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Read the book: «Die drei Musketiere», page 26

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XIII.
Die Equipirungsjagd

Der ängstlichste von den vier Freunden war offenbar d'Artagnan, obgleich dieser in seiner Eigenschaft als Garde viel leichter zu equipiren war, als die Herren Musketiere; aber unser Junker aus der Gascogne hatte, wie man bereits sehen konnte, einen vorsichtigen, etwas geizigen Charakter, und war dabei so eitel, daß er Porthos die Spitze bieten konnte. Mit der Unruhe seiner Eitelkeit verband sich bei d'Artagnan in diesem Augenblick eine minder egoistische Unruhe. Alle Erkundigungen, die er über Madame Bonacieux einzog, blieben erfolglos. Herr von Treville hatte mit der Königin gesprochen; die Königin wußte nicht, wo die junge Frau war, und versprach, sie suchen zu lassen. Aber diese Zusage war sehr unbestimmt und diente d'Artagnan nicht zur Beruhigung.

Athos verließ sein Zimmer nicht; er war entschlossen, keinen Schritt zum Behuf seiner Equipirung zu unternehmen.

»Es bleiben uns vierzehn Tage,« sagte er zu seinen Freunden; »wohl! wenn ich nach Verlauf dieser vierzehn Tage nichts gefunden habe, oder vielmehr, wenn mich nichts aufgesucht hat, so werde ich, da ich ein zu guter Katholik bin, um mir mit einem Pistolenschuß den Hirnschädel zu zerschmettern, einen ehrlichen Streit mit vier Leibwachen Seiner Eminenz oder mit acht Engländern suchen und mich schlagen, bis mich einer tötet, was in Betracht der Quantität nicht ausbleiben kann. Man wird dann sagen, ich sei im Dienste des Königs gestorben, und ich werde meinen Dienst gethan haben, ohne daß ich mich zu equipiren brauche.«

Porthos ging fortwährend, die Hände auf dem Rücken und den Kopf schüttelnd, auf und ab und sagte:

»Ich habe meine Gedanken.«

Aramis sah sorgenvoll und verwahrlost aus, und sprach nichts.

Aus diesen unglücklichen Einzelheiten kann man ersehen, daß Verzweiflung in der Gemeinde herrschte.

Die Lakaien theilten wie die Renner Hippolyts die trübe Stimmung ihrer Herren. Mousqueton kaufte Krustenvorräte ein; Bazin, der stets ein gottesfürchtiger Mann gewesen war, verließ die Kirche nicht mehr; Planchet beobachtete den Flug der Mücken, und Grimaud, den das allgemeine Unglück nicht dazu bringen konnte, daß er das ihm von seinem Herrn auferlegte Stillschweigen gebrochen hätte, stieß Seufzer aus, daß sich die Steine hätten erbarmen mögen.

Die drei Freunde, denn Athos hatte, wie gesagt geschworen, keinen Schritt für seine Equipirung zu thun, die drei Freunde gingen am frühen Morgen aus und kehrten sehr spät nach Hause. Sie irrten in den Straßen umher und betrachteten jeden Pflasterstein, um zu schauen, ob nicht etwa ein Vorübergehender seine Börse habe fallen lassen. Man hätte glauben sollen, sie verfolgen eine Fährte, so aufmerksam waren sie überall, wo sie gingen. Wenn sie sich begegneten, richteten sie verzweiflungsvolle Blicke an einander, welche zu fragen schienen: hast Du etwas gefunden?

Da jedoch Porthos zuerst seinen Gedanken gefunden und diesen sodann mit der größten Beharrlichkeit verfolgt hatte, so war er auch der Erste, der an das Werk ging. Es war ein Mann der Ausführung, dieser würdige Porthos. D'Artagnan bemerkte ihn eines Tags, wie er nach der Saint-Leu-Kirche wandelte, und folgte ihm instinktmäßig. Er trat in den heiligen Ort ein, nachdem er zuvor seinen Schnurrbart in die Höhe gestrichen und den Knebelbart lang gezogen hatte, was von seiner Seite stets äußerst eroberungssüchtige Pläne andeutete. Da d'Artagnan einige Vorsichtsmaßregeln traf, so glaubte Porthos nicht gesehen worden zu sein. Porthos lehnte sich an die eine Seite eines Pfeilers, d'Artagnan, stets unbemerkt, an die andere.

Es wurde gerade eine Predigt gehalten, weßhalb die Kirche sehr voll war. Porthos benützte diesen Umstand, um die Frauen zu beäugeln. In Folge der Bemühungen Mousqueton's kündigte sein Aeußeres entfernt nicht die Trübsal des Innern an. Sein Filzhut war wohl etwas abgetragen, seine Feder wohl etwas verschossen, seine Stickereien wohl etwas matt geworden, seine Spitzen wohl etwas verzerrt; aber in dem Halblicht verschwanden alle diese Bagatellen und Porthos blieb immer der schöne Porthos.

D'Artagnan bemerkte auf einer Bank, zunächst bei dem Pfeiler, an welchem Porthos und er lehnten, eine Art von reifer Schönheit, etwas vergilbt, etwas vertrocknet, aber steif und hochmütig unter ihrer schwarzen Haube. Die Augen unseres Porthos senkten sich verstohlen auf diese Dame und schweiften dann sogleich wieder im Schiff der Kirche umher.

Die Dame, welche von Zeit zu Zeit erröthete, schleuderte mit Blitzesschnelligkeit einen Blick auf den flatterhaften Porthos, und sogleich fing Porthos wieder an, seine Augen mit aller Wuth umher irren zu lassen. Offenbar stachelte dieses Benehmen die Dame mit der Haube ganz ungemein; denn sie biß sich in die Lippen, daß sie bluteten, kratzte sich an der Nase und rückte verzweiflungsvoll auf ihrem Stuhle hin und her.

Als dies Porthos gewahr wurde, strich er seinen Schnurrbart abermals in die Höhe, zog seinen Knebelbart zum zweiten Mal lang und fing an, einer schönen Dame in der Nähe des Chors Zeichen zu machen, einer Dame, die nicht nur eine schöne, sondern auch ohne Zweifel eine vornehme Dame war; denn sie hatte einen Negerknaben, der das Kissen brachte, auf dem sie kniete, und eine Kammerfrau hinter sich, welche die mit einem Wappen gestickte Tasche in der Hand hielt, in der ihr Gebetbuch verwahrt wurde.

Die Dame mit der schwarzen Haube verfolgte den Blick von Porthos in allen seinen Irrfahrten, und erkannte, daß er auf die Dame mit dem Sammetkissen, dem Negerknaben und der Kammerfrau geheftet blieb.

Während dieser Zeit gab sich Porthos nicht die geringste Blöße; er blinzelte mit den Augen, legte die Finger auf seine Lippen und schoß wiederholt ein kleines mörderisches Lächeln ab, welches der verschmähten Schönen wirklich durch Mark und Bein ging.

Sie stieß daher in Form eines mea culpa, und sich an die Brust schlagend, ein so kräftiges Hm! aus, daß alle Welt und sogar die Dame mit dem rothen Kissen sich umwandte; Porthos hielt fest. Er hatte wohl verstanden, aber er spielte den Tauben.

Die Dame mit dem rothen Kissen brachte, denn sie war sehr schön, eine gewaltige Wirkung auf die Dame mit der schwarzen Haube hervor, welche in ihr eine furchtbare Nebenbuhlerin erblickte, eine große Wirkung auch auf Porthos, der sie viel jünger und auch viel hübscher fand, als die Dame mit der schwarzen Haube, eine große Wirkung auf d'Artagnan, der in ihr die Dame von Meung, von Calais und Dover erkannte, die sein Verfolger, der Mann mit der Narbe, mit dem Titel Mylady begrüßt hatte.

Ohne die Dame mit dem rothen Kissen aus dem Auge zu verlieren, fuhr d'Artagnan fort, das Benehmen von Porthos zu verfolgen, das ihn im höchsten Grad belustigte; er glaubte zu errathen, daß seine Dame mit der schwarzen Haube die Procuratorsfrau von der Rue aux Ours war; dies um so mehr, als die Saint-Leu-Kirche unfern von der genannten Straße lag.

Durch Folgerungen errieth er auch, daß Porthos für seine Niederlage in Chantilly, wo sich die Procuratorsfrau so widerspenstig im Punkt der Börse gezeigt hatte, seine Rache nehmen wollte.

Bei Allem dem aber entging es d'Artagnan nicht, daß kein einziges Gesicht die Galanterien von Porthos erwiderte. Es waren nur Chimären und Illusionen; aber gibt es für eine wahre Liebe, für eine wahre Eifersucht eine andere Wirklichkeit, als Illusionen und Chimären?

Die Predigt war zu Ende. Die Procuratorsfrau ging auf den Weihkessel zu. Porthos kam ihr zuvor und steckte statt eines Fingers die ganze Hand hinein. Die Procuratorsfrau lächelte im Glauben, Porthos versetzte sich für sie in Unkosten, aber sie wurde schnell und grausam enttäuscht. Als sie nur noch drei Schritte von ihm entfernt war, drehte er den Kopf und heftete seine Augen unveränderlich auf die Dame mit dem rothen Kissen, welche sich erhoben hatte und von ihrem Negerknaben und der Kammerfrau gefolgt, herbeikam. Als die Dame mit dem rothen Kissen nahe bei Porthos war, zog dieser seine triefende Hand aus dem Weihkessel; die schöne Andächtige berührte mit ihrer zarten Hand die plumpe von Porthos, machte lächelnd das Zeichen des Kreuzes und verließ die Kirche.

Das war zu viel für die Procuratorsfrau; sie zweifelte nicht mehr daran, daß diese Dame und Porthos in einem Liebesverhältniß standen; wäre sie eine vornehme Dame gewesen, so würde sie in Ohnmacht gefallen sein; da sie aber nur eine Procuratorsfrau war, so begnügte sie sich mit gepreßter Wuth zu Porthos zu sagen:

»Ei, Herr Porthos, Ihr bietet mir kein Weihwasser?«

Porthos machte bei dem Klang dieser Stimme eine Bewegung, etwa wie ein Mensch, der nach einem Schlaf von hundert Jahren erwachen würde.

»Ma . . . Madame!« rief er, »seid ihr es wirklich? Wie befindet sich Euer Gemahl, der liebe Herr Coquenard? Ist er immer noch ein so großer Filz, wie früher? Wo hatte ich denn die Augen, daß ich Euch während der zwei Stunden, welche die Predigt dauerte, nicht einmal bemerkte?«

»Ich war nur zwei Schritte von Euch entfernt, mein Herr,« antwortete die Procuratorsfrau, »aber bemerktet mich nicht, weil Ihr nur Augen für die schöne Dame hattet, der Ihr so eben Weihwasser gabt.«

Porthos stellte sich, als geriethe er in Verlegenheit.

»Ah!« sagte er »Ihr habt wahrgenommen . . .«

»Man müßte blind sein, um es nicht zu sehen.«

»Ja,« sagte Porthos nachlässig, »es ist eine Herzogin, eine Freundin von mir, mit der ich wegen der Eifersucht ihres Gatten nur unter den größten Schwierigkeiten zusammenkommen kann, und die mich benachrichtigt hatte, sie würde heute, einzig und allein, um mich zu sehen, in dieser baufälligen Kirche, in diesem abgelegenen, öden Quartier erscheinen.«

»Herr Porthos,« erwiderte die Procuratorsfrau, »würdet Ihr wohl die Güte haben, mir den Arm auf fünf Minuten zu bieten? Ich möchte gern mit Euch sprechen.«

»Wie, Madame!« sagte Porthos sich selbst zublinzelnd, wie ein Spieler, der über den Thoren lacht, welchen er zu fangen im Begriffe ist.

In diesem Augenblick ging d'Artagnan, Mylady verfolgend, vorüber. Er warf Porthos einen Seitenblick zu und las den Triumph in seinem Auge.

»Ei, ei,« sagte er zu sich selbst, im Geiste der äußerst leichten Moral jener Epoche raisonnirend, »da ist Einer, der wohl in der vorgeschriebenen Frist equipirt werden dürfte.«

Dem Drucke des Armes seiner Procuratorsfrau nachgebend, wie eine Barke dem Steuerruder nachgibt, gelangte Porthos in die Nähe des Klosters Saint Magloire, in einen wenig besuchten, an beiden Enden durch drei Kreuze eingeschlossenen Gang. Man sah hier bei Tage nur essende Bettler oder spielende Kinder.

»Ah, mein Herr Porthos,« rief die Procuratorsfrau, nachdem sie sich versichert hatte, daß sie von Niemand, der nicht zu der gewöhnlichen Bevölkerung dieser Oertlichkeit gehörte, gesehen oder gehört werden konnte; »ah, mein Herr Porthos, Ihr seid, wie es scheint, ein großer Sieger.«

»Ich, Madame?« fragte Porthos sich spreizend. »Und warum dies?«

»Nun die Zeichen von vorhin und das Weihwasser so eben! Es ist mindestens eine Prinzessin, diese Dame mit ihrem Negerknaben und ihrer Kammerfrau.«

»Ihr täuscht Euch. Mein Gott, nein,« antwortete Porthos; »es ist ganz einfach eine Herzogin.«

»Und der Läufer, der an der Thüre wartete, und die Karrosse mit dem Kutscher in großer Livree!«

Porthos hatte weder den Läufer, noch die Karrosse gesehen; aber mit dem Blick einer eifersüchtigen Frau hatte Madame Coquenard alles wahrgenommen.

Portos bedauerte, daß er die Dame mit dem rothen Kissen nicht auf den ersten Schlag zu einer Prinzessin gemacht hatte.

»Ah, Ihr seid das Lieblingskind der Schönen, Herr Porthos,« versetzte die Procuratorsfrau seufzend.

»Ihr mögt wohl denken,« erwiderte Porthos, »daß es mir bei einem Aeußern, wie es mir die Natur vergönnt hat, nicht an Glück fehlen kann.«

»Mein Gott, wie schnell die Männer doch vergessen!« rief die Procuratorsfrau, die Augen zum Himmel erhebend.

»Mir scheint es, weniger schnell als die Frauen,« antwortete Porthos, »denn am Ende kann ich wohl sagen, daß ich Euer Opfer war, als ich mich verwundet, sterbend, von den Aerzten verlassen sah. Ich, der Sprößling einer erhabenen Familie, der ich mich Eurer Freundschaft anvertraut hatte, wäre beinahe in einer schlechten Herberge in Chantilly anfangs an meinen Wunden und dann vor Hunger gestorben, und zwar, ohne daß Ihr mich nur einer Antwort auf die dringenden Briefe würdigtet, die ich an Euch schrieb.«

»Aber, Herr Porthos . . .« murmelte die Procuratorsfrau, welche gegenüber dem Betragen der vornehmen Damen jener Zeit einsah, daß sie Unrecht hatte.

»Ich, der ich für Euch die Gräfin von Penaflor opferte!«

»Ich weiß es wohl.«

»Die Baronin von . . .«

»Herr Porthos, peinigt mich nicht.«

»Die Gräfin von . . .«

»Herr Porthos, seid edelmüthig!«

»Ihr habt Recht, Madame, ich werde nicht vollenden.«

»Die Schuld liegt an meinem Manne, der nichts von Anlehen hören will.«

»Madame Coquenard,« sprach Porthos, »erinnert Euch des ersten Briefes, den Ihr mir geschrieben habt, und der tief in mein Herz geprägt ist.«

Die Procuratorsfrau stieß einen Seufzer aus.

»Aber die Summe, die Ihr von mir entlehnen wolltet,« sprach sie, »war auch etwas stark. Ihr sagtet, Ihr braucht tausend Livres.«

»Madame Coquenard, ich gab Euch den Vorzug. Ich dürfte nur an die Herzogin von . . . schreiben. Ich will ihren Namen nicht sagen, denn ich bin ganz außer Stande, eine Frau zu compromittiren. Ich weiß nur, daß es mich höchstens eine Zeile an sie gekostet hätte, und sie würde mir fünfzehn hundert geschickt haben.«

Die Procuratorsfrau vergoß eine Thräne.

»Herr Porthos,« sagte sie, »ich schwöre Euch, daß Ihr mich schwer bestraft habt, und daß Ihr Euch, wenn Ihr Euch in Zukunft in einer ähnlichen Verlegenheit befindet, nur an mich wenden dürft.«

»Pfui, Madame,« rief Porthos wie empört, »sprechen wir nicht von Geld, wenn es Euch beliebt; denn das ist demüthigend.«

»Also liebt Ihr mich nicht mehr?« fragte die Procuratorsfrau langsam und traurig.

Porthos beobachtete ein majestätisches Stillschweigen.

»Also auf diese Weise antwortet Ihr mir? Ach! ich begreife!«

»Denkt an die Beleidigung, die Ihr mir zugefügt habt, Madame! sie ist hier fest geblieben,« sprach Porthos und preßte die Hand an sein Herz.

»Ich werde sie wieder gut machen, hört wohl, mein lieber Porthos.«

»Ueberdies, was verlangte ich von Euch?« versetzte Porthos mit einem gutmüthigen Achselzucken; »ein Anlehen nichts weiter; im Ganzen bin ich kein unbilliger Mensch; ich weiß, daß Ihr nicht reich seid, Madame Coquenard, und daß Euer Mann die armen Prozeßkrämer besteuern muß, um ihnen ein paar Thaler abzulocken. Oh! wenn Ihr eine Gräfin, eine Marquise, oder eine Herzogin wäret, dann würden sich die Dinge ganz anders verhalten, und ich wüßte keine Entschuldigung für Euch zu finden.«

Die Procuratorsfrau war gereizt.

»Vernehmt, Porthos,« sprach sie, »daß meine Geldkasse, obgleich nur die Kasse einer Procuratorsfrau, vielleicht besser gespickt ist, als die aller Eurer zu Grunde gerichteten Zieraffen.«

»Das ist eine doppelte Beleidigung für mich,« sagte Porthos, seinen Arm von dem der Procuratorsfrau losmachend, »denn wenn Ihr reich seid, Madame Coquenard, so ist Eure Weigerung völlig unentschuldbar.«

»Wenn ich Euch sage reich,« erwiderte die Procuratorsfrau, welche einsah, daß sie sich etwas zu weit hatte fortreißen lassen, »so darf man meine Worte nicht buchstäblich nehmen. Ich bin nicht reich, aber wohlhabend.«

»Gut, Madame,« sagte Porthos. »Sprechen wir nicht mehr hiervon, ich bitte Euch. Ihr habt mich verkannt; jede Sympathie ist zwischen uns erloschen.«

»Undankbarer Mensch!«

»Ihr habt wohl ein Recht, Euch zu beklagen,« sagte Porthos.

»Geht also mit Eurer Herzogin! Ich halte Euch nicht zurück.«

»Ah, sie ist doch nicht gar so schlimm, wie ich glaubte.«

»Hört, Herr Porthos, ich wiederhole zum letzten Male, liebt Ihr mich noch?«

»Ach, Madame,« entgegnete Porthos, mit dem schwermüthigsten Tone, den er anzunehmen vermochte, »wenn wir in einen Krieg ziehen, in einen Krieg, wo mir meine Ahnungen sagen, daß ich meinen Tod finden werde. . .«

»Oh! sprecht nicht solche Dinge,« rief die Procuratorsfrau und brach in ein Schluchzen aus.

»Irgend etwas sagt mir dies,« fuhr Porthos, immer schwermüthiger werdend, fort.

»Gesteht vielmehr, daß Ihr eine neue Liebe hegt.«

»Nein, gewiß nicht, ich rede offenherzig mit Euch. Kein neuer Gegenstand rührt mich, und ich fühle, daß sogar hier im Grunde meines Herzens Etwas für Euch spricht. Aber in vierzehn Tagen wird, wie Ihr wißt oder vielleicht nicht wißt, dieser unselige Feldzug eröffnet, und ich sehe mich auf eine abscheuliche Weise durch meine Equipirung in Anspruch genommen. Dann muß ich eine Reise zu meiner Familie machen, welche in dem entferntesten Theile der Bretagne wohnt, um die für meinen Auszug erforderlichen Summen zu erhalten.«

Porthos bemerkte einen letzten Kampf zwischen der Liebe und dem Geiz.

»Und da die Güter der Herzogin,« fuhr er fort, »die Ihr so eben in der Kirche gesehen habt, bei den meinigen liegen, so machen wir die Reise miteinander. Eine Reise, wie Ihr wißt, erscheint bekanntlich viel kürzer, wenn man sie zu zweit macht.«

»Ihr habt also keine Freunde in Paris, Herr Porthos?« sagte die Procuratorsfrau.

»Ich glaubte welche zu haben,« erwiderte Porthos mit seiner schwermüthigen Miene, »aber ich habe eingesehen, daß ich mich täuschte.«

»Ihr habt Freunde, Herr Porthos, Ihr habt,« versetzte die Procuratorsfrau mit einer Begeisterung, über die sie selber erstaunte. »Ihr seid der Sohn meiner Tante, folglich mein Vetter. Ihr kommt von Noyon in der Picardie; Ihr habt mehrere Prozesse in Paris und keinen Procurator. Werdet Ihr wohl Alles dies behalten?«

»Vollkommen, Madame.«

Kommt zur Mittagessenszeit.«

»Sehr gut.«

»Und haltet Euch fest bei meinem Manne, der gar verschmitzt ist, trotz seiner sechsundsiebenzig Jahre.«

»Sechsundsiebenzig Jahre! Pest! was für ein schönes Alter!« sprach Porthos.

»Ein hohes Alter wollt Ihr sagen, Herr Porthos. Der liebe alte Mann kann mich auch jeden Augenblick zur Wittwe machen,« fuhr sie mit einem vielsagenden Blicke fort. »Glücklicherweise ist nach einem unter uns abgeschlossenen Heirathsvertrag der überlebende Theil Erbe des ganzen Vermögens.«

»Des ganzen?« sagte Porthos.

»Des ganzen.«

»Ihr seid eine vorsichtige Frau, wie ich sehe, meine liebe Madame Coquenard,« sprach Porthos, der Procuratorin zärtlich die Hand drückend.

»Wir sind also ausgesöhnt, lieber Herr Porthos,« sagte sie, sich zierend.

»Für das ganze Leben,« erwiderte Porthos mit derselben Miene.

»Aus Wiedersehen also, mein Verräther.«

»Auf Wiedersehen, meine Vergeßliche.«

»Morgen, mein Engel!«

»Morgen, Flamme meines Lebens!«

XIV.
Mylady

D'Artagnan war Mylady gefolgt, ohne daß er von ihr bemerkt wurde. Er sah sie in den Wagen steigen und hörte sie dem Kutscher Befehl geben, nach Saint-Germain zu fahren.

Es wäre fruchtlos gewesen, einem in starkem Trabe von zwei kräftigen Pferden fortgeführten Wagen zu Fuß zu folgen. D'Artagnan kehrte daher nach der Rue Ferou zurück.

In der Rue de Seine traf er Planchet, der vor einer Pastetenbude stand und über ein Backwerk von äußerst appetitlichem Aussehen entzückt zu sein schien. Er gab ihm Befehl, zwei Pferde in den Ställen des Herrn von Treville, eines für ihn selbst, eines für Planchet, zu satteln und ihn bei Athos damit abzuholen. Herr von Treville hatte d'Artagnan ein für allemal seine Ställe zur Verfügung gestellt.

Planchet schlug den Weg nach der Rue de Colombier und d'Artagnan den nach der Rue Ferou ein. Athos war zu Hause und leerte traurig eine der Flaschen von dem berühmten spanischen Wein, die er von seiner Reise in der Picardie mitgebracht hatte. Er winkte Grimaud, ein Glas für d'Artagnan herbeizuschaffen, und dieser gehorchte, wie gewöhnlich, stillschweigend.

D'Artagnan erzählte nun seinem Freunde Athos Alles, was zwischen Porthos und der Procuratorsfrau vorgefallen war, und wie ihr Kamerad zu dieser Stunde bereits auf dem Weg sein dürfte, sich zu equipiren.

»Was mich betrifft« antwortete Athos auf die ganze Erzählung, »ich bin völlig ruhig. Die Frauen werden sicherlich meine Ausrüstung nicht bezahlen.«

»Und dennoch gibt es für den hübschen, artigen, stolzen Herrn, der Ihr seid, mein lieber Athos, weder Prinzessinnen, noch Königinnen, die vor Euren Liebespfeilen geschützt wären.«

In diesem Augenblick streckte Planchet bescheiden den Kopf durch die halbgeöffnete Thüre und meldete, daß die beiden Pferde vor dem Hause ständen.

»Welche Pferde?« fragte Athos.

»Zwei Pferde, die mir Herr von Treville zum Spazierenreiten leiht, und mit denen ich einen Ritt nach Saint-Germain machen will.«

»Und was wollt Ihr in Saint-Germain thun?« fragte Athos.

Hierauf erzählte ihm d'Artagnan, wie er in der Kirche der Dame begegnet war, welche ihn, nebst dem Herrn im schwarzen Mantel und der Narbe am Schlaf, beständig in Unruhe erhielt.

»Das heißt, Ihr seid verliebt in diese, wie Ihr es in Madame Bonacieux waret,« sprach Athos, verächtlich die Achseln zuckend, als fühlte er Mitleid mit der menschlichen Schwäche.

»Ich? Keineswegs,« rief d'Artagnan, »ich bin nur begierig, das Geheimniß aufzuklären, in das sie verwickelt ist. Ich weiß mir keinen Grund anzugeben, aber ich bilde mir ein, diese Frau müsse, obschon ich ihr eben so unbekannt bin, als sie mir, einen Einfluß auf mein Leben ausüben.«

»Ihr habt im Ganzen Recht,« sprach Athos, »ich kenne keine Frau, bei der es sich der Mühe lohnen würde, sie aufzusuchen, wenn sie einmal verloren ist. Madame Bonacieux ist verloren, desto schlimmer für sie, sie mag sich wieder suchen.«

»Nein, Athos, nein, Ihr täuscht Euch,« sprach d'Artagnan, »ich liebe meine arme Constance mehr als je, und wenn ich den Ort wüßte, wo sie sich befindet, so würde ich, und wäre sie am Ende der Welt, hineilen, sie den Händen ihrer Feinde zu entreißen. Aber ich weiß diesen Ort nicht; alle meine Nachforschungen waren fruchtlos. Ihr seht wohl ein, man muß sich zerstreuen.«

»Zerstreut Euch mit Mylady, mein lieber d'Artagnan, ich wünsche es Euch von ganzem Herzen, wenn es Euch unterhalten kann.«

»Hört, Athos,« erwiderte d'Artagnan, »statt Euch hier eingeschlossen zu halten, als wäret Ihr im Arrest, steigt zu Pferde und reitet mit mir nach Saint-Germain.«

»Mein Lieber,« sagte Athos, »ich reite meine Pferde, wenn ich welche habe; habe ich keine, so gehe ich zu Fuße.«

»Wohl!« sprach d'Artagnan, über die Unfreundlichkeit von Athos lächelnd, die ihn bei einem Andern sicherlich verletzt haben würde; »ich bin weniger stolz, als Ihr, ich reite das, was ich finde. Also auf Wiedersehen, mein lieber Athos!«

»Auf Wiedersehen,« sagte der Musketier und machte Grimaud ein Zeichen, die Flasche zu entkorken, die er gebracht hatte.

D'Artagnan und Planchet sprangen in den Sattel, und schlugen die Straße nach Saint-Germain ein.

Auf dem ganzen Weg ging d'Artagnan das, was Athos ihm von Madame Bonacieux gesagt hatte, im Kopfe um. Obgleich er nicht von sehr sentimentalem Charakter war, so hatte doch die hübsche Krämerin einen wirklichen Eindruck auf sein Herz hervorgebracht: er war, wie er sagte, bereit, bis an das Ende der Welt zu gehen, um sie zu suchen. Aber die Welt hat, insofern sie rund ist, viele Enden, und er wußte nicht, nach welcher Seite er seine Richtung nehmen sollte.

Mittlerweile suchte er zu erfahren, wer Mylady war. Mylady hatte mit dem Schwarzmantel gesprochen und kannte ihn also. In d'Artagnans Geist aber hatte sicherlich der Schwarzmantel und kein Anderer Frau Bonacieux auch jetzt wieder entführt. D'Artagnan log also nur halb und also sehr wenig, wenn er sagte, indem er Mylady aufsuchte, suche er zu gleicher Zeit Constance auf.

Dies sich bedenkend und sein Pferd von Zeit zu Zeit mit den Sporen aufmunternd, legte d'Artagnan den Weg zurück und erreichte Saint-Germain. Er kam an dem Pavillon vorüber, in welchem zehn Jahre später Ludwig XIV. geboren werden sollte, und schaute, durch eine ziemlich öde Straße reitend, rechts und links, ob er nicht irgend eine Spur von seiner schönen Engländerin finden könnte, als er im Erdgeschoß eines hübschen Hauses, das nach dem Gebrauch jener Zeit kein Fenster nach der Straße zu hatte, ein bekanntes Gesicht erblickte. Dieses Gesicht ging auf einer Art von Terrasse spazieren, welche mit Blumen geschmückt war. Planchet erkannte es zuerst.

»Ei, gnädiger Herr,« sagte er, sich an d'Artagnan wendend, »erinnert ihr Euch dieses Gesichts nicht mehr, das dort Maulaffen feil hat?«

»Nein,« antwortete d'Artagnan, »und doch weiß ich gewiß, daß ich diesen Menschen nicht zum ersten Mal sehe.«

»Bei Gott, ich glaube es wohl,« versetzte Planchet, »das ist der arme Lubin, der Lakai des Grafen von Wardes, den Ihr vor einem Monat in Calais auf dem Weg nach dem Landhaus des Gouverneurs so übel zugerichtet habt.«

»Ah! ja, so ist's,« sprach d'Artagnan, »ich erkenne ihn nun wieder. Glaubst Du, daß er dich auch erkennt?«

»Meiner Treu, gnädiger Herr, er war so voll Angst, daß ich nicht denken kann, ich werde ihm im Gedächtniß geblieben sein.«

»Nun, so geh' und rede mit dem Burschen, erkundige Dich gesprächsweise, ob sein Herr noch lebt.«

Planchet stieg ab, ging gerade aus Lubin zu, der ihn wirklich nicht erkannte, und die zwei Bedienten fingen an, in schönster Eintracht mit einander zu plaudern, während d'Artagnan die zwei Pferde in ein Gäßchen trieb, rund um ein Haus ging und zurückkehrte, um hinter einem Haselstrauche das Gespräch anzuhören.

Kaum hatte er sich einen Augenblick seinen Beobachtungen hingegeben als er Wagengerassel vernahm und die Karrosse von Mylady ihm gegenüber anhielt. Er konnte sich nicht täuschen, Mylady saß darin. D'Artagnan legte sich auf den Hals seines Pferdes, um Alles zu sehen, ohne gesehen zu werden.

Mylady schaute mit ihrem reizenden blonden Kopfe aus dem Kutschenschlag heraus und gab ihrer Zofe Befehle.

Die letztere, ein hübsches, lebhaftes, flinkes Mädchen, die wahre Kammerjungfer einer vornehmen Dame, sprang von dem Fußtritt herab, auf dem sie nach der Sitte jener Zeit saß, und wandte sich nach der Terasse, wo d'Artagnan Lubin bemerkt hatte.

D'Artagnan folgte der Zofe mit den Augen und sah sie nach der Terrasse gehen. Zufälligerweise aber hatte ein Befehl aus dem Innern des Hauses Lubin hineingerufen, und Planchet, der nach allen Seiten hinschaute, um zu erforschen, in welcher Richtung sein Herr verschwunden sein möchte, war allein geblieben.

Die Kammerfrau näherte sich Planchet, den sie für Lubin hielt, gab ihm ein Billet und sagte:

»Für Euern Herrn.«

»Für meinen Herrn?« fragte Planchet sehr erstaunt.

»Ja – und es hat große Eile – nehmt also geschwind.«

Hierauf ging sie nach dem Wagen zurück, der wieder nach der Seite, von welcher er hergekommen war, umgekehrt hatte; sie sprang auf den Fußtritt und die Karrosse entfernte sich.

Planchet wandte das Billet um und um, lief dann, an stummen Gehorsam gewöhnt, von der Terrasse herab, eilte in das Gäßchen und traf nach zwanzig Schritten seinen Herrn, der Alles gesehen hatte und ihm entgegen kam.

»Für Euch, gnädiger Herr,« sprach Planchet, das Billet dem jungen Manne überreichend.

»Für mich?« entgegnete d'Artagnan, »bist Du dessen ganz gewiß?«

»Bei Gott! ganz gewiß, die Kammerjungfer sagte: ›Für Deinen Herrn.‹ Ich habe keinen andern Herrn außer Euch, also . . . Ein hübscher Bissen von einem Mädchen, diese Zofe, meiner Treu.«

D'Artagnan öffnete den Brief und las folgende Worte:

»Eine Person, welche sich mehr für Euch interessirt, als sie sagen kann, wünschte zu wissen, an welchem Tage Ihr im Walde promeniren könnt; morgen erwartet ein schwarz und rother Bedienter im Hotel zum goldenen Felde Euere Antwort.«

»Oh! oh!« sagte d'Artagnan zu sich selbst, »das ist ein wenig lebhaft. Es scheint, Mylady und ich leiden an demselben Uebel. Nun, Planchet laßt hören, wie befindet sich Herr von Wardes? Er ist also nicht tot?«

»Nein, gnädiger Herr, es geht so gut, als es mit vier Degenstichen im Leibe gehen kann; denn Ihr habt diesem Edelmann vier ganz tadellose beigebracht, und er ist noch sehr schwach, da er beinahe all sein Blut verloren hat. Lubin erkannte mich nicht, wie ich dem gnädigen Herrn zum Voraus sagte, und erzählte mir das ganze Abenteuer von Anfang bis zu Ende.«

»Sehr gut, Planchet, Du bist der König der Lakaien; jetzt steig zu Pferde und wir wollen dem Wagen nachreiten.«

Das dauerte nicht lange; nach fünf Minuten erblickte man die Karrosse, welche auf der Biegung der Straße stille hielt; Ein reichgekleideter Kavalier befand sich am Kutschenschlag.

Das Zwiegespräch zwischen Mylady und dem Kavalier war so belebt, daß d'Artagnan auf der andern Seite des Wagens stille hielt, ohne daß Jemand, außer der hübschen Zofe, seine Gegenwart bemerkte.

Die Unterredung fand in englischer Sprache statt, von der d'Artagnan nichts verstand, aber am Ausdruck glaubte der junge Mann zu erkennen, daß die schöne Engländerin sehr zornig war; sie schloß mit einer Geberde, die ihm keinen Zweifel über die Natur der Unterhaltung ließ, das heißt, mit einem Fächerschlag, der mit solcher Gewalt geführt wurde, daß das kleine weibliche Geräthe in tausend Stücke flog.

Der Reiter brach in ein Gelächter aus, das Mylady in Verzweiflung zu bringen schien.

D'Artagnan meinte, dies sei der geeignete Augenblick, um ins Mittel zu treten; er näherte sich dem Kutschenschlag, entblößte ehrfurchtsvoll sein Haupt und sprach:

»Madame, erlaubt mir. Euch meine Dienste anzubieten; es scheint mir, dieser Kavalier hat Euch in Zorn gebracht. Sprecht ein Wort, und ich übernehme es, ihn für seinen Mangel an Höflichkeit zu bestrafen.«

»Mein Herr,« antwortete sie in gutem Französisch, »mit freudigem Herzen würde ich mich unter Euern Schutz stellen, wenn die Person, welche mit mir streitet, nicht mein Bruder wäre.«

»Oh! dann verzeiht mir,« sagte d'Artagnan; »Ihr begreift, daß ich das nicht wußte, Madame.«

»Was hat sich denn dieser Narr in unsere Angelegenheit zu mischen,« rief, sich zu dem Kutschenschlag herabbeugend, der Kavalier, den Mylady als ihren Verwandten bezeichnet hatte; »und warum zieht er nicht seines Wegs?«

»Selbst Narr,« erwiderte d'Artagnan, sich ebenfalls auf den Hals seines Pferdes herabbeugend und durch den Kutschenschlag redend, »ich ziehe nicht meines Wegs, weil es mir hier zu bleiben beliebt.«

Der Kavalier richtete einige englische Worte an seine Schwester.

»Ich spreche Französisch mit Euch,« rief d'Artagnan; »ich bitte Euch also, macht mir das Vergnügen und antwortet mir in derselben Sprache. Ihr seid der Bruder dieser Dame, gut! aber Ihr seid glücklicherweise nicht der meinige.«