Read the book: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», page 15
»Mich dünkt, Herr Marquis, daß die Fräulein von Souday so gütig waren, meinen Namen zu nennen —«
»Es ist wahr,« erwiderte der Marquis ganz verlegen, denn er hielt seinen jungen Gast für den Sohn eines sehr vornehmen Mannes. »Entschuldigen Sie, Herr Petit-Pierre, was halten Sie von der Zweckmäßigkeit einer schleunigen Erhebung? Sie sprechen trotz Ihrer Jugend so vernünftig, daß ich Ihre Meinung kennen zu lernen wünsche.«
»Ich werde Ihnen meine Meinung um so lieber mittheilen, da sie der Ihrigen sehr nahe kommt.«
»Wirklich?«
»Wenn ich mir erlauben darf, eine Meinung abzugeben —«
»O! nach dem erbärmlichen Geschwätz, das ich diese Nacht gehört, scheinen Sie mir wie einer der sieben Weisen Griechenlands.«
»Sie sind zu gütig. Ich bin der Meinung, Herr Marquis, daß die Vereitlung der verabredeten Erhebung in der Nacht vorn 13. zum 14. Mai sehr zu beklagen ist —«
»Sehen Sie wohl! Dasselbe sagte ich auch zu den faden Schwätzern. Und Ihre Gründe?«
»Meine Gründe sind folgende: Die Soldaten sind in den Dörfern bei zerstreuten, von einander entfernten Einwohnern einquartiert; es fehlte ihnen an einer einheitlichen Leitung, und es war ganz leicht, sie zu überrumpeln und zu entwaffnen.«
»Sehr richtig; jetzt hingegen —«
»Jetzt hingegen, seit zwei Tagen, ist Befehl gegeben worden, die kleinen Cantonnirungen zu räumen und nur Bataillone oder ganze Regimenter in den Städten zu lassen. Jetzt müssen wir eine förmliche Schlacht liefern, um einen Erfolg zu erkämpfen, den wir im Schlafe hätten erreichen können.«
»Sie haben vollkommen Recht,« erwiderte der Marquis begeistert, »es thut mir sehr leid, daß ich unter den sechsunddreißig Gründen, die ich meinen Gegnern gegeben, an diesen Grund nicht gedacht habe. Aber wissen Sie auch gewiß, daß die Truppen diesen Befehl erhalten haben?»
»Ganz gewiß, Herr Marquis,« antwortete Petit-Pierre mit dem bescheidensten Ausdrucke, den er seinem Gesicht geben konnte.
Der Marquis sah seinen Gast sehr erstaunt an.
»Das ist sehr fatal,« sagte er. »Ich bin ganz Ihrer Meinung, mein junger Freund – erlauben Sie mir, daß ich Sie so nenne – es ist am besten zu warten, bis die neue Maria Theresia sich an die Spitze ihrer neuen Ungarn stellt, und einstweilen auf das Wohl ihres königlichen Sprößlings und der weißen Fahne zu trinken. Die Fräuleins von Souday mögen daher für mein Frühstück sorgen, da Jean Oullier nicht zu Hause ist. Es hat sich Jemand die Erlaubniß genommen, ihn ohne mein Wissen nach Montaigu zu schicken.«
»Dieser Jemand bin ich, Herr Marquis,« sagte Petit-Pierre mit höflichem, aber entschiedenem Tone, »ich bitte um Entschuldigung daß ich über einen Ihrer Leute verfügt habe; aber es war sehr nothwendig, über die Stimmung der auf dem Jahrmarkte versammelten Landleute etwas Näheres zu erfahren.«
In dieser sanften, weichen Stimme lag ein so zuversichtlicher, entschiedener Ton, daß der Marquis ganz betroffen war, und in Gedanken alle vornehmen Personen überzählte, die er vormals gekannt hatte, um zu errathen, wessen Sprößling sein junger Gast wohl sey. Er vermochte nur einige zustimmende Worte zu stammeln.
Der Graf von Bonneville erschien nun ebenfalls im Salon, und ließ sich von Petit-Pierre vorstellen.
Das offene heitere Gesicht des Grafen gefiel dem Marquis von Souday, der für seinen jungen Gast bereits sehr eingenommen war. Er versprach, an die vermeinte Zaghaftigkeit seiner künftigen Waffengefährten nicht mehr zu denken, als an die schlechten Jagden vom vorigen Jahre. Aber während er seine Gäste einlud, sich in das Speisezimmer zu begeben, nahm er sich vor, alle seine Gewandtheit aufzubieten, um von dem Grafen Bonneville zu erfahren, wer der junge interessante Petit-Pierre sey.
XII.
Wo der Marquis von Souday sehr bedauert, daß Petit-Pierre kein Edelmann ist. (Fortsetzung.)
Die beiden Gäste des Marquis blieben ganz erstaunt in der Thür des Speisezimmers stehen.
Der Tisch bot in der That einen großartigen Anblick. In der Mitte stand, einer alterthümlichen Veste gleich, eine majestätische Wildpretpastete, umgeben von einem fünfzehnpfündigen Hecht, einigen gebratenen Hühnern, mehren Schüsseln mit Coteletten, Kaninchen, Salat, Gemüse und eingesottenen Früchten. Die Batterie von Schüsseln war in einer eben nicht malerischen Verwirrung aufgestellt, sie war indeß ganz geeignet, den durch die Waldluft gereizten Appetit zu befriedigen.
»Tudieu!« sagte Petit-Pierre fast erschrocken über den gewaltigen Eßapparat. »Herr Marquis, Sie erweisen uns armen Landleuten zu viel Aufmerksamkeit.«
»Es ist nicht mein Verdienst, junger Freund,« erwiderte der Herr vom Hause, »Sie müssen mir weder danken noch Vorwürfe machen, es geht die beiden Fräulein an. Aber es wird mich unendlich freuen, wenn Sie sich"s am Tische eines armen Landedelmannes wohl schmecken lassen.«
Der Marquis führte Petit-Pierre an den Tisch, den dieser fast mit Furcht zu betrachten schien.
»Ich weiß nicht, Herr Marquis, ob ich im Stande seyn werde, Ihren Erwartungen zu entsprechen,« sagte der junge Gast, »denn ich muß in aller Demuth gestehen, daß ich ein schwacher Esser bin.«
»Sie sind wahrscheinlich an feinere Speisen gewöhnt,« erwiderte der Marquis, »ich bin ein wahrer Bauer; saftige, nahrhafte Speisen sind mir lieber als alle Leckerbissen.«
»Ich habe gehört,« versetzte Petit-Pierre, »daß zwischen dem Könige Ludwig XVIII. und dem Marquis d’Avaray hierüber viel gestritten wurde.«
Der Graf von Bonneville stieß Petit-Pierre mit dem Ellbogen an.
»Sie haben den König Ludwig XVIII. und den Marquis d’Avaray gekannt?« fragte der Landedelmann sehr erstaunt, und sah Petit-Pierre an, als ob er sich überzeugen wollte, daß dieser keinen Spaß mache.
»O ja, in meiner Jugend,« antwortete Petit-Pierre ganz unbefangen.
Man hatte inzwischen Platz genommen, und sogleich begann der Angriff auf die der Vertilgung harrenden Speisen.
Nur Petit-Pierre verschmähte Braten und Pasteten, Ragouts und Gemüse, die ihm der Marquis nach einander anbot, er wollte sich mit einer Tasse Thee und zwei weichen Eiern begnügen.
»Die frischen Eier,« sagte der Marquis, »können wir bald haben, Mary wird sie sogleich bei der Köchin bestellen; aber Thee wird schwerlich im Hause seyn.«
Mary war bereits aufgestanden, um in die Küche zu gehen, aber als vom Thee die Rede war, blieb sie ganz verlegen an der Thür stehen.
Es war kein Thee im Hause.
Petit-Pierre sah die Verlegenheit des freundlichen Wirthes und seiner Töchter.
»Sie dürfen sich deshalb nicht ängstigen,« sagte er. »Der Herr Graf Bonneville wird die Güte haben, aus meiner Schatoulle etwas Thee zu holen; ich habe mich leider an dieses Getränk gewöhnt und führe immer Thee bei mir.«
Er übergab dem Grafen einen kleinen Schlüssel.
Der Graf von Bonneville entfernte sich auf der einen Seite, während Mary aus einer andern Thür ging.
»Sie sind ja so zart wie ein Mädchen, mein junger Freund,« sagte der Marquis, indem er ein großes Stück Rehbraten vertilgte; »hätten Sie nicht so vernünftige Ansichten ausgesprochen, so würde ich fast an Ihrem Geschlecht zweifeln.«
Petit-Pierre lächelte.
»Ihre Zweifel werden schon schwinden, Herr Marquis,« sagte er, »wenn wir den Soldaten Philipps begegnen.«
»Wie! Sie wollen sich unsern Banden anschließen?« fragte der Marquis, dessen Erstaunen immer größer wurde.
»Ich hoffe es,« antwortete Petit-Pierre.
»Und ich,« sagte Bonneville, der wieder an den Tisch kam und seinem jungen Begleiter den Schlüssel einhändigte, »ich stehe Ihnen dafür, daß Sie ihn immer an meiner Seite sehen werden.«
»Es wird mich sehr freuen, mein junger Freund,« erwiderte der Marquis, »es wundert mich gar nicht: man muß den Muth nicht nach der Körpergröße messen. In dem großen Kriege habe ich in Charette’s Gefolge Damen gesehen, die sehr gut mit dem Pistol schossen.«
In diesem Augenblicke kam Mary, in der einen Hand den Theetopf, in der andern einen Teller mit den zwei weichgesottenen Eiern tragend.
»Ich danke Ihnen, mein schönes Kind,« sagte Petit-Pierre mit dem Tone eines freundlichen Gönners, und erinnerte dadurch den Marquis an die Hofcavaliere von vormals, »verzeihen Sie, daß ich Ihnen so viele Mühe gemacht habe.«
»Sie sprachen soeben von Sr. Majestät Ludwig XVIII.,« sagte der Marquis von Souday, »und von seinen gastronomischen Ansichten. Ich habe auch oft gehört, daß seine Tafel mit den feinsten Speisen besetzt zu seyn pflegte.«
»Das ist wahr,« erwiderte Petit-Pierre, »er hatte eine ganz eigenthümliche Art, Ortolanen und Coteletten zu essen.«
»Mich dünkt aber doch,« entgegnete der Marquis, dessen Kinnladen unaufhörlich arbeiteten, »daß man Ortolanen und Coteletten nur auf einerlei Art essen kann.«
»Sie meinen, wie Sie sie essen, Herr Marquis?« sagte Bonneville lachend.
»Ja wohl. Ortolanen sind hier freilich sehr selten; aber wenn Bertha und Mary zuweilen an der kleinen Jagd Vergnügen finden, und Lerchen und Feigenschnepfen nach Hause bringen, so nehme ich den Vogel beim Schnabel, bestreue ihn mit etwas Pfeffer und Salz, stecke ihn ganz in den Mund und verzehre ihn bis auf den Schnabel. Es ist delikat; es gehören freilich zwei bis drei Dutzend für eine Person.«
Petit-Pierre lachte; er dachte an den Schweizergardisten, der gewettet hatte, er werde ein sechswöchentliches Kalb in einer Sitzung verzehren.
»Ich habe mich nicht gut ausgedrückt,« erwiderte er, »ich hätte sagen sollen, daß der König Ludwig XVIII. die Ortolanen und Coteletten auf eine eigene Art zubereiten ließ.«
»Ich meine,« sagte der Marquis, »daß man die Ortolanen am Spieß und die Coteletten auf dem Rost bratet.«
»Das ist wahr,« versetzte Petit-Pierre, dem das Gespräch großes Vergnügen zu machen schien, »aber der Haushofmeister in den Tuilerien ging dabei mit einem eigenen Raffinement zu Werke: die mittlere Cotelette, welche für den König bestimmt war, wurde zwischen zwei andere gelegt, und mußte in dem Safte derselben braten. Eben so machte er’s mit den Ortolanen: die, welche wie er sich ausdrückte, die Ehre haben sollten, von Sr. Majestät gegessen zu werden, wurden in einen Krammetsvogel, und dieser wieder in eine Schnepfe gesteckt. Wenn der Braten fertig war, so legte man die Schnepfe als ungenießbar zurück, aber der Krammetsvogel war schmackhaft und der Ortolan superfein.«
»Fürwahr, mein junger Freund,« sagte der Marquis, indem er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und Petit-Pierre sehr erstaunt ansah, »man könnte glauben, Sie wären dabei gewesen.«
»Ich bin auch Augenzeuge gewesen,« antwortete Petit-Pierre.
»Hatten Sie denn eine Hofcharge?« fragte der Marquis lachend.
»Ich war Page,« antwortete Petit-Pierre.
»Ja, dann weiß ich mir’s zu erklären,« sagte der Marquis. »Sie haben für Ihr Alter schon viel gesehen.«
»Ja, nur allzu viel!« erwiderte Petit-Pierre mit einem Seufzer.
Die beiden Mädchen sahen ihn mit inniger Theilnahme an.
Denn es schien, als ob an diesem auf den ersten Anblick so jugendlichen Gesichte das Unglück nicht ganz spurlos vorübergezogen sey.
Der Marquis machte wiederholt einen Versuch, das Gespräch wieder in Gang zu bringen, aber Petit-Pierre in Gedanken vertieft, schien Alles gesagt zu haben, was er zu sagen hatte, er schien die von dem Marquis entwickelten gastronomischen Theorien über wildes und zahmes Geflügel nicht zu verstehen, oder er beachtete sie nicht. Er sprach kein Wort mehr.
Aber trotz dieser Schweigsamkeit gefiel er dem Marquis ungemein.
Man ging wieder in den Salon, aber statt sich zu den beiden Mädchen, zu dem Grafen von Bonneville und zu dem Marquis von Souday vor das lodernde Caminfeuer zu setzen, trat Petit-Pierre ans Fenster und lehnte seine Stirne an die Scheibe.
Nach einer kleinen Weile, während der Marquis dem Grafen von Bonneville viel Schmeichelhaftes über seinen jungen Begleiter sagte, wurde der Name des Grafen in gebieterischem Tone gerufen.
Der Befehl kam von Petit-Pierre.
Der Graf sprang auf und eilte zu dem jungen Bauer.
Dieser sprach leise mit ihm; er schien ihm einen Befehl zu geben. Bonneville verneigte sich zu wiederholten Malen.
Als Petit-Pierre schwieg, nahm Bonneville seinen Hut, verneigte sich und ging fort.
Petit-Pierre trat nun auf den Herrn vom Hause zu.
»Herr Marquis,« sagte er, »ich habe so eben dem Grafen von Bonneville versichert, daß Sie es nicht übel nehmen würden, wenn er ein Pferd aus Ihrem Stalle nimmt, um alle Schlösser der Nachbarschaft zu besuchen und dieselben Herren, deren Ansichten Sie diesen Morgen so eifrig bekämpft, hierher zu einer Zusammenkunft einzuladen. Man wird sie wahrscheinlich noch in St. Philibert versammelt finden, und deshalb habe ich ihm große Eile empfohlen.«
»Aber,« entgegnete der Marquis »einige jener Herren werden mir meine derbe Sprache vielleicht übel genommen haben, und deshalb nicht gern hierher kommen —«
»Wer einer Einladung nicht folgen will, erhält einen Befehl.«
»Einen Befehl? Von wem?« fragte der Marquis erstaunt.
»Von der Herzogin von Berry, die dem Grafen Bonneville unbeschränkte Vollmacht gegeben hat. Sie fürchten vielleicht,« setzte Petit-Pierre etwas unschlüssig hinzu, eine solche Zusammenkunft im Schlosse Souday könne für Sie und Ihre Familie schlimme Folgen haben. Wenn das ist, Marquis, so dürfen Sie nur ein Wort sagen. Der Graf Bonneville ist noch nicht fort.«
»Corbleu!« sagte der Marquis, »er nehme mein bestes Pferd – wenn er’s auch todt reitet!«
Kaum hatte der Marquis diese Worte gesprochen, so ritt der Graf von Bonneville im Galopp auf der Straße nach St. Philibert fort, als ob er die ihm gegebene Erlaubniß gehört hätte und schnell benutzen wollte.
Der Marquis trat ans Fenster, um ihm nachzuschauen; er wandte sich erst um, als er ihn aus dem Gesichte verloren hatte.
Er sah sich nach Petit-Pierre um, aber Petit-Pierre war verschwunden, und als der Marquis nach ihm fragte, antworteten seine Töchter, der räthselhafte junge Gast habe sich in sein Zimmer begeben, um Briefe zu schreiben.
»Ein sonderbarer kleiner Kauz!« sagte der Marquis von Souday.
XIII.
Die Vendéer im Jahre 1832
An demselben Tage um fünf Uhr Nachmittags war der Graf von Bonneville wieder zu Souday.
Er hatte fünf der vornehmsten Parteiführer gesprochen, sie sollten zwischen acht und neun Uhr Abends in Souday eintreffen.
Der jederzeit gastfreie Marquis befahl der Köchin, sich mit Hühnerhof und Speisekammer ins Einvernehmen zu setzen und ein möglichst reichliches Abendessen bereit zu halten.
Die fünf Chefs, welche sich auf Veranlassung des Grafen am Abende versammeln sollten, waren: Louis Renaud, Pascal, Coeur-de-Lion, Gaspard und Achille.
Wer mit den Ereignissen des Jahres 1832 einigermaßen vertraut ist, wird diese unter falschen Namen versteckten Männer leicht erkennen. Diese nur den vertrautesten Männern bekannten Namen hatten sie angenommen, um sich nicht zu verrathen, falls den Civil- oder Militärbehörden etwa Briefe in die Hände fielen.
Als daher Jean Oullier zum größten Verdruß des Marquis um acht Uhr Abends noch nicht wieder da war, wurde Mary zur Thürhüterin bestellt; sie sollte nur Denen öffnen, die aufeine gewisse Art klopfen würden.
Die Zusammenkunft sollte im Salon stattfinden. Die Fensterläden waren fest geschlossen, die Vorhänge herabgelassen.
Schon um sieben Uhr Abends warteten vier Personen im Salon: der Marquis von Souday, der Graf von Bonneville, Petit-Pierre und Bertha.
Mary wartete in einem am Schloßthore stehenden Häuschen, durch dessen vergittertes Fenster man auf die Landstraße sehen und sich überzeugen konnte, wer Einlaß begehrte.
Am ungeduldigsten war Petit-Pierre, der sich eben keiner großen Selbstbeherrschung erfreute. Obgleich es kaum halb acht Uhr war, lauschte er unaufhörlich an der nur angelehnten Thür, ob kein Geräusch einen der erwarteten Edelleute anzeigte.
Endlich um acht Uhr wurde an das Schloßthor geklopft, und an den drei langsam auf einander folgenden Schlägen gab sich einer der erwarteten Edelleute zu erkennen.
Petit-Pierre wollte hinauseilen, aber der Graf von Bonneville hielt ihn zurück.
»Sie haben Recht,« sagte Petit-Pierre und trat in den dunkelsten Winkel des Salons.
Gleich darauf erschien der Besucher in der Thür.
»Herr Louis Renaud!« sagte der Graf von Bonneville so laut, daß Petit-Pierre es hörte und an dem falschen Namen den wahren erkennen konnte.
Der Marquis von Souday ging dem jungen Cavaliere freundlich entgegen, denn er erkannte in ihm einen von denen, die für eine sofortige Erhebung gestimmt hatten.
»Kommen Sie, lieber Graf,« sagte er, seine Hand fassend, »Sie sind der Erste, das ist eine gute Vorbedeutung.«
»Ich hatte den kürzesten Weg zu machen, lieber Marquis,« erwiderte Louis Renaud, »eines größeren Eifers, als die übrigen Herren, kann ich mich gewiß nicht rühmen.«
Der neue Gast erschien zwar in Bauerntracht, aber er trat mit so ungezwungener Haltung auf und begrüßte Bertha mit so feinem Anstande, daß ihm diese glänzenden Eigenschaften sehr geschadet haben wurden, wenn er auch nur für kurze Zeit genöthigt gewesen wäre, das Benehmen und die Sprache eines Bauers nachzuahmen.
Als er den Herrn vom Hause und Bertha begrüßt hatte, wandte er sich zu dem Grafen von Bonneville. Aber dieser, der die Ungeduld Petit-Pierre’s bemerkte, nahm sogleich das Wort:
»Sie wissen, lieber Herr Graf,« sagte er zu Louis Renaud, »welche ausgedehnte Vollmacht wir haben; Sie haben den Brief Ihrer königlichen Hoheit gelesen und wissen, daß ich, für den Augenblick wenigstens, ihr Vermittler bei Ihnen bin. Was denken Sie von der Lage der Dinge?«
»Meine Meinung, die ich diesen Morgen aussprach, ist vielleicht nicht so, wie ich mich jetzt aussprechen werde; ich weiß, daß ich hier mit treuen begeisterten Anhängern der Herzogin zu thun habe, und kann die ganze Wahrheit sagen.«
»Ja, Madame muß die ganze Wahrheit erfahren,« erwiderte Bonneville, »was Sie mir sagen, lieber Graf, ist so gut, als ob Sie es ihr selbst sagten.«
»Nach meiner Meinung sollte vor der Ankunft des Marschalls nichts unternommen werden.»
»Ist denn der Marschall nicht in Nantes?« fragte Petit-Pierre.
Louis Renaud, der den jungen Mann noch nicht bemerkt hatte, wandte sich nach ihm um, verneigte sich und antwortete:
»Erst heute, als ich nach Hause kam, habe ich erfahren, daß der Marschall auf die Kunde von den Ereignissen im Süden Nantes verlassen hat und daß Niemand weiß, welchen Weg er genommen und welchen Entschluß er gefaßt hat.«
Petit-Pierre stampfte ungeduldig mit dem Fuße.
»Aber der Marschall war ja die Seele des Unternehmens; seine Abwesenheit wird der Erhebung schaden und insbesondere das Vertrauen der Soldaten vermindern; wenn er nicht da ist, sind alle Rechte gleich, und es wird unter den Anführern wieder dieselbe Zwietracht entstehen, die der royalistischen Partei in dem ersten Kriege der Vendée so verderblich wurde.«
Der Graf von Bonneville trat zurück, um Petit-Pierre das Wort zu lassen. Dieser trat ein paar Schritte vor.
Louis Renaud sah den Jüngling, der fast noch ein Knabe war und eine so zuversichtliche Sprache führte, mit großem Erstaunen an.
»Es ist nur eine Verzögerung,« erwiderte er, »sobald der Marschall gewiß weiß, daß Madame in der Vendée ist, wird er sich sogleich auf seinen Posten begeben.«
»Hat Ihnen denn Herr von Bonneville nicht gesagt, daß Madame unterwegs ist und in kürzester Frist unter ihren Freunden seyn wird?«
»Ja wohl, und diese Nachricht hat mir große Freude gemacht.«
»Ein Aufschub?« sagte Petit-Pierre. »Ich glaube immer gehört zu haben, daß eine Erhebung hier zu Lande immer in der ersten Hälfte des Mai stattfinden müsse, um über die Landleute leichter verfügen zu können; später sind sie mit ihren Feldarbeiten beschäftigt. Es ist der 14. Mai, wir haben uns schon verspätet. Die Anführer sind doch zusammenberufen?«
»Ja,« antwortete Louis Renaud ernst und traurig, »und es sind fast die Einzigen, auf die mit Sicherheit zu zählen ist – und nicht einmal auf Alle! Der Herr Marquis von Souday hat sich heute früh davon überzeugt.«
»Was sagen Sie da?« sagte Petit-Pierre mit Heftigkeit. »Lauheit in der Vendée, während unsere Freunde zu Marseille – ich komme von dorther und kann die genaueste Auskunft geben – während unsere Freunde zu Marseille gegen sich selbst aufgebracht sind und nur die Scharte auszuwetzen wünschen!«
»Sind Sie aus dem Süden?« fragte der junge Royalist, »Sie sprechen aber doch nicht den südlichen Dialekt —«
»Das ist wahr,« sagte Petit-Pierre, »und was weiter?«
»Der Süden ist durchaus nicht mit dem Westen zu verwechseln; der Marseiller ist sehr verschieden von dem Vendéer. Eine Proclamation bringt den Süden schnell in Aufruhr, ein verlorenes Treffen macht ihn muthlos. Die Vendée hingegen – Sie werden mir Recht geben, wenn Sie einige Zeit hier gewesen sind – die Vendée ist ernst, kalt, verschlossen; jeder Plan wird hier langsam und gewissenhaft in Berathung gezogen, jede Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Gelingens und Mißlingens erwogen, und wenn die Wahrscheinlichkeit des Gelingens größer scheint, so bietet der Vendéer seine Hand, sagt Ja und opfert nöthigenfalls sein Leben, um sein Versprechen zu halten. Aber da er weiß, dass Leben und Tod von dem Ja und Nein abhängt, so gibt er sein Versprechen nicht voreilig.«
»Aber die Begeisterung!« entgegnete Petit-Pierre.
Der junge Cavalier lächelte.
»Ich habe in meiner Kindheit von Begeisterung gehört,« erwiderte er, »es ist eine Gottheit aus dem vorigen Jahrhundert; sie ist von ihrem Altar herabgestiegen, seitdem unseren Vätern so viele Versprechungen gemacht und nicht gehalten wurden. Wissen Sie, was diesen Morgen in St. Philibert vorgegangen ist?«
»Zum Theil weiß ich es, der Marquis hat mir’s gesagt.«
»Aber was nach der Abreise des Marquis geschehen ist, wissen Sie nicht«
»Nein.«
»So hören Sie. Von zwölf Anführern, welche die zwölf Divisionen befehligen sollten, haben sieben im Namen ihrer Leute protestiert; sie werden dieselben bereits nach Hause geschickt haben. Sie erklärten freilich einstimmig, daß sie persönlich jeden Augenblick bereit waren, für die Herzogin ihr Blut zu vergießen, aber sie wollten vor Gott nicht die große Verantwortung einer Erhebung übernehmen, welche voraussichtlich nur ein zweckloses Gemetzel seyn werde.«
»Wir müssen also jede Hoffnung aufgeben, auf jeden Versuch verzichten?« fragte Petit-Pierre.
»Es ist wenig Hoffnung da,« erwiderte der junge Cavalier, »ein Versuch kann vielleicht gemacht werden. Madame hat uns geschrieben, sie werde durch den leitenden Ausschuß zu Paris angetrieben, sie hat uns versichert, daß sie Anhänger in der Armee habe. Wir können es vielleicht mit einer Emeute in Paris versuchen, vielleicht wird ihre Meinung durch viele desertirende Soldaten bestätigt. Wenn wir nichts für die Herzogin unternehmen, so könnte sie glauben, es habe uns an gutem Willen gefehlt – und das darf sie nicht glauben.«
»Aber wenn der Versuch mißlingt?« entgegnete Petit-Pierre.
»Dann werden fünf- bis sechshundert Menschenleben vergebens geopfert. Und es ist gut, dass eine Partei nicht nur dem Vaterlande, sondern auch den Nachbarländern von Zeit zu Zeit mit einem guten Beispiel vorangeht.«
»Aber Sie haben doch Ihre Leute nicht entlassen?« fragte Petit-Pierre.
»Allerdings; aber ich habe geschworen, für Ihre königliche Hoheit zu sterben. Ueberdies,« setzte der junge Cavalier hinzu, »hat der Kampf vielleicht schon begonnen, und wir haben dann nur das Verdienst, uns der Bewegung anzuschließen.«
»Wieso?« fragten zugleich Petit-Pierre, Bonneville und der Marquis.
»Es ist heute auf dem Jahrmarkte zu Montaigu geschossen worden.«
»Und in diesem Augenblicke wird an der Furt der Boulogne geschossen,« sagte eine unbekannte Stimme in der Thür.