Read only on LitRes

The book cannot be downloaded as a file, but can be read in our app or online on the website.

Read the book: «Elim», page 7

Font:

Xl
Die Zwangsheirat

Wir wissen , für welche Dame die Cajüte bestimmt war.

Kaum war Jane in der Cajüte, so übernahm Elim das Commando des Schiffes und befahl den Anker zu lichten.

»Wie wär’s,« sagte Jurto, »wenn wir das Tau kappten?«

»Du hast Recht, es gebt schneller.«

Jurko nahm eine Axt, kappte das Ankertau und das Schiff wurde von der Strömung fortgerissen.

Aber schnell wurden auf Elim’s Befehl die Segel entfaltet; der vom Lande wehende Wind blähte sie auf und das kleine Schiff stach trotz seiner ziemlich plumpen Bauart ungehindert in See.

Bei Tagesanbruch bemerkte Elim die Linie der Kriegsschiffe, welche die französische Flotte blockirten.

Ein kleiner Kutter, der jede Nacht als Recognoscirschiff diente, segelte dem kleinen Schiffe entgegen.

Der junge Offizier, der den Kutter befehligte, sah an dem Bau- und Segelwerk, daß es ein holländisches Schiff war. Er ließ die einzige am Bord befindliche Kanone auf die Sloop abfeuern und segelte dann zur Blockadeflotte zurück.

In wenigen Augenblicken waren alle Batterien der Flotte mit Laternen erleuchtet.

Elim nahm ein Sprachrohr und rief:

»Schießet nicht! Ich bin ein Russe und bringe ein gekapertes holländisches Schiff.«

Aber feine Stimme verlor sich auf der Wasserfläche.

Ein Blitz zuckte am Backbord des nächsten Kriegsschiffes, und eine neben der Sloop einschlagende Kanonenkugel schleuderte das Wasser auf Verdeck.

»Was Teufel bedeutet das, Jurko?« sagte Elim.

»Sie sehen’s ja , Herr Lieutenant, man schießt auf uns.«

»Man wird uns in den Grund bohren —«

»In zehn Minuten,« erwiederte Jurko, »wird’s geschehen sein, wenn —«

Eine zweite Kanonenkugel zertrümmerte die große Raae.

»Wenn was?« fragte Elim.

»Wenn Sie keine andere Flagge aufziehen, Herr Lieutenant.«

Elim schaut hinauf: die holländische Flagge wehte stolz am Vordermast der Sloop.

»Man wird natürlich glauben,« setzte Jurko lachend hinzu, »wir wollten die Blockadeflotte entern.«

»Mein Gott!« sagte Elim, »wo hatte ich meine Gedanken?«

Er wandte sich rasch zu seinen Matrosen und rief ihnen zu:

»Ziehet die holländische Flagge ein, und hisset dieses Schnupftuch auf«

Die holländische Flagge wurde eingezogen, Elims Schnupftuch nahm die Stelle derselben ein.

Ehe die neue Flagge gesehen wurde, schlug eine dritte Kanonenkugel in das Vordercastell der Sloop ein.

Sobald aber das weiße Schnupftuch, welches ein Parlamentärschiff anzeigte, am Flaggenstocke wehte, hörte das Feuern auf.

Elim musterte mit einem raschen Blick die Flotte und erkannte sein Schiff.

»Steure auf den »Wladimir« zu, Jurko,« sagte er; »Du wirst Dich eben so sehr wie ich nach Hause sehnen.«

Jurko steuerte auf den »Wladimir« zu.

Es wurde bereits Tag und man konnte erkennen was auf der Flotte vorging.

Die gesamte Mannschaft, durch die drei Kanonenschüsse aufgeweckt, war auf den Verdecken der Schiffe versammelt.

Am neugierigsten mochte man wohl am Bord des »Wladimir« sein, denn auf dieses Schiff schien die Sloop loszusteuern.

»Ich erkenne Nicolai Alexiewitsch,« sagte Elim; »er betrachtet uns durch sein Fernrohr.«

Dann nahm er sein Sprachrohr und rief hinüber:

»Guten Morgen, Nicolai Alexiewitsch!«

»Der Teufel soll mich holen,« sagte der alte Schiffslieutenant , »wenn das nicht der närrische Elim Belosor ist!l«

»Elim! Elim!« riefen ihm ein Dutzend Offiziere zu.

»Der Lieutenant Belosor!« rief die Schiffsmannschaft einstimmig.

»Hurrah! Vivat der Lieutenant Belosor!«

»Angelegt!« rief Elim den Matrosen zu.

Diese machten mit ihren Bootshaken die Sloop an der Fregatte fest.

»Wahrhaftig, lieber Elim,« sagte Nicolai Alexiewitsch, indem er seinem jungen Cameraden die Hand reichte, »Du mußt ein Hexenmeister sein. Du fällst ins Wasser und ertrinkst nicht, Du gehst durchs Feuer und verbrennst nicht! Wir hatten längst alle Hoffnung aufgegeben, Dich wiederzusehen und nun kommst Du frisch und munter an Bord. Sei willkommen!«

»Und ich komme nicht allein,« erwiederte Elim und wandte sich zu Jane, welche eben von Jurko an Bord getragen wurde.

»Ei, was ist das?« sagte Nicolai Alexiewitsch, als er das schöne Mädchen bemerkte. »Es wundert mich nicht, daß wir Dich für einen Brander gehalten: diese zwei Augen wären hinreichend gewesen, die ganze Flotte in Brand zu stecken.«

»Lieber Nicolai,« sagte Elim, »habe die Güte, dieser jungen Dame den Arm zu bieten ; ich will mich vor Allem mit dem Capitän verständigen.«

Nicolai Alexiewitsch trat mit einer Verbeugung auf Jane zu und bot ihr den Arm.

Elim fand den Capitän unten auf der von der Cajüte zum Verdeck führenden Treppe.

Der Capitän war höchst freudig überrascht, als er Elim erkannte. Er liebte den jungen Offizier wie seinen eigenen Sohn.

»Gut, gut,« sagte er, als Elim seine Erzählung beendet hatte. »Du mußt gute Prisengelder bekommen für die gekaperte Sloop. – Aber sagen Sie mir, Herr Lieutenant,« setzte der Capitän ernsthaft hinzu, »wer ist die Dame, die Sie bei sich haben?«

Der Capitän hatte durch das Fenster seiner Cajüte gesehen, daß Jane an Bord der Fregatte gebracht wurde.

Elim erröthete; er kannte das ausdrückliche Verbot, Frauen am Bord der russischen Kriegsschiffe aufzunehmen.

Er erzählte Alles. Der Capitän hörte ernst und aufmerksam zu.

»Ich zweifle keineswegs an der Wahrheit Ihrer Aussage, Elim Paulowitsch,« erwiederte der Capitän; »aber die Augen der ganzen Flotte sind auf sie gerichtet; Jedermann ist berechtigt zu glauben, daß Sie diesen Roman erfunden haben, um Ihr Verhältniß zu einer Ihres Namens nicht würdigen Person zu bemänteln —«

»Capitän!« unterbrach ihn auffahrend der junge Schiffslieutenant, vor Zorn erröthend.

»Wir wollen uns nicht ereifern,« fuhr der Capitän fort. »Hören Sie mich ruhig an. Je mehr Sie, zumal mir gegenüber, die Fassung verlieren, desto mehr sind Sie im Unrecht. – Sie wissen doch, daß es nach unseren Gesetzen verboten ist, in Kriegszeiten Frauen am Bord zu haben. Was soll ich an den Admiral berichten? Seine erste Frage wird sein: Ist’s seine Frau oder seine Schwester?«

Elim schlug die Augen nieder und schwieg.

Der Capitän fuhr in sanfterem Tone fort:

»Aber auch angenommen, lieber Elim, daß diese Geschichte Ihrem Rufe nicht schade: müssen Sie nicht auf den guten Ruf des armen Kindes bedacht sein? Sie ist aus guter Familie, und hat daher in dieser Hinsicht viel zu verlieren. Sie sind jetzt ihr einziger Beschützer, Elim, und die Ehre eines unbescholtenen Mädchens muß jedem Biedermanne heilig sein.«

»Was soll ich thun, Capitän?« sagte Elim traurig. »Rathen Sie mir – thun Sie einen Machtspruch —«

»Ich soll Ihnen einen Rath geben, Elim?«

»Ja, ich bitte Sie inständigst darum.«

»Ich soll nicht als Vorgesetzter, sondern als Vater mit Dir reden?«

»Ich werde Ihnen ewig dankbar dafür sein.«

»Liebst Du das Mädchen , Elim ?« fragte der Capitän.

»Ich bin bereit mein Leben für sie hinzugeben.«

»Liebt sie Dich?«

»Sie kann nicht ohne mich leben.«

»Wirst Du sie glücklich machen?«

»O! ich bürge dafür mit meiner Ehre!«

»Hast Du die Einwilligung ihrer Eltern?«

»Sie ist meine Braut.«

»Nun, dann heirate sie.«

»So geschwind, Capitän?« fragte der junge Seemann außer sich vor Freude.

»Auf der Stelle. Ich will Euch meine Cajüte abtreten und euer Brautvater3 sein.

»O mein theurer, verehrter Freund!« sagte Elim, in die Arme des würdigen Offiziers sinkend.

»Es bleibt also dabei,« fuhr der Capitän fort. »Jetzt geh und setze deine Braut davon in Kenntniß; fünf Minuten vorher muß sie es doch wohl wissen.«

Elim eilte auf’s Verdeck und halb lachend halb weinend riß er seine holde Braut dem bärtigen Schiffslieutenant vom Arme und drückte sie an sein Herz.

»Mein Gott! Elim, was gibt’s denn?« fragte Jane fast erschrocken.

»Liebe Jane – Du – wir —« antwortete Elim. »Ach! ich kann an mein Glück noch nicht glauben —«

»Rede.«

»Der Capitän verlangt, daß wir uns auf der Stelle heiraten.«

»Auf der Stelle?« wiederholte Jane ganz bestürzt.

»Du darfst Dich nicht weigern, Jenny; das Gesetz will es so.«

»Ich weigere mich auch nicht,« erwiederte sie erröthend und die Augen niederschlagend.

»Du bist ein Engel!«

»Der Priester erwartet das Brautpaar in der Cajüte des Capitäns,« sagte Jurko näher tretend. »Und es scheint, Herr Lieutenant, daß er große Eile hat.«

»Nicht mehr als ich, mein braver Jurko,« erwiederte Elim. »Wenn also Jane nichts dagegen einzuwenden hat —«

»Komm – wir wollen gehen,« lispelte sie kaum verständlich, während ihre bebende Hand, welche sie in Elims Arm schob, deutlicher sprach als ihre Stimme.

Nicolai Alexiewitsch und der Capitän waren die Brautväter.

Die ganze Schiffsmannschaft erhielt Erlaubniß sich in das Zwischendeck zu begeben und einer Feier beizuwohnen, welche am Bord einer Fregatte nur selten stattfand und daher die allgemeine Neugierde erregte.

Sobald das junge Paar eingesegnet war, hörte man die Körke der Champagnerflaschen knallen.

Es war die Kanonade zur Vermählungsfeier.

Jane dankte den Anwesenden mit holdem Erröthen und reichte den Offizieren des »Wladimir« ihre Rosenwangen zum Kuß.

»Jetzt werdet Ihr müde sein,« sagte der Capitän. »Gute Nacht, Kinder; wenn zur Tafel geläutet wird, sollt Ihr geweckt werden.«

Er entfernte sich und verschloß die Thür.

Elim und Jane blieben allein.

*                   *
*

Drei Tage nach der Vermählung des jungen Paares verließ die Flotte ihre bisherige Station, um in der Maas zu überwintern.

Die erste Person, welche die Neuvermählten auf dem Quai von Rotterdam fanden, war Mynheer August van Naarvaessen.

»Vater! – Vater!« riefen ihm Elim und Jane entgegen und sanken in seine Arme.

Der alte Herr war außer sich vor Freude; er weinte und lachte, liebkoste und murrte.

Aber die geschehenen Dinge ließen sich nicht ändern; die Ereignisse hatten ja auch eine über alle Erwartung glückliche Wendung genommen.

Man schrieb an Frau van Naarvaessen, die zu Hause geblieben war.

Eine Woche nachher erhielt Jane einen Brief von ihrer Mutter. Die ehrenwerthe Dame schickte dem lieben Kinde ihren Segen, konnte aber ihr Bedauern nicht verhehlen, daß es ihr nicht vergönnt gewesen, die berühmte Apfeltorte, ihr kostbares Geheimniß, zum Hochzeitmahle zu bereiten.

Noch größern Kummer aber machte es ihr, daß das seit fünf Generationen in der Familie vererbte großartige Brautbett diesesmal unbenutzt geblieben war.

Jane lachte und weinte, als sie den Brief gelesen hatte.

»Lieber Vater,« sagte sie, »gib meiner Mutter die Versicherung —«

»Daß Du es gar nicht entbehrt hast, mein Kind,« antwortete der alte Herr.

Jane sah ihren Gatten an und sank erröthend in seine Arme. Elim reichte über ihre Schulter dem Schwiegervater die Hand.

»Saperlot!« sagte van Naarvaessen, »es ist wahrhaftig zum Ersticken, Kinder, die Thränen zu verschlucken!«

Und er fing an zu weinen.

Zum Glück waren es Freudenthränen.

– Ende -
3.So nennt man in Rußland den Verwandten oder-Hausfreund, der bei einer Hochzeit die Stelle des Vaters vertritt.