellschaft halten es für unmöglich, daß dies Land, wo sie nichts mehr gelten, ferner bestehen könne; in ihren Augen ist daselbst Alles aufgehoben, und was ohne sie besteht, das besteht für sie wenigstens nicht mehr.
Es mußte einige Hoffnung sich mit der ihren Geist jetzt beherrschenden Idee vereinigen, um die Marquise an dem heutigen Tage ihre siebzig Jahre, ihre Gewohnheiten, die sie sonst um diese Tageszeit an ihr Zimmer fesselten, ihre Schwäche, die ihr das Fahren unangenehm machte und die Schmerzen der Vergangenheit, die sie oft stumpf und untheilnehmend machten, vergessen zu lassen; denn seit dem Abend zuvor war sie aufgeregt, unruhig und ungeduldig und hatte den Grafen dringend gebeten, pünktlich zu sein, und nicht zu vergessen, daß sie in der Mittagsstunde ihn erwarten werde, um sich in seiner Begleitung nach der Poststraße zu begeben.
Wirklich sah man am Morgen dieses von der Marquise so ungeduldig erwarteten Tages, gegen Mittag in dem weiten Hofe eines Hotels der Straße St. Dominique einen eleganten Wagen halten; ein Mann hatte denselben, ungeachtet ein Diener ihn unterstützte, langsam verlassen; kaum hatte er indessen den Fuß auf die Erde gesetzt, als er mit ziemlicher Leichtigkeit und lächelnd um sich blickend, die Stufen der Freitreppe hinauf hüpfte; es war der Graf von Rhinville, der Freund der Marquise von Fontenoy-Mareuil.
,Es war nicht leicht, auf den ersten Anblick sein Alter genau zu bestimmen, und der geübteste Beobachter würde einen Augenblick geschwankt haben, zu entscheiden, ob er einen sehr alten Mann vor sich sähe, dessen Aeußeres die angestrengteste Sorgfalt gegen die Verheerungen der Zeit geschützt hatte, oder einen jungen Mann, dessen Frische und Kraft einem stürmischen Leben unterlegen war.
Aber die Ungewißheit würde geendet haben, bevor die 33 Stufen der zu der Wohnung der Dame führenden Treppe erstiegen waren, dann, nachdem ein Blick ihn versichert hatte, daß er ohne Zeugen war, krümmte sich dieser hohe Wuchs, welchen eine elegante, fast jugendliche Kleidung begünstigte; eine Hand stützte sich auf das Geländer, die andere lag schwer auf dem Arme des Dieners, jeder Schritt geschah mit Anstrengung, die Runzeln dieses plötzlich ernst gewordenen Gesichtes schienen tiefer eingegraben zu sein unter dem leichten Anfluge eines erborgten Rothes, das nicht genügend war, sie gänzlich zu verdecken, und so war es denn nicht mehr zu bezweifeln, daß die glänzend schwarzen, sorgfältig geordneten Haare, die diesen Kopf zierten, auf einem um wenigstens dreißig Jahre jüngeren gewachsen waren.
Indeß erhob sich seine Haltung wieder und sein Schritt wurde fester; sein Mund lächelte wieder mit einem gewissen Stolze, indem der Greis, der gern einem Jüngling gleichen wollte, in ein sehr geräumiges und sehr einfach meublirtes Vorzimmer trat, wo er sich ausruhte. —
Alsbald erhob sich die einzige in diesem Zimmer befindliche, mehr einer schlichten Bürgerfrau, als der Kammerfrau einer vornehmen Dame gleichende Person, und ohne abzuwarten, daß der Diener den Namen seines Herrn genannt hatte, öffnete sie leise eine Thür, trat ohne Geräusch in ein Schlafzimmer und indem sie sich ehrfurchtsvoll der alten Dame, die schon bemüht war, ihre Handschuhe anzuziehen, näherte, meldete sie mit leiser Stimme:
»Der Herr Graf von Rhinville.«
»Ich bin bereit, Graf,« sprach sogleich die Marquise, indem sie ihren großen Fauteuil verließ und sich rasch der Thür zuwendete. »Tausend Dank für Ihre Gefälligkeit und Pünktlichkeit,« fügte sie hinzu; dann, im Begriff das Zimmer zu verlassen, wendete sie sich noch einmal zu ihrer Kammerfrau:
»Mademoiselle Huguet, ich werbe heute erst spät Abends nach Hause kommen,« sprach sie zu dieser, mit der ihr eigenen vornehmen Anstande; die Kammerfrau verneigte sich und die Marquise verließ, ihre Fingerspitzen auf die ihr dargebotene Hand des Grafen legend, mit diesem ihre Wohnung.
Das Zimmer, welches die Marquise so eben verlassen hatte, stellte, durch seine Größe, Höhe, Verzierungen und Meubles, so ziemlich die Wohnung einer großen Dame aus früherer Zeit dar; Mademoiselle Huguet repräsentierte recht gut eine Ausgeberin und auch nöthigenfalls Gesellschafterin.
Die Manieren der Marquise hatten ganz jene imponierende Würde, welche wahre Größe und Selbstgefühl anzeigt – dies war aber auch Alles, was ihr geblieben war von ihrer früheren Wichtigkeit, ihrem Rang, dessen Macht mit ihrem Vermögen und ihren Würden in der Gesellschaft verloren gegangen war.
Die Marquise von Fontenoy-Mareuil war gänzlich verarmt; die Revolutionen hatten einer Familie, welche zu den reichsten und mächtigsten Frankreichs gehört hatte, ihre Besitzungen geraubt; die Devise ihrer Waffen erinnerte noch an ihre Rechte und bezeugte ihren Rang, welcher sie berechtigt hatte, Ansprüche auf den Thron zu machen, wenn die Großen sich einen Herrscher unter ihres Gleichen wählten.
Die Marquise war so gänzlich verarmt, daß sie nur der Freundschaft der Prinzessin von T. die beiden Zimmer, die ihre Wohnung ausmachten, verdankte – sie war also Mitbewohnerin des Hotels ihrer Freundin, die sie nicht hatte bewegen können, mehr als diese beiden Zimmer anzunehmen.
Die Prinzessin hatte sich mit Mademoiselle Huguet und einem Geschäftsträger vereinigen müssen, um der Marquise ohne ihr Wissen eine Pension zu ersetzen, die schon seit 1830 auf der Civilliste gestrichen war und ihre einzige, sehr mäßige Einnahme ausmachte.
Glücklicherweise kam die Gewohnheit der Marquise, sich nicht mit Geldsachen zu befassen, und die Sorge für die kleinen täglichen Bedürfnisse einer zuverlässigen Vertrauten zu überlassen, den Bemühungen der Freundschaft zu Hilfe. Die Marquise besaß weder Hotel noch Schloß, weder Equipage noch Dienerschaft, aber sie bewohnte ein prachtvolles Hotel, brachte den Sommer in sehr schönen Schlössern zu, fuhr aus, so oft es ihr beliebte, wurde ehrfurchtsvoll und sorgsam bedient von Mademoiselle Huguet, und die ganze Dienerschaft der Prinzessin stand zu ihrer Disposition. Indessen besaß sie nicht das Geringste und ihr Enkel, der junge Herzog Yves von Mauléon, war so eben mit der Vergeudung seines väterlichen Erbtheils fertig geworden.
So war denn von zwei Familien, deren Ursprung sich in dem Dunkel von Jahrhunderten verlor, die Provinzen besaßen, Herzogskronen getragen, und dem Königthum seine Rechte streitig gemacht hatten, Niemand übrig geblieben, als eine von den Wohlthaten einer Freundin lebende Matrone und ein junger Mann von sechsundzwanzig Jahren, der Abends zuvor das Wenige, was er noch besaß, im Jockey-Clubb durch eine Wette über eine Parthie Billard zu Pferde verloren hatte, welche der Marquis von M. L. gewann.
Und an diesem Tage war es, wo die Marquise sich genöthigt sah, sich der Equipage eines alten Freundes zu bedienen, um sich an einen Ort, wo sie erwartet wurde, zu begeben.
Der Graf von Rhinville, seit langer Zeit mit den traurigen Gedanken der Marquise vertraut, und das Vorurtheil ahnend, welches sie beunruhigte, wünschte angelegentlich, eine peinliche, traurige Erinnerung durch eine schone Hoffnung zu verdrängen und sagte langsam:
»Man sagt – auch – daß dieses junge Mädchen – einst vier Millionen erben wird.«
»Wenigstens!« erwiderte die Marquise lächelnd.
»Und die Heirath ist gewiß?« fragte der Graf.
»So ziemlich,« antwortete die Marquise.
»Und die Millionen wurden erworben von. . .«
Die Marquise ließ ihn seine Rede nicht vollenden und fügte hinzu:
»Eine einzige Tochter – sechzehn Jahre – die Mutter Witwe —«
»Welche wünscht, daß ihre Tochter Herzogin werde,« sagte der Graf lächelnd.
»Sehen Sie, mein Freund,« sagte mit leichter Bitterkeit die Marquise, »wenn unser Recht, unsere Tugenden und Geistesgaben uns nichts mehr helfen können, müssen wir die Fehler und Verkehrtheiten Anderer zu unserem Vortheil benutzen.«
»Und ungeachtet dessen, was man seit Jahrhunderten gesagt und gethan hat,« fuhr der Graf mit spöttischem Lächeln fort – »sind ein Titel – ein Name —«
»Reize, die den Reichthum aller Zeiten aufwiegen,« fragte die Marquise hinzu; »die bürgerliche Eitelkeit widersteht ihnen nicht, sie ist noch eben so schwach, oder wenn Sie wollen, noch eben so stark, als zu der Zeit, wo Moliere den zum Edelmann gewordenen Bürger verspottete; sie äußert sich nur jetzt anders. – O! jetzt macht man sich auf andere Weise lächerlich, was aber Niemand verhindert, auch die alten Schwächen beizubehalten.«
Beide lachten, die gute Laune war wieder hergestellt. Der Graf von Rhinville, aus langer Gewohnheit Freund der Marquise, lachte über ihre don-mots – schmeichelte ihren Hoffnungen, stimmte in alle Pläne ein, wohingegen sie seine Neigungen theilte, welche sich übrigens alle auf ihn selbst bezogen. Auf dieser gegenseitigen Nachgiebigkeit und Fügsamkeit beruhte eine innige Verbindung, die schon vierzig Jahre bestanden hatte – ohne Unruhe und ohne Empfindlichkeit, vielleicht, weil sie ohne Leidenschaft und ohne Zärtlichkeit war.
Der Graf von Rhinville war ein Egoist, der aus Liebe zur Ruhe und aus Furcht vor der Sorge, welche eine Familie veranlaßt, unverheirathet geblieben war, alle Empfindungen seines Herzens und alle Scharfe seines Geistes in der Sorge für sich selbst vereinigend. Niemand konnte dem Dasein, welches der Himmel ihm geschenkt hatte, eine größere Sorgfalt widmen, und nie hatte Gott das Geschenk seines Ebenbildes in Hände gelegt, die würdiger gewesen wären, den Werth einer solchen Gabe zu erkennen, und besorgter für ihre Erhaltung, ihr Wohlsein und ihre Sicherheit.
Alle Begebenheiten, alle Ereignisse berührten ihn nur in Bezug auf sich selbst, ein für sein Vaterland unglücklicher Krieg würde ihn weniger betrübt haben, als ein Unfall, der seinen täglichen Spaziergang verhinderte; seine Freunde warfen ihm vor; in der Revolution von 1830 nur eine Umwälzung gesehen zu haben, die, weil die beiden äußersten Enden der Straße, in der er wohnte, verbarrikadiert waren, ihn einige Tage verhinderte, auszufahren und ihn zwang, sich einem Platzregen auszusetzen. Sie gaben ihm Schuld, daß er um nichts Theil nähme, nichts liebte, daß er in allen seinen Ansichten und Meinungen wandelbar sei, sobald sein Vortheil es erheischte – sie hatten Unrecht, – er wechselte niemals, er hatte immer denselben Hauptgedanken, immer dieselbe Theilnahme – nämlich seine ausschließliche Liebe zu dem Grafen von Rhinville.
Seine Wohnung war bequem, warm, hatte eine vorzügliche Lage, und ein Thermometer diente dazu, die Veränderungen der Atmosphäre anzuzeigen, damit dieselbe immer gleiche Wärme haben möge; dieses, wie die Sorge, daß seine Kleidung den Orten, die er besuchte, wie auch der Jahres- und Tageszeit immer genau angemessen war, gab zu hinreichenden und beständigen Geschäften Veranlassung.
Wie wäre ihm eine Minute geblieben, um sich mit Anderen beschäftigen zu können! Hatte er doch kaum Zeit, für sich selbst Alles, was er für nöthig hielt, zu besorgen. Wie aber jedes, auch noch so materielle Wesen irgend eine Art von Leidenschaft hat, so hatte der Graf von Rhinville den sehr lebhaften-Wunsch, für einen Mann von sehr hoher Geburt zu gelten. Sein etwas zweifelhafter Adel wurde in seinen Augen durch seine genaue Verbindung mit der, allen neuen Adel so sehr verachtenden Marquise außer allen Zweifel gesetzt. Die Aufmerksamkeiten, die er ihr bewies, vereinigten sich vortrefflich mit den täglichen Gewohnheiten einer verarmten Dame und sie hatte ihn bei den vornehmsten und stolzesten ihres Gleichen eingeführt.
Es bestand also eine stillschweigende Uebereinkunft zwischen ihnen, – sie hatten sich über diesen Punkt niemals ausgesprochen, aber immer vortrefflich verstanden. Der Graf von Rhinville lebte in und für sich selbst, die Marquise hingegen lebte außer sich selbst, und vielleicht paßten diese, in vieler Hinsicht so ungleichen Personen eben sowohl wegen ihrer Verschiedenheit so gut zusammen, als wegen der gleichen geselligen Interessen, die sie vereinigt hatten.
Nachdem sie einige Minuten geschwiegen hatte, rief die Marquise lebhaft:
»Endlich sind wir da – und werden sie sehen!«
In demselben Augenblicke hielt der Wagen vor einem Kloster in der Poststraße.
Es ist jetzt mit den Sprachzimmern und Gittern eines Klosters, wie mit manchen Einrichtungen aus einer früheren Zeit, deren Gestalt und Name sich noch erhalten haben, während der Geist, der sie stiftete und die Resultate dieser Stiftung, nicht bis auf unsere Zeit gekommen sind.
Das Kloster hatte seine Gitter, seine Sprachzimmer, seinen Thurm, seine Clausur, aber wahrscheinlich nur zur Erinnerung, denn sie schlössen nicht gegen den Willen der hier Eingeschlossenen eine Thür, welche das Gesetz offen hielt, und hinderten auch nicht die Unterhaltung mit Fremden und den Bewohnern des Hauses.
Kaum waren die Marquise und der Graf eingetreten, als eine Nonne ihnen entgegen kam und sie bat, mit ihr in den Salon zu gehen, welcher im Innern des Klosters lag und wo die Superiorin sich in einigen Minuten einfinden wollte; man mußte über einen Hof gehen, um dahin zu gelangen und indem sie die Schwelle überschritten, kam ein alter Mann, der hier wie zu Hause zu sein schien, aus einer der kleinen Thüren, die auf den Hof führten, blich stehen, und dann sich der Marquise nahend, grüßte er sie mit größter Demuth, indem er sagte:
»Sie ist hier, Frau Marquise – ich habe sie her geführt.« Alsdann grüßte er eben so demüthig den Grafen von Rhinville; aber dieser, statt den Gruß zu erwidern, zog seine Hand, die aus Gewohnheit schon nach dem Hute gegriffen hatte, zurück und erwiderte, sich noch mehr als gewöhnlich emporrichtend, weder mit Blick noch Geberde die so demüthige und angelegentliche Begrüßung des alten Mannes. Die Marquise schien hierüber mehr verdrießlich als verwundert zu sein, und die beiden Greise wechselten einen unerklärbaren Blick, in welchem Seitens des Grafen eine grausame Verachtung, Seitens des Andern ein tiefes Gefühl schmerzlicher Ergebung lag.
Der Graf zog die Marquise, ohne ihr Zeit zu lassen, mehr als einige Worte zu erwidern, mit sich fort zum Salon, und ließ den, der sie auf diese Weise angeredet hatte, allein, mitten im Hofe, wo er einige Augenblicke nachdenkend und unbeweglich stehen blieb; dann legte er langsam seine magere Hand an Stirn und Augen, als wolle er seine Gedanken sammeln, er sprach darauf mit schwacher Stimme einige unzusammenhängende Worte aus und kehrte mit langsamen Schritten und gesenktem Haupte in das Haus zurück.
Welcher Unterschied zwischen dem geputzten, lächelnden, geschmückten Grafen und dem verlassenen, traurigen und muthlosen Unbekannten. Wenige, ganz weiße Haare, eine tödtliche Blässe, ein Mund, der nicht mehr lächeln, aber Augen, die noch weinen konnten; eine Niedergeschlagenheit und Nichtbeachtung seiner selbst, welche bewies, daß er von Anderen nichts mehr erwarte; Alles an ihm zeigte von tiefer und schmerzlicher Empfindung, während die Sicherheit und Selbstzufriedenheit, die von dem Gesichte des Grafen strahlte, das gänzliche Nichtvorhandensein aller und jeder Gefühlswärme anzeigte.
Im Salon angelangt, wollte die Marquise ihre Bekanntschaft mit dem fremden Greise entschuldigen, denn sie sagte:
»Es ist ein sehr frommer Mann, der sein ganzes Leben guten Werken gewidmet hat.«
»Ein Heuchler!« erwiderte der Graf heftig.
»Er kennt – die Mutter – dieses jungen Mädchens,« fügte die Marquise leise hinzu, er ist es, der diese Heirath . . .«
Der Graf schien durch eine Bewegung andeuten zu wollen, daß diese Erklärung seine alte Freundin hinreichend gerechtfertigt habe, doch diese Bewegung verlor sich in einer des Erstaunens und der Ungeduld, indem er denselben Unbekannten einen jungen Mann anreden sah, der so eben von einer alten Nonne geleitet, über den Hof kam und dem ihn anredenden Alten freundschaftlich die Hand schüttelte; und dieser junge Mann war Niemand anders, als der junge Herzog Yves von Mauléon, der in den Salon eintrat, den Grafen begrüßte, ehrfurchtsvoll die Hand seiner Großmutter küßte und dann, ohne ein Wort zu reden, stehen blieb.
Yves von Mauléon war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte eine sehr edle Gestalt, ein sehr schönes Gesicht, alle seine Bewegungen hatten eine Feinheit und würdevolle Anmuth, die man jetzt nur noch selten findet, und die in Folge der jetzigen politischen Verhältnisse bald ganz verschwinden wird. Seine ganze Erscheinung war von der Art, daß man seinen Rang errathen haben würde, wenn auch sein Anzug der des ärmsten Bettlers gewesen wäre; der Ausdruck seines Gesichts athmete, so zu sagen, eine Selbstachtung, welche die Ehrfurcht Anderer hervorrief. Seine schöbe Stimme und reine sanfte Aussprache zeugten von edeln Gewohnheiten und einer vornehmen, sorgfältigen Erziehung, sein ganzes Wesen zeigte mit Kraft gepaarte Würde, und man fühlte sich eben so geneigt, ihn zu fürchten, als ihn zu lieben. Seine hohe schöne Stirn schien der Sitz des Verstandes zu sein, seine Augen waren blau und sanft, sein Haar hell-kastanienbraun – zuweilen spielte ein verachtender Zug um seine Lippen, aber nichts war anmuthiger und hinreißender, als sein Lächeln, welches jedoch nur selten den Ausdruck des Stolzes – Erbtheil seiner Familie, verdrängte.
In diesem Augenblicke zeigte er sich ernst und ruhig, keine seiner Mienen verrieth irgend eine Bewegung, aber starke Seelen verbergen oft die heftigsten Empfindungen unter dem Anschein von Gleichgültigkeit.
»Nun, mein Lieber!« sagte die Marquis« nach einigen Minuten des Schweigens, mit einem neugierigen Blicke, der sein Innerstes durchdringen zu wollen schien.
»Hier bin ich, meine Mutter!« diese einzigen Worte erwiderte er langsam, mit einem sanften und trüben Lächeln; worauf er, als hätten diese Worte Alles beantwortet, auf's Neue in sein voriges Schweigen' versank.
Der Salon, in dem sie waren, hatte die ganze Tiefe des Hauses, mithin zwei Fenster und eine Thür nach dem Hofe zu, und diesen gegenüber ebenfalls zwei Fenster und eine Thür, die nach dem, Garten führte, oder vielmehr nach einem großen mit Bäumen bepflanzten und der Erholung der Pensionairinnen gewidmeten Hofe.
In diesem Augenblicke kamen die jungen Mädchen vom Mittagsessen und ihre fröhlichen Ausrufungen kündigten die Stunde der Freiheit an; die Spiele begannen, sie entschädigten sich für das Schweigen im Refectorium durch allgemeines und lebhaftes Geschwätz und Gelächter, und der junge Mann sowohl, als seine beiden ehrwürdigen Begleiter schenkten diesen Scenen, die in ihnen Erinnerungen an wohl bekannte Freuden weckten, Blicke der Theilnahme und des Wohlwollens. Aber noch hatten sie nicht dazu kommen können, einander ihre Betrachtungen mitzutheilen, als die nach dem Garten führende Thür unter lautem Gelächter heftig geöffnet wurde und in derselben ein junges schönes Mädchen erschien, mit lebhaften, von der gehabten Bewegung erhöhten Farben, schwarzem Haar und heiteren, fast noch kindlichen Gesichtszügen, während ihre Gestalt die einer völlig erwachsenen Jungfrau war. Sie zog unter fortwährendem lautem Lachen ein zweites, zartes, blondes, furchtsames und bleiches Wesen nach sich, die ungern dem Willen ihrer lebhaften und unbesonnenen Gefährtin sich zu fügen schien.
»Nun!« rief die Erste, »meine Wette ist gewonnen!« und erröthend bis unter die Locken und über ihre Dreistigkeit zitternd, drehte sie sich lebhaft, um in den Garten zu fliehen, als ein Schrei der Ueberraschung und des Schreckens zu gleicher Zeit den Lippen des blassen jungen Mädchens und denen des jungen Mauléon entfuhr.